D ï F BURGER VON CALAIS BOHNENSPIEL IN DREI AKTEN VON GEORG KAISER S. FISCHER 19 17 VERLAQ • BERLIN Zweite und dritte Auflage Alle Rechte vorbehalten, besonders die der Überaetiung; den Bühnen gegenüber Manudnipt. Das Recht der Aufführung ist durch S. FUcher, Verlag, zu erwerben. Copyright 1914 S. Fwcher, Verlag. DANTE ANSELMS MUTTER HINGEGEBEN Die offerte Stadthatte. Ein roter Backsteinbau — mit breiten Stufen, die Sitzreiben sind, nach einer Plattform ansteigend, wo kurze quadrattscbe Saulenstümpfe das unsicbtbare Dacb tragen. Ein Vorbau, den eine Tür verscbliefJt, teilt in der Mitte unten die Reiben. In den Stufen steben die Gewahlten Bürger — bagere Gestalten im Bauscb überweiter Gewönder — abgekebrt und nach der Plattform aufscbauend. Nur Eustacbe de Saint-Pierre, siebmgabrig, sitxt — vont recbts — und blickt zu Boden. Am Vorbau zwei Wacben, ibre Lanzen vor der Tür kreuzend. Eine belle Glocke lautet nab und rascb — das Brausen vieler Gloeken in der Ferne. An den aufjeren Band der Plattform gedrangt und in die Tiefe wtnkend und schreiend Bürgervolk. Der Larm scbwillt noch, neue Attkömmlinge stoften eine Gaste: Jean de Vienne — Fünfziger — taucbt auf. Eine ztoeite Woge von Menschen und Geschrei lauft berauf: Duguesclins — schwarz gebarniscbt — erscbeint. Hinter ibm sein Fabnentrager. Jean de Vlenne bat sicb umgedreht und erwartet Duguesclins: umtost tauscben sie brüderlühen KufS. Ein Offizier mit einem Trufp Soldaten ist obtn gefolgt — hinter den vorgelegten Lanzen ist langsam die Menge verdrdngt. Die Plattform liegt leer. Der Larm verringert sicb — scbtoeigt. Inktten beginnen Jean de Vienne und Duguesclins die Stufen binabzusteigen. Die mm entstebende heftigste Bewegung wiederholt die Vorgange auf der Plattform: die Gewahlten Bürger empfangen die beiden mit bingestreckten Handen. Dann umarmen und kussen sie sicb untereinander. Zwei Jünglinge — Jacquet de Wissant und Pierre de Wissant — eilen über böbere Stufen und grüfien mit überscbweng- licher Hingabe Jean d'Aire — einen hoben Siebziger. Die belle Glocke hort auf, aucb die fernen Gloeken. Jean de Vienne stebt ganz unten recbts, ibm gegenüber bat sicb Duguesclins — das geschorene Haupt entblSfit — niedergelassen. Die Gewahlten Bürger sucben ibre Platze auf. Der Fabnentrager — die gro/3e Fabnt vor sicb — auf dem Vorbau. DER ENGLISCHE OFFIZIER Im Sande vor Calais liegen Helme ^^Lanzen, wie Lanzen — Helme stül liegen^.**^^— — wenn ein Kind sie nicht wegraumt. — Die Sonne spiegelt darauf — das blendet! J^1^ Dit GeviSblten Bürger lassen sicb wieder — wit von einer Scbvi&cbe '■^^ bezKungen, die ibre Glieder labmt. DUGUESCLINS autbrecbend. Begreift ihr jetzt den Witz des Königs von England f — Sprüht er nicht von seinen Taten — die er nicht leistet ? So seht den König von England an — seines. Landes Haupt und sein witzigster Kopf! — Liefert er euch nicht Beweis nach Beweis? Der herrliche König von England hat mich abgesetzt — der witzige König von England hat euch zusammengeschellt. Was -wissen die Bürger von Calais von Waffen! Wie zehn Schwerter starker sind über einem. Das ist die Rechnung, die ihr nicht rechnet. So zielt sein Witz. Mit zehnfacher Macht schlagt der König von Frankreich — wie rettet sich der König von England vor dem Verderben ? — Wo schlüpft er aus der Schlinge, in die er vor Calais geriet f Wb ist der Ausweg — wo öffnet sich das Tor, aus dem er noch schnell und leicht hinausfahrt f — Jetzt nützt ihm einzig der glatte runde Hafen von Calais! — Sprach er es noch nicht aus, klopfen uns nicht davon unsere Ohren: — geht aus der Stadt und gebt den Schlüssel hin — denn jede Hoffnung ist ausgelöscht — Calais sieht niemals seinen Befreier! — Glaubt an den Witz des Königs von England — und klatscht in die Hande — so hört er die Antwort. -EiB~ Mit rascben Griffen entfernt der franzSsiscbe Offizier die Haube von seinem Kcff, der eine Binde trügt — und reifit sicb den Knebel aus dem Munde. — Seine Stimme versagt ibm nocb toie im Ersticken. f4rtt% DUGUESCLINS zu ibm stürzend. Godefroy! Viele der Gewahlten Bürger steben, die anderen sitzen weit vorgebeugt — alle blieken in böchster Anspannung nocb den beiden. DER FRANZÖSISCHE OFFIZIER Duguesclin vor sicb festbaltend. Rette rette die Ehre Frankreichs! Sie ist noch nicht verloren. — Dujatmest! — Du hebst sie auf von dem Schmutze — in den sie unsere FüBe gestampft haben! — DUGUESCLINS Wo ist der König von Frankreich? DER FRANZÖSISCHE OFFIZIER Suche ihn bei den Toten. — Fast schreiend. Halte ihn zwischen den Fliehenden auf. — Du fangst ihn nicht mehr — der König von Frankreich reitet schnell! DUGUESCLINS Wo blieb das Heer? DER FRANZÖSISCHE OFFIZIER Tu Spreu auf deine Hand und blasé darauf. Ist deine Hand danach nicht leer? DUGUESCLINS Wann ist das geschehen? DER FRANZÖSISCHE OFFIZIER Einmal — weit von Calais. Was sorgten wir uns um den Feind. Den finden wir vor Calais. Wir singen Lieder — wir schwatzen im Sattel — so ziehen wir in den blauen Tag hinein. Da geschah das. Da fegte ein Sturm in uns hinein. In den Seiten faBte er uns an — im Rikken schüttelte er uns — er brach durch unsere 1 Reihen — er drückte uns auf den Boden — er sprang f auf uns hin und her — er zerschlug unsere Helme und Panzer —! Wir sanken in Blut und Blut -\ — wir standen achzend auf — und klammerten uns an, wo einer lief — und taumelten die Fjucht mit ihm, bis der uns abschüttelte mit einem Hieb und das Schwert bei uns lieB — um leichter zu laufen! Das war ein Sturm, der raste — und Frankreichs Ruhm mit einem Hauch verwehte — wie ein Licht, das zu heil strahlte! — Der König von England war das nicht — Duguesclins — den hieltest du vor Calais fest! Das Licht ist nicht verloschen — es flackert: — du stehst noch da! — Nichts ist verloren — rette — rette die Ehre Frankreichs! — In Erscböpfung bebt er die Hande nocb dem Hals. Durst — Durst trinken! DER ENGLISCHE OFFIZIER Du bist frei in der Stadt — du wirst in den StraBen deutlich sprechen, wo du dich zeigstl DER FRANZÖSISCHE OFFIZIER gelangtstolperndüberdieStufennacb derPlattform — und verscbwindet. DUGUESCLINS errtkht scbteanhend seinen Sitz. Er heugt die Stirn tief auf den Scbwertknauf und verbant regies. Die Getcablten Bürger, die mit Blieken dem französischen Offizier gejolgt sind, dreben sicb langsam dem engliscbe» Offizier zu. S DER ENGLISCHE OFFIZIER nacb einem Warten. An diesem Morgen ist der König von England vor Calais zurückgekehrt. Kein Feind ist mehr, der vom Rücken droht — keine Mauer stark, die seinen Sturm aufhalt. Calais ist in seine Hand gegeben. Er tut mit ihm nach seinem Willen. Morgen ist der letzte Stein von ihm verstreut — über seinen Raum breiten sich Trümmer — öde wie die Küste des Meeres! Mit gerechter Strafe züchtigt der König von England den Trotz, der vor ihm die Stadt verschloB und das Schwert anfaBte! — Das Schwert ist zerschlagen — nun ruft der König von England die Gewahlten Bürger in die of f ene Halle der Stadt! Der König von England will Gnade üben. Um des Hafens willen, der von Calais in das Meer geöffnet ist — sollt ihr die Zerstö- rung mit der niedrigsten BuBe abwenden: mit dem Grauen des neuen Tages sollen sechs der Gewahlten Bürger aus dem Tor aufbrechen — barhauptig und ünbeschuht — mit dem Kittel des armen Sünders bekleidet und den Strick im Nacken! — So will der König von England den Schlüssel annehmen! — Doch versaumen sich die sechs BüBer morgen um die kleinste Frist — so laBt der König von England in derselben Stunde den Sturm laufen und die Stadt in den Hafen stürzen! Die ersten sind Jacques de Wissant — links — und Pierre de Wissant — recbts, aufrecht und mit vorgestreckten Armen hiwaeisend entzünden sie den Ruf: — Duguesclins/ — An ibrer Seite erbeben sicb \ dit nicbsten — dit Bewegung scbwillt eilend dureb die Reiben. Wit Nicht sind die Namen der sechs Bürger von Calais auf unsere Zeit gekommen; nur vier sind verzeichnet. Ich habe für diese Dichtung der erfundenen Benennungen entraten, um nicht mit falscher Grabplatte die fruchtbaren Graber zu verschlieBen. AD AETERNAM MEMORIAM PERSONEN Gewahlte Bürger JEAN DE VIENNE, Enter der Gewahlten Bürger DUGUESCLINS, Hauptmann des Königs von Frankreich EUSTACHE DE SAINT-PIERRE JEAN D'AIRE DER DRITTE DER VIERTE DER FÜNFTE, JACQUES DE WISSANT PIERRE DE WISSANT DER VATER EUSTACHE DE SAINT-PIERRES DIE MUTTER DES DRITTEN BURGERS DIE FRAU DES VIERTEN BÜRGERS DIE ALTE WARTERIN MIT DEM JUNGEN KIND DES VIERTEN BÜRGERS DIE ZWEI TÖCHTER JEAN D'AIRES DER VERTRAUTE DES FÜNFTEN BÜRGERS EIN ENGLISCHER OFFIZIER EIN FRANZÖSISCHER OFFIZIER ENGLISCHE SOLDATEN ZWEI FRANZÖSISCHE SOLDATEN ZWEI BUCKLIGE DIENER EIN KNABE Gewahlte Bürger — Bürgervolk ERSTER AKT JEAN DE VIENNE, Die helle Glocke ist der Ruf in die Halle. Das Zeichen wurde nicht mehr gegebenV- in wem glühte noch mit dünnster Flamme die Hoffnung/*es noch zu horen? Verbrannte sie nicht so schwachV- wo glimmt der Funken, der noch ein Feuer entfacht-^- — von dem die Fesseln auf unseren Armen schmelzen — auf Zungen, die wieder schwingen ^von allen Gloeken über der Stadt, die foei stürmen ^und die Befreiung auf Calais stürzen! Iplhr sucht durch die Zeit\-|cvor euch entsteht die letzte Versammlung. Wir kamen von dem Werk, an das wir unsere KrSfte hingegeben hatten^wie an kein Werk noch. Geht in die StraBen und spaht in die Ha user: — wo sind Arme, die nicht jetzt noch zittern V- Hande, die sich nicht krampfen wie um das Werkzeug, das sie" führten V- gekrümmte Rücken wie unter Bürden, die sie schleppten zu den Dammen, die davon ins Meer wuchsen V die Woge nach Woge verdrangten und ihre Wucht brachen und ihre Unruhe dampften — bis sich die neue Bucht rundete — weit und glatt wie vor keiner Küstetkwir öffneten ein Tor in das Meer \- nun sollten Schiffe auf glückliche Meerfahrt hinausgleiten!\ij Ich frage euch ^- und spürt selbst in euch mit dieser Frage nach:y- war dijp das Ziely^- oder ein anderes ?\— Ist einer hier, in dem am geheimsten eine andere Begierde lebte ? — So will ich den Schlüssel der Stadt auf meine flachen Hande legen und — barhauptig und unbeschuht ^-und schreitend im Kittel des überlieferten Büfiers! ^- ihn vor das Tor tragen! —U* Der Haf en von Calais bedroht England. Dunkier noch der Verdacht schwerer die Beschwerdexdie Pforte ist es, daraus der König von Frankreich leicht und schnell nach England dringt! Mit diesem. Willen ist der Hafen gebaut! V- — Wer durchdringt nicht den Vorwand \^ Der alte trübe Streit, den der König von England mit dem König von Frankreich führt^'wer herrscht in England — wer über Frankreich! V soll von ihm auflodern! %tr -pi-ittcht keinJSturm, sn..srhattet keino -Wolke wie arnntor Ssgria^on EngLmd4«hr. Mit letztem Glück konnte der König von Frankreich seinen Hauptmann in die Stadt werfen. Calais ist nicht gefallen — Calais ist durch die Wüste der Belagerung geschnctcn! \ Wann trug sich dies schon zu? Wo wurde der Kampf gefochten, in dem kein Schwert schlagt — kein Bogen birst — keine Lanze zersplittert! \- DrauBen im Sande kauert dumpf ein trages Tier\— die Sonne lauft ihm über den schillernden Leib\^ schoB ein anjferes GeschoB von ihm auf als djW Blitze? Warum rührt es sich nicht — warum richtet es sich nicht hoch und lauft den Sturm, der über die Mauern flutet — mit dem es Calais erobert? Warum hebt es seine Tatze nicht, unter der es seine Beute zermalmt ? -J© Der König von Frankreich zieht heran. Wie wfll sich der König von England seiner erwehren ? Wie begegnet-e^ihm, du su vum RücttfnTjroht^ -i wmu ti genre Madrrrifcht «k»t — für dieserraTideren Felrrd f ~--=^KrPg- lsT"der Wttz.des König* von England — m»~e«weli«lk~er «aweiaem SeMwse-! p Es ist ein wütender Wind ausgebrochen, d«r von a^en Enden die SchaVen zusammengetrieben hat. Gewaltig, wie es nie den Boden Frankreichs erschütterte, ist das Heen IhwAiiiMMfihmBt. der Zug. Die Erde dröhnt davon — der Himmel ist von dem Staub, der von ihm aufwirbelt, verfinstert. Mit Singen und Jubel vollführt es seinen Marsch in Tag und Nacht. An seiner Spitze reitet lachend der König von Frankreich — lacht wie im Spiel — das Spiel des Löwen, der den Hamster jagen geht! Mk-jedem MorgenJcann die hohe..-Sfiale-aufstehen, daver die Suime'sich veidunkelt — dasHrter-éer Boden sciuKankt. An jedem Morgen spahe ich nach der Wolke, die laut schallend, den König von Frankreich verkündet! —: — an diesem Morgen schickt der König von England in die Stadt — niclil mchr an den,-der mit dem Schwert-die Stadt verteidigt! Die helle • Glocke ruft — die Gloeken rauschen über der Stadt: — heute ist das Amt, das wir von uns auf die gepanzerten Schultern des Hauptmanns von Frankreich schieben muBten, wieder auf uns gelegt! — Überwöltigt ausbrecbend. Das Schwert soll nicht mehr über Calais herrschen — Calais ist von ihm befreit! — Mit starkstem Nacbdruck. Der Gesandte will hier in der offenen Halle der Stadt zu den Gewahlten Bürgern von Calais sprechen! Nocb einmd flutet kurz die freudige Bewegung dureb die Reihen - darm gilt akf die anweisende GebBrde Jean de Viennes iet linke Wachter seine hanze an den rechten ab, öffnet die Tür des Vorbaus und gebt in diesen. - Nun geleitet er den engliscben Offizier heraut, dem eine Haube von sebwarzem Tucb das Haupt einbüllt. Der Soldat entfernt sicb - scbliejlt die Tür und stebt wie vorber. / DER ENGLISCHE OFFIZIER verbant in unsicberer Haltung. Er drebt den nocb halbblinden Bliek im Kreise, dam baftet er auf Duguesclins fest. - Nun strafft sicb seine Gestalt gegen die Fersammlung. Der König von England ist über das Meer gekommen. Das alte — in seinem Blut verbürgte Recht ist verletzt. Mit dreister Hand hat ein Fremder nach der Krone Frankreichs gegriffen. Der Frevler muBte seine Züchtigung erleiden ^wie man Diebe abstraft mit Peitschenhieben! — Eine bastige Bewegung lauft durcb die Reiben. Duguesclins ziebt klirrend sein Scbwert %u sicb. Der freche Dieb versteckte sich — feige wie Diebe sind! — und beschwatzte mit flinkem Munde — den die Angst beredt machte!^und tauschte das verblendete Volk von Frankreich, bis es sich vor ihn hinstellte und ihn und sein Unrecht schützte.\- So muBte der König von England statt der Rute das Schwert anfassen. Wo Gericht geübt wird — da fallt es nicht gegen den* Richter. Der Spruch war guitig —^ der Schlag ist geschlagen:\-j« vor zwei Tagen sind die Scharen, die der Dieb wider den König von England trieb, in blutiger Niederlage zertrümmert und in alle Winde • gescheucht! Die Gewahlten Bürger — mit Ausnabme von Eustacbe de SaintPterre — sind aufgesprungen: in unglaubigem Erstaunen werfen sie die Arme bocb. Nun lenkt sicb die Aufmerksamkeit auf Duguesclins, der, von seiner Erregung überualtigt, sicb auf Jen engltscben Offizier stürste» teill. Docb ist er von den ibm zundcbst Subenden aufgehalten. DUGUESCLINS Das sind ! Ein Raubfisch ist von England durch das Meer geschwommen — der wühlt an Frankreichs Küste mit hitzigen Schlagen die Flut auf. lede Welle, die davon mit trüber Brandung auf das Land rollt — Lüge! — Lüge, die schaumt: mit falschem Anspruch herrscht der König von Frankreich. Wo stiehlt ein Dieb in seinem eigenen Hause? Der Rauber ist, wer drauBen schleicht. Woher kommt der, der hier schmaht und mit Schelten droht ? Das ist die diebische Elster aus England, der es nach der funkelnden Krone von Frankreich gelüstet! — Lüge, die schaumt: mit listigem Betrug ist das Volk von Frankreich aufgestachelt. Keine Stimme, die nach ihm rief — keine Fahne, die warb: — und dennoch spannte sich der schwachste Arm nach seiner Waffe! — So verheiBt keine Lockung—so erhebt sich nur der Zorn. Eine wilde Woge hat ein reiBendes Tier auf Frankreichs Boden gespült — nun soll es in das Meer zurückgestoBen werden. Da verblutet es an den Wunden, die ihm mit der furchtbaren Gewalt geschlagen sind! —Und hatte der König von Frankreich seine Krone abgetan und sie dem König von England um des Friedens willen verkauft — das Volk von Frankreich würde mit Stromen seines Blutes ihren Preis bezahlen und sie auf den Knien ihm wieder schenken! —Lüge, die sclüuB&*f"£jüge, die alle*-sur Lüge machvdas letzt&^^kon Tag,tan dem die Sonne rikh^Yonxrem-serrimmernden Ring, der um Calais geschlossen ist, blitzte. So lag er in Monaten dicht und eng — so stach das Licht nicht gestern stumpf in eine Lücke: heute zuerst löste eine Rüstung sich los — dieser tragt sie!— Kein Mann stand von seiner Ruhe auf — und vorgestern hat der König- von England das übermachtige Heer Frankreich* vernichtetf — Sind wir erschöpft auf das Emié, daB in unseren Augen der Staub nicht beizt y^sind wir taub, daB wir den Larm von einer Schjjéht nicht hören f — Der König von England schilt uns blind — so erhalt er das MaB für unsere Verblendung: — in jeder Stunde noch sahen wirimSande vor Calais Helm an Helm — Lanze an Lanze unverrückt an! Kind kann sie lallen — wenn es an éinem Abend mit leeren Helmen spiek, die es im Sande fand — die kurze Geschichte des Tages, der nahe heran ist. Schenkt der König von England nich^selbst die beste Zuversicht ? Nun schickt ihm seinejmohen Boten wieder. Vergebens ist seine Mühe, cjie euren Mut wanken machen soll. Dies gilt — morgen und immer: wie das Schwert von mir über Calais gehalten wird — so tragt es heute noch fest und-frei der König von Frankreich vor Frankreichs stolzpm Heer! / DER ENGLISCHE OFFIZIER gegen Jean de Vienne gewendet. Der König von England weiB es, daB die Bürger von Calais nicht mit Waf f en vertraut sind. Sie. kennen das Handwerk mit-ihnen-nicht_=T wie man sie braucht zu harten- Schlagenr Darum unterrichtet sie rascher ein Mund^n dessen Worten s4 nicht zweifein. Die Zeit eilt! Unter seinem berriscben Befehl geborcbt der linke Türwacbter — wie vorber. In der Holle wird es tiefstiü. Dér Wachter gelettet einen englischen Soldaten — ebenfaüs mit einer scbviarzen Haube bedeckt — beraus: dieser fübrt hart neben sicb eine dritte Gestalt, die nocb von Hals bis zu den Füpen mit einem Mantel bekleidet ist, unter dem es mit heftigen Stöfien zuckt. DER ENGLISCHE OFFIZIER «um Wachter. Diesen zuerst! Der Wachter streift die Haube von dem Soldaten ab. Der engliscbe Soldat befreit sogleicb die Gestalt, den französischen Offizier, vom Mantel: seine mit Staub und Blut bedeckte Rüstung zeigt sicb — die HSnde sind auf den Rücken gebunden. Der engliscbe ■ Soldat list nocb die Fesseln. ein loses Gewand vom gerechten Körper ist labme ScbwSche von den Gewahlten Bürgern gesunken. Mit einer Geharde, in einem Schrei tost die Aufforderung: — Duguesclins!! Duguesclins drückt den Helm auf das niedrige scbwarze Haar — stebt auf. Das freie Schwert bebt er in beiden Handen boch auf die Brust. Jean de Vienne gibt dem Wachter das Zeicben: dieser tritt mit der Haube wieder «um engliscben Offizier. Nun scbwillt der gesteigerte Larm nocb ihm: — Jean de Vienne! — Die Stufen auf entstebt eine Gasse — Arme verweisen den engliscben Offi«ier auf die Plattform. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE gebt von seinem Sitze «u Jean de Vienne und greift seinen erbobenen Arm an. Jean de Vienne — willst du mit uns vor diesem Gesandten nach der Antwort suchen? Die Unruhe unter der Holle ehbt scbnett bin. JEAN DE VIENNE nach kurzem Besinnen — mit stürmiscber Geste gegen den engliscben Offizier. , Wir müssen suchen! Die beiden Wachter fübren den engliscben Offizier und den engliscben Soldaten in den Vorbau und scbliefSen die Tür hinter ibnen. JEAN DE VIENNE immer Eustacbe de Saint-Pierres Hand festbaltend. Wir müssen suchen — mit allen Sinnen! Wem schieBt es nicht auf die Zunge — und brennt es wie Feuer — und erstickt in ihm die Luft ? — Wem treibt es nicht das Blut auf — und stöBt es hinter seiner Stirne — und schlagt mit Lasten ? — Wer will noch sprechen — wer stammelt noch — wen verwirrt nicht diese Scham f Wer sind wir — mit unseren Schultern — mit unseren Armen — mit unseren Handen f — Was taten wir mit Schultern — was hoben wir mit Armen — was griffen wir mit Handen ? — Sind wir Tater an einem Werk, das dunkel liegt ? Was ist das Werk ? — Wuchtig rollt das Meer an die Küste. Kein Schiff, das ohne Not ankommt — mit Angst ausfahrt. Kein Schiff, das nicht eines Tages zerschellt. Kein Kommen —i kein Ausfahren, das nicht von dieser Gefahr bedroht ist. Sucht über den Strand — wo haufen sich heute Trümmer ? — Das Meer rollt — es trifft nicht mehr. Die Brandung richtet sich hoch — sie fallt hin. Schiffe kommen — Schiff e fahren aus — was stört Ankunft und Abfahrt? Das ist das Werk von unseren Schultern — auf die wir mit unseren Handen den Strick legen sollen! — Das ist unsere Tat —- hinter der wir schreiten sollen als Missetater! Wir müssen hier suchen. Wer ist unter uns, der sie findet — Worte, die verweisen — Worte, die brennen — Worte, die züchtigen! — Mit rascher Drebung. Duguesclins, tritt vor uns hin! DUGUESCLINS Das Spiel ging um die Stadt Calais. Das Spiel ist von einem anderen gewonnen. Calais ist verloren — Calais ist sein Gewinn. Er wagt ihn in der Hand — er gefallt ihm — er will ihn halten. Er spottet mit seinem Glück, das er auf der Hand vor sich halt. Die Hand und das Glück — er schüttelt beide. Denn beide sind heil — und an ihm fest. Das ist heute ein Tag seines lauten Gelachters! — Mit wachsender Störke. Mit dem andern Morgen sind Hand und Glück ihm vor 4fe FüBe gestürzt. Die Hand schlagt ihm dies Schwert ab — den Gewinn frifit ihm das Feuer! Hier gelingt es ihm nicht, uns schreckt sein Sturm nicht aus trager Ruhe — er verwirrt nicht, wir sind vorbereitet. Kein Arm, der ohne Waffen blieb. Wir stehen auf den Mauern — bei den Toren — in den StraBen. Dann soll er durch sein Blut eindringen. Dann wirft der letzte Arm, den einer regt, den Funken aus. Die Flammen rütteln in den Hausern — die Wande schwanken und bersten — und mit staubendem Fall sinkt die Stadt in ihren Hafen. Calais ist untergegangen — über seinem Raum treibt das Meer, das seine Beute vor jedem bewahrt! Jean cCAire zuerst — ianacb andere, metst Greise, sind auf gestanden: ibre Arme sind mie nocb Waffen langend gespannt. Jüngere scharen sicb um sie, um diese kargen geballten F aus te beteuernd zu fatsen. JEAN DE VIENNE Duguesclins — du siehst es: unsere Arme sind nach dir ausgestreckt —• nach einer Waffe. Wir stehen neben dir bei den Toren — in den StraBen. Der Schwachste unter uns zündet den Brand an. Unsere Hande auf deine Hand — Duguesclins — unter deiner Hand das Schwert — so halten wir es mit dir! Die Gewahlten stehen in den Reihen, wie im Gelöbnis sind alle Hande gespreizt. JEAN DE VIENNE will die Hand Eustache de Saint-Pierres mit seiner auf das Schwert auflegen. Da Eustache de Saint-Pierre widerstrebt, dreht er sicb ttu ibm. Dann gegen die Reihen winkend. Dies ist unser BeschluB. Der Weg ist gezeigt, den wir schreiten. Duguesclins hat ihn vor uns eröffnet! — Noch fehlen die Worte, die vor uns laufen und uns verkünden. Nun will sie Eustache de Saint-Pierre füf uns finden! 5?)/^»^ EUSTACHE DE SAINT-PIERRE ohne Kraft — mit gesenklem Kopf und hangenden Armen. Wir müssen es tun! — Ver seiner Haltung verstummt jede Unrube unter der Holle. — Seine Gestalt straffend. Wir kommen von unserem Werke — an das wir unsere Krafte hingegeben haben — wie an kein Werk. Die neue Bucht rundet sich — nun sollen Schiffe auf glückliche Fahrt hinausgleiten! Jean de Vienne, riefst du uns hier nicht auf — stelltest du nicht unserer geheimsten Begierde mit dieser Frage nach: was ist das Ziel! — Ist es nicht dies ? Bückten wir nicht um dies vom ersten Anfang an die Schultern — beluden sich unsere Arme nicht um dies f — Jean de Vienne, du stacheltest uns mit dieser Auf f ordening: — trübte es sich einem von uns — so legt er dir den Schlüssel auf die flache Hand und schickt dich aus dem Tor! — Jean de Vienne — jetzt nimmst du den Schlüssel selbst — jetzt gehst du — barhüuptig und unbeschuht! — vor die Stadt! — Dein EntschluB springt nicht allein aus dir allein: — Gegen die Reihen — eure Hande sind es, die ihn reichen — euer Verlangen ist es, das zur Erfüllung drangt! — Zu Jean de Vienne. So tritt aus deinen Schuhen, streife dein buntes Gewand von dir — du willst büBen um unseren Betrug, der sich heute enthüllt —: mit anderer Begierde schufen wir das Werk. Ihr schiebt es in den Strek — und in des Streites Mitte. Das Werk gilt nicht — der Strek ist mehr! — So seid ihr schuldig daran — so sühnt es nach eurer Verheiflung. Hier schallte sie — so haftet sie in unseren Ohren! Ein betroffenes Scbweigen berrscbt. ■Mi; DER VIERTE BÜRGER fSnfundvierzigjabrig — steht balb auf. Eustache de Saint-Pierre — sollen wir dem Willen des Königs von England gehorchenf EUSTACHE DE SAINT-PIERRE obne seiner zu achten, an alle. Heute sollen wir das Werk vollenden. Heute beschlieBen wir es mit dem letzten Eifer — der jeden Eifer lohnt. Das eine ist getan. Seht sie an uns — die Mühe, die unsere Glieder dorrte. Keine Stunde, die uns ausruhte — die Flut ruhte nicht! — Keine Last, die uns überwog — der Stein walzte sich nicht. Unser Atem achzte — unser gebogener Leib verdrangte das Meer — Woge nach Woge wich es — dem Meere haben wir es abgerungen. Es ist geschaffen! Es ist nicht genug. Nun offenbart sich das andere. Nun legt sich euer Werk auf euch — nun begehrt es nach euch mit dem starksten Anspruch. Sein Gelingen befiehlt euch mit dem hartesten Fron. Nun versammelt eure Krafte — nun baumt den Nacken — nun faBt den eigensten Gedanken. Euer gröBtes Werk wird eure tiefste Pflicht. Ihr müBt es schützen — mit allen Sinnen — mit allen Taten. Wer sefd ihr — am Rande eurer Taten ? Mit euren Seufzern verklungen — mit eurer Erschlaffung verworfen — vor eurem Werk armselige BüBer! DER DRITTE BÜRGER mit dringender Frage. Eustache de Saint-Pierre, sollen sich sechs von uns im Sande vor Calais schanden lassen? EUSTACHE DE SAINT-PIERRE . Seht hin: —schufen wir unser Werk mit Lachen und Singen? Stiegen wir _nicht~durch_J)ienst Schritt um Schritt zu ihm auf L Wo schenkt sich Herrschaft hin — ohne Dienst ? Dienst — der nötigt — der quilt — der sich an uns vollstreckt? — Ihr habt bis gestern gedient —könnt ihr heute entlaufen, wo euch die Herrschaft verliehen ist ? JEAN .D'AIRE mübsam. Eustache de Saint-Pierre, sollen wir in dem Sand von Calais die Ehre Frankreichs auf diesem Gange zertreten ? EUSTACHE DE SAINT-PIERRE scbaeigu Nun toüblt ei» Aufrubr in den Reihen auf: Jean ifAire stebt dicht umringt. DUGUESCLINS an Eustache de Saint-Pierre mit raseben Scbritten vorübergebend und unter Jean tTAire hintretend. Aus dem armen Sande vor Calais schieBt ein Baum auf. Der blüht an einem Tage. Mit Blut speist sich seine Wurzel. Sein Schatten breitet sich über Frankreich aus. Darunter saust es wie von Bienen: — der Ruhm Calais', der Frankreichs Ehre rettet! — Er drebt sich nach Eustache de Saint-Pierre um. Der König von England will die Stadt schonen — um des Hafens willen. Ist der Hafen dieses Handels wert — der mit der Ehre Frankreichs bezahlt wird ? EUSTACHE DE SAINT-PIERRE langsam. Wir sahen die Küste, die steil ragt — wir sahen das Meer, das wild stürmt — wir stichten den Ruhm Frankreichs nicht. Wir suchten das Werk unserer Hande! — Der entstehenden Bewegung entgegnend. Einer kommt, den spornt die Wut. Die Wut entzündet die Gier. Mit wütender Gier greift er an — und rafft auf, was er auf seinem Wege findet. Er hauft es zu einem Hügel von Scherben — höher und höher — und auf seinem aufiersten Gipfel steilt er sich dar: — lodernd in seinem Fieber — starr in seinem Krampf — übrig in der Zer- störung! Wer ist das ? — Empfangt ihr von ihm das MaB eures Wertes — die Frist eurer Dauer? — den heute die Gier anfafit, die morgen mit ihm verwest? Hier und da stebt einer in den Reihen rascb auf und toendct sicb mit starker gegen Eustache de Saint-Pierre abwebrender Geste nu dem nachsten. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE ven einem zum anderen dieser. Ihr wollt euer Werk zerstören — um diesen, der aus der Stunde kommt und mit der Stunde versinkt? — Ist der Tag mehr als alle Zeit ? Wie belehrt euch euer Werk, an das ihr die Tage und Tage reihtet — bis der Tag gering wurde wie der Tropfen im Meer ? Stürzte euch die Hast in den Taumel —- oder kettete es euch mit kühlen Gliedern an euer Werk? — Wolk ihr es heute verleugnen ? Wollt ihr heute mit einem Schieben der Schuker verwerfen, was euch schon .beriet und besaB? Ein Fremder zögert vor der Stadt um dieses Hafens willen: — ihr zögert nicht? Immer tteue erheben zich — mit den gleicben ungestümen Gebarden. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE unabweishar. Brennt euch jetzt nicht die andere Scham: —■ dies Werk geleistet zu haben ? — Ekeln euch nicht eure Hande, die daran schufen? Graut euch nicht vor eurem Leib, der sich dazu bückte ? Ihr vertriebt das Meer — und bautet wie auf hartem Boden. Ihr stelltet euer Werk hin — nun lockt und leuchtet es. Nun gieBen sich davon heiBe Ströme vori Kraken in alle Arms aus! — Schon bezeichnen sie das neue Land, das sie aus der Wüste furchen — schon messen sie die Gebirge, die sie ebnen — schon graben sie die Kanale, in denen sie den Schwall des Wassers bandigen. Kein Widerstand türmt sich langer auf — euer Werk bat das Meer überwunden! Keiner in den Reihen ist auf seinem Platze gebliebtn. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE mit letztem Nacbdruck. Heute wird euer Werk euer Frevel! — Logt ihr nicht schlimmer als mit Worten — mit diesem Werk ? Schürtet ihr nicht mit dieser VerheiBung jeden Eifer — der nun wach ist und von Ungeduld nach seinem Werke schon verzehrt wird ? — Ihr wagtet, Was noch keiner angriff — nun schwillt die wuchernde Woge s hinaus! >— Wollt ihr nun gelassen beiseite stehen — soll der feile Spott von euren Lippen lastern? Ihr wagtet euer Werk — urn alle Werke müde zu machen — um mit ihm alle Mühe zu prellen: — immer wartet die Wut — unsere Gier schaumt auf — mit kurzen StöBen zerbricht sie unser Werk aus Leben und Leben! Scheut ihr nicht euren Betrug? Wollt ihr diesen Makel auf euch tragen, der euch mit einem scharfen Mal zeichnet — das ihr nicht tilgt ? Über die Stufen üt ein Fluten: — Jacquet de Wissant und Pierrede Wissant dringen unten zugleicb auf Jean d*Vienne und Duguesclins ein und teinken anderen nu, um mit timen die beiden wegstufübren. DER DRITTE BÜRGER ausbrecbend. Eustache de Saint-Pierre — mit diesen Handen suchten wir unser Werk. — An alle. Sind wir das Werkzeug? Sind wir die Tater? — Eustache de Saint Pierre — soll uns nicht von unserem Werk der starkste Stolz flieBen? EUSTACHE DE SAINT-PIERRE scbtoeigt. DER VIERTE BÜRGER Die Küste ragt steil — das Meer stürmt wild — wir verdrangten von ihr das Meer! Die Woge hob uns auf ihren Kamm — Eustache de Saint-Pierre — soll uns der feige Schwindel schütteln? EUSTACHE DE SAINT-PIERRE bleibt stumm. JEAN D'AIRE tint Stuf e heruntersteigend. Wir suchten den Ruhm nicht — nun rollt der Ruhm an unsere FüCe! — Eustache de Saint-Pierre — sollen -wir ihn nicht aufheben — und über uns streifen — als unser buntes Kleid? EUSTACHE DE SAINT-PIERRE blickt zu Boden. DUGUESCLINS So wurde der Hafen von Calais tief ausgeworfenï — Ehre und Ruhm ertrinken in ihm — und euer Mut! EUSTACHE DE SAINT-PIERRE irebt sicb scbnett nocb Duguesclins, tut einige Scbritte gegen ibn. Allmablicb sammelt sicb aus seine/ Erregung die Sprache. Brennt dein Mut auf an diesem Streit, in den du morgen laufst f — Was fordert dieser Streit morgen noch von dir? — Morgen faBt du das Schwert an — du schlagst viele um dich — viele*überwaltigen dich! — Ist dieser Streit vor seinem Anfang nicht schon entschieden ? — Dammert noch ein Zweifel — quillt eine Wahl ? Was bleibt dir zu tun ? Du stürzt den Sturz deines Helmes vor dein Gesicht und bist blind und taub hinter dem Schild. So stehst du hier geblendet und betaubt! — Ein Dunkel umgibt dich, mit dem du deine Tat bedeckest. Nun siehst du sie nicht an — nun schrumpft sie ein — nun ist sie klein — nun erschreckt sie nicht mehr, um sie zu wagen! 7«ï»« Wissant und Pierre de Wissant stellen sicb vor Duguesclins bin. — Wo ist Mut, wenn sich der Wille von der Tat scheidet? Ich sehe ihn nicht! — s* Wo ist Mut, wenn seine Tat nicht bis an ihr Ende rollt ? — Was gilt diese Tat noch, wenn sie dich dumpf zwingt ? — Wenn du heute alle StraBen um dich verschüttest — lobt dich morgen dein Weg ? — Es kostet dich keinen Mut: — du muBt ihn schreiten — dieser ist noch übrig! Den stürmst du keuchend hinaus — wie ein Flüchtling keucht von seiner Flucht! — Auf ihm fliehst du in deine Tat. Sie wartet noch auf dich — sie rettet dich aus der Öde um dich — sie hebt dich aus der Leere. Sie schlagt dich nieder —: du bist geborgen! Deine Tat wird feige — wie du sie heute begehrst! — Der Mut fallt von ihr ab und ver dorrt schon am Boden. Er raschelt um unsere FüBe — unsere nackten Sohlen mahlen auf ihm — der Hauch unserer Hemden verweht seinen Staub in das Meer! — Wo flammt morgen noch dein Mut ? Ein dichterRauch erstickte ihn! — Von dem dumpf en Brande schwelt er — aus deinem Blut, das hinter deinem geschlossenen Panzer west! — Mit deinem Blute bist du heute tot vor deiner Tat — sollen wir nicht in unseren dünnen Gewandern bis an den anderen hellen Morgen leben ? Auf die Plattform kebrt das Bürgervolk sairück. Langsam und lautlos gescbiebt sein Verdringen: in schwerer Furcbt hangen die Arme scblafl — sind die Schultern gedrückt. Jetzt erreiebt die Menge den inneren Rand. Dort verandert sie ibre Haltung: die Köpfe sind vorgestreckt — die Augen sebweifen dureb den Raum: ein unbeugsames Verlangen erhalt seinen Ausdruck — ledig jedtr Scbeu und bar der Scbam. — Die Getoablten Bürger blieken bocb: sie stehen steif und still — belauert von diesen Augen — eingekreist von der Masse, die die ganze Breite und Hefe der Plattform füllt. DUGUESCLINS Ich will den Mut, der mir das Schwert zwischen mein L Hande schiebt, verlachen. Er ist klein und soll sich verstecken vor einem hier, der seine graue Schande über sich streift und am hellen Morgen aus der Stadt tragt. Das ist sein starkerer Mut! — Er geht nach seinem Platze. JEAN D'AIRE mit einem Arm nach der Plattform meisend — mit dem anderen nach Eustache de Saint-Pierre. Eustache de Saint-Pierre, dir ist es leid um den Hafen. Soll dich nicht am meisten die Sorge peinigen ? Bist du nicht reich vor uns allen ? Sind deine Speicher nicht die weitesten — sind sie nicht angefüllt mit ihren Gütern bis dicht unter das Dach ? — MuJ3t du nicht zittern — willst du nicht betteln für deinen Reichtum ? EIN BÜRGER auf seinem Platze. Jean de Vienne, du solist hier vor uns treten. Du solist mit deiner Frage suchen. Sie soll unter der Halle schallen. Sie soll nach einem von uns rufen. Einmal soll sie dröhnen — einmal soll sie lastern! Er minkt mit boben Armen den Gewahlten Bürgern unten. Diese erwidern ibm; mit eiliger Hast erreicben sie ibre Sitze und lassen sicb nieder. Auf die Reihen und die Plattform legt sicb haucblose Stille. JEAN DE VIENNE obne von seinem Plaize wegzugehen — mit scbwerer Stimmt Der König von England hat Gewalt über Calais. Er tut mit Calais nach seinem Willen. Nun fordert er dies: sechs Gewahlte Bürger sollen den Schlüssel vor die Stadt tragen — sechs Gewahlte Bürger sollen aus dem Tor schreiten — barhauptig und unbeschuht — im Kleide der armen Sünder — den Strick in ihrem Nacken. — Er hebt den Kopf. Sechs sollen am frühen Morgen von der Stadt aufbrechen — sechs sollen sich im Sande vor Calais überliefern — sechsmal schnürt sich die Schlinge —: das wird die BuBe, die Calais und seinen Haf en heil bewahrt! — Nacb einem Wanen. Sechsmal soll hier die Frage aufgerufen — sechsmal muB die Antwort gegeben werden! — Mit aufierster Anstrengung. Wo sitzen sechs — die aufstehen — und von ihren Sitzen gehen — und hier zueinander treten? Die Last der Frage bedrückt anjangs nocb; dann sind die Gerauscbe der bewegten Körper und gedrebten Kipje scbtoacb; nun scbwillt Ldrm in Lauten des Spottes an. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE stebt auf und gebt von seinem Sitze weg bis zur Mitte. Seine Hande rieken an seinem Gewande auf den Schultern, wie um es abzulegen. Ich bin bereit! In den Reihen wird es still. Jean de Vienne stam staunend nacb Eustache de Saint-Pierre. Auf der Plattform lauft das Gemurmel: Eustache de Saint-Pierre/ EIN FÜNFTER BÜRGER recbts, fast hinter dem Platze Eustache de Saint-Pierres — dem Dritten und Vierten gleicbaltrig — erbebt sicb;,er schreitet den Kopf tief senkend und die Hande auf die Brust spreizend — und stellt sicb wortlos neben Eustache de Saint-Pierre. Die Gewahlten Bürger blieken in atemlosem Staunen bin. Auf der Plattform ist dies Murmeln: — Der Zweifel Nun sebweifen die Blicke- der Gewahlten Bürger in den Reihen: sie früfen den nachsten neben sicb und über sicb. DER DRITTE BÜRGER links bocbgerissen und mit den Fingern um seinen Hals greifend, schreiend. Ich — bin bereit! Cejagt und keucbend erreicbt er die beiden in der Mitte. Oben ssihlt das Gemurmel: — Der Drittel Hastiger sind die Kopje in den Reibtn gedreht. DER VIERTE BÜRGER links — stebt auf, wie einem Zwange geborcbend gebt er — unbescbleunigt und den Kopf bocbtragend — bin. Ich bin bereit! Auf der Plattform wird es lanter: — Der Viertel Viele der Gewahlten Bürger richten sicb kur» halbbocb, um den Überblick über die Beihen zu gewinnen. Oben wScbst Murren. JEAN D'AIRE recbts — aufrecbt: er schviankt unter der Wucbt des Entscblusses — 10 steigt er taumelnd binunttr und mufi sicb an Eustache de SaintPierre stützen, indem er die Stirn auf seinen Rücken drüeku Eustache de Saint-Pierre, ich will dich bitten — in die Spuren deiner Sohlen zu treten! Oben zSblt und kopfnickt es befriedigt: — Der Fünftet Jean de Vienne, der sicb Jean SAire abwehrend entgegenstellte, wirft nun bescbwörend die Arme gegen die Reihen. Dort haben Jacques de Wissant links — Pierre de Wissant recbts, die schon Jean d'Aire mit Gesten der Angst und des Entsetzens verfolgten — sicb aujgericbtet. Stöbnend und die Hande verkrampft zögern sie nocb — durch den Vorbau einander verdoekt. Von der Plattform ist ein verwundertes Hinzeigen nacb den beiden und neugieriges Spaben von einer nacb der anderen Seite. Nun steigen die beiden zu gleicber Zeit von den Stufen, — Unten am Vorbau angekommen, seben sie sicb. Sie stutzen — dann suchen sie einander zu üherbolen und fessen zu einer Zeil dié Hande Eustache de SaintPierres und sprecben mit einem Klang. Ich bin bereit! Alle Gewahlten Bürger stehen in den Reihen, EUSTACHE DE SAINT-PIERRE den Kopf zu Jean de Vienne drehend. Jean de Vienne, willst du jetzt dem Gesandten unsere Antwort sagen ? JEAN DE VIENNE rafft sicb auf. Er winkt den Wachtern. Diese stoften die Tür auf. Der engliscbe Offizier tritt beraus; hinter ibm der Soldat. JEAN DE VIENNE ibm die Gruppe in der Mitte zeigend. Morgen tragen sechs Gewahlte Bürger den Schlüssel vor die Stadt. Morgen überliefern sich sechs — im Gewande des Sünders und den Strick im Nacken. Sechs BüSer fordert der König von England — sechs sind gehorsam. Calais und sein Hafen sind sechsfach bezahlt! DER ENGLISCHE OFFIZIER die Gruppe flücbtig streifend. Der König von England wartet auf die sechs im Grauen des Morgens. Doch versaumèn sich die sechs um die kleinste Frist — so laBt er in der gleichen Stunde den Sturm laufen und die Stadt in den Hafen stürzen! Er wendet sicb nacb dem Soldaten um. Als er — klirrend in der Stille — aufbrechen will, balt ibn Duguesclins mit einer Geharde auf. DUGUESCLINS trilt buut den Vorbau. Er greift nacb dem Fabnentucb und ziebt es zu sicb nteder. Er küfit es lange und inbrünstig. Sein Bliek rubt nocb einmal auf der Gruppe in der Mitte — dann gürtet er sein Schwert los. Das Schwert ist mit seiner Scharfe stumpf geworden — sein Glanz ist trübe — die Faust ist faul, die es führt. Die Hande strecken sich zu neuen Taten hin. — Fast schreiend. Ich kann — ich will es nicht begreifen! — Rubig. Der König von England hat Lander über dem Meer. Der König von England soll mich schicken, WO mein Schwert noch dient! — Er streckt es dem engliscben Offizier bin. DER ENGLISCHE OFFIZIER nimmt es — acbselzuckend — und gibt es dem Soldaten. Dann winkt er kurz Duguesclins, ibm zu folgen. Die drei — von denen die Gewahlten Bürger in den Reihen und das Bürgervolk auf der Plattform zurückweicben — ab. Nun wacbst von der Plattform ausgebend, alle Aufmerksamkeit versammelnd — immer deutlicber dies Rufen an, das nacb der Gruppe unten zielt: — Siebenl SchliefSlicb ist ein einziger scharf'er Schrei unter der Halte: — Siebenl'I JEAN DE VIENNE will an Eustache de Saint-Pierre berantreten. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE nacb schnellem Bliek über die bei ibm Stekenden — mit rascbem EntscbluB sicb zu Jean de Vienne wendend, fast freudig. So kann an diesem Nachmittag das Los dem Siebenten von uns das Leben schenken! Tiefe Stille verbreiiet sicb. Der Fabnentrager stebt wie vorber: nur das niederstürzende Fabnentucb überbangt die Tür des Vorbaus — das Fabnenbolz ragt trümmer• haft scbrag auf. ZWEITER AKT Der Saai im Staitbause: ein lattges Viereck mit' geringer Tiefe. Im der Recbtswand eine niedrige Tür. Den ganzen Hintergrund schliefit — von einer Stttfe, die wie eine erhöbte Schwelle ist, aufsteigend — ein machtiger Bildteppich ah. In seinen drei Feldern zeigt er mit der Krajt der Formen und Farben einer früben Kunst den Bau des Hafens von Calais, links ragt die steile Kuste, an die das Meer wild stürmt — recbts steüt sicb die rege Tatigkeit wabrend des Baues dar — die breitere Mitte tuigt den vollendeten Hafen: auf geraden Kaien lange Speicber und fern die Einfabrt in die wette und glatte Bucbt. Eustache de Saint-Pierre — in reicbem Gewande — und Jean de Vienne stehen in der Mitte, JEAN DE VIENNE Es ist gut, daB die Entscheidung nun fallt. Die Unruhe ist mit jeder Stunde dieses Tages gestiegen — jetzt hat sie ihren Gipfel erreicht, von dem sie stürzen muB und — wer weiB das! — ein Unheil anstiftet, dessen furchtbare Folgen wir nicht absehen. Diese Gefahr besteht. Wir können sie beschwichtigen, wenn sich drauBen hinter der Brüstung dieses Saales der Siebente zeigt, den das Los freigibt. An seinem Anblick richtet sich erst der Glauben auf, daB die Rettung wirklich ist. — Nacb einem Schweigen. Es ist merkwürdig, daB dies Bürgervolk, das die Belagerung mit stumpfer Geduld und fast gleichmütig ertragen hat, in dieser letzten kurzen Frist sie ohne den Rest eines Widerstandes ganz verliert. Ich suche die Erklarung: — was erregt sie heiBer — was wühlt sie tiefer auf — bis zu diesem wüsten Ausbruch! — als die schweren Entbehrungen der verstrichenen Zeit sie einmal erschrecken konnten ? — Ich finde den Auf schluB, mit dem ich nicht irre: — es ist die UngewiBheit, an der ihre frühere unerschütterliche Ruhe zerbricht. Die Erwartung des Endes der Vorgange in diesem Saai peinigt sie mit dem «charfsten Stachel. Sie macht diese Qual — es ist Qual! — unertraglich. Und ich wage dies zu behaupten: — wie auch der Ausgang sich gestaltet — gestaltet er sich nur endlich! — andert ihr in letzter Stunde euren EntschluB — ihr gebt ihn auf und besiegelt so das allgemeine Verderben! — sie werden euch mit einem befreiten Aufatmen danken. Ihr habt sie aus der schlimmeren Not erlöst! — Er scbweigt wieier. Ich will selbst mich diesem Gefühl, das so bedrückt, nicht entziehen. Obwohl mein Wunsch sechs von euch überliefert — die Last weicht erst, wenn ich den siebenten heraustreten sehe. — Rasch. Und muB es euch nicht hundertfach erschüttern? — Seid ihr nicht jetzt frei — und mit dem nachsten Gedanken verloren — zugleich frei und verloren — solange die Wahl schwankt ï Wird nicht die Bürde, die ihr auf euch ludet, schwerer und schwerer ? MüBt ihr euren EntschluB nicht immer wieder fassen — an dem die Kraft schon mit dem erstenmal zu versinken droht f Ihr hebt die Tat, die ihr zu tun gedenkt, über das MaB hinaus, wie ihr zögert bis an diesen Nachmittag. Spart mit der Starke — schlieBt nun den Siebenten aus! — Morgen wird ein übriges von euch verlangt! — Nacb einer Pause. Wir haben den Bogen zu straff gespannt — wir müssen den Pfeil von der Sehne nehmen, bevor er schneüt und — vielleicht — grauenhaft trifft. Wir hatten am Morgen in der Halle ihnen die sechs bezeichnen sollen — dann fiele es jetzt nicht wie ein Schatten auf eure Tat — wie sie den einen ungestüm fordern und euch miBachten. Öas laBt mich hier in Scham vor dir stehen! — lm Aujbrucb. Ich bitte dich — es ist mehr, daB du unsere haBliche Erniedrigung verhütest! — ich scheue mich darum nicht, dies von dir zu verlangen: — beeile — und schicke ohne Saumen den Siebenten zu uns heraus! — Er nimmt die Hand Eustache de Saint-Pierres — will nocb etwas sagen — wendet stcb ab und gebt nacb recbts. Als er die Tür öffnel, scblagt dunkier bramender Larm berein. Er siebt sicb nacb Eustache de Saint-Pierre um, der seinem sorgenvollen Bliek lacbelnd tntgegnet — dann rascb dureb die Tür ab. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE überschreitet die Scbweüe und gebt dureb tint öjjnung des Biliteppicbs. Von recbts kommt der Fünfte Bürger — wie Eustache de Saint-Pierre und spater die übrigen — sebr reicb gekleidet. Hinter ibm der alte Vtrtrautt. DER FÜNFTE BÜRGER in der Nabe der Tür stigernd. — Ich kann dich auch jetzt nicht in EntschlieBungen, die ich am geheimsten hege, einweihen. Es könnte sein, daB ich es bin, der von hier frei herausgeht. Dann kehrte ich — wenn ich zu dir vorher gesprochen — leer und überflüssig an meine Geschafte zurück. Ich hatte gleichsam mit meinen Planen — meinen Hoffnungen mein Wesen mit dir vertauscht — und du besetztest meine Stelle so gut wie ich selbst. Damit fiele zugleich das beste Glück von meinen Entwürfen ab. Denn es ist so mit diesen: sie vertragen die Mitteilung nicht. Daran würden sie dürr und kahl — und versickern kraftlos und gelangen nicht zu ihrer Wirkung. Nur solange wir sie in uns verbergen — wie der SchoB der Erde den Keim lange verschlieBen muB — nahrt sie unseT Glauben — schwellt unsere' Kühnheit — stöCt sie unser Willen — oft mit Irrtum — doch stets in die Vollendung. Du verstümmelst deine hohe Lust, wenn du ihre Wurzel — auch vor dem nachsten Vertrauten — ausgrabst! — Der bist du. — Er seujzt. Ich weiB nicht, wie diese Stunde über mich entscheiden wird. WüBte ich es — so ware alles mit einem Male leicht und klar. Das macht es dunkel und schwer. — Er gibt dem Vertrauten die Hand. DER VERTRAUTE nimmt sie scbnell und küfit sie. DER FÜNFTE BÜRGER Nun ist die Nacht kurz, um noch alles zu sagen. Warum hatten wir nicht den langen Tag? DER VERTRAUTE bückt sicb tiefer über die Hand. DER FÜNFTE BÜRGER lacbelnd. Weil einer das lange Leben gewinnen kann! DER VERTRAUTE scbaiacb. Du bist es! DER FÜNFTE BÜRGER Siehst du zwischen meinen Fingern das Los? DER VERTRAUTE Deine Plane — deine Entwürfe können nicht unter gehen. Sie schieben es in deine Hand! DER FtlNFTE- BÜRGER Der Siebente ist unter uns — DER VERTRAUTE Du wirst als Siebenter gezahlt! DER FÜNFTE BÜRGER Jeder ist es doch — und keiner! — Er gebt von ibm — dureb den Teppicb ab. DER VERTRAUTE entfernt sicb obne aufzublicken. DER DRITTE BÜRGER kommt — geUitend die Muiter an ibren vorgestreekten Armen — bis stur Mitte. Nacb einem War ten — gedampft. Mutter! DIE MUTTER röcbelnd. Sohn —! DER DRITTE BÜRGER besorgt. Willst du hier warten? DIE MUTTER Ich — kann nicht warten! Ich habe gewartet — ich habe mich nicht geschont. Ich bin nicht schwach geworden — ich bin nicht feige gewesen — ich habe nicht gerastet — ich bin nicht um Gliedesschmale abgewichen —: ich bin den Weg hierher gestrauchelt — hundertmal vom Morgen an! — Ich habe meine FüJ3e in die Domen gesetzt — hin und her! — Ich habe das Schwert aus meinem Herzen gezogen und wieder hineingestoBen — hundertmal — nun ist alles Blut ausgeflossen — nun zittern meine Knie — nun schwanken meine Krafte von mir — ich wollte sie halten! DER DRITTE BÜRGER llickt sitmm auf si*. DIE MUTTER sich mebr auf richtend. Was ist Schmerz vor diesem: — Worte zu stammeln — die dumm sind! — graue Motten, die flattern! DER DRITTE BÜRGER Mutter — ich höre dich! DIE MUTTER beftig. Wie sollen sie mir kommen ? Wie sollen, die unter meinem Herzen drangen, sich lösen ? Rubiger. Du machst mich arm in dieser Stunde — du stiehlst mir meine Liebe — du schlagst auf meinen Mund und auf meine PrustVie mit dicken Tüchern! — Du gehst mit mir — du stehst neLsn mir da — ich taste und streife dein Haar und dein Kleid ich bin gleich auBer aller Sorge. Fast verwundert ihit anscbaueni. Das Kind ist ganz unversehrt! — Was geschieht denn? — Dein Haar ist es und dein reichstes Gewand! Warum tragst du es nur heute ? Welchér Tag fiel von den Gloeken? Ich bin nicht gerüstet wie du — sie sind in den StraBen alle nicht geschmückt wie du — sie feiern kein Fest: r Verwandelt starr. Ist deine Hand kalt — oder heiB f Ist sie noch heiB oder Aft* wacbsendem Ausbrucb. Sie ist steif und schaüerhch kühl — sie hebt sich nicht — sie lockert nicht im Nacken — sie zerrt die Schlingë nicht auf — sie schleudert den Strick nicht weg — nün weiB ich ja! — Nun bin ich nicht mehr lahm — nun kann ich mich über dich werf en — und dich umschlingen — eng wie nie! — Nun bin ich nicht mehr stumm — nun bricht der Schrei aus mir, der das letzte weckt: — du bist mein Sohn — ich bin deine Mutter! DER DRITTE BÜRGER tucht sie tanft von sicb zu Uien. DIE MUTTER sicb dicht an ihn scbmiegend. Nun sinkt das Dunkel — das nimmt mich auf — und beschwichtigt meine Mühe. Kein StoB rüttelt mich — Angst hetzt mich nicht — um was noch Angst ? — Ich sitze geborgen in meinem Leid — das Leid schattet über mir — Leid ist die Zuflucht — Leid ist Frieden, der alle Zweifel milde tötet! DER DRITTE BÜRGER Du muBt dich an dieser Hoffnung aufrichten, Mutter — die noch ist! DIE MUTTER siebt ihn an, dann heil. Ich habe dich mit Achzen geboren — ich habe dich mit Lachen gesaugt — ich habe dich mit jubelnden Tranen erlitten — je und je —! Du bist aüs mir geschritten und in mich heimgekehrt zu jeder Zeit! 4' Gestern — eben noch — du kommst heute wieder — dich trifft das erste und das sechste nicht — du legst mir dein Los in den SchoB — Ibre Hande wie um eine» Gegenuandscbliepend. — das ich lachend drehe wie meinen bunten Spielball! Sie wendet sicb ab. Jetzt kann ich warten — jetzt bin ich stark — jetzt gehe ich hoch und starr meinen Weg. Was kümmert mich das hier ? — Tief gebückt und scbleppenden Ganges gelangt sie zur Tür — ab. DER DRITTE BÜRGER straf ft die Schultern und schrei tet über die Scbweüe dureb den Teppicb. Der Vierte Bürger — die Frau des Fierten Bürgers und die alte Wdrterin mit dem jungen Kinde auf dem Arm kommen. Der Vierte Bürger und die Frau geben bis in die Mitte. DER VIERTE BÜRGER schon einen Fuf) auf die Scbweüe stellend, beiter. Es ist nicht mehr als ein Gang aus dem Tor an einem schonen Sommertage. Über dem Sande flimmert dieerhitzte Luft, doch vom Meer blast eine linde Kühle. Ist nicht beides in dieser Stunde? — Dieser Druck ist Abschied — und dieser Druck wird BegrüBung. Das liegt so dicht beieinander, daB wir es nicht trennen. Die Wage taumelt — bis sie anhalt. Heischt es nicht die kleinste Klugheit von uns, froh zu bleiben? DIE FRAU blickt ihn lacbelnd an. DER VIERTE BÜRGER Wir wollen nicht klug sein und um die winzïge Spanne feilschen. Wer würfelt die Pfennige, wenn die Schul- den sich über ihm türmen ? Selbst von dieser Schwelle drehen sich unsere Blicke zurück. Damit tilgen wir ein wenig an ihnen. War die Zeit zwischen -uns nicht wuchernd von Reichtum f Unsere Jahre gereiht ohne Lücke zu Ringen einer blanken Kette ? Du nicht Glanz am Morgen — noch abendliches Glück f — Nun schleppen wir die schimmernde Last um Schultern und Leib, daB wir fast nicht schreiten können. Wir stehen blinkend gefesselt — wie Schuldige! DIE FRAU hebt die Hand gegen ihn. DER VIERTE BÜRGER verwundert. Nicht sprechen — nicht danken ? DIE FRAU tebüttelt verneinend den Kopf. DER VIERTE BÜRGER begreifend. Nun bist du die Klügere. Du bist Frau, die besser sorgt. Du hütest die Kammer im Hause und verteilst heute mit vorsichtigem MaB. Morgen sind wir vielleicht wieder hungrig! DIE FRAU J . ^ nickt. f**J* Morgen vielleicht — ich weiB nicht! — Heute vergeuden wir — heute messen wir nicht — heute schlagen die blühenden Wogen um uns zusammen — was sattigt uns, wenn wir morgen auftauchen? — Startten Wenn wir jetzt das Bild auf rollen — und in einem Bliek, der ganz umfafit, das volle Leben in einer Flamme versammelt aufbrennt ? MuB der Tag davon morgen nicht blind sein? Ein Tag, der dunkel kriecht, unter dem Leuchtfeuer, das wir jetzt mit jaher Hand anzünden ? Dieser Tag — und Tage, die einzeln kommen — und ihren Aufwand noch schürfen müssen aus jedem kleinen und kleinsten ? — Es ist leichtsinnig zu danken, wer nicht am Etide aller Gaben rastet. Das nachste Geschenk machen wir dürftig — und die wir es empfangen, verwandein sich armer mit jedem Glück! DIE FRAU bliek t {est zu ibm auf. DER VIERTE BÜRGER Drückt es auf dich nicht schwerer — stumm zu stehen ? Wer kennt den Wandel der kommenden Stunde ? Wie wir darin verandert sind ? Dann kann es spat sein — uns macht die Entscheidung dumpf und stumm. Dann haben wir uns versaumt — uns — uns! Uber dein einsames Leben fallt nicht dieser Schein heifiesten Gestandnisses — ich habe dich verlassen, wie man in der Dammerung von Haus und Liebe schleicht! — Ich mache dich bettelarm — ich haufe nicht die Schatze bei deiner Tür — du wirst nicht essen — du frierst — du bist in den StraBen ein lungerndes Ding! — Ich kann dir nichts geben — dies nicht und jenes nicht mehr — siehst du es jetzt: — ich bin doch ein leerer Schatten zwischen jetzt und nun! DIE FRAUlegt ibre Hand auf sein Gewand und weist auf die Warterin. DER VIERTE BÜRGER lacbelt und fübrt sie mit sicb bin. DIE FRAU Dein Kind — mein Kind! DER VIERTE BÜRGER übertealtigt und mit einer schützenden Geharde das Kind an sicb reifiend — mit erstickter Stimme. Um dich — um dich —! DIE FRAU sinkt an ibm nieder. DER VIERTE BÜRGER mit einer freien Hand nacb ihrer Schutter greifend, um sie aufzuricbten. Ich komme — ich komme. — Er gibt das Kind der Wirterin zurück; die Frau dicht an sicb scbliefiend. Ich — komme! Mit rascben Scbritten erreicbt er die Öffnung im Tefficb und verschwindet ohne Bliek und Gruft. DIE FRAU auf die Warterin gestützt — ab Von rechts: Jean a"Aire — an einer Seite eng die zviei Tbcbter, die sicb umschlungen balten, unter seinem Arm führend — aar anderen gehen Jacques de Wissant undPierre de Wissant nebeneinander her. JACQUES DE WISSANT den Arm Jean f Aires angreifend. Du solist nicht hineingehen. Du mufit umkehren. Halte hier an und schicke uns hin! — Zu Pierre de Wissant. Unterstütze mich doch — und beschwöre ihn mit deinen Bitten. Soll es nicht genug sein, wenn zwei aus einem Kreise scheiden? JEAN D'AIRE Wollt ihr mich zum Mörder der anderen da drinnen machen ? PIERRE DE WISSANT kopfscbüttelnd. Das ist es nicht! JEAN D'AIRE Gaukelt nicht über jedem Haupte da drinnen noch eine Möglichkeit, an die wir geklammert sind — wenn sich auch unser bester Willen straubt! — Das Leben ist stark — ich sehe auf ein langes Leben zurück und finde es in allem überwiegend. Diese Erfahrung könnt ihr nicht teilen! JACQUES DE WISSANT Pitrrt de Wissant ansebeni — wit dieser varbtr. Das ist es nicht! JEAN D'AIRE Ihr eilt mit euren Wünschen hinaus — und wo das Bedeutende winkt, lauft ihr hinzu. Das ist eurer Jugend Tollheit. Euer Ziel ist ohne Weg. Aber der Weg ist oft wichtiger als die Ankunft — und schwieriger ZUgleich. — Die Aufmtrksantktit auf seine Töcbter lenkend. Am Wege bleibt vielerlei — ihr hastet vorüber. Dürft ihr von jeder Möglichkeit schon ablassen ? — Ihr begehrt nach dieser Tat, die euch hoch stellt und in eure Namen ein Brausen füllt, das nicht mehr verweht! JACQUES DE WISSANT und PIERRE DE WISSANT verneinen heftiger. JEAN D'AIRE Euch ruft es an — In beaug auf die lichter. — diese erstickt der Schwall. Da sind Tat und Opfer in ein unentwirrbares Knauel verstrickt! — Störker. Was schickt ihr mich hinaus — mit welchem Vorteil bin ich entlassen ? Was gebe ich hin — womit bringe ich mich noch dar? Was bleibt mir noch schwer zu verschenken? Was geizt der noch, der seine Töchter in die Arme von Mannern — in eure Arme legt ? — Es ist so gering, daB ich einen von euch — spielt sich das eine Los mir zu—es hinzunehmen bitte! — Die Töchter dringen sicb an ihn. JACQUES DE WISSANT und PIERRE DE WISSANT blieken tut Boden. JEAN D'AIRE Ihr versteht mich nicht. Ich schweife an euch vorbei. Es ist schade um diese letzte Gelegenheit. Danach ist jeder mit sich selbst beschaftigt — und ihr verliert einander — ohne halten und hemmen. Ich warne euch hier! PIERRE DE WISSANT sicb aufraffend. Du solist umkehren — du kannst hinausgehen — du bist alter als jeder. Darum kann es niemand auBer dir noch. Und ware einer hier — nicht du — nicht dieser — nicht der — der mit irgendeinem Rechte aufbrache — wir würden ihn. bis an die Tür geleiten und den Saum seines Kleides küssen! JEAN D'AIRE siebt ihn erstaunt an. JACQUES DE WISSANT ausbrechend. Dieser Tag ware zu Ende — der steinigt mit nein und ja! PIERRE DE WISSANT scbwer. Der uns die Frist verkümmert — für Worte! JACQUES DE WISSANT ungestüm wie früber. Sie glühen uns auf der Zunge — sie verbrennen unsere Lippen — wir sollen nicht aufschreien! PIERRE DE WISSANT Wir müssen warten — und die Zeit verstreicht! JACQUES DE WISSANT ganz wirr. Um nicht lacherlich vor uns hinauszugehen — mit dem siebenten Los!' JEAN D'AIRE verstand, lacbelnd. Sucht ihr Worte ? Seid ihr nicht -Liebende ? Suchen Worte einen Wunsch — erfüllen ihn Worte ? — Scheltet nicht auf das Ja und Nein dieses Tages — das hat euch bewahrt. Worte — das lerntet ihr noch nicht — schmalern vom Wert. Und haltet ihr nicht eure Liebe am höchsten ? — Treibt ihr Schacher mit dem Tag ? Gilt der Tag euch einen Deut f Für Braut und Brautigam ? — Die Hoffnung unter sieben der Siebente zu sein ist ungewiB — so freut euch an dieser Zuversicht: — in der letzten Nacht euer erste» Fest zu feiern! Er scbiebt dit Töchter gegen die «mei, viendet sicb um und geht dureb den Teppich. Die vier steben einander stumm gegenüber. JACQUES DE WISSANT die erste Töchter umscblingend, stammelnd. Ich will nicht — der Siebente sein! DIE ERSTE TÖCHTER Jetzt warte ich auf dich! PIERRE DE WISSANT bat die «Keite Töchter an sicb gerissen. Ich lüge mich um das siebente Los für diese Nacht! DIE ZWEITE TÖCHTER bingegeben. Ich will in dieser Nacht leben! Dann geben dit Schwtsttrn langsam von ibnen — den Kopf nacb ibnen gewendet und scbwacb winkend kommen sie bei der Tür an. Ab. Jacques de Wissant und Pitrrt de Wissant stehen auf der Scbwelle: me sie sicb umdrtbtn, wird der Bildteppicb nacb den Stiten geöffnet. Der nun sicbtbare Saai bat bedeutende Tiefe. Habe Wandflacben und Deckenbezirk beladt die Schmückung aus Er zen und Gestein der LSnder des Erdbaüs und glitzernden Muscbeln des Meeres. Eine Tafel — naher der Schwelle — stebt zu einem Mabl gerüstet: sieben silberne Becber, Teller. Milten unter blauem Tucb eine Scbüssel. Zwei ernste Bucklige — Diener — baben den Bildteppicb ganz zurückgettreift und geben ven den Écken vorn nacb einer Tür links binten, Hinter der Langsseite der Tafel sitzen: Eustache de Saint-Pierre in der Mitte, links weiter der Fünfte Bürger und der Vierte Bürger — ein Sitz ist bier frei; recbts der Dritte Bürger und Jean iAire; vor dieser Querseite ist ein leerer Sitz. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Jacquet de Wissant nacb links weisend. Jacques de Wissant, suche hier deinen Sitz! — Zu Pierre de Wissant. Du solist der Letzte am anderen Ënde der Tafel sein, Pierre de Wissant. Wir müssen euch Brüder weit voneinander setzen, daB ihr den Ring, der sich bis auf die Lücke schon schloB, nicht wieder sprengt! — Wieder zu Pierre de Wissant. Du bist der Nachste der Tür. — Gegen Jacques de Wissant. Du erreichst sie zuletzt. — An die anderen. Zwischen diesen kommen wir spater und früher an. — Mit bervorbreebender Heiterkeit. Spater oder früher — was beeilen wir die wenigeh Schritte, die wir noch zu bemühen haben. Kein Morgen drangt — keine Pflicht besorgt — wir feiern nach Morgen und Mittag die MuBe, wie ihrer keiner front! Die beiden Buckligen baben gebaufte Schalen dunkelblauer Trauben, grüner Feigen, gelber Apfel auf den Tiscb getragen. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Wir wollen das Mahl genieBen. Früchte! — Wer will aufHshen, ohne sich zu sattigen f — Das Auge labt sich daran — der Gaumen schmeckt an sprieBender SüBe, die ein Land sott, das wir nicht sehen. Nun rollt die reife Frucht auf unsere Hand! — Verlohnte es sich nicht unseres Eif ers, mit dem wir das Meer zur Brücke von Küste zu Küste wölbten, um dieser saftigen Früchte willen? — GenieBt doch! Die anderen verbarren stumm und reglos. Die Buckligen kringen die Gefafle, die Wein enthalten, und stellen sie bin. Nun bleiben sie hinter Eustache de Saint-Pierre stehen. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Wein —! Wen dürstet schwacher, um nicht am Tisch zu bleiben ? Wer steht auf und schiebt den Stuhl an den Tisch und dreht sich um und geht hinaus ? — Prüft doch die Flut! — Er siebt um den Tiscb — dann nimmt er eine Frucht von der Scbale. Wir sitzen um diesen Tisch — wir suchen das gleiche Ziel — der Willen ist einer — so teilen wir noch die gleiche Speise! Er zerscbneidet die Frucht siebenfacb. Er gibt dem einen Buckligen den Teller, beide Bucklige gehen um den Tiscb: der zwei te legt nun von recbts anfangend jedem auf — Eustache de Saint-Pierre auslassend, dem er dann den Teller mit dem letzten Frucbtstück wieder vorsetzt. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE giefit Wein in seinen Becher aus. Wir zehren von dieser Frucht — nun mundet uns derselbe Wein! Der erste Bucklige tragt den Becher Pierre de Wissant bin. Dieser trinkt, gibt an den Buckligen zurück. Mit der Ausnabme von Eustache de Saint-Pierre trinken alle; Eustache de Saint-Pierre erbielt den Becber zuletzt und tronk. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Wir ha ben getrunken — 'nun genieBt doch! Er verssebrt das Frucbtstück. — Die anderen — gebückt auf den Tiscb — tun wie er. Die Tür recbts vorn wird geöffnet. Jean de Vienne tritt ein und balt sie nocb auf: dunkier Larm der Menge dringt ein. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE lachelnd. Jean de Vienne, wir halten das Mahl. Früchte und Wein erquicken uns jetzt! JEAN DE VIENNE scblieBt und tritt unten vor die Mitte. Ich komme in den Saai, weil mich die Sorge treibt. Die Unruhe, die sich bei dem Anblick des ersten gedampft hatte, ist mit dem letzten, der hier hereinging, nun von neuem ausgebrochen. Sie murren und rufen schon laut nach einem. Er soll heraustreten und sich vor ihnen zeigen — um dieser UngewiBheit das Ende zu setzen! — Es ist dieser Krampf, der das Bürgervolk von Calais verwandelt hat und es mèinen Augen fast unkenntlich macht: — mit dem sie an ihre Rettung glauben, wenn der Siebente sich von euch scheidet. Es ist nicht dies, daB sie an dem festen Willen eines von euch zweifeln — dieser Vorwurf schandet sie noch nicht! — das Warten seit dem frühen Morgen hat ihre Kraft geschwacht. Nun schwillt sie vor der nahen Entscheidung ohne Widerstand auf! — Eustache de SaintPierre, ich weiB, was ich von dir — von euch bitte! — Eustache de Saint-Pierre, schicke die GewiBheit — antworte ihrem Verlangen — es ist viel für jene — für euch gering: ihr feilscht nicht um die karge Frist! EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Du tragst die Stimmen, die drauBen larmen, in den Saai zu uns. Wir hören ein dumpfes Gerausch und ein pfeifendes Zischen — unsere Ohren dröhnen davon — unser Kopf denkt es nicht. Unsere Tat wartet doch morgen auf uns — müssen wir nicht unsere Ungeduld I zügeln ? — Rascb. Unser Mahl ist beschlossen — das ist, was du aus dem Saai berichten solist. Sage es doch schnelL Jean de Vienne! Auf einen Wink beginnen die Buckligen die Tafel abzuraumen. JEAN DE VIENNE wartet nocb, dann gebt er eilig nacb recbts ab. Die beiden Buckligen baben ibren Dienst vollendet und entfernen sicb nacb links binten. Auf dem Tiscb ist nur die verbangte Schüssel stehengeblieben. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Es ist leer über dem Tisch — nun können die Reden um den Tisch laufen. So wird das Mahl vollkommen. Wer teilt nicht beides klug, um jedem das volle MaB zu geben ? Ihr schwiegt, als ihr aBet — jetzt ist euer Mund doppelt beredt. Nun verschwendet er gerne seine heirnliche Lust ^~ so müssen wir von dem Schwersten reden, das dieser Tag auf uns legte! — Er wendet I sicb zu demFünften Bürger neben sicb. Was ist es, das dich zwischen dem frühen Morgen und deinem Gang hierher mehr denn alles beschaftigte ? DER FÜNFTE BÜRGER vor sicb binblickend. Ich habe einen alten Vertrauten, den führte ich bis an die Schwelle dieses Saales. Ich wollte ihm von Hanen, mit denen ich mich trage, mitteilen. Ich wollte ihn in meine Entwürfe — verborgene Hoffnungen ëinweihen. — Ich konnte es nicht. Meine Zunge war gebunden. War es denn das letztemal, daB ich zu ihm redete ? EntauCerte ich mich nicht voreilig meines Eigentums ? Und muBte ich ihn nicht einsetzen, um es vor dem Verluste zu retten? Eins stieB — jenes hemmte. Und zwischen StöBen und Widerstreben entstand die Marter dieses Tages, die ihren Stachel scharf stach: — die UngewiBheit des letzten Ausgangs! Die anderen baben die Kopje erboben und seben mit einem hetrojjenen Staunen nacb ibm. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE mit rascber Wendung turn Dritten Bürger neben sicb, vermindert. Was ist arger, als in der offenen Halle aus den Reihen aufzustehen und vor alle hinzutreten ? War dein EntschluB nicht am schwersten zu fassen, mit dem du dein helles Gewand von dir streifst — und mit dem Kleide dein langes Leben? Ist eins noch bitter bei diesem? DER DRITTE BÜRGER nickt scbzoer. Mich geleitete eine greise Mutter. Ihr Mut blieb fest — mit dem sie am Morgen den EntschluB des Sohnes hörte. Hier lag sie klagend an meinem Leib! — Aujblickend. Betrog ich sie nicht um den Abschied? Erstickte ich nicht ihren Schrei, mit dem sie mich wieder zu sich riB? Glitt ich nicht hin obne Wesen? Kehrte ich nicht wehend in ihren SchoB zurück ? Haufte ich nicht den kreiBenden Schmerz in hundertfacher Wiederkunft ? — Derselbe Atem entlieB mich und be- grüBte mich. Ein ungeheures Wirrsal drehte den sausendcn Wirbel. Und die UngewiBheit machte sie stammeln —sie verdrehte ihre Worte — sie f and keins und schlich von mir —'arm und leer — um ihre Schatze geplündert, die sie nicht vor mir ausbreiten konnte! — Den Kopf aufstützend. Sie litt mein Leiden — sie klagte meine Klagen. Aufzustehen und für alle hinzutreten — ist leicht. Die Last, die mich zu Boden biegt, bürdet diese Tat nicht auf. — Er spreisst die Hande über dem Tiscb. Diese Tat — wo ist sie ? Eine Unrube lóst sicb um den Tiscb, die den Dritten Bürger besta ligt. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE sicb gegen den Vierten Bürger vorbeugend. Du kamst nach diesen beiden. Gingst du langsamer, weil diese Stunde dir kostbar wurde, wie keine deines Lebens ? Zahltest du sie mit Schritten ab — wie Finger den Wert der Ringe einer Kette, weil sie entgleitet? Drohte der Schatten deines Entschlusses dunkel? Saugst du das wenige Licht, das dir noch leuchtet, nun mit heifierer Begierde? DER VIERTE BÜRGER Ich ging von meinem Hause — und die im Hause immer mit mir war — ging mit mir. Wir schritten nebeneinander ohne Hast und ohne Halt — wie an einem schonen Sommerabend aus der Stadt. Das Blut klopfte nicht schneller — und staute nicht. Es ist ein Tag wie jeder. — Mebr in sicb versunken. Das Licht floB gestern durch ihn — so strömte es von Anfang unserer Zeit miteinander. Kein Schatten löschte je — kein Dunkel brauste je — kein Verlangen, das sich $ nicht stillte m kejn Cflück, das «ich «SS beiden nicht bescherte. Ist es nichtt recht und bülig, daB morgen eine achwarze Wolke sich türmt ? — MuB ich nicht in sk hineingehen — beladen mit meiner Schuld i Ruf e ich nkht Dank Dank — wenn sie mich mit ihrer Gewalt zermajmt ? — Bin ich nicht lüstern danach — schwingen nicht meine Lippen — spannen sich nicht meine Arme,, an mich zu reiBen die, der ich danken muB — mit glühenden Worten ~- in dringender Verschrankung? — Sind ihre Lippen nicht geoffnet — ihre weiBen Hande nicht nach mir gestreckt — wartet ihr bereiter Leib nicht auf ErgieBung, die sich erschöpft mit diesem Mal ? Sind wk nicht zueinander getrieben — und auf der Stelle gelahmt ? Unsere Arme fielen müde herab — unser Mund blieb stumm — wir standen steif und fremd. — Wer will den Dank sagen, wenn das Geschenk nkht ausgegeben ist ? Wer lastert das neue Geschenk mit seinem f rühen Genügen ? Wer will danach geben und hinnehmen, ohne die Scheu zu prassen ? — Diese Stunde vernachtete das tiefste Dunkel. Aus ihm herauszugehen — ist der einzige Wunsch, der brennt. Entlassen oder überliefert — es ist eins und glekh. Überliefert, es peinigt nicht — entlassen, es verlockt nicht: über jenem und diesem erleuchtet endlich — die GewiBheit! Jacques de Wissant und Pierre de Wissant sind nugleich aufgesprungen und strecken die Arme nacb der verbangten Scbüssel. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Jacques de Wissant—Pierre de Wissant, seid ihr nicht Brüder ? Am Morgen verwies es euch euer brüderliches Blut, vor dem andern beiseite zu stehen und mit ihm sein Leben zu verdienen, als. ihr zugleich und einer wmel aus den Reihen stiegt. Entzweite éucht die Hitze des Tages l Gönnt ihr das eine Los dem andern nicht mehr. Will es jeder schnell «rraffen ? — Einer Entgegnung zuvorkommend zu Jean iAire. Was ist es, das dir den Weg in diesen Saai weit und finster verwandelt? JEAN D'AIRE Ich gehe weite Wege nicht mehr. Jeder Weg ist kurz — das Ziel ist nahe. Ich sehe es so dicht vor mir, darum trübt es kein Staub. Es ist heil um mich — das Dunkel ist gewichen: ich kenne, wohinaus ich walle. Meine Zeit ist ausgeschenkt — meine Schatze sind ausgeteilt. Ich halte nichts mehr mit diesen dorren Fmgern! — Welchen Teil gewinne ich an der Tat, zu der ich mich bereite ? Schmardtze ich nicht an dem Lob, das euch dröhnt? Bin ich nicht der schellenklingende Narr bei euch ? Ich braste mich — und mir geschieht doch nur, was noch geschehen muB. Von der untersten Stufe meines Akers steige ich herab — eine tiefere breitet sich nicht — was schwankt mein Schritt ? — Ich weifi alles — durchsichtig ohne Wand liegt der Rest. Fasse ich das eine Lós — oder verhere ich damit, es ist kein Unterschied. Darum vergebt und zollt meiner Scham, daB ich mit euch am Tische sitze! — Lebbafter. Ihr seid würdig — ihr leidet die Qual. Ihr habt zwischen vielem zu wihlen. Ihr sollt verzichten — ich bin schon leer. Ihr sollt eure Augen vor allem Licht und Mittag verschheflen — ich bin schon blind. Ihr sollt die Luft im Halse erwürgen — meine Brast i»t schon tot. Von euch wird das Schwerate gefordert — mir gilt der Ruf nichts mehr: — ich bin vor allem Taumel geborgen — ich bin von jedem Ja. und Nein des Ausgangs geschieden — mein Los ist eins — otyydieses oder jenes — es friert mir aus dem Eis meiner Jahre — ich ruhe in dieser Unruhe — mit meiner schonen GewiBheit! Die Bewegung um den Tiscb bat sicb mit den letnten Werten Jean i'Aires mehr und mehr gesteigert: Hinde greifen nacb dem Tuch über der Sebüssel. PIERRE DE WISSANT aufreebt, seine Fiuste an die Scblajen drückend. Ich will der erste vor euch morgen aus der Stadt gehen — ich will den Kopf nicht nach euch drehen — ich will den Strick vor mich strecken und die Schlinge eifrig rücken — und lachen und lastern — AusbrecbenL Ich will das letzte Los nicht — ich will mein Los! JACQUES DE WISSANT stammelnd. Ich will das siebente nicht — ich will das erste nicht — ich suche mit keinem das Leben nach dieser Nacht! — Im Ausbrucb. Ich will mein Los — ich will mein Los! — Röcbelnd. Das andere reizt zum Wahnsinn! DER VIERTE BÜRGER stu Eustache de Saint-Pierre. Schicke die Schüssel um den Tisch! DER FÜNFTE BÜRGER dringender. Eustache de Saint-Pierre — schicke die Schüssel um den Tisch! JACQUES DE WISSANT, PIERRE DE WISSANT # und DER DRITTE BÜRGER im Schrei. Schicke die Schüssel um den Tisch I JEAN DE VIENNE is Halt von recbts. Er schliefit die Tür nicht, gebt scbnett bis nar Uitte. Ungebindert dringt der Scball von drauBen: ein kreischendes Schreien, ein beulende! Winseln, Joblen und greties Pfeifen. JEAN DE VIENNE Eustache de Saint-Pierre, sie wollen nicht langer warten. Sie fordern den Siebenten. Sie schreien über mich hin — ich mahne sie nicht mehr zur kleinsten Geduld! — Ich habe die Wachter vor den Eingang gestellt — doch vertraue ich nicht der schwachen Matht. Euer Saumen zögert den Aufstand heran, den wir nicht bandigen. Die Folgen sind für alle furchtbar! — Eustache de Saint-Pierre, ich habe die Scheu nicht mehr — ich flehe von dir: — schicke den Siebenten hinaus! EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Du kommst um ein kleines zu früh — JEAN DE VIENNE Es wird um ein kleines zu spat! EUSTACHE DE SAINT-PIERRE unbeirrt. — und störst im Saai: siehst du nicht, daB jede Hand ausgestreckt ist ? — Heftig. Willst du unsern Gleichmut _ ——^ erschüttern, der uns um diesen Tisch wie zur Feier versammelt ? Ist er uns nicht nötig i — Du dringst mit diesem Ungestüm ein: — lacht nicht jenen das Licht — spiek nicht die laue Luft an ihren Stknen ? —Schone uns doch vor dem Lallen und Greinen! — Freut euch der Sonne und Warme — indes wir das Dunkel und die Kühle wahlen! JEAN DE VIENNE Eustache de Saint-Pierre, ich will hier warten und mit dem Letzten herausgehen! EUSTACHE DE SAINT-PIERRE nocb ttSrker. Du bist fremd zwischen uns — du hast das Mahl nicht am Tisch gegessen — du hast nicht mit uns getrunken — du bist von uns geschieden, wie jeder nun jenseks tiefer Klüfte steht! JEAN DE VIENNE Eustache de Saint-Pierre, dauert es noch? 'EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Wir sind bereit! JEAN DE VIENNE gebt mit gebeugtem Nacken nacb. rechts ab. Es berrscht lautlose Stille. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE ssieht die verhangtc Schüssel zu sicb. Die Diaue Kugel ist kalt auf der Hand — und erkaltet das Leben. Wem rollt sie — wem rottt sie nicht ? Nun bin ich mit ettch begierig! — Jacques de Wissant — Pierre de Wissant, ihr stelltet das Spiel aa — so leitet es ein. Diesmal soll euch die erste Kugel trennen, mit der ihr den Ausgang nicht wieder verwirrt! — Er reicht dem Fünjten Bürger neben sicb die Scbüssel, dieser gibt an den Vierten Bürger. — Der Vierte Bürger bietel Jacques ie Wissant an. Die anderen verbanen in bingenommener Aufmerksamkeit. Eustache de Saint-Pierre siebt vor sicb auf den Tiscb. JACQUES DE WISSANT öffnel mit linker Hand knafp das Tucb und schiebt die rechte hinein. In nocb dicht umscblieBenden Fingern bolt er beraus — strcckt den Arm lang und tiefbattend über den Tiscb und — sseigt auf gewöblter Handflacbe blaue Kugel dar. Alle Blicke dreben sicb nacb Eustache dit Saint-Pierre, der seine Haltung nicht verandert. JACQUES DE WISSANT drückt die Hande, darin die Kugel, auf seine Brust. DER VIERTE BÜRGER gibt die Scbüssel wieder an den Fünften Bürger — und sucht die Kugel: die er vorweist — ist blau. Danach stützt er die Stirn auf die umfaltenden Hinde. DER FÜNFTE BÜRGER will an Eustache de Saint-Pierre reicben. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE siebt flücbtig auf und greift schnell: die blaue Kugel, die er bolt, legt er vor sicb auf den Tiscb — nimmt die Schüssel und halt sie dem Fünften Bürger hin. DER FÜNFTE BÜRGER zögert staunend — dann zieht er die blaue Kugel. Er la/Jt die weit vorgescbobenen Hande offen und wirft den Kopf in den Nacken EUSTACHE DE SAINT-PIERRE «endet sicb mit iet Schüssel — ohne aufzublicken — an den Dritten Bürger. DER DRITTE BÜRGER zeigt die blaue Kugel, legt sie auf den Tiscb — um Jean iAire die Scbüssel anzubieten. JEAN D'AIRE siebt Pierre de Wissant an, IScbelt — und wablt lange unter dem Tucb. Von neuem siebt er Pierre de Wissant an und öffnet — ohne die eigenen Augen dar auf zu leunen — die blaue Kugel. PIERRE DE WISSANT heugt sicb vor — und stebt auf. Ich bin es! Alle dreben sicb bei dem GerSuscb und seinen Worten rascb bin — der Dritte Bürger stellt die Scbüssel bin. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE rascb. Hast du dein Los gegriffen? PIERRE DE WISSANT Eine ist übrig — ihr haltet sechs blaue Kugeln! EUSTACHE DE SAINT-PIERRE schüttelt den Kopf. Die Schüssel ist nicht leer — soll danach einer der Krüppel sie ausschütten ? —Er scbiebtdieScbütselnaberzuihm, der Dritte Bürger rückt sie schrag über den Tiscb ganz dicht vor ihn. PIERRE DE WISSANT zucht die Jcbseln, zicht das Tucb vicg — stutzt und hebt langsom eine blaue Kugel heraut — stammelnd. Die letzte Kugel ist blau! Um den Tiseh ist es still. JACQUES DE WISSANT nun die seine hinstreckend. Blau ist diese! DER DRITTE BÜRGER ebenso. Diese ist — wie die letzte! DER FÜNFTE BÜRGER, DER VIERTE BÜRGER erst einzeln. Diese — Nun zusammen. — sind wie eure! JEAN D'AIRE rubig. Eustache de Saint-Pierre, haben die dummen Krüppel die Schüssel gemengt? EUSTACHE DE SAINT-PIERRE allen Blieken lacbelnd begegnend. Ich weiB es. Ich habe euch dieselben Kugeln gereicht! Voll betref f ener Neugierde ruben die Blicke auf ibm. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE leb baf ter. Verwundert euch das? Findet ihr noch nicht den Schlüssel — birst nicht das Ratsel und schüttet sich auf eure Hande f — Er siebt von einem mum andern, die sicb nicht regen. Dann nickt er. In euch tost der Wirbel dieses Tages — ihr seht das Nachste nicht! — Sicb aufricbtend. So muB einer von uns führen — ich bringe euch aus dem Wirbel und ans Ende! — Eindringlicb nach recbts und links. Wer drangte sich an diesem Morgen vor in der offenen Halle ? Blankte nicht um seinen Leib Panzer und Wappen — schofi nicht das steile Schwert von harter Faust ? Staubte nicht vom Kamm seines Helmes gerader Mut? Schwoll nicht die Tat seiner Tapferkeit über jede auf? Schwert, Schlag und hauender Streit — war nicht der heiBe Glanz um sie gezogen — vergaben sie nicht den letzten Ruhm und rissen die beste Kraft zu sich ? Galt eines vor diesen ? Kroch nicht die Scham daran vorbei und begrub sich in die Winkel? — Nacb einem Warten. Ich ging nicht vorüber — ich steilte mich an ihn und maB meine Tat neben seiner — und schlug ihm das Schwert von der Hand und zerriB die grelle Fahne. Er brach auf — ich blieb! Tiefvorgebeugten Leibét boren die andern bin. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Womit schlug ich ihm das Schwert aus seiner Hand ? Womit zerbrach ich seine Tat — und die Kette dieser Taten, die aus dem Anfang lauft, soweit wir zahlen? Wie erniedrigte ich sie ihm — und riet von ihrem Mut ? — Verwies ich ihn recht und billig daraus — lasterte ich mit einem losen Wort, wie ich seinen Mut zum Kot stieB ? — Wie konnte er sich morgen entzünden, wenn er sich in den Kampf stürzt, der heute entschieden ist ? — Und ist heute sein Mut groB, da der Kampf noch nicht geschieht? Springt er nicht in seine Tat —: der Sprang tragt leicht und betaubt ihn mit süBem Schwindel vor den stechenden Pfeilen der Tat! — Macht er seine Tat nicht feige, weil er sie heute beschliefit ? Schandet er sie nicht, weil er sie nicht bis an das Ende rollt ? Heute kippt er den Sturz seines Helmes nieder — ein schweres Dunkel quillt dahinter und erstickt die Luft — morgen fallt ihn ein lahmer Streich nach vielen Streichen — denn vor seinem letzten Hieb ist er schon tot! Pierre de Wissant ist von seinem Platz gegangen und — sicb auf den Dritten Bürger auflehnend — ist er lauscbend Eustache de SaintPierre nabe. Andere stützen Kinn undWdnge auf die Hinde. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE beimlich lachend. Er schenkte sein Schwert weg — und stieg über die vielen Stufen und trug — Stufe nach Stufe — die Last, die er von meiner Brast hob. Ich atmete auf, als er oben verschwand. Hatte ich ihn denn nkht listig verstrickt ? Und schüttelte er sich nicht mit einem Raffen seiner Schultern frei und warf mir mein Garn vor die Füfie ? überbot ich denn mit diesem und jenem — mit einem seinen Mut ? War nicht meine EntschlkBung — Zu einigen. — deine — deine — und deine — heute von euch gefafit ? Konntest du — Wie vorber. — du — du nicht heute jeden Abschied nehmen und dich in dich verschlieSen, daB morgen auBer dir kein Licht — kein Leben mehr qualt ? — Umblickend. Bist du nicht von deiner Tat geschieden — wie er ? Entziehst du dich nicht dem Stachel deiner Tat — wie er ? MuBt du nicht in Angst sein, daB morgen ein Kind deinen Witz ausruft — und dir an deinen Strick im Nacken die Schelle heftet? Einige tikken schzeer. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE einen Finger aufreckend. Wir waren dicht an — vor diesem Witz mit unserem Werk zuschanden zu werden! — Pierre de Wissant über das Haar streifend. Da kamt ihr — du und der Bruder — zu meiner Hilfe! Jacques de Wissant gebt hin und legt den Arm um Pierre ie Wissant, EUSTACHE DE SAINT-PIERRE aecbselnd nu ibnen. Ihr überbotet die geforderte Zahl und sprengtet unsern Kreis wieder, der fast geschlossen war. Der eine von euch beiden gab jedem seinen EntschluB zurück und entlieB alle. Nun wurde jeder übrig — der Siebente—der überzahlige hinter sechs! —An die anderen. Wer war es? Konntest du nicht ausgeschieden sein nicht du — nicht du — nicht du ? Du mit dem gleichen Recht wie dein Nachster? Gingst du nicht jetzt von uns — muCtest du nicht jetzt zu uns umkehren? Wurde deine Tat dir nicht abgenommen und aufgelegt — in einem schnurrenden Wechsel ? Konntest du einen Atemzug lang sie verlieren — oder dich in ihr verbergen — in ihrer Notwendigkeit ohne Entrinnen und Lücke ? Sie blieb vor euch aufgetan — und das sperre Tor begrub euch nicht! — An Pierre de Wissant und Jacques de Wissant. So kpnnte, der über die Stufen flüchtete, meinen Vorwurf nicht an mich schleudern: durch euer doppeltes Dastehen leistete ich ihm Ge- nüge. Nun war die Entscheidung zwischen uns bis an den Nachmittag hinausg'eschoben! i DER VIERTE BÜRGER nacb ibm aufblickend. — Wird nicht die Tat — morgen! — von uns verlangt? Ist nicht eine Frist gegeben — von diesem Nachmittag an den Morgen, die reicht — mich dicht und dumpf zu verschlieBen vor der Qual? EUSTACHE DE SAINT-PIERRE heil. Seht die Kugeln an — sie ist euch nicht gelassen! — Rascb gegen die Betcegung um den Tiscb. Ich Spielte mit euch dies Kugelspiel — ich erfand es aus den Erfahrungen dieses Tages. Lockte ich es nicht von euch aus den Gesprachen um diesen Tisch ? — An den Fünften Bürger. Woran tragst du am schwersten seit diesem Morgen ? Besinne dich! — Weiter «um Vierten Bürger. Was Stiefi Stachel und Keile in dein Fleisch ? Verhelde nichts! — Zum Driften Bürger. Was wühlte durch dein Blut? Beschönige nicht! — Auf zu Jacques de Wissant und Pierre de Wissant. Was qualte euch ? Zögert nicht! — Zu Jean d"Aire, stutzend. Was beglückte dich SO tief ? — Eindringlicb. Dich lullte die GewiBheit ein — euch reizte die UngewiBheit. Dieser Krampf schüttelte euch — er macht euch feige —: ihr verratet die Tat, die von euch brennt! Pierre de Wissant und Jacques de Wissant geben nacb ihren Platzen; es ist still um den Tiscb. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE starker. Heute sucht ihr die Entscheidung — heute betaubt ihr euerrt: EntschluB — heute überwaltigt ihr roit Fieber euren Willen. Ein schweler Rauch trübt um euch von Stirn zu Sohlen und verhüllt den Weg vor euch. Seid ihr würdig, ihn zu gehen ? Zu diesem Ziel zu wallen ? Diese Tat zu tun — die ein Frevel ist — ohne verwandelte Tater? Seid ihr reif — für eure neue Tat ? — Die an allem Bestand lockert — die alten Ruhm verhaucht — die langen Mut knickt — was klang, dampft — was glanzte, schwarzt — was galt, verwirft! — Seid ihr die neuen Tater ? — Ist eure Hand kühl — euer Blut ohne Fieber — eure Begierde ohne Wut ? Steht ihr bei eurer Tat — hoch wie diese ? Ein halbes ist die Tat — ein halbes der Tater — eins zerstört ohne das andere — sind wir nur Frevler ? — Dit andern blieken bingenommen nacb ibm über den Tiscb. EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Ihr buhlt um diese Tat — vor ihr streift ihr eure Schuhe und Gewander ab. Sie fordert euch nackt und neu. Um sie klirrt kein Streit —• schwillt kein Brand — geilt kein Schrei. An eurer Brunst und wütenden Begierde entzündet ihr sie nicht. Eine klare Flamme ohne Rauch brennt sie — kalt in ihrer Hitze — milde in ihrem Blenden. So ragt sie hinaus — so geht ihr den Gang — so nimmt sie euch an: — ohne Halt und ohne Hast — kühl und heil in euch — ihr froh ohne Rausch — ihr kühn ohne Taumel — ihr willig ohne Wut —ihr neue Tater der neuen Tat! Tat und Tater schon verschmolzen — wie heute in morgen! Wie wollt ihr heute und morgen noch trennen, wenn euer Willen sich nicht mehr von eurer Tat scheidet ? Wenn ihr sie lekht und lang bis an das Ende rollt, in dem ihr überliefert seid oder entlassen f Was versucht euch noch f Was bemüht euch noch ? Ist eure Ungeduld nicht verblasen — und tönt als böser Schall vor diesem Saai ? — Er erbob seine Slimme gegen den aufien anwachsenden Larm, der rascb verdringt. Die Tür recbts vorne wird aufgerissen: Jean de Vienne an der Spitste vieler Gewahlter Bürger überstürxt berein. JEAN DE VIENNE schreiend. Eustache de Saint-Pierre, die Wachen sind von dem Eingang getrieben — wir haben die Türen geschlossen — sie halten noch Widerstand! Donnernde Stöfie gegen die Turen ballen berein, EIN GEWAHLTER BÜRGER Sie stürmen die Tür! Ein kracheuder Scblag dicht draufien — dem jubelndes Geschrei folgt. EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Die Treppe ist frei vor ihnen! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Sie laufen die Treppe hoch! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Sie kommen in den Saai! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Sie wollen sich eines von euch mit Gewalt bemachtigen! JEAN DE VIENNE Eustache de Saint-Pierre, wen hat das Los befreit ? EUSTACHE DE SAINT-PIERRE bat sicb aufgericbtet, laut. Ein Irrtum ist unterlaufen — die Kugeln wurden in der Schüssel vertauscht. Wir haben uns redlich gequalt—jetzt mangelt uns die Kraft, das Spiel zu wiederholen! — Nocb starker. Wir wollen uns ruhen bis an den Morgen — Aucb an die um den Tiscb. —: mit der ersten Glocke soll jeder von seinem Hause aufbrechen — und wer zuletzt in der Mitte des Marktes ankommt — ist los! Alle scbtceigen betroffen. JACQUES DE WISSANT und PIERRE DE WISSANT um den Tiscb vor ibn laufend. Eustache de Saint-Pierre — PIERRE DE WISSANT allein fortfahrcnd. Wir beide gehen morgen von demselben Haus — sollen wir wieder das Spiel verwirren, wenn wir zusammen auf dem Markte ankommen? EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Sorgt ihr doch um den Morgen ? Könnt ihr nicht mit euren jungen FüBen vor den anderen laufen und die ersten im Ziel werden ? — Er stebt auf. JEAN DE VIENNE Eustache de Saint-Pierre, willst du vor den wütenden Sturm drauBen tieten? EUSTACHE DE SAINT-PIERRE ienen am Tiscb euwinkend. Nicht ich — wir sind sieben: — soll es sie nicht besanftigen, daB einer noch zuviel ist? Kann nicht einen von uns über Nacht seine Erregung ohnmachtig machen ? Ist es nicht klug, den ÜberfluB zu bewahren ? — Wir wollen es ihnen deutlich sagen! DU Sieben steigen von der erböbten Scbweüe und geben an Jean de Vienne und den Gewahlten Burgern vorüber, deren sie mit keinem Zeichen mehr achten, aus der Tür und in den Lam hinein, der scbneü verebbt und verstummt. Jean de Vienne und die Gewahlten Bürger sehen sicb staunend an. DRITTER AKT Der Merkt vor stufenbober Kircbentür, dit — mit ihrem spitzen figurenreicben Giebelfeld — den ganzen Hintergrund bis auf zwei scbmale Gassen, die recbts und links zur Tiefe laufen, einnimmt. Grau des früben Morgens schenkt Gebilden und Gestalten sebwaebe Deutlichkeit: die Seiten und noch in die Gassen sdumt die dichte Ballung des Bürgervolkes — kenntlicb mit blassem Streifeu der belleren Gesichter. • In der Mitte bewegen sicb die Gewahlten Bürger. JEAN DE VIENNE Hier ist der Schlüssel. Ich bin mit ihm von langer Zeit vertraut — ich taste an ihm oben jede Krümmung ab und fühle unten an ihm jede Buchtung — mit meinen Fingern finde ich ihn genauer wie mit meinem Kopf e! — an diesem Morgen liegt er fremd auf meinen Handen. Es ist eine Last, die sich durch meine Arme auf meine Schultern schiebt und mit erdrückendem Gewicht auf den Boden zwingen will! — Er erwarmt sich auch nicht von meinem Blute. Ein starrer Frost dringt von ihm aus und erkaltet die Haut um mich. Ich friere an diesem kleinsten Erz! — Ich halte ihn mit Mühe fest. Die Gewahlten Bürger stehen still um ihn. JEAN DE VIENNE Ich scheue mich, ihn auf andere Hande zu legen. Ich fürchte, daB die starkste Kraft mit ihm zusammenbrechen soll — der fügsamste Wille bersten. Tragt nicht der die zweifache Bürde hinaus: die er hier empfangt — und jerie, mit der ihn sein EntschluB schon beludf — Ich weiB nicht, wem von ihnen ich diese auBerste Anstrengung zumuten soll! Es herrscht Schweigen. JEAN DE VIENNE sicb aufraffend. Ist er euch deutlich, den ich vor den anderen mit dem Schlüssel schicke? EIN GEWAHLTER BÜRGER Der gestern in der offenen Halle vor den anderen zuerst aufstand — muB der nicht heute vor ihnen schreiten, Jean de Vienne? EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Der sie mit seinem Vortreten rief — liegt nicht die Pflicht auf ihm? JEAN DE VIENNE siebt auf. — Kann nicht Eustache de Saint-Pierre hier der letzte sein? Neue Stille. JEAN DE VIENNE nacb einem Warten. Ich will keinen bezeichnen. Wer von uns kennt, wie einer aus dieser Nacht geht ? Wer sah schon einen zu diesem Gang hier ankommen ? Ihr bestimmt jetzt diesen und tref ft vielleicht den schwachsten mit eurem Urteil! — Starker. Wir atmen im wehenden Morgen — die herrliche Sonne ist uns gewiB —wir schelten leicht und f risch! — Ich will nicht diesen oder einen bestimmen! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER fest. Jean de Vienne, wir suchen den Streit von ihrem letzten Morgen zu nehmen, wenn wir dies vorbereiten: — gib an den ersten von ihnen, der ankommt, den Schlüssel! JEAN DE VIENNE langsam. Wer geht den kürzesten Weg von seinem Hause f Mit toacbsenier Hejtigkeit und nacb den Seiten weisend. Sind seine Schritte nicht schon ausgezahlt? Lief die Neugierde ihm nicht voraus und schleppte ihn durch die StraBen — hundertmalf Rastete der grausame Eifer seit gestern ? - Tollte nicht das harte Klappern ihrer flinken Schuhe über den steinigen Grund durch die Nacht? Scholl es nicht, als schleuderten sie mit einem Sturm von Steinen nach einer Scheibe ? — Sie haben sich ein schandliches Spiel daraus gemacht und das hat ihre Ungeduld unterhalten — jetzt erwarten sie die Erfüllung, um vor einander zu prahlen, wer klüger réchnete! — Ich habe nicht die Macht, sie von den Randern des Marktes zu treiben — ich gönne ihnen den Anblick nicht! — Zu den Gewahlten Bürgern. Hörtet ihr nicht — maB nicht auch schon einer eurer Gedanken die mindeste und die langste Strecke vor: — wer ist der Nachste zu seinem Ziel ? MEHRERE GEWAHLTE BÜRGER dumpf, ssögernd. Eustache de Saint-Pierre. — Dann viele. Eustache de Saint-Pierre! JEAN DE VIENNE Ihr findet nur diesen Namen. Ihr ratet ihn wieder. Er ruft sich an Anfang und Ende. Er lockte gestern — soll er nicht heute mit demselben Willen verführen l Ihr habt recht, er ist der nachste. Er drangte sich gestern zu ,— er wird jetzt vor den anderen eilen. Er ist der erste vor ihnen — mit seinen schnellen Schritten — mit seiner frohen Kraft. Er wird dies von mir fordern: vor den anderen hinauszugehen und diese Last noch, die mich bedrückt, auf seinen vorgestreckten Armen wie eine dünne Feder tragen. Jetzt ist alle Angst von mir gewichen — jetzt sind Spiel und Ziel eins: — an Eustache de Saint-Pierre sinkt jeder Zweifel nieder! Aut der Dichte langs der Seiten baben sicb Arme gestreckt — neue Arme beben sicb neben: von scheinenden Handen gescbiebt ein eindringlicbes Himeeisen nacb oben. Ein tcbwacber Licbtstrabl trifft die Spitze des Giebelfeldes. Die Gewahlten Bürger blieken bocb. JEAN DE VIENNE mit stüfmiscber Geste. Die Zeit ist da — wir müssen ihnen die Gewander rüsten.' Eine Glocke klingt, die in weiten Pausen schrille Scblage tul. Die Arme linken. Gewahlte Bürger bücken sicb zu den Stufen und nebmen vor die Brult dunkle Bundel auf. Die Glocke tont nicht wieder, JEAN DE VIENNE — — Nun sind sie aufgebrochen — nun ist ein Gehen in den StraBen, wie noch keins in ihnen erschütterte! — - Wieder nacb einem Warten, Wir wollen dem Ersten am Ende seines Weges entgegentreten. Kennen wir nicht den, den Eustache de Saint-Pierre schreitet ? Er gebt nacb recbts, ibm folgen einige — aucb einer, der ein Bundel trSgt. Von links dringt klappernder Hall eines gemacblicben gleichmdpigen Schriitens; zugleicb ISuft von der Tiefe dort ein Flüstern. Auf der rechten Seite neigen nocb zögernd — dann rascb Arme binüber — nun scbwillt der zischelnde Larm starker auf: Der Erste/ DER FÜNFTE BÜRGER kommt von links. — Er endigt seinen rüstigen Gang in der Marktmitte. Eine kleine Weile verbarrt er steif — dann drebt er den Kopf weit nacb recbts — nacb links. Es ist lautlos still geworden. DER FÜNFTE BÜRGER biickt vor sicb auf den Boden — und tritt aus seinen Scbuben. Danach richtet er das Gesicbt nacb oben — und beginnt mit festen Handen sein Kleid am Halse zu öffnen. Schultern und Arme sind entblöflt — nun balt er es nur auf der Brust zusammen und wartet. EIN GEWAHLTER BÜRGER tritt von den anderen, reilt das Bundel auf und entnimmt einen wenig langen Strick. — Er stellt sicb dicht hinter den fünften Bürger, hebt das sackfirmige farblose Gewand bocb über ihn und streift es an ibm nieder: es built an ibm mit scbwerem Hang ein, verscblieBt die Arme und schleppt um die Fü/3e. — Nun weitet er die Scblinge — und legt sie auf die Schultern, das lose Seil im Rücken lassend. DER FÜNFTE BÜRGER tut einen Schritt beiseite. DER GEWAHLTE BÜRGER bückt sicb, rafft die loeren Scbube und das Kleid auf, gebt weg und legt alles auf die Stufen nieder. JEAN DE VIENNE batte sicb bei der Ankunft des Fünften Burgers scbleunig bingewendet. Ibm steilten sicb einige Gewahlte Bürger entgegen und bedeuteten ibn heftig. Jetzt sie abweisend. — Ich sehe ihn. Er ist es, der in der Halle zuerst zu Eustache de Saint-Pierre trat. Er schritt seinen Weg eilig. Nun kommt er früher an als der, den wir vor allen erwarten. Eustache de Saint-Pierre geht von seinem Haus gemachlich. Er kennt seine Zeit. Eustache de Saint-Pierre ist der nachste — der zweite auf dem Markté! — Er kebrt nacb recbts zurück. Wieder berrsebt tiefe Stille. Pon links der ballende Gang hart'wie zuvor. Dasselb» Ziscbeln lauft um den Markt: Der Zweitel — und verstummt. DER DRITTE BÜRGER erreiebt ohne Auf enthalt den Fünften Bürger und stettt ticb nacb einem flücbtigen Bliek nacb ibm neben. EIN GEWAHLTER BÜRGER dient an ibm — und entfernt sicb. JEAN DE VIENNE auf seinem Platz verbarrend, staunend. Wer ist es? EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Der nach den beiden aufstand und aus den Reihen ging! JEAN DE VINNE Nach diesem — und wem? EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Nacb. ihrn — und nach Eustache de Saint-Pierre! JEAN DE VIENNE Eustache de Saint-Pierre —! — Seine Perwunderung von Heb scbüttelnd. Wer will die Hast oder die Weile eines ausmessen, der zu diesem Gang aufbricht ? Einer dringt von seiner Schwelle und stürmt durch die StraBe — einer löscht noch das Licht aus und verschlieBt seine Tür. Die FüBe verrichten dies Werk nicht — sie leisten den mindesten Dienst. Wir sind in dem Wettspiel dieser Nacht verwint — wir erfahren die scharfste Lehre. Ich war nahe daran, einen Vorwurf zu erheben — jetzt fallt er schwer auf mich. Ich schame mich ihm entgegenzutreten, wenn er nach diesen kommt. Wir wollen vor Eustache de Saint-Pierre beiseite stehen! Er gebt rascb von recbts weg. Pon recbts dringt ein langsam tcblürfender Gang. Die Kipje links des Marktes sind vorgereckt. Rètbts scbwillt dat Raunen: — der Dritte! — und flutet nacb links. JEAN D'AIRE tritt aus der Gasse rechts, bilt inne und übersiebt den Markt. Dann nickt er, bricbt auf und gelangt zur Mine. Er blickt die beiden prüfend an — und macht sicb daran, sein Kleid von dem fleiscbarmen Körper zu lösen. EIN GEWAHLTER BÜRGER rüstet ihn mit Gewand und Strick aus und trSgt das bunte Kleid und Scbube weg EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER an Jean de Vienne herantretend. Dieser ist nicht Eustache de Siant-Pierre! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER zu anderen, Eustache de Saint»Pierre ist es noch nicht! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER zu Jean de Vienne. Er stieg vor den Brüdern Jacques de Wissant und Pierre de Wissant aus den Reihen! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER zu Jean de Vienne, Er ist der Alteste unter ihnen! JEAN DE VIENNE sebr lebhaft. Ist er nicht gebrechlich vor ihnen — vor Eustache de Saint-Pierre ? Schlürfen seine Schritte nicht müde durch die StraBe — führte ihn sein Gang nicht am Hause Eustache de Saint-Pierres vorüber? Schreitet einer mühselig wie dieser — überholte ihn nicht der letzte, der gleichen Weg mit ihm geht ? EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER zu anderen. Eustache de Saint-Pierre ist noch nicht aufgebrochen! VIELE GEWAHLTE BÜRGER unter einander. Eustache de Saint-Pierre ist noch nicht aufgebrochen! Diese Stimmen mischen sich mit dem Murmeln, das von links nacb recbts kreist: — Der Viertel Der Vierte Bürger kommt an und versammelt sicb — rascb über- zablend — den anderen in der Mine. Bei dem Gerauscbe, das die anbaltende Bewegung unter den Gewahlten Bürgern verursacbt, kleidet ihn ein Gewablter Bürger ein. EIN GEWAHLTER BÜRGER jast laut zu Jean de Vienne. Dieser kam als vierter in der of f enen Halle herunter! JEAN DE VIENNE ' stammelnd. Sind vier versammelt? — Ist Eustache de SaintPierre nicht unter ihnen? EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Eustache de Saint-Pierre fehlt noch bei ihnen! JEAN DE VIENNE Eustache de Saint-Pierre fehlt noch — — EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Zwei fehlen noch an sechs! MEHRERE GEWAHLTE BÜRGER dicht vor Jean de Vienne. Zwei fehlen noch zu sechs! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER zuversicbtlicb. Einer von ihnen wird Eustache de Pierre sein! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Eustache de Saint-Pierre will der letzte sein! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Jean de Vienne, er will den Schlüssel von dir nehmen: darum spart er mit seinen Kraften und will hier nicht lange stehen und mit den anderen noch warten! JEAN DE VIENNE auf gebracht. Rechnet ihr denn dunkel ? Blendet nicht auf euren Augen dieser fahle Strahl? — Wer ist noch übrig? Denkt aus — denkt aus! — Wo greift ihr dies Irrsal an — wie entwirrt ihr dies Knauel? Strickt es sich nicht enger — vergarnt es sich nicht wie ein Filz? Knotet daran — knotet daran! Wer soll nun ankommen? — Lockt ihr Eustache de Saint-Pierre? Stellt er sich zu diesen und ist der fünfte? — Der fünfte, der den Kreis erschüttert — der fünfte, der den Ring zersprengt — der fünfte, der Ab- brecbend, nocb erregter. Brechen Jacques de Wissant und Pierre de Wissant nicht von demselben Hause auf? Sind sie nicht Brüder? Langen sie nicht zusammen an ? — Stehen nicht sieben hier ? Ist der Ausgang nicht wie der Anfang — ein Anfang ohne Ende ? — StSrker, starker. Soll ich alle wieder schicken, um das Spiel zu wiederholen — um ihren furchtbaren Gang noch einmal zu tun ? Sollen wir ihre Leiber foltern — mit dem Wechsel und Wechsel der Kleider? Sollen wir ihre Sohlen stacheln — jetzt warm — nun bloB ? Sollen wir die Schlinge mal nach mal strangen und lockern ? Treibt nicht die Frist hin — lauert nicht schon der Henker ? Schwillt nicht das Licht — spatet sich nicht der Morgen ? Versaumen wir nicht die Rettung ? — — Stockend. Und zögert Eustache de Saint-Pierre und kommt nach allen an — der siebente! Eustache de Saint-Pierre, der alle anrief — der um alle warb! — der sich vor allen vermaB — kommt nicht. Die Arme über sicb toerfend. Denkt nicht aus — denkt nicht aus — ihr zerbrecht daran — an diesem und jenem —: verbietet es euch noch — in eurem Blut — in eurem Andere mit sicb nacb binten ziebend. Wir wollen nicht sinnen — wir sollen nicht suchen — wir sollen nicht lauschen nach einem müden Schritt — und nach einem doppelten — wir müssen stehen und sehen! Von neuem tritt laudose Stille ein. Harter doppelstarker Ganghlang von recbts. Kein Flüstem und Hinzeigen entstebt. Jacques de Wissant und Pierre de Wissant einander in enger Umscblingung verbunden kommen an. Ia derMitte balten sie ein — zahlen. Dann kussen sie sicb und stellen sicb an die Ecken recbts und links. ZWEI~GEWAHLTE BÜRGER dienen an ibnen. Das Licht trifft tiefer auf das Giebelfeld und entbüllt — nocb unscbarf — eine 'obere Figurengruppe. Dat Bürgervolk ist aus den Gassen nacbgedrungen und verscbliefit sie. Langsam und unaujhaltsam scbiebt es sicb von den Seiten veraarts und verengt um die Mitte — flutet die Stufen auf und vereinigt sicb. Ein dunkles Murmeln — befriedigt und bestimmend — tint davon: - Secbsl JEAN DE VIENNE aus mafilosem Erstaunen, Ist Eustache de Saint-Pierre taub f «Mit seinen Ohren vor der schrillen Glocke ? Mit seinen Gliedern lahm, die nicht bebten — von harten Schritten vor seiner Türï Erschütterte sich nicht die Stadt von diesem Gehen in ihren StraBen? Springt nicht unser Blut — dröhnt nicht unser Kopf? Klopft und saust die Luft nicht um uns — halten wir uns nicht mit Mühe auf recht? Stapft nicht jeder Schritt durch uns hin und reiBt uns mit — sechsmal hin und her — sechsmal tausend Schritte auf und ab ? — Rennen wir nicht den Wettlauf seit gestern — und rasten nicht — und hetzen die Jagd — mit FleiB und SchweiB — und kommen an — von den letzten Winkeln — von den Enden die letzten — vor der Zeit — mit der Zeit — jeder früh — jeder in jedem bereit — jeder mit jedem entblöBt — alle im Aufbruch : Eustache de Saint-Pierre kommt nicht?! EIN GEWAHLTER BÜRGER schreiend. Eustache de Saint-Pierre kommt nicht! ANDERE GEWAHLTE BÜRGER ebento. Eustache de Saint-Pierre kommt nicht! Der Schrei bedlt bin, Üm den Markt toird mit starkerer Entgegnung lauter — ven ien Stufen zeigen die Arme zur Mitte —: Secbsl Neue Stille. EIN GEWAHLTER BÜRGER aufier sicb, Eustache de Saint-Pierre hat den auBersten Betrug gespielt! — Überstürxt. Rief nicht einer von diesen in der Halle — und zieke nach dem übermachtigen Reich- rum, um den Eustache de Saint-Pierre sich sorgt! — Wer hat Speicher wie seine über dem Hafen? Wer seine Güter hoch unter Firsten ? Wer seine Frachten in vielen Lastschiffen ? — Lasterte der in der Halle — schalt er dreist ? — Dieser schmahte schwach — dieser maBigte sich milde! Was kannte er von List und List, mit der Eustache de Saint-Pierre dem Wurf auswich, der ihn zerschmettert ? — Trat er nicht auf und steilte sich hin — zuerst und bereit für Calais ? WuBte er nicht — was nützt einer? Sechs sind nötig — und wo sechs sich wagen, da übertreffen viele noch die Zahl! Sieben standen beisammen — einer zuviel! Wie glitt sein Witz aus der Gefahr — wie zog er aus diesem kleinsten ÜberfluB seinen Vorteil ? — Wer vergiBt noch die Geschichte des langen Tages gestern ? Wie hielt er alle bis an den Nachmittag hin ? Und wie versaumte er wieder die Entscheidung, die ihn bestimmen konnte zu sechs ? —- Tauschte er nicht dreist mit den Kugeln — und log plump mit den Losen ? Vermied er die Wahl nicht und schickte alle aus dem Saai — und verwie» sie auf den Morgen — und dieses Morgens Gang, mit dem er sich von ihnen schied — und vor dem Strang bewahrte — mit einem Witz ? Er ver- schlieBt sich in seinem Hause — und ist frei! Sind wir blind — dumm mit unserem Denken — durchschaute ein Kind nicht den Schwindel und lallt die feile Lösung? Jetzt sitzt Eustache de Saint-Pierre hinter seiner festen Tür und biegt die Schultern auf den Tisch und verlacht uns — die blöde glaubten und wie schielende Schaf e folgten' Von den Seiten und von den Stufen steigert sicb der Urm und scbtoillt nu kreiscbendem Schrei an: — Secbsl EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER nacb rechts vorne laufend. Stockt euch nicht der Hauch im Halse — füTlt euch nicht Blut bis in den Mund — erstickt euch nicht die Scham ? — Seid ihr Schwindler, die mit f alschem Gelde kaufen — die mit blechernen Münzen klirren und auf dem Handel bestehen ? Schüttelt ihr nicht den Betrug von euren Fingern und stampft ihn mit euren FüBen zum Kot ? — Wartet ihr hier auf den Aufbruch — fordert ihr die Schandung ? — Ist eins und jenes gleich bei euch — gilt der Verrat nichts mehr ? — Ekelt euch nicht eure Zunge, die schreit — brennt nicht euer Gaumen, der hallt ? — Sattigt ihr euch mit der Kost, die ihr stehlt — vewchlingt ihr Kraut und Dung wie Würmer am Boden ? — Seid ihr nicht müde mit eurer Begierde — mit euren Knien von der Hetzjagd in dieser Nacht durch StraBen und Gassen? Werdet ihr jetzt erst lüstern nach einem Spiel? Es ist euch verheiBen — es ist vorbereitet auf das letzte —: nun sucht über den Markt — nun spaht nach dem aus, der es erf and — ihr entdeckt ihn nicht — bei keinem Licht — bei keinem Dunkel! — Jetzt spaht und sucht, wo euer Recht ist, mit dem ihr nach der Erfüllung schreit! Ringsum hebt es an, balk sich und list sicb scbrOl: - Schicht stcbs binausll EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER nach vorne laufend. Ich will nicht Bürger in Calais sein, das aus diesem Betrug aufgebaut ist! — Ich will nicht als Hehler hinter seinen Mauern sitzen — ich will nicht scheu ïn den StraBen schleichen! Ich will nicht Wucher nut * diesem Verrat treiben — ich halte meine Hinde hoch von diesen Malen, die sie zeichnen — ich dulde nicht diesen Makel auf meinem Leibe! — Er siebt mit starr gereekten Armen ia. EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER tut diesem laufend, seinen Arm anfasseni und zur Tiefe aufrufend. Wer fordert die Schandung der sechs? Wer ladt einem von diesen den Schlüssel auf? Wer stöBt vor ihnen das Tor auf? Wer überliefert sie an diesem Morgen ? — Stark. Wer steht unter uns hier, der teil an diesem Betrage hat? Bei den Gewahlten Bürgern entstebt eine unrubige Bewegung: einige sind auf dem Wege nacb vorn — andere zögern binten. Drobend und starker von den Seiten: — Scbickt sechs binausl EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER lauu Calais fallt nicht —!! —In die verminder te Unruhe, eilig. Wir sind nicht heute am Ende unserer Krafte — nicht morgen! — Wir leiden keinen Hunger — es mangelt uns nichts! — Unsere Leiber tragen keine Wunden — wir bluten kraftig in unseren Adern — unsere Schultern sind fest — unsere Hande greifen hart um Lanzen — Schwert! — Wir stehen hinter den Mauern — wir füllen die StraBen — die Fahne Frankreichs flammt über der Stadt — der Hauptmann von Frankreich lenkt uns vor dem Hauptmann von Frankreich Er stockt. Tiefe Stille. EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER ausbrechend. Duguesclins ist aus der Stadt!! r* EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Eustache de Saint-Pierre hat den Hauptmann aus der Stadt geschickt! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Eustache de Saint-Pierre hat uns alle verraten! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Eustache de Saint-Pierre verbietet die Rettung der Stadt! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Eustache de Saint-Pierre hat von allem Anfang an den Verrat gesuchtü üm den Markt erbebt neb von neuem dat Geschrei: Scbickt secbs binausll EIN GEWAHLTER BÜRGER die Arme über sicb sebwingend. Wir holen Eustache de Saint-Pierre aus seinem Hause! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Wir zerren Eustache de Saint-Pierre von seinemTisch! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Wir stoBen Eustache de Saint-Pierre vor uns auf den Markt! Eine erste Gruppe der Gewahlten Bürger stürmt nacb recbts bin und wird von der dichten Menge auf gehalten. EIN GEWAHLTER BÜRGER nacb vorne. Eustache de Saint-Pierre soll allein büfien! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Wir binden Eustache de Saint-Pierre den Schlüssel auf den Rücken! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Eustache de Saint-Pierre soll den Schlüssel auf seinen Knien hinausschleppen! Ein netter Trupp dringt nacb recbts binten. EIN GEWAHLTER BÜRGER vorne. Eustache de Saint-Pierre soll auf dem offenen Markte gesehandet werden! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER Wir richten vor diesen Eustache de Saint-Pierre! EIN ANDERER GEWAHLTER BÜRGER aufreizend. Sucht Eustache dé Saint-Pierre! VIELE GEWAHLTE BÜRGER Sucht Eustache de Saint-Pierre!! Recbts binten dauert der Widerstand: jetzt gibt die Menge dem wuchtigen Sturme nacb, die Gewahlten Bürger dringen in die Gasse. Der Ruf scballt schar f: Eustache de Saint-Pierre// JEAN DE VIENNE stebt allein — ntüde, erscbüttert. Von den Seiten dringt das Bürgervolk nacb ibm — johlend: Schicke Sechs binausll In der Gasse bricbt der Lirm ab — langsam flutet die Schar der Gewahlten Bürger zurück — einander betroffen Zeieben gebend. Um den Markt legt tich der Aufrubr — die Vorgtdrungenen wticben auf die Seiten. JEAN DE VIENNE tritt bastig f ragend zu den Gewahlten Bürgern. Diese bedeuten ihn gegen die Tiefe der Gasse: sie stehen stumm wartend — mit dem Bürgervolk der rechten Seite die Gasse fast bis in die Mitte des Marktes verlangernd. Hall langsamsteh Scbreitens nabert sich: — die beiden erdgebundenen Krüppel tragen eine Babre, schwarz überbSngt. In kleinem Abstande folgt der Vater Eustache de Saint-Pierres — bagerer überalter Greis, kahlhauptig; ein dunner Bart zittert um das Gesicbt, das er auftoS.ru ricbtet nacb Blinder Art — ganz das Gefühl in das Tasten der Hande versammelt. Ein scblanker Knabe fübrt ihn um die Hüfu. Die Krüppel stellen in der Mitu die Babre auf den Boden. Die Gewahlten Bürger umdrdngen dicht die Sechs. DER VATER DES EUSTACHE DE SAINTPIERRE aus seinem unaufbörlicb geheim redenden Munde Worte fornitnd. Ich bin ein Becher — der überflieBt Von dem Knaben vor die Secbs geleitet. Stehen sie beisammen ? — Er streift des ersten Gewand und Seil. Grobes Kleid und glatter Strick einer! — Vor dem ndcbsten ebenso. Rauh und ge- rüstet — du! — Weiter. Du verschlossen in grober Haft—! —Forucbreiund. Du wie diese vorbereitet —! — Zu den beiden übrigen. Mehr — mehr — bei dir — der letzte! — Kopfnickend. Sechs, sagte er, sind übrig — sie warten auf dem Markt — die Stunde ihres Aufbruchs ist da — schaffe mich zu ihnen auf den Markt.. Sie müssen sich eilen, wenn sie mir folgen wollen — ich bin vorausgegangen! — Er wendet sicb um, sucht das Tucb über der Babre und streift es zur Seite. Mein Sohn! — Die Gewahlten Bürger beugen sicb über; von einigen bervorgestoflen: Eustache de Saint-Pierrtl DER VATER EUSTACHE DE SAINT-PIERRES ohne dessen zu achten. Mein Mund ist gefüllt — es flieBt von ihm aus Meine Rede ist geschwunden — verdringt von der AusgieBung dieser Nacht. Ich bin die Schelle, von einem Klóppel geschlagen. Ich bin der Baum, ein anderer das Sausen. Ich liege hingestreckt — der hier liegt, steht auf meinen Schultern und über euren Schultern übereinander! — An die Sechs gekebrt. Trifft euch die Stimme aus solcher Höhe — rieselt ihr heiBer Druck an euren Leibern — bloB in den Kutten ? Raffen sich eure haftenden Sohlen vom steinigen Boden und fliehen durch die Ose eurer Schlingen aufwarts? — Fühlt ihr noch Pein — und Dorn und Spitze einer Folter ? — Er bog sie stumpf — er heilte die Verletzung in eurem Fleisch vor dem Stich! Die Sechs stehen allein nabe der Babre. DER VATER EUSTACHE DE SAINT-PIERRES Ihr steht nahe bei ihm — er ist entrückt — und dicht wie keiner unter eüch. Ihr seid, wo er rastet — euch winkt er mit lockendem Finger. Ist es nicht leicht zu gehen, wohin einer anruft ? Blühen nicht die Ufer von einer VerheiBung? Er jauchzt sie aus — er zieht den letzten von euch in den Kahn. Sechs Ruder schaufeln — gerade furcht die Bahn: — das Ziel lenkt genauer als das Steuer. Nun wartet er auf euch — ihr kommt spater an! — Er ist euch vorausgeschritten — wer dreht das Gesicht noch zurück ? Wem schaut ihr nach — wer geht von euch — und nimmt die Helle mit sich — und überlaBt die andern dem Dunkel ? Wer streift das Licht von eurer Tat — und macht sie finster um euch? — Ihr tut sie vef&ïïllt und dumpf! Hielt er euch nicht wach vor dieser Tat, um würdig zu sein? Scheuchte er nicht den Schlaf von euren Lidern mit Mühe und Mühe ? Erfand er nicht Mittel und Mittel, mit dem er euch dicht und dicht schob? Hielt er euch nicht bis diesen Morgen hin? LieB er euch einmal dem tragen Schlummer verfallen ? Entzog er euch die kleinste Frist ? Wachte er nicht über euch ? Steht ihr jetzt nicht reif hier und seht mit klaren Augen eure Tat an ? —= — — Er atmet tief. Nun stieB er das letzte Tor vor euch auf. Nun hat er den Schatten von Grauen gelichtet, ihr wallt hindurch — stutzig mit keinem Schritt — tastend mit keinem FuB. Mit einer Flamme brennt um euch eure Tat. Kein Rauch verdüstert — keine Glut schwelt. Ihr dringt vor — heil umleuchtet und kühl bestrahit. Fieber hetzt euch nicht, Frost lahmt euch nicht. Ihr schüttelt frei eure Glieder in euren Gewandern. Der Abschied trennt euch nicht: — wer scheidet sich von euch ? Ist eure Zahl nicht rund und vollkommen eine Kugel, die ein Anfang ist und ein Ende ohne Unterscheidung ? Wer ist der erste — wer der siebente — wo peinigt Ungeduld — wo stachelt UngewiBheit ? Er schmolz sie zur runden Glatte — jetzt seid ihr eins und eng ohne Mal und Marke! — — Einen Arm bocb gegen sie erbebend. Sucht eure Tat — die Tat sucht euch: ihr seid berufen! — Das Tor ist offen — nun rollt die Woge eurer Tat hinaus. Tragt sie euch — tragt ihr sie ? Wer schreit mit seinem Namen — wer rafft den Ruhm an sich ? Wer ist Tater dieser neuen Tat ? Hauft ihr das Lob auf euch — wühlt diese Begierde in euch? Die neue Tat kennt euch nicht! — Die rollende Woge eurer Tat verschüttet euch. Wer seid ihr noch? Wo gleitet ihr mit euren Armen — Handen ? Die Welle hebt sich auf — von euch gestützt — auf euch gewölbt. Wer wirft sich über sie hinaus — und zerstört das glatte Rund ? Wer verwüstet das Werk ? Wer schleudert sich höher und wütet am Ganzen ? Wer scheidet Glied von Glied und stört in die Vollen dung? Wer erschüttert das Werk, das auf allen liegt ? Ist euer Finger mehr als die Hand, euer Schenkel mehr als der Leib ? — Der Leib sucht den Dienst aller Glieder — eines Leibes Hande schaffen euer Werk. Durch euch rollt euer Werk — ihr seid StraBe und Wanderer auf der StraBe. Eins und keins — im gröBten die kleinsten — im kleinsten die wichtigsten. Teil mit eurer Schwache an jedem — stark und machtig im Schwung der Vereinigung! — Seine Wme ballen über den Markt bin. Seberiscb belebt. Schreitet hinaus — in das Licht — aus dieser Nacht. Die hohe Helle ist angebrochen — das Dunkel ist verstreut. Von allem Tiefen schlieBt das siebenmal silberne Leuchten — der ungeheure Tag der Tage ist drauBen! — Eine Hand über die Babre streckend. Er kiindigte von ihm — und pries von ihm — und harrte mit frohem Übermute der Glocke, die zu einem Fest schwang dann hob er den Becher mit seinen sicheren Handen vom Tisch und trank an ruhigen Lippen den Saft, der ihn verbrannte. Er ziebt den Knaben dichter zu sicb. Ich komme aus dieser Nacht — und gehe in keine Nacht mehr. Meine Augen sind of f en — ich schlieBe sie nicht mehr. Meine blinden Augen sind gut, um es nicht mehr zu verlieren: — ich habe den neuen Menschen gesehen — in dieser Nacht ist er geboren! Was ist es noch schwer — hinzugehen ? Braust nicht schon neben mir der stoBende Strom der Ankomménden? Wogt nicht Gewühl, das wirkt — bei mir — über mich hinaus — wo ist ein Ende f Ins schaffende Gleiten bin ich gesetzt — lebe ich — schreite ich von heute und morgen — unermüdlich in allen — unverganglich in jjleu Er wendet sicb um, der Knabe fübrt ihn bebut- am nach recbts, die Schritle ballen lange in der Gasse. Zwei Gewahlte Bürger treten zu Jean ie Vienne, der sicb vor den anderen der Babre genabert ba'tte. Einer legt ibm die Hand auf die Scbulter; der andere zeigt bin, wie das wacbsende Licht nun fast die ganze Kircbentür erbellt. . JEAN DE VIENNE. siebt fragend nacb ibnen auf - dann rafft er sicb auf, aeist auf Eustache de Saint-Pierres Leicbe. Einer schritt vor euch hinaus — fallt es schwer auf einen von euch ihm zu folgen ? — Starker. Schwankt einer von euch — wenn'ich die Last des Schlüssels auf seine Hande lege? Die Secbs strecken die Arme nacb ibm aus. JEAN DE VIENNE dem Nacbsten den Schlüssel übergebend. Wer von euch ist der erste — der letzte ? Wer unter.scheidet zwischen 'euch ? Eines' Leibes Hande greifen — tragen! — Der Morgen ist heil — nun schicken wir sechs hinaus — der siebente liegt hier: — wir stehen bei diesem aus eurer Schar — wie unter euch an eurem Ziel! — vor diesem geduldig und still! — Er streift das Tucb ganz von der Babre. In der lautlosen Stille um den Markt brecben die Secbs auf — leis* klatschen dit nachten Soblen auf den Steinen. Die Geile links bat sicb vor ibnen weit geöffnet; aus ihr nübtrn ticb tcbneïl klirrende Schritt*. DER ENGLISCHE OFFIZIER punkend gttutttt, von einem Soldaten gefolgt — tritt den Secbt ent» ' gegen und bebt seinen Arm auf. Jean de Vienne — der König von England schickt an diesem Morgen! JEAN DE VIENNE ihm zurufend. Die Frist ist nicht versaumt: mit dem frühen Morgen sollen sechs aus den Gewahlten Bürgern von der Stadt aufbrechen und sich im Sande vor Calais überliefern. Wir stehen am frühen Morgen hier! DER ENGLISCHE OFFIZIER zu den Secbs. Verzögert den Aufbruch! — Zu Jean de Vienne trttend. , Der König von England schickt an diesem Morgen diese Botschaft in die Stadt Calais: — in dieser Nacht ist dem König von England im Lager vor Calais ein Sohn geboren. Der König von England will an diesem Morgen um des neuen Lebéns willen kein Leben vernichten. Calais und sein Hafen sind ohne BuBe von der Zerstörung gerettet! Tiefe* Schweigen berrscbt. DER ENGLISCHE OFFIZIER Der König von England will an diesem Morgen in einer Kirche danken. Jean de Vienne — öffne die Türen — die Gloeken sollen lauten vor dem König von England! Aus der Gasse links dringt ein Strem engliscber Soldaten — prachtig gepanzert, an den Lanzen Fabnenstreifen; sie bilden rascb eine Gast*, dit über den Markt die Stufen auf nacb der Kircbentür mündtt. JEAN DE VIENNE ricbut sicb auf. Sein Bliek scbteeift nacb den Secbs, die inmitten der Gasse sicb ibm genahert baben. Hebt diesen auf und stellt ihn innen auf die höchste Stufe nieder: — der König von England soll — wenn er vor dem Altar betet — vor seinem Überwinder knien! Die Secbs beben die Babre auf und tragen Eustache de Saint-Pierre auf ibren steil gestreckten Armen — bocb über den Lanzen — über die Stufen in die wei te Pforte, 'aus der Tuben dröbnen. Gloeken rauscben ohne Pause aus der Luft. Das Bürgervolk stebt stumm. Aus der Nahe scbarfe Trompeten. DER ENGLISCHE OFFIZIER Der König von England! JEAN DE VIENNE UND DIE GEWAHLTEN BÜRGER stehen erwartend. Das Licht flutet auf dem Giebeljeld über der Tür: in seinem unteren Teil stellt sicb eine Niederlegung dar; der schmale Körper des Gerichte ten liegt scblaff auf den Tücbern — secbs stebewgebeugt an seinem Lager. — Der obere Teil zeigt die Erbebung des Getöteten: er stebt frei und beschwerdelos in der Luft — die Köpfe von secbs sind mit erstaunter Drebung nacb ibm gewende t. ENDE. WERKE VON GEORG KAISER DIE JÜDISCHE WITWE Biblische Komödie in fünf Akten KÖNIG HAHNREI Drama in fünf Akten DIE BÜRGER VON CALAIS Bühnenspiel in drei Akten EUROPA Spiel und Tanz in fünf Aufzügen VON MORGENS BIS MITTERNACHTS Stück in zwei Teilen DIE SORINA Komödie in drei Akten DIE VERSUCHUNG Tragödie in fünf Akten DIE KORALLE Schauspiel in fünf Akten Druck dar Spamaraeben Boehdfoskarai ia Laiptig