BÖRNE UND HEINE ALS POLITISCHE SCHRIFTSTELLER G. RAS BORNE UND HEINE ALS POLITISCHE SCHRIFTSTELLER BÖRNE UND HEINE ALS POLITISCHE SCHRIFTSTELLER ACADEMISCH PROEFSCHRIFT TER VERKRIJGING VAN DEN GRAAD VAN DOCTOR IN DE LETTEREN EN WIJSBEGEERTE AAN DE UNIVERSITEIT VAN AMSTERDAM, OP GEZAG VAN DEN RECTOR* MAGNIFICUS Dr. H. BRUGMANS, HOOGLEERAAR IN DE FACULTEIT DER LETTEREN EN WIJSBEGEERTE, IN HET OPENBAAR TE VERDEDIGEN IN DE AULA DER UNIVERSITEIT OP VRIJDAG 10 DECEMBER 1926 TE 4 UUR PRECIES DOOR GERARD RAS GEBOREN TE UTRECHT BIJ J. B. WOLTERS' U. M. - GRONINGEN, DEN HAAG, 1926 BOEKDRUKKERIJ VAN J. B. WOLTERS AAN MIJN VROUW Bij het voltooien van dit proefschrift voel ik mij in de allereerste plaats gedrongen U, Hooggeleerde Scholte, mijn dank te betuigen voor hetgeen ik aan U verschuldigd ben. Terwijl ik bij de bewerking van mijn proefschrift steeds op Uw hulp mocht rekenen, hebt Gij mij daarbij toch een zoo groote mate van vrijheid gelaten, dat ik er prijs op stel mijn waardeering daarover uit te spreken. Maar niet alleen daarvoor heb ik U te danken. Het feit, dat Gij, ofschoon ik niet tot Uw leerlingen behoorde, mij gedurende een lange reeks van jaren zoo vaak, door opwekking en voorhchting, van Uw belangstelling deed blijken, stemt mij tot groote erkentelijkheid jegens U. Met gevoelens van eerbied en dankbaarheid gedenk ik mijn overleden leermeester Frantzen. Zijn colleges in de jaren 1904—1910 hebben op mijn vorming een overwegenden invloed uitgeoefend, zoodat ik het steeds als een voorrecht zal blijven beschouwen mij tot zijn leerlingen te mogen rekenen. In dankbare herinnering blijft mij ook de steun, dien ik nog in latere jaren van hem mocht ondervinden. Hochverehrter Enders! Es ist mir eine höchst angenehme Pflicht Ihnen meinen Dank auszusprechen sowohl für das lebhafte Interesse, das Sie meiner Arbeit entgegengebracht haben, wie für die Durchsicht der Korrekturbogen. UnvergeBlich bleibt mir das freundUche persönliche Entgegenkommen, das Sie mir wahrend meines Aufenthalts in Bonn und auch spater in jeder Hinsicht erwiesen haben. IN HALT Seite I. Deutschland warirend der Restauration ........ 1 II. Deutschland und die Juhrevolution .......... 39 III. Börne und Heine in Paris .............. 49 IV. Börnes poUtisch-literarische Tatigkeit (1830—1837) ... 71 V. Heines pohüsch-hterarische Tatigkeit (1830—1840) ... 106 VI. Börne und Heine als politische Charaktere 142 Literaturverzeichnis 179 BERICHTIGUNG Seite 9, Zeile 19: trat die Idee statt traten die Ideen. Seite 63, „ 14: erschienenen statt erschienen. I. DEUTSCHLAND WAHREND DER RESTAURATION Wer die verwandten und gegensatzlichen Tendenzen in der politischen Publizistik Börnes und Heines im dritten Dezennium des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand seiner Untersuchung machen möchte, der wird erst dann an sein eigentliches Thema herantreten können, wenn er die Frage beantwortet hat, welche die Voraussetzungen für die politisch-literarische Tatigkeit Börnes und Heines gewesen sind, das heifit also, welche Elemente des politischen öffentlichen Lebens in Deutschland von 1816—1830 für die Folgezeit von entscheidender Bedeutung gewesen sind. Eine Beantwortung dieser Frage ware an und für sich schon notwendig, um uns die Wirkung der Julirevolution auf die Generation von 1830 im allgemeinen und auf Börne und Heine insbesondere verstandlich zu machen, sie wird es aber erst recht, wenn man sich nicht darauf beschranken will, die politische Tatigkeit Börnes und Heines, ihre persönlichen Erfolge und Enttauschungen, ihre Eintracht und Zwietracht zu schildern, sondern wenn man auch versuchen möchte den Platz zu bestimmen, den ein jeder von innen in der Geschichte des politischen Denkens des deutschen Volkes einnimmt. Es dürfte sich dabei heraussteüen, daB, ebenso wie die politischen Lyriker von 1840—1848 nur zu verstenen sind als die Radikalisierung des als zu belletristisch empfundenen „Jungen Deutschland", sich auch die Epoche von 1830—1840, die Zeit der vormarzlichen Publizisten, begrifflich nur erfassen lafit aus der Tatsache, daB sie noch fast ganz in dem ideologischen Bann des vorangegangenen Zeitalters befangen liegt. Es sei uns daher gestattet, der Behandlung unseres eigentlichen Themas in orientierendem Sinne einen Ueberblick über die Entwicklung des politischen Lebens in Deutschland wahrend der Restauration voranzuschicken. * # * 2 „Lassen Sie uns gemeinschaftlich die Morgenröte einer schönern Zeit begrüBen, worin der bisher nach auBen gerissene Geist in sich zurückkehren und zu sich selbst zu kommen vermag, und für sein eigentümliches Reich Raum und Boden gewinnen kann, wo die Gemüter über die Interessen des Tages sich erheben und für das Wahre, Ewige und Göttliche empfanglich sind, empfanglich, das Höchste zu betrachten und zu erfassen" 1). Es ist kein Geringerer als Hegel, der sich am 28. Oktober 1816 bei der Eröffnung seiner Vorlesungen in Heidelberg mit diesen Worten an die deutsche Jugend wandte, an jene Jugend, die, noch machtig ergriffen von dem gewaltigen Erlebnis der Freiheitskriege, erst seit kurzem in die Hörsale zurückgekehrt war. In ahnlicher Weise hatte einst, nachdem die Stürme der franZösischen Revolution über Europa gebraust waren, Schiller die Flucht aus der Wirklichkeit in das Reich des schonen Scheins gepredigt, als er in seiner Einleitung zu den „Horen" den Zeitgenossen zurief: „Je mehr das beschrankte Interesse der Gegenwart die Gemüter in Spannung setzt, einengt und unterjocht, desto dringender wird das Bedürfnis, durch ein allgemeines und höheres Interesse an dem, was rein menschlich und über allen EinfluB der Zeiten erhaben ist, sie wieder in Freiheit zu setzen und die politisch geteilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen". Hier wie dort die bewuBte Abwendung von der Wirklichkeit, wie sie überhaupt für die idealistische Geisteskultur der klassischromantischen Epoche bezeichnend ist, hier wie dort die Antithese zwischen der Realitat und der Idee, zwischen dem absolutistischfeudalen Staat und dem asthetisch-philosophischen Staat. Aber obgleich gerade dieser Widerspruch das geistige Leben der Folgezeit noch auf Jahrzehnte hinaus kennzeichnen sollte, so ist die Jugend von 1815 zu stark unter dem Eindruck der groBen Wirklichkeit, die sie auf den Schlachtfeldern von Leipzig und Waterloo erlebt hatte, als daB sie geneigt gewesen ware auf die politischen Ideale zu verzichten, die gerade aus jener Wirklichkeit aufgeblüht waren. *) Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, herausgegeben von Michelet, Berlin, 1833, I 5. 3 Diese Jugend, die aufgewachsen war in den Tagen der Fremdherrschaft, kannte nicht den Indifferentismus einer altera Generation in bezug auf das öffentliche Leben und seine Probleme. Die Sehnsucht nach politischer Freiheit war in ihr erwacht, wenn auch dieses Freiheitsbedürfnis sich zunachst nur in ihrem HaB gegen Napoleon aussprach, der für die Freiheitskampfer zum Symbol der Unfreiheit geworden war. Man hatte sich daher mit ungestümer Begeisterung an den Freiheitskriegen beteiligt, wodurch als erstes Ziel die Befreiung von der Fremdherrschaft erstrebt wurde, als ferneres aber die Begründung der deutschen Einheit erschien, da königliche Versprechungen auch die Hoffnung erweckt hatten, daB durch die Gewahrung einer Verfassung, die „aus dem ureigensten Geiste des deutschen Volkes heraustreten sollte", das politische Leben sich in freiheitlichem Sinne werde entwickeln können. Als aber der Sieg über Napoleon erkampft worden war, zeigte es sich immer deutlicher, daB die positiven Resultate der sogenannten Freiheitskriege jede Aussicht auf eine Verwirklichung der von der Jugend zwar noch unklar empfundenen, aber desto leidenschaftlicher gehegten Ideale von deutscher Einheit und Freiheit ünmöglich machten. Auf dem Wiener KongreB wird das „ancien régime" wieder neu befestigt, indem die Staatsgewalt den erblich berechtigten, absoluten Fürsten zurückgegeben wurde, die bald wieder überall herrschen ohne Verfassung, ohne jede wirkliche Reprasentatiwersammlung. Die Prinzipien der Diplomatie des 18. Jahrhunderts sollten nach wie vor die europaische und nationale Politik bestimmen, das heifit: die Gebietsverteilungen wurden vorgenommen, ohne die Einwohner der betreffenden Lander zu befragen, ohne ihre nationalen Wünsche oder ihre wirtschaftlichen Interessen zu berücksichtigen. Die Diplomaten regieren als die Reprasentanten der Fürstenhauser, nicht der Völker. Am 8. Juni 1815 erklarten auf Veranlassung von österreich und PreuBen die souveranen deutschen Fürsten und Stadte ihren Zusammentritt zu einem ewigen Bund, welcher „Teutscher Bund" heifien sollte. Nicht der deutsche Einheitsstaat kam zu stande, wie ihn 4 die Freiheitskampfer sich 'an ihren Lagerfeuern ertraumt hatten, sondern es wurde ein Staatenbund von 39 souveranen Staaten geschaffen. Noch viele Jahre spater richtet Heine sein „J'accuse" gegen die Fürsten, welche die Bundesakte schufen: „Ich erhebe gegen die Verfertiger dieser Urkunde meine Anklage und klage sie an des gemiBbrauchten Volksvertrauens, ich klage sie an der beleidigten Volksmajestat, ich klage sie an des Hochverrats am deutschen Volke,x) ich klage sie an!" Der Bund hatte nur ein Organ, den Bundestag in Frankfurt am Main, die unter dem Vorsitz des österreichischen Delegierten standig tagende Konferenz der Bevollmachtigten aller Regierungen. DaB dieser ganze Organismus nichts anderes war, als eine schwerfallig gehende Maschine in den Handen dér absolutistischen Fürsten, geht am besten daraus hervor, daB nach der Bundesakte für das Zustandekommen eines Gesetzes eine vollkommene Stimmeneinheit verlangt wurde. Durch die geforderte Einhelligkeit war es von vornherein ausgeschlossen, daB der Bundestag je zu einem wirklichen Vertretungskörper der verschiedenen Bevölkerungsschichten ausgebaut werden könnte. In einem Zeitalter, wo der Parlamentarismus in England und Frankreich im Bewufitsein der Massen schon zu einer notwendigen Lebensbedingung des Staates geworden war, sollte das deutsche Volk noch auf Jahrzehnte hinaus seinen ganzen politischen Jammer gleichsam in diesem absolutistischen Apparat verkörpert finden. Die auswartige Politik des „Deutschen Bundes" lag in der Hand der „Heiligen Allianz", wozu sich im September 1815 auf Veranlassung des Zaren die Monarchen von Oesterreich und PreuBen mit ihm vereinigten, und der spater fast alle christlichen Staaten Europas auBer England und dem Papst beitraten. Die Mitglieder der Heiligen Allianz verpflichteten sich im Interesse der allgemeinen Ruhe Europas zusammenzustehen für den Fall, daB die revolutioneren Prinzipien noch einmal die Ruhe in Europa bedrohen sollten. Die legitimen Monarchen sollten im Bunde mit der Kirche die *) Vbrrede zu den „Französischen Zustanden" (Heines Werke, ed. Walzel VI 91). 5 Welt im Geiste eines patriarchalischen Chrötentums regieren. Die Mystik dieser politischen Romantik sollte die Freiheitskampfer trosten, die in der Blüte der Jugend zu den Fahnen geströmt waren um sich die Wiedergeburt Deutschlands im Sinne des alten Imperiums deutscher Nation zu erkampfen. „Das ganze Deutschland soll es sein", sang Arndt, aber der alte, kleinstaatliche Jammer war wieder auf gelebt, und aus dem Kriege um Freiheit und Einheit war schlieBlich ein Krieg geworden um die Wiederherstellung der alten feudalen Machte, die sich jetzt in der „Heiligen Allianz" und in dem „Honen Bundestag" ihre Organisationen geschaffen hatten um auf jedem Gebiete die Anfange der modernen bürgerlichen Gesellschaft unterdrücken zu können. Die Traume der Freiheitskampfer zerprallten an der harten Wirk-' lichkeit des absolutistisch-feudalen Staates. Und wenn jetzt, wenige Tage nach der dritten Wiederkehr des Namenstages der Völkerschlacht bei Leipzig, Hegel in der von uns im Eingang zitierten Ansprache die jungen Vertreter der deutschen Intelligenz auffordert sich nicht langer mit der Sache der politischen Freiheit oder Unfreiheit zu beschaftigen, sich vielmehr von der Wirklichkeit abzuwenden um die wahre Befreiung im Reiche des Geistes zu erleben, dann spricht er gewiB nicht aus, was jene deutsche Jugend empfand, die auch „eine Morgenröte begrüBt" hatte, aber eine ganz andere als die, auf welche Hegel sie hinwies. Nicht Hegel, sondern Uhland hat in jenen Tagen ausgesprochen, was da lebte in den Herzen der Jugend, die ihre Illusionen zerstört, ihre Hoffnungen vernichtet sah. Uhland, der am 18. Oktober 1816 den deutschen Fürsten und ihren Raten zurief: „Wenn heut' ein Geist herniederstiege, Zugleich ein Sanger und ein Held, Ein soldier, der im heü'gen Kriege Gefallen auf dem Siegesfeld, Der sange wohl auf deutscher Erde Ein scharfes Lied, wie Schwertesstreich, Nicht so, wie ich es künden werde, Nein, himmelskraftig, donnergleich," 6 , machte sich damit zum Sprachrohr des deutschen Volkes, das, um die Früchte seiner Siege betrogen, die trübe Wirklichkeit nur zu schmerzlich empfand. Es stand dem Volke aber noch Schlimmeres bevor. Das „ancien régime" erlebte seine fröhliche Auferstehung. Dank der Hilfe der englischen Tories und des russischen Zaren hatte der Feudalismus gesiegt. Noch einmal ging er einer Periode erneuter Kraftentfaltung entgegen. Auf die Wiederherstellung und Befestigung der alten Machtverhaltnisse, insoweit diese von der französischen Revolution und Napoleon erschüttert worden waren, wurde allenthalben hinge- arbeitet, man darf sagen: die Restauration wurde systematisch ausx- gebaut. In dem Weltbild vor 1789 erblickten Manner wie Metternich und Gent? ihr sozialpolitisch.es Ideal, das zu verwirklichen sie als ihre Aufgabe betrachteten. Es ist das Bezeichnende, einer jeden Reaktionsepoche, dafi die Machthaber dem neuen Lebensgefühl, das sich durchzusetzen versucht, verstandnislos und feindselig gegenüber stehen, es liegt aber zugleich in diesem Zurückgreifen auf alte untergegangene Lebensformen ein utopistisches Element. Wir glauben, daB die Verfechter der Reaktion als nach rückwarts gerichtete Utopisten zu betrachten sind, indem sie ihr Ideal in die Vergangenheit projizieren und den naiven Glauben hegen, eine vorübergegangene historische Phase lieBe sich noch einmal erleben. Solche nach rückwarts gerichtete Utopisten waren im vormarzlichen Deutschland nicht nur die Macht-, haber, sondern auch die vielen Freiheitskampfer, die in romantischer Verherrlichung des mittelalterlichen Imperiums deutscher Nation sich nur zu gern hineintraumten in jene Glanzzeit deutschen Wesens, und die sich eben deshalb kein anderes Staatengebilde zu denken vermochten, als das wiedererrichtete alte Kaiserreich. Aber kein Barbarossa sollte dem Kyffhauser entsteigen. Es bestand nicht die geringste Aussicht darauf, daB die Blütentraume der Befreiungszeit ihre Verwirklichung finden würden. Zwar hatte der absolutistische Fürstenstaat in der Not die Romantik zu Hilfe gerufen, aber der Kaiser von Oesterreich dachte jetzt nicht 7 im entferntestcn an die Gründung eines deutschen Kaiserreiches, in dem der König von PreuBen ebenso machtig gewesen ware wie er selbst. Er hielt es für vorteilhafter auf diplomatischem Wege die Entwicklung des politischen Lebens in den deutschen Staaten in reaktjonarem Sinne zu beeinflussen. Auf der anderen Seite verspürten auch die deutschen Fürsten nicht die geringste Lust sich einer Zentralgewalt zu unterwerfen, so daB nicht einmal von der Gründung eines Föderativstaates die Rede sein konnte. So schien es, als ob für Deutschland und Oesterreich das Prinzip des aufgeklarten Despotismus: „Alles für das Volk, nichts durch das Volk", wiederum seine unbedingte Gültigkeit erlangt hatte. Und dennoch hatte auch hier die Gegenbewegung bereits eingesetzt. Auch in Deutschland hatte man den Wellenschlag der groBen welterschütternden Ereignisse verspürt. Der Geist der Kritik war wach geworden, die alten Werte wurden baldangezweifelt, dann angegriffen. Die groBen Umwalzungen, die in Europa in den Jahren 1787—1815 stattgefunden, hatten die geistige Einstellung des deutschen Bürgertums stark beeinfluBt: die französische Revolution und die Befreiungskriege sind die beiden Momente, die der Opposition wahrend der Restaurationsepoche ihr Geprage verleihen. GewiB war aus den Befreiungskriegen die vertiefte Anschauung von dem kulturellen und historischen Zusammenhang des deutschen Volkes hervorgegangen, eine Erkenntnis, die in der Idee der deutschen Einheit zum Ausdruck kam. Die Gebietsverteüungen in Wien, die ohne jede Berücksichtigung der nationalen Wünsche vorgenommen worden waren, starkten gleichfalls dieses so machtig erwachte NationalbewuJ3tsein. So erhielt die Opposition in den ersten Jahren ' nach den Befreiungskriegen ein stark romantisch-nationales Geprage. Sie enthalt aber noch ein anderes Element, und zwar die Idee, welche sich in den oppositionellen Bestrebungen der Jahre 1830—1848 immer lebhafter geltend gemacht hat: die Idee der Freiheit im Sinne der französischen Revolution von 1789. GewiB war die Jugend von 8 1815 nichts weniger als revolutionar, dazu lebte in ihr noch zu sehr die Ehrfurcht des Menschen aus dem 18. Jahrhundert vor der Autoritat auf jedem Lebensgebiet, aber dennoch hatte vom Jahre 1789 an der groBartige Emanzipationskampf des französischen Bürgertums auch auf die bedeutendsten Geister in Deutschland einen machtigen Eindruck gemacht. Wir denken dabei nicht so sehr an die anfangliche Begeisterung für die französische Revolution bei Mannern wie Wieland, Schiller, Knebel und anderen, als vielmehr an den bleibenden EinfluB, den die Postulierung eines antifeudalen Prinzips auf die Geister ausüben mufite, indem der Einzelne dadurch angeregt wurde an der bestehenden politischen und sozialen Ordnung Kritik zu üben. Hatte das englische Bürgertum im 17. Jahrhundert, das französische im 18. Jahrhundert seine politische Freiheit erkampft, so durfte das deutsche Bürgertum in dieser Zeit die Freiheit nur in den gedanklichen Konstruktionen seiner Philosophie und Dichtung erleben. Jetzt aber begnügte man sich auch in Deutschland nicht mehr damit, diese Freiheit nur in der Idee zu genieBen: die ersten Anzeichen sind da, daB auch das deutsche Bürgertum den Kampf für seine politische \ Befreiung kampfen wird. Zwar beschranken sich die direkten Wirkungen der französischen Revolution in Deutschland zunachst eigentlich nur auf die gesetzlichen Bestimmungen Napoleons, welche nach 1815 sobald wie möglich wieder abgeschafft wurden, was speziell Börne und Heine in ihrem persönlichen Leben schmerzlich erfahren haben, aber es wurde dennoch vor und nach der französischen Revolution in Deutschland in breiten Kreisen anders gedacht und gefühlt. Dem deutschen Bürgertum war ein politisches Ideal vorgezaubert, wenn es auch sehr unklar erfaBt wurde. Das klassische Humanitatsideal war immer nur geistiges Eigentum einer Schar von Auserlesenen gewesen, es war kritisch für die feudale Welt ohne Bedeutung geblieben. Die Ideen der französischen Revolution haben aber auf die breite Masse des deutschen Bürgertums, und namentlich in den Rheinlanden, aus denen auch Börne und Heine stammten, im Sinne einer politischen Aufklarung geistig befreiend gewirkt, wie vor allem die politische Schriftstellerei des Coblenzer Görres und die dadurch erregte Stimmung zeigt. Obwohl die eigentliche 9 Wirkung der französischen Revolution in Europa wohl in dem Emporstieg des Bürgertums als einer politischen und gesellschaftlichen Macht besteht, so beschrankte sich für Deutschland diese Wirkung in den Jahren 1815—1848 zunachst darauf, daB eine neue Sehnsucht erwacht war, eine Sehnsucht nach der Gründung eines liberalen Staates, in dem die Wertbestimmung des Menschen nicht langer von seiner sozialen Stellung abhangig sein sollte. Im Geiste sieht man bereits die Kastenverhaltnisse beseitigt, die sozialen und nationalen Schranken durchbrochen. Das damals revolutionare Prinzip der freien Konkurrenz wird zum Schibboleth nicht nur des wirtschaftlichen, sondern auch des persönlichen Lebens. In dem Sinne hat man mit Recht die französische Revolution eine kritische Arbeit genannt, sie war es auch für das Bürgertum im vormarzlichen Deutschland, weil der einzelne aus dem sozialen und politischen Indifferentismus aufgerüttelt und der Bann der feudalen Anschauungen gebrochen wurde. Nicht als ob er sich nun angeschickt hatte mit der gleichen Leidenschaft wie das französische Bürgertum die Bastillen seiner eigenen Unterdrückung herunterzureiBen, aber zu der Idee der deutschen Einheit traten die Ideen der Freiheit, und es entsteht etwas, was bis dahin in dem unpolitischen Deutschland unbekannt gewesen war: eine öffentliche Meinung. Es bildet sich der Resonanzboden für die politische Publizistik eines Börne und Heine. Das deutsche Bürgertum hatte, wenn auch zunachst ganz unklar über die Ziele und Auf gaben des Kampfes, seinen Emanzipationskampf angefangen. Es bleibt seine Tragik, daB es diesen Kampf anfing mit den sogenannten Freiheitskriegen, in denen es auf der Seite der alten feudalen Machte gegen seine geistigen Befreier kampfte. Bald aber sollte die Zeit kommen, in der man nicht mehr mit HaB, sondern mit Bewunderung die Blicke nach Frankreich richtete, der Morgen sollte dammern, an dem man gerade aus Frankreich, aus Paris, die Nachricht seiner eigenen, nahen Befreiung zu vernehmen glaubte. Wohl selten oder nie hat ein Volk aus so geringer Schulung heraus den Kampf um seine politische Befreiung angefangen, wie das deutsche Volk in den Jahren 1815—1830. In einer Zeit, wo das englische und französische Bürgertum langst an dem Ausbau des modernen kapita- 10 listischen Staates arbeitete, herrscht in Deutschland im oppositionellen Lager noch völlige Unklarheit über den einzuschlagenden Weg. Man verlegt sein politisches Ideal in das romantisch geschaute Mittelalter, man schwarmt mit Uhland für „das gute alte Recht", aber daneben ist doch auch, indem man wieder anknüpfte an die Ideen der französischen Revolution, die Sehnsucht nach einem liberalen Regiment erwacht. Im Anfang der Bewegung lassen die oppositionellen Bestrebungen sich nicht auf eine bestimmte Formel bringen, die Vertreter der „Opposition" holen die geistigen Waffen keineswegs aus derselben Rüstkammer: mit anderen Worten, ihre Weltanschauung, ihre politische Einstellung ist so verschieden, daB sie, wie Heine dies ausdrückt, zwar eine Zeit lang „in demselben Lagerzelt schliefen", auf die Dauer aber zwangslaufig in einander feindlich gesinnte Lager gelangen muBten. Èinstweilen bildete die Burschenschaft, wie sie 1815 in Jena begründet wurde, die enthusiastische Verbindung all der oben erwahnten Oppositionselemente, der romantischen wie der modern-hberalen, wodurch es möglich war, daB sogar Manner wie Heine und Menzel langere Zeit als Gltichgesinnte lebten, daB Börne sich, ebenso wie Laube, Gutzkow, Wienbarg, für die burschenschaftlichen Ideale begeisterte und mit Görres, Welcker und Arndt in regelmaBigem Verkehr stand. Einst hatte die Jugend von 1770, die Stürmer und Dranger, sich aus der armlichen Wirklichkeit auf die Bretter geflüchtet, die ihnen die Welt bedeuten sollten, jetzt machte die Jugend von 1815, der jede Betatigung im wirkh'chen Leben unmöglich gemacht wurde, die Burschenschaft zum Schauplatz ihrer politischen Tatigkeit, denn nur dort konnte sie in ihrer romantisch zugestutzten Deutschtümelei schwelgen, nur dort durfte sie sich an der Kühnheit ihrer politischen Abstraktionen begeistern. Wie unklar und verworren diese Jugendbewegung auch sein mochte, so war sie in den Augen Metternichs immer noch gefahrlich genug. Es sollte sich denn auch bald zeigen, mit welchem HaB diese romantischen Verkünder der deutsch-völkischen Sehnsucht und ihre schwarz-rot-goldnen Farben verfolgt wurden. 11 Als die Jugend beim Wartburgfest vom 18. Oktober 1817 in überschwenglicher Stimmung die Symbole der alten Zeit verbrannte, bot dieser Vorgang den Regierungen den langst erwünschten AnlaB energisch gegen die Burschenschaften vorzugehen. Kriminaluntersuchungen wurden eingeleitet, die Zensur wurde im ganzen Lande eingeführt, denn, so schrieb Friedrich von Gents, die rechte Hand Metternichs, am 28. August 1818 aus Karlsbad: „Wir sind vöUig überzeugt, daB unter allen Uebeln, die heute Deutschland verheeren, selbst die Lizenz der Presse nicht ausgenommen, dieser Burschenunfug das gröBte, dringendste und drohendste ist" Wo der Druck von oben zu stark ist, entsteht eine Explosionsgefahr, und werden Exzesse unvermeidlich: Am 23. Marz 1819 wird Kotzebue, der Berater des Zaren, durch den jungen Karl Ludwig Sand erdolcht. Auf Metternichs Veranlassung begann nun allenthalben die Verfolgung der „Demagogen". Verhaftungen und Haussuchungen waren an der Tagesordnung. Metternich wuBte die Regierungen zu einer gemeinschaftlichen Aktion gegen die „Demagogen" zu veranlassen. Die Judenverfolgungen im Sommer 1819, wobei der Pöbel allerlei Exzesse verübte, boten einen willkommnen AnlaB diese „revolutioneren Umtriebe" aufs kraftigste zu bekampfen. Durch die Karlsbader Beschlüsse vom August 1819, die auf die Entwickelung des politischen Lebens im Vormarz einen so verhangnisvollen EinfluB ausüben sollten, wurden zunachst die Universitaten, jene „Giftquelle der Freiheit", wie der preuBische Gesandte Bernstorff sie nannte, unter Kuratel gestellt. In Mainz wurde eine „Zentraluntersuchungskommission" gegen revolutionare Umtriebe und demagogische Verbindungen eingesetzt. In Bezug auf die Presse wurde das Gesetz erlassen, das durch die Einführung der Vorzensur den Charakter der vormarzkchen Publizistik wesentlich bestimmen sollte: „Solange als der gegenwartige BeschluB in Kraft bleiben wird, dürfen Schriften, die in der Form taglicher Blatter oder heft- l) Vgl. Paul Joachimsen, Die nationale Bewegung von 1815—1849, Teubner o. J., S. 13. 12 weise erscheinen, desgleichen solche, die nicht über zwanzig Bogen im Drucke stark sind, in keinem deutschen Bundesstaate ohne Vorwissen und vorgangige Genehmhaltung der Landesbehörden zum Druck befördert werden" Die Wiener SchluBakte von 1820 enthielt nur eine Verscharfung dieser Karlsbader Beschlüsse, insoweit der Bund das Recht erhielt in die innere Politik der Einzelstaaten einzugreifen, indem bestimmt wurde, daB keine landstandischen Verfassungen zulassig waren, welche den autokratischen Willen des Souverans behindern könnten. Infolge der Karlsbader Beschlüsse wurden die Burschenschaften am 26. November 1819 offiziell aufgelöst und ihre Farben verboten. Das Band ist zerschnitten, War schwarz, rot und gold, Und Gott hat es gelitten, Wer weiB, was er gewollt. Das Haus mag zerfallen, Was hat's denn für Not? Der Geist lebt in uns allen; Und unsre Burg ist Gott. So sangen die Burschenschafter mit den Worten ihres August von Binzer. Gerade diese Geisteskinder des unpolitischen klassischen und romantischen Zeitalters, denen nichts vorzuwerfen ist als daB sie sich, unter völliger Verkennung der realen Machtfaktoren, an ihren verworrenen Traumbildern berauscht hatten, gerade sie wurden die wehrlose Beute der legitimistischen Reaktion. Noch im Jahre 1862 schreibt Arnold Ruge, der spatere Begründer der Hallischen Jahrbücher: „Wenn ich daran denke, welch ein Zustand vollkommer Rechtslosigkeit von unserer Seite und ungezügelter Wülkür von Seiten der Gewalthaber herrschte, welchen wahnsinnigen Phantasien kopfloser Politiker ein so vernünftiges und ehrenwertes Streben, wie das unsrige, das mit den besten Interessen ') Gustav Lambeck, 1815—1861 (Quellensammlung, Teubner) o. J., S. 4. 13 des Vaterlandes und des Staates, in dem wir lebten, so entschieden in Einklang stand, aufgeopfert ward, so steigt mir noch jetzt das Blut vor Zorn in die Brast" Die „Demagogen" wurden durch ganz Deutschland verfolgt. Die Gefangrüsse füllten sich; bald war, wie Ruge, der selber fünfzehn Jahre Festung erhielt, mit Bitterkeit bemerkte, die Einheit Deutschlands wenigstens soweit erreicht, daB Deutsche aus allen Gauen in den Zuchthausern vereinigt waren. So haben die Karlsbader Beschlüsse, die ursprünglich den Titel erhielten: provisorische Bestimmungen auf die Dauer von 5 Jahren, in der Tat aber bis 1848 in Kraft blieben, maBloses Elend über das Volk gebracht. Manner aus allen Standen und Berufen, Parlamentarier und Gelehrte, Studenten und Journalisten wurden zu einem freiwüligen oder unfreiwilligen Exil gezwungen oder in Untersuchungshaft gehalten, auch wohl zum Tode verurteilt und schlieBlich zu langjahriger Festungshaft begnadigt. Es ist in Deutschland keine Stadt, Kein Dörflein, dessen stille Hut, Nicht einen alten Kirchhof hat, Darin ein Freiheitsmart'rer ruht. * * * Die Restauration hatte gesiegt. Es schien, als ob die Ideenkomplexe der französischen Revolution und der Befreiungskriege für die künftige Gestaltung des politischen Lebens keine weitere Bedeutung haben sollten, denn entweder saBen die Trager dieser neuen Ideen auf den Festungen, oder sie lebten irgendwo im Exil. Es schien, als ob jede oppositionelle Bewegung endgiltig unterdrückt, dagegen der feudale Polizeistaat wieder aufs 7 neue begründet, alles Bestehende erhalten, alles Verlorene wiedergewonnen ware. Ja, es könnte sogar den Anschein haben, als ob das deutsche Bürgertum sich nicht nur mit der gegebenen politischen *) Arnold Ruge, Aus früherer Zeit, Berlin, 1862, II 168. 14 Situation abgefunden hatte, sondern sich sogar nut einer gewissen Behagüchkeit zurücktraumte in die Welt des schonen, dichterischen Scheins. Nach den gewaltigen Erschütterungen des letzten Menschenalters machte sich ein starkes Bedürfnis nach Ruhe fühlbar, stille Jahre fangen an, und, wo dem Bürger jede Anteilnahme an dem politischen Leben versagt ist, erlebt das asthetische Bildungsideal des 18. Jahrhunderts mit seiner Kultur der Einzelpersönlichkeit*) noch einmal eine schwache Nachblüte. Trotz der Dürftigkeit des materiellen Daseins lebt der Biedermeier ein eignes, behagliches und beschauliches Leben in seinen vier Pfahlen, und Grillparzer spricht vielleicht am besten den Geist dieser Epoche aus, wenn Rustan in: „Der Traum ein Leben" ausruft: „Breit'es aus mit deinen Strahlen, Senk'es tief in jede Brast; Eines ist nur Glück hienieden, Eins: des Innern stiller Frieden Und die schuldbefreite Brast! Und die GröBe ist gefahrlich, Und der Ruhm ein leeres Spiel; Was er gibt, sind nicht'ge Schatten, Was er nimmt, es ist so viel!" Diese Weltflucht hatte unbedingt ihre Schattenseiten. „Wo der Kreis allgemeiner Ideen verringert und der geschichtliche Sinn zusammengedrangt ist auf jenen hauslichen Punkt, wo unsere liebste Ehehalfte strickt" *), entsteht einerseits die Gefahr, daB das Familienleben einen ausgepragt philiströsen Anstrich bekommt, was in der Welt des deutschen Kleinstadters tatsachlich der Fall war, *) anderer- x) Karl Möckel, Der Gedanke der Menschheitsentwicklung im Jungen Deutschland, Leipzig, 1916, S. 8. 2) H. Marggraff, Deutschlands jüngste Literatur- und Kulturepoche, Leipzig, 1839, S. 176. ») Vgl. dazus Eühard Erich Pauls, Der Beginn der bürgerlichen Zeit, Lübeck, 1924, S. 11—61. 15 scits aber sucht der unterdrückte Betatigungsdrang einen Ausweg, ein Ventil für die aufgestaute Energie. So sehen wir, daB die Gebildeten in einer Leidenschaft für das Theater, in einem Kult von berühmten Sangerinnen und Tanzerinnen, — (wir denken hier an die Sonntag und die Taglioni), — eine Art Érsatz für die Tatsache finden, daB sie auf der Weltbühne, im politischen Leben, gar keine Rolle spielen durften. Es ist gerade Börne, der 1827 im Stuttgarter „Morgenblatt" in einer Besprechung *) von Henriette Sonntags Auftreten in Frankfurt diesen Theaterkuit, über den man alle höheren Menschheitsinteressen vergaB, verspottet hat. Er erzahlt uns am SchluB der 1829 entstandenen Vorrede2) zu den „Dramaturgischen Blattern": „Vorigen Sommer im Bade, als mich mein Barbier zum ersten Male unter seinem Messer hatte, brachte mir der Kellner einen Brief; jener schielte nach der Adresse, und gleich fühlte ich das Blut an meinem Gesichte herabrieseln. „Gott, Gott!" — sprach der Mensen — „Sie haben den schonen Aufsatz von der Sonntag geschrieben? Wir haben uns bald buckelig darüber gelacht". Vor Überraschung und aus reiner Hochachtung hatte er mir einen Schnitt gegeben. Ware ich gar der Vater der groBen Sonntag gewesen und die Adresse hatte es ihm entdeckt, ich lebte nicht mehr, er hatte mir aus Ehrfurcht den Hals abgeschnitten. Geht nun, geht! Ergötzt die Barbierer und die Barbierten und macht mir Ruhm!" So verhöhnte Börne die Torheiten der Zeit, den übertriebenen Theaterenthusiasmus, die krankhafte Schwarmerei für Schauspieler und Sangerinnen, und wir fühlen deutlich heraus, daB Börne keineswegs mit seinen Kritiken als Asthetiker Ruhm ernten wül, daB es sich bei ihm um etwas ganz anderes handelt: Börne macht seine Kritik des Theaters zu einer Kritik des Publikums und in dem Publikum kritisiert er die Zeit und die Zeitverhaltnisse, und er tut es in einer solchen Weise, daB sogar Friedrich von Gentz diese Theaterkritiken als „das Geistreichste, Witzigste was je geschrieben wurde seit Lessing" Dramaturgische Blatter L X, (Börnes Werke, ed. Klaar, II 392). ») Ebenda, S. 225, vgl. aber auch „Briefe aus Paris" (Börnes Werke, ed. Klaar VI, 59). 16 empfahl. Unter den Augen des Frankfurter Bundestages hatte der ehemalige Polizeiaktuar Ludwig Börne seine Rezensententatigkeit angefangen. In der im Jahre 1818 von ihm begründeten Monatsschrift „Die Wage" veröffentlichte er die Theaterkritiken, die ihm zu einer Vorschule geworden sind für seine ausgesprochene politische Publizistik der 30*r Jahre. Das Interesse der Masse richtete sich also auf das Theater. Das Interesse Börnes richtete sich stets auf die Masse. Zu ihr wollte er sprechen, deshalb sprach er vom Theater, es wurde ihm zu einem Politikon. In einer Zeit, wo die Machthaber das Theater begünstigten, weil es ihnen als ein geeignetes Mittel erschien die Masse vom politischen Leben abzulenken, wo also versucht wurde die Kunst vom Leben zu trennen, will er, der gerade dadurch zum Wegbereiter des „Jungen Deutschland" werden sollte, durch die Kunst das Leben beeinflussen. „Ich sah im Schauspiele das Spiegelbild des Lebens, und wenn mir das Bild nicht gefiel, schlug ich, und wenn es mich anwiderte, zerschlug ich den Spiegel" 1). Börne benutzt seine Rezensionen dazu, im Anschlufi an seine kritische Würdigung des Stücks und der Aufführung, Beziehungen Zu dem wirklichen Leben zu suchen. „Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten!", mit diesen Schillerschen Worten schhefit er die bereits erwahnte Besprechung der Sangerin Henriette Sonntag. Er versucht immer wieder den Bliek seiner Landsleute über die Kulissen hin auf das wirkliche Leben zu richten, er geifielt ihren Mangel an revolutionarer Gesinnung, er versucht sie aufzurütteln aus ihrem Indifferentismus, indem er die politische Rückstandigheit des Bürgertums grell beleuchtet. Die Theaterkritik wird zur Kritik der Zeit. Vorlaufig aber findet seine Zeitkritik wenig Anklang, eme öffentliche Meinung, die sich erst in den Jahren der Freiheitskriege schwach entwickelt hatte, war gewaltsam unterdrückt. Der Biedermeier gab sich zufrieden. „Es kam alles, wie es kommen muBte", es schien sogar, als ob alle Schlachten vergebens geschlagen, als ob die junge x) Vorrede zu den „Dramaturgischen Blattern" (Börnes Werke, ed. Klaar VI 217). 17 oppositioncllc Bewegung unter der Wucht der Reaktion vollstandig zusammengebrochen ware, aber, so sagte Börne 1818 in der Ankündigung seiner „Wage"1): „Gefahrlich ist nur das unterdrückte Wort, das verachtete racht sich, das ausgesprochene ist nie vergebens. Es ist Tauschung oder Schwachsinn, zu wannen, die Rede sei ja fruchtlos gewesen. Was die öffentliche Meinung ernst fordert, versagt ihr keiner; was ihr abgeschlagen worden, das hatte sie nur mit Gleichgültigkeit verlangt." Börne sollte Recht bekommen, denn auch für die Welt Metternichs sollte sich das schone Wort von Lingg behaupten: „Welchen Gedanken die Zeit Einmal erkoren, Der ist gefeit und beschworen, und wird ewig wiedergeboren, Trotz allem Widerstreit." Nur scheinbar waren die groBen, aus der französischen Revolution überkommenen Ideen des bürgerlichen Idealismus unter der Wucht des neuerstandenen Feudalismus verschüttet, nur scheinbar auch war die von der ganzen Opposition ausgestreute Saat niedergetreten. Es gab eine Gewalt, machtiger als die derxGewalthaber: die fortschreitende wirtschaftliche Entwicklung und die aus ihr hervorgehenden sozialen und politischen Konsequenzen. In den folgenden Jahrzehnten sollten nicht mehr die Klange des Posthorns, sondern das Pfeifen der Lokomotiven das Lebenstempo markieren, ganz aUmahlich sollte der Agrarstaat sich in den Industriestaat verwandeln. Diese neue Gewalt zwang auch das deutsche Bürgertum zuguterletzt den Kampf um seine politische Bef reiung auf zunehmen. * * * Als Börne im Jahre 1821 seine berühmte „Monographie der deutschen Postschnecke", jene treffende Satire auf die schwerfallige Fortbewegung l) Börnes Werke, ed. Klaar, I 82. 2 18 des deutschen politischen Lebens schrieb, suchte er, wie immer, den Grund dieser Rückstandigkeit nur in dem Mangel an Tatkraft, an Opfermut beim deutschen Volke. Es war, ja, es konnte ihm, der noch nicht realpolitisch, sondern nur ideologisch zu denken pflegte, nicht deutlich sein, daB der wahre Grund der politischen „Unfertigkeit" *) der deutschen Bourgeoisie in ihrer wirtschaftlichen Rückstandigkeit zu suchen war. Das kapitalistische Bürgertum war als Klasse noch nicht vorhanden. Es gab im allgemeinen drei Klassen: den Adel, einen Mittelstand ohne feste Grenzen, der einerseits den geistigen Vortrupp der Nation, andererseits die unteren Beamten, Handelsleute und Fabrikanten umfaBte, und das Volk. Das Volk bestand aus der Masse der Handwerker, der Landbevölkerung und endlich dem Proletariat, das sich als Klasse erst zwischen 1820 und 1840 zu bilden beginnt, und zwar in demselben MaBe, wie das Unternehmertum sich in Deutschland entwickelt. Noch nicht einmal ein Drittel dieser Bevölkerung lebte in den Stadten, in denen die rückstandigen Arbeitsmethoden des zünftigen Handwerks noch allgemeine Anwendung fanden. In einer Zeit, da in England nach der Aufhebung der Kontinentalsperre die seit dem letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts erwachsene Grofiindustrie einen riesenhaften Aufschwung nimmt, ist die Produktionsweise der deutschen Zünfte fast ausschliefilich auf den Ortsverbrauch eingestellt; eine Erhöhung der Leistungsfahigkeit wird keineswegs erstrebt. Das in urvaterlicher Weise betriebene Handwerk, ganz eingeschlossen im Banne des Herkommens und der Kleinstadterei, steht trotz der aUmahlich eingeführten Gewerbefreiheit im Jahre 1830 technisch auf derselben Stufe wie im Jahre 1800 *). Aber auch in Deutschland zeigten sich die Anfange einer kapitalistischen Produktionsweise, auch hier lafit sich allmahlich eine wirtschaftliche Entwickelung nachweisen, wodurch das industrielle Bürgertum sozial und pohtisch immer mehr erstarken sollte, wodurch zwangslaufig auch ein industrielles Proletariat entstehen sollte, wenn es auch ') Das Wort wird in dieser Bedeutung von Werner Sombart gebraucht (Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Iht. Berlin 1910, S. 445). *) Franz Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, Stuttgart 1913,146-61. 19 Zunachst noch keine deuthchen Klassenmerkmale aufwies. Es wird sich zeigen, daB bei diesem allmahlichen Übergang vom Agrarstaat zum Industriestaat sich auch „leise die Umrisse künftiger politischer Parteien nachweisen lassen" *), es wird sich ebenfalls noch zeigen, daB auch die politische Einstellung eines Börne und Heine, ihre Fehler, ihre Schwachen, ihre Hoffnungen und Enttauschungen, gerade durch diese Uebergangswirtschaft wesenthch bedingt wird. Die deutsche Bourgeoisie im Vormarz stond noch mit einem FuB in der Feudalwirtschaft, mit dem anderen im Handwerk; das eben gibt ihrem pohtischen Auftreten jenes Geprage der Unfertigkeit, von dem Sombart spricht2). Es ist aber wohl kein Zufall, daB gerade in den rheinischen Landern I das modern-industrielle Leben am kraftigsten aufgeblüht war. Die liberalen Errungenschaften der französischen Revolution hatten ' speziell auf das rheinische Land eingewirkt. Auf dem linken Rheinufer, wo auch die Heimat Börnes und Heines lag, war der Rechtsstaat nach dem Muster der französischen Verfassung durchgeführt8). Es ist also gewiB nicht ohne Belang, daB Börne und Heine wahrend der I französischen Herrschaft bis 1814 die auch für die Juden gekende ' Rechtsgleichheit gekannt haben. Noch wichtiger aber ist es, daB auch die rheinische Industrie stark gefördert wurde; hier waren die Bande des Zunftwesens also gesprengt, hier hatte die Tuch-, Seiden- und Leinenindustrie bereits einen groBen Aufschwung genommen, hier zeichneten sich scharfer, bestimmter als in den andren Teilen Deutschlands, die Linien der künftigen sozialen Entwickelung ab, denn mit dem Emporwachsen der rheinischen Industrie entsteht auch das industrielle Proletariat. In vielen Fallen wurden der ehemalige Handwerker und dessen Kinder zu Lohnarbeitern, die schwer an den demoralisierenden Folgen der Fabrikarbeit zu tragen hatten. Im Jahre 1828 machte der preuBische Generalleutnant von Horn den König darauf aufmerksam, daB das rheinische Gebiet nicht mehr «j Karl Lamprecht, Deutsche Geschichte, Berlin, 1907, X 3. S. 410. ») a. a. O. S. 446. s) Oscar Stillich, Die politischen Parteien in Deutschland, II Der Liberahsmus, Leipzig, 1911, S. 214. 20 imstande sei, das entsprechende Truppenkontingent zu stellen, so stark sei die Bevölkerung durch die Fabrikarbeit entartet1). In jeder Biographie Heines kann man über dessen Jugendeindrücke am Rheine lesen, daB die Rheinromantik, die sagenumwobenen Burgen, die Pracht der Kirchen und Prozessionen für ihn von ganz besonderer Bedeutung gewesen sind. Wir denken nicht im entferntesten daran, diese Tatsache zu bezweifeln, für die Entwickelung des romantischen Naturells des Dichters sind j ene asthetischen Momente natürlich von eminenter Bedeutung gewesen. In Heine lebt aber auch, neben seiner romantischen Veranlagung, wahrscheinlich als ein Erbe seiner Mutter, ein ausgepragter Sinn für die Realitat der Dinge, die Fahigkeit, das Wirklichkeitsbild nüchtern zu erfassen und es schonungslos zu zergliedern. So ist es wohl nicht zu kühn, wenn wir behaupten, daB es für die spatere Entwickelung einer solchen Persönlichkeit keineswegs gleichgültig sein kann, ob sie aufgewachsen ist in irgend einem wirtschaftlich-rückstandigen Krahwinkel oder in einem Mittelpunkt des rheinischen Industriegebietes, in einer Gegend, wo das Heraufkommen einer neuen Zeit sich zunachst manifestierte in sozialen Uebelstanden, die als Begleiterscheinungen des kapitalistischen Unternehmertums auftraten. Es ist also ein folgenschweres Faktum, daB der Mann, der in den 30er Jahren als Bewunderer des Saint-Simonismus, als politischer Publizist auftreten sollte, der schon immer ein lebhaftes Interesse für die sozialen Probleme bekundete, die mit der Entstehung der Industrie und des Proletariats zusammenhangen, ebenso wie der soviel altere Börne, seine Jugendjahre in dem Teile von Deutschland erlebt hat, wo nicht nur die bürgerlich-freiheitliche Tradition am kraftigsten, sondern wo auch das Tempo der wirtschaftlichen Entwickelung am starksten war. In wirtschaftlicher Hinsicht war, wie wir gesehen haben, die Zeit zwiespaltig, denn eine alte Welt sank erst ganz allmahlich ins Grab, eine neue kündigte sich mit Geburtswehen an. Zwiespaltig war auch der Dichter, „um dessen Wiege die Mondlichter des achtzehnten und l) P. Mombert, Soziale und wirtschaftspolitische Anschauungen in Deutschland, Leipzig, 1919, S. 30. 21 das erste Morgenrot des neunzehnten Jahrhunderts spieken", und der sich spater berufen fühlen sollte, seine eigne Zeit zu deuten, seine Zeit, an deren innern Widersprüchen das eigne Wesen krankte. # # * Die Anzeichen waren also da, daB eine wirtschafdiche Entwickelung eingesetzt hatte, die allmahlich die alten Verhaltnisse zerstören sollte. Unter dem EinfluB der starken wirtschaftlichen Depression wurde das Bedürfnis immer machtiger, ein gröBeres Absatzgebiet als das eigne Territorium zu gewinnen. Der Gedanke, zur Erreichung dieses Zieles ein einheitliches deutsches Zollsystem zu schaffen, beschaftigte schon im Jahre 1816 einen Kreis von Unternehmern, die sich auf der Leipziger Messe trafen und im Jahre 1819 gründet der Tübinger Professor Friedrich List einen Handelsverein in der Absicht, einen allgemeinen deutschen Zollverband zu verwirklichen. Die staathche Zerrissenheit war schuld daran, daB Lists Bestrebungen erst im Jahre 1834 in der Gründung des deutschen Zollvereins einen gewissen AbschluB fanden. Als 1836 die erste Zollvereinskonferenz stattfand, erscholl auf ihr bereits der vielseitige Ruf nach Herbeiführung einheitlicher deutscher Gesetze für Handel und Wandel. So bewirkte die Entstehung der allgemeinen deutschen Volkswirtschaft, daB für die neuen Verhaltnisse auch neue Gesetze und Regelungen geschaffen werden sollten, so hatten auch die höhern Aufgaben des wirtschafdichen Lebens notwendigerweise ein Erstarken des politischen Interesses zur Folge. Die höhern Aufgaben des wirtschaftlichen Lebens richteten den Bliek des Einzelnen weit über die eigne Stadtmauer, und die notwendige Folge war, daB sich ihm auch bei der Betrachtung der öffentlichen Verhaltnisse eine weitere Perspektive eröffnete, das Allgemeine tritt mehr in den Vordergrund, das politische Interesse erstarkt, es dringt allmahlich die Erkenntnis durch, daB der Absolutismus und die Kleinstaaterei einer Lösung der neuwirtschaftlichen und sozialen Probleme im Wege stehen. ») Vgl. dazu: Karl Lamprecht, Deutsche Geschichte, Bd. 10, IIL 3.S.426—428. 22 Und tatsachlich war auch gerade in den industriell am weitesten fortgeschrittenen Rheinstaaten das politische Leben am kraftigsten. Dieses Moment im Zusammenhang mit den Nachwirkungen der französischen Herrschaft am linken Rheinufer und in den sonstigen ehemaligen Rheinbundstaaten gab dort dem vormarzhchen Liberalismus die starksten Impulse, und gerade aus diesen Gegenden sind auch die bedeutendsten politisch-literarischen Schriftsteller dieser Epoche: Görres, Börne und Heine, hervorgegangen. Zu einer Zeit, wo sich im übrigen Deutschland noch keine Spur liberaler Einrichtungen fand, war auf dem linksrheinischen Gebiete der Rechtsstaat nach dem Muster der französischen Verfassung durchgeführt. In der Zeit von 1795—1802 hatte auf dem ganzen linken Rheinufer der Adel und der höhere Klerus durch Einführung der französischen Gesetzgebung ihre Vorrechte verloren, und durch die im Jahre 1805 erfolgte Gründung des Rheinbundes war der französische EinfluB in West- und Süddeutschland noch bedeutend vergröBert. Der Rheinbund bedeutete also keineswegs ein „Zeitalter tiefster Erniedrigung", er war durch die Einführung des bürgerlichen Rechtsstaates und die Entwickelung der rheinischen Industrie vielmehr ein Segen. Zwar hatte die Reaktion samtliche französische liberale MaBnahmen wieder rückgangig gemacht, aber die Nachwirkung der französischen Gesetzgebung war doch machtig genug um die süddeutschen Fürsten zur Verleihung von Verfassungen zu bestimmenx). Klein-Hattingen hat wohl recht, wenn er in seiner „Geschichte des deutschen Liberalismus" *), die Bemerkung macht: „Wahrheit ist: Napoleon der Erste war zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts der unvorsatzliche Wegbahner des deutschen Liberalismus." Obwohl es nur die süddeutschen Staaten waren, die Staaten, in denen der EinfluB Frankreichs nachwirkte, die eine reprasentative Verfassung erhielten (Bayern und Baden 1818, Württemberg 1819 und HessenDarmstadt 1820), so war die Bedeutung dieses kleinstaatlichen Liberalismus dennoch nicht so gering, wie man gemeinhin anzunehmen pflegt. Die Opposition, die bei der gegebenen Lage nicht die geringste *) Ch. Seignobos, Politische Geschichte des modernen Europa, Leipzig 1910, S. 347. ') Band I. S. 76 (Berlin, 1911). 23 Möglichkeit hatte sich zu betatigen, fand auf der Rednerbühne der süddeutschen Kammern eine Plattform, von der sie ihre Ideen verbreiten konnte. Der süddeutsche Liberalismus wird zu einer verhaltnismaBig starken Gegenbewegung gegen PreuBen und österreich, wo jede Verfassung verweigert wurde. In dem Sinne hat dieser süddeutsche Liberalismus, trotzdem ihm ein Zug von ausgesprochenem Partikularismus anhaftet, für die politische Aufklarung der Deutschen seine ganz besondere Bedeutung gehabt. Vergleicht man weiter die Oppositionsbestrebungen, soweit diese in der Burschenschaft zu Tage traten, mit dem süddeutschen Liberalismus, so bedeutet das Auftreten des letztern trotz seines kindUchen Glaubens an die Allgewalt einer Verfassung einen wesentlichen Fortschritt, denn die in der Burschenschaft noch vereinigten romantischen und liberalen Tendenzen sind jetzt ganz auseinandergetreten, ja, werden immer mehr als zwei entgegensetzte Lebensprinzipien aufgefaBt. Als das eigentliche Mutterland dieses kleinstaatlichen Liberalismus ist Baden anzusehen, seinen popularsten Vertreter fand er in Karl Rotteck, dem engern Gesinnungsgenossen Börnes. Sowohl durch seine 1827 beendete Weltgescbichte wie durch sein seit 1834 erscheinendes Staatslexikon hat dieser Freiburger Professor der Geschichte, des Naturrechts und der Staatswissenschaft auf Jahrzehnte das politische Denken des deutschen Volkes im Sinne einer liberalen Aufklarung beeinfluBt, und das sogar in dem MaBe, daB die Bedeutung seines Werkes sich wohl mit der der französischen Enzyklopadie vergleichen laBtx). Dieser Liberalismus, der sich jetzt als politische Opposition betatigen kann, hat aber noch keineswegs ein scharf umgrenztes Programm. | Von Haus aus ein Kind der Aufklarung ist er in höchstem Grade ' unhistorisch in seiner Zielsetzung, in der Erfassung der politischen Möglichkeiten. Gedankliche Neuerungen kann er auch nicht aufweisen: das Naturrecht bildet die Grundlage für seine Weltanschauung; der x) Paul Joachimsen, Vom deutschen Volk zum deutschen Staat, Leipzig, 1916, S.75/76. 24 Staat entsteht in Rousseauschem Sinne durch Vertrag; das grofie Vorbild für samtliche süddeutsche Konstitutionen ist die französische „Charte" von 1814, welche Ludwig XVIII. dem französischen Volke verüehen hatte1). Es dürfte sich zeigen, dafi diese hier vorlaufig nur kurz angedeutete Einstellung des deutschen Liberalismus auch für eine richtige Beurteilung der politisch-literarischen Tatigkeit Börnes und Heines in den Jahren 1830—1837 von groBer Wichtigkeit ist. Wie man auch über den damaligen deutschen Liberalismus urteilen mag, es laBt sich nicht leugnen, daB mit ihm und durch ihn für eine freiheitlichere Entwicklung der Anfang gemacht wurde; nicht nur waren in den Verfassungskampfen gewisse Erfolge erzielt worden, eben die politischen Debatten in den süddeutschen Kammern hatten auch beim Bürgertum das Interesse für das öffenüiche Leben wieder geweckt. Bald sollte die Opposition gegen das Metternichsche System noch von einer Seite unterstützt werden, mit der das deutsche Bürgertum sonst sehr wenig sympathisierte, vom Judentum. In Frankreich hatte die groBe Revolution die Emanzipation der Juden proklamiert, und ihre Segnungen hatten auch die rheinischen Juden erfahren. Hatte nicht der kleine Judenjunge aus der BolkerstraBe in Düsseldorf eben deshalb Napoleon als eine Art Messias angeschaut, weil seit der Invasion vom Jahre 1794 am Rhein für die Juden, diese Parias der Gesellschaft, eine bessere Zeit angebrochen war? Und war es nicht den Franzosen auch wieder zu verdanken, daB, als Frankfurt am Main, die Stadt, in der noch in Börnes Jugendzeit die Juden abends in ihr Ghetto eingesperrt wurden, 1806 unter die Staaten des Fürst-Primas Karl von Dalberg einverleibt wurde, auch das Frankfurter Ghetto sich öffnete und das schmachvolle Judenstattigkeitsgesetz, das die erniedrigendsten Bestimmungen enthielt, aufgehoben wurde ? *) Als aber die alten Machthaber über Napoleon den Sieg davongetragen hatten, beeilten sie sich, auch das Judentum wieder in seine *) M. Stimming, Deutsche Verfassungsgeschichte vom Anfange des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Leipzig, 1920, S. 41. •) Adolph Kohut, Geschichte der deutschen Juden, Beltin, Deutscher Verlag, O.L, S.783. 25 Ghetti zurückzudrangen, und seine besten Vertreter fielen ihren Reaktionsgelüsten zum Opfer: Dr. Löw Baruch (Ludwig Börne) verlor 1816, als den Juden seiner Vaterstadt das Burgerrecht wieder genommen wurde, sein Amt als Polizeiaktuar der Stadt Frankfurtx); Heinrich Heine sah sich wie allen seinen Glaubensgenossen auf immer den Staatsdienst verschlossen. So ist es psychologisch sehr wohl zu verstenen, daB durch den Druck von oben aus der Mitte des jüdischen Volkes Vorkampfer für seine Emanzipatiön aufgestanden sind. Da aber zeigt es sich, daB diese Rufer im Streite, und wir denken hier an Börne und Heine, an Manner wie Johann Jacoby, Moses Hess und vor allem an Karl Marx und Ferdinand Lassalle nicht nur für die Gleichberechtigung ihres Stammes kampfen, sondern daB sie sich aUmahlich zu Vorkampfern für die allgemeine geistige und politische Freiheit auswachsen. Aus dem Kampf um die Emanzipatiön der Stammesbrüder wird ein Kampf um die Emanzipatiön einer Klasse, der geknechtete Jude wird zu einem Erzieher und Befreier. Nicht anders ist es mit Börne, der unter dem Eindruck der Judenverfolgungen schon im Sommer 1819 die Worte niederschrieb: „Das aufgeklarte Volk wird begreifen lernen, daB man es zum MiBbrauche der Freiheit verleitete, um sagen zu können, daB es keiner Freiheit würdig sei, und daB man es zum Gefangniswarter der Juden bestellt, weil die Gefangniswarter, wie die Gefangenen, den Kerker nicht verlassen dürfen. DaB eine Tür mehr den Ausgang versperre, eine weniger, das ist der Unterschied; unfrei sind sie beide" *). . . Gutzkow erinnert daran, daB der Juif de Franckfort, den die Pohzei Börne in den PaB geschrieben, ihn nach seiner eignen Aussage sehr gekrankt habe. Er hat sich geracht, aber „nicht an etwas, das er, um seinen Zorn zu kühlen, erfand, sondern an dem Zusammenhang jener tatsachlichen pohtischen Zustande, die es mit sich bringen, daB wir die Leibeignen unserer Herrscher und die Juden wieder die Leibeignen ») Vgl. dazu: 1. Börnes Pensionierung (Ludwig Geiger, Das Junge Deutschland, Berlin, o. J., S. 38 ff.) 2. „Der Roman" (Börnes Werke, ed. Klaar I. 91). 2) Börnes Werke, ed. Klaar, I. 218. 26 uns er er Herrschsucht sind. Als ihm die Dinge und Menschen klar wurden, fand er, daB dieser Juif de Franckfort nicht allein stand, sondern daB eine und dieselbe Kette, die den Juden in Abhangigkeit hielt, ihre Fortsetzung auch in die gröBten und kleinsten Kreise der christlichen Existenz hatte. Das Eine verschmolz ihm mit dem Andern; es führte alles zurück auf dieselbe Quelle" Der verfolgte Jude fordert also seine Verfolger zu einem gemeinsamen Kampf gegen jede Unterdrückung des Menschen durch den Menschen auf, die Solidaritat mit dem eignen Stamme erweitert sich zu einer Solidaritat mit der Menschheit. Recht hatte Börne ohne Zweifel, wenn er darauf hinwies, daB dem Judentum noch immer eine Tür mehr verschlossen sei als dem Bürgertum: die Juden standen ja sozusagen auBerhalb der Gesellschaft ihrer Zeit. Da war es ganz natürlich, daB die Reichbegabten unter innen, Börne, und spater auch Heine, sich vorzugsweise auf dem einzigen innen zuganglichen Gebiete des Journalismus und der Publizistik ein Betatigungsfeld suchten. Es ist für die Entwickelung der oppositionellen Literatur im Vormarz von eminenter Bedeutung gewesen, daB gerade die jüdischen Schriftsteller sich an der Entwickelung der damaligen Presse beteiligt haben. Sie waren ohne Zweifel die erbittertsten Gegner der Reaktion, weil sie den Druck von oben am schmerzlichsten empfanden. Sie hatten aber, trotz ihrer groBen Liebe zur Heimat, kein eigentliches Vaterland, und somit keine nationale Vergangenheit, sie waren traditionslos, und wie sehr dies auch einerseits bedauernswert sein mochte, so bedeutete es andererseits eine groBe Empfanglichkeit, eine starke Aufnahmefahigkeit für neue Ideenkomplexe, es hatte zur Folge, daB sie unbeschwert von nationalen Traditionen in der Literatur und Publizistik die Internationale vertraten. Diese neuen europaischen Ideen fanden sie in der französischen Presse und Literatur, und da sie ohnehin eine starke Vorliebe für das Land hatten, das zuerst ihre bürgerliche Gleichberechtigung proklamiert hatte, wurden sie zu Tragern der französischen Ideen ihrer Zeit. *) Gutzkow, Börnes Leben (Gutzkows Ges. Werke, Jena, o. ƒ., S. 233). 27 Unter ihrem EinfluB ist die Presse schon in der Biedermeierzeit zu einer Macht geworden, „der Einbruch des Judentums in die deutsche Literatur vollzog sich aller Enden" x). Zwar hatten schon in den ersten Jahren nach den Freiheitskriegen liberale Zeitungen Kritik geübt an der Bundesverfassung, wir denken da an Ludens „Nemesis", an Obens „Isis", die beide unter dem Schutze Karl Augusts von Weimar erscheinen konnten, wir denken auch an Görres „Rheinischen Merkur", der schon bald der Reaktion Zum Opfer fiel, im Verlauf der Zeit aber wird die Presse immer mehr zu einer Vertreterin der öffentlichen Meinung. Speziell das „Morgenblatt für die gebildeten Stande", sowie die „Augsburger Allgemeine Zeitung", die beide im Cottaschen Verlag erschienen, waren die Organe, in denen das, was das liberale Bürgertum empfand, am deutlichsten zum Ausdruck kam. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daB samtliche Zeitungen, dem Zeitgeist entsprechend, vorwiegend asthetisch orientiert waren. Erst nach dem Jahre 1830 tritt das PoHtische immer mehr in den Vordergrund. Eine Ausnahme macht hier Börnes 1818 erschienene Zeitschrift „Die Wage", die Görres, Rahel Varnhagen und den Geheimrat v. Willemer, den Gatten von Goethes Suleika, zu ihren Mitarbeitern rechnen durfte*). Als Börne um diese Zeit dën EntschluB faBte sich ganz und gar der Publizistik zu widmen, lieB er sich vorher taufen (5. Juni 1818). Er glaubte als Publizist erfolgreicher wirken zu können, wenn man ihm nicht immer vorwerfen könne, er greife die Reaktion nur an, weil er sich als Jude verletzt und erniedrigt fühle. Nach Gutzkow war ihm dieser Uebertritt keine Frage für sich, sondern sie hing ihm mit den Hoffnungen des ganzen deutschen Volkes, mit der Freiheit der Menschheit zusammen. Löw Baruch, der im Todesjahr Moses Mendelssohns (1786) geboren war, erhielt erst dann, bei seiner Taufe, den Namen Ludwig Börne. Spater hat er sich dahin geauBert, daB er „das Taufgeld bereue" 8), und so ist es ihm nicht anders ergangen, als Heine, der i) Eilhard Erich Pauls, Der Beginn der bürgerlichen Zeit, Lübeck, 1924, S. 196. s) H. H. Houben, Der gefesselte Biedermeier, Leipzig, 1924, S. 45. *) Graetz-Brann, Geschichte der Juden, Leipzig, 1900, S. 356. 28 erst vicle Jahre spater (1825), gleichfalls nicht lange vor seinem Uebergang in die Journalistik, einen ahnlichen Schritt tat, der aber auch erfahren sollte, daB er sich mit dem Taufzettel noch nicht das Entreebillet zur bürgerhchen Gesellschaft erkauft hatte. Jedenfalls glaubte Börne einstweilen durch seinen Uebertritt den Einwand zurückweisen zu können, das er als Jude, nicht als Publizist die öffentlichen Interessen besprache, denn seine „Wage" wollte sein „ein Tagebuch der Zeit", das „das bürgerliche Leben, die Wissenschaft und die Kunst, vorzüglich aber die heilige Einheit jener drei" *), besprechen solle. Trotzdem die Zeitschrift nur 800 Abonnenten aufzuweisen hatte, machte sie groBes Aufsehen2), was auch wohl aus einem sich im Archiv der Polizeihofstelle in Wien befindlichen Konfidentenbericht8), aus dem Jahre 1818 hervorgeht, in dem es heiBt: „Der Verfasser der „Wage" schreibt, ohne witzig zu sein, bloB um das Blatt zu füllen, beiBende und niemand schonende Kritiken. Es ware doch auffallend, wenn die Bundesversammlung die „Wage" nicht einstellen würde, denn Börne scheint der Nachhall der Liberalen in Frankreich zu sein oder wenigstens ihre liberalen Gesinnungen in Deutschland vertreten zu wollen". Die Mitarbeiter lieBen Börne allmahlich im Stiche, er selbst arbeitete langsam, und, obwohl die „Wage" (weil sie zunachst als Monatschrift erschien) von der Zensur bef reit war, so haben wahrscheinlich doch auch polizeihche Schikanen dazu beigetragen, daB die Zeitschrift Anfang 1821 eingegangen ist. Die letzten vier Hefte kamen nicht mehr in Frankfurt, sondern in dem freien Württemberg, und zwar in Tübingen, heraus *). Auch die Redaktion einer Frankfurter Tageszeitung, die Börne von Januar bis Juni 1819 übernommen hatte, wurde ihm durch die fast endlosen Scherereien mit dem Zensor verleidet. Meldete Börne. Z. B. in dieser „Zeitung aus der freien Stadt Frankfurt" aus Paris: *) „Ankündigung der Wage" (Börnes Werke, ed. Klaar I. 70). 2) Vgl. dazu: Ludw. Geiger, Die deutsche Literatur und die Juden, Berlin, 1910, S. 174. *) K. Glossy, Literarische Geheimberichte aus dem Vormarz, Wien, 1913, Anm. S. 5. *) H. H. Houben, Der gefesselte Biedermeier, S. 45. 29 „Das (französische) Ministerium, sagt man, ist gut, aber schwach", so strich der Zensor den Nachsatz, der Vordersatz durf te aber stehen bleiben *). Wegen Aufnahme eines Auf satzes über Oesterreich, worüber Börne kein Zensurblatt vorlegen konnte, wurde er „zu vierzehntagiger Einsperrung unter Gaunern, Bettlern und Dieben verurteilt"2), wahrend der Verleger den Befehl erhielt sobald wie möglich einen andern Redakteur zu ernennen. Börne übernahm jetzt die Redaktion der „Zeitschwingen", und in der Ankündigung zu der ersten von ihm besorgten Nummer hat er den Charakter der Restaurationsperiode wohl sehr scharf gezeichnet, wenn er sagt: „Die Zeitschwingen führten bis jetzt auch noch den Beinamen: des deutschen Volkes fliegende Blatter. Dieses Spottnamens geschieht künftig keine Erwahnung. Was ware denn am deutschen Volke das flöge ? Es war niemals f lügge, aber heftige Stürme hatten es einige Minuten in die Höhe geworfen. Die wenigen fliegenden Blatter, die es noch besitzt, werden taglich enger zusammengeheftet. Die schone schweinslederne Zeit der Foliobande kehrt mit starken Schritten zurück" 3). Das Interesse für Börnes journalistische Tatigkeit wurde von Seiten des Bundestages so stark, daB Börne es für ratsam hielt Deutschland auf einige Zeit zu verlassen. Er folgte damit nur dem Beispiel seines Freundes Görres, gegen den, obgleich er Napoleon auf Tod und Leben bekampft hatte, schon wegen seiner Schrift „Deutschland und die Revolution" ein Verhaf tbefehl erlassen worden war *) und der nur mit knapper Not am 10. Oktober 1819 StraBburg erreichen konnte. Am 20. Oktober 1819 als gerade die „Karlsbader Beschlüsse" von den Regierungen „promulgirt" wurden, betrat Börne zum ersten Mal den französischen Boden. In seinem Sodener Tagebuch6) hat er spater die Ei ndrücke seines ersten Auf enthal ts in Paris geschildert, denn er betrach- l) Vgl.: Börnes „Denkwürdigkeiten der Frankfurter Zensur" (Börnes Werke, ed. Klaar, I. 220). *) Vgl. hierzu Börnes Aufsatz „Ueber Etwas, das mich betrifft" (Börnes Werke, ed. Klaar, I. 375). *) „Ankündigung der Zeitschwingen" (Börnes Werke, ed. Klaar, 1. 152). *) Vgl. H. H. Höuben, Der gefesselte Biedermeier, S. 61 ff. ') Börnes Werke, ed. Klaar, II. 151 ff. 30 tet, wie er sagt, „seine Angelegenheiten" nicht als etwas Persönliches, sondern als die Sache der „Millionen", als deren „Fürsprecher" er auftritt. Es ist für seine ehrwürdige, aber naive Lebensanschauung recht bezeichnend, wenn er die Berechtigung zu seiner politisch-publizistischen Tatigkeit etwa wie folgt begründet: „Wie Frösche, Spinnen, Hunde und die Tiere überhaupt der Natur naher stehen als der königliche Mensch auf seinem Throne, und darum das Wetter, ja die bedeutendsten Veranderungen und Krankheiten der Natur inniger fühlen und, ehe sie noch eintreten, voraus empfinden, und anzeigen; so giebt es auch Menschen, die gerade, weil sie niedrig stehen in der bürgerlichen Gesellschaft, mit der Geschichte inniger verbunden sind, und die Witterung der Zeit, die Völkerstürme und Kriege von weiterer Ferne kommen sehen und sie früher fühlen, als es selbst die Herrscher, Vornehmen und Machtigen vermogen, die, in ihrem Egoismus gefangen, nicht eher erfahren, was sich drauBen begiebt, als bis die Welt an den Pforten ihrer Selbstsucht pocht. Zu diesen Menschen gehore ich auch" 1). Als Börne einsah, daB die Besorgnis für seine Sicherheit unbegründet gewesen war, reis te er schon im November 1819 nach Frankfurt zurück. In Paris hatte er mit den feuilletonistischen Arbeiten für Cottas „Morgenblatt" den Anfang gemacht2) in denen er, nachdem ihm die Zensur die politische Publizistik verleidet hatte, jetzt versuchen wollte „die Literatur mit dem Leben, d. h. die Ideen mit der wirklichen Welt zu verbinden" 8). Bald aber sollte Börne zum zweiten Male nach Frankreich reisen. Jetzt aber war es eine Art Flucht vor den Planen seines eignen Vaters. Dieser hatte als Bankier enge Verbindungen mit den Wiener Hofkreisen, und als Metternich und Gentz den Versuch machten „den jungen Israeh'ten, der Geist und Wissen mit zügellosem Oppositionssinn, flammendem Liberalismus und einer vielgewandten Feder x) Börnes Werke, ed. Klaar II, S. 160—161. z) Ueber Börnes Beziehungen zu Cotta vergleiche: Joh. Proelfi, Das Junge Deutschland, Stuttgart, 1892, S. 80 ff. ») Brief an Cotta vom 10. Marz 1821 (ebenda S. 97). 31 vereinigte" zu bewegen, sich dauernd in Wien niederzulassen, indem ihm Rang und Gehalt eines kaiserlichen Rats angeboten wurde, forderte Börnes Vater, der sich in Wien aufhielt, den Sohn dringend auf dorthin zu reisen. Trotzdem ihm in Wien völlige Zensurfreiheit zugesichert wurde, und er auch die Erlaubnis erhielt immer wieder abreisen zu dürfen, lehnte er zum heftigen VerdruB seines Vaters ■) das Angebot ab. Börne meinte, sein politischer Charakter ware auf immer zu Grunde gerichtet, wenn seine Freunde und nicht weniger seine Feinde glauben könnten, er hatte sich bestechen lassen, er sei ein Unfreier geworden: „Es war eine solche Redlichkeit, eine solche Unbefangenheit in meinen öffendichen politischen AuBerungen, daB ich, wie ich von mehreren Seiten erfahren, selbst den Wiener Ultras Achtung eingeflöBt habe, obzwar keiner sich so feindlich als ich gezeigt hatte. Sie muBten gestehen, daB ich es aufrichtig meinte, wenn ich auch irrte. Wem soll man ferner vertrauen, wenn ich die gute Sache verrate?" 3). Um seine geistige Freiheit zu behaupten, um sich keiner Versuchung auszusetzen, reiste er nicht nach Wien, sondern nach Paris. Man fühlt sich unwillkürlich versucht, hier eine Parallele zwischen dieser von Charakterfestigkeit und Gesinnungstüchtigkeit zeugenden Haltung Börnes und der Heines zu ziehen, als dieser 1827 die von ihm geleiteten liberalen Münchener „Annalen" dem Polizeispitzel Wit von Dörring Zur Verfügung steilte und sich als Gegenleistung einen Orden des berüchtigten braunschweigischen Diamantenherzogs erbat4). Dem zweiten Aufenthalt in der französischen Hauptstadt, der von 1822—1824 dauert, verdanken wir Börnes „Schilderungen aus Paris". Paris ist ihm „ein aufgeschlagenes Buch", „durch seine StraBen wandern heiBt Lesen"6). Es kam schon bald „eine wahre *) Vgl. K. Glossy, Literarische Geheimberichte (Geheimbericht vom 1. Jimi 1822, Anm. S. 8). 2) Vgl. Brief an Jeanette Wohl vom 4. Januar 1822 (Börnes Werke ed. Geiger, DC 312). ») Brief an Jeanette Wohl vom 24. Dez. 1821 (Börnes Werke, ed. Geiger, IX 299). *) Vgl: 1. Heines Brief an Wit vom 23. Januar 1827 (P.Hirth, Heines Briefwechsel, München 1914, I. 499). 2. Max J. Wolff, Heinrich Heine, München 1922, S. 267—268. *) Börnes Werke ed. Klaar, II. 30. •) ebenda S. 9. 32 Leidenschaft" über ihn, „das Theater und die Literatur der Franzosen in ihren eigenen Blattern zu kritisieren"; aber gleich nach dem ersten Versuch sei ihm wegen mangelnder Sprachkenntnisse" alle Lust zu solchem Unternehmen vergangen. Erst ein gutes Jahrzehnt spater, als er sich dauernd in Paris niedergelassen hatte, sollte er diesen Plan durch seine Mitarbeit am „Réformateur" und durch die spater von ihm begründete Zeitschrift „La Balance, revue allemande et francaise" zu verwirklichen versuchen. Börnes Aufenthalt in Paris in den Jahren 1822—1824 gab ihm selbstverstandlich die Stoffe für seine „Schilderungen" aus dem öffentlichen Leben der französischen Hauptstadt. Dies war aber sozusagen nur der auBere AnlaB ihres Entstehens. Nachdem es Börne unmöglich gemacht worden war in der „Wage" und in den „Zeitschwingen" über deutsche Verhaltnisse zu schreiben, sieht er sich gezwungen, wenn er sich als Publizist betatigen will, auslandische Stoffe zu behandeln, und er konnte dies um so eher tun, weü 1** er wuBte, daB er dadurch in gewissem Sinne einem Zeitbedürfnis entsprach, da man doch allenthalben — und zwar in schroffem Gegensatz zu den Jahren der Freiheitskriege — dem Ausland und ganz besonders Frankreich ein immer lebhafteres Interesse entgegenbrachte. Es haben verschiedene Ursachen zusammengewirkt, wodurch nicht nur Börne, sondern ebenso Heine das Interesse des deutschen Publikums auf auslandische Stoffe richteten. Zur Erklarung dieser Erscheinung ist zunachst darauf hinzuweisen, daB die Wirkung der Karlsbader Beschlüsse sowohl für die Form wie für den Inhak der journalistischen und literarischen Erzeugnisse weitreichende Folgen gehabt hat. Der von Friedrich von Gentz, dem Publizisten der Wiener Hofburg, ausgesprochene Grundsatz, daB das oberste Gesetz des europaischen Staates Zensur heifie, wurde, wie wir gesehen haben, mit auBerster Konsequenz durchgeführt. Zwischen Autor und Leser stand der Zensor. Der Autor hatte also immer Bedacht darauf zu nehmen, daB, wollte er das politische Empfindendes Publikums kraftigen, die auBerste Rücksichtnahme auf den Zensor geboten sei, mit andern Worten: der Zensor bestimmte mittelbar die vom Autor gewahlten Ausdrucksmittel. Das galt in erhöhtem MaBe, wenn es sich um die Bespre- 33 chung von Tagesfragen handelte, wo der Autor nur durch Ellipse, nur mittelst Verhüllung oder Travestie seine wahren Gedanken erraten lassen durfte. Ein Börne, so sagt Gutzkow, „trieb die schone Literatur um die Politik in ein erlaubtes Gewand zu hullen, sprach von Schiller und Goethe, dabei an Montesquieu und Metternich denkend" 1). Bevor Heine als politischer Publizist auftrat, „gefallt er sich in seinen „Reisebildern" in herausforderndem Spott über deutsche Zustande und deutschen Stumpfsinn, der sich darin zeigt" 2). Die Zensur aber hat nicht nur die Ausdrucksmittel, die Stilart der Publizistik sehr stark bestimmt, sie beeinfluBte auch die Stoffwahl des Autors. Wo eine eingehende Besprechung der heimischen Zustande eigentlich unmöglich war, zwang der Zensor gleichsam den Publizisten dazu, auslandische Stoffe zu behandeln. Die Zensur verhinderte die Erörterung der deutschen Politik, und, wo man die Leute gleichsam zwang sich mit der Auslandspolitik zu beschaftigen, da richteten sie denn auch allmahlich nur zu gern den Bliek weg von der traurigen Wirklichkeit daheim und schauten sëhnsüchtig in die Ferne. Das Interesse der Deutschen war ohnehin den heimischen politischen Angelegenheiten entfremdet, so daB die Publizisten, die zur Vermeidung von Zensurhemmnissen vorzugsweise auslandische Stoffe behandelten, damit zugleich dem Geist der Zeit entgegenkamen, der auch in der reichen Übersetzungsliteratur seinen stark kosmopolitischen Zug bekundete. Es kamen aber noch andere Gründe hinzu. Welch eine gewaltige Veranderung hatte sich in einem Zeitraum von gut zehn Jahren in den Geistern vollzogenl Hatten im Jahre 1815 die liberalen und romantischen Elemente gemeinsam den Kampf geführt gegen Napoleon, den Besieger des feudalen Deutschland, war demzufolge im Anfang der oppositionellen Bewegung, zumal in den Burschenschaften, die nationale Idee starker betont worden als die Idee der politischen Freiheit, so laBt sich als das Endergebnis der Gesamtbewegung konstatieren, daB die romantischen und liberalen Elemente immer starker auseinandertreten; die Romantik wird immer *) Karl Gutzkow, Börnes Leben (Ges. Werke, Jena, o. J„ S. 230). a) Georg Brandes, Hauptströmungen der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, Berlin, 1924 (endgültige Ausgabe) III 6., S. 309. 3 34 mehr zur Ideologie der feudalen Reaktion, sie ist das schillernde Gewand, dessen der Absolutismus sich geschickt bedient, die liberale Opposition bekommt ein weltbürgerliches Geprage. „Wenn man einem emporstrebenden Gescblechte das Vaterland zerstört, so ist die Folge unausbleiblich, daB seine geistige Bewegung vaterlandslos wird", sagt von Sybel1); tatsachlich hatten die Liberalen den nationalen Gedanken aufgegeben, weil ein liberales Regime nur in den süddeutschen Kleinstaaten durchführbar war; PreuBen dagegen, auf das man einst so groBe Hoffnungen gesetzt hatte, hafite man arger als Oesterreich, denn, um mit Heine zu reden, Metternich war wenigstens ein loyaler, der König von PreuBen aber ein heuchlerischer Feind. In dieser Weise war es der Politik Metternichs und seines romantischen Gehilfen Gentz gelungen, das deutsche Publikum „wieder einmal zugleich partikularistisch und kosmopohtisch zu machen" 2). Einerseits ist es also eine Flucht vor dem deutschen Staatsunwesen, wenn man sein Interesse den auslandischen poütischen Verhaltnissen zuwendet, andererseits versuchen die Dichter und Publizisten durch die Schilderung fremder Zustande das politische Empfinden der Deutschen zu kraftigen *). Wenn Wilhelm Müller, nachdem die Griechen sich 1829 ihre Freiheit vom türkischen Joch erkampft haben, ausruft: „Ohne die Freiheit, was warest du, Hellas, Ohne dich, Hellas, was ware die Welt," so steekt in dieser Begeisterung für das Griechentum, denn der deutsche Philhellenismus hat gar verschiedene Wurzeln, auch die ungestillte Sehnsucht nach jener Freiheit, die man in dem absolutistisch-feudalen Deutschland so schmerzlich vermiBte. Als Heine, der im Jahre 1827 nach England gezogen war um den liberalen Ministerprasidenten, „den Canning zu sehen und zu horen" *), J) Heinrich von Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches, Leipzig, 1889,170 ff. >) von Sybel, a. a. O. S. 72. ') Valentin Polack, Die politische Lyrik und die Parteien des deutschen Vormarz, Wien, 1911, S. 12. 4) Heines Werke, ed. Walzel, VI 149. 35 spater in den „Englischen Fragmenten", die nach Walzel den eigentlichen Anfang des Politikers Heine bedeuten englische Zustande beschreibt, so kam er damit gewiB dem allgemeinen Interesse der Zeit entgegen, benutzt aber zugleich die Gelegenheid wenn möglich, das politische Empfinden der Deutschen zu kraftigen: „Was die Deutschen betrifft, so bedürften sie weder die Freiheit noch die Gleichheit. Sie sind ein spekulatives Volk, Ideologen, Vor- und Nachdenker, Traumer, die'nur in der Vergangenheit und in der Zukunft leben und keine Gegenwart haben. Englander und Franzosen haben eine Gegenwart, bei innen hat jeder Tag seinen Kampf und Gegenkampf und seine Geschichte. Der Deutsche hat nichts, wofür er kampfen sollte, und da er zu mutmaBen begann, daB es doch Dinge geben könne, deren Besitz wünschenswert ware, so haben wohlweise seine Philosophen ihn gelehrt, an der Existenz solcher Dinge zu zweifeln". „Es laBt sich nicht leugnen," meint Heine „daB auch die Deutschen die Freiheit lieben" 2), aber anders als wie die Englander und die Franzosen sie lieben. Der Englander liebe sie wie sein rechtmaBiges Weib, der Franzose wie seine erwahlte Braut, der Deutsche aber liebe die Freiheit wie seine alte GroBmutter. Es ist deudich: das ideale Land der Freiheit ist Frankreich, und in der „Befreiung", dem nachtraglich hinzugefügten SchluB der „Englischen Fragmente", heiBt es: „Ja, ich wiederhole die Worte, womit ich diese Blatter eröffnet: die Freiheit ist eine neue Religion, die Religion unserer Zeit. Wenn Christus auch nicht der Gott dieser Religion ist, so ist er doch ein hoher Priester derselben, und sein Name strahlt beseligend in die Herzen der Jünger. Die Franzosen sind aber das auserlesene Volk der neuen Religion, in ihrer Sprache sind die ersten Evangeliën und Dogmen verzeichnet. Paris ist das neue Jerusalem, und der Rhein ist der Jordan, der das geweihte Land Freiheit trennt von dem Lande der Philister" 8). Kosmopolitisch war die Zeit, aber gerade Frankreich rückt immer mehr in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Dort gab es, im Gegensatz zu dem politischen Jammer im eignen Land, trotz der *) Heines Werke, ed. Walzel, V 470. 2) „ „ „ „ , V 80 ff. *) ,, ,, ,, ,, , V 164. 36 / bourbonischcn Restauration, ein Parlament mit Redefreiheit, dort auch \ gehorte die Pressefreiheit zum geistigen Besitz der Nation. „Mit Bewunderung und Neid bhckten jetzt die Sieger von 1815 auf das besiegte Frankreich, wo unter einer freien Verfassung glanzende parlamentarische Parteikampfe die Aufmerksamkeit Europas fesselten und die Begeisterung der deutschen Jugend entzündeten" Eine chiliastische Hoffnung erfüllte die Herzen, und nur von Frankreich, „dem geweihten Lande der Freiheit", wird das Heil erwartet, denn bis zum Jahre 1825 war es der Heiligen Allianz noch immer gelungen, die Flamme der Revolution, wenn sie in Spanien, Süditalien und Piemont aufzuckte, zu unterdrücken. Nur die siegreiche Erhebung einer groBen Nation mit einer revolutionaren Vergangenheit könnte auch für Deutschland zur befreienden Tat werden, der „Heiligen Allianz der Fürsten" wird die „Heilige Allianz der Völker" entgegentreten, und hüben und drüben erscheint die Sache der Opposition als eine gemeinsame Sache der Völker. Ebenso wie es um dieselbe Zeit in Frankreich geschah, erhebt auch in Deutschland die Opposition , das Andenken Napoleons, der nun allenthalben als der Mann des s, Volkes und als das Opfer der reaktionaren Machte gefeiert wird. In Frankreich erstrebt zuerst eine junge Generation unter der Führung von Advokaten und Literaten eine liberal-nationale Renaissance, indem sie dabei zurückgreift auf die groBen ReminiBenzen aus der Zeit der Revolution und des Kaiserreichs. Es bildet sich die revolutionare und napoleonische Legende als eine machtige Waffe im Kampfe der I liberalen Opposition gegen Karl X. Manner wie Hugo, Béranger, Thiers, Louis Blanc erlagen dem Zauber dieser romantischen Darstellung der Vergangenheit. In Deutschland war es Heine, der als Apostel der kaiserlichen Legende Napoleon als den glanzendsten Vertreter Frankreichs feiert und zu den Zeitgenossen über „das Kaiserlied von dem Napoleon" spricht, dem„neuen Manne, dem Manne der neuen Zeit, dem Manne worin diese neue Zeit so leuchtend sich abspiegelt" 2). In „der Nordsee", dem „Buch Le Grand", der „Reise von München nach Genua", den „Englischen l) von Sybel, I 70 ff. ') Heines Werke, ed. Walzel, IV 121. 37 Fragmenten", überall erscheint Napoleon als „die menschgewordene Revolution"1), als der grofie Feind der Heiligen Allianz2). Die neue Zeit soll vollenden, was die Revolution von 1789 begonnen hat, als „von der Höhe des Konvents zu Paris ein dreifarbiges Evangelium" gepredigt wurde, „wonach nicht blofi die Form des Staates, sondern das ganze gesellschaftliche Leben nicht geflickt, sondern neu umgestaltet, neu begründet, ja, neu geboren werden sollte" 3). In der Zukunft sieht Heine daher nur noch einen Kampf zwischen den Klassen: „Es gibt in Europa keine Nationen mehr, sondern nur Parteien" 4). Napoleon ist tot, „der Geist der Revolution ist jedoch unsterblich", er wird wiedergeboren werden, „nicht als einzelner Mensen, sondern als ganzes Volk" 5). Als Heine im November 1827 auf dem Wege nach München, wo er als „Liberalenhauptling" *), die Redaktion der „Politischen Annalen" übernehmen sollte, Börne in Frankfurt a.M. besuchte, hat dieser ihn wegen seines Napoleonkultus getadelt. „Wie liebte ich diesen Mann bis zum 18. Brumaire, noch bis zum Frieden von Campo Formio bin ich ihm zugetan, als er aber die Stuf en des Thrones erstieg, sank er immer tiefer im Werte, man konnte von ihm sagen: er ist die rote Treppe hinaufgefallen!" rief Börne aus7). Die beiden Manner halten aber so viel Gemeinschaftliches, daB sie sich recht gut mit einander vertrugen, von ihrer spatern Feindschaft und Trennung lieB sich nichts ahnen. „Ich hatte nie geglaubt, daB Börne so viel von mir hielte; wir waren inséparable bis zum Augenblick, wo er mich zur Post brachte" 8). Als Heine im Mai des Jahres 1831 wieder nach Frankfurt kam, war Börne ihm bereits nach Paris vorangegangen, und er selber war auch im Begriff über „den Jordan zu ziehen, der das geweihte Land !) Heines Werke, ed. Walzel, V 402. ') Henri Lichtenberger, Heinrich Heine als Denker, Dresden 1905, S. 108 ff. 3) Heines Werke, ed. Walzel, V 161. *) ebenda, IV 297. ') ebenda, IV 402. s) Hirth, Heines Briefwechsel, I 466 (Brief an Merkel, 1. Juni 1827). ') Heines Werke, ed. Walzel, VIII 356. •) Hirth, Heines Briefwechsel, I 486 (Brief an Varnhagen vom 28. November 1827). 38 der Freiheit trennt von dem Lande der Phüister": Paris hatte wiederum das Signal zur Revolution gegeben, es schien, als ob die messianischen Erwartungen über die welthistorische Aufgabe Frankreichs in Erfüllung gehen sollten. Trotz der Abmahnungen des Zaren und Metternichs hatte Karl X. sich zu einem Staatsstreich gegen die aus sehr verschiedenen Elementen zusammengesetzte Kammeropposition verleiten lassen. Am 26. Juli 1830 veröffentlichte das Ministerium Polignac die berüchtigten Ordonnansen, durch welche die neue Kammer aufgelöst wurde, bevor sie einberufen war, indem zugleich ein neues reaktionares Wahlgesetz erlassen und die Pressefreiheit aufgehoben wurde. Trotz ihrer Mehr heit war die Opposition in der Kammer auf den Kampf l nicht eingerichtet. Es war die zum gröBern Teil aus Studenten und | Arbeitern bestehende republikanische Partei, welche die Revolution V gemacht hat. Am 27. Juli begannen die Republikaner den Bau der Barrikaden, bald klang es nicht mehr „Es lebe die Charte!", sondern „Nieder mit den Bourbonen!", am 29. Juli mufite der Rest der königlichen Armee Paris raumen. Eine Exekutivkommission wurde eingesetzt, welche die militarische Gewalt auf Lafayette übertrug. Jetzt befand Paris sich in der Gewalt zweier Parteien, der Republikaner und der Royalisten. Sie waren nur gemeinsam vorgegangen solange es sich um den Kampf gegen Karl X. handelte. In geschickter Weise wufiten die Anhanger des Herzogs von Orleans diese Situation auszunützen um Louis Philipp als „einen der Sache der Revolution ergebenen Fürsten", in den Vordergrund zu schieben. In drei Tagen war die altbourbonische Restauration zusammengebrochen, aber auch das Schicksal der Revolution war entschieden. Die Barrikadeni kampfer waren um die Früchte ihres Kampfes betrogen, an Stelle I der alten Gewalt trat eine neue: die Bourgeoisie hatte die politische i Macht erobert, die Revolution war beendigt. IL DEUTSCHLAND UND DIE JULIREVOLUTION Am 2. August 1830 tritt Gocthe dem jungen Soret entgegen mit den Worten: „Nun was denken Sie von dieser groBen Begebenheit? Der Vulkan ist zum Ausbruch gekommen; alles steht in Flammen". Soret meint: „Allerdings, eine furchtbare Geschichte" und spricht von der Vertreibung Karls X., von seiner Ersetzung durch den Bürgerkönig, Louis Philipp. Da aber macht der mehr als Achtzigjahrige eine abwehrende Gebarde, indem er ausruft: „Wir scheinen uns nicht zu verstehen, mein Allerbester, ich rede gar nicht von jenen Leuten; es handelt sich bei mir um ganz andere Dinge. Ich rede von dem in der Akademie zum öffentlichen Ausbruch gekommenen, für die Wissenschaft so höchst bedeutenden Streit, zwischen Cuvier und Geoffroy de Saint-Hilaire!" *) Hier stehen wir auf der Scheidelinie zweier Zeitalter, hier stehen sie einander gegenüber, einander nicht verstehend, auf der einen Seite der gröBte Vertreter jener Idealkultur, jener im Absterben begriffenen klassisch-romantischen Welt, auf der anderen Seite der Jünger einer neuen Zeit, der ganz befangen in der Welt des Realen, machtig ergriffen von den Geschehnissen der Zeit, jenes Erhabensein über alle Zeitlichkeit nicht verstehen kann. „Wir scheinen uns nicht zu verstehen", dieses Wort von Goethe, das er zu Soret sprach, hatte gesprochen sein können zu der ganzen Generation von 1830, zu der deutschen Jugend, die, langst ergriffen von einem neuen Lebensgefühl, die Julirevolution als den Sieg der neuen Welt über die Machte der Vergangenheit begrüBte. In der Tat betreten wir mit dem Jahre 1830 einen neuen Boden, aber in durchaus anderem Sinne als die Zeitgenossen, die noch ganz befangen waren in den Schranken der eigenen Zeit, es zu verstehen vermochten. Wer versuchen möchte, die Signatur jener neuen Zeit anzugeben, J) Vgl. Eckermann, Gesprache mit Goethe, 2. Aug. 1830. 40 könnte dies nicht besser tun als dadurch, daB er sie als antiromantisch definierte, aber bei tieferem Zusehen fühlen wir doch nur all zu sehr die Unzulanglichkeit einer solchen Definition. GewiB, ein Gedankenorganismus, die Romantik, ist im Absterben, eine Gegenströmung macht sich bemerkbar, die mit jedem Tage kraftiger und machtiger die Welt beherrscht, und dennoch ware nichts weniger richtig, als wenn man diese Gegenströmung nur als Reaktion auf die vorangegangene Epoche, also als einen ganz neuen Ideenkomplex betrachtete. Es sei uns gestattet, dies noch naher zu verdeutlichen. In bewuBtem Gegensatz zu der Aufklarung hatte die altere Romantik sich entwickelt, und die jüngere Romantik ruft jetzt ihrerseits eine Gegenströmung ins Leben, die in weltanschaulichem Sinne der vorangegangenen Kulturepoche diametral entgegengesetzt ist. Es sterben um das Jahr 1830 die groBen Alten: 1831 Hegel, 1832 Goethe, 1834 Schleiermacher, und mit dem Absterben jener Vertreter der altera Epoche schlieBt auch das klassisch-romantische Zeitalter. Den Klassikern und Romantikera gemeinsam war die Scheu vor der zeitgeschichtlichen Wirklichkeit. In dem damaligen Deutschland gab es auch keine groBe Wirklichkeit. Es ist also eine Flucht in die Utopie, wenn das Dichterherz in einer stilisierten oder ertraumten Wirklichkeit seine Befriedigung suchte. Es war, wie Heine sagte, die Idee, welche auf dem Throne saB. Jetzt aber war eine neue Zeit angebrochen, in der die Gegenwart immer mehr die Aufmerksamkeit der Geister in Anspruch nahm. Hatten die Gebildeten aus dem philosophischasthetischen Zeitalter, abgestoBen von der Wirklichkeit, sich eine neue Welt erbaut, sei es im Reich des schonen Scheins, sei es durch Projizierung des Ideals in eine romantisch verklarte Vergangenheit, so finde t die Realkultur, auf deren Anfange wir b er ei ts hingewiesen haben ihre Aufgabe gerade in jener Wirklichkeit. Im Gegensatz zur Idealkultur, zu jenem Zeitalter, das mit dem Namen Goethes bezeichnet wird, entsteht allmahlich eine Kultur, die ganz in der Wirklichkeit wurzelt. Es vollzogen sich, wie wir im vorigen Abschnitt naher ausgeführt haben, nach und nach groBe wirtschaftliche und gesellschaft- ») Vgl. S. 18 ff. 41 liche Umwalzungen, die das Bild der Wirklichkeit dermaBen veranderten, daB in der jungen Generation die Ahnung einer neu entstehenden Welt aufstieg. Die Wirklichkeit liefi sich nicht abweisen. Die Naturwissenschaften drangen vor: 1826 errichtete Liebig in Giefien sein chemisches Laboratorium, 1821 wurde das Gewerbeinstitut in Berlin begründet, 1825 die Technische Hochschule in Karlsruhe als die erste in Deutschland1). In England wird die Lokomotive gebaut, die 3 Jahre nach Goethes Tode als erste in Deutschland von Nürnberg nach Fürth fahrt. Im Jahre 1834 wird der Zollverein gegründet, wodurch die Schranken, die bis jetzt eine freie Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens verhinderten, aufgehoben wurden. Ein ungeheurer Aufschwung der Technik und des Verkehrswesens kennzeichnet die Epoche, in welcher der Agrarstaat sich allmahlich in den Industriestaat verwandein sollte. Immerhin sind die kapalistischen Formen der Wirtschaft noch lange nicht zur Dominante geworden, aber wie Levin Schücking es bereits im Jahre 1839 ausdrückte: „Man fühlte, wie die ganze Zeit eine praktische Richtung genommen habe, wie materielle Tendenzen zur alleinigen Herrschaft gekommen seien, man fühlte die Notwendigkeit, dieser Richtung zu folgen, ihr Zugestandnisse zu machen und, um nicht in die Gefahr ganzlichen Verdrangtwerdens zu geraten, das Unpraktischeste von Allem, die Poesie praktisch machen zu müssen. So ist die jetzt herrschende Literatur pragmatisch geworden*)". Levin Schücking vergleicht darm die Romantik mit einer Kirche, die nicht auf Felsen, sondern auf Nebelschichten und Wolkenzüge gebaut worden sei. Sie liege mit all ihrem Glanz und Himmelschmelz, die zu wenig wesenhaft und erfaBbar seien für unsere durch Fabrikarbeit vergröberten Hande, unnahbar fern. # * * „Gegenwartig hat das ungeheure politische Interesse alle anderen verschlungen — eine Krise, in der alles, was sonst gegolten, proble- *) Franz Schnabel, Deutschland in den weltgeschichtlichen Wandlungen des letzten Jahrhunderts, Berlin, Teubner, 1925, S. 117. 2) Levin Schücking, Rückblicke auf die schone Literatur seit 1830 (Jahrbuch der Literatur 1839, S. 171.) 42 matisch gemacht zu werden scheint"1). So urteilte Hegel im Dezember 1830 über den Geist seiner eigenen Zeit, und wir, die wir dank der bistorischen Perspektive zu sehen vermogen, was der wirkliche Inhak jener Epoche des Juhkönigtums gewesen ist, wir können nur den Scharfblick bewundern, indem Hegel schon verstanden hatte, daB es sich hier um eine geistige Bewegung handelte, die weit über das Politische hinausging. „Alles was sonst gegolten war problematisch gemacht", eine alte Welt schien zu versinken, um einer neuen Platz Zu machen. Ohne Zweifel erlebten die Zeitgenossen das Politische als das eigentlich Wichtige, es ging innen nicht die Erkenntnis auf, daB das politische Geschehen, nur die auBerlich sichtbare Erscheinungsform einer gesellschaftlichen Umwalzung war, die nicht nur für die politische Geschichte, sondern für das soziale Leben überhaupt, von eingreifender Bedeutung sein sollte. Und auch die oppositionellen Elemente unter der jungen Generation waren die Geisteskinder des philosophisch-humanistischen Zeitalters. Sie vermochten nicht anders als ideell zu denken; im Strudel der politischen Ereignisse konnten sie nicht zu der Einsicht gelangen, daB es sich hier um et was viel Wichtigeres handelte als um die Frage Monarchie oder Republik, daB vielmehr die Julirevolution als der Anfangspunkt der eigentlichen sozialen Bewegung anzusehen ist und daB als deren Folge auch eine geistige Umstellung in die Erscheinung trat, die uns berechtigt zu sagen: 1830 ist ein Grenzjahr, 1830. mar kiert die Scheidelinie zwischen dem klassisch-romantischen Zeitalter und dem des geistigen Realismus. Das philosophische Zeitalter ging zu Ende, die Beschaftigung mit dem Objekt verdrangte die Beschaftigung mit der Idee. Es ist daher nicht übertrieben zu sagen, daB der UebergangsprozeB, der von der Romantik zum Realismus führte, in geistesgeschichtlichem Sinne viel einschneidender, in seiner Wirkung viel revolutionarer ist als der Uebergang von der Aufklarung zur Romantik, denn bei der Wendung zum Realismus handelt es sich um die Durchsetzung eines dem ideellen Denken entgegengesetzten Prinzips, *) Vgl. Georg Steinhausen, „Die deutsche Kultur vom 18. Jahrhundert bis zum Weltkrieg", Leipzig, 1920, S. 136. 43 wahrend doch der Romantiker ebenso wie der Rationalist ideell zu denken pflegte. Wir haben im Obenstehenden absichtlich einige Male von „Uebergang" gesprochen, denn nichts ware weniger richtig als in simplizistischer Weise das Jahr 1830 schlechthin als das Anfangsjahr des Realismus zu bezeichnen. GroBe Ideologien behalten ihre Kraft lange nachdem die realen Verhaltnisse, aus denen sie aufgeblüht, der Vergangenheit anheimgefallen sind. Die Gegenströmung besteht also aus den neuen Elementen und aus solchen aus dem zerfallenden Körper, welche noch lebensfahig sind. So wird auch die Generation, in der sich ein neues Lebensgefühl mit elementarer Kraft durchsetzt, dennoch unbewuBt das Alte in sich herumtragen. Gerade dadurch vermissen wir in ihrem Wesen, in ihrem Leben und Streben, jene Einheit und Geschlossenheit, die nur eine harmonische Zeit ihren Kindern zu schenken vermag. Es ist diese Zweispaltigkeit, dieser Geist des Widerspruchs, dieser Konflikt zwischen Vergangenheit und Ztikunft, Illusion und Wirklichkeit, die auch den besten Vertretern der Generadon von 1830 die tragische Physiognomie des Uebergangsmenschen aufgepragt hat. Für eine richtige Beurteilung der. pohtisch-literarischen Tatigkeit Börnes und Heines, für eine gerechte Würdigung ihrer Fehler und Schwachen, ist es also unbedingt erforderlich, immer vor Augen zu behalten, daB sie zwar als die Vertreter des neuen Zeitalters des Realismus angesprochen werden dürfen, daB sie aber dennoch auch die Geisteskinder des philosophischen Zeitalters sind. # * * Für uns ist die Julirevolution, wie gesagt, in dem UebergangsprozeB der Moment, in dem das zum Durchbruch kommt, was schon langst im SchoBe der Zeiten keimte. Ebenso wie die Knospen im Frühling schwellen, bis die Hülle reifit, und das Neue mit elementarer Gewalt ans Licht des Tages tritt, verwandelte sich die Jahrzehnte lange Evolution in eine Revolution. Es war die Geburtsstunde des realistischen Zeitalters. Die junge, zukunftsfrohe Generation war sich gewiB der historischen Tragweite jener Ereignisse 44 nicht bewuBt, aber der Kanonendonner von Paris klang ihr in die Ohren als die Botschaft ihrer nahen Befreiung aus den Banden der geistigen und politischen Reaktion. „Es ist nicht ohne Interesse, die Uebergange welche in dem akademischen Leben der deutschen Jugend gezeitigt wurden, zu zeichnen", so schreibt Gutzkow, einer jener Jungdeutschen, deren ganzes Leben durch die Julirevolution Ziel und Richtung erhielt, im Jahre 1839 in seinem Aufsatz „Vergangenheit und Gegenwart" 1). „Aus einem allgemeinen und von leeren Ueberh'eferungen befruchteten Idealismus wurden die jugendhchen Gemüter plötzlich auf ein bewegtes Feld unmittelbarer Tagesaufregungen versetzt, wo, wenn auch nicht zunachst eine gemeinschaftliche Quelle mit dem eignen ideologischen Drange zu sehen war, doch eine Verwandtschaft und Anwendung des einen aufs andere sich unmittelbar spater aufdrangte. Ja, als die taglich sich mehrenden politischen Eindrücke selbst auf deutsche Verhaltnisse verwirrend übergingen und es im südlichen Teile des Vaterlandes fast das Ansehen hatte, als wenn diese plötzliche Neuerung gerade die organische Frucht der noch nicht ganz erstorbenen deutschtümelnden und demagogischen Saat ware, da muBte sich dem bisherigen allgemeinen traumerischen Tasten ins Blaue hinein eine von den Tagesumstanden bedingte Prazision und Sicherheit mitteilen, die den ganzen Ideenkreis, der der deutschen Jugendbildung vor 1830 zum Grunde lag, erweiterten und ihm zu Radien und Durchmessern neue Begriffe und dem französischen und englischen Staatsieben entnommene Vorstellungen gab. Das Mittelalter mit seinen buntfarbenen Lichtern verlor sich immer mehr in ferne Dammerung". Recht bezeichnend für die allgemeine Stimmung jener Tage ist auch das, was Gutzkow weiter sagt, um so bezeichnender, weil von neuern Historikern oft die Meinung verkündigt wird, daB die Ruhe des Kirchhofs in Oesterreich und PreuBen so tief gewesen sei, daB hier selbst die französische Julirevolution keine Erregung gebracht habe *). Natürlich darf man die AuBerungen in der Presse nicht i) Jahrbuch der Literatur, Hamburg, 1839, S. 1—111. *) Fritz Wuessing, Geschichte des deutschen Volkes, Berlin, 1921, S. 74. 45 zum Mafistab nehmen, denn bei den elenden Zensurverhaltnissen war jede freie Berichterstattung unmöglich. Ein ganz anderes Bild tritt uns aber aus Gutzkows zeitgenössischer Schilderung entgegen: „Es sah in Deutschland aus, wie nach einer Ueberschwemmung. Wiegen hingen in den Baumen, auf den Bergen sah man, was ewig nur in der Ebene gelebt hatte, Beamte waren Begeisterte geworden und lieBen sich in Gesinnungen und Verbindungen betreffen, die ihnen, wenn nicht das Amt, doch dieBeförderung kosteten. Die Hörsale waren leer, die Schüler irrten ïerstreut als Flüchtlinge, die Lehrer wanderten aus, weil sie es noch konnten." Zu den Lehrern der deutschen Jugend, die „auswanderten, weil sie es noch konnten", dürfen wir vor allen Börne und Heine rechnen, sie waren die Altern, sie haben ihre machtig auflodernde Begeisterung in die folgenschwere Tat des Auswanderns umgesetzt. Folgenschwer war dieses Auswandern aus Deutschland, nicht nur in bezug auf die Gestaltung ihres persönlichen Lebens, sondern auch für die sozialpolitische Beeinflussung der deutschen Jugend aus dem dritten Dezennium des vorigen Jahrhunderts. Bevor wir aber naher darauf eingehen, wollen wir das von Gutzkow entworfene, aber ganz allgemein gehaltene Stimmungsbild, noch durch einige persönliche Eindrücke vervollkommnen, da sie uns zeigen werden, daB die Begeisterung Börnes und Heines keine alleinstehende Tatsache war. Aus seinem eignen Leben erzahlt uns Gutzkow, wie am 3. August 1830, am Geburtstag des Königs, die feierhche Preisverteilung in der Aula der Berliner Universitat stattgefunden habe, wie aber ein jeder mehr an die Vorgange in Paris gedacht habe als an die belohnten Preisbewerber. „Der Kanonendonner von Paris dröhnte bis in die Aula nach." Hegel nannte Gutzkows Namen, er hatte den Preis gewonnen in der philosophischen Fakultat, er aber schlug das Etui mit der goldnen Medaille nicht auf und lief davon. „Die Stunde, wo die Staatszeitung desselben Abends erschien, wahrte mir unendlich lange; ich schamte mich, wenn man geglaubt hatte, ich wollte in den könighchen Geburtstagsfeierlichkeiten meinen Namen gedruckt lesen. Nein, ich wollte nur wissen, wieviel Tote und Verwundete es in Paris gegeben, ob die Barrikaden noch standen, 46 ob die Lunten brennten, ob der Palast des Erzbischofs rauchte, ob Karl seinen Thron beweine, ob Lafayette eine Monarchie oder Republik machen würde. Die Wissenschaft lag hinter, die Geschichte vor mir." Den jungen Laube hatte das theologische Studium in Breslau ganz unbefriedigt gelassen, erwardeshalb dergeistlichenLaufbahnabtrünnig geworden. Obwohl er auf literarischem Gebiete bereits einige Versuche gemacht hatte, tastete er unsicher herum, weil ihm eine neue Lebensaufgabe fehlte. Ebenso wie für Gutzkow, Börne und Heine sollte die Nachricht der Julirevolution auf seine künftige Lebensrichtung einen bestimmenden EinfluB haben. „Da kam", so heiBt es in den „Erinnerungen" „die Juhrevolution, da kamen Tatsachen, Donnerschlag auf Donnerschlag, das wurde dramatisch, weckte die Aufmerksamkeit; nun fielen mir die vorhergehenden Motive ein, nun entstand ein Zusammenhang, nun erwachte mein Anteil, nun las ich plötzlich meine Zeitungen mit voller Aufmerksamkeit, und nun verstand ich die Anwendung auf die vaterlandischen Zustande." Es könnte sein, daB man nicht mit uns einverstanden ware, wo wir zur Typisierung der Wirkung der Julirevolution in Deutschland Manner wie Gutzkow und Laube als Kronzeugen anführen, weil sie doch ebenso wie Börne und Heine ihrer ganzen Veranlagung I nach liberale Geister waren und daher den Zeitereignissen sympathisch gegenüber stehen muBten. Wir wollen daher, ehe Börne und Heine selber zu Worte kommen, noch zwei Dichter zitieren, die man doch keineswegs als Jungdeutsche ansprechen kann, Immermann und Platen. Immermann, dessen asthetjsche Weltanschauung ganz von den Klassikern und Romantikern herkam, konnte dennoch der Gewalt der Ereignisse nicht widerstehen, und begeistert schreibt er am 15. August 1830 an seinen in Paris weilenden Freund Michael Beer: „Nie hat ein Faktum so gewaltig und erschütternd auf mich gewirkt *) H. Laube, Ges. Werke, herausgeg. von H. H. Houben, 50 Bde, Leipzig, Bd. 40, 1909, S. 213. Vgl. auch: Karl Nolle, Heinrich Laube als sozialer und pohtischer Schriftsteller, Bocholt, 1914, S. 12. 47 als dieses; es berührte mich wie ein Wunder und ich habe in diesen Wochen vor Aufregung noch zu keiner Arbeit kommen können. DaB sich nach all dem Sturm und Blut vor vierzig Jahren die Revolution wiederholt, nur noch imposanter als das erste Mal, ist ohne Beispiel in der Geschichte und zeigt die nicht zu berechnende Kraft des Jahrhunderts und der Nation." Das Ereignis habe für ihn AehnUchkeit mit der religiösen Bewegung des Mittelalters, und vielleicht sei auch das Politische das Agens der Zeit, wie es damals der Glaube gewesen sei. DaB Immermann, als die allgemeine Anteilnahme am politischen Leben das Interesse für die schone Literatur verdrangte, schon bald seiner Befürchtung Ausdruck gab, das deutsche Volk könne, wenn es den Weg zu einer politischen Entwickelung einschlüge,darüber „das eigendiche Palladium des Landes: Phüosophie, Poesie und deutsches Wissen verabsaumen"1), andert nichts an der Tatsache, daB der preuBische Beamte, der strenge Monarchist Immermann den Ausbruch der Julirevolution begrüBte mit Worten, die ein Börne oder Heine hatte unterschreiben können, aber eben deshalb bilden seine Worte wertvolle Belege zur Charakterisierung der aUgemeinen Zeitstimmung. SchlieBen wir diese Uebersicht damit, daB wir auch noch Platen zu Worte kommen lassen2). In seiner Ode „An Karl den Zehnten" feiert dieser aristokratische Geist den Sieg der Revolution, am starksten aber huldigt er dem neuen Zeitgeist in seinem Gedicht „An einen Ultra", wenn er einem Anhanger des ancien régime zuruft: „Du rühmst die Zeit, in welcher deine Kaste GenoB ein ruhig Glück? Was aber, auBer einer Puderquaste, LieB jene goldne Zeit zurück?" „Es führt die Freiheit ihren goldnen Morgen lm Strahlenglanz herbeil lm Finstern, sagst du, schlich sie lang verborgen, Das war die Schuld der Tyrannei." i) Vgl. Sigmund von Lempicki, Immermann's Weltanschauung,Berlin, 1910, S. 106ff.; Harry Maync, Immermann, München, 1921, S. 256—273. *) Vgl.HeinrichRenck,PlatenspolitischesDenken und Dichten, Breslau, 1910,S.43-49. 48 Wir glauben durch diese Aussprüche von Zeitgenossen die vorhin atierte Meinung eines Historikers, daB die Ruhe des Kirchhofs in Deutschland und Oesterreich so groB gewesen sei, daB sogar die Julirevolution hier keine Erregung verursacht habe, hinlanghch widerlegt zu haben, denn wenn Menschen von so verschiedener Observant, wie diejenigen, welche wir zu Worte kommen lieBen, sich über die Pariser Vorgange so begeistert auBern, dann darf man wohl ohne Uebertreibung sagen: die deutsche Intelligent von damals ist durch die Julirevolution, in der sie den Anfang einer Epoche der Tat erblickte, machtig aufgerüttelt worden. In dem ProzeB des aUmahlichen Uebergangs vom klassischromantischen Zeitalter zu dem des Realismus, ist die Julirevolution das revolutionare Moment, denn das ganz veranderte Verhaltnis von Poesie und Wirklichkeit, Literatur und Leben, wird erst durch sie den Zeitgenossen klar bewuBt. Börne und Heine, die selbst Kinder jener Uebergangsseit sind, war es vorbehalten durch ihre politisch-literarische Tatigkeit „am sausenden Webstuhl der Zeit" kraftig mitzuwirken. Sie schienen, unmittelbar nach der Revolution, einem Doppelstern ahnlich, ein und dasselbe Ziel mit denselben Mitteln zu erstreben. III. BÖRNE UND HEINE IN PARIS „Lafayette, die dreifarbige Fahne, die Marseillaise, . . . Fort ist meine Sehnsucht nach Ruhe. Ich weiB jetzt wieder, was ich will, was ich soll, was ich muB .... Ich bin der Sohn der Revolution und greife wieder zu den gefeiten Waffen, worüber meine Mutter ihren Segen ausgesprochen .... Blumen! Blumen! Ich will mein Haupt bekranzen zum Todeskampf. Und auch die Leier, reicht mir die Leier, damit ich ein Schlachtlied singe .... Worte gleich flammenden Sternen, die aus der Höhe herabschieBen und die Palaste verbrennen und die Hüttejjerleuchten .... Worte gleich blanken Wurfspeeren, die bis"m den siebenten Himmel hinaufschwirren und die frommen Heuchler treffen, die sich dort eingeschlichen ins Allerheiligste .... Ich bin ganz Freude und Gesang, ganz Schwert und Flamme!" *) Der so schreibt, ist kein anderer als Heinrich Heine. Die Nachricht von dem Ausbruch der Julirevolution erreichte ihn auf Helgoland. Ob Heine geahnt haben mag, daB seine Schicksalsstunde geschlagen hatte? Soviel ist sicher: die Julirevolution wurde ihm damals zum tiefinnersten Erlebnis, und wie stark seine Begeisterung spater auch abgekühlt sein mag, so war es doch wieder die Julirevolution, die im groBen Ganzen seinem weitern Leben Ziel und Richtung gegeben, die ihn zu dem bedeutendsten politischen Publizisten des Vormarz gemacht hat. Und: merkwürdige Gleichheit der Situation bei Gleichheit der Gesinnung: in denselben Tagen, in denen Heine auf Helgoland die Zeitungen „wie Manna verschlingt", und „ganz toll ist von jenen wilden, in Druckpapier gewickelten Sonnenstrahlen", bestürmen Börne im Bad Soden die gleichen Gefühle. !) Heines Werke, ed. Walzel, VIII 405. 4 50 Börne litt körperlich, aber auch geistig, als er jetzt in Soden eine Badekur machte. Seit fünfzehn Jahren hatte, so schien es ihm, die Geschichte stillgestanden: „Die Stille hier macht mich krank, die Enge macht mich wund. Ich liebe kein Sologerausch. Auch wenn Paganini spielt, auch wenn Sie singt — ich halte es nicht lange aus. Ich will Symphonien von Beethoven oder ein Donnerwetter. Ich will keine Loge selbst für mich, auch noch so breit; aber auch keine über mir. Ich will unten sitzen, umgeben von meinem ganzen Volke. Der Wert des Lebens wird in Deutschland unter der Erde, in mitternachtiger Stille, wie von Falschmünzern ausgepragt. Die, welche im Tageslichte das Werk dunkier Angst in Umlauf setzen und geltend machen, sie arbeiten nicht. In Frankreich lebt ein Lebensfroher das Leben eines Kuriers, in Deutschland das eines Postillons, der die namliche Station immerfort hin- und zurückmacht und dem das Glück ein armseliges Trinkgeld reicht Da erreichen ihn die Nachrichten der Ereignisse in Frankreich: Polignac, die Ordonnanzen, die drei glorreichen Julitage. Es war also nicht wahr, daB die Geschichte stillstand: Frankreich gab wieder das Signal, eine Epoche der Tat fing an. Er eilt nach Frankfurt, um dort in dem Lesezimmer am RoBmarkte gleich die neuesten Zeitungen lesen zu können 2). Aber auch hier litt es ihn nicht lange: er konnte dem innern Drang nicht wiederstehen, er will den Schauplatz der Ereignisse sehen und schickt sich an nach Paris zu reisen. Börne, der, wie wir bereitssahen3), im Jahre 1819 zum ersten Mal den französischen Boden betreten hatte, traf jetzt wieder am 16. September 1830 in Paris ein. „Die erste französische Kokarde", so schreibt er, „sah ich an dem Hute eines Bauers, der von StraBburg kommend in Kehl an mir vorüberging. Mich entzückte der Anblick. Es erschien mir wie ein kleiner Regenbogen nach der Sündflut unserer Tage, als das Friedenszeichen des versöhnten Gott es. Ach! und als mir die dreifarbige Fahne *) Tagebuch vom 22. Mai (Börnes Werke ed. Klaar, II 195). 2) Vgl. Reinganum, Aus Börnes Leben (Börnes Ges. Schriften, Hamburg, 1862, XII 383). *) Vgl. S. 29 ff. 51 entgegenfunkelte — gans unbeschreiblich hat mich das aufgeregt.... Es war nur der rote Farbenstreif der Fahne, der in unser Mutterland hineinflatterte. Das wird auch die einzige Farbe sein, die uns zu teil wird werden von Frankreichs Freiheit. Rot, Blut, Blut — ach! und nicht Blut auf dem Schlachtfelde. Gott! könnte ich doch auch einmal unter dieser Fahne streiten, nur einen einzigen Tag mit roter Tinte schreiben, wie gern wollte ich meine gesammelten Schriften verbrennen, und selbst den unschuldigen achten Teil von innen, der noch im MutterschoBe meiner Phantasie ruht" Man sieht es, Börne sowohl wie Heine erblickt in der Julirevolution den Anfang des Völkerfrühlings, eine messianische Erwartung beseelt die beiden Gesinnungsgenossen, und so lange sie noch in Deutschland waren, mag es den Beiden zu Mute gewesen sein, wie Goethe vor Valmy, als er die Worte sprach: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen". Das schone Bild der geistigen Uebereinstimmung zwischen beiden Mannern wird aber etwas getrübt; es ist, als ob es von einem Schatten verdunkelt wird, wenn wir hören, wie bei Heine, trotz aller Begeisterung für die Sache der Revolution, bereits Bedenken laut werden. Es ist auffallig, wie lange er unentschlossen hin und herschwankt, ehe er dem Vorbild Börnes folgt und gleichfalls nach Paris fahrt. In Rücksicht auf die spatere Entwickelung seines Verhaltnisses zu Börne ist es gewiB von symptomatischer Bedeutung, wenn Heine noch wührend seines Aufenthalts auf Helgoland in sein Tagebuch schreibt: „Welche Ironie des Geschickes, daB ich, der ich mich so gerne auf die Pfühle des stillen beschaulichen Gemüdebens bette, daB ich / eben dazu bestimmt war, meine armen Mitdeutschen aus ihrer Behag.lichkeit hervorzugeiBeln und in die Bewegung hineinzuhetzen"! *) Er denkt gar nicht daran nach Paris überzusiedeln, seine Zukunftsplane sind noch ganz unsicher. Erst im November spricht er in Briefen darüber, daB er vielleicht bald „das Reisebündel schnüren muB" ») „Briefe aus Paris", Nr. 2. (Börnes Werke, ed. Klaar, V 9.) ») Heines Werke, ed. Walzel, VIII 83. 52 und erkundigt sich nach der Adresse von Michel Beer in Paris 1). „Mein Streben geht dahin, mir a tout prix eine sichere Stellung zu erwerben; ohne solche kann ich ja doch nichts leisten", so schreibt er am 4. Januar 1831 an Varnhagen von Ense, den er bittet ihm bei seiner Bewerbung um eine in Hamburg erledigte Syndikkusstelle behilflich zu sein. „Gelingt es mir binnen kurzem nicht in Deutschland, so reise ich nach Paris; wo ich leider eine Rolle spielen müfite, wobei all mein künstlerisches poetisches Vermogen zu Grunde ginge, und wo der Bruch mit den heimischen Machthabern consumirt würde". DaB Heine versucht eine sichere Stellung zu bekommen, sich eine Existenzmöglichkeit zu erobern, weil er sonst „nichts leisten" könne, ist ganz natürlich. Börne hat es in dieser Hinsicht leicht gehabt, denn auBer den Einkünften aus dem Erbteil seines vermögenden Vaters erhielt er noch seine Pension als ehemaliger Polizeiaktuar der Stadt Frankfurt. Was uns aber am meisten in dem oben zitierten Brief an Varnhagen interessiert, ist nicht die Tatsache, daB er sich eine Existenzmöghchkeit in Deutschland zu erobern sucht, sondern die Furcht, die er ausspricht, es möchte der Dichter, der Künsder in ihm zu Grunde gehen infolge der Zumutungen, die als Poliüker an ihn herantreten konnten. Auch hier wieder beangstigt ihn der Gedanke, es konnten sein künsderischer Schöpferwüle und seine Ueberzeugung mit einander in Konflikt geraten. Hier schon haben wir u.E. den Gegensatz BörneHeine, den Gegensatz, welcher damals den beiden noch ganz unbewuBt war, der aber auch erst viele Jahre spater in Heines „Ludwig Börne, Eine Denkschrift" in seiner auBersten, bittersten Konsequenz zu Tage treten sollte. Es graut ihm vor den Folgen seiner eignen demokratischen Ueberzeugung, es beangstigt ihn sogar der Gedanke, daB „wenn eine Revolution ausbricht, er nicht der letzte Kopf ist, der fallt" *), und als Varnhagen ihm mitteilt, man nenne ihn in den Berliner Kreisen 1) Briefe an Detmold und an Varnhagen vom 30. Nov. 1830 (Fr. Hirth, Heinrich Heines Briefwechsel, München, 1914, I 631, 632). 2) Vgl. Brief an Ludolf Wïenbarg, Juli oder August 1830 (Hirth, 1616). 53 einen Salon-Demagogen, antwortet er: „Der Wits ist gewiB richtig, aber er kann mir mal den Kopf kosten" 1). Als all seine Plane scheiterten, als es ihm immer deutlicher wurde, daB es bei der wieder zunehmenden Reaktion unmöghch sei in Deutschland als publizistischer Schriftsteller zu wirken, beschüëBt er nach langerem Zögern und Zaudern, dem Vorbild Börnes zu folgen und nach Paris überzusiedeln. Pflicht und Klugheit rieten zur Abreise, so schreibt er ein Jahr spater an Varnhagen. „Ich hatte die Wahl zwischen ganzlichem Waffenniederlegen oder lebenslanghchem Kampf, und ich wahlte diesen, und wahrlich nicht mit Leichtsinh. DaB ich aber einst die Waffen ergriff, dazu war ich gezwungen durch f remden Hohn, durch frechen Geburtsdünkel — in meiner Wiege lag schon meine Marschroute für das ganze Leben" 2). * * * Am 3. Mai 1831 kam Heine in Paris an, aber er besuchte Börne erst am 25. September. „Willkommen in Paris!" — rief Börne ihm entgegen — „Das ist brav! Ich bin überzeugt, die guten, die es am besten meinen, werden alle bald hier sein. Hier ist der Konvent der Patrioten von ganz Europa, und zu dem groBen Werke müssen sich alle Völker die Hande reichen." 8). Es unterliegt keinem Zweifel, daB, so lange Heine noch in Deutschland war, das Verhaltnis zwischen Börne und Heine recht freundschaftlich war, daB sie sich tatsachlich, ebenso wie die Zeitgenossen, als Kampfer für eine und dieselbe Sache betrachteten. Es erschien ihnen als ihre gemeinsame Aufgabe, durch ihre pohtisch-Uterarische Tatigkeit die Entwicklung des politischen Lebens in Deutschland in freiheitlichem Sinne zu beeinflussen. Durch die Schilderung des politischen und sozialen Lebens in der Stadt, wo die Weltgeschichte gemacht wurde, wolken sie das deutsche Volk politisch aufklaren und dasselbe in seinem Kampf gegen die Metternichsche Reaktion unterstützen. Börne und Heine übersahen ebenso wie die Zeitgenossen, *) Brief an Varnhagen vom 1. April 1831 (Hirth, I 642.) *) „ „ „ „ 16. Juli 1832 (Hirth, II 39.) ») Heines Werke, ed. Walzel, VIII 415. 54 daB ihr gemeinsames Ziel: Bekampfung der Reaktion, ein rein negatives war, und daB es sich möglicherweise herausstellen könnte, daB, obwohl sie beide langere Zeit „in demselben Lagerzelt schliefen", das Gegensatzliche in ihrer Weltanschauung immer starker in die Erscheinung treten müBte, sobald es sich darum handelte ein / positives Programm für die künftige soziale und politische Entwick- I lung aufzustellen. Als sie in Paris mit ihrer pohtisch-literarischen Tatigkeit anfingen, hatten sie ohne Zweifel das Gefühl, sie seien Bundesgenossen, Waffenbrüder „im Befreiungskampf der Mcnschheit". Wir aber konnten bereits aus einigen AuBerungen den Eindruck gewinnen, es hatte sie mehr die Zeit und die Zeitereignisse auf eine Linie gestellt, als daB sie durch geistige Wahlverwandtschaft zusammengeführt waren. Das Gemeinsame, dasjenige, wodurch sie auch in den Augen der Mitwelt als zwei verwandte Naturen erschienen, war ihre Begeisterung für die Julirevolution, war vor allem ihre Liebe für Frankreich als \ Mittelpunkt europaischer Kultur und Gesittung. Darin liegt auch der Grund, weshalb Börne und Heine, trotz ihrer jüdischenHerkunft, geistig eng verbunden waren mit der deutschen Jugend von 1830, denn, wie wir früher sahen1), hatte sich seit dem Jahre 1815 das Verhaltnis des deutschen Bürgertums zu Frankreich allmahlich geandert. In der kurzen Spanne Zeit von 1815—1830 hatte sich ein so starker Umschwung in der Beurteilung von Frankreich vollzogen, daB die Jugend von 1830 im Gegensatz zu den Teutschen vom Schlage des alten Turnvaters ! Jahn mit Ehrfurcht und Bewunderung nach Frankreich hinblickte. So konnten auch Börne und Heine in Paris das Gefühl haben, sie hatten enie Sendung zu erfüllen, es sei ihre Aufgabe der deutschen Jugend die Werte zu vermitteln, womit die Julirevolution das europaische Leben befruchtet hatte, sie waren dazu berufen, als Kultur vermitder zwischen Frankreich und Deutschland zu wirken. Wie haben sie sich dieser Aufgabe endedigt und wie hat sich dabei ihr gegenseitiges Verhaltnis entwickelt? Ehe wir diese Fragen zu beantworten versuchen, erscheint es uns zunachst notwendig, wenn *) Vgl. s. 35 ff. 55 auch in groBen Umrissen, ein Bild von ihrem Leben in Paris zu gewinnen. Es konnte sein, daB sich auch hier in ihrer Lebensführung, in dem Verhaltnis eines jeden zu der französischen Gesellschaft bereits eine Gegensatzlichkeit bemerkbar machte, die auch für die richtige Würdigung ihrer pohtisch-literarischen Tatigkeit nicht auBer Acht gelassen werden dürfte. * * * So reichlich die Quellen flieBen, die uns über Heines Leben in Paris berichten, so sparlich flieBen die wenigen, welche uns Nachricht geben können über Börnes Leben in der Hauptstadt. Es hat dies seine guten Gründet Heine wurde als berühmter Dichter, geistreicher Causeur und homme du monde sofort in die französische Gesellschaft aufgenommen, wurde, wie er selbst sagt1), „von den auBerordentlichsten Ehrenbezeugungen fast erdrückt". Börne dagegen ist in Paris ein Einsamer geblieben. Als die wichtigste Quellea) für die Kenntnis von Börnes Leben in Paris muB u. E. die kleine Biographie Eduard Beurmanns3) bezeichnet werden. Es ist ein höchst merkwürdiges Werkchen, nicht, weil es mit so groBer Liebe die Persönkchkeit Börnes beschreibt, sondern, weil der Verfasser Eduard Beurmann (oft zitiert als Ludwig Beurmann) einer der geistig bedeutendsten Lockspitzel war, die sich im Auftrage des von Metternich in Mainz errichteten „Zentralinformationsbureaus", in der Umgebung von Börne und Heine aufhielten, um regelmaBig über deren Umgang, Plane u. s. w. Geheiinberichte einzuschicken *). *) Brief vom 21. April 1834 an Maximilian Heine (Hirth, II 52). ») Die übrigen uns bekannten Quellen haben wir bereits früher an anderer Stelle angegeben (Ras, Ludwig Börne als Vermittler zwischen deutscher und französischer Kultur: Neophilologus, III 271). Es kommt aber noch hinzu: Prof. Dr. Alfred Stern, Börne und Heine in Paris nach den Berichten des dorü'gen Vertreters der freien Stadte Deutschlands (Frankf.Ztg., 50. Jhg. Nr. 344). _ ») Eduard Beurmann, Ludwig Börne als Charakter und in der Literatur, Frankfurt a. M., 1837. «) Vgl. Karl Glossy, Literarische Geheimberichte aus dem Vormarz, Wien, 1913, Einl. CXXXVI. 56 Nach Beurmann war Börnes Stellung in Paris von Anfang an eine ziemlich isolierte. „Für den gesellschaftlichen Verkehr hörte er zu schlecht, für die Salons besaB er überdies keine Geschmeidigkeit, kein savoir faire. Zwar erklarte Börne, er könne nicht ohne Paris leben, aber eigentlich stand er aufierhalb von Paris. Geniefien konnte er Paris nicht, wie Heine dies vermochte. Anscheinend zurückgezogen lebend nahm er den lebhaftesten Anteil an allen Tagesfragen, seine Blicke waren stets auf das Capitol gerichtet, wo er keine Stelle einnehmen könnte; in seinem einsamen Zimmer, höchstens von einigen Freunden umgeben, verhandelte er alle jene Dinge, die Frankreich bewegten, aber der Grund und Boden dieser Verhandlungen war ein ganz anderer als der in den Kammern; nicht die kleinlichen Interessen der Parteien, sondern die Humanitat im umfassendsten Sinne des Wortes bildete das Fundament der Diskussion. Börne lebte nicht sowohl in als an Paris: sein groBes Herz erstarkte an dem Ruhm, der Tatkraft und der vorangeschrittenen Civilisation, die dort, weniger im Zusammenhang, als in groBen Granitbruchstücken, anzutreffen sind." *) Mit gröBter Sorgfalt las Börne die französischen Zeitungen und liefi sich sogar die alltaglichen Vorfalle im Leben der Hauptstadt erzahlen, „alles", sagt unser Augenzeuge, „aus dem Grunde um selbst in seiner Zurückgezogenheit inmitten jener rastlosen Tatigkeit von Paris zu bleiben und unter dem groBen Schutte des Volkgewühls wenigstens ein Körnchen Volkscharakter und Volkswürde zu finden." Beurmann spricht hier von einigen wenigen Freunden, die Börne umgeben. Es ist nicht uninteressant den Kreis um Börne etwas naher kennen zu lernen. Ist doch das Milieu Börnes, wie wir noch sehen werden, ein wesentlich anderes als dasjenige, in dem Heine vorzugsweise verkehrte. Für Börnes Geistesrichtung ist es in hohem MaBe kennzeichnend, daB bei den wenigen Freunden, die ihn umgeben, meistens das Politische im Vordergrund des Interesses steht. Zu seinem taglichen Umgang gehort natürlich an erster Stelle Frau Jeanette StrauB-Wohl und ihr Gatte, der junge Kaufmann ») Beunnann, S. 31—32. 57 Salomon StrauB. Frau StrauB seit dem Jahre 1818 Börnes treue Freundin imd Beraterin, hatte sich im Oktober 1832 mit dem viel jüngern StrauB, einem Verehrer Börnes, verheiratet unter einer Bedingung: Dir Gatte müsse ihr gestatten, daB Börne immer bei ihnen sein könnte „wann, wo und so oft und für immer, wenn er es will". Seinetwegen lieBen sie sich 1833 in Paris nieder. Die drei Freunde lebten zusammen, ihnen gemeinsam war das lebhafte Interesse für das politische Leben ihrer Zeit. In den nachsten Jahren sehen wir als Gaste des StrauB-Börneschen Hauses Jakob Venedy und Eduard Kolloff. Erstgenannter, ein ehemaliger Privatdozent aus Heidelberg, wurde wegen seiner Beteikgung an dem auch von Börne besuchten Hambacher Fest verhafteta). Als er aber beim Transport in die preuBischen Kerker durch die Rheinpfalz geschleppt wurde, befreite ihn der junge Johann Philipp Becker in dem Stadtchen Frankenthal. Venedy kam dann nach Paris und wurde einer der Leiter des 1834 gegründeten „Bundes der Geachteten", der ersten geheimen Organisation der deutschen Flüchtlinge in Paris. Ueber das Verhaltnis von Börne und Heine zu diesem Bunde werden wir noch naher zu sprechen haben. Eduard Kolloff, ein ehemaliger Lehrer am Bunsenschen InstitUt in Frankfurt wurde wegen Teilnahme an dem Frankfurter Putsch verfolgt, entfloh nach Lyon und lebte spater als Kunstkritiker in Paris 8). Durch seine Vermitdung wurde Börne mit dem demokratischen Arzt Francois Vincent Raspail4) bekannt. In Raspails „Le Réformateur", der bereits 1836 von der Regierung unterdrückt wurde, hat Börne den Artikel über Heines „De 1» Allemagne" 6) veröffenthcht. Auch der berühmte Bildhauer David d'Angers kam oft zu Börne. Raspail hat spater an Börnes Grab das Wort geführt, d'Angers sollte sein Grabmal6) 1) Vgl. Brandes, Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrh., III 6. S. 352. 2) Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, I 97. *) Glossy, Literarische Geheimberichte, Anm. S. 31. 4) Quack, De Socialisten, Amsterdam, 1911, III 480. X «) Réformateur du 30. mai 1835. «) Das Büdnis Börnes mit einem allegorischen Reliëf: Frankreich und Deutschl welche sich unter dem Schutz der Freiheit die Hand bieten. 58 meiBeln. Es sind die einzigen Franzosen, die zu ihm in engere Beziehung getreten sind 1). In den ersten Jahren speist er noch oft in den Lokalen, in welchen die in Paris lebenden deutschen Handwerker zu Mittag aBen, spater beteiligte er sich nur an den politischen Zusammenkünften der ausgewanderten Handwerker. Als Heine sich wegen „des Tabaksqualms" schon langst aus der Gesellschaft der „lieben Brüder und Gevattern" fortgeschlichen hatte, blieb Börne ihnen treu, und fühlte sich dort sicher viel behaglicher als in den Salons; er muBte aber, wohl zum gröBern Teil wegen seiner schwachen Gesundheit, die geistige Leitung der Handwerkerkreise Jakob Venedy und Dr. Theodor Schuster, der in der Göttinger Revolution von 1831 eine Rolle gespielt hatte, überlassen. Trotzdem blieb Börne nach wie vor von dem Diplomaten Vincent Rumpff, dem Vertreter der vier freien deutschen Stadte, und somit auch seiner Vaterstadt, im Geheimen sorgfaltig überwacht2). Mit der eigentlichen französischen Gesellschaft hat er also nur wenig Fühlung gehabt. Zwar vernehmen wir, daB er im Anfang seines Aufenthalts in Paris bei Lafayette war3), wohin Frau Jeanette Wohl ihm schrieb: „DaB Sie bei Lafayette waren, hat mich gefreut und sehr interessiert. Wer hat Sie eingeführt?.... Fahren Sie so fort, Ihre Tragheit zu überwinden! Ich glaube daB die soirees und salons allein schon Sie in Paris festhalten werden" *), aber von Börnes Empfangkchkeit für den Reiz des geselligen Lebens bekommen wir doch ein ganz anderes Bild, wenn wir lesen, wie Gans, der im Jahre 1830 auch einen Abend in den Salons Lafayettes war, uns Börnes Benehmen in diesem Kreise schildert: „Auf einem kleinen Stuhle, ohne alle Ansprache und sich nur bisweilen mit scharfen Augen umschauend, saB Börne, als ware ihm die ganze Versammlung tediös, und als möchte er den Nutzen dieser Zusammenkunft erspahen" 6). *) Vgl. über Börnes Bekanntschaft mit Nisard: Ras, Börne als Vermittler etc (Neophilologus, III 272). !) Vgl. hierzu: Alfred Stern, Geschichte Europas von 1815—1871, Stuttgart, 1905, IV 414. s) 9. Brief der „Briefe aus Paris", (Börnes Werke ed. Klaar, V 34). *) E. Mentzel, Briefe der Frau Jeanette Straufi-Wohl an Börne, Berlin, 1907, S. 153. *) Eduard Gans, Rückblicke auf Personen und Zustande, Berlin, 1836, S. 74. 59 Frau Wohl hat offenbar sehr stark die Gefahr erkannt, daB seine Zurückgezogenheit Börne zu einem Einsamen in Paris machen würde: „Wenn Sie in Paris genieBen wollen", so schreibt sie ein" anderes Malx), „müssen Sie freilich mehr Bekanntschaften machen .... Wenn Sie das nicht tun, sich einsam zu Hause hinsetzen, werden Sie mich freüich sehr vermissen. Sie sollen aber in die Salons gehen, mir hübsche Mitteilungen darüber machen, und ich stehe ihnen dafür, Sie werden den Winter angenehm dort zubringen. Es ware ja eine Schande, wenn Sie in Paris Heimweh nach Frankfurt bekamen! — Doch befürchte ich immer, Sie fallen wieder in die namliche Einförmigkeit zurück, wie vor mehrern Jahren in Berlin, wo Sie auch aus Tragheit, statt sich in der groBen Welt herumzutreiben, . . . jeden Abend bei Salings zubrachten. Fassen Sie den edlen Vorsatz, ein homme du monde zu werden!" Börne selber aber war gar nicht geneigt dieser Aufforderung Folge zu leisten, denn, recht bezeichnend für den ganzen Menschen, schreibt er: „Ich habe bis jetzt noch sehr wenige Bekanntschaften gemacht, und wahrscheinUch werde ich es darin nicht weiter bringen, als das vorige Mal auch. Man mag sich anstellen wie man will, man fallt immer in sein Temperament zurück. Zu Menschenkennerei hatte ich immer die gröBte Unlust; meine sinnliche und mehr noch meine phüosophische Tragheit halt mich davon zurück. Was die einzelnen Menschen der namlichen Gattung von einander unterscheidet, ist so fein, daB mich die Beobachtung anstrengt; es ist mir, als sollte ich einen kleinen Druck lesen. Und wird man bezahlt für seine Mühe? Selten. Darum halte ich mich lieber an Menschenmassen und an Bücher. Da kann ich fortgehen, die kann ich weglegen, wenn sie mir nicht gefallen oder wenn ich müde bin. In Geselschaften muB ich hören, was ich nicht Lust habe zu hören, muB sprechen, wenn ich nicht Lust habe zu sprechen, und muB schweigen, wenn ich reden möchte. Sie ist eine wahre Kramerei, die sogenannte gesellschafdiche Unterhaltung. Was man in Centnern eingekauft, setzt man lotweise ab. Wie selten trifft man einen Menschen, mit dem man en gros !) Mentzel, Briefe, S. 148—149. 60 sprechen kann. Wem, wie mir, seine Meinungen zugleich Gesinnungen sind, wem der Kopf nur die Pairskammer ist, das Herz aber dievolkstündichere Deputiertenkammer, der kann sich nicht in Gesellschaften behaghch fühlen, wo der aristokratische Geist aUein Gesetze giebt. Drei, höchstens fünf Freunde, oder dann Markt oder ein Buch — so liebe ich es. Das ist die Philosophie meiner Tragheit"1). Als dann Frau Wohl verheiratet nach Paris kam, zog Börne zu dem Ehepaar hinaus, in die Vorstadt Auteuil, wo er bis zu seinem 1837 erfolgten Tode, sich immer mehr zurückziehend, lebte. Wohl hatte Kolloff recht, als er im Jahre 1839 in einem Erinnerungsartikel2) über den verstorbenen Freund schrieb: „Börne lebte in Paris von allen Parteien isoliert; als berühmter Schriftsteller hatte er durch einige Geschmeidigkeit und Nachgiebigkeit leicht Ansehen und EinfluB gewinnen können, allein aus unbezwinglicher Abneigung gegen jeden Zwang, oder, wenn man lieber will, aus übermaBiger Liebe zur Freiheit schloB er sich keiner Coterie an und pflog keine Bekanntschaften; mit einem Wort, er war der Pariser Gesellschaft so fremd geblieben als ah dem Tage, wo er mit dem Eilwagen in der Hauptstadt ankam." Wie ganz anders gestaltet sich das Bild, das wir von Heines Leben in Paris gewinnen! Wir haben gesehen, wie Heine Deutschland verlassen hatte, wie sehr er zögerte, wie sehr er im Herzen bebte vor einem Bruch mit der Heimat. Noch in den „Gestandnissen" schreibt er8): „Es war nicht eitel Lust meines Herzens, daB ich alles verlieB, was mir Teures im Vaterland blühte und lachelte — mancher liebte mich dort, z. B. meine Mutter — aber ich ging, ohne zu wissen warum; ich ging, weil ich muBte. Nachher ward mir sehr müde zumute, so lange vor den Juhtagen hatte ich das Prophetenamt getrieben, daB das innere Feuer mich schier verzehrt, daB mein Herz in den gewaltigen Worten, die daraus hervorgebrochen, so matt geworden wie der Leib einer Gebarerin —." ') 12. Brief der „Briefe aus Paris". (Börnes Werke, ed. Klaar, V 44). *) E. Kolloff, Börne in Paris, (Gutzkows Jahrbuch der Literatur, Hamburg, Hoffmann und Campe, 1839, S 143 ff.) *) Heines Werke, ed. Walzel, X 135 ff. 61 Auch in Paris beschleicht ihn zuweilen jcnc unbchaghche Stimmung des Sichfremdfühlens: „Sehen Sie, teurer Freund," so schreibt er spater an Lewald, „das ist eben der geheime Fluch des Exils, daB uns nie ganz wöhnhch zu Mute wird in der Atmosphare der Fremde, daB wir mit unserer mitgebrachten, heimischen Denk- und Gefühlsweise immer isohert stehen unter einem Volke, das ganz anders fühlt und denkt als wir"1). Ganz in Uebereinstimmung mit den von uns bereits zitierten AuBerungen, fühlt er auch hier wieder, daB er sich eigentlich lieber ruhig zurückschleichen möchte in das Land der Poesie, wo er als Knabe so glücklich gelebt2), denn schon gleich in einem seiner ersten Briefe aus Paris heiBt es: „Ich bin umgeben von preuBischen Spionen; obgleich ich mich den politischen Intriguen fernhalte, fürchten sie mich doch am meisten. Freüich, da man mir den Krieg macht, so wissen sie, daB ich losschlage, und zwar nach besten Kraften. „Ach, vor sechs Monaten sah ich alles voraus und hatte mich gern in die Poesie zurückgezogen und anderen Leuten das Schlachterhandwerk überlassen — aber es ging nicht, la force des choses, wir werden auf die Spitze getrieben"8). Solche Sümmungen sind aber nur sehr vorübergehender Natur, er fühlt sich immer mehr heimisch in Paris, und in dem soeben zitierten Briefe heiBt es schon: „Es kann mir hier nicht schlechter gehen, wie in der Heimat, wo ich nichts als Kampf und Not [habe], wo ich nicht sicher schlafen kann, wo man mir alle Lebensquellen vergiftet. Hier freüich ertrinke ich im Strudel der Begebenheiten, der Tageswellen, der brausenden Revolution; — obendrein bestehe ich jetzt ganz aus Phosphor, und wahrend ich in einem wilden Menschenmeere ertrinke, verbrenne ich auch durch meine eigne Natur." Einst hatte er daheim gesungen: „DaB ich bequem verbluten kann, gebt mir ein edles, weites Feld! O, laBt mich nicht ersticken hier in dieser engen Kramerwelt." x) Heines Werke, ed. Walzel, VIII 53. 2) Vgl. Gestandnisse (Heines Werke ed. Walzel, X 135 ff.) s) Brief an Varnhagen vom 27. Juni 1831 (Hirth. II 4). 62 Hier in dieser Metropole, in dieser Hauptstadt der europaischen Revolution, wo man die Weltgeschichte mit eignen Augen betrachten konnte, wo wieder die Marseillaise erklang, die man seit dem achtzehnten Brumaire nicht mehr gehort hatte1), hier fand er die Weite, die er als jüdischer Künsder und Politiker seiner ganzen geistigen Veranlagung nach brauchte, hier fühlte er sich bef reit aus der Enge der deutschen Verhaltnisse, aus dem politischen Jammer, aus der geistigen Unfreiheit des vormarztichen Deutschland, hier gab es doch Parteien und Parlament, gab es ein stark bewegtes politisches Leben. Der Dichter des „Tambour Le Grand", der Denker mit seinen ausgesprochenen französischen Sympathien, berauscht sich immer mehr an Paris: „Sogar die Schrecknisse, die man im eignen Herzen mitgebracht hat nach Paris, verlieren dort ihre beangstigenden Schauer. Die Schmerzen werden sonderbar gesanftigt. In dieser Luft von Paris heilen alle Wunden viel schneller als irgendanderswo; es ist in dieser Luft etwas so Grofimütiges, so Mildreiches, so Liebenswürdiges wie im Volke selbst" 2). Die Salons öffnen sich ihm, und es ist eine wenig bekannte Tatsache, daB der abenteuerliche Dr. Koreff, der wegen seiner magnetischen Kuren jahrelang im Mittelpunkt des Interesses der Pariser Gesellschaft stand, ihn in die Salons eingeführt hat8). Ihre Bekanntschaft, die sie früher in Varnhagens Haus gemacht hatten, wurde in der bekannten Buchhandlung Heideloff und Campe, dem Treffpunkt der Mitglieder der deutschen Intelligenz in Paris4), erneuert. So besuchte Heine bereits im Herbst 1831 die Soireen bei Rothschild und Lafayette. Bald macht er Bekanntschaft mit Alex. Dumas, Mignet und Alfred de Musset; er war vertraut mit den Hauptern der Saint-Simonisten, mit Père Enfantin, Olinde Rodrigues, Charles Duveyrier, und Michel Chevalier. Er besuchte ihre Zusammenkünfte in der Rue ') Louis P. Betz, Heine in Frankreich, Zürich, 1895, S, 11. *) Heines Werke ed. Walzel, VI 435. *) Marietta Martin, Le Docteur Koreff, un aventurier intellectuel sous la Restauration et la Monarchie de Juillet, Paris 1925, p. 92 ff. 4) Vgl. weiter August Lewalds Bericht, zitiert van H. H. Houben, Gesprache mit Heine, Frankfurt a. M., 1926, Nr. 239 und Nr. 229. 63 Taitbout, ohne sich jedoch ihrer Organisation anzuschlieBen1). In dieser Weise lebte Heine, ganz anders als Börne, das gesellschafthche und politische Leben der Hauptstadt wirklich mit, und deshalb ist es zu verstehen, wenn Sainte-Beuve im „National" vom 8. August 1833 in einer Besprechung von Heines in gleichem Jahre erschienenemBuch„De la France" von dem Dichter schreiben konnte: „M.Heine n'était pas connu chez nous avant la révolution de juillet, et aujourd'hui il est tout a fait naturalisé; il est des nótres autant que le sphïtuel Grimm Ta jamais été." *) * * * Börne und Heine glaubten beide, als sie Deutschland verlieBen, daB sie in Paris eine Sendung zu erfüllen hatten, daB sie dazu berufen waren als Kulturvermitder zu wirken. „Rapprocher 1'AUemagne de la France, tel est notre but", so schrieb Börne im Jahre 1836 in seiner in Paris erschienen Zeitschrift „La Balance", und Heine spricht es noch in seinem letzten Testament vom Januar 1851 aus, daB es die groBe Aufgabe seines Lebens gewesen sei, „an dem herzlichén Einverstandnisse zwischen Deutschland und Frankreich zu arbeiten und die Ranke der Feinde der Demokratie zu vereiteln, welche die internationalen Vorurteile und Animositaten zu ihrem Nutzen ausbeuten" Kulturvermittelnd wollten sie beide wirken, aber wie verschieden ist ihre Einstellung, ihr Verhaltnis zu dem politischen und gesellschaftlichen Leben der Franzosen! Der eine weiB sich in allen Kreisen Verbindungen zu schaffen, wird gefeiert als „le spirituel Allemand", wird „von den auBerordendichsten Ehrenbezeugungen fast erdrückt" *), der andere ist ein Einsamer, der eben schon deshalb Welt und Leben wohl anders beurteilen muBte als der Freund, den er bei dessen Ankunft in Paris so freudig als Bundesgenossen begrüBt hatte. Börne und Heine wurden damals von der deutschen Jugend als eine Art „Doppelstern" angesehen, wir aber haben bereits Symptome >») Vgl. Brief an Varnhagen von Ense vom 1. April 1831 (Hirth, I 642). 2) Betz, S. 151. ») Heines Werke ed. Walzel, X 379. «) Brief an Maximilian Heine vom 21 April 1834 (Hirth, II 52). 64 entdeckt, die auf eine wesentlich verschiedene geistige Einstellung hinweisen. Wird der grofie Unterschied auch in der Lebensführung der beiden Gesinnungsgenossen das Gegensatzliche nicht immer starker akzentuieren, wird sich dieses ganz verschiedene Verhaltnis zur Umwelt nicht immer deutlicher in ihrem persönlichen Verhaltnis reflektieren, bis zuletzt das BewuBtsein der Gegensatzkchkeit zu stark, der Bruch unvermeidlich geworden ist? — * * * Wie war eigendich das persönkche Verhaltnis zwischen den beiden, und wie hat es sich im Laufe der Zeit entwickelt? Zur Zeit, als Heine noch nicht in Paris wohnte, hatte Börne den Plan gefaBt, gemeinsam mit Heine eine Zeitschrift herauszugeben. Es sollte eine Quartalschrift werden, deren Hauptinhalt „eine wirkhch zwischen ihnen unterhaltene Korrespondenz"*) bilden sollte. Es wurde nichts daraus, aber es beweist jedenfalls, daB Börne in Heine den Gleichgesinnten, den Waffenbruder, sah, was auch von Gutzkow nachdrücklich bestatigt wird 2). Durch Houbens Veröffendichung, durch die zahlreiche uns bis jetzt unbekannte Quellen erschlossen worden sind, wissen wir, daB Heine, als er Börne in Paris am 26. September 1831 zum ersten Male besuchte, mit ehrfürchtiger Hingebung und Andacht in seine Wohnung trat. Er sei vor dem Hause hin und her gegangen, ehe er sich ein Herz genommen hatte einzutreten. Es scheint aber, daB Börne von vornherein Heine nicht so freundschafdich gesinnt war, wie man glauben sollte, denn sonst hatte er nach diesem ersten Besuch nicht an Jeanette Wohl schreiben können: „Gestern vormittag kam ein junger Mann zu mir, stürzt freudig herein, lacht, reicht mir beide Hande — ich kenne ihn nicht. Es war Heine, den ich den ganzen Tag im Sinne hatte! Er sollte schon vor acht Tagen von Boulogne zurück sein, aber, ich war dort krank *) Gutzkow, Börnes Leben (Ges. Werke, Jena, o. J., XII357 ff.) *) Houben, Gesprache mit Heine, Nr. 231. "1 geb. 22 Mai 1736 geat. 12 FeBr 1837. 65 geworden, hatte mich in eine Englanderin verliebt, usw. Man soll sich dem ersten Eindrucke nicht hingeben; aber mit Ihnen brauche ich mich nicht vorzusehen, das bleibt unter uns, und wenn ich meine Meinung andere, sage ich es Ihnen. Heine gefallt mir nicht. Sollten Sie wohl glauben, daB, als ich eine Viertelstunde mit ihm gesprochen, eine Stimme in meinem Herzen mir zuflüsterte: ,Er ist wie Robert, er hat keine Seele?' Und Robert (Robert der Teufel) und Heine, wie weit stehen die auseinander! Ich weiB selbst deutlich, was ich unter Seele verstehe; es ist aber etwas, was oft gewöhnliche Menschen haben und bedeutendere nicht, oft böse und nicht gute, beschrankte und nicht geistreiche Menschen.... Ich und meinesgleichen, wir affektieren oft den Scherz, wenn wir sehr ernst sind; aber Heines S Ernst scheint mir immer affektiert. Es ist ihm nichts heilig, an der %y Wahrheit hebt er nur das Schone, er hat keinen Glauben"1). Heine hat diese veranderte Stimmung ihm gegenüber wohl gleich gefühlt, denn er meint, in Börnes Reden habe es keine Spur der früheren Harmlosigkeit mehr gegeben und sein Humor sei mitunter gallenbitter und blutdürstig gewesen2). Es war Heine bei diesem ersten Besuch „unheimlich zu Mute" 3) geworden. Mit jedem neuen Brief an Frau Wohl hat Börne neue Fehler und Charakterlosigkeiten Heines zu berichten* Er überbietet sich förmlich darin. Bald findet er ihn herzlos und seine Unterhaltung geistlos, bald spricht er über Heines „elende Feigheit, unter der sich noch etwas Schlimmeres, eine niedertrachtige Gesinnung verstecke" *). Dann wieder hat ihm ein Deutscher gesagt, daB er der einzige politische Schriftsteller in Deutschland sei. Heine aber sei nur ein Dichter, und dies habe ihn (Börne) auf den Gedanken gebracht, daB Heine sich darum nicht mit ihm zu einem Journal verbinden wollte, weil er fürchtete in seiner Nahe nicht genug glanzen zu können6). Ein anderes Mal, nach einem erneuten Besuch Heines, berichtet er, x) Houben, Gesprache mit Heine, No. 230. •) Heines Werke, ed. Walzel, VIII 415. *) Ebenda S. 418. 4) Houben, Gesprache mit Heine, No. 234 u. No. 253. ») Ebenda, No. 232. 5 66 daB sich sein erster Eindruck nur verstarke, er finde Heine herzlos und seine Unterhaltung geisdos, er spreche kein vernünftiges Wort *). Zwar bittet Börne an anderer Stelle 2) Jeanette Wohl ausdrücklich, sie solle nicht denken, es mache ihm Vergnügen, Böses von Heine zu reden, er interessiere ihn bloB als Schriftsteller und darum auch als Mensen, 2) aber wir sind nach der unerquicklichen Lektüre der vielen privaten AuBerungen Börnes über Heine keineswegs geneigt dieser Versicherung Glauben zu schenken. Wenn wir lesen, daB er „alles sammelt", was er von andern über ihn hört und was er selbst beobachtet, wenn wir vernehmen, daB „der arme Heine chemisch von ihm zerfetzt wird" und daB dieser „gar keine Ahnung davon hat", daB er, Börne, „im geheim bestandig Experimente mit ihm macht",3) so können wir nicht glauben, daB die edelsten Beweggründe ihn zu dieser Sammelwut treiben. Es ist uns viel mehr, als ob Börne, der ehe malige Polizeiaktuar, sein früheres Handwerk wieder aufgenommen habe. Die Rivalitat machte sich immer deutlicher bemerkbar. Als Heine ihn am 15. Dezember 1831 wieder einmal besuchte und bei dieser Gelegenheit Börnes Pariser Briefe, die er eben gelesen hatte, lobte, heiBt es,4): „Er gefallt mir alle Tage weniger, ob er mich zwar sehr hoch stellt und sein Urteil, als das eines Kenners, mir sehr schmeichelhaft sein muB. Er ist ein Lümpchen, hat keine und halt auf keine Ehre. Die Partei der Liberalen ist aber noch so schwach in Deutschland, daB nur die strengste Rechtlichkeit ihr Gewicht geben kann. Wie alle furchtsamen Menschen, hat auch Heine ein Grauen vor dem Volke, und er kann sich gar nicht darein finden, wie ich dem Pöbel so zugetan sein, ihn so warm verteidigen mag. Ich habe ihm erst heute gesagt: ,LaBt uns unsern künftigen Herrn ehren!' Gutzkow deutet, ebenso wie Börne in seinem Brief an Jeanette Wohl vom 15. Dezember 1831 darauf hin5), daB der groBe Erfolg, den Börnes Pariser Briefe hatten, Heines Eifersucht wahrscheinlich *) Houben, Gesprache mit Heine No. 234. 2) ,, ,, ,, ,, No. 237. ») „ ,. „ „ No. 245. *) „ „ ,, „ No. 248. ») „ „ „ „ No. 257. 67 erregt habe. Wie dem auch sei, der Gegensatz, dessen sie sich beide allmahlich nur zu deudich bewufit geworden waren, wurde noch bedeutend verscharft durch Heines Haltung in der Frage der deutschen Flüchtlinge in Paris. Im Jahre 1832 hatte Johann Georg August Wirth mit Hilfe anderer süddeutscher Liberalen den Prefi- und Vaterlandsverein gegründet. Aus der in Paris bestehenden Abteilung des Prefivereins *) war ein „deutscher Volksverein" und aus diesem im Jahre 1834 ein geheimer „Bund der Geachteten" entstanden 2). Die Mehrheit der Mitgheder bestand aus deutschen Handwerkern. Obwohl Börne gesundheitshalber oft verhindert war, besuchte er regelmafiig die Zusammenkünfte. Heine erzahlt, er habe Börne einmal in einer solchen Volksversammlung in der Passage du Saumon reden hören. „Denkt euch meinen Schreck, als ich der erwahnten Volksversammlung beiwohnte, fand ich samtliche Vaterlandsretter mit Tabakspfeifen im Maule, und der ganze Saai war so erfüllt von schlechtem Knasterqualm, da8 es mir gleich auf die Brust schlug, und es mir platterdings unmöglich gewesen ware ein Wort zu reden .... Ich kann den Tabaksqualm nicht vertragen, und ich merkte, daB in einer deutschen Revolution die Rolle eines GroBsprechers in der Weise Börnes und Konsorten nicht für mich paBte" 3). Börne behauptete, daB Heine Mitglied des PreBvereins geworden sei, obgleich er das Treiben der Deutschen verspottete, nur aus Furcht, er könne sonst von den deutschen Patrioten Prügel bekommen4). Heine hat aber in der Zwischennote zu seinem Bericht vom 1. Oktober 1832 ausdrücklich erklart, daB er nie Mitglied der deutschen Association gewesen sei.8) „Die deutschen Verbannten halt er sich ziemlich vom Leibe, was ihm nicht eben, bei der Petulanz und *) Vgl. Börnes Briefe aus Paris Nr. 77. (Börnes Werke, ed. Klaar VI 109.) *) Stern, Geschichte Europas von 1830—1848, IV, 414; Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, I 97 ff.; Heinrich Schmidt, Ein Beitrag zur Geschichte des Bundes der „Geachteten" (Die Neue Zeit, 1898, XVI, 150—155). ') Heines Werke, ed. Walzel, VIII 432 ff. 4) Houben, Gesprache mit Heine, No. 218. ') Heines Werke, ed. Walzel, VI 250. 68 Dummheit gar vieler unter denselben, zu verdenken ist, auf der anderen Seite erzeigt er ihnen jedoch viel Gutes und zwar auf die rechte Weise, indem die Linke nicht erfahrt, was die Rechte tut," berichtet O. L. B. Wolff über Heine Börne und Heine, sagt Gutzkow, aBen oft zusammen an einem Orte, wo viele deutsche Handwerker verkehrten. „Zwischen der Suppe und dem Rindfleisch kam regelmafiig eine schmutzige Subskriptionsliste den Tisch herunter."") „Eines Tages", erzahlt Eduard Beurmann, „ging man sogar so weit, ihn zur Unterzeichnung einer Protestation gegen den Papst aufzufordern, die von achtundvierzig Handwerkern und Börne unterzeichnet worden war. Heine half sich damit, daB er erklarte, es lage ihm fern, nun auch noch diesen guten Mann zu beunruhigen. Was ihn der Papst anginge!" 3) DaB Heine und Börne sich wegen solcher Vorfalle entzweiten, so daB der stille Gegensatz sich in einen lauten verwandel te, geht deutlich hervor aus den literarischen Geheimberichten. In einem Berichte Rumpffs, des Ministerresidenten der vier freien Stadte Deutschlands, heiBt es: „Herr Heine, der ungemein geistreich ist, schreibt jetzt ein politisches Opus, was an Scharfe all seine früheren Werke übertreffen soll. Er findet, sowie alle hiesigen politischen Schriftsteller der Art, bei den deutschen Buchhandlern Heideloff und Campe einen willigen Verlag, Verbreitung und VorschuB an barem Geld, woran es dem Herrn Heine, der viel ver tut, oft fehlt. Ich sollte glauben, daB eine Regierung, die etwas daran wenden wollte, sich leicht der gewandten und geistvollen Feder des Herrn Heine versichern könnte. Mit seinem geistreichen Confrater Börne lebt er auch immer in Fehde und letzterer sucht ihn jetzt als eine sehr unzuverlassige Stütze der sogenannten patriotischen Partei darzustellen."4) Rumpff steht nicht allein mit seinem ungünstigen Urteil über Heines Charakter. Es lafit sich nicht leugnen, daB die abfallige Beur- ') Houben, Gesprache mit Heine, No. 282. ') Ebenda No. 257. 3) „ No. 310. ' 4) Bericht vom 28. Januar 1831 (Stadt-Archiv Frankfurt a. M., mitgeteilt von Prof. Dr. Alfred Stern in der Frankfurter Zeitung, 50. Jhrg., No. 344). 69 teüung Heines seitens Börne sich deckt mit der Charakteristik, die viele Geheimagenten Metternichs über Heine einsenden. So heiBt es u. a.: „Heine ist das Gegenteil von Börne. Leichtsinnig, geschwatzig, in der Unterhaltung ohne Geist, möchte man ihn leicht für einen geistreichen Parvenu halten, der Talent und Genie geerbt, ohne zu wissen, was er damit anfangen solle. Vor allen Dingen ist Heine ohne Charakter und ohne Tatkraft .... Der Liberalismus war ihm nur ein Reliëf für sein Talent, er kokettierte mit ihm wie mit Napoleon, Grundsatze hatte er nie gehabt." *) Richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit wieder auf Heines Verhaltnis zu Börne, so lesen wir in einem an die österreichische Regierung gerichteten Geheimbericht des Polizeibeamten Karl Noé *) vom 16. Januar 1836: „Die deutschen Republikaner gehen regelmaBig seit Wochen zu Börne; der bekannte Hübotter erscheint dort auch, Harro Harring fortwahrend, ebenso der StraBburger Refugierte Hundt Radowsky, eine alte Ruine der ehemaligen Altdeutschen, in Deutschland als radikaler Schriftsteller bekannt, jetzt aber in viehischer Trunkenheit demoralisiert. Heine hat mit allen diesen Menschen nichts gemein und halt sich ganz zu den französischen Tagesliteratoren, macht diesen den Hof und nennt Börne und seine Gefahrten: ,Falstaff und seine Bande.'3) Heine beklagt sich wiederholt über die deutschen Flüchtlinge in Paris, von denen er zu Grülparzer mit Verachtung sprach.4) „Germania, die alte Barin, hat alle ihre Flöhe auf Paris ausgeschüttet und ich Armster werde davon am unaufhörhchsten zernagt", schreibt er an Meyerbeer5). "Poignées de main" hat er „den schmutzigen Gesellen nie geben können" 6) und er erklart nachdrücklich, daB er *) Bericht (von Beurmann?) vom Januar 1837 (Glossy, Literarische Geheimberichte, S. 96, Vgl. auch S. 90, ebenda.) ') Karl Noé (Deckname Nordberg) war der Leiter des kurz nach dem Frankfurter Putsch auf Antreiben Metternichs in Mainz gegründeten Zentral-Informationsbureaus. (Vgl. weiter: Glossy: Literarische Geheimberichte, CXXII ff.) *) Kouben, Gesprache mit Heine, No. 2292. *) Bieber, Heines Gesprache, Berlin, 1926, S. 159. *) Brief vom 6. April 1835 (Hirth, II, 63). •) Brief an Laube vom 27. September 1835 (Hirth IL 83). 70 sich so weit wie möglich von diesen Kreisen entfernt halte, wo Börne gegen ihn hetze, denn „was in seinen Schriften nur halbwegs angedeutet wurde, fand im mündlichen Vortrag die grellste Erganzung und der argwöhnische Kleingeist, der ihn bemeisterte, und eine gewisse infame Tugend, die für die heilige Sache sogar die Lüge nicht verschmaht, kurz Beschranktheit und Selbsttauschung trieben den Mann bis in die Moraste der Verleumdung" 1). So hatte der Verkehr zwischen Börne und Heine aufgehört. „Mit Groll über Heine war Börne gestorben", sagt Laube2). Die GegensatzUchkeit ihrer Naturen, die vor der Uebersiedlung nach Paris ihnen selber wohl noch verborgen war, ist ihnen durch das Leben in Paris zum BewuBtsein gekommen. Die aufiern Verhaltnisse haben dazu beigetragen, daB die Gegensatze sich bis zur Gegnerschaft verscharft haben. Die beiden Publizisten, in denen, wie wir es geschildert haben, die deutsche Jugend, als sie das Vaterland verUeBen, eine Art Doppelstern erblickte, die auch von spateren Generationen vielfach als Dioskuren betrachtet wurden, sollten in Paris als „verlorne Posten in dem Freiheitskriege" ihre Sendung erfüllen, aber ein jeder für sich kampfend, und manchmal die Waffen auf den andern richtend. *) Heines Werke, ed. Walzel, VIII 456. -) Hugo Bieber, Heines Gesprache, S. 169. IV. BÖRNES POLITISCH-LITERARISCHE TATIGKEIT (1830—1837) „Hören Sie mir mal vernünftig zu, denn ich will vor allem von Ihrem 8. Bande mit Ihnen sprechen, der Ihnen, wie Sie mir sagten, wie Blei auf dem Herzen liegt, und zu dem ich raten und helfen soll." Die so spricht, die Börne raten und helfen will, ist natürhch keine andere als seine treue Freundin Frau Jeanette Wohl, die damals noch in Frankfurt wohnte. x) Als Börne im Herbst 1830 in Paris angelangt war, wurde er durch seinen Verleger Campe gedrangt für den noch immer ausstehenden 8. Band seiner „Gesammelten Schriften" Kopie zu liefern. Im Jahre 1828 hatte Börne namlich das Bedürfnis gefühlt, seine samdichen in Zeitschriften erschienenen Aufsatze zu sammeln *). Sein Verhaltnis zu Cotta war aber getrübt, und als Heine im November 1827 Börne in Frankfurt besuchte, hat er eine Verbindung zwischen Börne und seinem eignen Verleger Julius Campe zu stande gebracht.8) Durch Heines Vermittlung wurde also Campe4) und nicht Cotta der Verleger von Börnes „Gesammelten Schriften". Leider hatte Börne für den letzten Band nur noch sehr wenig Stoff zur Hand. Er trug sich deshalb mit dem Plan wieder eine Reine von feuilletonartigen Aufsatzen zu schreiben, ganz im Geiste seiner bereits erwahnten, in den Jahren 1822 und 1823 erschienenen „Schilderungen aus Paris". Es ist jetzt Frau Wohl, die ihn nach anfanglichem Strauben seinerseits dazu bewegt diesen Vorsatz aufzugeben, es ist ihr namlich ein anderer, ein besserer Gedanke gekommen: *) Vgl. Brief vom 12. November 1830 (E. Mentzel, Briefe der Frau Jeanette StrauBWohl an Börne, Berlin, 1907, S. 164 ff.). a) Nur die Denkrede auf Jean Paul und die Schrift über die Berliner Jahrbücher waren gesondert erschienen. *) Vgl. Joh. Proelfi, Das Junge Deutschland, Stuttgart, 1892, S. 110—113. 4) Abdruck des Kontrakts zwischen Börne und Campe siehe: Ludw. Geiger, Das Junge Deutschland, Berlin, o. J., S. 70 ff. 72 „Ich habe hcute die ganze Nacht nicht geschlafen, so lebhaft habe ich mich mit dem Gedanken beschaftigt, wie Sie damit Glück machen konnten, wenn Sie jetzt in Briefform schrieben, oder besser nur Briefe schrieben. Auch weiB ich ja noch von früher, wie das mit Aufsatzen geht. Bis nur der Plan ferttg, ist schon soviel Zeit verloren, und manchmal, oder gar oft auch, wie das natürlich, die Lust zur Ausführung. Wenn Sie nur wüfiten, wie schön Ihre Briefe sindl Jeder einzelne gedruckt, würde das gröBte Interesse erregen! .... Sind denn Briefe etwas anderes, oder vielmehr nicht auch Memoiren? Ist nicht in Briefen eine weit frischere, lebendigere, anziehendere und ansprechendere Darstellung möglich als in Aufsatzen? Sind Heines Reisebilder etwas anderes als Briefe? Durchaus nicht! Dieser Form, in welcher er sich ausspricht, verdankt er sein Glück! . . . Wieviel mehr steht Ihnen nun zu Gebote in Stoff, Gedankenfülle und schoner Sprache!" Börne sollte in seinen Briefen die Ereignisse des taglichen Lebens behandeln, die Bewegung in den StraBen, die Kammern, das englische Parlament, Theater, Literatur, Kunst, Industrie, Bildergalerien, u.s.w. Durch solche Briefe könnte er seine Grundsatze verbreiten wie durch Zeitungen. „Denken Sie sich nun", so ruft sie ihm zu, welch groBes Schlachtfeld Ihnen als Deutscher noch offen steht. Sie können ein zweiter Washington und Lafayette . . . durch Briefe werden" Wie gesagt, Börne lieB sich endlich überreden. Wenn sie glaube, daB in seinen bis jetzt an sie gerichteten Briefen genug Stoff zu finden sei, so möchte sie ihm das Brauchbare abschreiben, und er selbst bietet in seinem Briefe vom 17. Januar 1831 Julius Campe die Briefe ' aus Paris an, die, „in diesen Zeiten geschrieben, gewiB anziehen würden" *). Börnes berühmte „Briefe aus Paris" haben wir also einzig und allein der Anregung zu verdanken, die Frau Wohl ihm gab. Sie war sehr glücklich über den EntschluB ihres Freundes: er müsse unbedingt einen groBen Erfolg haben, die Briefform sei !) Mentzel, Briefe, S. 166, (Brief von 12. November, 1880). *) Geiger, Das Junge Deutschland, S. 79. 73 doch die beliebteste literarische Form, und dies mit Recht, da sie die passende sei *). Welch ein f ein es Verstandnis zeigt diese Frau für das, was ihrer Zeit gemaB war! Tragt doch überhaupt das literarische Produkt dieser Epoche in der Formgebung vorwiegend einen fragmentarischen, Charakter, wie es ja auch inhaltlich nur selten über das zeitlich Bedingte hinausstrebte 2). Die Wirklichkeit trat in ihre Rechte; alles, was der Tag brachte, erschien den Zeitgenossen neu und verheiBungsvoll. Börne kam jetzt dieser Stimmung entgegen, indem er für den Tag schrieb, wenn er auch alle Angelegenheiten, auch solche, welche nur Augenblickswert hatten, unter höheren Gesichtspunkten besprach. Frau Wohl hat aber nicht bloB herausgefühlt, was literarisch zeitgemaB war, sie hat auch sehr gut verstanden, daB gerade der Brief die Form schriftstellerischer Betatigung war, die Börnes Eigenart am meisten entsprach. In ihrem letzten Briefe (vom Jahre 1830) sagt sie: „die einzige Art, in welcher er in jeder Beziehung Glück machen werde, sei, taglich mit Freiheit und Neigung zu schreiben, in freier Form, jeden frischen Ge danken, jede lebendige Empfindung niederlegen zu können, bei jedem gelesenen Buche, jeder durchgesehenen Zeitung, jedem Spaziergange auf dem Lande, in der Stadt, jedem Besuche, jeder Bekanntschaft mit einer besondern Individuahtat, kurz das ganze Leben, wie es ist, und in dieser groBen Mannigfaltigkeit der jetzigen Zeit und mit ihrer Gabe der Auffassung, der Anschauung und der herrlichen Sprache, ohne leere Phrasen und Wortschwall: noch einmal, ich bin überzeugt daB endlich der Schlüssel zum Geheimnis gefunden ist, wie Sie künftig fortwahrend und ohne Unterbrechung schriftstellerisch tatig sein und für sich und andere zweckmaBig, nützhch und wirksam werden...."8) In den folgenden Monaten fahrt Frau Wohl fort Börne zu der Fortsetzung seiner Korrespondenz über die Ereignisse des Tages zu ermutigen, indem sie sich selber mit dem Abschreiben abgibt, wobei x) Mentzel, Briefe S. 181, (Brief vom 21. Dezember, 1830). 2) Vgl. S. 22 ff. 3) Mentzel, Briefe S. 185, (Brief vom 28. Dezember 1830). 74 Salomon StrauB, Börnes Verehrer und ihr spaterer Gatte, ihr treu zur Seite stand. Endüch erschienen „Börnes Briefe aus Paris", aber nicht als ein Ganzes, sondern in drei aufeinander folgenden Sammlungen1): die erste, 48 Briefe stark, erschien 1832 bei Hoffmann & Campe; die zweite, 31 Briefe enthaltend, im Jahre 1833; die dritte, 36 Briefe umfassend, erst im Jahre 1834. Die erste und wichtigste Sammlung wurde durch Julius Campe herausgebracht als der neunte und zehnte Teil der „Gesammelten Schriften Börnes", denn, obwohl Campe das Manuskript nicht kannte, ahnte er die Bedeutung desselben und wollte es deshalb nicht zur Füllung des achten Bandes der Subskriptionsausgabe gebrauchen, was für ihn unvorteilhaft gewesen ware. Es war ihm durch diese Erscheinungsweise auch möghch gewesen der Zensur zu entgehen und gerade diesem erstèn Bande weiteste Verbreitung zu verschaffen. Zwar erhielt Campe am 5. November 1831 das Verbot zum weitern Verkauf2), aber, wie immer, wurde auch hier durch Verbot nur das gerade Gegenteil erreicht. Jetzt war es jedenfalls dem Verleger nur möghch die folgende Sammlung unter dem Titel „Mitteilungen aus dem Gebiete der Lander- und Völkerkunde" herauszubringen, indem das Werk angebhch bei L. Brunet in Offenbach verlegt wurde war. Als Verleger der > dritten, 1834 erschienenen, Sammlung wird gleichfalls L. Brunet namhaft gemacht; als Druckort wird jetzt Paris angegeben 8). „Wenn auch Campe die Fortsetzung der Briefe nicht drucken konnte, so gewannen sie, wie allgemein bekannt ist, von anderen Verlegern berritwillig x) Vgl. dazu: Börnes Werke, Bong & Co. o. J., VI 7 ff., Herausgeber Ludwig Geiger. Leider ist diese einzige hist. krit. Ausgabe von Börnes] Werken, die noch immer unvollendet war, seit 1918 nicht fortgesetzt, da der Autor gestorben ist. Auch die Börne-Gesellschaft, in deren Auftrag diese vorzügliche Ausgabe herausgebracht wurde, ist durch die Nachwirkungen des Krieges anseinandergegangen. *) Vgl. dazu Börnes Werke, ed. Geiger, I 16, und Geiger, Das Junge Deutschland, (darin: ,Börne, Campe und die Pariser Briefe vor der Hamburger Zensur', S. 69 ff.). 3) In Paris war damals bereits eine unvoüstandige französische Uebersetzung der „Briefe" erschienen: M. F. Guiran, „Lettres écrites de Paris pendant les années 1830 et 1831", Paris, 1832. 75 aufgenommen, eine ungewöhnliche Verbreitung" sagt Geigerx) und sogar Alfred Stern hat in der historisch-kritischen Ausgabe der „Briefe aus Paris" die Meinung verkündigt, daB über den Namen der Verleger der letzten Teile der „Briefe" ein gewisses Dunkel walte a). Wir dürfen aber jetzt wohl sagen, daB Gutzkow in seinen „Rückblicken auf mein Leben" s) und Holzmann in seiner Börne-Biographie 4) Recht gehabt haben, als sie Campe als den Verleger bezeichneten, denn Strodtmann, Campes Angestellter und Heine-Biograph, der immer nur das veröffendichte, was Campe gestattete, bezeugt nachdrücklich die Indentitat von Brunet und Julius Campe 6). AuBerdem schreibt Heine am 28. Juli 1836 an seinen Verleger Campe, es werde nótig sein, daB letzterer ihm dennachst „eine fingierte oder kaschirende Verlagsfirma" für seine Bücher geben werde, „aber bey Leibe nicht Brunet". # * * Der groBe Erfolg, den Frau Wohl ihrem Freunde prophezeit hatte, als sie ihm zu der Ausgabe seiner Briefe riet, blieb nicht aus. In dem vormarzlichen Deutschland und österreich ist kein Werk erschienen, daB so sehr der Stimmung der Geister entsprach wie die ersten Bande der „Briefe aus Paris". Das Werk zündete, obwohl es nichts weniger als ein geschlossenes Ganzes war. Gutzkow hat es sehr zutreffend mit einer zusammengehefteten Zeitschrift verglichen, welche Nachrichten bringt, „die nicht selten begründet, nicht selten aus der Luft gegriffen sind", die danach aufgebauten SchluBfolgerungen „wurden schon vom nachsten Tage widerlegt" 8). Prophet will er den Deutschen sein. „Und", so fragt er, „was kann der Deutsche anderes sein als Prophet? Wir sind keine Geschichtsschreiber sondern Gescbichtstreiber. Die Zeit lauft wie ein Reh vor *) Geiger, Das Junge Deutschland, S. 93. a) Börnes Werke, ed. Geiger, VI 21 ff. *) Gutzkows Werke, herausgeg. von R. Gensel, Bong & Co., o. J., 9. Teil, S. 55. 4) M. Holzmann, Börnes Leben und Wirken, Berlin 1888, S. 301. 6) Adolf Strodtmann, H. Heines Leben und Werke, Hamburg, 1884, II 109. «) Hirth, II 114; Vgl. auch: Fr. Hirth, Börne-Briefe (Frankf. 2*itg. 1913, No. 244), und Gutzkows Werke, herausgeg. von R. Gensel, 9. Teil, S. 52. 76 uns her, wir, die Hunde, hinterdrein. Sie wird noch lange laufen, ehe wir sie einholen, es wird noch lange dauern, bis wir Geschichtsschreiber werden" Er wütet also gegen Deutschland, unterscheidet dabei aber keineswegs zwischen dem pohtisch-reaktionaren Deutschland eines Metternich und dem geistigen Deutschland eines Goethe, Fichte und Hegel, das gerade in jenen Tagen von den Franzosen als „le pays des penseurs et des poètes" gefeiert wurde. Gerade die groBen Vertreter des klassisch-romantischen Zeitalters erscheinen ihm als die machtigsten Stützen des „ancien régime". „Es ist zu traurig! Keine Hoffnung, daB Deutschland frei werde, ehe man seine besten lebenden Philosophen, Theologen und Historiker aufknüpft und die Schriften der Verstorbenen verbrennt... .2)". Aus derselben Quelle entspringt sein GoethehaB: „Es ist mir, als würde mit Goethe die alte deutsche Zeit begraben, ich meine an dem Tage müsse die Freiheit geboren werden" 3). „Goethes Tagebuch, von dem ich Ihnen neuhch geschrieben, habe ich nun geendigt. So eine dürre, leblose Seele giebt es auf der Welt nicht mehr, und nichts ist bewunderungswürdiger als die Naivitat, mit welcher er seine Gefühllosigkeit an den hellen Tag bringt. Das Buch ist eine wahre Bibel des Unglaubens. Ich habe beimLesen einige Stellen ausgezogen, und ich lege das Blatt hierbei. Viele Bemerkungen hierüber waren gar nicht nötig: Goethes klarer Text macht die Noten überflüssig. Und solche Konsulnhat sich das Deutsche Volk gewahlt! Goethe — der angstvoller als eine Maus beim leisesten Gerausche sich in die Erde hineinwühlt, uns Luft, Licht, Freiheit, ja, des Lebens Breite, wonach sich selbst die totgeschaffenen Steine sehnen — alles, alles hingiebt, um nur in seinem Loche ungestört am gestohlenen Speckfaden knuppern zu können — und Schuier, der edler, aber gleich mudos, sich vor Tyrannei hinter Wolkendunst versteekt und oben bei den Göttern vergebens um Hilfe fleht, und !) 31. Brief vom 30. Januar 1831 (Börnes Werke, ed. Klaar, V 120). ') 34. Brief vom 14. Februar 1831 (ebenda, V 134). *) 16. Brief vom 8. Dezember 1830 ( „ , V 61). 77 von der Sonne geblendet die Erde nicht mehr sieht, und die Menschen vergiBt, denen er Rettung bringen wollte. Und so — ohne Führer, ohne Vormund, ohne Rechtsfreund, ohne Beschützer — wird das unglückliche Land eine Beute der Könige und das Volk der Spott der Völker" In ihm lebt, wenigstens anfanglich, ein fester Glaube an eine bevortehende Revolution, an den kommenden Tag der Freiheit. Eine Erhebung der Deutschen in Masse hielt er sogar für nahe bevorstehend 2). Als er glaubt, daB in Italien das Signal zur europaischen Revolution gegeben ist, schreibt er begeistert nach Deutschland: „Hören Sie dort meinen Jubel? DaB ich eine Posaune hatte, die bis zu Ihren Ohren reichte! Ja, der Frühling bezahlt hundert Winter. Die Freiheit, eine Nachtigall mit Riesentönen, schmettert die tiefsten Schlafer auf. In meinem eigenen Herzen, so heiB es ist, waren Wünsche so hoch gelegen, daB ewiger Schnee sie bedeckte, und ich dachte: niemals taut das auf. Und jetzt schmelzen sie und kommen als Hoffnungen herab. Wie kann man heute nur an etwas anderes denken, als für oder gegen die Freiheit zu kampfen?" 3). Alle wirkhchen Machtverhaltnisse übersehend, berauscht er sich an seinen eignen gedanklichen Konstruktionen. „Sie fragen mich, was ich erwarte, was ich denke? Ich erwarte, daB die Welt untergehen wird, und daB wir den Verstand darüber verheren werden. Ich zweifle nicht daran, daB bis zum nachsten Frühling ganz Europa in Flammen stehen wird, und daB nicht blofi Staaten über den Haufen fallen werden, sondern auch der Wohlstand unzahliger Famflien zu Grunde gehen wird" *), und im Frühjahr schreibt er wieder, trotzdem nichts von alledem in Erfüllung gegangen ist: „Die Lage der Dinge hier ist jetzt so, daB ich jeden Tag, ja jede Stunde den Ausbruch einer Revolution erwarte. Nicht vier Wochen kann das so fortdauern, l) 51. Brief vom 8. Oktober 1831, die Kritik von Goethes Tag- und Jahresheften, ebenda-, (Börnes Werke ed. Klaar, V 217 ff.); vgl. noch über Bettina: „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde", 1835, (Börne ed. Klaar, III 239 ff.), weiteres Materialin: Mich. Holzmann, Aus dem Lager der Goethe-Gegner, Berlin, 1904, S. 93—224. *) Gutzkow, Börnes Leben, S. 367. ») 34. Brief vom 14. Februar 1831 (Börnes Werke, ed. Klaar, V 133 ff.). 4) 10. Brief vom 19. Oktober 1830 (ebenda, V 39). 78 und der Rauch der Empörung wird hinter meinem Reisewagen herziehen" x). Der polnische Aufstand, der ihm wie den Zeitgenossen überhaupt als Vorbild einer jeden nationalen Erhebung erschien, wird unbedingt Erfolg haben, denn „man gewinnt immer, wenn man keine andere Wahl hat, als zwischen Sieg und Tod. Vom Kaiser Nikolaus ist keine Genade zu hoffen, die Polen müssen ihn begnadigen. Wie es in PreuBisch-Polen aussieht, weiB ich nicht, die heutigen Zeitungen sprechen auch von einer Revolution, die sich dort begeben haben soll". Er vermutet, daB die itahenischen Regimenter, die nach österreichisch-Polen versetzt sind, mit den polnischen Insurgentengemeinschafdiche Sache machen werden und, indem er ganz übersieht, daB bei ihm der Wunsch nur der Vater des Gedankens ist, verleitet sein naiver Optimismus ihn zu dem Ausrufe: „Nun Glück zum neuen Jahre! und moge es uns und unseren Freunden im neuen Jahre besser gehen als Kaisern und Königen. Das sind bescheidene Wünsche, die wohl der Himmel erhören wird", denn so prophezeit dann dieser Phantast: „lm nachsten Jahre wird das Dutzend Eier teurer sein als ein Dutzend Fürsten" 2). Ein Jahr spater schreibt er aber: „Wie gefallt Ihnen der Moskowiter? Seinem Gesandten nach Warschau gab er ein Zettelchen an die Polen mit, worauf er eigenhandig in französischer Sprache und mit Bleistift geschrieben: Au peuple polonais; soumission ou la mort! Nicolas. O, was ist Gott für ein Phlegmatikus!" *) Er weiB sich schon im voraus für eventuelle Enttausschungen zu decken, eine möghche Niederlage der Polen deutet er schon als einen künftigen Sieg: „Die Polen können untergehen, trotz ihrer schonen Begeisterung. Aber geschieht es, wird so edles Blut vergossen, dann wird es den Boden der Freiheit auf ein Jahrhundert befeuchten und tausendfaltige Früchte tragen"4). ») 43. Brief vom 18. Mare 1831 (Börnes Werke, ed. Klaar, V 187). *) 21. Brief vom 28. Dezember 1830 (ebenda, V 82). *) 25. Brief vom 14. Januar 1831 (ebenda, V 95). 4) 31. Brief vom 2. Februar 1831 (ebenda, V 125). Über Börnes NaivitSt in der Politik vergl. noch: Brandes, Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrh. (endgültige Ausgabe, Berlin, 1924) III 8, S. 361 ff. 79 Immer wieder sucht er die Deutschen aus ihrem Indifferentismus aufzurütteln, indem er ihre Unfreiheit kritisiert; freihch tragt diese Kritik vorwiegend einen rein negativen Charakter. Die neuehessische Konstitution veranlaBt einen wilden Wutausbruch: „ .. . DaB die Deutschen ihren Fürsten und Sangerinnen die Pferde ausspannen, fallt mir nicht auf. Sind sie besser als Pferde? Sie werden sehen, die guten Hessen ziehen auch noch die Grafïn Reichenbach von Frankfurt bis nach Kassei. Eine solche Konstitution, die man den Hessen gegeben, hatten sich die Pferde nicht gefallen lassen. Mit den guten Deutschen wird noch schlimmer gefahren als mit dem Heiland. Dieser muBte zwar auch das Kreuz selbst tragen, woran man ihn gepeinigt; aber es selbst auch zimmern, wenigstens das muBte er nicht. Ich kann in Paris Französisch lemen; aber, guter Gott! wie lerne ich Deutsch vergessen? Der Mensch hat überhaupt viel Deutsches an sich" *). Er wütet gegen die Zensur, die ihm nun schon seit Jahren seine Publicistische Tatigkeit verleidet hat. Die Zeitungen haben jetzt kein anderes Mittel ihre Seiten zu füllen, als dadurch, daB sie nur soviel Lügen wie möghch herbeischaffen. „Was heiBt aber Lüge ?" f ragt Börne. „Kann einer in unseren Tagen etwas ersinnen, was nicht den Tag darauf wahr werden kann!" und nachdem er in dieser Weise noch einmal die Gelegenheit benutzt hat seinem Revolutionsglauben Ausdruck zu geben, fahrt er fort: „Es giebt in der Politik nur eine mögliche Lüge: DerDeutsche Bund hat diePreBfreiheit beschlossen".2) Deutschland ist ihm „das groBe Koblenz, wo alle emigrierten Mifibrauche zusammentreffen", und sehr witzig beschreibt er uns, wie innerhalb zehn Jahren die Freunde der politischen Altertümer aus allen Landern der Erde nach Deutschland reisen werden, um da ihre Kunsthebhabereien zu befriedigen. „Ich sehe sie schon mit ihren Antiquités de rAUemagne in der Hand, Brille auf der Nase, und Notizbuch in der Tasche, durch unsere Stadte wandern, und unsere Gerichtsordnung, unsere Stockschlage, unsere Zensur, unsere Mauten, unseren Adelsstolz, unsere Bürgerdemut, unsere allerhöchsten und allerniedrigsten Personen, unsere Zünfte, unseren Judenzwang, unsere ») 25. Brief vom 14. Januar 1831 (Börnes Werke, ed. Klaar, V 95). ') 26. Brief vom 19. Januar 1831 (ebenda, V 101). 80 Bauernnot begucken, betasten, ausmessen, beschwatzen, uns armen Teufeln ein Trinkgeld in die Hand stecken, und dann fortgehen und von unserem Elende Beschreibungen mit Kupferstichen herausgeben. Unglückliches Volk! . . wird ein Beduine mit stolzem Mitleide ausrufen" x). / Nach Börnes Urteil ist die politische Rückstandigkeit Deutschlands bloB eine Folge der Tyrannei der Fürsten und der Hundedemut seines Bürgertums, nur höchst selten zeigt er wenigstens eine Ahnung, daB diese politische Rückstandigkeit aufs engste mit der Höhe der wirtschaftlichen Entwicklung zusammenhangt, meistens kommt er nicht über die kindliche Auffassung hinaus, daB mit dem Vertreiben der Fürsten auch die Freiheit gewonnen ware! Einen realen Bliek auf die Zukunft hat er aber ausnahmsweise getan, als er über List und seine Eisenbahnplane schrieb: „Diese Eisenbahnen sind nun meine und Lists Schwarmereien, wegen ihrer ungeheueren politischen Folgen. Allem Despotismus ware dadurch der Hals gebrochen, Kriege ganz unmöglich. Frankreich, wie jedes andere Land, könnte dann die gröBten Armeen innerhalb vierundzwanzig Stunden von einem Ende des Reiches zum anderen führen. Dadurch würde der Krieg nur eine Art Überrumpelung im Schachspiel, und gar nicht mehr auszuführen" 2). # # * „Sie sind ein Stück Weltgeschichte für Deutschland geworden, unser V unbezablbarer Tribun, unsre demokratische Behörde, wir müssen Ihnen unsre Klagen einschicken, denn Sie sind der einzige — unabhangige wahrheitsliebende Advokat Teutschlands", schreibt Laube an den Verfasser der Briefe 8). „Selten wohl hat ein Buch so viel Spektakel in Deutschland gemacht wie die ersten Bande von Börnes „Briefen aus Paris". Selbst die Freimütigsten stutzten", so charakterisiert x) 13. Brief vom 9. November 1830 (Börnes Werke, ed. Klaar, V, 49). *) 51. Brief vom 8. Oktober 1831 (ebenda, V 217). *) Vgl. Brief vom 19. Januar 1833 (Inedita Boerneana als Anhang zu Holzmann, Aus dem Lager der Goethe-Gegner, S. 218). 81 Gutzkow die Wirkung auf die Zeitgenossen x). „Das wilde Buch" des von den Rücksichten auf die deutsche Zensur befreiten Autors zündete, es machte sogar die liberalen Elemente stutzig, denn hier wurde in einer Art und Weise an den heimischen Zustanden Kritik geübt, wie sie bis dahin unbekannt gewesen war. Börne richtete zunachst den Bliek des Lesers auf den Kampfplatz der glorreichen Julitage und lieB ihn alles erleben, was von den Franzosen, dem „herrhehen Volke", das seine und anderer „Ketten zerbrochen hatte", erlebt wurde, und erst danach führte der Autor ihn zurück in die Erbarmhchkeit, in die Jammerhchkeit des politischen Lebens in Deutschïand. Der Vergleich muBte die Schlafenden aufrütteln, die Mudosen ermutigen, die Tatendurstigen beseelen. An französischem Wesen soüte die deutsche Welt genesenl Mit dieser Variante auf ein bekanntes Dichterwort lieBe sich vielleicht am kürzesten Ziel und Richtung der Börneschen Briefe kennzeichnen, und indem wir dies sagen und ihre groBe Wirkung in Deutschland konstatieren, haben wir damit zugleich zu erkennen gegeben, daB unseres Erachtens diese „Briefe aus Paris" auch für die Geschichte des französischen Einflusses auf das deutsche Geistesleben ihre Bedeutung haben. Nicht, als ob wir mit Reynaud *) der Meinung waren, daB Börnes „Briefe" auf französische Anregungen, und speziell auf das Vorbild Couriers zurückzuführen waren, denn diese Behauptung Reynauds, die wie so viele andere nur dazu dienen soll, die geistige Abhangigkeit der deutschen Kultur von der französischen zu erharten, wird hinlanglich widerlegt sowohl durch die journalistische Jugendarbeit Börnes wie durch die von uns geschilderte Entstehungsgeschichte der „Briefe aus Paris". Wir wollen also keineswegs Börnes Publizistik, weder was die Form noch was den Inhak betrifft, als undeutsch kennzeichnen. Wenn wir die „Briefe aus Paris" dennoch als ein wertvolles Dokument für die I Geschichte des französischen Einflusses auf das deutsche Geistesleben ] charakterisieren, so geschieht dies in ganz anderm Sinne als bei *) „Rückblicke auf mein Leben" (Gutzkows Werke, herausgeg. von R. Gensel, Bong, o. J., 9. Teü, S. 52 ff.). *) L. Reynaud, Histoire générale de Tinfluence francaise en Allemagne. Paris, 1915, p. 477. 82 Reynaud. Für uns liegt ihr Wert zunachst darin, daB Börne durch ihre Veröffendichung dem lebhaften Interesse für Frankreich entgegenkam, das, wie wir gesehen haben, im vorhergehenden Jahrzehnt bei allen oppositionellen Elementen erwacht war. Börnes Darstellung des politischen und geistigen Lebens in Frankreich zur Zeit des Bürgertums überraschte durch ihre starke Subjektivitat, durch die Fülle von Witz und Geist; er hat die Opposition dadurch gestarkt und ermutigt, sie fühlte nur zu deutlich heraus, daB der Autor keine andere Absicht hatte als dem deutschen Bürgertum die Werte, womit die Julirevolution das französische Geistesleben befruchtet hatte, zu vermitteln, daB er geistige Waffen hefert für den Kampf gegen das Metternichsche System. Ob und inwieweit der Autor auch tatsachlich imstande war den freiheidichen Elementen in Deutschland den Weg zu zeigen, den sie gehen sollten, ob die Art und Weise, in der er freiheitsschwarmend die Geschehnisse seiner Zeit zu erfassen pflegte, uns berechtigen ihn als politischen Führer des deutschen Bürgertums zu betrachten, das wird noch naher Gegenstand unserer Erörterung sein müssen. Trotz ihrer Fehler und Schwachen sind sie für die politische Erziehung der Generation von 1830 von ungeheuerer Bedeutung gewesen. Sie sind es auch deshalb, weil Börne hier konsequent das Prinzip durchführte, das er bereits 1808 in dem Aufsatz „Das Leben und die Wissenschaft" *) entwickelt hatte und das er 1821 noch scharfer formuherte, als er an Cotta schrieb, a) es kame darauf an „die Literatur mit dem Leben, das heiBt ï die Ideen mit der wirkhchen Welt zu verbinden." Hier wurde in der Tat die Kunstkritik zur Zeitkritik, hier wurde ein Prinzip betatigt, das bald von der gesamten Bewegung, die wir unter dem Namen des „Jungen Deutschland" zusammenfassen, akzeptiert werden sollte. Wenn Ziegler s) eben deshalb Börne als den geistigen Anführer des „Jungen Deutschland" betrachtet, so können wir uns dennoch nur sehr bedingt damit einverstanden erklaren. Zwar sind wir mit Ziegler der Meinung, ») Börnes Werke, ed. Geiger, I 99 ff . •) Brief an Cotta, mitgeteüt von Joh. ProelB (Das Junge Deutschland, S. 97.). ») Th. Ziegler, Die geistigen und sozialen Strömungen im 19. Jahrhundert, Berlin, ' 1911, S. 173. 83 daB Börne durch seine zeitgemaBe, feuilletonistisch abgefaBte Kritik vorbildlich gewirkt hat, wir glauben aber, daB die Jünger mehr aus dieser Praxis gelernt haben als aus den Theorien Börnes. Unseres Erachtens besteht ein zu wesenthcher Unterschied zwischen der einseidg politischen Einstellung Börnes und der jungdeutschen Asthetik, als daB wir mit Ziegler bereit waren Börnes geistige Führerschaft des „Jungen Deutschland" ohne weiteres anzuerkennen. Börne, der alle kulturellen Erscheinungen von seinem politischen Standpunkt aus beurteilte, der eben deshalb die theologischen und philosophischen Kampfe seiner Zeit nur als Zeitverlust ansah, kann doch wahrhch nicht als der geistige Vater des „Jungen Deutschland" betrachtet werden, viel eher könnte Heine zu dieser vorwiegend hterarischen Gruppe geschlagen werden. „Wir sind zu sehr Demagog, um Kastraten der Kunst zu werden; und wieder zu eifersüchtig auf das, was man Schiller und Goethe nennt, um ein ausschheBhcher Demagog zu sein. Das sind Halbheiten, die uns sehr unglücklich machen", so schrieben die Jungdeutschen Wienbarg und Gutzkow anlaBlich der „Deutschen Revue" an Börne1), und noch starker betont Gutzkow den Unterschied zwischen Börne und dem „Jungen Deutschland", wenn er in einer Besprechung2) von Börnes Heine-Kritik im „Réformateur" vom 30. Mai 1835 sich gegen Börne richtend, es als den gröBten Leichtsinn bezeichnet das Jahrhundert auf Nichts zu reduzieren als auf die konstitutionelle Frage *): „Indem Börne die theologischen Debatten in die Vergangenheit verweist und von den Angriffen auf das Christenturn wie von einer antiquieten und verbrauchten Maxime spricht, schneidet er für unsere Zeit die Spekulation ab. Indem er geringschatzig redet von den Bestrebungen, über die Schönheit neue Besdmmungen festzusetzen, tötet er die Keime künsderischer Ausbildung, mit deren Blüte die nachste Zukunft unseres Vaterlandes bedacht zu sein scheint . . Aber die deutsche Jugend, welche die Feder führt, wird sich hüten, eine Einseidgkeit der Grundsatze zu *) Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 108. *) Ebenda, S. 10S, und Literaturblatt zum „Phönix", Nr. 25 vom 27. Juni 1836. 3) Dagegen Börne in „Menzel, der Franzosenfresser" (Börnes Werke, ed. Klaar, IV 36). 84 verfolgen, welche die Tendenz des Jahrhunderts, eben so sehr wie die Literatur zu vernichten droht, sie auf nichts anweisen, als jene isoherte politische Tatigkeit . . ist eine Grausarnkeit". Trotz dieser Gegensatzkchkeit zwischen Börne und den Mitgliedern des „Jungen Deutschland", von denen ihm Gutzkow noch immer am nachsten stand, ist natürhch der EinfluB, den Börne durch seine „Briefe aus Paris" auch auf diese Vertreter des literarischen Liberalismus gehabt hat, nicht leicht zu überschatzen, gestehen sie doch selber, daB sie „das Produkt potitischer Aufregungen sind", daB sie aber „amphibienartig leben, halb auf dem Fesdande der Politik, halb in den Gewassern der Dichtkunst". Nicht die junge Dichtergeneration von 1830, sondern erst die von 1840 sollte das freudige Bekenntnis zur Politik ablegen, wie es von Börne in den „Briefen aus Paris" verkündigt worden war. * # * „Selbst die Freimütigsten stutzten!" GewiB dachte Gutzkow dabei an das Verhalten der Liberalen, die zum Teil jede Gemeinschaft mit Börne ableugneten, aus Furcht, daB, wenn sie sich öffehtlich mit der Tendenz der „Briefe" einverstanden erklarten, ihre fortschrittiiche Politik dadurch gefahrdet werden könnte. Die konservativen Gegner der liberalen Elemente versaumten nicht die Machthaber auf die } verderblichen, umstürzlerischen Ideen in diesen „Briefen" aufmerksam zu machen. Schriftsteller wie Raumer, Willibald Alexis, Friedrich I Förster, griffen Börne aufs heftigste an. Diese verstanden nur zu gut, >y daB hier die Formen der Literatur zum GefaB des liberalen Oppositions^ gedankens gemacht wurden. Es wurde sofort spekuhert auf die antisemitischen Tendenzen, um dadurch die Wirkung von Börnes (und Heines) Schriften abzuschwachen. Diese jüdischen Schriftsteller trieben das Werk der Verführung aus kluger Berechnung, „um in einem groBen welthistorischen Akte Rache zu nehmen für den Druck und die Schmach, den das Volk, dem sie ihrem Ursprung nach angehören, Jahrhunderte lang, von dem unsrigen geduldet," so versicherte i) Brief von Gutzkow an Börne vom 14. Sept. 1835, mitgeteüt von Houben, Jung deutscher Sturm und Drang, S. 108. 85 einer der ergebensten Lohnschreiber Metternichs, der Hofrat Jarcke in seinem mit Geldern der Wiener Staatskanzlei gegründeten Berliner „Politischen Wochenblatt" 1). Ein Strom von Schmahschriften und Pamphleten erschien2), aber diese Angriffe von bekannten und a anonymen Schriftstellern aus den reaktionaren Kreisen schmerzten Börne viel weniger als die abfallige Beurteilung seitens derjenigen Liberalen, die ihn aus taktischen Gründen preisgaben 8). Es gab aber auch eine gröBere Gruppe von Liberalen, die gesinnungstüchtig genug war, um trotz der Gefahr eventueller polizeilicher MaBnahmen für Börne einzutreten und die Allzuangsthchen anzugreifen. Eine solche Stimme möge hier noch zu Worte kommen. In ( dem „Kornet", einem der Journale, die am öffendichsten dief I politische Einwirkung der Julirevolution in Deutschland zeigten, schrieb F. Stolle: „Es ist eine wahre Lust, so mit Behaglichkeit in den Alarm zu schauen, den Börnes Briefe in Deutschland erregen. Diese Episteln kommen mir vor, wie ein perfektes Wasserglas für alle politischen Coterien. Die Absoluten, auBer sich, schreien Hochverrat; die Halbliberalen mögen mit diesem Menschen (dem Börne) nichts weiter zu schaffen haben; die befangenen Liberalen aber bedauern den talentvollen Schriftsteller, der sich so verirren konnte; die angstlichen Liberalen sehen nur Gefahr für den Liberalismus in dem Buche; den (wahrhaftig) wahrhaften Liberalen sind die Briefe die erquicklichsten Humoresken, die seit Jean Paul geschrieben worden" 4). Wolfgang Menzel verteidigt Börne in seinem Literaturblatt vom 18. Mai 1832 gegen alle Vorwürfe und Verdachtigungen und ruft pathetisch aus: „Manner wie Börne sind zu selten und ihr kraftiger Geist zu vorleuchtend, als daB die literarische Gassenjugend mit ihrem ') Joh. ProelB, Das Junge Deutschland, S. 117. *) Vgl. auch: Dr. Meyer (Altona), Gegen Ludwig Börne, den Wahrheit- Rechtund Ehrvergessenen Briefsteller aus Paris, Hamburg, 1831; siehe weiter noch Holzmann, Börne, S. 262 ff. •) Vgl. F. G. Kühne gegen Börne im „Liter. Zodiacus", 1835, S. 173. Ahnliche Gesinnung wie F. G. Kühne scheint damals auch schon Th. Mundt gehegt zu haben, (vgl. Lit. Zodiacus 1835, S. 13). 4) „Der Kornet" vom 17. Februar, 1832; vgl. auch: J. G. A. Wirth in der „Deutschen Tribune", No. 16 vom 19. Januar 1832. 86 Hepp! Hcppl ihm etwa die Unsterbhchkeit verrennen könnte *). Nirgends haben die „Briefe aus Paris" einen so begeisterten Empfang gefunden wie unter der Bevölkerung der bairischen Rheinpfalz, wo Siebenpfeiffer und Wirth eine radikale Agitation mit ausgepragt republikanisch-kosmopolitischer Farbung führten. Wirth richtete einen Brief an Börne und Heine, in dem er ihnen dankte für ihre Unterstützung des Vaterlandsverems. Sie mochten ihm doch mit ihrem Namen unterzeichnete Artikel schicken, so würde die Wirkung eine ganz ungewöhnhche sein. Noch mehr aber könnte geleistet werden, wenn sie sich dazu entschheBen konnten, ihren Wohnsitz irgendwo im Rheinkreise zu nehmen, aus dem sie im Notfalle leicht nach Frankreich entweichen konnten2). Als durch die Agitation der in der Rheinpfalz erscheinenden Zeitschriften „Der Westbote" und „die Deutsche Tribune" dort eine starke politische Garung entstanden war, wurde der Plan gefaBt durch ein deutsches Verbrüderungsfest für das Streben nach „der Abschüttelung innerer und auBerer Gewalt" Zeugnis abzulegen. VSo fand am 27. Mai'auf der Kastenburg bei Hambach die groBe ^ Volksversammlung statt, an der sich nach der starksten Schatzung 30000, nach der maBigsten 12000 Menschen beteihgten.•) Börne war trotz der Gefahr einer möghchen Verhaftung aus Paris herübergekommen und war der Gegenstand zahlreicher Ehrenbezeugungen. Man berauschte sich an den manchmal sehr radikal klingenden Phrasen und ging nach Hause mit dem erhebenden Gedanken einem historisch wichtigen Moment beigewohnt zu haben. Metternich erbhckte in dem „Skandal von Hambach einen ersten Versuch des nackten Radikalismus". Er wuBte den Vorfall sehr gut auszunutzen. Wenn auch die des Hochverrats angeklagten Hambacher Führer vom Landauer Schwurgericht freigesprochen wurden, so faBte doch der Bundestag schon am 5. Juli 1832 „Ausnahmebescblüsse", welche die Karlsbader Beschlüsse wiederholten, die freisinnigen Blatter ») Vgl. auch: Menzel Ober Börne im „Literaturblatt" vom 29. Januar und 1. Februar 1830, vom 28. November und 2. Dezember 1831, vom 4. Januar 1832, vom 11. Januar 1833. ») Brief vom 28. Februar 1832. (Hirth II 14.) *) Alfred Stern, Geschichte Europas 1815—1871, Stuttgart, 1905, IV 314 ff. 87 unterdrückten, alle politischen Vereine, alle Volksversammlungen und Volksfeste, alle öffentlichen politischen Reden, Adressen und Beschlüsse verboten.x) Die süddeutschen Landtage sollten von nun an nur unter der Beaufsichtigung des Bundestages arbeiten. Als auch noch der bekannte Frankfurter Wachensturm vöm 3. Aprill833 I klaglich verlaufen war, muBten die Liberalen sich wirklich sagen, { daB auf praktisch-pohdschem Gebiete in Deutschland seit dem Jahre I 1830 nur sehr wenig erreicht war. „Der vollkommene Banquerott aller Ideen der Julirevolution", so schreibt Mundt 1840 im „Freihafen", „bewirkte auch in Deutschland eine Zusammenschrumpfung aller Lebenszustande. Ein trüber, schwerer Nebel lag wie ein Leichentuch über der Zeit".2) Börne vermochte trotz der Begeisterung der radikalen Elemente für seine „Briefe aus Paris" keinen groBen Anhang zu gewinnen, die gemaBigten Liberalen rückten sogar immer mehr von ihm ab, und die Gegner bemühten sich nach wie vor den Gedanken Zu verbreiten, es sei Absicht dieses vaterlandslosen Juden Deutschland Zu Gunsten des Franzosentums herabzusetzen. Der „juif de Francfort" den man ihm einst in den PaB geschrieben, blieb nach wie vor der Gesichtspunkt, unter dem man seine pohtisch-hterarische Tatigkeit ; bewertete: man int er pre tier te ihn nur als Juden. Die groBen Hoffnungen Börnes auf eine Erhebung des deutschen Volkes waren nicht in Erfüllung gegangen; über die traurige Realitat der deutschen Verhaltnisse konnte sogar sein naiver pohtischer Optimismus ihn nicht mehr hinwegtauschen. Der Rufer im Streite war entmutigt durch den Indifferentismus der Massen, durch die Lauheit und Angsdichkeit der Liberalen. „Man wollte", schreibt Beurmann, „eine Emancipation von der Juhus-Revolution" indem man sich von Börne zurückzog, um nicht von ihm zurückgestoBen zu werden. Börne lachelte über diese Dinge, so sehr sie ihn schmerzen muBten" s). Er wandte sich einer neuen Aufgabe zu. Hatte er, wie wir bereits sahen, *) schon vor vierzehn Jahren dem ») Alfred Stern, Geschichte Europas 1815—1871, IV 318 ff. 2) „Freihafen", 1840, S. 202. *) Beurmann, S. 4. *) Siehe S. 32. 88 Wunsche Ausdruck gegeben, ein deutscher Kritiker möchte sich nach Paris begeben um dort in französischer Sprache ein kritisches Blatt herauszugeben, so entschloB er sich jetzt dazu selber diesen Schritt zu wagen. Börne, der sich im eignen Lande aufgegeben sah, strebt in den zwei letzten Jahren seines Lebens (1835—1837) mit ungebrochener Energie, getragen von seinem glaubigen Optimismus, einem neuen Ziel nach: er wollte den Franzosen die Werte der deutschen Kultur vermitteln. Der einsame Deutsche, der krankelnd und zurückgezogen in Auteuil lebte, der, nach Kolloffs Wort, „der Pariser Gesellschaft so fremd geblieben war, als an dem Tage, wo er mit dem Eüwagen in der Hauptstadt ankam" x), wollte jetzt den Franzosen in ihrer eignen Sprache das ihnen unbekannte Deutschland naher bringen. Wenn auch dieses Unternehmen schier unabwendbar zu neuen Enttauschungen Börnes führen muBte, so zeugt es doch in höchstem Grade von seinem politischen Idealismus. Nachdem Börne durch die „Briefe aus Paris" seine Landsleute über Frankreich und französisches Wesen aufgeklart hatte, will er jetzt seine Vermittelungsbestrebungen dadurch erganzen, daB er den Versuch macht bei den Franzosen für die deutsche Kultur Verstandnis anzubahnen. Als sein Freund Francois Vincent Raspaü, der demokratische Arzt, 1835 „Le Réformateur" gründete, versprach Börne ihm auch regelmaBige Beitrage für diese Zeitschrift, die von den Mitarbeitern ohne Honorar geschrieben werden sollte. Leider wurde das Erscheinen des „Réformateur", in der Raspail schon die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes befürwortete, bereits im nachsten Jahre von der Regierung verboten8). Von den vier Beitragen, die Börne für die sobald eingegangene Zeitschrift gehefert hat8), ist für uns am wichtigsten seine am 30/31. Mai 1835 erschienene Rezension „De 1'AUemagne par Henri Heine". Im Eingang erklart er selber, daB seine Kenntnisse der Phüosophie und der deutschen Literatur sehr oberflachhch sind. Wenn aber ein deut- i) Ed, Kolloff, Börne in Paris (Gutzkows Jahrbuch der Literatur, Hamburg, Hoffmann und Campe, 1839, S. 143.). *) Vgl. Quack, De Socialisten, III 480. «) Vgl. Fragments politiques et Kttéraires de M. L. Boerne, par M. de Cormenin, Paris, Pagnerre, 1842, abgedruckt in Börnes Werken ed. Klaar, IV 233 ff. 89 scher Autor den Franzosen einen Begriff geben will von der deutschen Kultur, dann ist es nicht genug geistreich zu sein, „il faut encore montrer du coeur". Auch im Exil kann man für das Vaterland kampfen, wenn man die Aristokratie angreift, die das Prinzip des Egoismus vertritt. „Nous ne devons pas nous accomoder avec ces aristocraties, nous ne devons pas caresser en France ce que nous avons refusée en Allemagne" heiBt es mit deutlichem gehassigem Bezug auf Heines gesellschafthchen Verkehr in Paris. Die Art und Weise, in der Heine über die ernsthaftesten Themata urteilt, erregt seine Entrüstung, denn die Franzosen konnten in dieser Weise keine richtige Einsicht bekommen in das deutsche Leben. Das deutsche Leben sei wie eine hohe Alpengegend, die mit ihren ewigen Gletschern sdiimmert. „A 1'Allemagne la lumière la plus pure, aux autres pays la chaleur. du solefl. Ces hauteurs stériles ont fécondé le monde a leurs pieds. C'est la que se trouvent les sources, et des grands fleuves de 1'histoire, et des grandes naüons et des grandes pensees. Aux Allemands le génie, aux Francais le talent: aux uns la force productive, aux autres la force industrielle de resprit". Zwar klagten und spotteten die Franzosen oft über den Nebel, welcher den deutschen Geist umhülle. „Mais le jour avance, encore quelques heures historiques, et ces brouülards qui séparent deux nations se dissipent. Alors nous nous reconnaitrons; les Francais montent, les Allemands descendent, pour se donner les mains tachées d'encre, et alors ils mettront leurs plumes aux mains rouges de leurs rois, pour s'en servir a écrir, sur les bords du Missouri, le dernier chapitre de leur règne." Heine gegenüber tritt Börne dann als Verteidiger der Religion und des Christentums, selbst des Katholizismus auf. Letzteres war die direkte Folge seiner in den letzten Jahren seines Lebens seit dem Erscheinen von Lamennais' „Paroles d'un croyant" *) erwachten Vorliebe für den Katholizismus, denn in diesem Katholizismus Lamennais'scher Pragung wurde das Evangehum *) Böraes Uebersetzung der „Paroles d'un Croyant" erschien 1834 als: „Worte des Glaubens von abbé de la Mennais", Paris, bei I. P. Aillaud, quai Voltaire no. 11. In demselben Jahre erschien noch eine von ihm selbst besorgte schweizerische Volksausgabe (vgl. Holzmann, Börne, S. 313; Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, I 102. 90 der Gleichheit aller Menschen vor Gott gepredigt, es wurde ihnen zu verstehen gegeben, dafi sie nur nötig hatten, sich in die Arme der Mutter Kirche zu flüchten, um aller Wünsche Befriedigung, von allem Elend Erlösung zu finden. Börne erhoffte von dieser Wandlung des Katholizismus eine Unterstützung seiner eignen politischen Ideen. So verstehen wir es, wenn, Börne jetzt als Apologet des Katholizismus auftritt; ,,Le cathohcisme, loin d'avoir énervé les peuples, leur a rendu la force et 1'énergie qu'ils avaient perdues sous la domination romaine, et que les peuples modernes, qui se sont séparés du cathohcisme, ont perdues pour la seconde fois. Le seul peuple du nord qui, depuis trois siècles, n'a cessé un seul jour de se remuer pour la liberté, c'est 4e peuple polonais, qui est resté catholique. Le cathohcisme n'est pas un culte „sombre et décoloré", comme dit M. Heine; c'est la religion la plus sereine et la plus joyeuse qui ait jamais existé. Non, les sens n'ont pas été réduits a 1'hypocrisie par le christianisme, cette réligion ne demande qu'un voüe pour les réjouissances des sens, ehe n'exige que la pudeur." Nach Börnes Urteil entbehrt Heine jeder festen Meinung, er schwankt immer zwischen den entgegengesetzten Anschauungen hin und her. „C'est que M. Heme n'est qu'un fournisseur de phrases, qui en offre a tout le monde avec 1'impartiahté la plus mercantüe. II ne s'inquiète jamais du droit, de la justice d'une cause; ü ne se soucie que de son commerce de paroles, et a peine 1'espérance de gagner 1'a-t-elle attiré vers un parti, que la crainte de perdre le repousse aussitót vers 1'autre parti." Nachdem er seinen Glauben bekundet hat, daB nur die rehgiösen Völker die wahre Freiheit erleben werden, charakterisiert er am • SchluB Heine noch einmal als einen Menschen, dem es an geistiger Unabhangigkeit, an einer starken Ueberzeugung fehle: „Si M. Heine voulait ne s'inquiéter que du souffrage des gens honnêtes et éclairés et de 1'assentiment de sa propre conscience et ne pas róder jour et nuit autour de tous les marchands de réputatipn, ü serait alors un écrrvain parfait." Ein Talent, doch kein Charakter! Das ist der langen Rede kurzer Sinn. Heine hat in diesen Jahren auf die verschiedenen Angriffe memals 91 geantwortet. Zwar hat er das Bild des „kleinen Simson" aus Frankfurt, des „bestandigen Champions des Deismus" in den „Memoiren des Herrn von Schnabelewopski" abkonterfeit aber erst drei Jahre nach dem Tode Börnes sollte er die Offensive eröffnen. Nachdem „Le Réformateur" unterdrückt war, beschloB Börne den langst gehegten Plan zur Ausführung zu bringen: er wollte seine „Wage", die er vor so vielen Jahren in Franfurt hatte erscheinen lassen, in Paris zu neuem Leben er we eken. Als er diesen Vorsatz faBte, übersah er leider, daB ihm, wahrend er früher als gefeierter und gef ürchteter Publizis t zu Landsleuten sprach, ein soldier Resonanzboden jetzt durchaus fehlte. Im Januar 1836 erschien die erste Nummer der ,Balance', revue allemande et francaise", und wenn von dieser einzigartigen Zeitschrift auch nur 3 Hefte erschienen sind, so ist doch ihre Bedeutung als „document humain" nicht zu unterschatzen. In der „Introducdon" zu seiner „Balance" bezeichnet er das französische und das deutsche Volk als die beiden Völker, die dazu berufen waren künftig in der menschlichen Gesellschaft die führende Rolle zu übernehmen. Frankreich und Deutschland werden sich bei dieser Kulturaufgabe gegenseitig unterstützen können, denn sie erganzen einander in dem Sinne, daB Deutschland die schöpferische, Frankreich die anwendende Kraft reprasentiere. Er betrachtet es daher als eine Pfhcht der altera Manner aus beiden Landern dafür Sorge zu tragen, daB die französische und deutsche Jugend einander kennen lemen, damit die künftigen Generationen durch Freundschaft und Achtung verbunden werden: „Qu'il sera beau le jour ou les Francais et les Allemands s'agenouillerönt ensemble sur les champs de bataille ou jadis leurs pères s'étaient entre-égorgés, et prieront en s'embrassant sur leurs tombeaux communs. L'amitié inaltérable et la paix éternelle entre toutes les nadons, sont ce donc des rêves? Non, la haine et la guerre sont des rêves dont on s'éveillera un jour. Que de malheurs 1'amour de la patrie n'a-t-il pas déja causés a rhumanité!" Er nennt den Patriotismus eine lügnerische Tugend, insofern er ») Heines Werke, ed. Walzel, VI 360 ff. 92 uns nur zu oft verhindert gegen ein fremdes Volk gerecht zu sein. Er richtet sich aber keineswegs gegen die Vaterlandshebe an sich, wie Menzel ihm spater, auf Grund dieser „Introduction" zur „Balance vorwerfen sollte1), er wendet sich nur gegen den MiBbrauch der Idee, gegen deren Ausnützung in nationalistisch-reaktionarem Sinne: „T'aime 1'Allemagne plus que la France, paree qu'elle est malheureuse et que la France ne 1'est pas; du reste je suis autant Francais qu Aüemand: Quant è moi, Dieu merci, je n'ai jamais été dupe du patriotisme, je ne me suis jamais laissé prendre a ce leurre de rambiüon, ou des rois, ou des patriciens, ou des peuples". Er behauptet,dasGlückund die Freiheit Frankreichs sei nur unsicher, solange mcht auch die Freiheit Deutschlands sicher gestellt sei, Deutschland bilde die Gebirgskette, welche die Zivihsation von der Barbarei, die Franzosen von den Kosaken trenne. Vereinigt konnten Frankreich und Deutschland alles vollbringen und alles verbindern. Von ihrer Einigkeit hange das Schicksal von ganz Europa ab. Frankreich sollte daher endheh Deutschland kennen lernen, denn es habe Deutschland immer falsch beurteüt. Wenn er also in seiner Zeitschrift Deutschland und Frankreich zu vergleichen gedenke, so habe er damit keineswegs die Absicht, die überlegenen oder untergeordneten Eigenschaften des einen oder des anderen darzutun, denn das führe zu nichts, sie sollten dadurch nur einander besser verstehen lernen um sich wechselseitig unterstützen zu können. Die Einführung in die Literatur des fremden Landes soll das Mittel sein dessen geistige Struktur kennen zu lernen: ^La Uttérature est le résumé le plus complet de toutes les différences par lesquelles les peuples se distinguent entte eux. Elle est la mer, qui en même temps sépare et unit les pays. L'histoire pohtique d un peuple est la biographie de son égoïsme, mais sa httérature est 1 mstoire de sa vie humanitaire." , . Auf Grund dieser Anschauungen formuhert er dann noch einmal das Programm seiner Zeitschrift: „Rapprocher rAUemagne de la France, tel est notre but; et la comparaison de la httérature '1} Woifg. Menzel, Herr Börne und der deutsche Patriotismus, (Literaturblatt vom 11. April 1836). 93 francaise avec la httérature allemande est notre point de départ." l) Börnes Stimme verhallte. Der Mann, der nichts Sehnhcheres wünschte als durch seine Worte auf die Zeit und die Zeitgenossen einzuwirken, der sich aber selber aus einer gewissen Scheu vor der Berührung mit der realen Welt immer mehr von dem französischen Gesellschaftsleben abgesperrt hatte, war schon deswegen nicht an erster Stelle dazu berufen die Franzosen über Deutschland und deutsches Wesen aufzuklaren. Zieht man überdies noch die Tatsache in Betracht, daB Ausgewanderte an sich fast immer darunter zu leiden haben, daB sie den richtigen Bliek auf die Zustande in der Heimat verheren und durch ihre Sonderstellung die Mentalitat des fremden Volkes nur zum Teil zu erfassen vermogen, so ist aus alledem Börnes Scheitern sehr wohl zu erklaren. Nur drei Hefte der „Balance" sind erschienen, dann ist die Zeitschrift eingegangen. Es liegt eine gewisse Tragik darin, daB dieser frühe Wegbereiter einer deutsch-französischen Verstandigung in Frankreich nicht den geringsten Widerhall fand, und daB die in der Einleitung zur „Balance" entwickelten Ideen gerade von Deutschland aus heftig angegriffen wurden und Börne eben dadurch in eine literarische Fehde verwickelt wurde, welche die letzten Monate seines Lebens erschwert und verdunkelt hat. # * # Am 10. Dezember 1835, also noch vor dem Erscheinen der ersten Nummer von Börnes „Balance", war von dem „Deutschen Bundestag" das berüchtigte Edikt gegen das sogenannte „Junge Deutschland", gegen die „schlechte, antichristliche, gotteslasterhche und alle Sitte, Scham und Ehrbarkeit absichdich mit FüBen tretende Literatur" erlassen worden. Alle Straf- und Polizeigesetze der Bundesstaaten, alle „hinsichthch des MiBbrauches der Presse bestehenden Vorschriften" sollten in voller Strenge zur Anwendung gebracht werden gegen die „auf den Einsturz aller Staatsformen abzielende" Gruppe, als deren Mitgheder Heine, Gutzkow, Wienbarg, Mundt und Laube namhaft gemacht werden. Im Protokoll wird merkwürdigerweise *) Introduction a la Balance (Börnes Werke, ed. Klaar, IV 268 ff.). 94 Heine als der spiritus rector der ganzen Gruppe angeführt, deren Einheit nur konstruiert wurde, noch merkwürdiger aber ist die Tatsache, daB der Name Ludwig Börne fehlt, daB gerade der Autor der „Briefe aus Paris" nicht in Acht und Bann getan wurde. Weshalb wurden die erschienenen und die noch zu erscheinenden Werke der namhaft gemachten Schriftsteller verboten; und weshalb wurde eben Ludwig Börne frei gelassen? In seinen „Rückbhcken auf mein Leben"1) berichtet Gutzkow uns, wie er, seitdem er in Frankfurt am Main ein eignes Blatt, den „Phönix", herausgegeben, an Menzel, seinem ehemahgen Freund und Berater, „nur noch einen unversöhnhchen Feind" gefunden habe. Als Gutzkow sich sogar entschloB zusammen mit Wienbarg die bereits von uns erwahnte „Deutsche Revue" 2) herauszugeben, boten Gutzkows Roman „Wally, die Zweiflerin" und Wienbargs „Asthetische Feldzüge" ihm den willkommnen AnlaB in einer Reihe von Hetzartikeln die Behörden gegen die gefürchteten jungen Konkurrenten mobü zu machen. 8) Metternich wurde durch seinen Kohfidenten Jarcke, den Redakteur des feudalen in Berlin erscheinenden „Pohtischen Wochenblatts" *), der sich seit dniger Zeit in Stuttgart aufhielt, auf Menzels Artikel aufmerksam gemacht.6) Alsbald erfolgten verschiedene MaBregeln gegen „die sich unter dem Namen des jungen Deutschland ankündigende Schule unchrist> licher, unsitthcher Autoren": die „Wally" wurde konfisziert, der Verlagsbuchhandlung Löwenthal, wo die „Deutsche Revue" erscheinen sollte, wurde die Konzession entzogen, Wienbarg wurde auf ») Gutzkows Ausgew. Werke, Bong, o. J., 9. Teil, S 21. 2) Siehe S. 83. *) Literaturblatt Nr. 93 vom 11. September 1835. „ 94 „ 14. „ 1835. | „ 109 „ 23. Oktober 1835. „ „ 110 „ 26. „ 1835. M „ 115 „ 11. November 1835. 4) Siehe S. 85. ^ „ . , «) Alfred Stern, Geschichte Europas von 1815—1871, V 30; Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 64—65; Geiger, Das Junge Deutschland, S. 174 und 197 ff. 95 österreichischen Antrieb aus Frankfurt ausgewiesen Gutzkow in Mannheim verhaftet. Am 10. Dezember hatte Menzel endgültig gesiegt, als samthche Bundesregierungen sich durch BeschluB verpfhchteten die Verbreitung der Schriften der „unter der Bezeichnung Das Junge Deutschland bekannten hterarischen Schule", als deren Hauptvertreter Meine, Gutzkow, Wienbarg, Mundt und Laube namhaft gemacht wurden, „mit allen ihnen gesetzlich zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern". Durch Alfred Stern wissen wir jetzt, daB auf ausdrückliches Verlangen Metternichs auch Heines Name auf der Liste der Verfehmten erschien, weil er ihn als „den geistigen Vater des Jungen Deutschland" betrachtete 2). Rudolf Fürst hat wohl zum ersten Male darauf hingewiesen, daB Menzel auch in bezug auf die Achtung Heines der Einblaser Metternichs gewesen ist *). Warum aber wurde der andere Tagesschriftsteller ersten Ranges, der so viel Gahrungsstoff in die deutsche Nadon geworfen hatte, warum wurden Börnes Werke nicht dauernd verboten? Das Ratsel löst sich, wenn wir beachten, daB Börne zu der Zeit, als Wolfgang Menzel seine denunziatorischen Aufsatze gegen Gutzkow und Wienbarg schrieb, noch in sehr freundschaftlicher Weise mit dem Stuttgarter Literaturpapst korrespondierte. Börnes Haltung in dieser Periode ist unseres Erachtens nicht als ganz einwandfrei zu betrachten. Trotzdem Börne sehr wohl wuBte, daB Menzel zur Bekampfung der „Deutschen Revue" auch wieder auf den JudenhaB spekulierte, indem er der Meinung Vorschub leistete, „das sogenannte Junge Deutschland sei eigentlich ein junges Palastina" und sogar behauptete, daB „die Franzosenzucht", „der tückisch ohnmachtige Deutschen- und ChristenhaB" allgemein dem Judaismus zur Last 1) Vgl. Ludolf Wienbarg, Menzel und die junge Literatur, Programm zur deutschen Revue, Mannheim, Löwenthal, 1835; dazu auch: Wienbargs Schreibenan denSenatder Stadt Frankfurt d. 17. Nov. 1835 (mitgeteilt von Geiger, Das Junge Deutschland, S. 190). . *) Alfred Stern, Geschichte Europas von 1815—1871 V 30. vgl. dazu auch noch: Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 61. 3) Börne, Menzel der Franzosenfresser, herausgeg. von Rud. Fürst (Börnes Werke ed. Geiger, VII 342). 96 gelegt werde x), bricht er nicht mit ihm, sondern schreibt ihm sogar unterm 12. November 1835 2) daB er abgelehnt habe an Gutzkows und Wienbargs „Deutscher Revue" mitzuarbeiten. Er glaube Menzel auf das Wort alles, was dieser ihm von Gutzkow und von Wienbarg gesagt habe. Zwar habe er die Wally noch nicht gelesen, aber er teüe ganz Menzels Abscheu vor solchen sittenlosen und glaubensschanderischen Schriften, wenn er auch gestehe, daB dieser Abscheu nicht auf die Person des Verfassers übergehe. Wenn Gutzkow und Wienbarg den Deutschen „Voltaires Excremente" auftischen wollten, so fürchte er nicht, daB sie viel Gaste bekommen würden. Ganz hberal gedacht ist es aber, wenn er dennoch ein solches Organ nicht unterdrückt sehen will. Gegen Gutzkow zeigt er sich persönlich verstimmt: „Gutzkow hat mir durch einige Worte in einem Artikel über mich und Heine in dem Phönix seine schwache Seite gleich verraten, und wenn ich gegen ihn schriebe, würde ich die benützen" s). Am SchluB macht er Menzel sogar Mitteilung von seinem Plan zur Herausgabe der „Balance" und bietet ihm seine Besprechung des „Briefwechsels Goethes mit einem Kinde" 4) für das Literaturblatt an. Börnes Haltung Menzel gegenüber erklart sich wohl zum groBern Teil aus dem Bestreben möghchst lange ein ungetrübtes Verhiütnis aufrecht zu erhalten, wo er doch bereits so viele Jahre mit ihm in freundschafthcher Verbindung gestanden hatte. Es mochte ihm dies um so leichter möglich sein, als er, der gerade in dieser Zeit sehr stark unter dem Einflusse des Abbé de Lamennais stand, vielleicht wirklich, wie er an Menzel schrieb, mit Widerwillen alle Bestrebungen i) Literaturblatt No. 109 und 110, resp. vom 23. und 26. Oktober 1835. >) Für den Text dieses Briefes vgl. Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 112, 113, vergkiche hierzu weiter: . a. Rud. Fürsts Einl. zu: Menzel der Franzosenfresser (Börnes Werke ed. Geiger, VII 343). 6. Brief von Gutzkow an Börne vom 2. Oktober 1835 (mitgeteüt von Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 109 ff.). . m ») Gemeint ist der auf Seite 83/84 bereits zitierte Artikel „Börne und Heine im Literaturblatt zum „PbJJnix", Nr. 25 vom 27. Juni 1836. 4) Holzmann, Aus dem Lager der Goethe-Gegner, S. 185—199. 97 verfolgte, die darauf hinauslaufen konnten „eine neue Schule des Unglaubens zu gründen" 1). Wie dem auch sei, erst nachdem der Bundestag sein Verdammungsurteil gefallt, nachdem alle erschienenen und noch zu erscheinenden Schriften der sogenannten Jungdeutschen, wenn auch mit Ausnahme seiner eignen Schriften verboten waren, erst dann, als Börne die Folgen von Menzels Hetze übersehen konnte, hat er sich nicht langer durch persönliche Rücksichten und Verbindungen behindern lassen, sondern sich in seinem Aufsatz „Gallophobie de M. Menzel", der in der ersten Nummer der „Balance" erschien, *) ganz von diesem geistigen Berater Metternichs losgesagt. Nachdem er zunachst Menzels Verdienste um die literarische Kritik hervorgehoben hat, gesteht er, daB es ihm Mühe kostet ihm seine Fehler vorzuwerfen, „qui sans doute n'annulent pas ses bonnes quah'tés, mais qui en absorbent une grande partie. Nous •parions de sa haine aveugle contre la France, de cette funeste passion qui enveloppe son brillant esprit d'une légere vapeur de niaiserie. On ne trouve qu'en Allemagne de ces hommes qui sont en même temps spirituels et imbéciles." Diese „passion haineuse" Menzels erstreckt sich nicht nur auf seine Beurteüung des politischen, sondern auch des wissenschaftlichen und rehgiösen Frankreich. Menzel sei in seiner Beurteüung Frankreichs um fünfzig Jahre zurückgebheben: „II ne connaït d'autre France pohtique que celle de 1'empire, et d'autre France intellectuelle que celle de Voltaire." Der HaB gegen Frankreich habe ihn wohl auch zu einer ungerechten Bewertung des „Jungen Deutschland" geführt: „Cette affaire de la Jeune Allemagne est 1'un des événements les plus importans et les plus significatifs, que se sont passés en Allemagne depuis vingts ans." Bei dem „Jungen Deutschland" handele es sich absolut nicht um eine geheime Verbindung. Alle vierunddreiBig Fürsten und neunzig Minister Deutschlands traumten aber von Verbindung, Verschwörung und Revolution, sobald drei Personen dieselbe Meinung aufierten: „M. Menzel n'a pas a se glorifier de sa victoire remportée l) Börne an Gutzkow (vgl. Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 113). *) Börnes Werke, ed. Klaar, IV 308—315. 7 98 sur la Jeune Allemagne, la dénonciation du plus insignifiant dc tous les agens de police aurait suffi pour éveüler les soupcons de ces malheureux trembleurs, que la conscience de leur trahison et de leur parjure ne laisse jamais dormir en repos." In einer Antikntik von Menzels Kritiken in dessen „Literaturblatt" verhöhnt er Menzel, der es einem Elsasser Dichter schwer verübelte, daB dieser sich nicht für das deutsche, sondern für das französische Vaterland begeistert hatte: „Armez-vous, nobles défenseurs de 1'honneur national, reconquérez 1'Alsace sur la France; mais hatez-vous, 1'affaire est pressante. Bientöt les forteresses de Spielberg, d'Olmutz, de Spandau, de Magdebourg, d'Ehrenbreitenstein, de Hohenasperg ne souffiront plus aux besoins paternels de vos gouvernemens. Allez prendre Strasbourg d'assaut, et ü y aura alors une citadelle de plus pour servir de prytanée a votre patriotisme. Mais avant de vous exposer aux dangers de la gloire, demandez d'abord aux Alsaciens s'ils consentent a redevemr Allemands, s'ils seraient heureux d'échanger leur roi contre un des princes de la confédération germamque, leur chambre des députes contre la diète de Francfort, la liberté de la presse contre 1'infame censure, la garde nationale contre la gendarmerie, la pubhcité des débats judiriaires contre des tribunaux secret, le jury contre des juges dépendant du pouvoir, et 1'égahté des conditions contre la morgue et 1'insolence de la noblesse et des satrapes." In dem gleichfalls in seiner „Balance" veröffentlichten Aufsatz über „Wally la sceptique, par C. Gutzkow"l) bezeichnet er noch nachdrückhcher Menzel als den Denunzianten und berichtet den Franzosen über die fürchterlichen Folgen, die Menzels Angeberei für Gutzkow und die andren Jungdeutschen gehabt habe. Auch hier spielt er wieder mit dem Gedanken, daB nur eine Revolution den Deutschen geistige Freiheit bringen kann: „On se demandera si la diète de Francfort, en refusant aux Allemands la liberté de la presse, même la plus modérée, a voulu leur rappeler par la que ces peuples n'ont pu jouir de la liberté de la presse qu'après avoir fait une révolution et chassé leurs rois." ») Börnes Werke, ed. Klaar, IV 322—331. 99 Menzel, der sich durch die Angriffe Börnes überrascht fühlen mochte, blieb die Antwort nicht schuldig. Im „Literaturblatt" No. 37 vom 11. April 1836 ging er seinerseits in dem Schmahartikel „Herr Börne und der deutsche Patriotismus" zum offnen Angriff über*) und rachte sich nun für die von uns besprochenen „Balance"-Artikel. Er beschuldigt Börne des Landesverrats: er habe den deutschen Patriotismus für eine Narrheit erklart. Weshalb habe Börne nur dem deutschen, nicht auch dem französischen Patriotismus den Krieg erklart, wenn er dem Verdacht entgehen wollte, er habe nicht der Freiheit, sondern nur dem Franzosentum dienen wollen? Menzel behauptet, daB die besten Patrioten Frankreichs ihrer eignen Zukunft miBtrauen und ahnungsvoll auf das deutsche Volk blieken. SchheBhch nimmt er Börne scheinbar in Schutz gegen zu schwere Angriffe. Er sei ja doch in Deutschland schwer gekrankt worden, man habe ihm den „juif de Francfort" in den PaB geschrieben, und nun wolle er diesen Schimpf an der ganzen deutschen Nadon rachen: „Börne ist krank, aber seitdem er in Paris lebt, französisch schreibt, uns nur noch vor einem französischen Publikum beschimpft, und wenn seine „Balance" auch nur zwei Sous kostet, diese zwei Sous für die Beschimpfung seines Vaterlandes annimmt, seitdem hat Herr Börne das unschatzbare Recht, uns wie ein Cato tadeln zu dürfen, verloren . . . .". Es folgte Börnes letzte Abrechnung mit dem Denunzianten, die zugleich sein letztes Wort an das deutsche Volk sein sollte: „Menzel, der Franzosenfresser" erschien 1837, im Todesjahr Börnes. Die Bedeutung dieser Schrift liegt vor allem darin, daB er sich noch einmal, und zwar in programmatischer Form, mit den Problemen seiner Zeit auseinandersetzt. „Menzel, der Franzosenfresser" enthalt Börnes pohtisches Testament. Nur im Anfang spricht er von sich selber: Menzel habe aus ihm einen jüdischen Hanmbal gemacht, der schon als Knabe den Eid geschworen einst an den Feinden Jerusalems bludge Rache zu nehmen. *) Ueber Menzels frühere versteckte Angriffe auf Börne und über Börnes Haltung ihnen gegenüber vergl. Rud. Fürst: Einleitung zu „Menzel, der Franzosenfresser" (Börnes Werke, ed. Geiger VII 347—362). 100 Keiner solle aber den Lügen und Verleumdungen der Stuttgarter Literatttrpolizei glauben. Er sei nur krank an seinem Vaterlande; cs werde frei und er werde gesunden. Dann heiBt es in resigmertem Tone- „Es komme ein wackerer Mann, der mich ablöse und fur unser'elendes Vaterland das Wort führe, ich werde ihn als memen Erretter, als meinen Wohltater begrüBen. Ich bin müde wie ein Tagdhund und möchte Florentinische Nachte1) schreiben. Er verteidigt sich noch einmal gegen den Vorwurf, seine Kritik an den deutschen Vernaltnissen sei nur ein Racheakt, wed man ihm den „juif de Francfort" in den PaB geschrieben habe. Nie habe er sich für erhttene Schmach, nicht einmal auf eine edle Art zu rachen gedacht. Wie hatte er das auch vermocht, waren denn die Deutschen jetzt nicht seine Glaubensgenossen und Leidensbrüder ? „Ist nicht Deutschland der Ghetto Europas? Tragen nicht alle Deutschen einen geinen Lappen am Hute? Könnte ich zumal gegen meine Vaterstadt noch den kleinsten Groll haben? Sind jetzt nicht alle Frankfurter, meine ehemaligen Herren, den Juden von früher gleich? Sind nicht die Oesterreicher und PreuBen ihre Christen? Und der Schimpf, den sie dort einst, gering und vornehm, jung und alt, bei Tag und bei Nacht, jedem Juden zugerufen:, Macht Mores, Jud!' müssen sie ihn jetzt nicht selbst anhören? Der hohe Senat und die löbhch regierende Burgerschaft und die gestrengen Herren Bürgermeister, und die Herren Aktuare und die reichen Seidenhandler - klingt es ihnen nicht in die Ohren, so im Rate wie auf dem Markte, so in der Weinschenke wie zwischen ihren Hauswanden, khngt es nicht höhnisch und grell: ,Macht Moresl Wahrhch und sie machen Mores und ziehen den Hut ab vor Oesterreich und PreuBen, so schnell und so demütig als es nie früher einJude vor ihnen gethan. Hatte mein Herz auch brennend nach Rache gedürstet, es ware jetzt betrunken! Aber es ist nüchtern an Lust, es fühlt nur den Schmerz des Vaterlandes; und wenn es ihn allein fühlt und für alle, so ist es das Verbrechen der Empfmdungslosen, nicht das meinige." n Der erste Abdruck von Heines „Florentinischen Nichten" war vom 6^April tab 25. Mai 183?im „Morgenblatt für gebüdete Stande" erschienen (Hemes Werke, ed. Walzel, VI 511). 101 Darauf bespricht er eingehend verschiedene Stellen aus Menzels Deutscher Literaturgeschichte, die er als „eine wahre Klatschrosenpredigt und ein Polizei-Eiapopeia" charaktisiert, um dann auf Menzels Kritik seiner französischen Artikel überzugehen. Er verteidigt sich speziell gegen den Vorwurf, daB er den deutschen Patriotismus beschimpft habe: „Wo findet sich denn in meinen Worten oder auch in meinen Gedanken, daB ich den deutschen Patriotismus für eine Narrheit erklare, den französischen aber für Weishëit? Wo steht das? Mir braucht Herr Menzel nicht zu sagen wo es steht, ich weiB es — es steht in seiner Instruktion". Er betrachtet den Unterschied der Nationen keineswegs als ein Hindernis der allgemeinen Freiheit, wenigstens gibt es gröBere Hindernisse, die seine Aufmerksamkeit viel starker in Anspruch nehmen. Doch was heiBt Unterschied der Nationen? . . . „Ich halte", so fahrt Börne fort „den Patriotismus, ganz wie Herr Menzel, für etwas Angeborenes, Natürhches und Heiliges. Er ist ein angeborener Trieb, und darum natürhch, und darum heilig, wie alles was von der Natur kommt. Aber welches Heilige wurde nicht schon miBbraucht, ja mehr miBbraucht als alle gemeinen Dinge, weil eine ehrfurchtsvolle Scheu jede genaue Untersuchung zurückschreckte und den Schandern des Heiligtums freien Spielraum gab? Was ist heiliger als Gott, und was wurde mehr miBbraucht? Ich halte den Patriotismus nicht für eine Erfindung der Machthaber, denn diese haben nie etwas Gutes erfunden. Aber die Fürsten haben auch das Pulver nicht erfunden, und dennoch gebrauchen sie es bloB zu ihrem allgemeinen Vorteil und oft zum Verderben ihrer eigenen und der fremden Völker. Das Pulver haben die Machthaber den Völkern abgeschwatzt, und von Patriotismus, von Vaterland haben sie ihnen eine ganz falsche Bedeutung aufgeschwatzt, um sie aneinander zu hetzen und sich wechselseitig zu unterdrücken. Das ist es freüich was ich meine." Empört weist er Menzels Beschuldigung zurück, daB er die Geister der Helden aus den Befreiungskriegen verhöhne. Nie habe er auch die Demoralisation in Deutschland in Schutz genommen, wie aus seinem Artikel über die „Wally" deutlich hervorgehe. Über das, was recht und sittlich sei, habe die öffentliche Meinung zu entscheiden, 102 nicht die Frankfurter Smtsmqtnsition, in deren verpestetemLuftkreise weder Hecht noch Sitthchkeit bestenen konnten: „Und wenn die Moral meine eigene Tochter ware, ich wollte sie ebenso gern in einem BordeU erziehen lassen, als daB ich sie der Aufsicht der Polizei anvertraute." Er wendet sich gegen die Polizeirolle, die die edlen Deutschen, „die Büttel der Freiheit", für ganz Europa spielen, und auf die Frage, was er eigenthch Positives wolle, wenn er alles zerstört habe, was für eine Freiheit er denn wolle, antwortet er: „Die Freiheit ist gar nichts Positives, sie ist nur etwas Negatives: Die Abwesenheit der Unfreiheit. Die Freiheit kann und will nichts grimden als sich selbst, sie kann und will nichts zerstören als die Gewaltherrschaft. Die Freiheit kann ein Volk nicht umwandeln, sie kann ihm nicht die Tugenden und Vorzüge verschaffen, die ihm seine Natur versagtj sie kann ihm die Fehler nicht nehmen, die ihm angeboren, die sein Klima, seine Erziehung, seine Geschichte oder sein unglückhches Gestirn verschuldet; die Freiheit ist nichts und dennoch alles, denn sie ist die Gesundheit der Völker". Börne konnte sich also nicht über die Negation der Unfreiheit erheben, aber diese Definition der Freiheit, so beschrankt sie uns auch erscheinen mag, ist dennoch als Kritik des Metternichschen Systems für den Vormarz von weitreichender Bedeutung gewesen. , Menzels Behauptung, einsichtige Franzosen fürchteten das deutsche Volk und seine Entwicklung, wird durch den erneuten Hinweis auf die Idee der Annaherung der beiden groBen Kulturvölker zurückgewiesen, und so verkündigt er schheBhch: „Die nachsten Jahrhunderte werden weder den Deutschen noch den Franzosen, noch sonst einem anderen Volke oder einem Fürsten gehören; sondern der Menschheit". In seinem SchluBwort betont er nachdrückhch, daB, wenn er auch seinen Gegner als den Prokurator der Bundesversammlung qualifiZiert habe, er damit keineswegs Menzel der Kauflichkeit anklagen wolle: „ich klage nur die Eitelkeit seines Herzens, die Schwache seines Gemütes, und seinen Unverstand in politischen Dingen an". Menzel sei der erste nicht, der aus einem Freunde der Freiheit ihr Feind 103 geworden sei, er gehore wie die Ueberlaufer Görres, Schlegel, Steffens, Werner zu denjenigen, die aus der Not eine Tugend machten, sich aber jene erzwungene Tugend als freie Tugendhaftigkeit anrechnen. Was habe sie aus Adlern zu Eulen, aus Denkern zu Mystikern gemacht? „Die Verzweiflung war es, an sich, dem Vaterlande und der Welt. Um nicht langer Gefangene zu bleiben, wurden sie Gefangniswarter. ..." Börne, „müde, wie ein Jagdhund", war am 12. Februar 1837 in Auteuil entschlafen 1). Am 15. Februar 1837 vereinigten sich etwa 1000 Menschen an Börnes Grab2). Raspail, dem Börne seit dem Erscheinen des „Réformateur" naher gestanden hatte, sagte in seiner Rede8) u. a.: „Der Krieg der Völker untereinander schien ihm ein Verbrechen, einzig und allein zum Vorteil Einzelner begangen, die Nationalitat ein armlicher Gedanke. Die Natur hatte in seinen Augen zwischen Menschen keine Grenzen in schwarz oder rot gezogen; auf der Oberflache einer Erdkugel waren die Saulen des Herkules eine Chimare, er sah den KoloB des Fortschrittes beide Uf er des Flusses, der zwischen Frankreich und Deutschland flieBt, überschreiten, und es den Vólkern beider Ufer, indem er ihnen die Hand zur Versöhnung reichte, ins Gedachtnis rufen, daB sie einem Geschlecht angehören und daB sie denselben Pfhchten unterworfen sind." Höchst merkwürdig sind die wehmütigen Worte, die am 27. Februar einem literarischen Spitzel (Beurmann?) in einem Geheimbericht aus der Feder flossen: „Der Tod Börnes ist mir noch immer ein unertraghcher Gedanke; wer ihn seit mehreren Jahren kannte, hatte sich dergestalt an seine Kranklichkeit und leidende Gestalt gewöhnt, daB auch nie geringste Ahnung von plötzhcher Gefahr auftauchte. Haben Sie schon den Franzosenfresser? Ich habe ihn in diesen Tagen zum zweitenmal gelesen, und finde darin allerdings jetzt *) Vgl. für den Eindruck, den Börnes Absterben hervorbrachte, für seine Beerdigung etc, die Geheimberichte aus Paris vom 13. und vom 21. Februar 1837. (Glossy, Literarische Geheimberichte, S. 103—105). Siehe auch S. 57, Anm. 6. a) Ebenda, L 105. *) Gutzkow, Börnes Leben, S. 413 ff. 104 manche Stellen, deren konzentrierte Bitterkeit und wehmütige Ironie darauf hindeuten, daB der Verfasser schon das Vorgefühl seines nahen Todes hatte" *). Fürst urteilt, daB der Eindruck von Börnes letzter Schrift auf die öffenthchkeit nicht all zu tief gewesen sei2). Demgegenüber zitieren wir aus einem Geheimbericht eines Konfidenten Metternichs, datiert aus Frankfurt, am 23. Marz 1837: „Börnes Tod war für die Liberalen ein unverhoffter Schlag, und mit groBer Begierde lesen sie die Reden, welche an Börnes Grabe gehalten und üthographiert hierher geschickt wurden. Mit noch weit gröBerem Interesse, mit wahrhafter Begeisterung — aber auch mit Wehmut, weil es das letzte Werk gewesen, lesen sie jetzt Börnes ,Menzel, der Franzosenfresser', von welchem Buche sich mehrere Exemplare in ihren Handen befinden." In einem spatern Geheimbericht (vom 29. Marz 1837) heiBt es: „Börnes Andenken lebt noch frisch im Gedachtnis der Liberalen. Sie stöbern alles auf, was aus Veranlassuug des Todes des Mannes ihrer Wahl geschrieben worden und sind gespannt auf das, was noch geschrieben wird." Ein von Karl Beek verfaBtes Gedicht, „Sein Tod!", das die Liberalen ganz hingerissen habe, wird in extenso mitgeteilt. Die zwei ersten Strophen lauten: „Nicht mocht er rechten mit dem Glücke, DaB nimmer ihm sein Strahl gelacht — Gern zog er an des Elends Krücke Mit andern Edlen in die Nacht. Das Taubchen hebt die sichern Kreise, Nicht fragend: Ob's gefangen sei; Doch nur der Vogel auf der Reise, Der Heimadose, der ist frei. Wie einst Themistokles die Schiffe, Durch Brand zerstörte in der Bucht, DaB er, zu siegen im Begriffe, Den Weg versperre sich zur Flucht, l) Glossy, Literarische Geheimberichte, S. 107. ff. «) Börnes Werke, ed. Geiger, VII 374. 105 So hat auch er im fremden Lande, Von einer Welt bestaunt, gehort, Mit seines Wortes Freiheitsbrande Den Weg zur Heimat sich zerstört." Nachdem der Konfïdent Metternichs mitgeteilt hat, daB die Liberalen dieses Gedicht verbreiten wollen, fahrt er fort: „Börnes >Menzel, der Franzosenfresser' ist- gestern bei den Buchhandlern u. s. w. von der Polizei verboten worden. Indessen wandert das Buch von Hand zu Hand — natürlich der vertrauteren Liberalen —, und was Börne als letztes Vermachtnis hinterlaBt, grabt sich mit Flammenzügen in die Herzen der Liberalen" 1). Das Wort sollte in Erfüllung gehen, denn, mehr als bei seinen Lebzeiten je der Fall gewesen ist, ist Börne für die Zeitgenossen, speziell für die Generadon von 1840, das verehrte Vorbild geworden. Obschon wir noch Gelegenheit haben werden naher zu zeigen, wie das Andenken Börnes gleichsam zum Symbol erhoben wurde, so wollen wir auch jetzt schon darauf hinweisen, daB sogar noch im Jahre 1856 Julian Schmidt gestehen muBte: „Börnes 2) EinfluB auf unsere Jugend ist ungeheuer". Der tote Börne war machtiger als der lebende. J) Glossy, Literarische Geheimberichte, S. 110—112; vgl. auch: Geheimbericht aus Pest vom 18. Juli 1837, ebenda S. 117. 2) Julian Schmidt, Geschichte der deutschen Literatur, Leipzig, 1856, III 28. V. HEINES POLITISCH-LITERARISCHE TATIGKEIT (1830—1840) Nachdem wir im vorigen Absclmitt die pohtisA-hterarische Tatigkeit Börnes, ihren Inhalt, ihre Zielsetzung und ihre Aufnahme, besprochen haben, wird es jetzt unsere Aufgabe sein Heines politische Pubhzistik in demselben Zeitraum zu schildern. Vide verwandte Züge zwischen Heines und Börnes politischen Bestrebungen werden wir nachweisen können, dennoch dürfte es sich zeigen, daB, als Heines politische Schriften Börnes Angriffe herausforderten und Heine dadurch immer mehr in die Defensive gedrangt wurde, gerade das Gegensatzhche in ihren Bestrebungen nicht nur aufgedeckt, sondern sogar akzentuiert wurde. Als Heine, noch stark unter dem Eindruck der Julirevolution, nach Beendigung der Lektüre von Thiers' Revolutionsgeschichte, aus Helgoland nach Hamburg zurückgekehrt war, machte er den vierten Band der „Reisebilder", der „die Stadt Lucca" und die „Englischen Fragmente" enthielt1), druckfertig. Der gröBere Teü des Buches, das nach Heines Wort „den AbschluB einer Lebensperiode" bezeichnete, „die zugleich mit dem AbschluB einer Weltperiode zusammentraf', war vor 1830 geschrieben, ja, zum Teil bereits veröffenthcht worden *). Für uns ist aber das erst am 29. November 1830 entstandene „SchluBwort" von groBer Bedeutung, denn eben damit eröffnet Heine die Reihe seiner pohtischen Schriften und stellt sich, obwohl ihm, wie wir gesehen haben 3), innerhch vor den Folgen seines Schrittes I graut, als Journalist in den Dienst der Zeit4). ») lm Januar 1831 erschienen, zunachst unter dem Titel „Nachtrage zu den Reisebildern". *) Vgl. Heines Werke ed. Walzel, V. 498, 500. ») Vgl. S. 52, 60 ff. ... «) Hans Bloesch, Das Junge Deutschland in seinen Beziehungen zu Frankreich, Bern, 1903, S. 25, nennt die Vorrede zu „Kahldorf' Heines erste politische Schrift, eine Ansicht, die u. E. absolut unrichtig ist. 107 Der Dichter erklart, daB sein Buch aus der Zeitnot hervorgegangen sei, jetzt aber sei das Wort eine Tat geworden, deren Folgen sich nicht abmessen liefien. Könne doch keiner genau wissen, ob er nicht gar am Ende als Blutzeuge für das Wort auftreten müsse; denn in Deutschland seien die alten Hascher schon wieder dabei das Feuer, das auch dort hie und da entstanden sei, zu löschen und um so fester die heimlichen Ketten zu schmieden. So wölbe sich unsichtbar eine noch dichtere Kerkermauer um das deutsche Volk. Der Dichter aber will zum Retter seines Volkes werden. Es ist wirklich nicht die eigne Selbstsucht, die ihn „zur Tribune drangt", im Gegenteil. Und recht bezeichnend sagt er, daB jetzt „die vornehme Eisrinde" von seinem Herzen schmilzt. Er fragt sich, ob es Liebe für das deutsche. Volk oder Krankheit sei, die ihm das Schwert in die. Hand drücke. Und nun erzahlt er die Geschichte von Kaiser Karl, der in Tirol gefangen saB, in einsamer Betrübnis, da keiner ihm zu Hülfe kam. Da öffnete sich plötzhch die Kerkertür, und der Mann, der als Befreier, als Retter eintrat, war Kunz von der Rosen, des Kaisers Hofnarr. „O, deutsches Vaterland! Teures deutsches Volk!", ruft Heine aus, „ich bin dein Kunz von der Rosen. Der Dichter will nicht langer belustigen, tragt jetzt statt der Narrenkappe die phrygische Mütze, i und schleicht sich so in den Kerker seines Volkes um ihm seine Beƒ freiung zu verkünden: die Nacht ist vor über und drauBen glüht das ' Morgenrot". Aber auch hier zeigt sich, ebenso wie in den von uns an anderer Stelle x) zitierten Briefen, die er kurz vor seiner Uebersiedelung nach Paris schrieb, daB Heine nicht mit der ganzen, restlosen Hingabe eines Börne für die Sache des Volkes zu leben vermag, denn, er erbittet sich nur eine Sache als Lohn für seine Treue, wenn das Volk einmal aus seinem Kerker befreit worden: der liebe Herr, das Volk, möge ihn nicht umbringen lassen! Die politische Sendung, die er übernommen, beseligt ihn nicht. Kaum hat er sich die phrygische Mütze aufs Haupt gesetzt, so überf alk ihn ein leises Grauen, und eine heimhche Angst beschleicht ihn... •) Vgl. S. 52 ff. 108 An Varnhagen schreibt er über die „Nachtrage zu den Reisebildern": „Das Buch ist vorsatzlich so einseitig. Ich weiB sehr gut, daB die Revoludon alle sozialen Interessen umfaBt, und Adel und Kirche nicht ihre einzigen Feinde sind. Aber ich habe, zur FaBhchkeit, \, die letzteren als die einzig verbündeten Feinde dargesteüt, damit ) sich der Ankampf consohdire. Ich selbst hasse die aristocratie bourgeoise noch weit mehr" 1). Kurz vor seiner Abreise nach Frankreich hat Heine dann noch eine Streitschrift gegen den Adel veröffentlicht. Es war dies eine Einleitung zu Wesselhöfts Schrift gegen den Graf en Moltke: „Kahldorf über den Adel" 2). Es ist eine Liebh'ngsidee Heines eine Parallele zu ziehen zwischen der politischen Revoludon in Frankreich und der philosophischen in Deutschland, und dieser Gedanke, der spater im 3. Buch seiner „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland" naher ausgeführt werden soll, findet hier zum ersten Male seine Formuherung, wenn er über Deutschland schreibt: „So hatten wir den Bruch mit dem Bestehenden und der Ueberheferung im Reiche des Gedankens, ebenso wie die Franzosen im Gebiete der Gesellschaft, um die Kritik der reinen Vernunft sammelten sich unsere philosophischen Jakobiner, die nichts gelten liefien, als was jener Kritik Stand hielt, Kant war unser Robespierre". In der Philosophie seien die Deutschen also sehr glückhch gewesen und es sei natürhch, daB man jetzt zur Politik übergehe. Es werde , jetzt in Deutschland die Frage aufgeworfen, wie die deutsche Revolution verlaufen werde, blutig oder unblutig. Adel und Geisthchkeit drohten mit den Schreckbildern aus den Zeiten des Terrorismus, Liberale und Humanisten dagegen versprachen die schonen Szenen der groBen Woche der Julirevolution. „Beide Parteien", sagt Heine, „tauschen sich oder wollen andere tauschen", und er betont, daB man nicht auf die französische Revolution von 1789 und 1830 hinweisen dürfe weder in günstigem noch in ungünstigem Sinne, denn „nur wenn dieselben »J Brief vom 19. November 1830 (Hirth, I 628). 2) Vgl. weiter: Heines Werke ed. Walzel, V 485, 575. 109 Bcdingnisse vorhanden sind, lassen sich dieselben Erscheinungen erwarten". Uns erscheint dieser Ausspruch als eine Selbstverstandlichkeit, er ist aber für die damalige Zeit viel mehr, er beweist, daB Heine, intuitiv oder unter dem EinfluB des Saint-Simonismus *) die Bedingtv heit alles geschichthchen Werdens und Wachsens Verstand, daB / ihm also die Erkenntnis aufgegangen war, daB eine Revolution nicht | willkürhch gemacht wird, sondern sich als eine historische Notwendig/ keit durchsetzt, „wenn die Bedingnisse dazu vorhanden sind", das heiBt, wenn die im SchoB der Gesellschaft zur Entwicklung gelangten Krafte keinen andern Ausweg zu finden vermogen. Hier handelt es sich also nicht bloB um eine Schwarmerei für die Idee der Revolution, . Heine zeigt hier schon Sinn für die Bedingtheit aües historischen , Geschehens, den wir bei Börne und überhaupt bei den deutschen Liberalen von damals nur zu sehr vermissen. Er weist auch darauf hin, daB die Frage nach dem Charakter, den die Revolution in Deutschland annehmen könnte, sich in eine Frage über den Zustand der Zivilisation und der politischen Bildung des deutschen Volkes verwandein muB. Der Adel wird hingestellt als die groBe Macht, durch die das Prinzip der Freiheit und Gleichheit in seiner praktischen Durchführung bestandig bedroht wird. Oesterreich besorgt die Adelsinteressen, ganz Europa wurde ein Sankt Helena, und Metternich ist dessen Hudson Lowe2). Und wieder erscheint Napoleon als der Sohn der Revolution, als der Mann des Volkes, als das Opfer der Aristokratie s); „Aber nur an dem sterblichen Leib der Revolution konnte man sich rachen, nur jene menschgewordene Revolution, die mit Stiefel und Sporen und bespritzt mit Schlachtfeldblut zu einer kaiserlichen Blondine ins Bett gestiegen und die weiBen Laken von Habsburg bef leekt hatte, nur jene Revolution konnte man an einem Magenkrebse sterben lassen; der Geist der Revolution ist jedoch unsterbheh und liegt nicht x) Vgl. Fr. Muckle, Die groBen Sozialisten, Leipzig, 1919, II 13 ff. *) Sir Hudson Lowe, Gouverneur von St. Helena, dem die Überwachung Napoleons übertragen war. s) Vgl. S. 37. 110 unter den Trauerweiden von Longwood, und in dem grofien Wochenbette des Ende Juli wurde die Revolution wieder geboren, nicht als einzelner Mensch, sondern als ganzes Volk, und in dieser Volkwerdung spottet sie des Kerkermeisters, der vor Schrecken das Schlüsselbund aus Handen fallen laBt" 1). Die Einleitung zu „Kahldorf über den Adel" ist die letzte politische Schrift, die Heine auf deutschem Boden geschrieben hat. In Paris wird er zum ZeitschriftsteUer, zum politischen Journalisten groBen Stiles. Heines journalistische Tatigkeit fangt erst an, nachdem die ersten Bande von Börnes „Briefen" erschienen waren. Sie hatten, wie wir wissen, beim liberalen deutschen Publikum eine begeisterte Aufnahme gefunden. Nun wurde Heine von Cotta aufgefordert an der „Allgemeinen Zeitung" mitzuarbeiten. „Mit Börne in Konkurrenz zu I treten, seine Selbstandigkeit neben diesem auf dem Gebiete der reinen Politik zu behaupten, muBte Heine um so mehr reizen", so sagt ProelB % „als er sich des groBen Unterschieds zwischen sich und ihm wohl bewuBt war, wahrend umgekehrt das liberale deutsche Publikum anfing, Heine und Börne zu einem zusammengehörigen Begriff zu verschmelzen". Letzteres war, wie wir gesehen haben8) schon langst der Fall, wir halten uns aber keineswegs für berechtigt ebenso wie ProelB zu behaupten, Heines Eingehen auf Cottas Antrag lasse sich aus einer gewissen Rivalitat Börne gegenüber erklaren. Wir glauben vielmehr, daB ProelB hier ein Motiv hmeininterpretiert, dessen Heine sich damals wenigstens noch nicht bewuBt war. Erst infolge der journalistischen Tatigkeit Heines und ihres persönhchen Verhaltnisses in Paris ist ihnen dieser Gegensatz recht klar zum BewuBtsein gekommen. Jedenfalls gelang es Cotta Heine für die Journalistik zu gewinnen. Ebenso wie von Börne kann man von Heine sagen, daB das meiste, was er in Paris bis zu seinem Tode geschrieben hat, Zeitungsartikel i) Heines Werke, ed. Walzel, V 402. *) Joh. ProelB, Das Junge Deutschland, S. 151. ») Vgl. S. 54. 111 waren, verfaBt in der Hoffnung, wie Treitschke sich in seiner subjektiven Weise ausdrückt, „seine verlassenen Landsleute zu betören durch jenen Zauber des Fremdartigen, dem die weitherzige deutsche Natur so selten widersteht" 1). „Hier ist jetzt alles still. Wird es lebhafter und passirt etwas Bedeutendes, so sollen Sie darüber Berichte für die Allgemeine Zeitung erhalten", schreibt er am 31. Oktober 1831 an Cotta,2) und steilt ihm sogar groBe ausgearbeitete Artikel über die politischen Zustande in Frankreich in Aussicht. Einstweilen schickt er ihm den Bericht über die Gemaldeausstellung in Paris, der, obwohl Heine nur beabi sichtigt das deutsche Publikum mit der französischen Malerei bekannt ( zu machen, dennoch einige Stellen enthalt, die für seine politische | Haltung höchst wichtig sind. Noch einmal flammt die Begeisterung für die Julirevolution auf, wenn er vor Delacroix' Bild steht, das eine Volksgruppe wahrend der Juliustage darstellt: „Heilige Julitage von Paris 1 ihr werdet ewig Zeugnis geben von dem Uradel der Menschen, der nie ganz zerstört werden kann. Wer euch erlebt hat, der jammert nicht mehr auf den alten Grabern, sondern freudig glaubt er jetzt an die Auferstehung der Völker" 3). Weit wichtiger ist für uns die Tatsache, daB wir bereits in diesem 1 Artikel auf eine Stelle stoBen, in der Heine einen scharfen Protest S gegen den Republikanismus der Liberalen vernehmen laBt. Zu einer I Zeit, da die Welt Börne und Heine noch als Waffenbrüder betrachtete, schreibt letzterer, nachdem er Verwahrung gegen die Art und Weise eingelegt hat, in der die Legitimisten den Tod Ludwigs xvi. zu Gunsten ihrer Sache ausbeuten: „Es ist vielleicht an der Zeit, einerseits das allgemeine Volksrecht soldier Schmerzen zu vindizieren, damit sich das Volk nicht einreden lasse, nicht ihm gehörten die Könige, sondern einigen Auserwahlten, die das Privilegium haben, jedes könighche MiBgeschick als ihr eigenes zu bejammern, andererseits ist es vielleicht an der Zeit, jene Schmerzen *) Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrh., Leipzig, 1889, IV 422. 2) Hirth, II 9. *) Heines Werke, ed. Walzel, VI 17. 112 laut auszusprechen, da es jetzt wieder einige eiskluge Staatsgrübler gibt, einige nüchterne Bacchanten der Vernunft, die, in ihrem logischen Wahnsinn, uns alle Ehrfurcht, die das uralte Sakrament des Königtums gebietet, aus der Tiefe unserer Herzen herausdisputieren móchten"1). Heine, der als Schuier Saint-Simons von der Verkettung der historischen Ereignisse tief überzeugt ist, blickt ehrfurchtsvoll nach den Gestaltungen der Vergangenheit Es ist die rationalistische Betrachtungsweise der damahgen Liberalen, die er schon in der unhistorischen Erfassung der Idee der Revolution verurteilt hatte, die ihn zwingt auch jetzt wieder in der Frage des Königtums ganz entschieden von seinen sogenannten Gesinnungsgenossen a la Börne abzurücken *). Im allgemeinen ist dieser erste Bericht in ruhigem Tone gehalten. Nur, da er, im Begriff seine kunstkritische Abhandlung zu beendigen, gerade den Fall Warschaus erfahrt, ,,verwirren und verschieben sich" bei ihm alle Bilder. Die Freiheitsgöttin von Delacroix tritt ihm mit ganz verandertem Gesichte entgegen, „fast mit Angst in dem wilden Auge". „Gott sei uns allen gnadig! Unsere letzte Schutzmauer ist gefallen, die Göttin der Freiheit erbleicht, unsere Freunde liegen zu Boden, der römische GroBpfaffe erhebt sich boshaft lachelnd, und die siegende Aristokratie steht triumphierend an dem Sarge des Volktums" *). Auch hier ist es bemerkenswert, wieviel realer Heine die politische Lage nach dem Sturze von Warschau erfaBt als Börne, der sich, wie wir sahen, nur in grundlos optimistischen Betrachtungen erschöpfte. Es waren gewiB nicht nur die persönhchen Beziehungen zu Cotta, welche Heine dazu veranlaBten seine politischen Berichte gerade in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" fortzusetzen. Diese Zeitung, die jedenfalls in PreuBen im Vergleich zu allen andern Zeitungen die meisten Abonnenten hatte, bot ihm eine Tribune zur Verkündigung x) Heines Werke, ed. Walzel, VI 46 ff. *) Vgl. Muckle, Die groBen Sozialisten, II 13 ff. s) Vgl. dazu noch Heines AuBerungen in dem „Nachtrag 1833" zu den „Französischen / Malern" (Heines Werke, ed. Walzel, VI 76 ff). 4) Heines Werke ed. Walzel, VI 55. HEINRICH HEINE. (1797-1856). Leichtgetönte Zeichnung von Samuel Friedrich Diez. Im Besitze des Herrn Dr. Eduard Beith in Hamburg. 113 seiner politischen Ideen, wie er sie sonst in Deutschland nicht hatte finden können. Zwar war es keineswegs eine freie Tribune, da Heine sich in Rücksicht auf die Zensurbehörde und auf die sehr machtigen konservativen Elemente unter seinen Lesern entweder zu einer ge wissen Mafiigung oder zu einer Verschleierung seiner wahren Gesinnung genödgt sah, aber er erwarb sich durch seine Mitarbeit an der „Allgemeinen Zeitung" eine EinfluBsphare, die bedeutend gröBer war» als wenn er seine Ardkel in einer der ausgesprochen liberalen Zeitungen" veröffentlicht hatte. Erst viele Jahre spater (Mai 1854) hat Heine in' der „Lutezia", wenn auch nachtraglich, sich sehr deutlich über seine journalistische Taktik ausgesprochen, die ihm von Börne und dessen Gesinnungsgenossen so schwer verübelt wurde. Es heiBt da: „Ein in jeder Hinsicht pohtischer Schriftsteller muB der Sache wegen, die er verficht, der rohen Notwendigkeit manche bittere Zugestandnisse machen. Es gibt obskure Winkelblatter genug, worin wir unser ganzes Herz mit all seinen Zornbranden ausschütten konnten — aber sie haben nur ein sehr dürftiges und einfluBloses Publikum, und es ware ebensogut, als wenn wir in der Bierstube oder im Kaffeehause vor den respekdven Stammgasten schwadronierten, gleich andern groBen Patrioten. Wir handeln weit klüger, wenn wir unsere Glut maBigen, und mit nüchternen Worten, wo nicht gar unter einer Maske, in einer Zeitung uns aussprechen, die mit Recht eine Allgemeine Weltzeitung genannt wird, und vielen hunderttausend Lesern in allen Landen belehrsam zu Handen kommt. Selbst in einer trosdosen Verstümmelung kann hier das Wort gedeihhch wirken; die notdürftigste Andeutung wird zuweilen zu ersprieBhcher Saat in unbekanntem Boden. Beseelte mich nicht dieser Gedanke, so hatte ich mir wahrhch > nicht die Selbsttortur angetan für die „Allgemeine Zeitung" zu s schreiben" *)♦ Kaum hatte Heine, nach diesen strategischen Gesichtspunkten arbeitend, seine journalistische Tatigkeit angefangen, als er deswegen / schon aus den Kreisen der deutschen Flüchthnge in Paris heftig angefeindet wurde, weil sie seine MaBigung nur als Verrat an der J) Heihes Werke, ed. Walzel, IX 76 ff. 8 114 gemeinsamcn Sache betrachteten. Bereits am 1. Marz 1832 schreibt Heine an Cotta: „Er (Kolb, der spatere Chefredakteur der „Allgemeinen Zeitung") wird Jiinen, Herr Baron, auch von der Unbequemhchkeit meiner hiesigen Stellung unter den Patrioten erzahlt haben, und Sie werden dadurch einsehen, daB bei meinen Aufsatzen, deren Vertretung nach unten weit schwieriger ist, als nach oben, eine ungewöhnlich gnadige Zensur stattfinden muB" *). Heine glaubte sogar, daB „die deutschen Jakobiner" in Paris eme durch den Buchhandler Frank verfalschte Uebersetzung seines ersten Artikels in die dortige „Tribune" aufnehmen heBen, in der Absicht ihn dadurch dergestalt zu kompromittieren, daB er sich für sie oder gegen sie erkliren müsse, wovon er das erstere aus Ueberzeugung und das andere aus Klugheit unterlassen habe, und er bemerkt sogar nachdrückhch, daB er aus Dégoüt vor der jakobinischen Unredhch. keit noch gemaBigter als jemals werde 2). Im Jahre 1832 hat Heine \ seine Berichterstattung regelmaBig fortgesetzt. Es entstanden die 1 politischen Briefe, die spater unter dem Titel „Französische Zustande" ' in Buchform erscheinen sollten. Kritik, schonungslose Kritik des Julikönigtums, bildet den wesenthchen Inhalt von Heines „Französischen Zustanden". Zwar spricht er auch hier noch manchmal begeistert übef Paris, den StrauB, der „brauthch prangt an dem Busen Europas", und die Stadt selber vergleicht er mit einem Pantheon der Lebenden, wo „eine neue Kunst, eine neue Religion, ein neues Leben geschaffen wird", aber immer wieder richtet sich der Bliek auf das Politische, richtet er seine Angriffe auf den Schein-Konstitutionalismus des Bürgerkönigtums. Die Gestalt Louis-Philipps leuchtete dereinst im Glanz der Juliussonne, die sein Haupt wie mit einer Glorie umstrahlte, er war der Mann, der selber bei Valmy und Jemappes für die bürgerhche Freiheit mitgefochten hatte, „er stand auf dem Balkone des Palais Royal und schlug mit der Hand den Takt zu der Marseülaise, die unten das Volk jubelte; und •) Hirth, II 15. *) Vgl. Brief an Cotta vom 20. Januar, 1832 (Hirth, II 11). 115 er war ganz der Sohn der Gleichheit, fils d'Egalité, der Soldat tricolore der Freiheit" 1). Aber Ludwig Philipp hat vergessen, daB seine Regierung durch das Prinzip der Volkssouveranitat entstanden ist, „und in trübseligster Verblendung möchte er sie jetzt durch eine QuasiI legitimitat, durch Verbindung mit absoluten Fürsten, und durch Fortsetzung der Restaurationsperiode zu erhalten suchen. Dadurch ge\ schieht es, daB jetzt die Geister der Revoludon ihm grollen und unter allen Gestalten ihn befehden" 2). Ludwig Phihpp, der dem Volke und den Pflastersteinen des Julius seinen Thron verdankt, muBte erfüllen, was sein ganzes Leben symbolisch versprochen hatte: Valmy und Jemappes muBten eine Wahrheit werden s), aber taghch geschehen Rückschritte, und „wie man die Pflastersteine, die an einigen Orten noch seitdem aufgehauft lagen, jetzt wieder ruhig einsetzt, damit keine auBere Spur der Revoludon übrig bleibe: so wird auch jetzt das Volk wieder an seine vorige Stelle, wie Pflastersteine, in die Erde zurückgestampft, und, nach wie vor, mit FüBen getreten" 4). Lafayette, dieser „treue Eckart der Freiheit", ist infolgedessen krank, kummerkrank. „Ach! das gröBte Herz beider Weiten, wie schmerzlich muB es jene königliche Tauschung empfinden" 5). Und, ebenso wenig wie er Ludwig Philipp schont, weil er unter seinem bescheidenen Filzhute „eine ganz unmaBgebliche Krone tragt und in seinem Regenschirm das absolute Zepter verbirgt" *), so werden auch die Stützen dieses Bürgerkönigtums scharf angegriffen. Thiers, „dieser Indifferentist von der defsten Art, dieser Goethe der Politik", erscheint ihm neben dem Ministerpresidenten Casimir Périer als der machtigste Verfechter des Justemiheu-Systems, als der gefahrlichste Vertreter der Hochfinanz. Sollte sich aber das Entsetzliche begeben und Frankreich, „das >) Heines Werke, ed. Walzel, VI 164. ') Ebenda, VI 103. *) „ , VI 166. ') „ , VI 104. ") „ , VI 36. •) „ , VI 159. 116 Mutterland der Zivilisadon und der Freiheit ginge verloren durch Leichtsinn und Verrat und die potsdamische Junkersprache schnarrte wieder durch die StraBen von Paris, und schmutzige Teutonenstiefel bef leekten wieder den heiligen Boden der Boulevards und der Palais Royal röche wieder nach Juchten", so hatte ein Mann, Casimir Périer, durch seinen klaghchen, kramerhaften Kleinsinn das Verderben des Vaterlandes verschuldet" 1). Casimir Périer „hat Frankreich erniedrigt um die Börsenkurse zu heben" 2). Wie gebannt von einem unheimhehen Zauber hat er eine Stunde lang neben ihm gestanden und „seine trübe Gestalt" betrachtet. „Wenn dieser Mann fallt, dachte ich, hat die groBe Sonnenfinsternis ein Ende, und die dreifarbige Fahne auf dem Pantheon erglanzt wieder begeistert, und die Freiheitsbaume erblühen wieder! Dieser Mann ist der Atlas, der die Börse und das Orleans und das ganze europaische Staatengebaude auf seinen Schultern tragt, und wenn er fallt, so fallt die ganze Bude, worin man die edelsten Hoffnungen der Menschheit verschachert, und es fallen die Wechseltische und die Kurse und die Eigensucht und die Gemeinheit"!s). Nach Heines Ansicht hat Casimir Périer Frankreich erniedrigt, da durch seine Hilfe die Finanzaristokratie immer machtiger wurde \ und mit dem Justemilieu eine Periode schamlosester Volksausplünderung einsetzte. „Nie stand Frankreich so tief in den Augen des Auslandes, nicht einmal zur Zeit der Pompadour und der Dubarry. Man merkt jetzt, daB es noch etwas Klaglicheres gibt als eine Matressenherrschaft. In dem Boudoir einer galanten Dame ist noch immer mehr Ehre zu finden als in dem Comptoir eines Bankiers" 4). Und dennoch schrieb Heine, als Casimir Périer an der Cholera starb, daB er dafür stimmen wurde, ihn im Pantheon beisetzen Zu lassen, denn er besaB seltene Talente und seltene Willenskraft, und was er tat, tat er im Interesse des Vaterlandes. Er ist das Talent 1) Heines Werke, ed. Walzel, VI 143. 2) Ebenda, VI 206. ») „ , VI 143. 4) „ , VI 153. 117 und die Tatkraft, die von Heine, hier, wie an so mancher andren Stelle, gefeiert wird. Périer war tot, aber „das System lebte noch". Heine hat nicht nur den Klassencharakter dieser JustemilieuPohtik, die ihrem Wesen nach nichts anderes als die Befestigung der Gewaltherrschaft der Bourgeoisie beabsichdgte, grell beleuchtet, er hat auch den überzeugenden Beweis gehefert, daB er die Julirevolution historisch ganz richtig erfaBt hat, wenn er sie nur als Moment in der Geschichte der Klassenkampfe gelten lassen will: „Das Volk hat nichts gewonnen durch seinen Sieg als Reue und gröBere Not. Aber seid überzeugt, wenn wieder die Sturmglocke gelautet wird und das Volk zur Fhnte greift, diesmal kampft es für sich selber und verlangt den wohlverdienten Lohn" 1), und es weist darauf hin, daB die Gesellschaft der Machthaber immer glaubt an die ewige Dauer ihrer Macht, „wenn auch die Annalen der Welthistorie und das feurige Mene-Tekel der Tagesblatter und sogar die laute Volksstimme auf der StraBe ihre Warnungen aussprechen" 2). Wie unendhch tiefer bhckt Heine auch hier wieder als Börne, der nur schmerzhch enttauscht ist, daB „der Freiheit ihr Sieg verloren gegangen ist" 3) der eben deshalb von jetzt an die republikanische , Staatsform als das höchste Ideal betrachtet und somit das ganze gewaltige Problem der Klassengegensatze zurückführt auf die Frage * Monarchie oder Republik. Wie urteilt Heine über diese Frage? Heine leugnet, daB ein Demokrat notwendig Republikaner sein müsse. „Wir haben wohl gesehen, sagt er, daB die völhge Bürgergleichheit, die heiligste Demokratie, in sogenannten Monarchien blühen konnte, in Staaten, wo nur einer, unter den Namen Imperator oder Kalif oder Prasident oder König oder Sultan oder Protektor an der Spitze stand; wahrend die sogenannten Republiken, wie die römische und griechische Republik, die italienischen Freistaaten des ') Heines Werke, ed. Walzel, VIII, 414. s) Ebenda, VI 173. *) Gutzkows Börnes Leben, S. 352). 118 Mittelalters, die freien Reichsstadte in Deutschland, durchaus Aristokratien oder Oligarchien waren"x). Hieraus schhefit er, da8 man 1 zwischen der Sache der Demokratie und der Sache der Republik eine deutliche Unterscheidung machen müsse. Diese Ausfalle gegen den Standpunkt Börnes waren die ersten Plankeleien des Prinzipienkampfes, der nur zu bald zwischen Börne und Heine entbrennen sollte, und auch, in Rücksicht auf den geistigen Habitus der Gegner, entbrennen muBte. Heine bekennt sich sogar, obwohl er, wie wir gesehen haben, an / die Revolution der Zukunft glaubt, ganz offen zu der Idee der Monarchie: v „Royalist aus angeborner Neigung, werde ich es in Frankreich auch aus Ueberzeugung" 2). Heine ist der Meinung, daB die Franzosen keine Republik ertragen können, dagegen prophezeit er: „Ich bin überzeugt, wenn wir langst ruhig in unseren Grabern vermodert sind, kampft man in Deutschland mit Wort und Schwert für die Republik. Denn die Republik ist eine Idee, und noch nie haben die Deutschen eine Idee aufgegeben ohne sie bis in alle ihre Konsequenzen durchgefochten zu haben" 8). Wenn Heine auch für das Königtum Partei ergreift, dann geschieht es doch immer zu Gunsten einer konstitutionellen Monarchie, denn die bürgerhche Freiheit gelange sicherer zur Entwicklung, wenn sie sich im Kampfe gegen die privilegierten Stande auf die konstitutionelle Monarchie stütze, als wenn die Republik zum Ziel des Kampfes gemacht werde. Heftig bekampft er aber deshalb sowohl den Scheinkonstitutionahsmus Louis Phihpps, wie auch die Kar listenpartei, deren absolutistische Tendenzen ihm natürlich ganz verhaBt sind. Wenn er dies aber tut, so ist doch wohl immer die unverkennbare Nebenabsicht seiner Angriffe auf die französischen Legitimisten, damit und dadurch zugleich eine Kritik des Metteraichschen Systems zu gliefern, und eben das machte seine Berichte höchst wertvoll für die ] deutsche Leserwelt. i) Heines Werke, ed. Walzel, VI 500. *) Ebenda, VI 112. ») „ , VI 231. 119 Für die Bonapartisten zeigt er eine gewisse Vorliebe. Er tritt! aber durchaus nicht mehr als Apostel der kaiserhchen Legende auf, denn immer wieder beklagt er jetzt den Abfall Napoleons von den I Prinzipien der Demokratie*). Das Liebste an Napoleon ist ihm, daB er tot ist; „denn, lebte er noch, so müBte ich ihn ja bekampfen helfen" 2). „Napoleon sollte in allen Landern den Sieg der Revolution erfechten, aber uneingedenk dieser Sendung, wollte er durch den Sieg sich selbst verherrhchen, und egoistisch erhaben steilte er sein eigenes Bild auf die erbeuteten Trophaen der Revolution, auf die zusammengegossenen Kanonen der Vendömesaule. Da hatten die Deutschen nun die Sendung, die Revolution zu rachen, und den Imperator wieder herabzureiBen von der usurpierten Höhe, von der Höhe der Vendömesaule. Nur der dreifarbigen Fahne gebührt dieser Platz, und seit den JuUustagen flattert sie dort siegreich und verheiBend. Wenn man in der Folge Napoleon wieder hinaufsetzt auf die Vendömesaule, so steht er dort nicht mehr als Imperator, als Casar, sondern als ein durch Unglück gesühnter und durch Tod gereinigter Reprasentant der Revolution, als ein Sinnbild der siegenden Volksgewalt" 3). Am 20. August 1832 schreibt er aus Dieppe anlaBhch des Todes des jungen Napoleon wieder über die Bonapartisten. Es sind Worte, die u. E. zugleich die Erklarung für Heines Standpunkt enthalten, wenn dieser sich nachdrückhch als „Royalist aus angeborner Neigung" bezeichnet, einen Standpunkt, der ihm von Börne und den andern „Bacchanten der Vernunft" schwer verübelt wurde, weil sie ihn nun einmal nicht zu deuten vermochten. Heine sagt namlich in dem angeführten Bericht*) daB für die Bonapartisten, die an eine kaiserhche Auferstehung des Fleisches geglaubt hatten, jetzt alles zu Ende sei. I „Aber für die Bonapartisten, die an eine Auferstehung des Geistes geglaubt, erblüht jetzt die beste Hoffnung. Der Bonapartismus ist I für diese nicht eine Ueberlieferung der Macht durch Zeugung und Erstgeburt, nein, ihr Bonapartismus ist jetzt gleichsam von aller tie- Vgl. Strodtmann, II 41 ff. a) Heines Werke, ed. Walzel, VI 115 ff. a) Ebenda, VI 170 ff. «) „ , VI 302. 120 rischen Beimischung gereinigt, er ist ihnen die Idee einer Alleinherrschaft der höchsten Kraft, angewendet zum Besten des Volkes, und der diese Kraft hat und sie so anwendet, den nennen sie Napoleon IL Wie Casar der blassen Herrschergewalt seinen Namen gab, so gibt Napoleon seinen Namen einem neuen Casartume, wozu nur derjenige berechdgt ist, der die höchste Fahigkeit und den besten Willen besitzt." Napoleon ist ihm der Typus „eines Saint-simonistischen Kaisers", und in diesen Worten besitzen wir wohl der Schlüssel zur Erklarung von Heines monarchistischer Gesinnung. Der soll König sein, der „kraft seiner geisdgen Superioritat zur Obergewalt befugt" x) ist, der „die höchste Fahigkeit und den besten Willen besitzt." Es ist Heines romantische Begeisterung für die groBen Individualitaten, es ist seine defe Verehrung für das Genie als Führer der Massen, die ihn zum Monarchisten in Saint-simonistischem Sinne macht. „Royalist aus angeborner Neigung" ist Heine insoweit, als in ihm die Ehrfurcht lebt vor den groBen Führern der Menschheit, vor den Geistesheroen, wie Moses, Jesus, Mohammed, Karl der GroBe, Luther und Napoleon, die ihre Machtstellung nicht der „Zeugung und Erstgeburt" sondern nur ihrer überragenden GröBe 2) zu verdanken haben. Es darf die Frage gestellt werden, ob Heines Begeisterung für die Idee der < Revoludon, ob überhaupt sein Freiheitspathos sich mit einem solchen i Kultus der Idee des „Uebermenschen" in Einklang bringen lasse. Die Erklarung dieses scheinbaren Widerspruchs liegt wohl darin, daB Heine mit den Saint-Simonisten einen Kampf führt gegen alle, welche auf Kosten des Volkes leben, gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, daB er aber andererseits, wiederum ganz / in Uebereinstimmung mit den Saint-Simonisten, für die Gesellschaft J der Zukunft eine Rangordnung nach dem Talente, und nicht eine nach Geburt oder Vermogen als unerlaBliche Forderung betrachtet. Wenn Heine also wiederholt nachdrücklich erklart, er sei weder ' Republikaner noch Jakobiner, so haben wir eine solche Behauptung keineswegs zu betrachten als eine Absage an die Idee der Demokraüe. Heine will vielmehr dadurch schroff und klar zu erkennen geben, 1) Heines Werke, ed. Walzel, VI 302. 2) Lichtenberger, Heinrich Heine als Denker, S. 134 ff. 121 daB er die rationalistischer! Gleichheitsphrasen der Liberalen a la Börne, Wirth und Siebenpfeiffer grundsatzlich verurteilt, weil er, ganz sozialistisch gedacht, die natürliche Ungleichheit anerkennt, dagegen aber die durch Kapitalbesitz oder Geburt verursachte Ungleichheit der Entwicklungsbedingungen aus der Welt schaffen will. Wir können uns nach alledem, was wir hier über das Wesen von Heines Royalismus gesagt haben, natürlich gar nicht einverstanden erklaren mit Strodtmann, der Heines monarchistische AuBerungen nur als „captationes benevolentiae" betrachtet, durch welche er sich die „Möglichkeit der Besprechung eines so haklichen Stoffes" in der Ausgburger Zeitung zu verschaffen gewuBt habe x). Es handelt sich hier nach unserer Meinung nicht um eine Frage der journalistischen Taktik, sondern um eine prinzipielle Abkehr Heines von der liberalen Doktrin seiner Zeit. Heine hat wohl gar das lebhafte Bedürfnis gefühlt in unzweideutiger Weise den prinzipiellen Unterschied zwischen ihm und den deutschen Republikanern in Paris zu erkennen zu geben: Unerschütterhch in seinen Gr undsatzen „haben selbst die Ranke des Jakobinismus nicht vermocht", ihn in Paris „in den dunkelen Strudel hineinzureiBen, wo deutscher Unverstand mit französischem Leichtsinn rivalisierte", und er bemerkt nachdrückhch: „Ich habe keinen Teil genommen an der hiesigen deutschen Assoziation, auBer daB ich ihr bei einer Kollekte für die Unterstützung der freien Presse einige Franks zollte; lange vor den j Juniustagen habe ich den Vorstehern jener Assoziation aufs bestimmteste 1 notifiziert, daB ich nicht mit derselben in weiterer Verbindung stehe" 2). An anderer Stelle zeigt er sehr deuthch den uns schon bekannten Gegensatz zu den Republikanern, wenn er uns schildert, wie er sich deplaziert fühlte in der Versammlung der Amis du peuple, die „ganz roch wie ein zerlesenes, klebrichtes Exemplar des ,Moniteurs' von 1793" 3). Er findet es töricht, daB diese Republikaner die Sprache von 1793 wieder heraufbeschwören wollen. Sie handeln dadurch *) Strodtmann, II 44. 2) Heines Werke, ed. Walzel, VI 250; vgl. hierzu auch S. 67. ') Ebenda, VI 126. 122 ebenso retrograde, wie die eifrigsten Kampen des alten Kegimes. Sowohl die Republikaner wie die Karlisten bezeichnet er als„Plagiarien der Vergangenheit" 1). Es ist wohl deudich, dafi bei solchen Kundgebungen Börne und Genossen Heines journalistische Tatigkeit mit steigendem Mifitrauen verfolgten, daB sie, wo sie keiner andern Deutung fahig waren, die vielen Widersprüche als ebensoviele Beweise für Heines Verrat an der gemeinsamen Sache betrachteten. Wie kurzsichtig diese Beurteilung war, geht aber vielleicht am deuthchsten aus Heines Bewunderung für die Heldentaten der namenlosen Republikaner hervor, die ihr Leben bei einem miBlungenen Revolurionsversuch opferten. Die verschiedenenen republikanischen Verbindungen2) waren mit einander in Verbindung getreten und benutzten im Juni 1831 das Leichenbegangnis des Generals Lamarque, eines der Führer der republikanischen Partei, zu einem Aufstand gegen die Regierung: „Erhebend und doch zugleich beangstigend wirkte besonders der Anbhck der Jugend aller hohen Schulen von Paris, der Amis du Peuple, und so vieler anderer Republikaner aus allen Standen, die, mit furchtbarem Jubel die Luft erfüllend, gleich Bacchanten der Freiheit, vorüberzogen". Die Republikaner wurden zersprengt und geschlagen und der Rest derselben in der Rue Saint-Martin mit Kartatschen zusammengeschossen. „Kein einziger war dabei, der einen bekannten Namen trug, oder den man früher als einen ausgezeichneten Kampen des Repubhkanismus gekannt hatte", aber es war nach des Dichters Worten „das beste Blut Frankreichs, welches in der Rue Saint-Martin geflossen," und „der beschèidene Tod dieser grossen Unbekannten" bringt ihm auch die trostreiche, erhebende GewiBheit, „daB viele tausend Menschen, die wir gar nicht kennen, bereit stehen für die heilige Sache der Menschheit ihr Leben zu opfern" Heine hatte den Plan gefaBt seine vom 1. Januar 1832 aninder „Allgemeinen Zeitung" veröffenthchten Korrespondenzen über „Fran- ») Heines Werke, ed. Walzel, VI 125. 2) Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, München, 1921, II (Die industrielle Gesellschaft), S. 366. ') Heines Werke, ed. Walzel, VI 239 ff. 123 Zösische Zustande" in Buchform herauszugeben J), als er bereits im Dezember desselben Jahres durch das Vorgehen Metternichs seine politischen Korrespondenzberichte einstellen mufite. Es mag sein, daB Heine die Erwartung gehegt hat, daB seine schonungslose Kritik der / konstitutionellen Monarchie des Justemiheu den deutschen und österreichischen Machthabern, Gegnern jeder konstitutionellen Regierung, so angenehm sein würde, daB sie deswegen seine liberalen AuBerungen mit in den Kauf nehmen wolken. Es sollte sich aber zeigen, daB Metternich sehr wohl herausgefühlt hatte, wie Heines Kritik des „Bürgerkönigtums" Louis PhUipps, das er vor allem wegen der absolutisj tischen Tendenzen bekampfte, ihrem Wesen nach doch auf eine verschleierte Kritik des Absolutismus an sich hinaushef. Deswegen heB Metternich, der auf diese Artikel durch Gentz aufmerksam gemacht worden war, 2) durch letztern bei Cotta einen sehr höfhchen, aber sehr energischen Protest gegen die Mitarbeiterschaft Heines an der „Allgemeinen Zeitung"8) erheben. DerWinkwar nicht miBzuverstehen. Cotta sah sich, weil gerade wieder mehrere freisinnige Blatter ganz verboten wurden, genötigt, einstweilen auf eine weitere Aufnahme Heinischer Korrespondenzen zu verzichten 4). Ende 1832 erschienen aber bei Juhus Campe die bis zum September desselben Jahres für Cottas „Allgemeine Zeitung" geheferten Artikel in Buchform. Schon im Januar 1833 hat Lagarmitte, ein Freund Börnes und Heines, im 57. Band der „Revue Encydopédique" den Ruf nach dner französischen Ausgabe der „Französischen Zustande" erhoben. Im Juni 1833 kam Heine mit seinem Buch „De la France" dieser Forderung nach5). Mit dieser Veröffentlichung hatte Heine für lange Zdt sein letztes Wort als politischer Schriftsteller gesprochen, aber dieses letzte Wort *) Vgl. Brief an Varnhagen: Ankunfts-Poststempel: 22. Mai 1832, (Hirth, II 21). *) Geiger, Das Junge Deutschland, Berlin, S. 195. *) Vgl. hierzu: Strodtmann, II 54 ff. 4) Ganz unpolitisch waren die Briefe Heines über den „Salon", die 1833in der „Allgemeinen Zeitung" erschienen. •) Ueber diese Uebersetzung und Eugène Renduels Einleitung dazu vgl. Alfred Schellenberg, Heinrich Heines französische Prosawerke, Berlin 1922, S. 16 ff. 124 war zugleich, speziell was die dem Werke beige gebene „Vorrede" betrifft, sein kraftigstes, kühnstes Wort. Und doch, eben um dieselbe Zeit, da er seine Anklageschrift gegen die Urheber der reaktionaren Bundesbeschlüsse 1) von 1832 in die Welt schleudert, schreibt Heine an Immermann 2): „Von der Politik stehe ich jetzt f er ne. Ich werde von den Demagogen gehaBt. Durch die Vorrede zu den „Zustanden" die Sie wohl nachstens sehen, habe ich nur zeigen wollen, daB ich kein bezahlter Schuft bin." Heines leidenschaftlichste politische Schrift veröffentlicht er in einer ' Zeit, wo er sich von der Politik ganz lossagt. Der scheinbare Widerspruch laBt sich aber erklaren, wenn wir bedenken, daB Heine in seiner „Vorrede" gegen zwei Fronten kampft, daB er sich also sowohl in der Offensive wie in der Defensive befindet, denn einerseits sind es die deutschen Reaktionare, gegen die sich seine Pfeile richten, andererseits gilt es, gerade dadurch die Lauterkeit des eignen politischen Charakters den Republikanern a la Börne gegenüber zu verteidigen. Durch die „Vorrede" wollte er beweisen, daB er kein bezahlter Schuft sei, denn der Spürsinn eines Metternich hatte besser die revolutionare Tendenz der Heineschen Korrespondenzen verstanden als Börne und Genossen dies vermocht hatten. Schon im Marz 1832 klagt Heine bei Cotta darüber, daB der Republikanismus der Tribünenleute ihm fata! sei und daB er schon die Zeit herannahen sehe, wo sie ihn als Verteidiger der Insdtudon des Königstums noch bitterer befehden würden als andere 3). Und an Varnhagen I schreibt er: er stehe jetzt auf Friedensfufi mit allem Bestehenden, I und wenn er auch noch nicht desarmiere, so geschehe es nur der Demagogen wegen, gegen welche er einen schweren Stand habe. Diese Leute hatten ihn, als er sich zu keinem Mitwahnsinn verstanden habe, durchaus zwingen wollen als Tribun abzudanken, wozu er aber gar keine Lust gehabt habe. Die Cholera in Paris habe ihn jedenfalls von der Furcht vor diesen überlastigen Gesellen befreit. *) VgL S. 86. 2) Paris, 19. Dezember, 1832, (Hirth, II 29). 3) Brief vom 1. Marz, 1832 (Hirth, II 19). 125 Mit Börne, der, ebenso wie er selber, trotz der Cholera in Paris gebheben sei, stehe er sehr schlecht, denn dieser habe einige jakobinische Ranke gegen ihn losgelassen, er betrachte ihn als einen Verrückten 1). Wir können nicht sagen, was für Ranke gemeint sind, wir wissen aber wohl, in welcher gehassigen Weise Heine wiederholt angegriffen wurde. So hat Börne in einem der „Briefe aus Paris"2) ihm eigentlich nichts mehr oder weniger als Mangel an Charakter, an fester, treuer Gesinnung, vorgeworfen, weil Heine es, nach Börnes Meinung, darauf abgesehen habe es weder mit den Fürsten und Aristokraten noch mit den Republikanern ganzlich zu verderben. Heine, so urteilt Börne, bewundert an der Wahrheit nur das Schone, aber die Wahrheit ist nicht immer schön, es dauert oft lange bis sie in Blüte kommt. Heine würde die deutsche Freiheit anbeten, wenn sie in voller Blüte stünde: da sie aber wegen des rauhen Winters mit Mist bedeckt ist, erkennt er sie nicht und verachtet sie. Der arme Heine hat zwei Rücken, er fürchtet die Schlage der Aristokraten und die Schlage der Demokraten, und um beiden auszuweichen muB er Zugleich vorwarts und rückwarts gehen. Er gefallt sich, den Jesuiten des Liberalismus zu spielen, eine eintraghche Rolle, die ein ehrhcher Mann nicht übernehmen darf, sondern die er anderen überlassen mufi. Heine findet seine Freude daran, seine Zahne zum Gefangnisgitter seiner Gedanken zu machen. Man bekommt bei der Lektüre dieses Briefes manchmal den Eindruck, daB Börne Heine nicht als „pohdsch reinen Herzens" betrachtet, mit andern Worten, daB er durchblicken laBt, Heine könne von Oesterreich bestochen sein 8). Trotz seiner starken Abneigung gegen Börne und dessen Getreue empfand Heine die wiederholten Angriffe auf seine Gesinnungs- *•) Brief an Varnhagen von Ense (Ankunfts-Poststempel: Hamburg, 22 Mai 1832, (Hirth, II 21). a) 109. Brief (Börnes Werke, ed. Klaar, VI 286; im 33. u. 62. Brief wurde sehr anerkennend über Heine gesprochen.) *) Eine weitere Anspielung auf Heines Bestechlichkeit findet sich im 15. Brief der „Briefe aus Paris" (Börnes Werke, ed. Klaar, VI 326 ff). 126 tüchtigkeit wohl als etwas sehr Peinhches1), so daB ihm alles daran lag sich in den Augen seiner liberalen und radikalen Landsleute zu rehabilitieren, zu zeigen, daB er „kein bezahlter Schuft" sei. Unter solchen Stimmungen war die „Vorrede" entstanden, in der aber zunachst durch Campe so viel gestrichen wurde, daB Heine sich heftig entrüstet an seinen Verleger wendet, weil er jetzt vor den Augen von ganz Deutschland als ein trübsehger Schmeichler des Königs von PreuBen erscheine. Die Vorrede sollte nun schnell als Broschüre herauskommen: „Eben weil es jetzt so schlecht geht mit der Sache des Liberalismus, muB jetzt alles getan werden. Ich weiB, daB ich mir Deutschland auf Lebenszeit versperre, wenn die Vorrede erscheint, aber sie soll ganz so erscheinen wie das Manuskript ist" 2). Trotz seiner Entrüstung über Campes eigenmachtiges Verfahren schlieBt er den Brief mit einer AuBerung, die deuthch zeigt, daB er innerlich der ganzen Sache schon überdrüssig ist und daB sein Geist schon wieder hinausstrebt in andere Provinzen als die der Politik. Es heiBt da namlich: „Ich kann gewiB nicht schlafen, ehe die Vorrede gedruckt ist. Es ware besser gewesen, es ware noch mehr davon unterdrückt worden. Wieviel Schererei um diese Bagatell, wofür ich nur Not und Verfolgung einernte: Ich habe in weniger Zeit, als mir die Vorrede kostete, fast ein halbes Buch geschrieben, namlich eine Geschichte der deutschen Literatur, seit dem Verfall der Schlegel." In einer Erklarung, die Heine am 11. Januar 1833 in die „Allgemeine Zeitung" einrücken lieB, hat er dagegen protestiert, daB in der „Vorrede" durch die vielen Streichungen alles, was er gesagt habe, nicht bloB entstellt, sondern auch mitunter ins Servile verkehrt worden sei3). Die Behauptung Strodtmanns 4), Campe hatte nun einen unverstümmelten Abdruck der Vorrede als Broschüre fertiggestellt, muB ») Wie sehr Heine sich verletzt fühlte, geht vielleicht am besten daraus hervor, daB er viele Jahre spater, in seinem „Ludwig Börne", den betreffenden Brief Börnes sehr ausführlich zitiert (Heines Werke, ed. Walzel VIII, 505 ff.). *) Brief an Julius Campe vom 28. Dez. 1832 (Hirth, II 29). ») Vgl. auch Brief an Cotta vom 1. Januar 1833 (Hirth II 31). <) Strodtmann, II 63 ff. 127 nach den Ausführungen Ludwig Geigers*) wohl als unrichdg betrachtet werden. Heine hatte übrigens schon Anweisung gegeben alle eventuell bereits abgedruckten (?) Exemplare wieder einzustampfen. Der Tribun hatte den Mut verloren, er fand es doch wohl zu bedenklich die Verantwortung für die Verbreitung der Broschüre in Deutschland zu übernehmen. Wenige Monate spater erschienen seine „Französischen Zustande" unter dem Titel „De la France" und, wie er an Laube schrieb2), „begleitet von der ganzen, unverstümmelten Vorrede. Diese ist jetzt auch bei Heideloff in deutscher Sprache erschienen." Heines Behauptung s), daB das gleichzeidge Erscheinen eines deutschen Sonderabdrucks, im Verlag von Heideloff und Campe, ohne sein Zutun, ja, sogar gegen seinen Willen geschehen sei, ist kaum glaublich 4). In dem Briefe, in dem er Varnhagen das Erscheinen der französischen Ausgabe mitteilt5), finden wir einen Satz, der zum Verstandnis der Entstehungsgeschichte der Vorrede nicht ohne Bedeutung ist. Er macht über letztere die Bemerkung: „Diese, das leidenschafdiche Produkt meines Unmuts über die bundestaglichen Beschlüsse, versperrt mir vielleicht auf immer die Rückkehr nach Deutschland; aber sie rettet mich vielleicht von dem Laternentod bei der nachsten Insurrekdon, indem jetzt meine holden Landsleute mich nicht mehr des Einverstandnisses mit PreuBen beschuldigen können. Schufte, wie Börne und Consorten, habe ich dadurch unschadlich gemacht, für mich wem'gstens^In dem Broschürendruck der Vorrede sollte ihr nach einem von Strodtmann benutzten Korrekturabzug noch eine „Vorrede" zur „Vorrede" vorangehen4). Die vielfach für die Demokraten gebrauchte Bezeichnung „französische Partei in Deutschland", so sagt Heine hier, ist nur eine Spekulation auf alles, *) Geiger, Das Junge Deutschland, S. 22. 2) Brief an Laube vom 10. Juli 1833 (Hirth, II 35 ff.) 3) Vgl. Brief an Laube vom 23. November 1835 (Hirth, II 89). ') Vgl. Heines Werke, ed. Bister, V 10. ») Brief an Varnhagen vom 16. Juli 1833 (Hirth, II 39 ff.). •) Heines Werke, ed. Walzel, VI 488. 128 was schlecht im deutschen Volke ist, auf NationalhaB und politischen Aberglauben. Man sollte die demokratische Partei lieber die himmlische Partei nennen, denn jene Erklarung der Menschenrechte stamme nicht aus Frankreich, wo sie freüich am glorreichsten proklamiert worden sei, nicht einmal aus Amerika, woher sie Lafayette 1 geholt habe, sondern sie stamme aus dem Himmel, dem ewigen Vaterland der Vernunft. Es verstimmt ihn aber, daB auch „von Seiten der himmlischen Partei" sein guter Leumund angegriffen worden sei, daB man ihn der antüiberalsten Tendenzen bezichtige und der Sache der Freiheit abtrünnig glaube. Es folgt dann die eigenthche Vorrede, die ohne Zweifel als eine Art politischen Glaubensbekenntnisses Heines betrachtet werden darf. Er verteidigt zunachst seine Mitarbeit an der „AllgemeinenZeitung", und zwar mit derselben Begründung, die er spater auch in der „Lutezia" gegeben hatx); die einfluBreiche Zeitung ist ihm eine wichtige Rednerbühne, denn „wenn wir es dahin bringen, daB die groBe Menge die Gegenwart versteht, so lassen die Völker sich nicht mehr von den Lohnschreibern der Aristokratie zu HaB und Krieg verhetzen, das groBe Völkerbündnis, die heilige Allianz der Nationen, kommt zu stande, wir brauchen aus wechselseitigem MiBtrauen keine stehenden Heere von vielen hunderttausend Mördern mehr zu füttern, wir benutzen zum Pflug ihre Schwerter und Rosse, und wir erlangen Friede und Wohlstand und Freiheit. Dieser Wirksamkeit bleibt mein Leben gewidmet: es ist mein Amt." Die Freunde haben ihn verkannt, ihn der Lauheit beschuldigt, er aber hat an ihrer Torheit nie teünehmen woüen, immer aber wird er an ihrem Unglück teünehmen. Er versichert sogar, daB er nie in die Heimat zurückkehren wird, „so lange noch ein einziger jener edlen Flüchdinge, die vor allzugroBer Begeisterung keiner Vernunft Gehör geben konnten, in der Fremde, im Elend, weüen muB." Das klingt gewiB ein wenig anders als in dem vorhin zitierten Brief an Varnhagen 2), in dem es heiBt daB er durch die Vorrede l) VgL S. 113. *) Vgl. S. 127. 129 „Schutte, wie Börne und Consorten" unschadlich gemacht habe. Heine beklagt das deutsche Vaterland, das die neue Schandtat der Bundestagbeschlüsse vom 28. Juni 1832, die also kurz nach dem Hambacher Fest erlassen wurden, zu ertragen hat. Nie ist ein Volk von seinen Machthabern so grausam verhöhnt worden. Derschhmmste Feind ist aber nicht Oesterreich sondern PreuBen: „Oesterreich war immer ein offner, ehrlicher Feind, der nie seinen Ankampf gegen den Liberalismus geleugnet oder auf eine kurze Zeit eingestellt hatte." Metternich hat nie mit der Göttin der Freiheit geliebaugelt, PreuBen ist ihm aber der lange, frömmelnde Gamaschenheld mit dem weiten Magen und mit dem groBen Maule und mit dem Korporalstock, den f er erst in Weihwasser taucht, ehe er damit zuschlagt. „PreuBen ist ihm' der „Tartüff unter den Staaten". Aber, „als Warschau fiel, fiel auch der weiche Mantel, worin sich PreuBen so schön zu drapieren gewuBt, und selbst der Blödsinnigste erbhckte die eiserne Rüstung des Despotismus, die darunter verborgen war. Wie feige, wie gemein, wie meuchlerisch hat PreuBen gegen die Polen, „diese edelsten Kinder des Unglücks" gehandelt. Dieses PreuBen versteht aber seine Leute für seine Staatskomödien zu gebrauchen; so muBte Hegel die Knecht f schaft, das Bestehende, als vernünftig rechtfertigen, und Schleier\ macher muBte gegen die Freiheit protestieren. Ein Gleiches gilt für Friedrich von Raumer und Ranke. Er kommt dann auf die Bundestagsbeschlüsse zu sprechen und erhebt seine Anklage gegen die Verfertiger der Wiener Bundesakte. Er protestiert gegen alle Forderungen, welche die Bundestagsbeschlüsse vom 28. Juni 1832 aus dieser Bundesakte geschöpft haben Friedrich Wilhelm, der seinem Volke eine Verfassung versprochen hatte, hat jetzt jene anderen Fürsten, die sich verpfhchtet gehalten, ihren Untertanen eine freie Verfassung zu erteilen, ebenfalls zum Wortbruch zu verleiten gewuBt. Das deutsche Volk ist der groBe Narr, seine buntscheckige Jacke besteht aus sechsunddreifiig Flicken. Zum SchluB droht Heine mit dem Zorn des „groBen Narren, wenn der Tag kommen wird, an dem ihm all die Lasten zu schwer werden x) Siehe auch S. 4. 9 130 und er Eure Soldaten von sich abschüttelt und Euch selber, aus UeberspaB, mit dem kleinen Finger den Kopf eindrückt, so daB Euer Hirn bis an die Sterne spritzt",. Eine Sprache von so hinreiBender Wucht und Gewalt, wie Heine sie zum Angriff auf PreuBen und die Hohenzollern hören lieB, war bis dahin unbekannt in der pohtischen Literatur der Deutschen. Friedrich Wilhelm selbst fragte in einer Kabinettsorder vom 29. Januar 1833 an, „was wegen der zu Hamburg gedruckten, höchst verwerflichen beiden Bücher ,Französische Zustande' von Heine und ,Mitteilungen aus dem Gebiete der Lander-und Völkerkunde' von Börne" verfügt worden seix). Jetzt kam Heines Name auf die Liste der proskibierten Landesfeinde. Die reaktionaren MaBregeln gegen die hberalen Tendenzen in der Literatur nahmen von Tag zu Tag zu. Eigenthch war also der Stein langst im Rollen, als durch Menzels Denunzierung am 10. Dezember 1835 das vorbin ausführlich besprochene 2) Edikt gegen das „Junge Deutschland" erschien, als dessen spiritus rector Heine genannt wurde. Es ist also höchst merkwürdig, daB Heine noch am 7. April 1835 an Julius Campe schrieb: „Ich bin überhaupt keineswegs als Demagoge verrufen, habe den Regierungen Beweise meiner MaBigung gegeben" *). Um dieielbe Zeit berichtet er an Laube: „Soviel ich weiB, kann keine Regierung mir etwas anhaben; die famose Vorrede, die ich bei Campe, als sie schon gedruckt war, zu vernichten gewuBt, ist spater nur durch den preuBischen Spion Klaproth in die Welt gekommen, das wuBte die Gesandtschaft, so daB mir auch nicht einmal ein PreBvergehen stark aufgebürdet werden kann"4). Wir haben bereits darauf hingewiesen, daB diese Klaproth-Geschichte wohl nicht mehr als eine Erfindung ist und daB Heine höchst wahrscheinlich die Hand im Spiele gehabt hat5). *) Mitgeteilt von Hermann Wendel, H. Heine, Dresden, 1916, S. 168. 2) Siehe S. 127. ») Hirth, II 65. 4) Brief vom 23. November, 1835 O^rth» H 89). *) Nach einer gerichtlichen Aussage Paul Gaugers, Kommis bei der Pariser Buchhandlung Heideloff u. Campe, ging die Flugschrift von Heine selbst aus (vgl. weiter Houben, Gesprache mit Heine, Nr. 261 und Geiger, Das Junge Deutschland, S. 36 ff.) 131 Als Heine im Unsichern darüber ist, ob sein Name wirklich auf der Proskriptionsliste steht, glaubt er, man verlange nur „Demarchen von seiner Seite um ihn davon zu lösen": er habe seit vier Jahren nichts gegen die Regierungen geschrieben und habe sich, wie es notorisch 1 sei, von dem Jakobinismus geschieden1). Als es ihm endhch doch deutlich wird, daB trotz seiner Bemühungen „den Regierungen Beweise seiner MaBigung zu geben" und trotzdem er, wie er selber mit Genugtuung bemerkt, mit den Diplomaten in Paris sehr gut steht2), seine Werke verboten werden, richtet er sein Schreiben an die Hohe Bundesversammlung3). Sobald ihm das freie Wort gelassen wird, hofft er zu beweisen, daB seine Schriften aus einer wahrhaft rehgiösen und moralischen Synthese hervorgegangen sind, einer Synthese, welcher nicht bloB die neue literarische Schule, benamset Das Junge Deutschland, sondern 1 die gefeiertsten deutschen Schriftsteller seit langer Zeit gehuldigt haben. Heine schmeichelte sich mit dem Gedanken, sein „kindhch siruphch submisser Brief" an die Herren der Bundesversammlung werde eine gute Wirkung hervorbringen. Treitschke hat behauptet, daB Heine auch vor Metternich zu Kreuze gekrochen sei *). Aus dem Bericht Maltzans vom 1. Juli 1836 zitiert Geiger5) wörtlich: „Monsieur le prince de Metternich me cita encore avec prière de lui garder le secret, un exemple fort curieux et venant a 1'appui de ma trés respectueuse observadon, c'est que Son Altesse a recu une lettre du fameux Heine renfermant la soumission la plus compléte de ce détestable écrivain. Le Sieur Heine supphe le Prince d'être généreux tel que cela convient au vainqueur, car, ajoute-t-il, le système pohdque que défend 1'Autriche triomphe de le recevoir et de le tirer ainsi de la misère. Cette misère semble x) Brief an Julius Campe vom 12. Januar 1836 (Hirth, II 93). •) Brief an Laube vom 23. November 1835 (Hirth, II 89). 3) Hirth, II 376; vgl. auch Grillparzer über seinen Besuch bei Heine in dieser Zeit, (Bieber, Heine-Gesprache, Berlin, 1926, S. 159). *) Treitschke, Deutsche Geschichte, Leipzig, 1889, IV 440. ') Geiger, Das Junge Deutschland, S. 195. 132 être le fruit bienfaisant des sages résoludons fédérales prises a Francfort contre la Httérature de la soi-disante jeune-Allemagne de manière que les gouvernements germaniques n'ont qu'a se louer d'avoir appliqué au mal des mesures répressives aussi efficaces." Endlich übersah Heine die Sachlage: „Ich bin krank von Gram. Ich sehe ein, daB auch die Partei der GemaBigten eine geschlagene . ist. Ich werde jetzt. .. ich weiB wahrhaftig noch nicht, was ich thun werde" Im dritten Bande des „Salons" geht er, ebenso wie Börne es getan hatte, mit dem Denunzianten Menzel ins Gericht und zwar ganz erbarmungslos und in mancher Hinsicht unfein, aber jedenfalls ist ihm auf dem Gebiete der deutschen Journalistik in den ersten Jahren jede Möglichkeit zur Betatigung genommen. Im Jahre 1838 plant er die Herausgabe einer in Paris erscheinenden deutschen Zeitung, und er erklart sich deshalb bei Varnhagen van Ense 2), der ihm die Genehmigung der preuBischen Regierung erwirken soll, sogar gegen die konsti- l tutionelle Regierungsform und lobt PreuBens Verdienste um die Rheinlande. Aber die preuBische Regierung war nicht geneigt mit I dem Verfasser der berüchtigten Vorrede zu pakderen. So auf allen Seiten gehemmt wendet Heine sich, wie wir dies auch bei Börne gesehen haben, in der nun einsetzenden zweiten Periode seines journalistischen Sehaffens, immer mehr der Aufgabe zu, in I Frankreich Verstandnis zu wecken für deutsche Art und Kunst. Der politische Publizist wird zum Kulturvermittler; ebenso wie Börne will er mitarbeiten an der geistigen Annaherung der beiden groBen Kulturvölker des Westens, indem er jetzt versucht die Franzosen über Wesen und Werden der deutschen Bildung aufzuklaren. Alexandre Victor Bohain hatte Heine zur Mitarbeit an dem groBartig angelegten „Europe littéraire" aufgefordert, in dessen Programm zu lesen war: „La politique est complètement exclue de ce journal"3). l) Brief an Julius Campe vom 22. Marz 1836 (Hirth, II 106). *) Brief vom 13. Februar 1838 (Hirth, II 207 ff.). ') Vgl. darüber: Börne an Jeanette Wohl: 16. Marz 1833 (Houben, Gesprache mit Heine, Nr. 262) und Börne im 93. und im 115. Brief der Briefe aus Paris (Börnes Werke, ed. Klaar, VI 191 ff. und 326 ff.). 133 Am 1. Marz 1833 erschien Heines erster Artikel „De 1'Allemagne depuis Mme de Staël". Heine sprach hier, im Gegensatz zu Börnes Artikeln im „Réformateur" und in der „Balance", wirklich direkt zum französischen Publikum. Es folgten dann mehrere Artikel in der „Revue des deux Mondes"1). War bereits Heines „De fa France" 1833 bei Eugène Renduel, dem angesehensten Verleger der französischen Romantik, erschienen *), so kam nun dort im Jahre 1835 sein zweibandiges Werk „De 1'Allemagne" heraus, das dem erfolgreichsten ^ Schüler Saint-Simons, Prosper Enfantin, gewidmet war. Was Börne, wie wir gesehen haben, bis an seinen Tod in so tragischerfolgloser Weise versucht hat: deutsche Kultur und deutsches Wesen den Franzosen naher zu bringen, es ist Heine gelungen, er fand Anerkennung. Die bedeutendsten Redaktionen und Verleger bemühten sich um seine Werke: Heine wurde gelesen, Börne nicht. Aber wie dem auch sei, die Sache der Völkerverstandigung war ihm trotz <^ all seiner Schwankungen und Entgleisungen eine heilige Sache, und man darf sagen, daB, ganz abgesehen von den erzielten Erfolgen, Börne und Heine, ein jeder für sein Teil, redhch daran mitgearbeitet haben. Das schone Wort, das Cormenin einmal auf Börne münzte 3), erfaBt auch den Inhalt von Heines historischer Aufgabe: „II aimait la France comme sa seconde patrie: il 1'aimait dans 1'intérêt de rAllemagne". # * # „Der tote Börne war machtiger als der lebende", so schrieben wir am SchluB unserer Uebersicht über Börnes pohtisch-hterarische Tatigkeit. DaB es so gekommen ist, daB für Börne drei Jahre nach seinem Tode die Zeit seines höchsten Ruhmes kam, ist eine unmittelbare Folge der Veröffendichung von Heines Buch gegen den einstigen Schicksals- und Kampfesgenossen. Ein Charakter wie Heine muBte dieses Buch schreiben. Ein typisch romantischer Charakter, bei dem >) Fflr die Bibliographie der in französischen Revuen erschienenen Werke Heines, vgl. Louis P. Betz, Heine in Frankreich, Zürich, 1895, S. 453 ff. 2) Alfr. Schellenberg, H. Heines französische Prosawerke, Berlin, 1921 S. 16 ff. 3) Vgl. Ras, Börne als Vermittler, etc (Neophilologus, III 280). 134 / das sich selbst anbetende Ich im Mittelpunkt der Persönhchkeit steht, muBte alles tödlich hassen, wodurch sein Ich verletzt wurde. Und Jahre hindurch hat seine fast pathologisch sensidve Natur gelitten unter den Angriffen und Verdachtigungen Börnes und Konsorten. Nicht ohne Grund hat er gelitten, warum durfte, warum muBte Heine sich so tödhch verletzt fühlen durch diese liberalen Angriffe? Es handelte sich doch im wesentlichen immer und immer wieder darum, daB die Lauterkeit seiner Gesinnungen, daB sein politischer Charakter angezweifelt wurde, daB er als Apostat der Demokrade dastand. Heines Buch über Börne ist mehr als ein Racheakt, es ist die Apologie eines Dichter-Politikers, der da wuBte, daB er das groBe „Losungswort der Zukunft" kannte, das „die Schacher der Gegenwart" nicht verstanden, daB er Partei ergriffen hatte „im Befreiungskriege der j Menschheit", weitsichtiger und eben dadurch revolutionarer als : es der enge Parteigeist dieser Liberalen zu ahnen vermochte. Die Stunde hatte geschlagen, in der Heine das unabweisbare Bedürfnis empfand zu einer groBen Auseinandersetzung mit den Liberalen seiner Zeit zu kommen, die in Börne ihr verehrtes Vorbild erbhckten. So erscheint Börne vor allem als Typus sozialpolitischen Kampfertums. DaB Heine bei seiner Typisierung dem verstorbenen Gegner gegenüber so rücksichtslos vorgegangen ist, daB er sich sogar nicht gescheut hat in ganz unwürdiger Weise das intime Leben Börnes in seine Darstellung hineinzubeziehen, andert nichts an der Tatsache, daB dieses Buch die Gegensatzlichkeit zwischen der Börneschen und , Heinischen Gedankenwelt, ihre grundverschiedene Einstellung in | Fragen der Weltanschauung so heil beleuchtet, wie dies zuvor noch nie geschehen war. Heine wollte keine Biographie Börnes geben, sondern „nur die Schilderung persönlicher Berührungen in Sturm und Not, und eigenthch ein Bild dieser Sturm und Notzeit" J). So berichtet er uns denn über seinen ersten Besuch bei Börne in Frankfurt 1827, über den >) Brief an Campe vom 12. April 1839 (Hirth, II 289). 135 wir bereits im ersten Kapitel gesprochen haben1). Hatten wir dort Gelegenheit zu zeigen, wie verschieden die beiden damals schon f als „LiberalenhSupdinge" anerkannten Freunde über Napoleon urteilten, so weist Heine in seinem Buch darauf bin, daB auch in bezug auf die Bewertung Goethes ein sehr wesenthcher Unterschied an den Tag getreten war. Börnes Urteü über Goethe ist uns bereits bekannt2); wir sahen, daB es ganz von seinem politischen Rigorismus beherrscht wurde. Auch Heine bestatigt, daB Börnes Groll gegen Goethe nicht bestimmt wurde durch kleinliche Scheelsucht des Ghetto-Juden gegen den Patrizïersohn aus der gemeinschaftlichen Vaterstadt. Nach seiner Meinung ist der HaB Börnes gegen Goethe „nur die notwendige Folge einer tiefen, in der Natur beider Manner begründeten Differenz" 8). Es ist der Konflikt, der sich in der ganzen Geschichte des Menschengeschlechts bemerkbar macht, der Gegensatz 1 zwischen dem judaischen Spiritualismus und der hellenischen Lebensj herrlichkeit, der auch hier in die Erscheinung tritt: „der kleine Nazarener haBte den groBen Griechen, der noch dazu ein griechischer Gott war" *). Börne hat aber nicht nur in seiner Beurteüung Goethes, sondern auch in der anderer Schriftsteüer „seine nazarenische Beschranktheit verraten"8). Heine unterscheidet nicht zwischen „Juden" und „Christen", welche Worte ihm sinnverwandt sind im Vergleich zu der Scheidung der Menschen in „Nazarener" und „Hellenen". Alle Menschen sind ihm „Juden oder Hellenen, Menschen mit ascetischen, büdfeindhchen vergeistigungssüchtigen Trieben oder Menschen von lebensheiterem, entfaltungsstolzem und realistischem Wesen" •). Börne hatte ganz das nazarenische NaturèTJTund Heine erklart, daB sowohl Börnes Antipathie gegen Goethe wie seine „pohtische Exaltation" in jenem Ascetismus begründet sei, jenem Durst nach ») VgL S. 37. *) Vgl. S. 76. ») Heines Werke, ed. Walzel, VIII 359. *) Ebenda, VIII 359. *) „ VIII 360. •) „ VIII 360. 136 Martyrtum, der sich von der Passionssucht der frühern Christen so wenig unterscheide. Börnes Schwarmerei für den sozialen Katholizismus Lamennais'x) wird gleichfalls aus seinem Nazarenertum erklart: „ist doch der Katholizismus die schauerhch reizendste Blüte jener Doktrin der Verzweiflung" *). Als ein Hauptmerkmal von Börnes Charakter erscheint ihm die Eifersucht. Im Leben wie in der Politik habe er alles „durch die gelbe Lupe des MiBtrauens" betrachtet3). Heine laBt Börne Gerechtigkeit widerfahren, wenn er sagt: „Börne war Patriot vom Wirbel bis zur Zehe, und das Vaterland war seine ganze Liebe", trotzdem aber war wohl manchmal ein geheimer Neid im Spiele, wenn Börne glaubte den guten Leumund eines Andersgesinnten im Interesse der Republik ruinieren zu dürfen, und, wo es sich um die Anfeindungen Heines handelte, waren diese wohl nichts anders als der Ausflufi des kleinlichen Neides, „den der kleine Tambour-Maïtre gegen den groBen Tambour-Major empfindet": er beneidete mich ob des groBen Federbusches, der so keek in die Lüfte hineinjauchzt, ob meiner reichgestickten Uniform, woran mehr Silber, als er, der kleine Tambour-Maltre, mit seinem ganzen Vermogen bezahlen konnte, ob der Geschicklichkeit, womit ich den groBen Stock balanciere, ob der Liebesblicke, die mir die jungen Dirnen zuwerfen, und die ich vielleicht mit etwas Koketterie erwiedre!" 4). Solche AuBerungen über den Charakter eines verstorbenen Gegners müssen wohl immer einen unangenehmen Eindruck hervorbringen, die Frage aber, ob diese Charakteristik nicht im wesenthchen als richtig und zutreffend bezeichnet werden muB, wird dadurch keineswegs berührt. In vollkommenem Widerspruch mit einer früher von uns zitierten *) AuBerung in einem Brief an Varnhagen vom 18. November 1827 erklart Heine jetzt: „Schon damals in Frankfurt harmonierten wir *) VgL s. 89. ») Heines Werke, ed. Walzel, VIII 478. *) Ebenda, VIII 363, vgl. auch S. 415. ') „ , VIII 457. «) Vgl. S. 37. 137 nur im Gebiete der Politik, keineswegs in den Gebieten der Philosophie oder Kunst, oder der Natur, die ihm samtlich verschlossen waren. Wir waren überhaupt von entgegengesetztem Wesen. ♦.."x). Ihr weiteres Leben und Streben in Paris vergleicht er mit der Fahrt zweier Schiffer, die hinaussegeln auf hohe See. Börnes Schiff sei, wahrend der furchtbare Sturm wütete und er am Steuer seines Schiff es stand, zu Grunde gegangen: „Ich sah, wie er die Hand nach mir ausstreckte... Ich durfte sie nicht erfassen, ich durfte die kostbare Ladung, die heiligen Schatze, die mir vertraut, nicht dem sicheren Verderben preisgeben...... Ich trug an Bord meines Schiffes die Götter der Zukunft" 2). * * * Ein Sturm der Entrüstung erhob sich. Gutzkow beschuldigte Heine schon gleich durch den Titel: „Heinrich Heine über Ludwig Börne", verraten zu haben, daB das Buch der Selbstüberhebung gewidmet sei. Es konnte aber gerade Gutzkow bei seinem persönlichen Verkehr mit Campe nicht unbekannt sein, daB dieser Titel von Campe herrührte, und daB Heine sehr ungehalten darüber war. Gutzkow steilte nun Börne als den naiven Freund dar, der sich mehr als billig gehen heB und dessen Vertrauen von Heine jetzt auf das Schnödeste miBbraucht worden seis). In den spatern Auf lagen seiner BörneBiographie hat er diese Behauptung noch aufrecht erhalten, nachdem sie durch die von Madame StrauB Wohl mitgeteilten ungedruckten Stellen aus den Pariser Briefen*) langst gründlich widerlegt war. Börne ist, sagt Gutzkow, nach Heine ein Sans-culotte, er dagegen ein philosophisch-gemütlicher Beobachter des Laufes der Begebenheiten. Die zahme royalistische Widerrufspohtik Heines hat er mit Vergnügen gelesen, „denn sie laBt hoffen, daB man die Polizei-Aktuarstelle, welche Börne früher in Frankfurt bekleidete, vielleicht ihm übertragt und ihm dadurch Gelegenheit verschafft, sich im Vaterlande ») Heines Werke, ed. Walzel, VIII 380. a) Ebenda, VIII 82. *) Vgl. Vorrede zur 1. Ausgabe von Gutzkows ,Börnes Leben', S. 215. s) Ludwig Börnes Urteil über H. Heine. Ungedruckte Stellen aus den Pariser Briefen. Als Anhang: Stimmen über H. Heines letztes Buch aus Zeitblattern, Frankfurt a. M., 1840. 138 von dem geringen Gewicht, das man noch auf seine Worte legt, zu überzeugen" 1). Es sei nicht zu leugnen, daB Börne sich geirrt habe, als er in den Tagen nach der Julirevolution einen gewaltsamen Umschwung erwartete: „allein, was ist edler, wahrer und redlicher, diese Ansichten auch innerhalb seiner vier Wande verteidigen, oder sie, wie es bei Heine der Fall war, nur zur interessanteren Draperie seines Stiles zu benutzen und nach einigen Jahren in Hoffnung auf die Frankfurter Polizei-Aktuarstelle2) als nie dagewesen leugnen?" Gutzkow tut Heine hier bewuBt Unrecht, denn dadurch daB er die angebhchen Tagbuchblatter, welche „die Enthousiasmusperiode von 1830" *) schildern, in sein Buch einschaltete, hat Heine zur Genüge bewiesen, daB er die eigne Vergangenheit keineswegs verleugnete. Wie dem auch sei, als Gutzkow schrieb: „Börne griff seine Feinde an; Heine nur die Gattinnen und Freundinnen seiner Feinde, Börne stritt, als er noch lebte, gegen Heine; Heine wartete und antwortete dann erst, als Börne gestorben war" 4), fand dieses Verdammungsurteil allgemeine Zusdmmung. Man klammerte sich an eine im Kampfe begangene grobe Ungehörigkeit Heines (die skandalösen Bemerkungen über Frau Wohl), um das ganze Buch in Bausch und Bogen zu verdammen. „Ich glaübe, mein ,Börne' wird als das beste Werk, das ich geschrieben, anerkannt werden," hatte Heine an Campe geschrieben 5). Es sollte anders kommen. Das schönste seiner Prosabücher war gewissermaBen der AnlaB, daB das ganze „Junge Deutschland", mit I Ausnahme von Laube, sich von ihm lossagte. In einem Artikel über: „Heine, Börne und das sogenannte Junge Deutschland"6) schreibt Th. Mundt: „Und wahrend Börne da oben auf seiner Kirchhofshöhe von reinen Lüften umfachelt ist, *) Gutzkow, Börnes Leben, S. 215. 2) Gutzkow fügte 1875 hinzu: „Nach spatrer Kunde: Auf die Pension Louis Phüippe's." 3) Hirth, II 307. 4) Gutzkow, Börnes Leben, S. 219. *) Brief vom 18. Februar (Hirth, II 307). •) „Der Freihafen", 1840, IV, S. 185. 139 wahrend er gesund geworden als Toter, schreibt Heine dort unten, . in den kranken Nebeln, die seine Brust beengen, ein krankes Buch, das bald bleich ist vor Mifigunst und HaB, bald fieberrot vor Eigensucht. Der Kranke kampft hier mit einem Toten, und zwar auf Leben und Tod. Ist es ein Wunder, wenn sich der Kranke dabei den Tod holt, und der Tote neu lebendig wird?" In einer Anzeige von Gutzkows Börnebiographie in den „Hallischen Jahrbüchern" x) bemerkt der Rezensent A.S(thar) im Eingang seiner ausführhchen Abhandlung, daB „die Deutschen zu allen Dingen Zeit brauchten, auch um gerecht zu sein. Wer das nicht aus dem deutschen Rechtsgang wüBte, könnte es an Börne und Heine lernen. Heine, der gefeierte, vergötterte, der Abgott des genialen Geschlechts, Heine der blasse ,Tambourmajor mit dem groBen keek in die Lüfte hineinjauchzenden Federbusch und der reichen silbergestickten Uniform', der ,den groBen Stock' der pikanten Poesie ,mit solcher Geschickhchkeit balancierte', wenn er in die Tore der groBen und kleinen Stadte Deutschlands einzog, daB ihm ,die Liebesbhcke aller jungen Dirnen zuflogen' — „derselbe Heine", so fahrt der Rezensent fort, „hat jetzt bei lebendigem Leibe einen vollstandigen Unsterbhchkeitsbankerott gemacht, wahrend Börne'n, dem noch vor kaum fünf Jahren geschmahten, miBhandelten, von Freund und Feind verleugneten, mit jedem Jahresfrühling, der sein einsames Grab in der Fremde neu begrünt, auch neue Blüten der Anerkennung und Liebe in den Kranz geflochten werden, der sein ernstes Bild umschlingt." Der Rezensent charakterisiert dann Gutzkows Buch über Börne als „die entscbiedenste Protestation, den ewigen Absagebrief der jungen Literatur gegen die geniale Gesinnungslosigkeit des übermütigen Subjekts." Welch ein Umschwung in der vergleichenden Beurteüung Börnes und Heines im Laufe eines Jahrzehnts! Wir hatten wiederholt Gelegenheit zu schüdern, wie die Generation von 1830 den beiden Kampfern unterschiedslos zujubelte, weü sie deren Werk gleichsam als aus einem Geiste geboren betrachtete. Die Gene- i) „Halhsche Jahrbücher", herausgeg. von Arnold Ruge und Theodor Echtermeyer, Nr. 203. vom 18. Dezember 1840. 140 ration von 1840 sieht vor allem das Trennende, das Gegensatzliche. Sie sieht aber nicht nur, sie urteilt und verurteilt. Diese Jugend, die mit Herwegh vor allem kampfen wollte „auf der Zinne der Partei ", sie hat entschieden Partei ergriffen zu Gunsten Börnes. Nach Börnes Vorbild wird Heine auch von dem neuen Geschlecht nicht als Charakter, sondern nur als Talent akzeptiert. Für dieses neue Geschlecht ist Börne das leuchtende Vorbild, bei ihm fand man die Gesinnung, die man bei Heine vermifite. Er besaB jene defe Ehrlichkeit der Ueberzeugung, jene köstlich-einseitige Hingabe an die eine groBe Sache der politischen Befreiung, nach der die Jugend von 1840 verlangte, wahrend das „Junge Deutschland" als zu belletristisch empfunden wurde. Die politischen Lyriker, die Sturmvögel der Revoludon von 1848, waren seine Geisteskinder, sie sind Fleisch von seinem Fleisch, denn auch er hatte vor allem die Darstellung der Leiden und Forderungen seiner Zeit zu seinem heiligen Beruf gemacht. Georg Herwegh befindet sich ganz in Börnes Bann1), Karl Beek und Dingelstedt blickten andachtig zu ihm auf2). AlsMoritz Hartmann nach Paris kommt, gehort sein erster Gang dem Grabmal Börnes3). Friedrich Engels, der groBe Freund und Mitarbeiter von Karl Marx, widmet ihm eines seiner ersten Gedichte. „Die Eiche Börne's ist's, an deren Aesten Ich aufgeklommen, wenn im Tal die Dranger Um Deutschland enger ihre Ketten preBten" 4). Börne ist ihm vor allem „der Mann der politischen Praxis". Wie sehr Ferdinand Lassalle Börne bewundert, erzahlt uns das Jugendtagebuch 6). *) Vgl. Karl Hensold, Georg Herwegh und seine deutschen Vorbilder, Nürnberg, 1916, S. 25 ff. *) Gustav Mayer, Friedrich Engels in seiner Frfihzeit, Berlin, 1920, I 44. ') Otto Wittner, Moritz Hartmann (Ges. Werke, Prag, 1906, I 158). 4) Gustav Mayer, Friedrich Engels in seiner Frühzeit, I 45, 50. *) Für den EinfluB Börnes und Heines auf die Generation von 1840 vgl. weiter: Chr. Petzet, Die Blütezeit der deutschen politischen Lyrik von 1840 bis 1850, München 1901, S. 142; Quack, De Socialisten, A'dam, 1911, V 200; viel bedeutender: Gustav Mayer: „Die Anfange des politischen Radikalismus im vormarzlichen PreuBen" (Zeitschrift für Politik, Bd. VI, S. 9). 141 Es sind vor allem die politischen Lyriker aus den Jahren 1840—1848, welche das Andenken Börnes zum Symbol erhoben haben. Hatte diese einseitige Verherrhchung Börnes auch einen defern Grund, vermochte man damals Heine als Politiker gerecht Zu werden? Wir, die auf einer höhern Warte stehen, weil uns die Zeit die historische Perspektive geschenkt hat, wir erst werden jetzt diese Fragen beantworten können, wenn es uns gehngt zusammenfassend Verwandtes und Gegensatzlich.es in der pohtisch-hterarischen Tatigkeit Börnes und Heines zu bestimmen. VI. BÖRNE UND HEINE ALS POLITISCHE CHARAKTERE „Börne ist ein Charakter, Heine ein Chamaleon", so urteilte bereits im Jahre 1836 ein Zeitgenosse x) über die beiden groBen Publizisten des Vor mar z. Wir haben gesehen, daB die Generadon von 1840 jedenfalls nicht gunstiger über Heine urteilte, daB sogar die besten Vertreter dieser Gesinnung heischenden Jugend sich ganzlich von dem Dichter lossagten, nicht nur, weil er manchmal nicht abgeneigt schien mit PreuBen und Oesterreich zu pakderen, sondern auch, weil er sich nicht gescheut hatte das Andenken Börnes, jenes „Johannes Baptista der neuen Zeit" 2) zu schanden. So drangen sich auch uns jetzt verschiedene Fragen auf: Wie urteilen wir über Börne und Heine als politische Charaktere? Hatte der Zeitgenosse recht, der Börne als den charaktervollen Kampfer feierte, wahrend er Heine brandmarkte als das „Chamaleon" des damaligen politischen Lebens? Hatte man es tatsachlich mit zwei Kontrastfiguren zu tun, war also die Wertschatzung der Generadon von 1830, die in Börne und Heine Dioskuren, Kampf- und Waffenbrüder sah, grundfalsch? Und, sollte es sich heraus stellen, daB weder die Generadon von 1830, welche die beiden als eine Einheit betrachtete, noch die Generadon von 1840, die in ihnen nur Kontrastfiguren erbhckt, recht gehabt hat, wie laBt es sich dann erklaren, daB innerhalb einer so kurzen Spanne Zeit über zwei öffentliche Charaktere Urteile gefallt werden, die einander so schroff widersprechen ? Das sind alles Fragen, die erst dann zu beantworten sind, wenn es uns gelingt, auf Grund unserer Ausführungen über die politisch- l) Gotthart Oswald Marbach, Über moderne Literatur, Leipzig, 1836, S. 233. *) Gustav Mayer, Friedrich Engels in seiner Frühzeit, I 45. 143 literarische Tatigkeit Börnes und Heines das Bild der politischen Entwicklung eines jeden von ihnen zu zeichnen, eine Parallele zu ziehen, und Verwandtes und Gegensatzliches aufzuzeigen. # * * Börne ist ein Charakter, so urteilte Freund und Feind, so urteilte Mit- und Nachwelt. Sein Leben stand in vollstem Sinne des Wortes im Dienste der groBen Sache der Freiheit, wie er diese nun einmal verstand. Als Motto seiner letzten Schrift, wahlte er die Worte Bernardins de Saint-Pierre: Qui ne se subordonne pas a la patrie, sa patrie au genre humain, et le genre humain a Dieu, n'a pas plus connu les lois de la pohtique, que celui qui, se faisant une physique pour lui seul, et séparant ses relations personelles d'avec les éléments, la terre et le soleil, n'aurait connu les lois de la nature". Es sind Worte, die Börne als Lebensdevise führen durfte: er hat danach gelebt. Auch Kritiker, die ihm sonst ablehnend gegenüberstanden, sehen in ihm den charakterfesten Kampfer ohne Rast und Ruh. „Börnes Feder ist in das Blut seines Herzens getaucht, Börne ist von Grund der Seele ein edler, redhcher Mensch; er ist kein Komödiant, der sich den Dolch in die Brust stöBt, weil er weiB, daB die Klinge desselben in den Griff zurückfahrt", so urteilt Marbach x), der sonst gern über den „Börneschen Wahnsinn" spricht, und selbst Heine steilte ihm nach vielen Jahren das Zeugnis aus, er sei ein Ehrenmann gewesen, ehrhch und überzeugt2). Konnte Heine dereinst von sich selber sagen: „Ich falie unbesiegt, und meine Waffen sind nicht gebrochen", so hatte auch Börne, rückschauend auf sein Leben, mit Stolz auf die Waffen zeigen dürfen, die er dank seines ungebrochenen, geradsinnigen Charakters so würdig und wirkungsvoll zu führen wuBte. Zusammenfassend dürfen wir sagen, daB der Glaube an die herzhche Aufrichtigkeit Börnes, an seine opferfreudige Hingabe, an sein Ideal, von niemand angezweifelt wurde. „An Kraft des Charakters überragte er bei weitem die meisten Menschen seiner Zeit", schrieb ») Marbach, Über moderne Literatur, S. 137 u. 140. X *) Alfred MeiBner, Heinrich Heine, Erinnerungen, Amsterdam, 1856, S. 59. 144 Eduard Kolloff, der ihn aus nachster Nahe beobachtet hatte, im Jahre 1839 *), und was Kolloff hier niederschrieb, haben die Zeitgenossen wohl allgemein intuitiv gefühlt. Diese Charakterfestigkeit ist eine der wichtigsten Ursachen, wodurch Börnes Wort in seiner Zeit einen so machtigen Eindruck machte. Ebenso wie die Gestalt Schillers deshalb immer wieder so sympathisch imponiert, weil bei ihm die Einheit zwischen Kunst und Leben, Wort und Tat, vollendet durchgeführt ist, so wirkte auch auf die Zeitgenossen Börnes resdose Hingabe an die Ideale, die er predigte, so bezaubernd, da/3 man darüber vielfach den absolut c negativen Charakter seiner Predigt übersah. k „So bin ich und das denk' ich und das will ich", das ist, wir sind darin ganz mit Marggraff2) einverstanden, das Motto, das für jeden der von Börne geschriebenen Aufsatze gilt, aber dieses Wollen lauft immer nur auf etwas Negatives binaus: die Zerstörung des Metternichschen Systems. Bei diesem Denken vermissen wir nur zu sehr ' eine geschlossene Weltanschauung, eine bewuBte theoretische Begründung seiner politischen Praxis. Börnes ganze pohtisch-hterarische Tatigkeit ist das Lebenswerk eines Moralisten, den machtiges Gerechtigkeitsgefühl in die politische Arena getrieben hat. „Humamtat, echte Philanthropie, Friede, Liebe und Glückseligkeit, dafür schwarmte Börne", sagt [Gutzkow3). Unter dem Gesichtspunkt der Moral beurteilt er die f Ereignisse in Welt und Leben, die Erscheinungen auf dem Gebiete I von Kunst und Literatur. So laBt es sich auch erklaren, daB er nicht 'versucht das, was er haBt, was ihn argert und entrüstet, zu verstehen, Zu deuten und wenn möghch historisch zu erfassen. Er ist bitter und verdrossen, er poltert, er hafit aus Liebe, denn die Menschen sind unvernünftig, er will sie „aufklaren und glückhch machen" 4). • *) Ed. Kolloff, Börne in Paris, (Gutzkows Jahrbuch der Literatur, Hamburg, 1839, S. 159). 2) H. Marggraff, Deutschlands jüngste Literatur- und Kulturepoche, Leipzig, 1839, S. 217. *) Gutzkow, Börnes Leben, S. 356. «) Ebenda, S. 377. S5ei Xjoffmamt unb Gampe ifl erfctfeiten: £)£ttt(t({) i£)Citt£ ^cine, SWfeMftet. 4 SErjeiïe. 1 Jftl — ®8«- , — — Sudj bet Cieber. 1 13 » — — tomontiWe ©rfiute. 2 „ — >> — — ftanj6(ïfdjc 3ufUnbe. 2 „ — „ fibtï _ (Salon. 3 Sfeiïe. 5 „ — „ — Uebet ben Denunjianten. — », 8 » _ — Uebe» ben Jfbel. — » 20 „ SBortte, gefammelte Schriften. S Kjeile. 3» ©tuttoort etfd)fint ein „«SiJjiller^SBótne." Um bie=> fem «ejinnen bic Gpifce }U bieten, fefcen wit unfetc fdfione Ottao-Kuigobe auf ben beifpieHb* bitlifjw 3>teië son 2 fjerofc, woju fi'e tton ie»t das „ewige Bevormundetwerden, die Kontrolle, die Beamtenarroganz, die Demut, die uns dem verkörperten Gesetz gegenüber zugemutet wird, die polizeihche Schinderei, der wir ausgesetzt sind" 8). Börne, der weder historisch, noch philosophisch geschult war, „fühlte nicht mit dem Kopfe, aber dachte mit dem Herzen"4). So kam es, daB er auch nur unklare Ideen hatte über den Staat und dessen Entwicklung. „Ueberhaupt stimmt Börnes /Theorie von \ Staat und Bürgertum mit Rousseaus' ,Contrat social' zusammen. Sein Gefühl lieB ihn, um das Wesen des Staates zu bestimmen, von 1) Seite 9. 2) Börnes Werke, ed. Klaar, III 62. *) Gutzkow, Börnes Leben, S. 355. *) Holzmann, Börnes Leben und Werke, Berlin, 1888, S. 236. 148 nichts Anderm ausgehen, als von den Menschenrechten." Diese Bemerkung macht Gutzkow1). Wir mochten hinzufügen, daB sich hier aufs neue zeigt, worauf wir bereits bei unserer Besprechung der rationalistischen Denkweise Börnes hingewiesen haben2), wie ' Börne geistig noch def im 18. Jahrhundert stecken gebheben ist. „Er war in tiefster Seele überzeugt", sagt sein Freund Kolloff, •) „daB er ,für die Rechte, die mit uns geboren sind' für die heiligsten, | unveraufierlichen Rechte der Menschheit streite und falie." Börnes Auffassung von der Freiheit als „einem angeborenen Recht" *) deckt sich voUkommen mit den Anschauungen des vormarzhehen Liberalismus, der, ganz ein Kind der Aufklarung, das Naturrecht als die Grundlage seiner Staatslehre betrachtet. Der Staat entsteht durch Vertrag, in dem in Rousseauischem Sinne der Wille der Gemeinschaft zum Ausdruck kommt. Die Voraussetzung für die Verteilung der Rechte ist die auch von Börne anerkannte ursprüngliche Gleichheit aller Menschen. Die Idealform des Staates ist die Republik6). Wenn Börne also mit groBem Pathos über die Menschenrechte, über die Idee der Gleichheit sprach, die „ihm noch höher stand, als die Freiheit" 6), wenn er alle Insdtudonen, auch den Polizeistaat Metternichs, unter diesem naturrechdichen Gesichtspunkt einer schonungslosen Kritik unterwarf7), dann machte er sich damit zum Sprachrohr des Liberalismus seiner Zeit; es ist der Grund, weshalb er in den Augen der Zeitgenossen als der Tribun par excellence, als der berufenste Interpret des liberalen Gedankens erschien, es ist auch der Grund, weshalb Heine verdammt wurde, weil man glaubte von ihm die Verkündigung desselben Evangehums erwarten zu dürfen, wahrend er ganz andere Töne hören lieB.... Laube hat bereits darauf hingewiesen, wie sehr die Vorkampfer ') Gutzkow, Börnes Leben, S. 353. ») Seite 145. 3) Ed. Kolloff, (Jahrbuch der Literatur 1839, S. 156). 4) Börnes Werke, ed. Klaar, IV 221. *) Joachimsen, Vom deutschen Volk zum deutschen Staat, S. 75. ') Gutzkow, Börnes Leben S. 354. ') Möckel, Der Gedanke der Menschheitsentwicklung im Jungen Deutschland, S. 22. 149 des Liberalismus, Börne an der Spitze, nur „einem einzigen Gedanken lebend und mit der Zeit f örmlich damit „börnend" 1), in grobe Einseitigkeiten verfielen. Laube erlaubt sich in bezug darauf noch ein anderes Wortspiel, in dem er bemerkt: „Die Uebertreibungen Börnes waren und sind nur der bornierten Partei unbekannt"2). GewiB fehlt es ihm als pohtischem Schriftsteller mit einem Male an gründhchen Kenntnissen, ein ernstes Studium der politischen Verhaltnisse geht ihmab3). Er hat keine tiefere Einsicht in die Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens und der damit zusammenhangenden sozialen Struktur der Gesellschaft. In der Beurteüung der Tagesereignisse verfallt er manchmal in politische KannegieBerei, so daB er, wie wir geschildert haben4), immer wieder neue Enttauschungen er leb en mufi. Als er nach dem AbschluB der Julirevolution def enttauscht wurde, weil er bemerkte, daB mit dem Burgerkönigtum die Freiheit keineswegs realisiert war, daB nur eine in der alten Kammer vertretene gesellschafthche Klasse die Staatsgewalt selber in ihre Hande genommen hatte und daB das Königtum nur die festeste Stütze für die Herrschaft jener Klasse wurde, verurteilte er auch die konstitu/ tionelle Monarchie und bezeichnete sich nachdrückhch als Liberalen und Republikaner —. Börne und mit ihm viele Franzosen, Bewunderer der Julirevolution, die aus abstrakten Gründen die Ideen der Freiheit und Gleichheit vertraten, hatten sich, nachdem das Bürgerkönigtum sie enttauscht hatte, die Frage gestellt, ob ein Königtum überhaupt mit jenen Ideen vereinbar sei; „da sie verneint ward, ergab sich als die durch die abstrakten Prinzipien der Freiheit und Gleichheit einzig und allein geforderte Staatsverfassung die Republik" 6). Für die Idee des Staates schwarmt er, wie wir gesehen haben 6), keineswegs. Er ist ihm, dem *) H. Laube, Geschichte der deutschen Literatur, Stuttgart, o. J. (1840?), IV 231. 2) Ebenda, S. 80. 3) Geiger, Die deutsche Literatur und die Juden, S. 175 ff. «) Siehe S. 77 ff. *) Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, II 358 ff. •) Siehe S. 147. 150 Individualisten, ein notwendiges Uebel, eine Schranke, die fallen wird, wenn dereinst eine schonere, glückhchere Menschheit diese Erde bewohnen wird. „J'aime mieux ma familie que moi, ma patrie que ma familie, et Tunivers que ma patrie", diese Worte Fénelons, die Börne seiner letzten Schrift vorangestellt hat, zeigen deutlich, wie wenig der Staatsgedanke ihm bedeutete. Wie urteilt Börne nun über die Zukunft? Der Tag wird kommen, an dem „die Freiheit" verwirklicht sein wird. Die ganze Geschichte ist ihm nur ein Ringkampf zwischen den beiden Machten: „Herrschaft und Freiheit" x). Seit der französischen Revolution von 1789 ist die Menschheit sich dieses Kampfes bewuBt / geworden, und „man kann verbindern, daB Völker lernen, aber ver. lernen machen kann man sie nichts" 2). Es kommt, nach Börne, nur auf die bessere Einsicht an, und die Freiheit wird da sein. „D umme Geschichte ist ein Pleonasmus, die Geschichte der Menschheit ist nichts als eine Geschichte der Dummheit", proklamiert er3) in demselben Briefe, in dem er auch Heine als den Jesuiten desLiberalismus brandmarkt. „Aufklarung", so hatte einst Kant definiert, „ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkdt ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne die Leitung eines andern zu bedienen, sdbstverschuldet ist diese Unmündigkdt, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der EntschlieBung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung zu bedienen. Sapere audel" Für Börne herrscht die w Unfreiheit, so lange die Dummheit nicht überwunden, so lange die }\ politische Aufklarung nicht energisch genug durchgeführt ist. In den verschiedenen Biographien Börnes hat man nach unsrer Meinung viel zu wenig darauf geachtet, daB Börnes pohtisch-hterarische Tatigkeit fast ganz beherrscht wird, wenn auch ihm selber unbewuBt, durch die rationalistische Geschichtsauffassung des 18. Jahrhunderts. Die Geschichte ist auch ihm etwas, was „gemacht" wird. Es ist die „Dummheit" der Unterdrückten, wodurch es den i) Börnes Werke, ed. Klaar, IV 222. *) Ebenda, IV 164. ») Ebenda, VI 291. 151 „Tyrannen" möghch ist die Freiheit zu ersticken, aber die politische AtuTdarung hat bereits groBe Fortschritte gemacht, die Stunde der Befreiung muB also bald schlagen, und wenn er erfahrt, wieviele Deutsche wieder nach Amerika ausgewandert sind, tadelt er diesen Schritt, denn „warum sich nicht noch wenige Jahre gedulden — wenige Jahre, welche die Begeisterung des Kampfes und die Freude mannigfaltiger Siege zu einer Stunde verkürzen werden? Denn wahrhch, nicht Jahre, nur Frühlinge werden wir zu zahlen haben, bis das Jahr der Freiheit kommt. Amerika überlasse man den Fürsten, ihnen bleibe es eine Freistatte, und dort werden sie einst die Freiheit heben lernen, wenn sie erfahren, daB sie selbst Tyrannen noch in ihrem verdienten Unglück schützt" x). Für Börne ist die Geschichte also nur ein Kampf zwischen den Vólkern und den Fürsten. Von dem Gedanken an den Klassenkampf, ) an den künftigen Aufstieg des Proletariats, der von Heine bereits \ geweissagt wurde, hat Börne niemals eine Ahnung gehabt. Es ist verstandlich, daB jeder, der wie Börne überzeugt ist, daB die Geschichte sich machen laBt, auch die Revoltion als das geeig)( nete Mittel betrachten wird, „die Freiheit" zu verwirkhchen. Als er nach den Jühtagen in Paris auch den Ausbruch einer Revoludon in Deutschland mit Sicherheit erwartete, *) übersah er vollstandig, daB sich eine Revolution nicht hervorbringén laBt, und zeigte also in unzweideutigster Weise, daB die Erkenntnis der historischen Bedingtheit aües gesellschaftlichen Werdens ihm ganzlich fehlte. Wir hatten schon Gelegenheit darauf hinzuweisen3) wie viel tiefer Heine bhckte, als er bereits in seiner Vorrede zu „Kahldorf über den Adel" deuthch aussprach, daB eine Revolution, die in historischer Folgerichtigkeit ausgebrochen ist, sich nicht nachmachen laBt. SpSter hat er sich in den „Französischen Zustanden" in dieser Beziehung noch viel pragnanter ausgedrückt: Eine Revolution laBt sich nicht machen. „Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen. Was dieser gewollt hat, mussen wir erforschen, wenn wir zu wissen wün- x) Börnes Werke, ed. Klaar, VI 235. «) Vgl. S. 77. ») Vgl. S. 109. 152 schen, was jener will1). Im AnschluB an diesen Gedanken kann, nach Heine, eine Revoludon nur dann entstehen, „wenn die Geistesbildung und die daraus entstandenen Sitten und Bedürfnisse eines Volkes nicht mehr im Einklange sind mit den alten StaatsinstiI tudonen." Der Hauptirrtum der deutschen Republikaner entstehe I dadurch, daB sie den Unterschied beider Lander nicht genau in Anschlag brachten. Die Deutschen seien im Gegensatz zu dem j französischen Volke noch nicht reif für eine Republik, bei ihnen lebe t noch zu sehr der Glaube an Autoritaten, an eine hohe Obrigkeit, ' an die Polizei, und am meisten an Pergament*). Börne aber verrannte sich immer mehr in seiner Revolutionsschwarmerei. Dieser Pohtiker, der, wie ProelB sehr treffend bemerkt hat, „das Temperament eines empfindsamen Lyrikers 3)" besaB, erbhckt in der Verzweiflung über die vielen politischen Enttauschungen, die er erleben mufi, in der Revolution allmahlich das einzige Mittel, wenn man je den Menschheitstraum realisieren soll; sie ist ihm eine heilige Sache geworden: „dem Tragen und Feigen aber leiht Gott nicht seine Kraft, sondern er verlaBt ihn. Hilf dir selbst, dann wird dir der Himmel helfen!" *) Und wenn die politische Freiheit einmal erobert ist, so sind von allen Völkern gerade Frankreich und Deutschland dazu auserlesen die Führung der Menschheit zu übernehmen. Wir haben ausführlich geschildert, wie Börne in seiner Zeitschrift „La Balance" eine geistige \' Allianz zwischen Frankreich und Deutschland als eine Art Vorstufe für die Emanzipatiön der ganzen Menschheit befürwortet hat6). Der Literatur war die Vermitderrolle zwischen den beiden Kulturvölkern zugedacht, auf asthetischem Gebiete soüte die gegenseitige Beeinflussung anfangen, und auf diesem Wege fortschreitend soüte sich dereinst eine deutsch-französische Kultureinheit bilden, zumal Frankreich und Deutschland schon so fest zusammenhangen, „daB ») Heines Werke, ed. Walzel, VI 175. 2) Ebenda, VI 232 ff. ') Joh. ProelB, Das Junge Deutschland, S. 102. *) Börnes Werke, ed. Klaar, VI 269. *) Siehe S. 91 ff.; vgl. auch Ras, Börne als Vermitder etc. (Neophilologus, III 274 ff.). 153 sic sich schwerlich werden trennen lassen". Börne erbhckt in dieser geographischen Lage sogar „deutlich den Fingerseig des Schicksals, daB beideLander nur einen Staat bildensoUen". Mit völhgerVerkennung der bistorischen Entwicklung begeistert er sich an den Konstruktionen seines naiven Optirnismus, indem er ausruft: „Und welch ein glück\/ hcher Staat müBte das nicht werden, wenn sich die deutsche Natur ^ mit der französischen vermahlte und beide sich neutrahsierten!" Auch hier zeigt es sich wieder, daB Börne nur ideal zu denken pflegte, und die Art und Weise, in der er seine pohtisdïên Ideale und Forderungen ohne Rücksicht auf Geschichte und Wirklichkeit nur ( aus der Autonomie des Geistes herleitet, bewast zur Genüge, daB er über die weltbürgerhchen Ideologien des 18. Jahrhunderts nicht hinausgekommen ist. Der Freimaurer Börne predigt diesen vagen Kosmospohtismus in einem Zeitalter, in dem das NationalbewuBtsein erstarkt, in dem die Klassengegensatze sich verschaffen, in dem die realen Machtfaktoren auf jedem Lebensgebiete immer starker beachtet werden. Börne war gewiB nicht der einzige, der in der Begründung seiner Humanitatsideale wieder an die Aufklarung anknüpfte 2), aber dieser neue Marquis de Posa, dessen weltbeglückende Traume an der harten Wirklichkeit zerprallten, besaB eine sentimental und stark pathetisch veranlagte Natur, und als er, ein Desperado der Freiheit, schhefilich „müde wie ein Jagdhund" nach einer Stütze für seinen Freiheitsglauben suchte, fand er diese in dem sozialen Christentum, oder wie . Beurmann es ausdrückt, in „dem vernunftgelauterten Katholizismus, wie er in Lamennais die Freiheit mit der Menschheit vermittelt" 8). Die Behauptung Beurmanns, daB Börne sich deshalb mit wahrer i Inbrunst Lamennais zuwandte, weil dieser die Freiheit auf einen sicheren, festen Grund basiert hatte *), können wir nicht als begründet I anerkennen, denn die Einzelheiten der zukünftigen Gesellschaft vermag I Lamennais ebenso wenig wie Börne anzugeben. Das Volk hat ein i) Börnes Werke, ed. Klaar, I 304. - *) Lamprecht, Deutsche Geschichte, X 3. S. 478. *) Beurmann, S. 81. l) Ebenda, S. 83. 154 Anrecht auf Hilfe des Staates und der Reichen, ebenso wie auf Freiheit, aber auch er kommt über solche schwachen Mgemeinheiten nicht hinaus 1). Aber ganz abgesehen von dieser Vorliebe, die Börne in seinen letzten Lebensjahren für den Katholizismus Lamennaisscher Observanz empfand darf man sagen, daB er es wirkhch ausgesprochen hat, was seiner Zeit gemaB war. Wir werden noch sehen, daB sich dasselbe von Heine nicht ohne weiteres sagen laBt. Könnte es sein, daB das verschiedene Urteil, das die Generadon von 1840 über die beiden Publizisten gefallt hat, mit ihrer verschiedenen Einstellung in Weltanschauungsfragen zusammenhangt ? In einer Zeit, da der deutsche Liberalismus, hinter dem nicht die Masse des Volkes, sondern hauptsachlich das gebildete und beI sitzende Bürgertum stands), seine ersten Schlachten lieferte, war ' Börne ein pohtischer Charakter, der durch seine Freiheitshebe ohne gleichen, seine resdose Hingabe an die Sache des Fortschritts, auf dieses aufstrebende deutsche Bürgertum so machtig eingewirkt hat, daB man ihn mit volkstem Rechte als einen Wegbereiter der Revolution von 1848 betrachten darf. Warum muBte aber dieser Politiker in so heftige Fehde geraten mit jenem andren Rufer im Streite aus dem vormarzhchen Deutschland ? Um diese Frage endgültig zu beantworten, werden wir uns zunachst <" mit der Entwicklung von Heines politischen Anschauungen nach 1830 zu beschaftigen haben. # * # Es war im Mai 1832, als Heine an Varnhagen schrieb: „Was Sie mir in Betreff des St. Simonismus schreiben, ist ganz meine Ansicht. Michael Chevaher ist mein sehr lieber Freund, einer der edelsten Menschen, die ich kenne. DaB sich die St. Simonisten zurückgezogen, ist vielleicht der Doktrin sehr nützhch; sie kommt in klügere Hande. Besonders der pohtische Teil, die Eigentumslehre, wird besser ver- *) Georg Adler, Das Volksbuch von Félicité de Lamennais, Leipzig, 1905, S. 19 ff. *) Vgl. S. 89 ff. ») Stimmung, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 47; Lamprecht, Deutsche Geschichte, X 3, S. 439 ff. 155 arbeitet werden. Was mich betrifft, ich interessiere mich eigenthch nur für die rehgiösen Ideen, die nur ausgesprochen zu werden brauchten, um früh oder spat ins Leben zu treten. Deutschland wird am krafdgsten für seinen Spiritualismus kampf en; mais Tavenir est a nous". x). Wir wissen bereits, daB Heine in Paris in persönliche Beziehungen Zu den bedeutendsten Mitgliedern der sozial-religiösen Sekte der Saint-Simonisten getreten war. Die „Kirche", die seit dem im Jahre 1825 erfolgten Tode ihres Gründers zahlreiche Anhanger, speziell in den Kreisen der Intelhgenz gefunden hatte, erlebte gerade eine Glanzperiode, als Heine nach Paris kam. Allein schon im November 1831 begann der Verfall derselben, als sich eine Spaltung in zwei Gruppen vollzog: Bazard wollte die Lehre Saint-Simons auf dem Wege der politischen Propaganda betreiben, Enfantin, der Freund Heines, wollte speziell die sozialreligiöse Seite des Saint-Simonismus in den Vordergrund stellen. Heine wohnte den von Enfantin prasidierten Versammlungen in der Rue Taitbout bei. So war er auch in der letzten Versammlung anwesend, als am 22. Januar 1832 der Saai auf Befehl des Königs geschlossen wurde2). Der Saint-Simonismus in Frankreich nahm ein klagliches Ende8). Was für uns aber das Wichtigste ist, ist die Tatsache, daB Heine von der Weltanschauung Saint-Simons so machtig beeinfluBt wurde, daB man zum Verstandnis des Pohtikers Heine zunachst die Frage zu beantworten hat: Welche Ideen des Saint-Simonismus waren es, für die Heine sich „eigenthch nur interessierte". Welche Ideen haben so machtig auf Heine eingewirkt, daB seine pohtisch-hterarische Tatigkeit nach 1830 ein wesentlich anderes Geprage zeigt als die Publizistik Börnes in demselben Zeitraum? Der Saint-Simonismus verlangte zunachst, daB das negative Werk der Revolution von 1789 eine positive Erganzung erfahren sollte, denn die Zerstörung des feudalen Gesellschaftsgebaudes und die liberale l) Hirth, II 22. *) Betz, Heine in Frankreich, S. 36. 3) Vgl. weiter: Lorenz von Stein: Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, II 2. 156 Kritik des Bestehenden sei an sich unzulanglich eine Lebensgemeinschaft zu stande zu bringen, die in friedlicher Arbeit die Güter der Kultur für alle erreichbar machen könne. Die Freiheit an sich sei kein Glück für die Menschheit, die wahre Freiheit sei nur möghch durch eine der Gesamtheit dienende Entwicklung der materiellen und geistigen Krafte In einer Zeit, wo der Liberalismus allenthalben für die schrankenlose Durchführung des Prinzips der Freiheit auf wirtschaftlichem und pohtischem Gebiete eintrat, wo das „Laissez faire, laissez aller" zum Losungswort der Zukunft erhoben wurde, wollte Saint-Simon die fessellos wirkenden Krafte organisieren, und er entwirft deshalb den Plan zur Gründung eines Staates, in dem die beiden gröBten Machte des neuen Jahrhunderts, die Industrie und die Wissenschaft, die Führung haben sollten. Saint-Simon war also jedenfalls kein rationaler Utopist wie Fourier und Owen 2); er ging vom Bestehenden aus und hat die Industrie und die Wissenschaft in ihrer künftigen geschichtlichen Bedeutung sehr wohl erfafit. Die Herrschaft in Staat und Gesellschaft sollte nicht dem Adel und dem hohen Beamtentum anvertraut werden, sie sollte vielmehr den „Industriellen" übertragen werden, wozu, nach seiner Auffassung, alle gehören, die sich mit einer auf Erwerb gerichteten und ' der Gesamtheit nützhchen Tatigkeit beschaftigen. Bourgeoisie und Proletariat werden also als eine der feudalen Reaktion feindlich gegenüberstehende Masse aufgefaBt3). Durch eine genossenschaftliche Bindung glaubte Saint-Simon in seinem Industriestaat auch die Interessengegensatze zwischen Unternehmern und Arbeitern, die sich als Begleiterscheinung des modernen Kapitalismus bemerkbar machten, beseitigen zu können. Die Unternehmer sollten freiwillig, X aus Nachstenhebe, auf ihre Vorrechte verzichten. Durch die Wissenschafder und Industriellen sollte eine friedhche Lösung der sozialen Konflikte herbeigeführt werden, durch welche die ganze bürgerhche 1) Vgl. Carl Grflnberg, „Sozialismus und Kommunismus" im Wörterbuch der VolksS wirtschaft, 3. Aufl., Bd. II} Muckle, Die groBen Sozialisten, Leipzig, 1919, II 32 ff. *) Vgl. Muckle, „Neues Christentum" von Saint-Simon, Leipzig, 1911, S. 20. 3) Muckle-IJzerman, Socialistische Denkers, Amsterdam, 1924, S. 119 ff. 157 Gesellschaft bedroht wurde. In der Konstrukdon seines Industriestaates kommt unverkennbar sehr stark das Kulturinteresse des Bürgertums zum Ausdruck Für diesen Teil des Saint-Simonismus interessierte sich Heine eigenthch verhaltnismafiig wenig. Sieht man aber von der technischen Seite des Problems ab, so kommen dennoch in den obigen Gedanken Saint-Simons soziale Anschauungen zum Ausdruck, mit denen Heine sich von ganzem Herzen einverstanden erklarte, da sie ja seiner eignen geistigen Haltung vollkommen entsprachen. Wie wir bereits gesehen haben, treten als führende Machte in der Gesellschaft bei St. Simon nicht langer Adel und Geisdichkeit auf, sondern die Industriellen und die Manner der Wissenschaft. Nicht die Privilegiën der Geburt, sondern nur das Talent sollte also ausschlaggebend sein. Dies war ein Gedanke des Saint-Simonismus, ) der Heine machtig anziehen mufite, den wir auch in seinen politisch1 hterarischen Schriften wiederholt ausgesprochen finden2). DaB alle Vorrechte der Geburt beseidgt werden sollten, daB die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein Ende nehmen sollte, das waren alles Gedanken, die seiner demokratischen Gesinnung vollkommen entsprachen. Aber der Saint-Simonismus formuherte auch noch den positiven Gedanken, der den geborenen Romandker, in dem die Bewunderung für die Heroen, die Führer der Menschheit, so stark lebte, ganz besonders ansprechen muBte: die Anerkennung der bevorzugten Stellung, die dem Talent und vor allem dem Genie eingeraumt werden soll; im Zukunftsstaat sollte eine soziale Elite mit der Herrschaft betraut werden. In unserer Besprechung von Heines Hinneigung zur Monarchie haben wir bereits ausführhch auseinandergesetzt, daB nur scheinbar ein Widerspruch zwischen Heines demokratischer Gesinnung und seiner I aristokratischen Verherrhchung der groBen Individualitaten existiert. Heine muBte sich durch den Saint-Simonismus beglückt fühlen, 1) Max Adler, Wegweiser, Studiën zur Geistesgeschichte des Sozialismus, Stuttgart, A 1919, S. 115 ff. 2) Siehe S. 119 ff. 158 denn hier fand cr gleichsam die Berechtigung seiner eignen anstokratischen Künstlerinstinkte begründet, hier war der Beweis erbracht, j* daB der Kultus des Genies sich sehr wohl mit einer demokratischen ^ Ueberzeugung vereinigen laBt1). Auch Saint-Simons Kritik des Liberalismus war nur eine nach- i traghche Begründung von Heines Ansichten. In dem Postulat von der Notwendigkeit einer sozialen Hiërarchie lag zugleich die Anerkennung der natürlichen Ungleichheit der Menschen, und damit wurde auch über die Gleichheitsphrasen eines Börne und Konsorten das Urteil gesprochen. Heine fühlte sich mit den Saint-Simonisten abgestoBen a durch die Freiheitsforderung auf Grund der ongeborenen Menschen\ rechte", eine Forderung, durch welche das Problem der sozialen » Freiheit wohl gestellt, aber nicht gelost wurde. Bei Saint-Simon finden wir bereits die Erkenntnis des Unterschiedes zwischen politischer und sozialer Verfassung und der reladven Nebensachh'chkeit erstefer der letzterer gegenüber2). Heine hatte ihnen daher auch die Einsicht zu verdanken, daB die Frage Republik oder Monarchie in der jetzigen Gesellschaft verhaltnismaBig von sehr untergeordneter Bedeutung ist. Aus demselben Grunde konnte er auch nicht im Geiste des süddeutschen Liberalismus die Verfassung als eine Art Fetisch gegen soziale Uebelstande betrachten *). Obschon er den Treubruch des preuBischen Königs in der Verfassungsfrage geiBelt, ist ihm doch die Erkenntnis aufgegangen, daB mit der Erledigung der Verfassungsfrage das soziale Problem keineswegs gelost ist. Heine hat schon etwas von dem geahnt, was Lassalle meinte, als er sagte: „Verfassungsf ragen sind ursprünghch nicht Re chtsfragen, sondern Machtfragen; die wirkhche Verfassung eines Landes existiert nur in den reellen thatsachhchen Machtverhaltnissen, die in einem Lande bestehen; geschriebene Verfassungen sind nur dann von Wert und Dauer, wenn sie der genaue Ausdruck der wirkhch in der Gesellschaft bestehenden Machtverhaltnisse sind." *)♦ ') Lichtenberger, Heine als Denker, S. 132 ff. *) Max Adler, Wegweiser, S. 112. *) Vgl. S. 23. *) Ferd. Lassalles Reden u. Schriften, herausgeg. von Ed. Bernstein, Berlin, 1892, 1497. 159 All diese sozialen Anschauungen des Saint-Simonismus haben ohne Zweifel Heines Denken befruchtet oder ihn in seiner Ueberzeugung bestaf kt. Mehr noch als für diese aber hat Heine sich für „die rehgiösen Ideen" des Saint-Simonismus interessiert, „die nur ausgesprochen zu werden brauchten, um früh oder spat ins Leben zu treten" 1). Diese rehgios-ethische Seite des Saint-Simonismus ist es, die im wesentlichen Heines Auffassung über die Entwicklung der Kultur bestimmt hat, eine Auffassung, durch die natürUch auch seine politische Stellungnahme bedingt wurde. Schon wena wir den Pohtiker Heine vom Standpunkt der sozialen Seite des St. Simonismus beurteilen, erscheint uns sehr viel in seiner Haltung in ganz anderm Lichte, als es in der Kritik Börnes erschien. Noch viele andere scheidbare Widersprüche werden sich lösen, der Konflikt Heine-Börne uns noch verstandhcher werden, wenn wir auch die Einwirkung der rehgiösen Seite des St. Simonismus auf Heines Weltanschauung in Betracht ziehen. „Le Nouveau Christianisme", die letzte Schrift Saint-Simons, die er als Erbe (1825) seinen Schülern übergeben hatte, beginnt mit dem Satze, daB das einzige, wahrhaft götdiche Prinzip der chrisdichen I Rehgion der Grundsatz sei: „Die Menschen sollen sich gegenseitig i als Brüder behandeln" 2). Die positiven Rehgionen haben den Inhalt des götthchen Christentums zu einem menschhchen gemacht. SaintSimon nennt sich nun einen Neuerer, weil er „unmittelbarer, als es bisher geschehen ist, aus dem Hauptgrundsatz der götthchen Moral Folgerungen" ableite. So will er das „neue Christentum" in der Menschheit vorbereiten. Saint-Simon kritisiert dann zunachst den Katholizismus und den Protestantismus. Der positive Teil lauft darauf hinaus, daB er das Moralprinzip der Nachstenliebe dahin yinterpretiert, daB die ganze Gesellschaftsordnung „auf die Verbes/ serung des sitthchen und leibhchen Loses der armern Klasse hinarbeiten soll". Damit ist die Rehgion eine soziale Religion, eine Diesseitsreligion, geworden: sie will, über das mittelalterhche Dogma und *) Siehe S. 155. *) Muckle, „Neues Christentum" von Saint Simon, S. 41 ff. 160 den Protestandsmus hinwegschreitend, den Glaubigen nicht auf ein metaphysisches Lebensziel verweisen, sondern bereits im Diesseits die Brüderhchkeit verwirkhchen. Nach dem Tode des Meisters haben seine Schüler Bazard und Enfantin die Gedanken des „Nouveau Christianisme" weiter entwickelt1). Die posidven Religionen sind nicht nur durch ihre soziale Unf ahigkeit zerrüttet, sondern auch, dadurch daB sie ein wichtiges Moment im Dasein des menschlichen Geschlechtes nicht zur berechtigten Auswir- - kung kommen lassen, namlich den Trieb des Genusses. Hier also wieder eine Betonung der Vollwertigkeit des diesseitigen Lebens, hier deshalb auch eine Rehabilitation des Pleisches, denn sowohl das Fleisch wie der Geist ist von Gott geschaffen. Der Sieg über diesen christhchen Dualismus muB errungen werden. Die neue, Saint-Simonistische Rehgion wird auf jedem Gebiete die Harmonie bringen, wird vereinen, was das Christentum getrennt hat. Es werden nicht mehr die Gegensatze Zwischen Geist und Materie, arm und reich existieren, denn „Gott I ist", sagt Enfantin, „alles was ist; alles ist durch ihn und in ihm". ' Der alte Gott ist durch den pantheistischen Gott ersetzt worden. Heine war beglückt durch diese Lehren, denn wie viele Seiten seines Wesens wurden nicht dadurch befriedigt! Als Demokraten muBte es ihm ganz besonders gefallen, daB hier so strenge Kritik am Christentum wegen seiner sozialen Impotenz geübt wurde. Als Dichter starker Sinnenfreudigkeit war diese Diesseitsreligion mit ihrer Vergötthchung alles Irdischen ihm „eine groBe, gottfreudige Frühlingsidee, die, wo nicht besser, doch wenigstens ebenso respektabel -ist, wie jene triste, modrige Aschermittwochsidee, die unser schönes Europa trübselig entblümt" 2) und sein Bekenntnis zu der neuen Rehgion Enfantinscher Pragung spricht er klar aus in den begeisterten Worten: Auf diesem Felsen bauen wir Die Kirche von dem dritten, Dem dritten neuen Testament; Das Leid ist ausgektten. ') Vgl. Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, II 208 ff. «) Heines Werke, ed. Walzel, VI 464. 161 Vernichtet ist das Zweierlei, Das uns solang betöret; Die dumme Leiberqualerei Hat endlich aufgehöret. Horst du den Gott im finstern Meer? Mit tausend Stimmen spricht er. Und siehst du über unserm Haupt Die tausend Gotteslichter? Der heil'ge Gott, der ist im Licht Wie in den Finsternissen; j Und Gott ist alles, was da ist; ] Er ist in unsern Kussen. Im Saint-Simonismus fand Heine die Elemente, die seiner Sehnsucht nach sozialer und religiöser Befreiung der Menschheit am meisten entgegenkamen. Er hat versucht seine neu gewonnene Weltanschauung abzurunden und hat sie uns hinterlassen in seiner Schrift „Zur Geschichte der Rehgion und Philosophie in Deutschland" (deutsch: / 1835), die er auf eine Anregung Enfantins hin ursprünglich für das \ französische Publikum geschrieben hatte. Das Buch, aus dem wir die für den Politiker Heine charakterischen Ideen hervorheben wollen, hat, wie er in der Vorrede zur zweiten Auflage nachdrückhch bemerkt, eine „patriotisch-demokratische Tendenz". Der Ausgangspunkt seiner Betrachtungen ist ihm der SaintSimonistische Gedanke von dem ewigen Widerspruch zwischen Geist und Materie. Er sieht die ganze Kulturentwicklung als einen Kampf zwischen dem Spirituahsmus, der ausschheBlich den Geist verherrlicht, und dem Sensualismus, der die Rechte des Körpers verteidigt. Waren, wie wir gesehen haben, für Börne Herrschaft und Freiheit die Triebkrafte der Geschifte, so sind es für Heine die Gegensatze Spiritualismus und Sensualismus1). Ebenso wie L) Vgl. Lichtenberger, Heinrich Heine als Denker, S. 143 ff. 11 162 St. Simon teilt er die Menschheitsgescbichte in verschiedene Perioden ein. Zwei Phasen hat die Menschheit bis jetzt durchlaufen: die heidnisch-sensualistische und eine christlich-spiritualistische. Die altere der beiden Kulturstufen ist die pantheistische. Der Mensen lebt dann in engster Beziehung zur Natur, seine Mysteriën und Symbole beziehen sich auf einen Naturdienst: die ganze Erscheinungswelt ist vergöttlicht. Das Christentum aber hat, um sie zu bekampfen, diese Ansicht verkehrt, es hat also die Natur entgöttlicht. An die Stelle einer durchgötterten Natur trat eine durchteufelte, die früheren Heiligtümer des Volkes wurden in Statten der hafilichsten Teufelei verwandelt. Dennoch war die christliche Religion „eine Wohl tat für die leidende Menschheit, sie war providentiell, göttlich, heilig. Alles, was sie der Zivilisadon genützt, indem sie die Starken zahmte und die Zahmen starkte, die Völker verband durch gleiches Gefühl und gleiche Sprache, das ist sogar noch unbedeutend im Vergleich zu jener groBen Tröstung, die sie durch sich selbst den Menschen hat angedeihen lassen. Ewiger I Ruhm gebührt dem Symbol jenes leidenden Gott es, des Heilands mit der Dornenkrone, des gekreuzigten Christus, dessen Blut gleichsam der lindernde Balsam war, der in die Wunden der Menschheit herabrann." 1). Ueberall aber steht „dem guten Christus der böse entgegen; die Welt des Geistes wird durch Christus, die Welt der Materie durch Satan reprasentiert, und die ganze Erscheinungswelt, die Natur, ist demnach ursprünglich böse" *). Die, welche Christus nachfolgen wolken, hatten also auf alle Freuden des Leibes und der Materie zu verzichten. Im Mittelalter „spazierte der wahre Christ mit angsthch verschlossenen Sinnen in der blühenden Natur urnher"3). So machte das Christentum das Erdenleben zu einem Leidensweg, des Lebens Ziel lag nur im Jenseits, und diese Idee des Christentums hat sich „wie eine ansteckende Krankheit, unglaublich schnell über das ganze römi- ») Heines Werke, ed. Walzel, VII 202. ») Ebenda VII 200. *) „ VII 204. 163 sche Reich verbreitet, das ganze Mittelalter hindurch dauerten die Leiden, manchmal Fieberwut, manchmal Abspannung, und wir Modernen fühlen noch immer Krampfe und Schwache in den Gliedern" 1). Der Versuch, die Idee des Christentums zur Ausführung zu bringen, ist demnach fehlgeschlagen, „diese Rehgion war eben allzuerhaben, allzurein, allzugut, für diese Erde, wo ihre Idee nur in der Theorie proklamiert, aber niemals in der Praxis ausgeführt werden konnte" 2). Nachdem der Versuch rm'Bglückt war, hat das Christentum, „unfahig die Materie zu vernichten", dieselbe „überall fletriert, es hat die edelsten Genüsse herabgewürdigt, und die Sinne muBten heucheln, es entstand Lüge und Sünde *)". Wir aber leiden noch unter dem mifilungenen Versuch, die Idee des Christentums zur Ausführung zu bringen. Die Folge ist „unser jetziges soziales Unwohlsein in ganz Europa"4). Das Christentum ist sogar mit der Zeit zu einer Stütze der Machtigen geworden, „das gehaBte Schwert und das verachtete Geld" 8) haben, da das Christentum praktisch ohnmachtig war, die Obergewalt errungen, und das Christentum muBte sich mit diesen Machten verstandigen. Aus diesem Verstandnis entstand schlieBhch eine heilige [ Allianz zwischen den Kirchen und den Machthabern, „aber durch i diese Verbindung geht die Rehgion des Spiritualismus desto schneller zu Grunde". Der Dichter verurteilt den Spiritualismus jedoch nicht absolut, er hat nur eine gröBere Meinung von der Gottheit „als jene frommen Leute, die da wahnen, er habe den Menschen nur zum Leiden erschaffen" *). Die Tage des Christentums sind gezahlt, eben weil es unerfüllbare Forderungen steilte an die menschliche Natur und den Machthabern zur Stütze wurde. Heine glaubt an den Fortschritt, er glaubt, daB die Menschheit !) Heines Werke, ed. Walzel, VII 200. ') Ebenda VII 261. ») „ VII 263. *) „ VII 261. ') „ VII 262. •) „ VII 201. 164 zur irdischen Glückseligkcit bestimmt ist. Die Menschheit weiB, daB sie trotz all ihrer Anstrengungen das Christentum nicht verwirkhchen konnte, sie wird jetzt praktisch, und „huldigt dem irdischen Nützlichkeitssystem, sie denkt ernsthaft an eine bürgerhch wohlhabende Einrichtung, an vernünftigen Haushalt und an Bequemhchkeit für ihr spateres Alter x)". Die Materie wird rehabihtiert werden, ihre rehgiöse Heihgung und Versöhnung mit dem Geiste wird das Kennzeichen der pantheistischen Rehgion der Zukunft sein. Wenn Heine also das materielle Glück der Völker befördern will, so geschieht dies keineswegs, weil er wie die Materialisten den Geist verachtet, es geschieht vielmehr, weil er weiB, „daB die Gött* hchkeit des Menschen sich auch in seiner leibhchen Erscheinung ftl j kundgibt" 2). Er kampft „nicht für die Menschenrechte des Volks," wie ein Börne es tat, „sondern für die Gottesrechte des Menschen" 8). ' Die pohtische Revolution findet also in den Pantheisten Gehilfen, die jedoch ihre revolutionare Ueberzeugung aus einer ganz andern Quelle schöpfen als die Liberalen. Sie wollen keineswegs wie „die tugendhaften Republikaner" auf alle köstlichen Genüsse dieses Lebens verzichten, im Gegenteil, sie verlangen gerade Nektar und Ambrosia, und den Nazarenern vom Schlage Börnes ruft Heine zu, „was schon ein Narr des Shakespeare sagte: ,Meinst du, weil du tugendhaft bist, solle es auf dieser Erde keine angenehmen Torten und keinen süBen Sekt mehr geben' " 4). Die Saint-Simonisten, die dies auch erstrebten, standen in Frankreich auf ungünstigem Boden. Deutschland aber ist reif für den Pantheismus: er doch war schon immer die Religion der gröBten deutschen Denker gewesen. Deutschland, das seine Revolution im Reiche des Geistes schon langst erlebt hat5), ist dem Deismus, dieser „Religion für Knechte, für Kinder, fürGenfer, für Uhrmacher" 6) entwachsen. Die Deutschen ») Heines Werke, ed. Walzel, VII 263. ") Ebenda VII 265. ») „ VII 266. 4) „ VII 266. ») Vgl. S. 108. •) Heines Werke, ed. Walzel, VII 267. 165 sind frei. Die Deutschen wollen „keinen donnernden Tyrannen",x) / die ganze Menschheit ist „eine Inkarnation Gottes" *). So steht nach Heines Meinung dem Durchbruch einer allgemeinen pantheistischen Welt- und Lebensanschauung in Deutschland nichts entgegen. Seitdem Luther und Lessing die Denkfreiheit erobert, begann mit Kants „Kritik der reinen Vernunft" in Deutschland „eine geistige Revoludon, die mit der materiellen Revoludon in Frankreich die sonderbarsten Analogien bietet und dem tieferen Denker ebenso wichtig dünken mufi als jene". Schon früher hatte, wie wir gesehen haben8), Heine, da er Kant als den deutschen Robespierre charakterisierte, diese Parallele zwischen der philosophischen Revoludon in Deutschland und der politischen in Frankreich entwickelt. Mit Hegel ist die p hilosophische Revoludon in Deutschland beendigt, denn dieser hat ihren groBen Kreis geschlossen. In beiden Landern erlebten wir also einen Bruch mit der Tradidon. Stürzte dort „das Königtum, der SchluBstein der . alten sozialen Ordnung" 4), so stürzt in Deutschland „der Deismus, der SchluBstein des geistigen alten Regimes" 6): „Hört Ihr das Glöckchen i khngeln? Kniet nieder — Man bringt die Sakramente einem sterbenden Gotte" 8). Was die deutsche Philosophie geleistet hat, ist „eine wichtige das ganze Menschengeschlecht betreffende Angelegenheit" 7). Die philo- " sophische Revoludon bedeutet also „die Morgenröte des Sieges" 8), sie ist die Voraussetzung für die kommende politische und soziale Revoludon. Diese Ordnung findet er „ganz vernünftig" 9), denn „der { Gedanke geht der Tat voraus wie der Blitz dem Donner" 10). Zwar kommt der Donner in Deutschland sehr langsam herangerollt, 5 Heines Werke, ed. Walzel, VII 267. a) Ebenda VII 265. ») Vgl. S. 108. <) Heines Werke, ed. Walzel, VII 291. «) Ebenda VII 291. •) „ VII 292. ») „ VII 350. •) „ VII 281. ») „ VII 350. ") „ VII 352. 11* 166 aber wenn die politische Revolution in Deutschland einmal ausbricht, so „wird ein Stück aufgeführt werden, wogegen die französische Revoludon nur eine harmlose Idylle erscheinen möchte. Jetzt ist es freüich ziemhch stillj und gebardet sich auch dort der Eine oder der Andere etwas lebhaft, so glaubt nur nicht, diese würden einst als wirkhche Akteure auftreten. Es sind nur die kleinen Hunde, die in der leeren Arena herumlaufen und einander anbellen und beiBen, ehe die Stunde erscheint, wo dort die Schar der Gladiatoren anlangt, die auf Tod und Leben kampf en sollen. Und die Stunde wird kommen.''x) Die Massen, die nicht mehr mit christhcher Geduld ihr irdisches Elend tragen, werden aber nicht bei der politischen Revolution stehen y bleiben: „Der Kommunismus2) ist eine natürhche Folge dieser veranderten Weltanschauung, und er verbreitet sich über ganz Deutschland. Es ist eine ebenso natürhche Erscheinung, daB die Proletariër in ihrem Ankampf gegen das Bestehende die fortgeschrittensten Geister, die Phüosophen der groBen Schule, als Führer besitzen, diese gehen über von der Doktrin zur Tat, dem letzten Zweck alles Denkens, und formulieren das Programm" 8). Nach der philosophischen Revolution folgt also die politische Revolution und darauf die soziale. Denn erst dann, wenn das materielle Glück durch die Massen erobert ist, erst dann, wenn nicht langer „das Elend den Leib, das Büd Gottes, zerstört oder avihert, und der Geist dadurch ebenfalls zugrunde geht" 4), wird die Menschheit in Wahrheit befreit sein. Das Endziel der Welt-Revolution ist „die Rehabihtation der Materie, die Wiedereinsetzung derselben in ihre Würde,ihre moralische Anerkennung, ihre religiöse Heihgung, ihre Versöhnung mit dem Geiste"6). Dann werden „die glückhcheren und schöneren Generationeh, die, gezeugt durch freie Wahlumarmung, in einer „Reli- I Heines Werke, ed. Walzel, VII 353. 2) lm Sprachgebrauch des Vormarz hat das Wort Kommunismus etwa dieselbe Bedeutung wie heute „Sozialismus", vgl. dazu Friedrich Engels in seiner Vorrede von 1890 zu dem 1848 von Karl Marx und ihm abgefaBten „Kommunistischen Manifest" (6. deutsche Ausgabe, Berlin 1903, S. 8). 8) Heines Werke, ed. Elster, IV 149. 4) Heines Werke, ed. Walzel, VII 265. ») Ebenda VII 263. 167 gion der Freude emporblühen, wehmüdg lacheln über ihre armen Vorfahren" 1). Dies sind die vom Saint-Simonismus so stark beenfluBten HauptI gedanken von Heines Weltanschauung, wie sie in seiner „Geschichte der Rehgion und Philosophie in Deutschland" wohl am pragnantesten zum Ausdruck kommen. Dem Politiker Heine können wir also nur gerecht werden, wenn wir eingesehen haben, dafi in seiner entwicklungsgeschichthchen Auffassung die politische Revolution blofi eine Etappe ist auf dem Wege, den die Menschheit bei ihrem Vörwartsschreiten zu gehen hat. Welch ein gewaltiger Unterschied in der Einschatzung des Politischen bei Heine und bei Börne! Die Politik ist ihm nur ein Mittel, nicht das Ziel selber; die Mensenheitsfragen, die mit Heines Idee der Revolution, als deren Apostel er auftritt, zusammenhangen, umfassen sehr viel mehr als die Sache der politischen Befreiung, denn, so schreibt er am 10. Juli 1833 an Laube, „diese Fragen betreffen weder Formen, noch Personen, weder die Einführung einer Republik, noch die Beschrankung einer Monarchie, sondern sie betreffen das materielle Wohlsein des Volkes. Die bisherige spiritualistische Rehgion war heilsam und notwendig, so lange der gröfite Teil der Menschen im Elend lebte und sich mit der himmlischen Religion vertrosten mufite. Seit aber durch die Fortschritte der Industrie und der Oekonomie es möglich geworden, ehe Menschen aus ihrem materiellen Elend herauszuziehen und auf Erden zu beseligen, seitdem — Sie verstehen mich. Und die Leute werden uns schon verstehen, wenn'wir ihnen sagen, dafi sie in der Folge alle Tage Rindfleisch statt Kartoffeln essen sollen und weniger arbeiten und mehr tanzen werden. — Verlassen Sie sich darauf, die Menschen sind keine Esel" 2). Diese Gleichgiltigkeit in bezug auf die Frage der Staatsform, weil sie für die soziale und geistige Befreiung der Massen von untergeordneter Bedeutung ist, haben wir bereits früher bei den SaintSimonisten und bei Heine konstatieren können. Nachdrückhch erklart | Heines Werke, ed. Walzel, VII S. 201. s) Hirth, II 36. 168 er in einem spatern Brief an Laube sogar: „In den politischen Fragen können Sie so viel Concessionen machen, als Sie nur immer wollen, denn die politischen Staatsformen und Regierungen sind nur Mittel; Monarchie oder Republik, demokratische oder aristokratische i Institutionen sind gleichgültige Dinge, solange der Kampf um erste 1 Lebensprinzipien, um die Idee des Lebens selbst, noch nicht entj schieden ist" Aus diesem Standpunkt Heines ist nach unserer Meinung im wesenthchen der Konflikt Börne-Heine hervorgegangen. Die Verschiedenheit in der Art und Weise, in der die beiden politischen Schriftsteller die groBen Zukunftsfragen beurteilten, die ihrerseits wieder bedingt wurde durch die Verschiedenheit ihrer Naturen, muBte diese Manner, die anfanglich ein gleiches Ziel zu erstreben schienen, nicht nur aus einander, sondern auch gegen einander treiben. Auf Grund seiner oben geschilderten, vom Saint-Simonismus befruchteten, politischen Ueberzeugung, konnte Heine auch keiner politischen Partei beitreten2). Er hat ein ganz anderes Endzielvor Augen als Börne und seine Freunde : Heine wünscht den Sieg seiner ) | neuen Rehgion, des pantheistischen Sozialismus 3). Die Republikaner, mit denen ef sich doch im Kampfe gegen die Metternichsche Reaktion verbunden fühlt, verachtet er in gewissem Sinne wegen ihrer Beschranktheit in der Erfassung der sozialen und pohrischen Probleme. Ihre nichtssagende metaphysische Freiheitsidee, ihre Gleichheitsphrasen, sind ihm zu sehr verhaBt, als daB er sich als zu ihrer Partei gehorig betrachten könnte. In der praktischen Politik Börnes und der anderen Liberalen verurteilt er die Unklarheit dieser Kampfer über das, was angestrebt wird, als Schüler Saint 1 Simons vermiBt er in ihren Bestrebungen einen groBen weltreformatorischen Gedanken, zu dessen Verwirkhchung es sich lohnte 1 eine organisatorische Tatigkeit zu entfalten. Wir haben bereit*> gesehen, wie Heine sich die Verwirkhchung seiner eignen sozialen Ideale denkt. Er glaubt nicht, und hier haben wir einen sehr wichtigen Unterschied zwischen Heine und dem utopischen Sozia- 1) Brief vom 23. November 1835, (Hirth, II 86). 2) Lichtenberger, H. Heine als Denker, S. 169. •) Ebenda S. 194. 169 } listen Saint-Simon, daB man die Machthaber durch Ueberredung ) zu einem Verzicht auf ihre bevorrechtete Stellung im Interesse der Gesamtheit bewegen könne; nur durch die Revoludon kann ' das Ideal in Erfüllung gehen, und die politische Revoludon wird aus der bereits erfolgten philosophischen Revoludon hervorgehen: „Der Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner" Und in sozialistischem Geiste verkündet der Tribun: „Wir haben die Lande gemessen, die Naturkrafte gewogen, die Mittel der Industrie berechnet, und siehe, wir haben ausgefunden: daB diese Erde groB genug ist; daB sie jedem hinlanglichen Raum bietet die ? Hütte seines Glücks darauf zu bauen; daB diese Erde uns alle j anstandig ernahren kann, wenn wir arbeiten und nicht einer auf j Kosten des anderen leben lassen will; und daB wir nicht nödg haben, die gröBere und armere Klasse an den Himmel zu verweisen"2). Sein Saint-Simonistisches Zukunftsideal faBte er dann , spater noch einmal zusammen in den Worten: Ein neues Lied, ein besseres Lied, O Freunde, will ich euch dichten! Wir wollen hier auf Erden schon Das Himmelreich errichten. Wir wollen auf Erden glückhch sein, Und wollen nicht mehr darben; Verschlemmen soll nicht der faule Bauch Was fleifiige Hande erwarben. Für die Verbreitung dieser Ideen hat Heine gekampft, und mag er / auch in spatern Jahren dem politischen Kampf skeptisch gegenüber\ gestanden haben, mag auch manchmal sein Künsdertum und sein Tribunat mit einander in Konflikt geraten sein, seiner pantheistischsozialistischen Ueberzeugung ist er treu gebheben. Die liberalen Zeitgenossen schaken ihn ein „Chamaleon", da sie ») Heines Werke, ed. Walzel, VII 352. ») Ebenda, VII 140. 170 ihn nicht verstanden, auch nicht verstehen konnten. Ihre geistige Einstellung und damit ihre Zielsetzung war von der seinen durchaus verschieden. Im Anfang unserer Abhandlung schilderten wir, wie die deutsche Jugend von 1830 Börne und Heine als eine Art Doppelstern betrachtete, als zwei Manner, die ein und dasselbe Ziel mit denselben Mitteln zu erstreben schienen x). Wir hatten jedoch Veranlassung zu der Vermutung, es mochten sie mehr die Zeit und die Zeitereignisse, die auBeren Lebensumstande, auf eine Linie gestellt haben, als daB sie wirklich durch geistige Verwandtschaft zusammengeführt worden waren. *) Jetzt, wo wir Börne und Heine als politische Schriftsteller im dritten Dezennium des vergangenen Jahrhunderts kennen gelernt haben, sind wir zu der GewiBheit gelangt, daB das Urteil der Generation von 1'830 falsch war, daB in Börne und Heine sich sogar Gegensatze verkörpern, die so stark sind, daB demgegenüber die vèrwandten Züge in ihrem Leben und Streben fast ganz übersehen werden konnten. Aber auch die Generation von 1840 hatte nur halb recht, als sie das Andenken Börnes, des Charakterfesten, zum Symbol erhob, wahrend sie Heine nur als Talent wollte gelten lassen. Wie haben wir, wie hat unsere Generation zu urteilen? Auch wir haben Börne geehrt als Charakter, wir haben gezeigt, daB gerade um seines Charakters willen die Generation von 1840 in ihm ihr Vorbild erblickt, aber wir folgen ihr nicht in ihrer Verurtei- • lung Heines als Pohtiker. GewiB war Börne der Charaktervollere von beiden8), er hatte es aber dank seiner einseitigen politischen Einstellung auch leichter, als Heine, dessen komplizierte Dichternatur so viele Widersprüche in sich barg. Ist Börne der Charaktervollere, so ist dafür Heine der unendh'ch tiefere Denker. Wenn man das Frei- !) Vgl. S. 48. *) Vgl. s. 54.