DIE VERARBEITUNG BIBLISCHER STOFFE IM DEUTSCHEN ROMAN DES BAROCK DOOR M. J. DEUSCHLE DIE VERARBEITUNG BIBLISCHER STOFFE IM DEUTSCHEN ROMAN DES BAROCK DIE VERARBEITUNG BIBLISCHER STOFFE IM DEUTSCHEN ROMAN DES BAROCK ACADEMISCH PROEFSCHRIFT TER VERKRIJGING VAN DEN GRAAD VAN DOCTOR IN DE LETTEREN EN WIJSBEGEERTE, AAN DE UNIVERSITEIT VAN AMSTERDAM, OP GEZAG VAN DEN RECTOR-MAGNIFICUS, Dr H. BRUGMANS, HOOGLEERAAR IN DE FACULTEIT DER LETTEREN EN WIJSBEGEERTE, IN HET OPENBAAR TE VERDEDIGEN IN DE AULA DER UNIVERSITEIT OP DINSDAG 8 FEBRUARI 1927 DES NAMIDDAGS TE 4 UUR door MARTHA JULIE DEUSCHLE geboren te amsterdam H. J. PARIS amsterdam mcmxxvii AAN MIJN OUDERS Bij de afsluiting van dit werk gevoel ik mij gedrongen een woord van dank te richten tot hen, die mijn studie geleid hebben. Hooggeachte De Jong, onder de velen, die aan Uw voortreffelijke leiding den degelijken grondslag hunner studie voor het Duitsch hebben te danken, mag ook ik mij met erkentelijkheid noemen. Het zij mij vergund, Hooggeleerde Boer, U mijn oprechte dankbaarheid uit te spreken voor de linguïstische vorming, die ik door Uw grondig en logisch onderwijs mocht ontvangen. Grooten dank ben ik U verschuldigd, Hooggeleerde Brugmans, dat ik onder Uw leerrijke leiding een historisch onderwerp mocht bewerken en door de daarbij geopende ruime perspectieven een beter inzicht in de behandeling er van heb mogen verkrijgen. Hooggeleerde Salverda de Grave, het was mij een voorrecht, Uw boeiend college bij te wonen: de fijnheid van geest, waarmee Gij de Fransche literatuur der Middeleeuwen doet herleven, heeft mijn liefde voor dit deel mijner studie in hooge mate versterkt. Maar het meest ben ik U verplicht, Hooggeleerde Scholte, Hooggeachte Promotor, die sinds een reeks van jaren mijn studie geleid hebt. De zuiverheid Uwer streng wetenschappelijke richting en methode is voor mij van onschatbare waarde geweest. Uw scherpzinnige beschouwing van de problemen der literatuurwetenschap heeft mijn blik uitermate verruimd en mij naast de lijn van een onderwerp er de diepte in doen — VIII — zien. Een gevoel van groote dankbaarheid vervult mij ook voor de hulpvaardige wijze, waarop Gij mij bij de vervaardiging van dit proefschrift ter zijde hebt gestaan. Uw nauwgezette plichtsbetrachting en onvermoeide werkkracht zullen mij steeds een voorbeeld blijven. Bovendien zijn wij allen U erkentelijk voor de trouwe vriendschap, die Gij sinds lange jaren aan ons huis bewijst. ElNLEITUNG BIBLISCHE EPIK VOR DEM BAROCK Wie in der gesamten Literatur West-Europas nat auch in Deutschland die Bibel in sprachlicher, stilistischer und stofflicher Hinsicht einen starken und nachhaltigen EinfluB ausgeübt. Das Barock, dem alle nahrenden Stoffe von auBen kommen muBten, ergriff mit Vorliebe diese Geschichte vergangener Zeiten und eines fremden Volkes urn daraus für seine Dichtungen Anregung z\x gewinnen. Vorliegende Arbeit zieht hauptsachlich den Roman in den Kreis ihrer Betrachtung, der kulturhistorisch wie literarisch die bezeichnendste Form für dieses Zeitalter darstellt. Beschrankung auf die Schriften des Alten Testaménts und der Apokryphen als stoffliche Quelle wird dabei zur Bedingung; nur diese Bücher waren für den Schriftsteller des Barock künstlerisch zu verwerten, wie sich im Verlauf dieser Besprechung ergeben wird. Die frühesten Erzeugnisse biblischer Epik sind hauptsachlich geistlicher Natur. Ihre Verfasser werden dabei von verschiedenen Grundsatzen geleitet. Einerseits suchen sie den Inhalt der Bibel dem Laien naher zu bringen, indem sie ihn modernisieren und ausschmücken und so die moralische Nutzanwendung gemeinverstandlicher machen, andrerseits verlieren sie sich in allegorisch-mystische Betrachtungen. Zu Werken letzterer Art gehort das alte Fragment von Esau und Jakob, wahrend das bedeutendste biblische Epos vor-mittelalterlicher Zeit, der altsachsische Heliand, ein bezeichnendes Beispiel für erstere Art der Behandlung ist. In unserm Zusammenhang muÖ es ebenso wie die tief empfundenen Gedichte der Frau Ava (vor 1127), deren Quelle gleichfalls das Neue Testament bildet, unbesprochen bleiben. Auch alle rein-theologischen sowie christlich-legendarischen Auffassungen des Bibelstoffes — es seien die drei Jünglinge im Feuerofen und des Pfaffen Lamprecht Tobias erwahnt — mussen ausgeschaltet werden. Wichtig ist die Wien-Milstdter Genesis. Hier liegt ein deutlicher Versuch vor, bei genauer Nachbildung biblischer Überlieferung den Stoff freier zu gestalten, indem orientalische Brauche in altdeutsche umgewandelt und Anspielungen auf die Gegenwart gemacht werden. Vor allem aber dadurch, daB das Gefühlselement starker betont wird, wobei der Schmerz, besonders in den Totenklagen, zu ergreifender Darstellung gelangt. Die Exodus sucht sich dann auch den Verhaltnissen der Zeit anzupassen, schlieBt sich dabei aber genauer an ihre Vorlage an. Der Vorauer Moses dagegen, besonders der Balaam, ist noch freier in seiner Bearbeitung als die Genesis. Balaams Kampf mit dem widerspenstigen Esel wirkt geradezu wie eine „komische Heldenballade"1). Man würde sich aber irren, wenn man hier auf beabsichtigte Komik schlieBen wollte. Die Dichter sind fast alle in ihrer Auffassung des heiligen Stoffes von feierlichem Ernst beseelt und es ist bemerkenswert, daB in epischen Gestaltungen biblischer Geschichte selten eine Spur von Humor zu finden ist. Nicht Erweiterung dés gegebenen Stoffes, sondern tat- ') Vgl. G. Ehrismann, Geschichte der deutschen Literator bis zum Ausgang des Mittelalters. Zweiter Teil: Die Mittelhochdeutsche Literator'. 1. Frühmittelhochdeutsche Zeit, 1922, S. 96. 2 ' sachlich Hinzufügung eines neuen Elements findet sich in dem Lob Salomons. Zwar wird das Ganze noch von geistlicher Allegorik beherrscht, der Dichter kommt aber dem Volksgeschmack entgegen, indem er nach Spielmannsart einen Drachenkampf Salomons einfügt, von dem die Bibel nichts weiB. Dafür laBt er eine Stelle über den biblischen Tempelban aus, vermutlich weil sie den Leser oder Hörer nicht genügend interessieren würde. Noch mehr sich vom Wesenskern des biblischen Stoffes entfernend, ist die Altere Judith (i. Drittel des 12. Jhs.) ein ausgesprochenes Spielmannslied, das die bereits in diesen frühen Zeiten beliebte biblische Heldin in kraftiger und lebensvoller Darstellung schildert. Wenn Ehrismann sie „das einzige echte geistliche Spielmannslied" nennt, so ergibt sich daraus ihre auBerordentlich wichtige Stellung in der Literaturgeschichte 1). Ein uns überliefertes Makkabderfragment, das um 1160 abgefaöt wurde, tritt daneben völlig in den Hintergrund. Für die Blütezeit der mittelalterlichen Poesie ist die Bibel als Vorlage für literarische Bearbeitungen bedeutungslos: der französische Ritterroman halt seinen Einzug in Deutschland und mit ihm Vorliebe für christliche Mystik und ritterliches Wesen. Erst die Epigonen greifen wieder auf die Bibel als stoffliche Quelle zurück, sie stehen aber der Sache jetzt anders gegenüber: biblische Geschichte vermischt sich für sie mit dem Begriff Weltgeschichte und somit tritt das geistliche Élément, das auch in den freiesten Bearbeitungen bisher zu Grunde lag, zurück. Die Geschichte des Jüdischen Volkes als ein Bruchteil der Historia mundi wird in langen, meistens ') A. a. O., S. 103 ff. 3 " gereimten Chroniken nacherzahlt, die haufig in den biblischen wie profangeschichtlichen Teilen auf eine lateinische Vorlage zurückzuführen sind. Die Bibel in der Redaktion der Vulgata und der Itala bleibt mit der für das ganze Mittelalter ungemein bedeutenden Historia scholastica des Petrus Comestor (ungefahr 1172) Hauptquelle. Daneben werden Kommentare der Kirchenvater, Heiligenleben u. dgl. benutzt. AuBerdem kommt als Quelle Flavius Josephus in Betracht, der oft verwertet und zitiert wird und auch in spateren Jahrhunderten auBerordentlich beliebt bleibt. Diese Beliebtheit verdankt er gewiB zu einem groBen Teil der Darstellungsweise seiner geschichtlichen Berichte. Denn neben dem Historiker ist immer der Mensch und der Künstler am Wort. Seine subjektive Betrachtungsweise verleiht dem Werk eine innere GröBe, die auf keinen Leser ihren Eindruck verfehlt. Dabei liegt die Abweichung von der biblischen Überlieferung nicht so sehr darin, daB er auBere Umstande anders darstellt, als vielmehr darin, daB er seelische Vorgange detaillierter ausmalt. So wenn er die Verführungsszene in der Josepherzahlung überzeugend schildert und ebenfalls, wenn er die VerstoBung der Hagar in die Wüste mit dem feinsten Verstandnis für Abrahams Gefühle erzahlt. Der mittelalterliche Chronist war vor allem bestrebt historische Wahrheit zu bringen. „Die historische Tendenz, die im Willehalm mit der romantisch-romanhaften verbunden ist, bildet in der Weltchronik den alleinigen Gehalt" 1). Aus diesem Grunde wurde ein scharfer Unterschied zwischen den Lügenerzahlungen des Parzival und den Artussagen überhaupt einerseits und den Weltchroniken anderseits gemacht: ') Ehrismann, Studiën über Rudolf von Ems, Heidelberg 1919, S. 102. 4 ■ Die dan die boerde van den Grale, Die loghene van Perchevale, Ende andere vele valscher sagen Vernoyen ende niet en behaghen, Houde desen Spiegle Ystoriale Over die truffen van Lenvale; Want hier vintmen al besonder Waerheit ende menech wonder, Wijsheit ende scone leringhe Ende reine dachcortinghe. (Maerlant, Spiegel Historiael, Prologhe, Boek I, i. Vs. 55—68). Die bedeutendsten deutschen Weltchroniken sind die von Rudolf von Ems und Jansen Enikel. Rudolf von Ems hat seine Chronik riur bis Salomo fortsetzen können, da er über der Arbeit starb (± 1253)1). AuBer der Bibel und der Historia scholastica sind seine Quellen Gotfrid von Viterbo's Pantheon und der Polyhistor des Solinus. In der Darstellung der biblischen Ereignisse weicht er nicht allzu sehr vom Alten Testament ab. Schlicht und vornehm im Ton berichtet er. Menschliches Leid findet warmen, ungekünstelten Ausdruck: disin ungewin klagte mit jamir sere 7115 nah trurechlicher lere Jacob der Gotis wigatn. er zarte har und sin gewant und lepte darnah manegen tag, das er niht wand jamirs pflag 0 Vgi. Vs. 33479—33481. 5 - — 6 — 7120 mit klagelichen sorgen beidiu abint und den morgen: umbe sinis liebisten kindis lebin hat er sih vroiden gar begebin Vergleichen wir hiermit die Beschreibung von Jakobs Trauer in der Chronik Enikels *), dann fallt uns auf, wie unendlich fein, geschult und kultiviert die Epik Rudolfs dem zuweilen possenhaft platten, ja geradezu bahkelsangerischen Ton Enikels gegenüber anmutet. ') Daniël Georg Morhof spricht in seinem Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie (1700) ausführlich über eine Handschrift der Weltchronik Rudolfs, „oriundo ex familia, quae nomen habet ab eminente arce in Rhaetia, quam vulgus nominat hohen Ems" (S. 286 f.). Er bezieht sich dabei auf Theodorus Bibliander und Melchior Goldast und nennt diese Weltchronik eine Poëtische Übersetzung des Alten Testaments, indem er damit zu erkennen gibt, daB ihm ihr eigentlicher Charakter nicht bekannt war. Hieran anschlieBend spricht er dann von einer andern Paraphrase des Alten Testaments, die Hortingerus Bibl. Theolog. 1.1. c. 3 erwahne und für sehr alt halte und „aus welcher ihm (= Hortingerus) einige fragmenta zu Handen kommen, deren eins wir hieher setzen wollen, aus der Historia von Joseph: Do der hunger sere, ie mere und aber meere Begunde hertin ober diu lant und niemand nicht korniB vant u.s.w." Die angebliche, Morhof offenbar unbekannte Quelle ist eben der vorhin von ihm selbst zitierte Rudolf von Ems. Es sind namlich die Verse 7482 bis 7509 seiner Weltchronik, von denen ich die korrespondierenden hier zitiere: Do der hungir sere ie mere und abir mere hertin begunde ubir diu lant und nieman niht kornis vant u.s.w. Hieraus geht hervor, daB Morhof, der eine für seine Zeit gewiB recht gründliche Kenntnis der Literatur des deutschen Mittelalters besaB, doch haufig auf indirektem Wege, nicht durch eigene Erfahrung zu seiner Wissenschaft gelangte. ') Man vgl. Seite 11 dieser Arbeit. — 7 — Jansen Enikels Chronik (nach 1277) reicht bis zum Tode Friedrichs des Zweiten. Sie ist eine Mischung biblischer, legendarischer, historischer und ritterlicher Motive mit Stoffen aus der antiken Heldensage, alles vom Gesichtspunkt weltgeschichtlichen Verlaufes aus berichtet und romanhaft ausgeschmückt. Seine Hauptquelle ist neben der Bibel die Imago mundi des Honorius Augustodunensis. Die Quellenverwertung in Enikels Weltchronik ist eine ganz eigentümhche: von der Tendenz ausgehend, daB Weltgeschichte Fürstengeschichte ist, nimmt er vorzugsweise diejenigen biblischen Erzahlungen auf, in denen sich die Ereignisse urn einen fürstlichen Mittelpunkt gruppieren. LaBt sich das nicht ermöglichen und möchte er die Erzahlung doch gar zu gerne bringen, so verbindet er sie aus eigener Erfindung mit einer regierenden Persönlicbkeit. Nach einer Einleitung wird zuerst der Fall Lucifers, dann die biblische Geschichte in der Reihenfolge der Genesis erzahlt. An Joseph schlieBt sich Moses, an diesen Saul, danach David an. David hatte drei Söhne, den schonen Absalon, den weisen Salomon und den starken Sampsón. Die Frage drangt sich auf, wie Simson in diesen ungewöhnlichen Familienzusammenhang hmeingekommen ist. Die Hypothese Strauchs (in seiner groBen Enikelausgabe S. 215), Simson verdanke seine Einreihung an dieser Stelle nur dem Umstande, daB nében der Weisheit des Salomo und Absalons Schönheit Simsons gigantische Kraft im Mittelalter typisch und sprichwörtlich war, erklart die Tatsache nur zur Halfte, Meines Erachtens liegt hier eben die obige Tendenz zu Grunde: der Dichter konnte die Geschichten Absalons und Salomos erzahlen, weil sie in seine weltgeschichtliche Ordnung hineinpassen, zur Aufnahme der Geschichte Simsons aber, der keinem regierenden Für- stengeschlecht angehörte, muBte er einen Zusammenhang suchen. Da bot ihm der von Strauch angeführte Umstand eine willkommene Gelegenheit, von seinem starken Helden „daz maerel tihten und an daz buoch rihten" *) zu können. So folgt dann der Geschichte Salomo's, dessen Weisheit als Richter besonders hervorgehoben wird, die Geschichte des „herzoc Sampsön". Hier hat der Dichter seine Rolle als Chronist mit der des höfischen Epikers vertauscht, der sich in der Beschreibung schoner Frauen, prachtiger Gewander, und herrlicher Schlösser nicht genug tun kann. Sampsön wird von seiner Geliebten, einer „vil edelen herzoginne", die keinen Namen führt, einem heidnischen König verraten. Dieser entführt sie auf sein prachtiges SchloB und erhebt sie zur Königin. Bei. ihrer Hochzeitsfeier reiBt Sampsön die Saulen des Palastes urn und waz sol ich nü mêr sagen? wan daz ir eïnz dö niht genas. Sampsön ouch da tót was. (13080 ff.). Wir sehen, die alttestamentische Erzahlung wird zu einem höfischen Rittergedicht. Der Nachfolger Salomos ist „Roboam". Zu dessen Zeiten lebte Hiob, der am Ende sein es mühevollen Lebens von Gott zum König gekrönt wurde. Hier geht die biblische Geschichte in die weltliche über und jetzt kommt auch die Heldensage des Altertums in der Beschreibung des Trojanischen Kriegs an die Reihe. Nebucadnezar gibt dann wieder Veranlassung von den drei Jünglingen im feurigen Ofen und Daniël zu berichten, wahrend die Geschichte der keuschen Susanne ohne ') Vs. 11351. - 8 — jeden inneren Zusammenhang in die Geschichte des Königs Cyrus eingeflochten wird. Wir erfahren ferner, daB der Prophet Jesaias lebte, als Ezechias König in Rom war und wie es ihm gelang, dem König noch fünfzehn Jahre langeres Leben von Gott zu erflehen. Das Neue Testament hatte nur religiösen, keinen geschichtlichen Wert für den Verfasser einer Weltchronik, war also nicht Zu gebrauchen. Bei Enikel wird die Geburt Christi einf ach als ein Ereignis wahrend der Regierung des Augustus mitgeteilt, Sankt Peter wird als der erste Papst erwahnt und daran schlieBt sich dann eine Geschichte der Papste und Fürsten Europas. Erkannten wir in dem Aufbau der Weltchronik Enikels ein gewisses Zentralisierungssystem in den einzelnen Geschichten, indem der Dichter bemüht war, sie urn fürstliche Helden zu gruppieren, nicht weniger charakteristisch ist seine Vorliebe für ritterliches und höfisches Leben. Dabei zeigt er mehr Freude am Marchenhaften und an gemütlicher Unterhaltung als an starkem Heldentum. Die kraftvollen Gestalten des Alten Testaments, die eine so groBartig lebendige Darstellung in der Bibel finden, verf lachen zu weichen Durchschnittsrittern, ergreifende Tragik versandet in breit ausgesponnener Marchenerzahlung oder gar burlesker Übertriebenheit. Wer empfindet noch etwas von der grausamen Gewalt des Schicksals, wenn er von dem wahnsinnigen Nebucadnezar liest, wie der „alte herr limmet als ein hunt" und dies es Selbstgesprach halt: bin ich Nabuchodonosör? nein ich! zwar ich bin ein tör. Ein Jager, der „vor sinem hiuslin" steht, lauft vor Schrecken davon, wenn er das Ungeheuer sieht. Nebucadnezar aber — 9 — — io — tritt in seine Hütte ein und empfangt von seiner Frau Speise und Kleidung. „Der man hat gezzen min wip und min kint", denkt der Jager, sieht sie aber friedlich beisammen sitzen und führt dann den König, nachdem dieser sich ihm zu erkennen gegeben hat, zu Daniël. Naiv heiter wie diese Erzahlung ist auch die Geschichte vom Joseph: eines tages er lac und slief. ein troum im in sin herz lief, wie er saez under einem boum. seht! alsö was sin troum: wier üf einem grüenen anger, üf einem plan gesezzen waer ze tal under dem breiten boum. (vs. 4925—4931) x). Nun folgt der Traum von den Gestirnen, aber infolge der in der Josepherzahlung stark hervortretenden Konzentrationstendenz, die auch zu nicht unmittelbar notwendigen Kürzungen führt, ist der Traum von den Garben weggelassen: dö er dö entwachte, des troumes er dö lachte, wan er was sin vil vrö. (vs. 4947 ff.). Der Vater deutet den Traum, die eifersüchtigen Brüder beschlieBen, Joseph zu ertranken. Ruben — der einzige von 0 Dem Joseph hat nicht nur getraumt, er lage unter einem Baum, sondern in Wirklichkeit lag er auch unter einem Baum. Strauch in einer Anm. zu Vs. 4953, in der Enikelausgabe S. 97, übersieht das, wenn er meint, daB Joseph es nur getraumt habe, und deshalb Vs. 4953 beanstandet. den Brüdern, der auBer Benjamin in der Erzahlung bei Enikel hervorgehoben wird, da die Brüder stets als Gruppe auftreten ohne Individualisierung, — schlagt vor, ihn den Agyptern zu verkaufen. Joseph erklart sich damit einverstanden und freut sich, daB er mit den Kaufleuten fortziehen darf. Er bekommt ein Pferd und neue Kleider und wird dem König Pharao verkauft, der ihn zu seinem Marschall erhebt und ihm groBe Macht über das ganze Reich gibt. Unterdessen haben die Brüder dem Vater das in Blut getrankte Gewand Josephs gebracht. Wir erkennen gleich, daB für diesen Teil der Erzahlung Flavius Josephus die Vorlage gewesen ist. Wie bei diesem horen wir hier zum ersten Mal von Josephs Gewand, der bunte Rock als Veranlassung zur Eifersucht wird nicht erwahnt. Auch wird der Knecht, der im Alten Testament die Trauerbotschaft überbringt, fortgelassen. Die Brüder erzahlen, wie sie gesehen hatten, daB Joseph von einem wilden Tier zerrissen worden sei. Die Tauschung wird also nicht durch das Gewandstück, sondern durch die Erzahlung herbeigeführt. Jakob wart vor leid missevar und brach üz dem kopf daz har, daz ez verr von im stoup, als von dem boum tuot daz loup. (vs. 5111—5114). Im Gegensatz zur biblischen Darstellung, wo Josephs Mutter, die liebliche Rahel, bei der Geburt Benjamins gestorben ist, tritt sie bei Enikel als lebende und sich an der Handlung beteiligende Person auf. Sie wehklagt jammerlich. Vor Jammer und Schmerz werden beide Eltern ohnmachtig und — 11 — — 12 — fallen ins Gras: „alsö lagen si zwên tig." Endlich gelingt es dem vereinten Bemühen der Kinder, sie mit Wasser wieder zu sich zu bringen. Auch die Darstellung von Josephs Schicksalen in Agypten weicht von der Bibel erheblich ab. Von Potiphar ist nicht die Rede, Joseph war dem Pharao verkauft worden und es ist die Königin, nicht also Potiphars Hausfrau, die ihn vergeblich zu verführen sucht. Wenn die Brüder bei ihrer ersten Reise nach Agypten Joseph um Korn bitten, befiehlt er ihnen, nachstes Mal Benjamin mitzubringen, ohne sie vorher der Spionage beschuldigt zu haben und ohne einen Bürgen zurückzubebalten. Geschmacklos drastisch, ohne überzeugende Kraft wird die Hungersnot geschildert: ir hüt und ir har gie vor hunger ab dem Hb beidiu man unde wib. diu kint begundens ezzen, die braten ab in vrezzen. (vs. 6108). Die Erzahlung schlieBt nicht mit dem Tode Josephs ab, sondern sie geht in die Geschichte von Moses über. Denn Joseph ist es, der dem Pharao die Geburt eines Kindes verkündigt, das ihn zu Fall bringen werde. Das gibt die Veranlassung zu dem Kindermord in Agypten. Es ist das Motiv des Bethlehemitischen Kindermordes, das an dieser Stelle zu verfrühter Verwendung gelangt. Offenbar erschien es dem Chronisten geeigneter, das Motiv der ungünstigen Prophezeiung, als das der Überbevölkerung zu benutzen. Es würde zu weit führen, hier den weiteren Verlauf der — 13 — Handlung in den biblischen Erzahlungen, wie sie in der Weltchronik Enikels dargestellt wird, zu erzahlen. Es war aber notwendig auf die Josephgeschichte etwas naher einzugehen, da kein Stoff des Alten Testaments so haufig und so verschiedenartig zu epischer Behandlung gelangte wie dieser und für die Vergleichung dieser Anknüpfungspunkt nicht fehlen durfte. Er bietet auch Gestaltungsmöglichkeiten die Fülle: alle Höhen und Tiefen menschlicher Leidenschaften tun sich auf, auf einem farbenglühenden Hintergrund bewegen zich starke und selbstsichere Menschen, deren Geschick sie über wunderbar verschlungene Pfade zu einem harmonischen Lebensausgang führt. Von alledem empfand der mittelalterliche Chronist aber recht wenig. Ihm waren die auBeren Vorkommnisse das Wichtigste, alles Seelische wird denn auch nur in seiner Wirkung nach auBen hin geschildert, wie der Schmerz des alten Vaters, das heiBe Werben der Verführerin und Josephs Kampf der Abwehr. Im Jahre 1256 beendigte der Bibliothekar Ludwigs des Heiligen, Vincent de Beauvais (Vincentius Bellovacensis), den letzten Teil seines groBzügig angelegten Speculant Majus, namlich das Speculum Historiale, dem bereits das Speculum Naturale und das Speculum Doctrinale vorhergegangen waren. Das Speculum Historiale ist eine Weltchronik, die in lateinischer Prosa die Weltgeschichte von der Schöpfung bis auf das Jahr 1250 in einunddreiBig Büchern erzahlt und u. a. als Vorlage für eine niederlandische und deutsche Bearbeitung von der gröBten Bedeutung ist. Die niederlandische Bearbeitung verdanken wir Jacob van Maerlant. Sie ist in Reimversen und wurde 1282 oder 1283 angefangen. Maerlant hatte bereits mit seiner Rymbybel eine Bearbeitung der Scholastica Comestors geschaffen, als er von — 14 — dem Grafen Floris V. angeregt wurde, nun auch die viel gröBere Arbeit einer dichterischen Übersetzung des Speculum Historiale zu unternehmen: Grave Florens, coninc Willems sone, Ontfaet dit werc! Ghi waert de ghone, Die mi dit dede anevaen. (Prologhe vs. 93 ff.)x) Maerlant hat in seiner Bearbeitung manches hinzugefügt, anderes ausgelassen, somit ein selbstandiges Werk gedichtet, wo nur die Tatsachen auf Beauvais zurückzuführen sind 2). Anders die deutsche Bearbeitung. Diese ist in Prosa und bekannt als die Nürnberger Weltchronik Johannes Platterbergers des Jüngeren und des Theodoricus TruchseB. Vermutmutlich hat Platterberger den ersten, TruchseB den zweiten Teil geschriebens). Im Jahre 1459 natten sie, nach ihrer eigenen Angabe, das Werk vollendet. In ihrer Vorrede nennen sie es Excerpta Cronicarum, da sie einen groBen Teil ihrer Chronik „aus dem buch Speculum hystoriale das Bruder Vincencius Burgundus prediger ordens gemacht", entnommen hatten. Auszüge aus dieser Chronik befinden sich in einem Sammelband von Christoph Scheurl (gezeichnet H) aus dem 16. Jahrhundert, wo sie mit den Worten eingeführt werden: „Aus *) Ich zitiere nach der groBen Ausgabe von De Vries en Verwijs, Leiden 1863. *) Die zuerst 1515, dann noch einmal 1556 zu Antwerpen erschienene Bearbeitung: Den Spieghel Historiael, houdende in hem alk hystoryen der waerachtigher Cronijcken ende der Bibelen ende der godlijcker Scriftueren, met alle gheschiedenissen ende vreemtheden der Hystorien ende der Poetrien, die welcke waerachtich sijn ist eine Prosaübersetzung, die nach Vincentius und nach Maerlant verfaBt wurde. Man vgl. dafür De Vries en Verwijs, a. a. O. Einleitung S. l. a) Vgl. Die Chroniken der deutschen Stadte vom 14. Ms ins 16. Jh., Bd. 3, Hrsg. v. K. Hegel, Leipzig 1864, S. 260 ff. r — IA — — 15 — dem andern thail excerpta cronicarum Martin Tuchers." Martin Tucher war der Besitzer der Chronik, allerdings vielleicht nur des zweiten Teiles, der leider bisher noch nicht wieder aufgefunden wurde. Den Inhalt kennen wir nur annahernd aus diesem Auszug und dem Hartmann Schedels (1440— 1514) 1). Auch wurde er von dem humanistischen Geschichtschreiber Sigismund Meisterlin (15. Jahrhundert) *) in seiner Norimberga benutzt. Die Auszüge aus dem Tucherschen Exemplar wurden unabhangig von den Schedelschen gemacht. In der Nürnberger Stadtbibliothek befindet sich eine prachtvoll erhaltene Handschrift des Ersten Teiles. Diese war lange das einzig bekannte Exemplar, bis Herr Lic. Hans Vollmer ein zweites in einer zu Oxford aufbewahrten Handschrift entdeckte. Er berichtet darüber 1912 in der Zeitung für Literatur, Kunst und Wissenschaft, Beilage des Hamburgischen Correspondenten (Jahrg. 35, Nr. a). Mit diesen Übersetzungen und Bearbeitungen des Speculum Historiale wurde in Holland durch Maerlants Vermittlung, in Deutschlands) durch die Vermittlung Platterbergers' und ') Mencke-Jöcher sagt über Schedels Chronik: „Dieses Werck ist unter dem Nahmen der Nürnbergischen Chronick bekannt, weil es 1493 in besagter Stadt zu erst heraus gekommen" (II, 945). Und ahnlich Jöcher (IV, 230), der noch hinzufügt, daB das Werk „in regalfolio" herauskam. *) Jöcher, III, 387: „Sigismund Meisterlin war anfangs Pastor an der St. Sebalds-Kirche in Nürnberg, hernach in dem Kloster Frundlach, und lebte zu Ende des 15. Seculi. Er schrieb eine nürnbergische Chronic von 1360 bis 1480, welche in des Herrn von Ludewig reliquüs vet. aevi Tom. VIII stehet." (Ich zitiere Mencke's zweibandiges Compendiöses Gelehrten-Lexicon (1715) nach der von Jöcher 1725 erneuerten Ausgabe als Mencke-Jöcher, Jöchers vierbandiges Allgemeines GelehrtenLexicon (1750 f.) als Jöcher). *) In Frankreich übersetzte Jean de Vignay zwischen 1317 und 1327 das Speculum Historiale. Die so durch ihn populair gemachte Ystoire — i6 — TruchseB' eine Version der Erzahlung des agyptischen Joseph zum ersten Mal bekannt, die sich weder in der Bibel noch in den sonst gebrauchlichen Quellen findet. Es ist die Geschichte der Gemahlin Josephs, von der Genesis 41, 45 erzahlt wird: „Und gab ihm ein Weib, Asnath, die Tochter Potipheras, des Priesters zu On." Der Inhalt dieser Assenatlegende nach dem Speculum Historiale ist folgender: Assenat, die Tochter des agyptischen Oberpriesters Putiphar, lebt mit ihren Jungfrauen zurückgezogen in einem SchloB zu Heliopolis und dient ihren heidnischen Göttern. Sie hat sich noch nie von einem Manne erblicken lassen und ist unempfindhch gegen die Liebe. Den Vorschlag ihres Vaters, die Gemahlin Josephs, des Unterkönigs von Agypten, zu werden, weist sie mit Empörung von sich. Auf einer Dienstreise kommt Joseph in das Haus Putiphars. Assenat erblickt ihn und wird bis ins Innerste aufgewühlt. Dagegen weigert sich Joseph, ihren WillkommkuB zu empfangen, da er die Lippen nicht berühren mag, die heidnische Götterbilder küssen. Wohl aber segnet er sie. Assenat begfljt sich traurig in ihre Gemacher zurück. In der Einsamkeit wendet sie sich dem Glauben des Geliebten zu. Sie wirft die Götterbilder zum Fenster hinaus und eine Engelserscheinung verkündigt ihr die Vereinigung mit dem Geliebten. Nach einer Woche kommt Joseph zurück und die Hochzeit wird gefeiert. Die Ehe ist sehr glücklich. Die Zeit der Hungersnot kommt, und Jakob und die Seinen siedeln sich in Agypten an. Die Söhne der Magde, Gad, Asser, Dan und Naphtali, sind eifer- Asseneth findet sich in der Sammlung Nouvelles Francoises en prose du XlVe siècle, herausgegeben von L. Moland und C. dHéricault, Paris, 1858 S. 3 ff. — 17 — süchtig auf die Macht und das Ansehen Josephs. Als nun der Sohn Pharaos, der in Leidenschaft für Assenat entflammt ist, Unterstützung zu einer Entführung begehrt, findet er sie bei Josephs neidischen Stiefbrüdern. Assenat wird unterwegs überfallen, von den Söhnen der Lea und Benjamin aber verteidigt und gerettet. In diesem Kampfe wird der Königssohn durch einen Steinwurf Benjamins tödlich verwundet. Auf die Fürbitte der Assenat geschieht den falschen Brüdern weiter kein Leid. Der Königssohn jedoch stirbt an seiner Verwundung, Pharao infolgedessen vor Kummer. Joseph regiert an seiner Statt und Assenat mit ihm. Dies ist in kurzen Umrissen die Erzahlung, wie Beauvais sie gibt. So findet sie sich auch in der von ihm benutzten lateinischen Quelle, die erst Ende des vergangenen Jahrhunderts von Montague Rhodes Jamesx) entdeckt wurde, von der schon eine islandische und eine deutsche Übersetzung bekannt waren. Letztere ist aus dem Jahre 1539 und lautet: Das Testament der zwelf Patriarchen der sünen Jacobs. Uss dem getruckten Menradi Moltheri and Augustini Lantzkroni 113 Jar alt vertolmetscht. Item von Josephs verkauffung und wider efloesung uss dem Kercker eyn liebliche Christenliche histori. Sie wurde. 1569 wieder und 1850 zum dritten Mal gedruckt. Diese lateinische Vorlage des Beauvais war vermutlich von einem Schuier des englischen Bischofs Robert Grosseteste aus dem Griechischen übersetzt worden. Von diesem griechischen Original veröffentlichte zuerst Fabricius ein Fragment in seinem Codex pseudepigraphus Veteris Testamenti (1713)2). •) Batiffol in Stadia Patristica, Paris 1889, ier Fascicule, S. 2. ') Nicht 1723, wie Batiffol a. a. O., S. 2 sagt: 1713 erschien die erste, 1722 eine zweite Ausgabe. Beide befinden sich in der Amsterdamer Universitatsbibliothek. 2 — 18 — Es ist eine jüdische Legende die aber, vermutlich im fünften Jahrhundert, christlichen Einflüssen ausgesetzt gewesen ist*) und in dieser Mischform erst im dreizehnten Jahrhundert in Europa bekannt wurde. Seitdem ist sie wiederholt Anregung und Quelle literarischer Bearbeitungen gewesen. In der deutschen Literatur hat sie in Zesens Roman Assenat ihre schönste Bearbeitung gefunden. Im zweiten Kapitel werden wir uns eingehend damit zu beschaftigen haben. Auch die lateinische Fassung des Speculum Historiale ist als eine in schönster Miniaturarbeit ausgeführte Handschrift in der Nürnberger Stadtbibliothek vorhanden. Ob gerade diese Handschrift die Vorlage für Platterberger und TruchseB gewesen ist, laBt sich mit Sicherheit nicht behaupten. Erschwerend für eine Untersuchung ist der Umstand, daB der erste, die biblischen Erzahlungen enthaltende, Teil im neunzehnten Jahrhundert abhanden gekommen ist und sich vermutlich in England befindet, wahrend der uns erhaltene Erste Teil der deutschen Fassung hingegen die Weltgeschichte von • der Schöpfung bis auf Julius Caesar umfaBt. Es gibt eine Möglichkeit, das Original, aus dem die Nürnberger Chronisten übertrugen, festzustellen. Die Legende berichtet namlich, daB Benjamin den Sohn Pharao's mit einem ') Diese christliche Beeinflussung und eine daraus hervorgehende symbolische Auffassung der Assenatlegende geht aus dem Titel der deutschen Übersetzung hervor, wie er etwas abweichend von der oben zitierten Ausgabe 1539 bei Fabricius Seite 774 gebracht wird: „Die Historia Assenath, von Josephs Verkauffung und wieder Erlösung aus dem Kercker. Von seiner Heyrath und Ausgang, eine liebliche Historia voller Geheimnifi Christi und seiner Gespons. Aus alten lang verborgenen Büchern und Schrifften erfunden, verteutscht und an Tag bracht, darin grosse GeheimniB ersehen werden, ganz tröstlich und lieblichzulesen."Das Jahr dieser Ausgabe wird nicht erwahnt. — ig — Stein tödlich verwundete. So wird es auch in der deutschen 'Fassung der Übersetzung des Beauvais, die sich zu Oxford befindet, erzahltx). In der Handschrift der Nürnberger Stadtbibliothek aber lautet diese Stelle anders: „Da nam Symeon ein stein aus dem fliefi, und slug damit des Kunigs sun an die lincken seyten des Haubts, und warff in von dem pferde, das er vor todt blaib ligen. Darnach sahe Benjamyn das Symeon und Levi kamen, und wolten Dan und Gad tötten, und wurden davon gesterckt, Doch stillet er Irn zorn." Wir haben hier also entweder eine Verschreibung der Nürnberger Chronisten anzunehmen, die Symeon für Benjamin einsetzten, oder einen Irrtum in der Vorlage, den die Übersetzer mit übernahmen. LaBt sich also eine Handschrift des Speculum Historiale feststellen, wo für Benjamin fehlerhaft Simeon steht, so ist dieses Exemplar die Vorlage für die Nürnberger Weltchronik gewesen. Zu den Weltchroniken in Prosa sind auch die s.g. Historienbibeln zu rechnen. Über ihre Entstehung gibt es verschiedene Theorien, es steht aber fest, daB sie gröBtenteils nur Prosaauflösungen der bekannten Weltchroniken Rudolfs und Enikels sowie anderer Reimchroniken sind. Merzdorf*) nimmt an, daB es daneben auch eine Gruppe von auf die Vulgata gegründeten Prosabearbeitungen gegeben habe. Den Namen Historienbibel haben sie erst von neueren Herausgebern erhalten *). Für unsre Besprechung kommen sie weiter nicht in *) Vollmer a. a. O. *) Die deutschen Historienbibeln des Mittelalters. Nach vierzig Handschriften zum ersten Male herausgegeben von Dr. J. F. L. Theodor Merzdorf, Lit. Verein, Stuttg. Tübingen 1870, Bd. 100. 101. 3) Vgl. auch den Artikel Historie von W. Liepe im Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. — 30 — Betracht, da sie keinen Fortschritt in der Behandlung des Stoffes bedeuten x), somit auch keinen Übergang zum Roman darstellen. ') Auch Das buoch von Hester der kunigin mit dem eingeschobenen Fragment aus der Geschichte der Jadith ist ein Bruchstück aus einer gröBeren prosaischen Weltchronik, hauptsachlich nach der Weltchronik Heinrichs von München unter Hinzuziehung der Vulgata. Letzteres gilt besonders für das Fragment von der Judith. Man vergleiche hierüber: Deutsche Volksbücher aus einer Zürcher Handschrift des fünfzehnten Jahrhunderts. Herausgegeben von A. Bachmann und S. Singer, Lit. Verein Stuttgart Bd. 185, S. 331 ff. und Einleitung S. lxi ff. DaB wir auch hierin „nicht Ansatze zu neuer Form, sondern letzte Auslaufer" einer absterbenden Produktion zu sehen haben, setzt W. Liepe, Elisabeth von Nassau-Saarbrücken, Entstehung und Anfange des Prosaromans in Deutschland, Halle 1920, S. 64 f. auseinander. - 20 — Erstes Kapitel DER BIBLISCHE ROMAN ALS HISTORISCHER ROMAN Nun folgt eine Zeit, in der die Bibel als Gegenstand epischer Behandlung in den Hintergrund tritt. Das weltliche Rittertum feiert Triumphe in den Abenteuern der Volksbücher und des Amadis. Nur im Drama lebt die biblische Tradition des mittelalterlichen Schauspiels fort: Adam und Eva, Joseph, Esther erfreuen sich nach wie vor der Gunst des schaulustigen Publikums. Aus fremden Vorbildern herübergenommen finden wir in Deutschland im siebzehnten Jahrhundert jene moderne Prosakomposition, die wir mit dem damals eingeführten Wort Roman zu bezeichnen pflegen. Von allen Dichtungsgattungen ist es wohl gerade diese, die im Lauf der Jahrhunderte die gröBte innere und aüfiere Wandlung durchgemacht hat. Die fortschreitende kulturelle und geistige Entwicklung eines Volkes findet ihren Niederschlag im Roman: wie sich AuBeres von der Form episodenhafter Breite zur konzentrierten Gestalt gestraffter Beherrschung entwickelt, so vertieft sich Inneres zur psychologisch geschauten Menschen- und Menschheitskenntnis. Triebfeder der Handlung des Amadisritters ist Abenteuerlust, der traditionelle Held des Barockromans handelt aus Tugend, der Mensen aber unsres Romans seit Wieland und Goethe, besonders aber seit der Romantik handelt aus innerer Notwendigkeit. — 22 — Zwei Elemente beherrschen die Romanliteratur des Barock: Arkadisches und Heroisches. Auf dem Wege Italiën, Spanien—Frankreich und England—Holland dringt der Schaferroman auch in die deutsche Literatur. Nachdem er Jahrzehnte lang als willige Form gelehrten Preziösentums realitatsmüden Lesern Erholung und Bildung verschafft hatte, wuchs er sich unter Zurücktretung des arkadischen Elements unmerklich zum heroischen Roman aus, wenn wir diese Bezeichnung für den galanten Liebesroman einerseits und die „Staats- Helden- und Liebesgeschichten", den histon'schen Roman, andrerseits anwenden dürfen. Der Begriff historischer Roman für jene Zeit ist weit und verschiedenartig. Er umfaBt die Schlüsselromane a la Octavia, Phantasiegebilde wie die Banise, mit erlogenem Hintergrund, Happelsche Journalistik, die moralisierend-bekehrenden Buchholzschen Machwerke und den galanten Salonroman, der biblische Stoffe verarbeitet. Es ware sehr wohl möglich gewesen, daB der biblische Roman sich zum arkadischen entwickelt hatte. Keime dazu liegen in den alttestamentischen Hirtengeschichten in reicher Fülle. Und gewiB, das Arkadische spielt immer noch hinein, aber nur sekundar. Die Vorlage ist nach diesen Möghchkeiten hin nur vorübergehend benutzt, geschweige denn ausgebeutet. Der Hirtenroman war bereits im Absterben, als der Geschichtsroman sich entwickelte. Dabei liegt das Verhaltnis nicht so, daB der biblische Stoff an sich in der Barockzeit Zur Bearbeitung herausforderte, wie das im Mittelalter der Fall war, sondern wir haben von der Vorliebe für das Geschichtliche auszugehen. Der Schriftsteller will urn jeden Preis einen htstorischen Stoff finden und wem die Profangeschichte nichts Wünschenswertes bietet, der wendet sich — 23 — der Heiligen Schrift zu: „Da es vergonnt ja nöthig ist, sich der Historiën in denen Romans gleichsam zur Richtschnur seiner Erfindungen zu bedienen, wer wolte denn auch solches wohl von denen so in heiliger Schrifft zufinden laugnen können?" Wenn sich Joachim Meier in der Vorrede zu seinen Hebreerinnen (1697) so auBert, so geht er schon einen Schrift weiter als Siegmund von Birken, der in der Vor-Ansprache Zu Anton Ulrich von Braunschweigs Aramena (1669) die Wahl biblischen Stoffes zwar verteidigt, sich aber auf einen viel vorsichtigeren Standpunkt stellt: „Die Geschichtbücher der H. Schrift turen hin und wieder die Heydnische Historiën mit ein, und reden von den Egyptischen, Philistischen, Syrischen, Babylonischen, Griechischen und anderen Königen: ist es demnach auch erlaubet, daB man in heydnischen Geschichtschriften, (d. h. Romanen) gleichfalls der Historiën Heil. Schrifft mit erwehne." Meier weiB wohl, daB es von vielen nicht gern gesehen wird, wenn man Stoffe aus der Bibel zu Romanen verwendet, weil sie der Ansicht sind „man müsse die H. Schrifft nicht zu dergleichen Eitelkeiten misbrauchen, welche deren ehrwürdiges Ansehen in einer liederlichen Gestalt der rohen Welt Zur Verachtung und denen Atheisten zum Frolocken aufführen." Aber er meint, diese Leute seien entweder Heuchler, und dann wolle er nichts mit ihnen zu schaffen haben, oder sie seien schlecht unterrichtet und glaubten, die Geschichten der H. Schrift seien „blosser dings und an sich selbst betrachtet .... heilig zu nennen." Das sei aber geradezu gotteslasterlich, denn dann müBte man auch Erzahlungen wie von Potiphars Weib, Loth und seinen Töchtern und von den abgöttischen Königen heilig nennen. Er vertritt die Ansicht, daB „die Geschichte in der Bibel nach denen Umstanden — 24 — ein oder anderer Begebenheit" heilig zu nennen sei, und wenn man sich daran halte, dürfe man ruhig biblische Stoffe zu Romanen verwenden. Zwar würde es argerlich und gottlos sein, wenn man dasjenige, was „zu unserm Glauben und unsrer Seligkeit darinnen verfasset, in Liebes-Geschichte einschlieBen und der Welt vorlegen wolte .... Wenn man aber dieses meldet, was Abraham, Isaak, Jakob, Joseph und andere in ihrer ersten Jugend gethan", wovon doch die Bibel nichts oder nur sehr wenig erzahle, und wenn man dabei den Charakter einer jeden Person, den sie in der H. Schrift habe, beibehalte und nicht „mit liederlichen und gottlosen Umstanden" vermenge, so sei dies keinesfalls zu tadeln. Allerdings müsse man mit diesen Personen behutsamer als mit andern umgehen. Georg Christian Lehms schrieb zum ersten seiner biblischen Romane, der Michal (1707), eine Vorrede, in der er sich gedanklich und teilweise wörtlich die von Meier ausgesprochenen Ansichten zu eigen macht. AuBerdem führt er die in der Bibel doch auch vorkommenden Liebesgeschichten als Waffe ins Feld, weshalb es denn verboten sein solle, eine Geschichte aus der Bibel „mit allerhand artigen Umstanden unter gemischten Moral-Regeln vernünfftig zu beschreiben." Im Gegenteil, es sei ein „tugendhafftes, lobwürdiges und nützliches Werck" sagt Meier, und Lehms spricht dieselbe Meinung aus. Denn der biblische Roman führe den Leser an die Bibel heran: „Ich habe ehmahls von einem vornehmen Cavallier gehöret, daB die Geschichte des Hiobs, welche der Durchlauchtigste Verfasser der Aramena so anstandig und geschicklich einbringet, ihn bewogen, das gantze Buch Hiob mit grosser Auffmercksamkeit durch zu lesen", wodurch dieser sein ganzes Leben geandert habe. Und Lehms nennt Zesens — 25 — Simson als Werkzeug der Bekehrung, nicht ohne seinen Spott über das Werk zu ergieBen: Mancher nimmt sich nicht die Zeit oder hat keine Lust, die Bibel zu lesen, deshalb müsse man ihm die Tugend als Vorbild, das Laster als „ein erschreckliches Ende bringend" vorstellen. Dazu sei der Roman auBerordenthch geeignet, denn er habe „einen plausibeln Titul, und bildet sich die gantze Welt ein, nichts als ergötzende und anmuthige Sachen darinn zufinden. Daher geschieht es, daB man dieselben begierigst lieset, und der Eyfer Zu denselben uns so gar übernimmt, daB es uns verdreust in deren Lesung entweder gestöret, oder gezwungen zu werden davon abzulassen. Ja unsere Gedancken seynd so gar darauff angehefftet, daB wir nicht ruhen konnen, bi B wir wieder Gelegenheit haben, die unterbrochene Lesung fortzusetzen." So werden die Sittenlehren mit einer süBen Schale überzogen, weil die Welt „anitzo so eckel in Annehmung der Tugendlehren ist, daB man sie nothwendig betriegen muB, wenn man nicht den Namen eines Pedanten bey ihr erlangen wil." Alles in allem, da die guten Romane unter die Tugend- und Moral-Bücher gehören: „welcher vernünfftiger wird es denn immermehr schelten können, daB man sich auch darinnen der Biblischen Geschichte bedienet?" Trotz dieser warmen Verteidigung gab es damals wie heute strengglaubige Gemüter, die sich heftig gegen die Verweltlichung des in ihren Augen unantastbar heiligen Bibelstoffes auflehnten. Begreiflich unter den damaligen Umstanden ist der Protest, wenn er sich, wie bei dem frommen Diakon Johann Joseph Winckler gegen die Darstellung biblischer ') Des Heil. Vaters Chrysostomi Zeugnifi der Warheit wieder die Schau-Spiele oder Comoedien. Verteutschet und in etwas erlautert von. Johann Joseph Wincklern, 1701. — 26 — Historiën auf der Bühne richtet. Denn, sagt Winckler, man geht ja doch nur hinein, um die „BickelharingspaBe" zu hören und nicht wegen der Heiligkeit der Schrift. Und auBerdem ist es unrecht, wenn sündhafte Menschen die biblischen Gestalten darstellen: „Da tritt z. e. einer auff, der den unschuldigen, keuschen und Gottsfürchtigen Joseph praesentiret, und wohl keinen reinen und keuschen Bluts-Tropffen mehr in seinem Leibe haben mag." Wenn aber der erklarte Feind aller Romane, Heidegger, die Verwendung des biblischen Stoffes auch im Roman für unzulassig erachtet, besonders aus dem Grunde, weil die geschichtliche Wahrheit der Erzahlungen EinbuBe erleide, so zeigt sich darin, noch mehr aber in der Art, wie es vorgebracht wird, rechte Beschranktheit. Sein ganzer Discours von den so benanten Romans (1698) ist im Ton des fanatischen Eiferers geschrieben. Die Aramena nennt er „ein unertragliche Beschimpfung und Beschmeissung der Mosaischen Historiën .... welches man auch von Zesens meisten und vilen andren mit fug sagen kan." Auf den Einwand, solche Romane erleichterten aber doch das Verstandnis der Heiligen Schrift, antwortet er, es seien nur „Mistlachen", aus denen das „zu Facilitierung des SchrifftVerstandes nöthige herauB geklaubt" werden müsse. Der biblische Roman will allerdings nichts ander es sein als ein Roman, geschichtliche Wiedergabe des Alten Testaments liegt ihm ferne. Meier bedingt für seine Hebreerinnen ausdrücklich, daB ihm „die untriegliche Warheit der H. Schrifft" nur zum Leitfaden diene, aus dem Labyrinth der fabelhaften Geschichte der ersten Zeit herauszukommen, daB er sich aber an keinerlei Zeitrechnung halten könne, „welches in dergleichen Sachen unmüglich ist." Und er bezieht sich zweifellos auf die Theorie Von Birkens, wenn er fortfahrt: „Zu dem weil die Geschichte — 27 — solcher Zeit, ohne was in der Bibel davon verfasset, grösten Theils in vernünfftigen Muthmassungen bestehen, wodurch man gleichsam die War heit errathen muB, habe ich nichts bequehmers befunden, als Gedichte durch Gedichte zuerklaren." Siegmund von Birken namlich unterscheidet dreierlei historische Schriften: „Die Geschichten in ihrer angebornen ordnung, mit benennung der personen, zeit und orte, beschreiben, ist die gemeinste art der Geschichtschriften, welche man Annales oder Jahrbücher zu nennen pfleget", sagt er im Vorwort zur Aramena und dann fahrt er fort: „Es sind aber sonsten noch zwo arten der Geschichtschriften, deren eine man ein Geschichtgedicht, die andere eine Gedichtgeschicht nennen möchte. Die Gedichtgeschicht-Schriften behalten zwar die warhafte Historie mit ihren haupt-umstanden, dichten aber mehr neben-umstande binzu, und erzehlen die sachen nicht in der ordnung, wie sie sich zugetragen Die dritte art der Geschichtschriften, die Ge- schichtgedichte, tragen entweder eine warhaftige Geschicht unter dem fürhang erdichteter Namen verborgen, sind in ihren umstanden anderst geordnet, als sie sich begeben, und ihre Historie ist mit andern umstanden vermehret, die sich warscheinlich begeben können: oder es sind ganz-erdichtete Historiën, welche der Verfasser erfunden, seinen verstand und sich in der Sprache, darinn er schreibet, zu üben, auch andere, durch lehr-hafte beispiele, von lastern ab, und zur Tugend anzumahnen." Besonders aus diesem Grunde stellt er die Romane über die geschichtlichen Berichte und halt es für Torheit, solche Geschichtgedichte darum verwerfen Zu wollen, weil sie nicht beschreiben, was sich in der Tat begeben hat. Sie „vermalen den nutzen mit der Belustigung, — 28 — tragen güldene Aepfel in silbernen Schalen auf, und versussen die bittere aloe der warheit mit dem honig der angedichteten umstande. Sie sind Garten, in welchen, auf den Geschichtstammen, die Früchte der Staats- und Tugendlehren, mitten unter den Blumenbeeten angenemer Gedichte, herfürwachsen und zeitigen." Es tritt uns hier dieselbe Tendenz der verzuckerten Wahrheit mit Bezug auf die Geschichte entgegen, wie wir sie bei Meier für die Moral gefunden haben. Weniger poëtisch drückt Heidegger es aus, wenn er, unzweifelhaft auf Birken bezugnehmend, schreibt: „Geschicht- gedichte, da allein die Umstande falsch Gedichtgeschich- ten, da alles durchaus erlogen." Diese Stelle beweist nebenbei, daB der ehrenwerte Herr Heidegger hier, wie sonst auch wohl einmal, nicht sehr genau gelesen hat, denn er verwechselt die so sorgfaltig unterschiedenen Begriffe. Harsdörffer dagegen ist derselben Meinung wie Birken: „Das Gedicht (dJi. der Roman) ist viel schicklicher eine Sache vor- und anzubilden, als die waare Geschicht; gleich wie das weiche Wachs gefolgiger ist, in des Künstlers Hand, als der harte Marmol." Und weiter: „Ist also der Dichter seines Wercks Meister, der Geschichtschreiber aber der Warheit Knecht. Wie durch ein RautenweiB-geschnittenes GlaB alles vielfarbig und lieblich zu sehen kommet, also bildet ein solches Gedicht vielerley denckwürdige Begebenheiten, und belustiget den Leser mit so wol gesetzten Worten, und zierlichen Umstanden, die er in den Zeitbüchern nicht begegnen, und finden wird"*). Happel möchte lieber den Geschichtsbericht vom Roman trennen, weil in den Historiën die *) Harsdörffer in der Vorrede zu Biondi's Eromena in der Übersetzung des Unglückseligen (= Stubenberg), Nürnberg 1667. Unter Zeitbüchern versteht er dasselbe wie Birken unter Annalen. — 39 — Wahrheit die Oberhand behalte und in den Romanen die Falschheit dergestalt herrsche, „daB sie falsch heissen mogen im gantzen wesen, und zertheilet" (Insulanischer Mandoréll, 1682). Meier in der Vorrede seiner Zaraide (1695) findet, daB ein Roman überhaupt erst den wahren Wert bekomme, wenn man nicht allein „die Tugend-Lehren, sondern auch die Geschichte und Gebrauche der Völcker bey denen LiebesGeschichten mit einmischen könne" und verweist auf der Dichter „GroB-Vatter" Homer als leuchtendes Beispiel. Bei den Spaniern und Italienern tadelt er den Mangel an Tugendlehren sowohl als an „Wissenschaften" in ihren Romanen. Ihre geographischen Namen seien Phantasie und ihre Chronologie stimme nicht. Es sei erwünscht, Geschichte und Chronologie in Übereinstimmung zu bringen, weil es einem „vernünfftigen Geiste anmuthiger vorkomme, wann er einen Roman lieset, wovon er Spuren in den Historiën findet, und der ihn artig und unvermerkt in dieselben hinein führen kan." Bei der Abfassung seiner Hebreerinnen jedoch hat er nicht ganz so streng geurteilt. Dies artig und unvermerkt in die Historiën hineinführen ist der gefahrliche Punkt. Alle historischen Romane ohne Ausnahme tragen die groBe Gefahr in sich, daB wir unwillkürlich die Ereignisse und Umstande, wenn schon nicht die Personen der geschilderten Epochen für historische Wahrheit halten und uns ein Bild der Vergangenheit formen, das aus der Anschauungswelt des Romans hervorgegangen ist und das niemals so rein, wie ein auf historischen Berichten f uBendes, in uns selbst entstandenes sein kann. Und das um so mehr, je weniger Geschichtskenntnis wir besitzen und je gröBer die Kunst des Dichters ist, der uns in seinen Bann zieht. — 3Q — Für den biblischen Roman lag diese Gefahr nicht nahe. Die Bibel war ja seit Luthers Übersetzung Gemeingut des deutschen Volkes und fast jeder war von Jugend auf mit ihrem Inhak vertraut: in vielen hatten die biblischen Helden also schon eine bestimmte Ideengestaltung ausgelöst, bevor die subjektive Beleuchtung des Schriftstellers sie ihm aufs neue vorführte. Wenige aber empfanden über dem religiösen Gehalt in den biblischen Erzahlungen den Reiz der Schilderung orientalischer Sitten und Gebrauche, des ganzen Milieus des altjüdischen Volkes. Auch keiner der Zusammensteller biblischer Romane. Zesen machte den ernsten Versuch, sich in seiner Assenat damit auseinander zu setzen, über Gelehrsamkeit kommt er aber nicht hinaus. Den Geist ihrer historischen Vorlage waren all diese Dichter nicht imstande wiederzugeben; wir begegnen keinen lebenswarmen Menschen mit heiBem Blut und lodernder Leidenschaft, die sie in Sünde und Schuld verstrickt, sondern eleganten Hofdamen und Cavalieren, die mit feinersonnenen Intrigen und kleinlichen Verdachtigungen ihre Umgebung verseuchen und sich selbst zu Fall bringen. Die Reinheit einer Esther ist nicht aus innerer Sauberkeit geboren, Josephs Treue ist nicht das makellos ehrenhafte Auftreten des Mannes seinem Wohltater gegenüber, alles ist bewuBte Tugend. Fast allegorisch stelzen sie einher, so fest eingehüllt in ihre Tugendhaftigkeit, daB man unter dem Gewand den Menschen nicht spüren kann. Also erblicken wir nicht Darstellung des Menschen innerhalb des Geschichtsbildes der Vergangenheit, sondern Vergewaltigung des Stoffes zu Zwecken moralisierend-tendenziöser Unterhaltung. Der Dichter, der den Zeitnerv verschollener Tage fühlend die Vergangenheit als eine lebendige Gegenwart vor unsern Augen erstehen laBt, schenkt uns mit einem historischen — 3i — Roman ein Kunstwerk, wie die Zeit des Barock keines hervorgebracht hat. Der historische Roman in jenen Tagen benutzte die Geschichte nur als Staffage, die geschichtlichen Helden waren modisch gewandete Marionetten, die Ansichten ihres Erschaffers über Moral verkündigend, in den Zwischenpausen Raum lassend für zahlreiche wissenschaftliche Erörterungen. Diese Neigung, die vielen historischen Romanen auch im neunzehnten Jahrhundert anhaftet, kam der Zeitströmung entgegen und Eichendorff konnte mit Recht die Geschichtsromane des siebzehnten Jahrhunderts „tollgewordene Realencyklopadien" nennen. Hier macht aber der biblische Roman im groBen ganzen eine gunstige Ausnahme. Zwar lieben es Schriftsteller wie Ziegler und Lehms langere odere kürzere moralische Betrachtungen — bei Lehms sogar durch Fettdruck hervorgehoben! — zu halten, den Vorwurf Morhofs aber: „Es ist eine verdrieBliche Sache, wenn man die Gelehrsamkeit will sehen lassen an Oertern, da es sich nicht schicket" verdienen sie nicht. Lediglich auf Zesen hitte dieser Tadel Anwendung finden können. Man war sich der Gefahren bewuBt. Joachim Meier ging sogar so weit, ausdrücklich zu betonen, daB der „SüBe" eines Romans geschadet werde, wenn der Dichter zu sehr das Wissenschaftliche mit untermische, und er plant für seinen eigenen Romanzyklus einen unabhangigen Kommentar, der aber meines Wissens nie erschienen ist. Ausnahmsweise berühren sich hier seine Ansichten mit denen Heideggers. Dieser findet namlich, daB Unterhaltungen über Wissenschaft und Ethik nicht in den Roman, sondern in andre Bücher gehören, da alles „gründlich, in seiner Ordnung, an seinem Orte, mit übrigen dazu gehörigen Materiën" vorkomme. Und wer „in selben Thematibus profitieren wolle", moge sich gefalligst dorthin wenden: „Was nut- — 33 — Zen mir drei Federn, wenn ich den Vogel haben soll?" Durch die Lektüre solcher Romane entstehen nur „elende Stückler, die die Sternen loderen, das Hfinl im Ey pippen horen, und etwa wissen wollen, was Milch ist, da sie doch nicht wissen, was eine Kuh ist." Die „vielfach eingefügten Moralia", von denen Lehms im Vorwort zu Absalon und Thamar die Hoffnung ausspricht, daB sie seinen Lesern nicht miBfallen mochten, und derentwegen Ziegler sich einmal entschuldigt, daB er „denen Herren Geistlichen in das Handwerck getallen" sei, handeln von der Poesie und der Musik, von Hochmut und Verzweiflung, von galantem Wesen und Schönheit, Laster und Tugend, vor allem aber vom Benehmen bei Hof und von der Liebe. Wer sich die unzahligen Betrachtungen über Neid und MiBgunst bei Hof, Verstellung, Schmeichelei, Klugheit, die es vermeidet, Neid zu erregen, Verleumdung, und Ehrgeiz bei der Lektüre zu Herzen genommen hat, der hat gewiB eine eben solche „Hof- und Adelsschule" durchlaufen, wie die Voransprache der Aramena sie für wünschenswert halt. Dabei wird dem galanten Leser jedesmal das durch diese Betrachtungen unterstrichene Verhalten der Helden in der Liebe vor Augen gestellt. Die Macht der Liebe, aber auch ihre Schwache, „unvernünftige" und „vernünftige" Liebe, Geduld bei Enttauschungen, wie man Liebe vor unerwünschten Nebenbuhlern verborgen halten könne, das alles erfahrt man in diesen Liebesromanen. Denn darauf lauft es schlieBlich hinaus: der biblische Roman wie der historische Roman überhaupt ist letzten Endes eine Zusammenstellung aller nur erdenklichen Liebesabenteuer. Nicht in dem Sinne des Amadis, wo die Liebe von den Regeln der Moral los war, sondern in mehr ethischem Sinne, insofern die in streng konventionellen Bahnen gehaltene — 33 — Liebe als höchste Tugend, ihr Widerspiel als schwarzestes Laster dargestellt wird. Ja, sagt Heidegger, und das ist euch allen doch überhaupt das Wichtigste am Roman, ihr überschlagt den ganzen Rest und „verfolgt die Buhl.Histori, alB ein loBgebrochnes Windspiel". Unter diesen Voraussetzungen ist die Auswahl aus dem biblischen Stoff naturgemaB vorgeschrieben: das Neue Testament war nicht verwendbar. Christus war aus künstlerischen wie religiösen Gründen zum Romanhelden durchaus ungeeignet. Lehms, der zur Erlangung der Zahl sechzehn in seinen Heroiden zu Stoffen aus dem Neuen Testament greift, wahlt dazu als ihm geeignet erscheinende Paare: Joseph und Maria, Elisabeth und Zacharias, Herodes und Herodias. Er konnte das tun, weil in der Behandlung als Heldenbrief die Person des Christus sich vermeiden lieB: für eine Romanerzahlung ware sogar der geeignet erscheinende Stoff von Herodes und Herodias im Barock nicht gut möglich gewesen, denn keinem deutschen Schriftsteller damals durfte man zutrauen, eine in die Tiefe seelischer Regungen hinabtauchende Problemstellung Zu erfassen und zu gestalten, ohne dabei ins weitschweifig Breite zu verfallen. Das Herodiasthema, das sich so eng mit dem Salomestoff berührt und an sich einen Barockkünstler gewiB reizen muBte, wie die Malerei es auch beweist, ware ihm unter der Hand zerflossen zu einem christlichen Tendenzroman in dem ein episodisch auftretender Christus in galanter Kostümierung unvermeidlich gewesen ware x). Der mittelalterliche Chronist bevorzugte jene biblischen Erzahlungen, in denen eine fürstliche Person den Mittelpunkt ') In Frankreich schilderte Nicolas Caussin in dem Roman La Cour sainte den Gegensatz zwischen dem Hofleben des Herodes und des Theodosius. Vgl. Koerang I, 207. 3 — 34 — der Ereignisse bildete, der Schriftsteller des Barock trifft seine Auswahl unter den erotischen Erzahlungen des Alten Testaments. Unter diesen steht die Josepherzahlung obenan. Das Verhaltnis Josephs zu seiner Gemahlin Assenat und die Verführungsgeschichte der Frau des Potiphar werden nicht weniger als siebenmal in Romanform oder als eingeflochtene Novelle erzahlt, auBerdem noch dreimal in den Heldenbriefen! Daneb en wird die Geschichte Simsons und die der Est her, haufiger aber noch die des königlichen Hauses David bevorzugt. Der Name der Heldin gibt in den meisten Fallen dem Roman den Titel und drückt ihm damit auch seinen Stempel auf. Bis auf solche Einzelheiten der Technik erstreckt sich der EinfluB des französischen Vorbildes. Denn im Barock ist der deutsche historische Roman vom französischen durchaus abhangig. Es ist nicht anzunehmen, daB der historische Roman in Deutschland unter Anlehnung an den französischen aus Elementen des Amadis und des griechischen Romans entstanden sei. Fertig ist er aus Frankreich herübergenommen, ohne eigene Entwicklung. Die groBe Verwandtschaft mit dem griechischen Liebesroman hat der französische heroisch-galante Roman in demselben MaBe aufzuweisen wie der deutsche; ebenso die Erinnerungen an den Amadis. Die Histoire Afriquaine de Cleomède & de Sophonisbe de Gerzan's (1627/28)*), in der Übersetzung Zesens in ganz Deutschland verbreitet, die Werke la Calpranède's, besonders sein Faramond, die Schlüsselromane der Scudéry und die psychologisch wie stilistisch viel höher stehenden *) Nicht MUe de Scudéry ist die Verfasserin dieses Romans, wie Cholevius und Rohde irrtfimlicherweise angeben, sondern, wie Koerting und Bobertag es richtigstellen, de Gerzan. — 35 — der Grafïn de Lafayette sind die leuchtenden Vorbilder in Frankreich, denen nachzufolgen jeder Auslander sich bestrebte. Allerdings gilt diese Abhangigkeit nicht für den biblischen Roman als spezielle Gattung. In Frankreich wurde aus der Bibel kein Stoff für den Roman geschöpft. Die Lyrik verhielt sich anders: ich erinnere an Belleau's vom Buche Hiob inspiriertes tief empfundenes Gebet: Mon haleine est devenue Si courte et si corrompue, Et la fin me presse tant, Que je ne voy plus que 1'ombre, Et la fosse noire et sombre D'un sepulcre qui m'attend. Auch das Drama nahm gern aus der Bibel Anregung und Stoff. In einem Dichter wie Racine ersteigt das biblische Drama eine unerreichte Höhe. In der französischen Epik sind besonders Belleau (Les Amours de David et de Bethsabée 1572), Du Bartas undd'Aubigné stofflich wie stilistisch von der Bibel abhangig. Dabei handelt es sich aber nicht um Prosawerke sondern um gebundene Epik. Am bedeutendsten ist Du Bartas, der sogar von Tasso imitiert wurde (Monde creato 1592). Sein erstes groBes Gedicht war die Judith (1573). Zwar ist der Stoff der Bibel entnommen, die Ausführung aber steht unter dem EinfluB Homers und Vergils. Am bekanntesten ist seine Schöpfungsgeschichte (la première Semaine 1579, la deuxième Semaine 1584). Sie wurde in viele Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche. Das bekannte Mitghed der fruchtbringenden Gesellschaft - 36 - Tobias Hübner übersetzte unter manchem andern von Du Bartas diese Schöpfungsgeschichte und die Judith. Auch Théodore Agrippa d'Aubigné (1552—1630) dichtete eine Schöpfungsgeschichte und übersetzte Psalmen wie viele seiner Zeitgenossen. Sein bedeutendstes Werk ist Les Tragiques (1617). Darin ist es ihm aber nicht in erster Linie um Wiedergabe biblischer Erzahlungen zu tun: die Bibel ist ihm mehr oder weniger Allegorie für die Zeit der groBen Religionskampfe in Frankreich. Für unsre Besprechung kommt in der Hauptsache Saint-Amand in Betracht. Sein Moyse sauvé (1653) er. zahlt die Geschichte der Juden in Agypten, ihren Auszug und ihre Ankunft an den Grenzen des Gelobten Landes. Dieses Epos entstand in der Zeit, da die Hirtendichtungüppigblühte, und es tragt alle Kennzeichen derselben. Wir finden Hirten und Hirtinnen in allen pastoralen Situationen, in Baume eingeritzte Namen, Sturm und Gewitter und samtliche Requisiten bukolischer Poesie. Auch das Wunderbare spielt eine groBe Rolle. Es ist im wundervollsten précieusen Stil gehalten und rechtfertigt durchaus das Urteil Vianey's: „Et voila tout ce que le grand événement biblique du salut de Moïse et de la sortie d'Égypte parait avoir été pour le poète cher aux précieuses: un thème qui se prêtait a une furieuse dépense d'esprit" Es ist eigentümlich, daB wir unter den deutschen biblischen Romanen keinem einzigen begegnen, in welchem die doch so abwechslungsreiche Mosesgeschichte behandelt wird. Mangel an Erotik wird hiervon wohl die Ursache sein. Zesen alierdings hatte einen Mosesroman geplant; obgleich wir Andeu- ') J. Vianey, La Bible dans la poésie francaise depuis Marot (Revue des cours et des conférences 1922—1923), dem ich die meisten der hier erwahnten Angaben verdanke. — 37 — tungen über das Vorhandensein eines solchen wiederholt bcgegnen x), ist er aber entweder verschollen oder — und das ist das Wahrscheinlichere — nicht zur Ausführung gelangt. Es kommt mir fast undenkbar vor, daB Zesen, ein solcher Kenner der französischen Modeliteratur, den Moyse sauvé nicht auch gekannt und sein eigenes Werk im AnschluB daran geplant, vielleicht sogar entworfen haben sollte. Trotzdem bleibt dies nur Vermutung, bis über den Moses Naheres in Erfahrung gebracht sein wird. Obgleich sich für den biblischen Roman keine direkte Vorlage in Frankreich finden lieB, so ist er doch in seiner Eigenschaft als historischer Roman denselben Gesetzen wie dieser unterworfen und wie dieser vom französischen Vorbild abhangig. Dies zeigt sich in der Auffassung des historischen Stoffes sowohl als in der Konstruktion. Wenn wir die Bibel als unbezweifelte geschichtliche Quelle betrachten — und für den Dichter des Barock war sie das ganz bestimmt — so ergibt sich ein merkwürdiges Romangebaude, in dem geschichtliche Tatsachen mit phantastischen Episoden vermischt werden, wo biblische Helden neben Phantasiegestalten ihre Abenteuer erleben und ihre Partnerinnen umschwarmen. Um das Ganze wahrscheinlicher zu gestalten, werden erdichteten Personen zuweilen biblische Namen angehangt oder sie werden durch Heiraten oder Verwandtschaften mit einander in Verbindung gebracht. Die Lebensschicksale all dieser biblischen und pseudo-biblischen Helden werden zu einem dichten Netz ineinander gewebt. Immer neue Faden werden gesponnen, immer neue Episoden werden vor uns ausgebreitet. Unzahlige Personen *) Siehe das dritte Kapitel dieser Arbeit. - 38 - wandern an uns vorüber ohne einen tiefer en Eindruck zu hinterlassen. Die Haupthandlung verirrt sich derartig in einem Gewirr ungeordneter Nebenhandlungen, dafi der wohl ein „Monstrum memoriae" sein muB, der „über dem letzten Buch sich noch erinnert, was er in den ersten gelesen." Was Heidegger hier mit Bezug auf Lohensteins Arminius so bezeichnend ausdrückt, hat ebenso Geltung für unsern biblischen Roman. Originell vergleicht Heidegger den aus so vielen Episoden Zusammengestellten Roman mit einer Zwiebel. Er spricht auch von ineinandergeschobenen „Pfefferhauseln eines Marck* Schreyers" und seine Aufzahlung der einzelnen Elemente, aus denen ein solcher Komplex besteht, entbehrt ebenfalls nicht der Heiterkeit. Und wirklich, die ganze Szenerie, die gesamte Maschinerie des griechisch-französischen Romans wird treulich kopiert. Wir finden einsame und verfallene Schlösser, verlassene Insein, tiefe Walder, in denen Rauber hausen, Lustgrotten in prachtigen SchloBgarten, Marmorsaulen in herrlichen Palasten, Götzentempel, Gemalde, Feste, Schlachten, Blutbader, Selbstmorde, Duelle, Entführungen, Überfalle, Verirrungen, Verwechslungen, Traume, Prophezeiungen und, um mit Heidegger zu reden, „Nacht- und Hinder- Thür oder Fenster-Visiten, Küsse, Umarmungen, Liebes-Ohnmachten." Nur mühsam laBt sich in einem solchen Labyrinth der historische Faden der biblischen Erzahlung verfolgen und ebenso frei wie mit der Geschichte, verfahrt man mit der Geographie. Die Lage der Lander und Stadte ist geradezu fantastisch. Das eine Mal sind viele Tage nötig zu einer Reise von Memphis nach Lybien, ein andres Mal kann sie in demselben Roman an einem einzigen Tage gemacht werden. Es tauchen nach Belieben Walder auf, wo niemand sie vermuten würde; so stehen die Pyramiden in unmittelbarer Nahe ausgedehnter Waldungen, — 39 — in denen die Entführung einer Prinzessin vor sich geht. Allzu groBe Ansprüche darf man aber auch in dieser Beziehung nicht machen: Geographie war vielen ein unerschlossenes Gebiet und erst viel spater dem Künstler etwas Selbstverstandlich.es. Hatte doch Shakespeare sogar Böhmen an das Meer verlegt und die Ardennen mit Löwen bevölkert. Wenn nun auch allmahlich die Forschung weiter vorgeschritten war, geographische Kenntnis als Bestandteil allgemeiner Bildung hatte sich auch um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts noch nicht durchgesetzt. ZWEITES KAPITEL GRIMMELSHAUSENS JOSEPH UND ZESENS ASSENAT Die erste epische Prosabearbeitung eines biblischen Stoffes im siebzehnten Jahrhundert is Grimmelshausens Keascher Joseph. Die Erstausgabe erschien im Jahr 1667 und führt den Titel: Exempel der unveranderlichen Vorsehung Gottes. Unter einer anmutigen und ausführlichen Histori vom Keuschen Joseph in Egypten, Jacobs Sohn. Vorgestellt So wol aus Heiliger als anderer Hebreer, Egyptier, Perser, und Araber Schrifften und hergebrachter Sag, erstlich Teutsch zusammengetragen durch den Samuél Greifnson vom Hirschfeld. Daselbst druckts Hieronimus Grisenius. Beym Autore und Verleger zu finden. M. DC. LX VII. Ein Exemplar dieser Ausgabe befindet sich in der Universitatsbibliothek zu Leipzig, ein zweites in der Universit2tsbibliothek zu Breslau. Letzteres lag mir vor. 1670 erschien eine zweite Ausgabe, der als Erweiterung Des Grundfrommen keuschen Josephs getreuen Dieners und Schaffners Musai, Denck und Leswürdige Lebens-Erzehlung beigefügt wurde. Die beiden Erzahlungen sind abgedruckt im vierten Bande der groBen Ausgabe der Schriften Grimmelshausens von A. von Keiler (Stuttgart Lit. Verein Bd. 61). Die Erzahlung vom Musai ist als ein Anhang zum Keuschen Joseph anzusehen, in dem Grimmelshausen gelehrte Abhandlungen unterbringt und kommt als biblische Erzahlung nicht weiter in Betracht. — 4i — Der Keusche Joseph nimmt unter Grimmelshausens Werken eine besondere Stellung ein. Er ist seine erste zusammenhangende Erzahlung und als solche Übergangsstufe von den unselbstandigen Bearbeitungen und Zusammenstellungen der ersten Schaffenszeit zu den vollendeten Kompositionen Simplicissimus und Courasche. Zum ersten Mal zeigt sich hier die groBe Kunst des Dichters, seinen Stoff innerlich zu erfassen und zu geistigem Eigentum zu machen, indem er ihn als unentbehrlichen Bestandteil mit dem Geschaffenen verwebt. AuBer der Bibel benutzte Grimmelshausen OrientalischPersische Fassungen der Josephslegende, vor allem, wie Körnchen (Zesens Romane, Berlin 1912, S. 129 ff.) nachweist, die haggadische Auslegung der Genesis und Sepher Hajaschar, dem sich die zwölfte Sure des Koran anschlieBt. Letztere war schon 1617 separat erschienen 1). Daneben verweist Grimmelshausen selbst auf die Orientalische Reisebeschreibung des Adam Olearius, der er angeblich den Namen Selicha für die Gemahlin des Potiphar verdanke. Seine Angabe ist nicht genau, denn in diesem Werk steht nichts von der Selicha. Körnchen stellt fest, daB nichts anderes gemeint sein kann, als die im Persianischen Rosenthal des Scheich Saadi vorkommende Erzahlung von dem Zitronenschalen 2). Das Persianische Rosenthal war von Olearius übersetzt worden und befindet sich in vielen Ausgaben als Anhang der Orientalischen Reisebeschreibung. In *) Man vergleiche auch A. Von Weilen, Der Agyptische Joseph im Drama des XVI. Jhs., 1887, S. 3. *) Diese Zitronengeschichte wird auch von Johann Christoph Mannling dem Olearius zugeschrieben. Er druckt sie etwas vornehmer stflisiert ab in seinen Denckwürdigen Curiositeiten (1713, S. 68 f.). Nachdem er im Anfang gesagt hat, daB sie von Olearius sei, verweist er am SchluB in einer Anmerkung auf den Scheich Saadi: „Olearius in Anmerkungen des Schich Saadi Gülastan. L. I. c. 42. p. 25." — 42 — der Ausgabe 1696 der Amsterdamer Universitatsbibliothek lautet die von Grimmelshausen benutzte Erzahlung folgendermaBen (S. 25): „Die Perser sagen, daB Joseph wegen überaus grosser Schönheit mehr einem Engel als Menschen gleich gesehen, wodurch des Potiphars Frau an ihm so sehr vernarret worden; Ich will, dem Leser zu Gefallen, aus selbiger Historie, wie sie der Persische Paraphrastes oder Beschreiber aus dem Alcoran gibt, etwas, so viel hierzu vonnöthen, gedencken, und an einem andern Orth die gantze Historie weil sie sehr fabelhafft und lacherlich, erzehlen. Als es nun in der Stadt kund geworden, daB das unzüchtige Weib (welche sie Selicha nennen) mit Joseph Unzucht treiben wollen, natten der fürnehmsten Herren Frauen, welche keusch angesehen seyn wolten, sehr schimpfflich von der Selicha geredet. Als ihr das wieder zu Ohren kommen, stellet sie ein Gast bot an, und ladet alle dieselben Frauen darzu ein; Nach gehaltener Mahlzeit leget sie jeglicher eine Cïtrone und Messer vor; indem sie nun die Citronenanschneiden wollen, lasset sie den knaben Joseph mit Handwasser hinein kommen; die Weiber werffen alle die Augen auff ihn, verwundern sich so sehr über seine Schönheit, daB sie gleichsam entzückt, auch ihrer selbst vergessen, und sich in die Hande schneiden, daB das Bluth mildiglich her unter fleust; Selicha fraget, warumb sie an statt der Citronen die Hande also zerfetzen, welche antworteten: Wir erstarren über des Knabens Schönheit, daB wir nicht wissen, was wir thun. Darauff sagte sie: Ja, sehet also hat die Liebe gegen seiner Schönheit auch mein Hertz zerschnitten, da beginnen die Weiber dem Knaben zu verweisen, warumb er ihren Willen nicht erfüllet, etc." Wir dürfen annehmen, daB Grimmelshausen diese Vorlage — 43 — wirklich benutzt hat, und die Erzahlung nicht aus einer andern Quelle schöpfte. Im Sepher Hajaschar namlich steht sie auch, aber ohne das Bild von den „zerfetzten" Handen und dem „zerschnittenen" Herzen. Grimmelshausen verfahrt bei der Herübernahme desselben sehr geschickt. Hier sieht man deutlich, wie sehr der Dichter über dem Stoff steht, den die Quelle ihm bietet. Wenn er die Selicha sagen laBt (S. 86; Keiler IV, 760 f.): „Wann ihr ietzt schon in die Finger hauet, da ihr ihn kaum ansehet, wie meinet ihr wohl, daB eure Hertzen gehackt würden, wann ihr taglich um ihn weret wie ich ?" so mutet das ganz originell an und kein Mensch kame auf den Gedanken einer Entlehnung, besonders weil Grimmelshausen hier gleich fortfahrt: „Keine kunte ihr hierauff antworten, auch die keusche Asanet selbst nicht, als welche sich vor allen Weibern an Fingern am allermeisten: und in ihrem Hertzen mehr als Selicha selbst verwund befand" und dann denselben Gedanken weiter ausspinnt, wenn er spater die Assenat mit „verbundenem Finger und verwunden Hertzen" ihre Cousine Selicha besuchen laBt (S. 116; Keiler IV, 779). Den SchluB der Erzahlung des Persianischen Rosenthals konnte Grimmelshausen nicht beibehalten. Es ware für die untadelhafte Stellung der Assenat nicht günstig gewesen, wenn ihre eigenen Freundinnen, also ihr taglicher Umgang, den Joseph zur Sünde angereizt natten. Noch eine weitere Quelle hat Grimmelshausen verwertet: die Jüdischen Altertümer des Flavius Josephus (Buch II, Kapitel 2—4). Es handelt sich hierbei nicht um eine oder mehrere gröBere Entlehnungen, wie Grimmelshausen sie in andern seiner Schriften, z.B. dem Satyrischen Pilgram Und dem Ewigwahrenden Calender, aufgenommen hat, sondern im Keuschen Joseph lassen sich einzelne Züge, Gedankenfolgen, — 44 — ' Wortanklange, auch wörtliche ÜT>ereinstimmungen nachweisen, die systematisch aus dem Lauf der Erzahlung bei Josephus herübergenommen sind und von Grimmelshausen über die eigentliche Josephhandlung verteilt wurden. Es ist hier dieselbe Technik der Entlehnung, die wir in den Simplicianischen Schriften mit Bezug auf Garzonis Piazza Universale finden. Wenn Joseph den Traum von der Sonne, dem Mond und den zwölf Sternen erzahlt, sagt die Genesis 37, 9: „mich deuchte, die Sonne und der Mond und elf Sterne neigten sich vor mir." Grimmelshausens Joseph berichtet, „daB Sonn, Mond und eilff Sterne sich vom Himmel gelassen, vor seinen Füssen gedemütiget und i h n e a n g ebetet hat ten" (S. 15; Keiler IV, 720). Dies ist offenbar eine erweiterte Anlehnung an Josephus: „Dann es dauchte ihn, die Sonne sammt dem Mond, und eylff Sternen, t h a t e n sich vom Himmel herab, und beteten ihn an" (S. 35)x). — In der Bibel tadelt Jakob seinen Sohn dieses Traumes wegen, dagegen wird bei Josephus sowohl als Grimmelshausen die Freude des Vaters über die glanzenden Aussichten Josephs ausgedrückt. Grimmelshausen erweitert dieses Motiv, indem er eine ausführliche Belehrung über Astronomie und Traumdeutung anschlieBt, die der erfreute Vater seinem Sohn zu teil werden laBt. Gerade dieser Unterricht kommt dem Joseph spater sehr zu statten. — Weiter wird Genesis 37, 11 im Zusammenhang mit diesem Traum vom Neid der Brüder gesprochen. Bei Josephus und Grimmelshausen erfahren wir nur von ihrer Betrübnis. ") Ich zitiere nach der sich in meinem Besitz befindlichen Ausgabe von Conrad Lautenbach, 1574. Die groBe Übereinstimmung im Wortlaut macht es wahrscheinlich, daB Grimmelshausen eben diese Übersetzung benutzt hat. — 45 — In der Rede, die Ruben seinen Brüdern halt um Joseph zu retten, finden sich Übereinstimmungen im Ausdruck, wo vom „Beleidigen" der Gefühle und vom „Brudermord" die Rede ist, sowie im Motiv des nagenden bösen Gewissens. (Josephus S. 35; Grimmelshausen S. 28, Keiler IV, 727). Auch daB Ruben sich entfernt, angeblich um eine bessere Weide zu suchen, hat Grimmelshausen für den Joseph (S. 37 j Keiler IV, 732) aus Josephus (S. 36) entnommen. Die Genesis sagt darüber nichts. — Wie Enikel laBt auch Grimmelshausen den Rock durch die Brüder dem Vater überbringen, und zwar beschrankt er es auf Isaschar und Zabulon (Josephus S. 37; Grimmelshausen S. 46; Keiler IV, 737). Auffallend ist es, daB Grimmelshausen den Joseph um dreiBig Silberlinge, nicht wie in der Bibel und bei Josephus um zwanzig verkaufen laBt. Wahrscheinlich spielt hier die symbolische Vorstellung, die Joseph als den Vorlaufer des Christus ansieht, mit hinein. Das vergebliche Bemühen der Gemahlin Potiphars, Joseph zur Untreue an seinem Herrn zu bewegen und Josephs Standhaftigkeit wird in der Genesis (Kapitel 39) mit wenig Worten abgetan. Grimmelshausen halt sich hier an Josephus, bei dem er reiches Material findet. Einige Zusammenstellungen mögen dies beweisen: Jüdische Altertümer S. 37: „sie solte darauff nicht hoffen, das ihr nit zu theyl werden möge, so werden ihr die böse begird vergehen unnd auBbleiben." Keuscher Joseph S. 106 (Keiler IV, 771): „Wann sie sich nicht nach dem jenigen söhnet, was Ihro nicht gebührt und ihr ohne daB zu bekommen ohnmüglich, so wird sie diese böse Anfechtung bald dampfen." Jüdische Altertümer S. 37: „Dann ob sich wol eyn Knecht - 46 - seiner Frawen nicht widersetzen solte: so sei doch das Werck für sich selber so schandlich, daB man sich desselbigen nicht unterstehen dörffe." Keuscher Joseph S. 104 (Keiler IV, 769): „Ich weiB wohl, daB ich meiner hochgebiedenten Frauen in Unterthanigkeit zu gehorsamen schuldig bin; aber dar neb en ist mir auch nicht verborgen, daB sich mein Gehorsam nicht weiter erstreckt, als in billichen Dingen " Jüdische Altertümer S. 38: „Ermahnet sie auch ihres Ambts, ehelicher pflicht und trew, und sagt, sie solte ihr solches mehr angelegen sein lassen, denn eyn vergengliche und schnöde wollust, darauff allwegen rew unnd leyd, von wegen volbrachter That, volge Keuscher Joseph S. 106 (Keiler IV, 771): „Haltet derowegen euerem Eheherren die verpflichte Eheliche Treu und verschertzet euer geruhig reines Gewissen nicht so liderlich durch eines so kurtzwehrenden Wollusts oder vielmehr Unlusts Willen, welcher sonst nichts, als ein ewigs Hertzenleid, nach sich schleppet." Auch das Motiv, daB die Liebe nicht verborgen bleiben könne, findet sich in der Vorlage, und ebenfalls die vermeintliche Undankbarkeit Josephs, mit der Selicha ihren Gatten aufzuhetzen sucht. Potiphar ist nicht nur erzürnt über den „schandlichen Knecht", der ausgerechnet an einem „heyligen Feiertag" (Josephus S. 39) ihn zu betrügen versuchte, sondern „es gef iel ihm auch selber wol, daB er eyn solches Weib hette, und gab ihr das lob und zeugniB, daB sie ehrlich und redlich an ihm gehandlet hette." Bei Grimmelshausen wird dieser Zorn von dem Stolz auf sein Weib ganz verdrangt. In des Dichters ursprünglich-frischer Weise heiBtes: „aber er kitzelt sich mit seiner Frauen Frommkeit innerlich, wie die höltzerne Puppen — 47 — lachen, daB er nicht zörnen kunte" (S. 112; Keiler IV, 777). „Lieber Jüngling" ist die für Joseph verwendete Anrede, die wir bei Grimmelshausen sowohl wie bei Flavius Josephus finden. Bei letzterem wird diese Anrede dem Pharao in den Mund gelegt, bei Grimmelshausen dem Reichskanzler, der hier Pharao's Stelle vertritt. Grimmelshausen erzahlt weiter, daB Joseph den Namen Psonthom Phanechon vom König bekommen habe. Auch diesen Namen schöpfte er aus Josephus, der hinzufügt: „das ist, eyn erfinder verborgener ding." Genesis 41, 45 wird der Name nicht erwahnt: „Und nannte ihn den heimlichen Rat." Für die Erzahlung von den Reisen der Brüder und der Versöhnung wird Josephus wieder ausgiebig von Grimmelshausen verwertet. Wie selbstandig er dabei ein gegebenes Motiv behandelt, geht aus folgendem Beispiel hervor. Flavius Josephus (S. 42): „DaB wir aber Brüder zusammen, unnd eynes Stammes und Geblüts seien, das sihetman uns wol unterm Angesicht an, damit wir eynander nicht ungleich seind." Gerade umgekehrt im Keuschen Joseph (S. 180; Keiler IV, 819): „Herr: die Ungleichheit unserer Angesichter kommetvonunsern unterschiedlichen Müttern her, welches mit nichten hindert, daB wir niteines einzigenVattern.... Sohne seyen." Ein zweites Mal muB der alte Jakob seine Söhne, und mit ihnen Benjamin, nach Agypten ziehen lassen. Der Abschied trifft ihn schwer, die Genesis erzahlt aber nichts davon, daB er geweint habe, und von den Gefühlen seiner Söhne ist überhaupt nicht die Rede. Dagegen erzahlt Josephus (S. 43): „Es gab aber zu beyden theylen n a s s e A u g e n, da sie von eynander schieden, dieweil sich der Vatter seiner Söhne besorgete, die Söhne aber förchten, - 48 - der Vatter möchte in ihrem abwesen für klimmer ster ben." Und ahnlich Grimmelshausen (S. 191; Keiler IV, 826): „Also f ertigt er sie w e i n e n d ab, und sprach ihnen wol hundert guter Segen nach Die Söhne aber waren so bekümmert um den Vatter, als er um sie, weil sie b esorgten, er möchte sich wegen ihrer HinreiB so sehr betrüben, daB er endlich aus Hertzenleid darüber kranck werden und vor ihrerWiderkunfft sterben möchte." Genesis 44 zu Anfang wird erzahlt, daB Joseph seinem Haushalter befiehlt, den Becher in Benjamins Sack zu verstecken: „Der tat, wie ihm Josef hatte gesagt." Flavius Josephus gibt die Zeit des Befehls an (S. 44): „Als sie nun nach Essens zu beth gangen waren, hieB Joseph seinen Hausvogt Grimmelshausen spricht von dem Befehl überhaupt nicht, er sagt nur, daB Musai den Befehl seines Herrn zu erfüllen eilte und erzahlt dann spater: „Wie nun jederman schlaffen war, steckte Musai einem jeden sein Geld wider in Sack" u.s.w. (S. 199; Keiler IV, 832). Offenbar hat Grimmelshausen bei seiner Entlehnung ein Glied der Kette ausgelassen. Wenn die Beschuldigung Musais groBe Ahnlichkeit mit Josephus zeigt, so noch mehr die Rede Judas. „Gewalts spil man sich nicht miBbrauchen" lautet die erste Marginale auf Seite 46 bei Flavius Josephus. Und im dazu gehörigen Text sagt Juda zu Joseph: „Jetzund stehets in deinem gewalt, du magst uns das Leben, das uns Gott gegeben hat, von rechtswegen nemmen, oder uns dasselbige wider schencken, so verrn du uns nicht tödtest, du kanst Go'ttesgütenachvolgen, und ihm dises orts gleich werden. *) Vgl. Genesis 43, 14. — 49 — Und dieweil es beydes bei dir stehet, so ist es jhe besser und ehrlicher, du beweisest gutes dann böses, lassest dich an deinem Gewalt sattigen, und handelst nicht nach der strenge, sondern gedenckest, du habest deine macht zum heyl der Menschen empfangen, und jhe mehr du bey leben erhaltest, je grösser lob dir daher erwachset." Grimmelshausen laBt den flehenden und zugleich mahnenden Bruder eindringlich sagen: „Herr gebrauche dich deines rechtmassigen Gewalts zum Heil der Armen, die dich so flehentlich darum anruffen!" Etwas christlich-rehgiöse Tendenz schimmert durch, wenn Juda fortfahrt: „Durch Gutthat naherst du dich zu Gott, und ie grössere G na de und Bar mhertzigkeit du uns Elenden erweist, ie mehr machst du dich Gott gleichförmig, welcher dir solche Edle Tugend (darum wir und unser alter Vatter GOtt fleissig bitten wollen) wohlbelohnen wird" (S. 210; Keiler IV, 837). Juda will an Benjamins statt dem Joseph als Leibeigener dienen: „wilt du ihn aber mit dienstbarkeyt verstri eken, so bin ich auch zu deinem dienst vil tüg1 ich er." Und Grimmelshausen: „Ich zwar als ein starcker Mann, will dir besser, als diser schwache Jüngling dienen können." Die Versöhnung findet statt, wobei wieder vom Weinen der Brüder die Rede ist. Wieder fehlt das in der Genesis und bildet Josephus die Quelle, wie auch für die sich anschlieBende Mahlzeit. Der alte Jakob kann die frohe Nachricht vom Wiederfinden seines Sohnes nach Genesis 45 zuerst nicht glauben. Bei Josephus „glaubet ers bald, und erinnert sich der Göttlichen Maiestat und der güte Gottes gegen ihm, die eyn zeitlang verborgen gewe- 4 — 5° — sen." Im Keuschen Joseph war er durch sein „NativitatenBuch" schon vorbereitet und „verwundert sich über die grosse Güte und gnadige Vorsehung Gott es, welche ein Zeitlang sich ansehen lassen, als hatte GOtt seiner gantz ver gessen" (S. 223; Keiler IV, 845). Beim Wiedersehen „fehlete nicht vil, Jacob were für grosser und unversehener freud gestorben" (Josephus S. 48). Derselbe Zug findet sich auch bei Grimmelshausen, aber nicht in der Genesis: „da beydes Jakob und Joseph vor grosser übermassiger Freud schier vergangen waren" (S. 225; Keiler IV,845).Pharao erlaubt ihm dann mit den Seinen in „Heliopolis" zu wonnen (fehlt in der Genesis). Wahrend in der Genesis von Josephs Verhandlungen mit den Einwohnern Agyptens wahrend der Teurung gesprochen wird, verlegt Josephus (S.48) das in die Zeit nachher: „Nachdem aber die Theurung nachgelassen, und das Land wider befeuchtiget und fruchtbar worden, ist Joseph von eynem ort zum andern im Landherumbgezogen u. s. w." Mit ihm Grimmelshausen (S. 229; Keiler IV, 847): „Sobald sich aber die Theurung endet, und der Nilus seiner vorigen Art nach sich ergossen und das Land zur Fruchtbar k e i t genugsam befeuchtigt hatte, war Joseph schon im Land herum gezogen u.s.w." Jakobs Leiche wird auf seine Bitte in Lande Kanaan begraben (Genesis 50, 5). Grimmelshausen übernimmt diese Stelle wörtlich von Flavius Josephus: „Als ihm aber seine Söhne nach seinemBegehren und auff Pharaonis Verwilligung nacher Hebron begraben natten ...." (S. 231; Keiler IV, 848). „Und Joseph führet seines Vatters Leichnam mit verwilligung des Königs gen Hebron und — 5i — bestatiget ihn daselb ehrlich und stattlich zu der Erde" (Josephus S. 49). Und wenn zum SchluB Josephus dem verstorbenen Joseph eine Betrachtung widmet und von seiner Bestattung Mitteilung macht, so stimmt auch mit diesem letzten Abschnitt der Erzahlung der vorletzte bei Grimmelshausen fast wörtlich überein (S. 236; Keiler IV, 850 f.). In seinen übrigen Werken erwahnt Grimmelshausen den Keuschen Joseph mit Vorliebe. Zum ersten Mal im Simplicissimus. Der Pfarrer in Lippstadt hat das Buch vom Hauswirt des Simph'cissimus geborgt bekommen und halt nun dem ihn besuchenden jungen Schriftsteller vor, daB er sich „so lang in der Seliche Liebes-Handeln hatte auffgehalten." Simphcissimus verteidigt sich: er habe es „auB andern Büchern extrahirt", wird aber von dem um sein Seelenheil besorgten Pfarrer doch sehr gewarnt vor „dem Thier, das Zöpff hat" (Keiler I, 486 ff.). Auf diese Stelle spielt Grimmelshausen an im BeschluB der Continuatio (Buch VI) des Simplicissimus 1). In der Widmung zum Zweyköpffigen Ratio Status wird im folgenden Jahr der Joseph dann noch einmal kurz erwahnt. Herr Krafft von Crailsheim habe Greifensohns Keuschen Joseph „zu lesen und zu loben beliebt", deshalb möge ihm dieser „zweygestalltige Kerl" desselben Verfassers gewidmet sein *). Von groBer Bedeutung ist das Zurückgreifen auf seinen Keuschen Joseph im Vogelnest (I, 15). Dort namlich wird er in Zusammenhang gebracht mit einer andern Behandlung des Josephstoffes, dem Roman Assenat von Phüipp von Zesen. ') Man vergleiche hiertiber auch J. H. Scholte, Probleme der Grimmelshausenforschung, Groningen, 1912, S. 158. 2) Abgedruckt bei Scholte a. a. O., S. 146 und 154. — 52 — Der vollstandige Titel lautet: Füips von Zes en Assenat; das ist Derselben, und des Josefs Heilige Stahts-Lieb- und Lebens-geschicht, mit mehr als dreissig schonen Kupferstükken gezieret. Zu Amsterdam, Bei, und in verlegung Kristian von Hagen, Kupferstecher, im 1670 heüjahre. Im Vogelnest (1672) wird uns erzahlt, wie Grimmelshausen — der alte Simplicissimus — das Buch bei dem Wirte Schrepffeysen in die Hand bekommt. Er vergleicht es mit seinem Joseph und bemerkt, daB Zesen in den Anmerkungen zur Assenat gegen ihn polemisiere und dabei doch Anleihen bei ihm gemacht habe. Diese Entdeckung versetzt ihn in eine gereizte Stimmung und führt zu einer energischen Auseinandersetzung und Polemik von seiner Seite. Es handelt sich hier in der Hauptsache um die Quellenfrage und zwar kommen dabei besonders folgende Punkte in Betracht: 1. Der Name der Stadt, wo Pharao Hof hielt, als Joseph nach Agypten kam: Grimmelshausen nennt sie Thebe, Zesen Memfis. 2. Der Name des damals regierenden Königs von Agypten: Grimmelshausen nennt ihn Pharao, seinen Sohn Tmaus, und laBt Tmaus zum König kronen, nachdem Joseph ihm die Traume erklart hat. Zesen nennt ihn Nefrem. 3. a. War Potiphar, der Herr des Joseph, der Vater der Assenat oder war das ein anderer Potiphar? Grimmelshausen nimmt zwei verschiedene Agypter dieses Namens an, Zesen nur einen. b. Hat Potiphar den Joseph für sich gekauft oder auf Anstiften seiner Gemahlin? Grimmelshausen drückt sich hierüber im Vogelnest wie in der Josephgeschichte selbst deutlich aus. Bei — 53 — ihm kauft Potiphar den Joseph für sich, bei Zesen auf Anstiften der Frau. 4. a. War Potiphar Witwer? Bei Grimmelshausen ist er Witwer, und heiratet im Lauf der Erzahlung die Selicha. Bei Zesen hat er zwei Frauen, namlich Toote, die Mut- ter der Assenat, von der wir wenig erfahren, und Sephira. b. Der Name der Gemahlin Potiphars: Grimmelshausen nennt sie Selicha, Zesen Sephira. Bei Zesen findet sich die Polemik in den Anmerkungen zur Assenat (S. 353, 394 f. 404, 408, 442), bei Grimmelshausen im Vogelnest (Keiler III, 447—450) in derselben Reihenfolge, wie bei seinem Angreifer. Nur über den ersten strittigen Punkt schweigt er. Entweder ist er da mit Zesens gelehrter Abhandlung einverstanden oder die Sache war ihm nicht wichtig genug im Vergleich zu den andern Streitfragen. Die Polemik wird von Zesens Seite ruhig und sachlich, von der Seite Grimmelshausens erregt und nachdrückhch geführt: „Simplex sah schellig drein und machte mehr Wort, als sonst sein Gewóhnhr < ;u sein pflegte." Es argert ihn, daB Zesen, der reichliaic Anleihen bei ihm gemacht hat, ohne das offen einzugestehen l), in den Anmerkungen zur Assenat ihn überdies als einen nicht Gelehrtèn ein wenig von oben herab behandelt. „Der Kerl zauset mir das Haar aus und darf hernach allerdings sagen, ich hatte eine falsche Barücke", erklart der Verfasser des Joseph dem Wirt seinen Zorn. Jedenfalls ist es ein starkes Stück, daB Zesen nicht nur den Keuschen Joseph als Quellenangabe weglaBt, sondern in *) K. Gartenhof, Die bedeutendsten Romane Philipps von Zesen, Progr. Nürnberg, 1912, hat (S 49 ff.) die Entlehnungen Zesens bei Grimmelshausen zum Teil nachgewiesen, zum Teü angedeutét. — 54 — der Vorrede seinen Roman noch obendrein als „Vorgangerin" heiliger, nicht weltlicher Liebesgeschichten „dergleichen auf diese weise noch niemand verfasset" angesehen wissen will. Die Verschiedenheit der Meinungen geht bei den oben angeführten Punkten aus der Verschiedenheit der benutzten Quellen hervor. Zesen ist sehr stolz darauf, daB er seine Geschichte so gut fundiert hat: „Ich habe sie nicht aus dem kleinen finger gesogen, noch bloB allein aus meinen eigenen gehirne ersonnen. Ich weiB die Schriften der Alten anzuzeigen, denen ich gefolget" (Vorrede). Er führt eine Unzahl gelehrter Quellen ins Treffen, benutzte aber höchst wahrscheinlich keine von diesen, sondern in der Hauptsache die auch von ihm aufgeführte Geschichte der Assenat und das Testament der zwölf Erzvater. Es gibt eine Fassung der Assenatgeschichte in der von der unsichern Herkunft der Assenat die Rede ist. Einer Überlieferung zufolge war sie die Tochter der Dina und des Prinzen von Sichem; andere sagen, Dina sei die Mutter, Hiob der Vater gewesen. Das Kind sei dann ausgesetzt und von Potiphar aufgenommen und in der bekannten Weise erzogen worden 1). Obgleich nun Zesen Geheimnisvolles in dem Anfang der Assenaterzahlung durchklingen laBt, glaube ich nicht, daB er ihre sagenhafte Abstammung kannte. Denn in den Anmerkungen (S. 409) verteidigt er die Geschmacklosigkeit, daB er nur einen Potiphar annimmt und dadurch Assenat zur Tochter der Sephira macht, der Frau, die ihren spateren Gatten Zu verführen gesucht hat, damit, daB er betont, Assenat sei *) Hierüber vergleiche man Batiffol a. a. O. und besonders V. Aptowitzer, Asenath, the wife of Joseph, Hebrew Union College Annual I, 1924, S. 239—306. Zesen kennt wohl die Sage, daB Dina die Gattin des Hiob war. — 55 — ja die Stieftochter gewesen. Hitte er die Dina-Legende gekannt, dann ware ihm eine sehr brauchbare Entschuldigung von selbst zugefallen, denn dann ware Sephira die Mutter überhaupt nicht gewesen1). Wenn wir Grimmelshausens Verstimmung auch sehr gut verstehen können, so müssen wir ihm doch selbst den Vorwurf machen, er habe seinerseits Zesens Anmerkungen als Quelle benutzt ohne es anzugeben. Wie er namlich im Vogelnest über die Frage spricht, welcher Potiphar Josephs Schwiegervater gewesen sei, beruft er sich auf Augustinus und Vossius als seine Gewahrsmanner (Keiler III, 448). Es ist aber sehr wahrscheinlich, daB er diese nicht selbst gründlich studiert hat, sondern daB er nur sehr geschickt eine Anmerkung Zesens verwertet. Er nennt namlich gerade diejenigen beiden Autoren, auf die Zesen naher eingeht und sagt von innen auch nichts anderes als Zesen, wahrend er die andern weglaBt, von denen in der Anmerkung zur Assenat nur einfach die Namen erwahnt werden (S. 408). Auch für eine andere Stelle bei Grimmelshausen wirkt eine Vergleichung mit Zesens Anmerkungen aufklarend. Es ist die Rede von dem Namen des agyptischen Königs und Grimmelshausen sagt im Vogelnest (Keiler III, 447): dann er (= Zesen) ja selbst tacite gestehet, daB er nicht alle Geschichten hiervon gelesen, mit den meisten aber, so er gelesen, den zu Josephs Zeiten regierenden Pharaonem Nephrem und auch Tomester Nemme." Dieser Satz ist unverstandlich. Die Gesamtausgaben 1683 und 1685 haben am SchluB das Wort „einstimme" hinzugefügt und also dar aus gemacht: „daB er .... mit den meisten ') Wie Zesen seine Quelle verwertet hat, wurde ausführlich von Dr. K. Gartenhof a. a. O. dargelegt. - 56 - aber .... einstimme." Der Zwischensatz „den zu Josephs Zeiten regierenden Pharaonem Nephrem und auch Tomester Nemme" bleibt dabei unverstandlich, es sieht aus, als ob der „Pharaonem Nefrem" und „Tomester Nemme" Schriftsteller seien. Vergleichen wir nun den Zesenschen Wortlaut dieser Stelle, so wird es klar, daB wir es hier bei Grimmelshausen mit einer Verstümmelung zu tun haben. Zesen schreibt namlich (S. 395): „Weil aber die meisten, auch der Assenat Geschicht selbsten denselben Farao oder König, der damahls herschete, als Josef verkauft ward, Nefrem oder Nefrem Tomestor nennen; so haben wir lieber dem meisten hauffen folgen, und den nahmen Nefrem in unserer geschicht vor allen andern behalten wollen." Grimmelshausen schrieb in der Handschrift „n e n n e" und dieses Wort wurde falsch gedruckt und blieb als Druckfehler stehen: „Nemme". Der groBe Anfangsbuchstabe hat wahrscheinlich bereits im Manuskript gestanden: Grimmelshausen schreibt groBe und kleine Anfangsbuchstaben durchaus regellos durcheinander. Das Doppel-n ist leicht mit Doppel-m Zu verwechseln. Der ganze Satz ist jetzt deutlich: Grimmelshausen sagt, daB er (== Zesen) den Pharao mit den meisten seiner Quellen Nephrem oder Tomester nenne. Dadurch, daB dieser Zusammenhang bis jetzt nicht klar war, konnte es geschehen, daB der richtige Wortlaut, der von Tittmann (Simplicianische Schriften II, S. 100) hergestellt, und von Bobertag (Grimmelshausens Werke III, S. 228) übernommen wurde, wieder verloren ging, so daB Borcherdt (Grimmelshausens Werke III, S. 291) schreiben konnte: „daB er nicht alle Geschichten hiervon gelesen, mit den meisten aber, so er gelesen, den zu Josephs Zeiten regierenden Pharaonem Nephrem und auch Tomestor n e h m e." — 57 — Wie aber kommt Zesen zu diesem merkwürdigen Namen Tomestor ? Ich glaube, daB wir hier mit einem MiBverstandnis zu tun haben, und zwar entweder bei Zesen oder bei einer seiner Quellen, auf die er sich ohne Angabe beruft. Die auf Beauvais zurückgehenden Assenatfassungen sprechen namlich von der Namensform Nefrem, die sich bei Comestor für Pharao finde. Die Nürnberger Weltchronik erzahlt:,,DenselbenPharao Comestor Nefrem mit dem andren namen nennt," und Maerlant im Spiegel Historiael: Onder V coningen wart hi lief; Deerste diene ter eeren hief, Dien heet Scolastica Neffrem. Irgend eine Quelle oder gar Zesen selbst wird von Comestors Scolastica nichts gewuBt und für das C ein T gelesen haben, wie es im Druck sehr wohl möglich ist, wodurch sich die Form Tomestor als Name Pharaos eingeschmuggelt hat. Sephira heiBt Potiphars Frau bei Zesen. Er folgt hier Jakob Cats und „anderen", nach Körnchen vermutlich zeitgenössischen Dramen. Wie Ca*~ i . dem Namen kommt, sagt er uns selbst in einer Notiz in der Erstausgabe des Self-Stryt, 1620: „Alsoo noemen wij hier Potiphars huysvrouwe, ende nadien wy geenen naam van haer bij de Oude en vinden, ghebruyeken wy den desen, by eenighe Nieuwe schrijvers (Tc en weet niet van waer) aen-ghenomen." Die Bemerkung im Register: „Sephyra (dat is vleeschelycke lust)" bezieht sich auf die Anlage seines Werkchens. Der Self-Stryt will den Seelenkampf Josephs schildern, „alsof de selve strijd tusschen Geest ende Vlees inden boesem van Joseph alleen ware voorgevallen." Um aber eine bessere Vorstellung davon zu geben, hat Cats, wie er im Vorwort sagt, die -58- Stimme der Versuchung in Josephs Brust durch die Fïgur der Sephyra, die göttliche Stimme der Tugend durch die Figur des Joseph verkörpert. Ich vermute, daB Zesen diese Erstausgabe kannte, obgleich er jedenfalls die Ausgabe 1644 benutzt hat. In der Anmerkung auf S. 440 spricht er namlich über das Hermelinchen, das Cats als Sinnbild der Reinheit dem Joseph zueigne und das er selbst auf dem Titelkupfer zur Assenat reproduziert habe. Diese Abbildung des Hermelinchens aber und das Gedicht, aus dem Zesen ein Stück zitiert, findet sich bei Cats nicht in der editio princeps und einigen folgenden Ausgaben, dagegen wohl in der Ausgabe 1644. Die Notizen zum Text der Erstausgabe stehen nun aber wieder nicht in der Ausgabe 1644. Es ist mir nicht gelungen eine Ausgabe zu finden, die beides vereint. Amsterdam ist die Geburtsstatte der Assenat und mit der Beziehung zu Cats werden wir auf ein ganz bestimmtes literarisches Milieu in Holland hingewiesen, dem Zesen angehörte 1), und in dem auch Jacob Cats eine Rolle gespielt hat. Es ist der Kreis der Anna Maria van Schurman. Sie kannte sowohl Cats als Zesen und der Josephstoff war ihr bei ihrer frommen Veranlagung nicht unsympathisch. Jedenfalls hat Cats seinem Trouringh (1637), in dem wir am SchluB unter andern biblischen Erzahlungen auch die des Joseph 2) finden, ein Bild der verehrten Freundin und ein Huldigungsgedicht ') Man vergleiche auch den Aufsatz über Zesen von Prof. Dr. J. H. Scholte im 14. Jg. von Amstelodamum (1916), S. 37—143 und die Bonner Dissertation von Fraulein Dr. C. J. Bouman, Phïlipp von Zesens Beziehungen zu Holland (1916). ') Die Geschichte des Joseph in der Ausgabe 1671 ist reich illustriert. Auf dem Titelblatt des Self-Stryt 1620 befindet sich eine dieser kleinen Ulustrationen als Titelvignette. — 59 — auf sie vorangestelltx). Wie sehr sie Zesens Assenat schatzte, beweist das Gedicht unter dem von ihr entworfenen Bild Zesens: Le Soleil des Almans, leur Varro, leur Homère, l'Hlustre Zesen, cy déguise sa lumière sous 1'ombre de ces traicts, Mais veux tu voir 1'esclat De son Esprit divin, voyez son Assenat. Eine nahere Beziehung zwischen Cats, Anna Maria van Schurman und Zesen hat möglicherweise bestanden *). Es ist jedenfalls eigentümlich, daB wir sie alle drei in einem Werk beisammen finden, das seiner Art nach abseits von der eigentlichen Literaturgeschichte liegt. In der Amsterdamer Universitatsbibliothek befindet sich unter den medizinischen Werken Johan van Beverwijks eine deutsche Übersetzung Zesens aus dem Jahre 1674. Diese enthalt: 1. den Schatz der Gesundheit, 2. den Schatz der Ungesundheit und 3. die Chirurgia oder Heyl-Kunst8). Die ersten beiden Werke sind mit „ahrtigen Reimen Ritter Jakob Katzens" versehen, wahrend dem Schatz der Gesundheit noch ein Sendeschreiben angehangt ist an „Herrn Johann von Beverwik von Anna Maria von Schürman, Zu Utrecht, am 14. Weinmohndes im 1644 jahre." Dies ist deshalb besonders eigentümlich, weil 1671 beim selben Verlag in Frankfurt am Main, wo Zesens Übersetzung er- ') Für die Beziehungen zwischen Cats und Anna Maria van Schurman ist ein von Fraulein Dr. A. M. H. Douma zum ersten Mal veröffentli chtes Gedicht der A. M. van Schurman: Aan de Musen van Mijnheer Cats aus dem Jahre 163a von Bedeutung (Anna Maria van Schurman en de Studie der Vrouw, Diss. Amsterdam, 1924, S. 76). !) Man vergleiche hierfür die S. 58 Fuünote 1 genannten Werke. *) Goedeke spricht nur von einer Zesenschen Übersetzung des Schatzes der Gesundheit aus dem Jahre 1671, Fraulein Dr. C. J. Bouman von einem Sammelband 1671. — 6o — schien, eine andere Übersetzung vom Schatz der Gesundheit und vom Schatz der Ungesundheit von J. C. S. ans Licht gekommen war, in der das Sendesckreiben fehlt. DaB der Self-Stryt von Cats in Deutschland bekannt-war, beweisen Übersetzungen und Anspielungen1). Auch die Assenat wurde spater in Deutschland gedruckt, wie wir aus den Ausgaben der Jahre 1672 und 1679 zu Nürnberg ersehen. Körnchen behauptet (S. 144), die Ausgaben stimmten mit der Amsterdamer Erstausgabe überein. Da muB aber ein Irrtum vorliegen, Körnchen kannte vielleicht nur die Ausgabe 1672. Die Ausgabe 1679 jedenfalls hat nicht nur „weniger schone Kupfer", wie Körnchen sagt, sondern überhaupt keine. Auch fehlen die literarhistorisch wichtigen Anmerkungen und das Register. Eben diese Anmerkungen gaben mehr als dreiBig Jahre nach ihrem Erscheinen andern Schriftstellern Veranlassung, ihre Werke damit auszuschmücken um mit der bei Zesen geborgten Gelehrtheit ihren Lesern zu imponieren. Und zwar betrifft es hier dieselben Fragen, die bereits die Auseinandersetzung zwischen Grimmelshausen und Zesen herausgefordert hatten und die nun aufs neue von Ziegler und Lehms in ihren Heroiden aufs Tapet gebracht werden a). Beide berufen sich dabei auf Grimmelshausens Joseph und Zesens Assenat, und Ziegler möchte den Anschein erwecken, als ob er Grimmelshausens Werk gut kenne. Ich will das nicht in Abrede stellen, seine Beweisführung bei der Behandlung der obengenannten Punkte aber ist entweder aus Zesen ab- '-) Man vcrgleiche die Heidelberger Dissertation von Fraulein Dr. S. Schroeter, Jacob Cats' Beziehungen zur deutschen Literator (1905). 2) Die Besprechung dieser Heroiden wird in meinem siebenten Kapitel einen Platz finden. Soweit sie aber durch ihre Polemik mit den hier angeregten Fragen zusammenhangen, wird die Behandlung der betreffenden Stellen hier vorweggenommen. — 6i — geschrieben oder wenigstens nach ihm zusammengestellt. Zesen sagt zur ersten Streitfrage: „und Samuel Greiffensohn in seiner Geschicht vom Josef, [nennt] die Stadt Tehbe; die aber allzuweit nach Mohrenland zu lieget. Robert Steffan in seinem Wortbuche der eigenen nahmen, Dezimator in seinem Schatze der Lateinischen Sprache, und viel andere mehr scheinen auch in der meinung zu sein: daB der Egiptischen Könige Hof eher zu Thebe gewesen...." (Assenat S. 353). In der Prosaeinleitung zur siebten Heroide, Die Triumphirende Keuschheit, macht Ziegler daraus: „Welchen aber Samuel Greiffensohn, Robert Stephan, Dezimator und andere so weit widersprechen: daB sie die damahlige Hoffhaltung nach Theben verlegen wollen: Weil aber die Stadt allzuweit gegen Aethiopien gelegen...." So fahrt er noch ein ganzes Stück in teilweise wörtlicher Anlehnung fort. Natürlich entscheidet er sich wie Zesen für den Namen Memphis (Helden-Liebe der Schrifft Alten Testaments, 1691, S. 114). Die zweite Frage wird anschlieBend an die vorhergehende erörtert. Nachdem er fast zwei Seiten lang Zesens Anmerkung (Assenat S. 394 f.) abschreibt, entscheidet er sich in einem Satz, der deutlich die Quelle verrat und die Klarung der bei Grimmelshausen im Vogelnest verdruckten Stelle unterstützt: „Dessen allen aber ungeachtet geben wir denen meisten, und der Ebraeischen Assenat, am billichsten Beyfall, welche den damahligen König Pharao Nefrem, oder Nefrem Tomeslor [bei Zesen Tomestor] nennen" (Helden-Liebe S. 116). Nun behandelt Ziegler die dritte Frage, wieder wörtlich nach Zesen, aber ohne eine Entscheidung zu treffen. Und schlieBlich, bezeichnend in seiner Kürze, weil Zesen hier ebenfalls kurz ist, spricht Ziegler über den Namen der Gemahlin Potiphars: „.... seine Gemahlin, welche Greiffen-Sohn — 62 — Saliche, der Ritter Jacob Kats aber Sephira nennet " Auch er wahlt den Namen Sephira (Helden-Liebe S. 118). Die Berufung auf den „Ritter Jacob Kats" stammt ebenfalls aus der Vorlage. Bei Zesen lautet die Stelle: „Samuel Greiffensohn aber nennet sie, in seiner Lebensbeschreibung des Josefs, woher zeigt er nicht an, Saliche: und andere,denen der berühmte Ritter Jakob Kats, in seinem Selb-streite, und wir ebenmaBig gefolget, Sefira" (Assenat S. 404). Könnte man noch irgend einen Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung hegen, Ziegler habe hier überall Zesen ausgenutzt und Grimmelshausen nur indirekt zïtiert, so muB dieser Zweifel behoben werden, wenn Ziegler von Greiffen-Sohns Saliche spricht wie Zesen, wahrend im Keuschen Joseph die Frau nicht Saliche sondern Selicha heiBt. Ein einziges Mal begegnen wir einer selbstandigen Ver— weisung Zieglers auf Grimmelshausens Joseph. Diese ist aber so allgemein gehalten, daB sich kaum Schlüsse daraus ziehen lassen, ob er das Werk gekannt habe oder nicht: „Wer nun ein Liebhaber der Weitlaufftigkeit von sothanen LiebesNachstellungen ist: der lasse sich belieben, des Samuel Greiffensohns keuschen Joseph, und Zesens Assenat zu lesen: so wird ihm völlige Satisfaction hierinnen geschehen" (HeldenLiebe S. 120). Findet sich also bei Ziegler nirgends eine Spur, daB er tatsachlich mit dem Keuschen Joseph bekannt was, so halte ich es dagegen für wahrscheinlich, daB er das Vogelnest gekannt hat. Denn was hatte er sonst für ein Interesse daran gehabt in seiner Heroide von Zesens vielen Anmerkungen gerade nur diejenigen herüberzunehmen, die gegen Grimmelshausen polemisieren und von diesem in seinem Vogelnest behandelt werden? -63- Wahrend Ziegler in seiner Heroide die Verführerin dem Joseph gegenüberstellte, wahlte sein Fortsetzer Lehms im Zweiten Teil der Helden-Liebe (1710) Assenat zur Heldin der dritten Heroide: Die in Purpur gekleidete Keuschheit, oder Das glückliche Unglück. Auch er beschaftigt sich in der Einleitung mit der Frage, ob der Vater der Assenat, Potiphera, identisch sei mit dem Potiphar, dessen Gemahlin Joseph zu verführen suchte. Und auch er wie sein Vorganger schreibt zu diesem Zweck Zesen ab, ebenso wörtlich wie Ziegler. Es ist ausgeschlossen, daB er seinerseits etwa bei Ziegler Anleihen gemacht hatte, denn er bringt gerade ein Stück der Zesenschen Anmerkung, das Ziegler nicht benutzt hat (Assenat S. 74 f). Wenn es für Ziegler nicht mit absoluter Sicherheit zu entscheiden war, ob er den Keuschen Joseph gekannt hat, so ist diese Kenntnis für Lehms geradezu ausgeschlossen. Denn er weiB nicht einmal, daB Grimmelshausens Werk anders heiBt als Zesens Roman; er zitiert: „Greiffensohn in seiner Assenat" (S. 75). Die andern strittigen Fragen finden bei Lehms keine Behandlung; den König von Agypten nennt er hier (S. 63) und in seinem Roman Absalon und Thamar (S. 713 ff.) Nefrem Tomeslor. Diese Entlehnungen von Ziegler und Lehms werfen in sprachlicher Hinsicht ein helles Licht auf Zesens Stellung als Purist: man sieht, wie wenig Anklang seine Verdeutschungen bei den Literaten des ausgehenden Jahrhunderts gefunden haben. Konsequent ersetzen die Entlehner das deutsche Wort ihrer Quelle durch ein Fremdwort: „Mohrenland" wird „Aethiopien"; „der königliche Hof ist zu Memphis gewesen" heiBt bei Ziegler „der König hat zu Memphis residiert", und Lehms macht aus einem königlichen „Kammerer und Hoffmeister" einen „Politicus und Hofmann." Bis auf die -64- Orthographie erstreckt sich die bewuBte Gegenbestrebung: k wird zu c, f zu ph. Als Grimmelshausen es unnötig fand, daB Zesen seine Assenat schrieb, indem er die Legende mit den aus seines „Josephs Lebens-Beschreibung gezogen Federn.... ausgezieret oder vielmehr vermummet" habe, unterschatzte er das Werk völlig: Zesens Assenat ist ganz entschieden ein literarisches Kunstwerk und nimmt unter allen biblischen Romanen des Barock die erste Stelle ein. Der Keusche Joseph ist eine Erzahlung, die Assenat ein psychologischer Roman. Trotz dieses Versuchs zu seelischer Vertiefung haben die Zesenschen Helden etwas Schablonenhaftes infolge der stark ausgepragten Moderichtung. Auch Grimmelshausen will sich dem Zeitgeschmack anpassen; die Szene zwischen Jakob und Joseph (S. 21 f.; Keiler IV, 724 f.) ist ein typisches Beispiel dafür. Aber im allgemeinen gelingt es ihm so wenig, daB Cohn (Gesellschaftsideale und Geselïschaftsroman des 17. Jhs., 1921, S. 151) ihm sogar vorwirft, er habe aus der Josephlegende eine Burleske gemacht. Diese Auffassung vermag ich nicht zu teilen: Grimmelshausens gesunder Humor und seine ungekünstelte Darstellung haben durchaus nichts Übertriebenes und bei aller Derbheit nie etwas Rohes. Aber seine Helden sind keine feierlichen Holzpuppen; mit einigen Griffen, wie ein Bildhauer, arbeitet er seine Gestalten heraus, haucht ihnen mit dem Atem des Genies echt menschlich.es Leben ein. Schon gleich seine Hauptfigur, der Joseph. Es ist ein lebendiger Schaffner, der uns im Hause des Potiphar entgegentritt. Er hat so viel zutun,daB er darüber keine Zeit zu seinen astronomischen Studiën findet. Unwillkürlich denkt man hier an den überbeschaftigten Schaffner der Schauenburgerl FleiBig und ruhig verrichtet er seine Arbeit, mannlich fest und sicher tritt er der Selicha gegenüber -65- auf. Sein frommes Gemüt, seine Tugend werden nicht auf jeder Seite durch zahllose Adjektive hervorgehoben,wir ersehen sie aus seinem Auftreten. Er spricht, wie Grimmelshausen selbst wohl gesprochen haben wird; ungeschminkt sagt er seine Meinung. Nachdem er die Selicha gründlich abgewiesen hat, schlieBt er: „Wornach sie sich, sie hab im Sinn, was sie wolle, zu richten weiB." Und wir müssen uns über die Schwerhörigkeit der Selicha wundern. Der Joseph Zesens ist zu Anfang mehr passiv als aktiv. Seine Wirkungskraft entwickelt sich erst, nachdem er zum ersten Minister emporgestiegen ist. Dies hangt mit dem Aufbau des Werkes zusammen. Die Erzahlung Grimmelshausens gipfelt in der Selichageschichte, bei Zesen ist dies nur eine Episode in dem ganzen „Stahts-Lieb- und Lebens' -roman. Das Staatsmannische tritt dabei in der Behandlung sehr in den Vordergrund, sein Joseph ist ein diplomatischer Höfling. Bis ins Unendliche wird wiederholt, daB er der Inbegriff alles Tugendhaften sei, ohne daB wir durch kleine hübsche Züge wie bei Grimmelshausen davon überzeugt werden. Geradezu unerfreulich wir kt seine Selbstgerechtigkeit, zumal der Assenat gegenüber. Dieser Zug stammt allerdings aus der Quelle, wird aber von Zesen besonders betont. Am besten ist Zesen die Sephira gelungen, wie er ja Frauencharaktere überhaupt besser schildert als Manner. Hier finden wir seelische Vertiefung, und dramatische Steigerung der Handlung. Grimmelshausens Selicha ist eine sinnlich veranlagte junge Frau, die ohne Überlegung ihren Trieben gehorcht, naiv-schlau ihr Ziel zu erreichen sucht, raffiniert nur in ihrer Haltung Pharao gegenüber, wenn sie ihn mit ihren Liebkosungen in Sicherheit wiegt. Es mangelt ihr jegliches Zartgefühl, wahrend sich die Sephira Zesens durch feineres 5 — 66 — Empfindenunterscheidet, andrerseits auch raffinierter handelt1). Potiphar ist als Oberpriester und Vater der tugendhaften Assenat bei Zesen dementsprechend als frommer, vornehmer und würdevoller alter Herr geschildert. Objektiv in seiner Beurteilung, glaubt er von vornherein nicht ganz an Josephs Schuld. Bei Grimmelshausen hat er nichts von der vornehmen Erhabenheit, er ist bei ihm ja auch nur der Gatte der Selicha. Aber als soldier wieder mit Grimmelshausens heiterem Bliek für das Menschliche gesehen, eitel und eifersüchtig. Auch er wagt es nicht, den Joseph verurteilen zu lassen, aber nicht aus Gerechtigkeitsgefühl, sondern weil er die Entdeckung böser Schwindeleien fürchtet. Es will mir scheinen, als ob Grimmelshausen bei der Gestaltung dieser Figur manchen humoristisch wirkenden Zug dem wirklichen Leben abgelauscht hat. Assenat ist für Zesen die Hauptperson, im Gegensatz zu Grimmelshausen, der dem Joseph die Führung der Handlung überlaBt, dies auch im Titel ausdrückt. Mit Vorliebe schildert Zesen Frauen, in denen das Warten, das Dulden, das sich allmahlich in Schmerz Auflösen, die Passivitat am starksten ausgepragt ist. In ganz eigentümlicher Weise hat er diese Frage der Passivitat für die Assenat gelost. Für alle eingreifenden Handlungen, die bei Grimmelshausen von der Assenat verrichtet werden, erschafft Zesen eine neue Figur, die Königstochter Nitokris. Sie ist in keiner Quelle nachzuweisen, ist also meines Erachtens nur dazu erschaffen, den aktiven ') Das In-Sicherheit-Wiegen des Gatten hat auch Christian Weise stark herausgearbeitet in Floretto oder Die Triumphierende Keuschheit. In diesem Stück (1668; Anhang zu Der Griinenden Jagend überflüssige Gedanken, Halle'sche Neudrucke Nr. 243—245) behandelt er die Verführungsepisode in anderm Gewand, aber sehr durchsichtig dem Josephstoff entnommen. 67- Teil der Assenatfigur zu übernehmen. So tritt sie auf, um die Intrige der Selicha zu entdecken, sie dem Potiphar mitzuteilen, dem Joseph im Gefangnis Erleichterung zu verschaffen und ihn daraus zu erlösen. Um sie schlieBlich mit Anstand aus dem Josephstoff herauszuziehen, wird eine eigene Liebesgeschichte mit einem Lybischen Fürstensohn für sie ersonnen *), Auch das Ende der Assenat soll dieses Element des Duldens hervorheben. In der Ehe mit Joseph muBte sie natürhch glücklich werden, deshalb wurde von auBen Unglück herangetragen. Der Überfall der „Magdesöhne" hat sie derartig erschreckt, daB die Erschütterung genügt, ihr Lebensglück zu zerstören und ihr die Lebensfreude für immer zu rauben. Sie siecht dahin und allen Bemühungen ihres Gatten und seiner Verwandten gelingt es nicht, ihr die Lust am Leben und damit die Gesundheit zurückzugeben. Erst der Tod macht ihrer Schwermut ein Ende. So war auch die Seele seiner überirdischen Rosemund erloschen. Diese von der Quelle abweichende Darstellung steht im gröBten Kontrast zu Grimmelshausens lebenbejahender Auffassung. Dessen Assenat schaut fröhlich ins Leben. Sie greift tüchtig zu, wo es not tut, mit Klugheit lenkt sie den Potiphar. Trotz ihrer Frische ist sie keusch und sittsam in ihrem 6enehmen, gütig behandelt sie die Zofen der Selicha. In ihrer Ehe mit Joseph findet sie volles Glück. Sie ist eine durchaus harmonische Gestalt, wahrend bei der Zesenschen Assenat das Fehlen dieser Harmonie eine beabsichtigte barocke Stimmung erzeugt. *) Eine vortreffliche Vergleichung zwischen Zesen und Grimmelshausen findet sich, auBer bei Körnchen und Gartenhof, bei Manuel Schnitzer, Der Fall Potiphar, 1921, in seinem Kapitel: Die deutsche Frau Potiphar. — 68 — In jeder Hinsicht ist Zesens Assenat ein Muster barocker Kunst. Schon der Aufbau ist bezeichnend: wir werden unvermittelt in die Handlung hineingeführt und die Vorgeschichte wird erst spater nachgeholt. Der Fortgang der eigentlichen Erzahlung wird haufig unterbrochen um gelehrten Verhandlungen Platz zu machen. Wir werden über Pyramiden und Hermessaulen genau unterrichtet, eine neue Gartenanlage wird in Einzelheiten beschrieben, die Burg der Assenat wird erweitert, eine Schule errichtet. Nach dem Tod der Assenat werden wir auf sehr ausführhche Weise über die Einbalsamierung von Leichen belehrt, wobei es manchmal recht medizinisch hergeht. Dies ist übrigens das einzige Mal wo Zesen in diesem Roman geschmacklos ist. Überhaupt gehort die Geschmacklosigkeit der Schlesier nicht zu den Fehlern des Werkes. Alchimie und Astrologie besonders spielen eine groBe Rolle. Das Geheimnisvolle, das der Alchimie anhaftet, wird fast kindüch zum Ausdruck gebracht. Wir erfahren peinlich genau, wie Goldadern ausgebeutet werden; wie man aber durch die Scheidekunst Gold gewinnt, dieses Geheimnis hat Joseph nur den Agyptern verraten und diese haben es verborgen gehalten „daB es andere völker nicht nachtuhn solten" (S. 291). Der Mensch des Barock sehnt sich mehr noch als jeder andere aus dieser irdischen Sündenwelt heraus nach einer Welt des Unirdischen, Idealen: Astrologie ist etwas von allgemeinem Interesse. Der ÜberfluB der Traume, der an sich schon die Assenatlegende und Josephgeschichte schmückt, wird von Zesen noch reich vermehrt. Zum Teil sind sie im Stil der Offenbarung gehalten: ist es doch für Joseph viel ehr en voller, Licht in mystisches Dunkel bringen zu können, als Traume zu er klaren, deren Deutung weniger Schwierigkeiten bietet. Nicht der Geist allein, auch die Sprache in Zesens Roman -6g- ist barock. Im Ausdruck wahlerisch, kann er sich nicht genug tun in prachtvoll farbenreichen Worten, wenn es gilt einen Sonnenuntergang oder ein reichgeschmücktes Prunkgemach Zu beschreiben. Seine Prosa in ihrer markigen Kürze ist gewollt: kurze, scharf pragnierte Satze, antithetisch einen Gedanken hin und her wendend bis zu einem pointierten SchluB. Haufig wiederkehrende Innenreime wirken gesucht. Doch steigert sich der Stil bisweilen zu dramatischer Kr aft und zeigt gerade dann die reinsten Formen des Marinismus 1). *) Sehr charakteristisch ist der geschilderte Zornesausbruch Rubens. Man vergleiche für Zesens Stil und den barocken Stil überhaupt die Arbeit von Herbert Cysarz: Deutsche Barockdichtung, 1924. Vieles verdanke ich aufierdem den Artikeln Barockliteratar, Heroide und Schwulst im Reallexikon der deutschen LiteraturgeschichU. Drittes Kapitel DAVID UND SIMSON ALS HELDEN BEI GRIMMELSHAUSEN UND ZESEN Grimmelshausen sowohl als Zesen haben noch für ein weit er es Werk den Stoff der Bibel entnommen: Grimmelshausen den Büchern Samuel die Geschichte Davids für seine Schrift Ratio Status, Zesen dem Buch der Richter die Geschichte Simsons, die er in seinem gleichnamigen Roman behandelt. Im Jahre 1670 erschien bei FelBecker in Nürnberg unter dem wahren Verfassernamen Grimmelshausens Simplicianischer Zweyköpffiger Ratio Status, lustig entworffen Unter der Histori des waidlichen Königs Saul, des sanfftmütigen König Davids, des getreuen Printzen Jonahtae, und de/3 tapffern Generalissimi Joabi. Es ist ein eigentümliches Werkchen, vorwiegend politischer Art, das von dem gegenseitigen Verhaltnis des Fürsten und seines Volkes und ihrem beiderseitigen Verhaltnis zu Gott handelt. Die Pflichten und Rechte der Fürsten und Völker sind jederzeit AnlaB zu kritischer Betrachtung gewesen. Seitdem Macchiavelli die Sache offen zur Sprache gebracht und sehr entschieden Stellung für den Absolutismus und die an keinerlei moralische oder religiöse Gesetze gebundene Staatskunst genommen hatte, schloB man sich mehr bewuBt einer bestimmten politischen Richtung an und auch unser Renchener SchultheiB hatte sich eine eigene Meinung gebildet. — 71 — Er gehorte zu denen, welche die Staatskunst Macchiavellis als gottlos betrachten, und die Bibel selbst muBte ihm das Material liefern, seine Ansicht würdig zu vertreten. Die Auffassung des Ausdrucks Ratio Status ist bei Grimmelshausen eine ganz merkwürdige: „Eben also seynd auch jede Vorsteher und Regenten verblinden, nichts zu unterlassen, was zu Erhaltung ihrer Person, ihr es Staats und deren die solchen Staat machen, gedeyen mag. Die Ubung s o 1cher selbst Erhaltung, sampt dem FleiB und der Mühe so hierzu angewandt wird, als welche gleichsam das Leben und die Seele eines Reichs oder einer Republique ist, wird von unserer heutigen MemodeWelt Ratio Status genannt, und vor einen solchen wercklichen neuen Kerl gehalten, daB etliche die ihn nicht kennen, über seiner ersten Anschauung oder nur aus hörsagen, erstarren und sich über ihn mehr als über einen noch niemals gesehenen Marckschreyer oder Gauckler verwundern" Der Ratio Status — Grimmelshausen nimmt das Wort immer mannlich — hat zweierlei Gestalt, gut und böse, „je nach dem er etwan von rechtmassigen, frommen, Gott und der Welt gefölligen Regenten, oder aber von ungerechten, gottlosen Tyrannen.... beherbergt, und ihme Folge geleistet wird" (Seite iof.). Diese beiderlei Gestalten sollen „durch warhaffte Biblische Historiën" abgemalt und uns vor Augen gestellt werden, da „kein Stand, kein Haus, ja kein einziger vernünfftiger Mensch" ohne Ratio Status bestehen könne. Denselben Gedanken drückt das Titelkupfer aus. Es ist dreiteilig; das obere Bild stellt den Tod Jonathans im Kampf, das untere die Ermordung Joabs auf den Stufen des Altars ') S. g der Originalausgabe. — 73 — vor. Das Bild in der Mitte zeigt den zweigestaltigen Ratio Status: den frommen, friedliebenden Herrscher mit lorbeerumwundenem Szepter links vom Beschauer, den grausamen Tyrannen mit entblöBtem Schwert rechts. Daneben steht hnks der harfenspïelende König David, rechts Saul, der sich ins Schwert stürzt. Das dazu gehorende Gedicht nennt sich „Das zu dem günstigen Leser redende Kupffer-Blat", und lautet: Die gros auch kleine Welt, Microcosmus genannt, die gröste Monarchi! der kleinste Mann und Stand was da hoch steigen will, auch der besorgt zu sincken, entlehnt von mir ein Kopff, den Rechten1) oder Lincken, nach dem er ist geart, nach dem er hat ein Sinn, darnach nimmt er von mir auch Nutz und Schaden hin, wie mich nun Saul lincks braucht und drüber ward zu [Schanden, der David aber recht, darumb er wol bestanden, auch wie der fromme Printz der treue Jonathan ein Ehren-Todt erwarb; der Joab Feld-Hauptmann hingegen schandlich starb, der doch vor war gewesen, der gröst in Israël, das wird hierinn gelesen, zur Warming vorgestelt damit sich in der Wahl, ein jeder nicht vergreiff, sondern sich hüt vorm Fall, und vor ewiger Qual. Saul und Joab haben den falschen, David und Jonathan dagegen den richtigen Ratio Status erwahlt. Trotz seiner vielen guten Eigenschaften muBte Saul untergehen, weil er aus falscher Politik sich Davids entledigen wollte und über- ') Rechts und links ist hier vom Bild aus gerechnet. — 73 — haupt den Befehlen Gottes zuwider handelte, wahrend David, obwohl er durchaus nicht fleckenlos war, „allein sein Zuversicht auf Gott gerichtet" hatte und infolgedessen seine Regierung mit Erfolg gekrönt sah. Ahnlich wie Saul und David werden Jonathan und Joab einander gegenübergestellt. Überall ist David der Mittelpunkt, das Verhalten der andern Personen ihm gegenüber ist ausschlaggebend. Joabs Treue wird ihm deshalb sehr zum Vorteil angerechnet, Grausamkeit und Machtbegier aber sind sein böser Ratio Status, der ihn sogar zum Ungehorsam gegen seinen Herrn und somit ins Verderben führt. Vorbilder für richtige Staatskunst werden im siebzehnten Jahrhundert haufig der Bibel entnommen. Gewöhnlich wird David, zuweilen Salomo gewahlt. Davids groBes diplomatisches Talent macht ihn dazu besonders geeignet. Die AllerEdelste List der Gantzen Welt.... Eine August-MonatsUnterredung.... durch Erasmum Francisci (1680) führt ihn als Beispiel dafür an, daB die Staatslist etwas durchaus Erlaubtes sei. Denn David lieB den Joab unbestraft, trotzdem er Abner, Amasa und Absalon getötet hatte, um keine Schwierigkeiten zu bekommen, weil Joab ein beliebter General war und oft für ihn gekampft hatte (Seite 2cpf.). Lehms in Absalon und Thamar rühmt geradezu Davids Verhalten bei der Ermordung Abners: „David handelte hierinnen als ein vortreflicher Staats-Mann: Er sahe sich in seinem Reich noch nicht recht befestiget, und hatte ihm solches leicht einen StoB geben können, wenn er den Abner wieder die gegebne Pflicht hatte ermorden lassen, darum suchte er durch klare Zeugnüsse seine Unschuld zu beweisen". Schupp wahlt zum Helden seiner moralisch-politischen Schrift Salomo oder Regenten-Spiegel die Figur des Königs Salomo um — 74 — daran seine Theorien zu erlautern. Seiner Meinung nach stecke in der ganzen Bibel viel Politisches: „Wann ich die Politic lernen solt, so wolt ich fleissig lesen die Sprüch Salomonis, die Bficher Samuelis, die Bücher der Könige und der Chronic. Ich wolte mit allem FleiB betrachten alle Könige in Juda und Israël, was sie für ein Regiment geführt haben, und was es für einen AuBgang mit innen gewonnen hab." Und dann zieht er die Konsequenzen: „Ich wolte genau achtung geben, mit welches Judischen oder Israelitischen Königs Leben überein kame das Leben deB Herrn und Potentaten, welchem ich diente, und darauB wolte ich ungefehr prognosticiren, ob meins Herrn Regiment endlich auf ein Lami auBgehen werde, oder nit? Dann gemeiniglich wo gleiche sünde sind, da folgen auch gleiche straffen." Ausgangspunkt für diese Erscheinung, die Bibel zu politischem Zweck zu verwenden, ist wohl Italien. Die Schriften des Bolognesischen Edelmanns Virgüius Malvezzi waren allgemein verbreitet, unter innen ü Davide perseguitato, von dem sich einspateresOriginalaus dem Jahre 1647 in der Amsterdamer Universitatsbibhothek befindet. Gleich zu Anfang verweist Malvezzi auf die Bibel als Erlauterungsobjekt für politische Angelegenheiten und dann erzahlt er das Leben Sauls und Davids, indem er seine moralischen und politischen Betrachtungen an jedes Ereignis ihrer Geschichte knüpft. Das Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Ebenfalls in der hiesigen Universitatsbibhothek findet sich eine niederlandische Übersetzung des Rechtsgelehrten M. Smallegange (1679), wahrend ein eifriges Mitghed der Fruchtbringenden Gesellschaft, Wilhelm von Lohausen, eine deutsche Übersetzung besorgte, und zwar bereits im Jahr 1638. Die Universitatsbibliothek Kiel besitzt ein auBerst kostbares — 75 — Exemplar dieser Ausgabe des Verfolgten David. Es tragt auf dem weiBen Blatt, das dem Titel vorangeht, eine handschriftliche Widmung des Übersetzers: Ihrer Furstl. Gnaden Ihrer F. G. Herren Johan, Erben zu Norwegen, Bischoffen zu Lübeck, Herzogen zu Schleswig, Holstein, Stormarn undt Diehtmarschen, Graffe zu Oldenburg undt Dolmenhorsten Seinem Gnadigen Fürsten und Herren; Uberschickt dis geringfüegig Büchlein, Der Ubersetzer, Undt Ihrer furstlichen Gnaden AuB Rostock Underthaniger Knecht den 6 hornungs Wilhelm von Lohausen. 1639. Lohausen war ein Kriegsmann, zur Zeit der Übersetzung seines Verfolgten David Kommandant der Stadt Rostock. Mitten im Larin des DreiBigjahrigen Krieges, wo Unterdrückung und Greuelszenen schhmmster Art an der Tagesordnung waren und wohl geeignet, einem Menschen den Glauben an die Menschheit zu rauben, vertauscht der gelehrte Offizier das Schwert mit der Feder und macht einen Versuch dié herrschenden Zustande zu verandern, indem er des Italieners edle Gedanken, die auf die innere Besserung des Menschen und damit auf bessere Verhaltnisse überhaupt abzielen, in reines Deutsch übertragt um das Werk seinen Landsleuten zuganghch zu machen. Die Widmung dieses Buches, in welchem den Fürsten der Zeit unverblümt die Wahrheit gesagt wird, spricht für eine mutige Persönlichkeit des Schenkers und eine groBzügige Gesinnung des fürstlichen Empfangers. -76- Schupp kannte Lohausens Übersetzung. Er aufiert sich darüber in seinem Teutschen Lehrmeister: obgleich er den Ubersetzer sehr schatze, könne er sich doch nicht mit allen Verdeutschungen seiner Fremdwörter zufrieden geben. Als Beispiel führt er das im Titel vorkommende „Obergebietiger" an. Kein Bauer würde das verstehen: „Obergebietiger, Obergebietiger, was ist das vor ein Ding? Allein wenn ich gefragt hitte, wer ist Commandant in Rostock? So würde jedermann geantwortet haben: N. von N. (= Wilhelm von Lohausen) der ehrliche tapffere Cavallir ist Commandant." Ein gewisser EinfluB Malvezzis auf Schupp ist vorhanden. Aber auch Grimmelshausen hat den Verfolgten David gekannt, mehr noch, er hat ihn in seinem Ratio Status nachgeahmt. Das Werk ist ganz dem Verfolgten David entsprechend komponiert, die Tendenz damit in Übereinstimmung. Die auBere Form weicht insoweit etwas ab, als Grimmelshausen den biblischen Text gewöhnlich nicht wörtlich bringt, sondern paraphrasiert und ihn dann mit seinen Betrachtungen erweitert. Dabei erzahlt Malvezzi die Ereignisse in der natürlichen Reihenfolge, wahrend Grimmelshausen sie um seine vier Hauptpersonen gruppiert und den Stoff zusammendrangt. Da die Reihenfolge bei ihm aber Saul, Jonathan, David, Joab ist, wird der Gang der fortlaufenden Handlung nicht allzu sehr gestort. Lohausen stellt seinem Verfolgten David einige Bibelverse als Motto voran. Auch Grimmelshausen tut das; er wahlt dazu die Verse Maleachi 3, 14 bis 16, die treffend die Tendenz der Schrift wiedergeben. Malvezzi benutzt mit Vorliebe den Ausdruck R a g i o n i oder Ratio di stato und Grimmelshausen überriimmt dies in der bekannten Form Ratio Status. Hierin schüeBt er sich nicht seiner Vorlage Lohausen an. — 77 — denn dieser verdeutscht den Ausdruck mit Reden von S t a e t (= Staat). In einer Anmerkung erklart er diese eigentümliche Übersetzung als eine Entlehnung von den „Niederdeutschen Nachbarn", was ihm besser vorkomme, als von „Frembden", d. h. hier natürlich Italienern, zu entlehnen. Smallegange in seiner Übersetzung des Werkes wendet denn auch diesen im Niederlandischen gebrauchlichen Ausdruck an. DaB aber Grimmelshausen den in Malvezzis Werk so haufig vorkommenden Ausdruck in seiner Schrift verwendet und ihn sogar im Titel zur Bezeichnung des Inhalts wahlt, ist ein Grund mehr für die SchluBfolgerung, daB er den Verfolgten David gekannt hat, in dem der Ausdruck in so nahe Verbindung mit den biblischen Helden gebracht wird. Der politischen Schrift Ratio Statos hat Grimmelshausen eine kleine biblische Erzahlung angehangt, die zum allerbesten gehort, was er geschaffen hat. Der Zusammenhang mit dem Vorangehenden ist rein auBerlich: da er doch schon Salomo und die Jungfrau Abisag von Sunem habe erwahnen müssen, wolle er noch mehr davon erzahlen, „damit das übrige Weisse Papier vollents über und über beklettert werde." Solchen BeschluB nun wolle er vor allen Dingen „dem löbhchen Frauen-Zimmer" dedizieren, und in der Überschrift betont er dies nachdrücklich: Angehdngter Discurs vom Favoriten Sabud, an Statt defi Beschlusses dem hochlöblichen FrauenZimmer zu sonderbahren Ehren und wolge)'allen hieher gesetzet. In dieser Widmung birgt sich eine Satire, wie sich aus dem Inhak der Erzahlung ergeben wird. König Salomo nimmt seinen Freund Sabud *) mit in seinen Harem. Dort ') i. Könige 4, 5: „Sabud, der Sohn Nathans, war Priester, des Königs Freund." -78- sicht er die wunderschöne Abisag von Sunem und wird von heftiger Liebe zu ihr ergriffen. Seinem unausgesprochenen Liebeskummer macht der König ein Ende, indem er ihm die Erwahlte zur Gemahlin gibt. Aber er knüpft eine Bedingung an diese Gabe: Sabud muB sich noch etwas vom König wünschen, was andre sich nicht zu wünschen getrauen dürften. Die Heirat wird vollzogen, die Zeit des Wunsches naht, aber Sabud, den Salomo fürstlich mit Land und Leuten beschenkt hatte, weiB nichts. In der Hochzeitsnacht bemerkt Abisag sein gedrücktes Wesen und erteilt ihm einen guten Rat. Der König könne die Sprache aller Tiere und Vogel verstehen und nun solle Sabud ihn um diese Kunst bitten. Sabud findet den Vorschlag ausgezeichnet und Salomo gewahrt ihm die Bitte. Bei Todesstrafe darf er aber keinem Menschen etwas davon verraten. Das ist jedoch zuviel für die Neugier seiner Frau. Zuerst versucht sie mit Schmeicheln, dann mit Qualen hinter das Geheimnis zu kommen. Sabud aber halt an seinem Versprechen fest und wird durch das lieblose Verhalten der Abisag fast zur Verzweiflung getrieben. Eines Tages sitzt er in einer Gartenlaube und gibt sich ganz seinen trübsinnigen Gedanken hin. Die Gartentür hatte er zu schlieBen vergessen und der Hahn mit seinen Hennen kommt herein. Der treue Hund Herodes will sie hinausjagen, und fragt, ob sie denn nicht sehen könnten, daB ihr Herr so betrübt sei und nicht gestort werden dürfe. Ei, meint der Hahn, was ihm denn fehle. Da erzahlt der Hund die ganze Geschichte. Der Hahn wundert sich, er habe zwölf Frauen und sie seien ihm alle gehorsam, ob denn sein Herr keinen Prügel habe um damit die Frau zur Vernunft zu bringen? Dem Herodes kommt das sehr unpassend vor und er jagt die Gesellschaft hinaus. Sabud aber hat alles mit angehört — 79 — und beschlieBt ein Ende zu machen im Sinne des Hannes. Das Mittel wirkt glanzend, Abisag ist sofort geheilt und Sabud hat wieder eine gehorsame Frau. Der Dichter richtet sich mit dieser Erzahlung, indem er sie „dem hochlöblichen Frauen-Zimmer zu sonderbahren Ehren" widmet, gegen die in Literatenkreisen allgemein gewordene Verehrung der Frau. Er selbst vertrat den bürgerlich-konservativen Standpunkt, der die Frau in einem untertanigen Verhaltnis zum Manne betrachtet. In all seinen Werken und in hohem MaBe auch hier zeigt sich eine bedeutende Kenntnis der weiblichen Psyche. Die Abisag ist eine mit viel Humor geschilderte typische Vertreterin einer gewissen Frauenart, die ganz vom Trieb der Neugier beherrscht wird: die guten Charaktereigenschaften gehen verloren oder entarten. Was im Leben aber oft zu tragischer Verwicklung führt, wird vom Dichter hier mit überlegener Heiterkeit zu gutem Ausgang gebracht. Die Schönheit der Abisag fesselt den Geliebten, ihre Klugkeit ist für den Gatten von groBem Wert. Aber kaum spürt sie seine Abhangigkeit, so wird sie sich ihrer Macht bewuBt und sucht diese zu miBbrauchen. Das Scheitern ihrer Versuche, ihm das Geheimnis zu entlocken, reizt sie zur Wut, weil sie die Grenzen ihrer Macht fühlt. Und nun wendet sie ihre ganze Klugheit an, den Gatten zu qualen. Mit taglich wiederkehrender, durchtriebener Bosheit tut sie ihm gebranntes Herzeleid an, bis sie ihn fast in den Tod getrieben hat: „dann sie plagte ihn alle Tag, und machte seine Seele matt, biB in den Tod". Und dann plötzlich der Umschwung: wie sie merkt, daB er persönliche Gewalt anwendet, ergibt sie sich, zwar notgedrungen aber endgültig. Wie der Dichter es darstellt, bleibt kein Rest inneren Widerstrebens. — 8o — Der biblische Hintergrund wir kt ganz vertraut. Die gemütliche Art, wie über Sabud als „deB armen Praedicanten Nathans Sohn" gesprochen wird, die Selbstverstandlichkeit, mit der er „Haus und Gar ten des weiland redlichen Ritters Uriae zu einer Wohnung" bekommt und sich in demselben Garten, in dem „ehemalen des Königs Mutter sich in Ansehung seines Vatters, des König Davids, gebadet", an einem Marmortisch niederlaBt um seinen traurigen Gedanken nachzuhangen, rücken alles in eine greifbare Sphare bürgerlicher Behaglichkeit und Realitat. Dies wird dadurch erhöht, daB Grimmelshausen dem Hund den Namen seines eigenen Hundes, Herodes, gibt1). Aus der humorvollen, zuweilen etwas derben Darstellung spricht eine kluge und menschenfreundliche Gesinnung, der galant-verderbte Ton zeitgenössischer Romane ist dieser Erzahlung fremd. Wenn die Gatten sich mit „ach mein Schatz, mein güldenes Engelgen, mein Hertzgen" anreden, so liegt darin eine leise Parodie der übertriebenen Ausdrucksweise solcher Romane und die gedemütigte Frau am SchluB findet denn auch nur die einfachen Worte: „ach mein lieber Sabud." Die Erzahlung wirkt in hohem MaBe erheiternd und erfrischend. Künstlerisch zu gedrungener Form verdichtet, zeigt sie überall den vollendeten Stil des Dichters, der das Volkstümliche als organischen Bestandteil eingliedert und so seinem Werk literarischen Wert verschafft. Im grellsten Widerspruch zu Grimmelshausens schhchter Absichtslosigkeit steht das prunkhaft Gewollte, das sich in *) Über den Namen des Hundes vergleiche man Speter, Zum 250. Todestage des Simplizissimus-Dichters Grimmelshausen, Wissenschaft!. Beil. des Dresdener Anzeigers, 3. Jg., Nr. 33. — 81 — der Assenat bereits unangenehm bemerkbar macht, in Zesens Zweitem biblischen Roman, dem Simson (1679), aber zur Manier entartet. Der bis zum Unertraglichen geschraubte Stil dieses Werks entstand aus seiner Neigung zu Knappheit des Satzbaus und seiner Vorliebe für Assonanzen und Innenreime, denen die gewundene, flunkernde aber hohle Pracht des italienischen Vorbildes entgegenkam. Der Simson namlich ist eine erweiterte Bearbeitung von Pallavicinis Samson, den Zesen in der deutschen Übersetzung J. W. von Stubenbergs (1657), der als Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft den Gesellschaftsnamen „derUnglückselige" angenommen hatte, kannte. Der Inhalt umfaBt die Geschichte Simsons, wie sie im Buch der Richter (13. bis 16. Kapitel) erzahlt wird. Zesens Roman, der an Umfang den Samson weit übertrifft, behandelt denselben biblischen Stoff und verknüpft nicht etwa noch andere biblische Erzahlungen damit, wie wir das bei einigen Schriftstellern jener Zeit sehen, sondern er dehnt seinen Roman in die Lange, indem er eine ausführliche Episode von der Schonen Timnatterin und der Schonen Naftalerin, sowie eine Abhandlung über Riesen einfügt1). Dabei befolgt er nicht die damals beliebte Methode, einem Roman durch Einflickung gleichgültiger Liebes- und Abenteuererzahlungen zu einer gewaltigen Ausdehnung zu verhelfen, sondern planmaBig entwirft er seine Einlagen. Diese verbindet er nicht durch die Hauptperson allein, sondern durch ethische Motive. Sein Vorwort verkündigt es: seinen eigenen Erfindungen sei die Schone Timnatterin und „die gantze Begabnis ') Der Inhalt des Simson findet sich ausführlich bei Cholevius, Die bedeutendsten deutschen Romane des siebzehnten Jahrhunderts, Leipzig, ï866, S. 96 ff.; ferner vergleiche man Körnchen, a. a. O., S. 149 ff. — Ba¬ der Schonen Naftalerin" zuzuschreiben, „in welcher und jener ich eine recht Tugendhafte Schönheit, gleichwie in Simsons Eheliebsten, und der Filistischen Fraue, welche sich für die Mutter der Schonen Naftalerin ausgab, eine Lastervolle Hasligkeit abbilden wollen; eben so Tugendhafft und Schön ist auch die Mutter des Simsons, wie auch der Schonen Naftalerin, und der Schonen Timnatterin, zur höchsten Volkommenheit zu, vorgestellet worden." So wird der untreuen Gattin, dem Spiegel des Lasters, dem Höllenspiegel, einerseits seine Mutter, der Tugendspiegel, andrerseits ihre tugendhafte Schwester, die Schone Timnatterin, entgegengesetzt. In der Schilderung von Simsons Verhaltnis zu all diesen Frauen fehlt es wohl etwas an Abwechslung. Überhaupt vermissen wir jedes Eingehen auf die seelischen Vorgange im Innern des Helden; im Gegenteil, man gewinnt den Eindruck, als habe der Stoff des Alten Testaments eine gewisse Vergröberung erfahren. Zorn und Sinnlichkeit sind die Triebkrafte dieses Mannes und führen seinen Untergang herbei. In der Schilderung Zesens aber ist er nicht heldenhaft, sondern roh und was im biblischen SchluBkapitel dieses Menschenschicksals tief ergreift, verliert durch Zesens gedrechselte Phrasen jede überzeugende Kraft. Zesen ist ganz einrach unvermögend, einen Mann dichterisch zu gestalten: seine Marmer sind entweder blaB wie Markhold, kühl und gleichgültig wie Joseph oder roh wie Simson. Aber auch keine der vielen Frauenfiguren im Simson ragt besonders hervor. Keine ist so gut durchgeführt in der Zeichnung wie die Heldinnen seiner früheren Romane. In mancher Hinsicht berührt sich der Simson mit der Assenat. Beiden ist ein gelehrter Kommentar in Form von *3 Anmerkungen beigegeben, für die im Simson ein eigenes Titelblatt gedruckt wurde. Goedeke führt denn auch diese Anmerkungen als eine Ausgabe für sich auf. Eine Untersuchung des Göttinger Exemplars hat mir aber die Vermutung bestatigt, daB sie wie bei der Assenat als Anhang des Romans gemeint und mit demselben zusamme ngebunden sind. In diesen Anmerkungen spricht Zesen einmal (S. 135) über Josephs Keuschheit und beruft sich dafür auf die Bibel, auf die deutsche Übersetzung von Cats' Self-Stryt sowie auf seine Assenat. So stellt er selbst eine Beziehung her, wenn auch nur auBerlich. Aber auch der Aufbau der beiden Werke hat Ahnlichkeit: in beiden werden Geburt und Jugendgeschichte der Helden nicht gleich zu Anfang erzahlt, sondern wir erfahren sie erst aus den Erzahlungen anderer. Auch sind beidemal die Mütter der Helden lange unfruchtbar, weil sie so lange brauchen um endlich ein hervorragend begabtes und schönes Kind zur Welt bringen zu können. Besonders gern verwendet Zesen das Motiv, daB die Liebe durch die Augen erweckt werde. Die stilistisch eigenartige Beschreibung des Zornesausbruchs bei Ruben in der Assenat findet sich nur wenig verschieden im Simson für den zornigen Helden. Zesen schildert überhaupt gern in Zorn geratene Menschen; vor Wut rasende Frauen sind nichts Seltenes bei ihm. Als ein echt es Kind des Barock liebt er die krassen Effekte: was er bisher in der Rosemund und in der Assenat geschmackvoll vermieden hatte, wird unter dem EinfluB des Itaheners im Simson grell ausgemalt. Er schwelgt in Blut- und Greuelszenen jeder Art. Die furchtbare inner e Verrohung, die sich unter dem Prunk schillernder Wort- und Stilkünste verbirgt, steht hier einem Lohenstein kaum nach. Man lese zum Bei- 34 spiel im fünften Buch die Beschreibung von der Tötung der tausend Philister mit dem Eselskinnbacken, oder im vierten Buch das Lied auf die Verbrennung der treulosen Gattin Simsons, die mit ihrem Vater und dem neuen Ehemann von dem aufgepeitschten Volk verbrannt und auf dem Schindanger begraben wird: Mich deucht, ich höre den Schünderkarn schon knarren, der zu den Aesern selbst ihren Sarg sol karren. Dem Lied sind sogar Noten beigegeben! Ohne jegliches Zartgefühl, geschmacklos und schwülstig ist auch die Ausmalung sinnlichen Genusses, der — und das ist wieder so bezeichnend für den Zeitgeschmack — überall die Liebe vertritt. Der Begriff Liebe wird zur Formel: sie ist ihm eine „lehrsatzlose Gemütsbewegung". Völlig im Bann der herrschenden literarischen Richtung, bewahrt sich Zesen trotzdem bis ins Alter den kühlen Bliek für die verderblichen Einflüsse des Auslandes. Zu Anfang nur ein Eiferer für Reinerhaltung der Sprache, dehnt er seine Bestrebungen nunmehr auch auf die Sitten aus. Mit scharfem satirischen Wort wendet er sich in diesem Alterswerk gegen die vielen MiBstande, die 'sich in seinem Vaterland unangenehm breit gemacht natten: Prachtliebe, Übertriebenheiten der Mode in Kleidung und Haartracht, besonders die lappische Putzsucht der Manner, die verschwenderischen Schauessen, zu denen man für teures Geld Köche aus der Fremde kommen lieB. Auch die Schwarmgeister dieser garenden Epoche bekommen seinen Tadel zu spüren, vor allem aber die Frauen. Es ist auffallend, wie schroff der Dichter hier Stellung nimmt gegen die unschönen Cha- 0 35 raktereigenschaften der Frau, ihren Geiz und das, was sie Liebe nenne, ihren Leichtsinn und ihre Treulosigkeit. Er wendet hier sogar den sonst von ihm vermiedenen Ausdruck „Weujsbilder" an. Auch den Fürsten sagt er ungescheut die Meinung; von einem Heuchler heiBt es (S. 72): „er ahmet den schwartzen Sitten der Fürsten nach und weis von der weissen Farbe der Aufrichtigkeit und der Röhte der Schaam nichts." Zum Teil finden sich diese Ausfalle schon bei Pallavicini. Auch der bereits in der mittelalterhchen Literatur vorkommende Gedanke, Simson sei symbolisch als der Christus aufzufassen, findet sich dort. Zesen hat ihn bis zum ÜberdruB ausgesponnen, ebenso die Erklarung des Namens Simson als Sonnemann, Samson als der Starke, der Kraftige. Körnchen stellt einen eingehenden Vergleich zwischen Pallavicini-Stubenberg und Zesen an; ich möchte eine stilistische Vergleichung über die Begegnung Simsons mit dem Löwen hinzufügen. Pallavicini-Stubenberg S. „Meine Dapfferkeit, sagte er, könte nicht wunderbar genennet werden, wann sie nicht meinen entwaffneten Arm wider einen eintzigen Löwen sieghafft könte machen. Komm nur an, du wildes Tbiert Ich warte deiner mit vestem Fusse, über deinen Grimm zu siegprangen. Peitsch dich nur mit dem Schwantze, schüttel deine Locken, reiB nur deine Lippen auf, bleek nur deine wütenden Zane, sey nur grausam im Zorne, und grosmühtig im Herzen! das alles seyn nur eitele Aufzüge, die ungültig, ein Hertz welches nicht Menschhch ist, zu erschrecken. Die Starcke dieser Fauste soll dich sehen lassen, deine Keckheit habe dir gar übel geranten, deine Willigkeit mit meinem Fleische zu sattigen, weiln meine Dapferkeit durch deinen Todt soll erhöcht werden." 86 Zesen S. 26: „En tapferes Gemüht weis von keiner Flucht. Es ist unbewaglich. Kein Trutz kan es schrokken. Seine Tapferkeit verhöhnet die Glimmigkeit, dampfet den Hochmuht, vereitelt das Dreuen. Des Leuen Wesen war grimmig, sein Gang hochmühtig, sein Rachen vol Dreuungen. Er schüttelte die Mahne, knirschete mit den Zahnen, scharrete mit den Pfohten, blitzete mit den Augen. Doch fürchtete sich dieses. Hertz, dem nichts, was menschlich ist, bewust war, für so leeren Aufzügen gantz nicht." BewuBt und konsequent wird diese Art der Umarbeitung durchgeführt: derselbe Gedankengang wird aus. alltaglicher, etwas flacher und wortreicher Weise herausgehoben und mit scharf akzentuierten Satzen von eindrucksvoller Kürze zu dramatischer Anschauhchkeit umgeformt. Dieser Stil, an sich gewiB eindrucksvoll, wirkt aber auf die Dauer ermüdend, namentlich durch die ewige Wiederholung desselben Gedankens: nirgends ein Ruhepunkt, die gewagtesten und künstlichsten Wendungen und Gleichnisse spannen den Geist unaufhörlich bis aufs auBerste an. Da wird Gott es Güte geschildert: „Er entzog ihnen seine Gnade nie. Er verbarg sie nur ein wenig hinter der Zornruhte. Hinter diesem abscheulichen Strobelsterne flinkerte der erfreuv liche Stern seiner Gühte noch immerzu. Seine Liebe war zu brünstig, zu machtig. Ihre Flammen stritten mit den Flammen seines Zornes, und trugen den Sieg darvon. So schlug die Liebe den Zorn aus dem Felde, daB er weichen, ja fast gar verschwinden muste" (S. 3 f.). Oder die Volksmenge wird beschrieben, die sich angesammelt hatte, um den Einzug der Schonen Timnatterin zu sehen: „Man begab sich aus dem Schlosse durch die Stadt hin; da alle Gassen vol Mansbilder, und alle Fenster vol Weibsbilder stunden. Jene 87 machten in den Gassen neue Gassen. Diese setzten den Fenstern neue Fenster ein, indem sie dieselben mit ihren helfhnkernden Augen, den zweifachen Fenstern zum Hertzen, erfülleten." In der Vorrede der Assenat verkündigt Zesen seine Absicht einen Moses und einen Simson zu verfassen. Im Simson aber wird in der Vorrede von dem Moses nicht mehr gesprochen. Auch ist der Roman bis jetzt nirgends nachgewiesen worden, wahrend die Angaben in Meiers Vorrede zu den Hebreerinnen sowie in einigen lexikologischen Werken aller - Wahrscheinhchkeit nach auf Zesens eigener Angabe in der Assenat beruhen. Nun fand ich den Moses allerdings auch noch in einer Dissertation aus dem Jahre 1703 von Jakob Volckmann (De f abtdis romanensibus antiquis et recentioribus) erwahnt: „Neque inusitatum est sacra argumenta sub e jusmodi involucris (d. h. in der Form eines Romans) lectoribus proponere, quod inter alia documenta Moses, Jiska, Rébecca, Rahel, Assenath, Seera, Simson, ac aliae haud ignotae fabulae Romanenses, quae omnes tarnen non aeque comptae, (ut Philippi Zesii foetus macri ac steriles), & quae praeterea adhuc promissae sunt Zipora, Nehuma, Rahab atque Achsa satis comprobant." Auf den ersten Bliek erscheint dies als ein selbstandiges Urteü über Zesens biblische Romane und eine persönliche Bekanntschaft mit denselben, also auch mit dem Moses. Dem ist aber nicht so, Volckmann benutzt hier deutlich die bereits erwahnte Vorrede Meiers zu dem Romanzyklus, mit dessen Titelheldinnen der Moses und Simson zusammengestellt werden: „Philipp von Zesen hat in seiner Assenath, Moses und Simson gleichfalls einen Versuch thun wollen; aber seine Erfindungen seynd so elend und Pöbel- 38 hafft, ohne Abwechslungen, Anmuth und Verwirrungen, daB man auch wohl ein es Coridons amour geschickter und anstandiger, als dieser grossen und berühmten Leute auffführen können." Meier fallt hier ein ahnliches ungünstiges Urteil über Zesen und, wo Volckmann von den versprochenen Romanen Zipora, Nehuma, Rahab und Achsa spricht, schöpft er diese Kenntnis auch wieder aus Meiers Vorrede, der am SchluB den Roman dieser Schonen als Fortsetzung der Hebreerinnen verspricht. VlERTES KAPITEL DER DAVIDZYKLUS BEI LEHMS Georg Christian Lehms war een Schlesier. Er wurde 1684 zu Liegnitz geboren, studierte zu Leipzig und wurde dort 1708 Magister. Darauf kam er in der Stellung eines fürsthch Hessen-Darmstadtischen Rates als Bibhothekar nach Darmstadt, wo er unter seinem eigenen Namen und dem Pseudonym Pallidor schriftstellerisch tatig war. Er starb im Mai des Jahres 1717. Es finden sich über ihn nur dürftige Angaben. Man darf aber wohl annehmen, daB er Beziehungen zu dem berühmten Verfasser der Aramena und der Octavia, dem Herzog Anton Ulrich zu Braunschweig, hatte. In einem seiner Werke namlich, den Galanten Poetinnen ') Teutschlands Galante Poetinnen Mit Ihren sinnreichen und netten Proben; Nebst einem Anhang Auslandischer Dames, So sich gleichfalls durch Schone Poesien Bey der curieusen Welt bekomt gemacht, Frankfurt am Main, 1715. Lehms widmete das Werk der berühmten Aurora von Königsmark, der er auch schon seine Michal gewidmet hatte und die offenbar zu seinen hohen Gönnerinnen zahlte. In der Vorrede wirft er den Deutschen vor, daB sie nicht gerne sehen, wenn ihre Frauen studieren: „gleich als wenn dieses edle und vortreffliche Geschlecht nur mit den blinden Maulwürffen im Finstern herumkriechen, und sich seines ihm von Gott so wohl, als den Mannern verliehenen Verstandes nicht bedienen dürffte." Doch ist diese Vorrede recht oberflachlich. Vermutlich kannte er das viel tiefer angelegte Werk Johan van Beverwij cks: Van de Uutnementheyt des Vrouwelicken Geslachts (1639), es wird ihm höchst wahrscheinlich sogar Anregung zu seinem Werk gegeben haben. Direkte Entlehnung oder go erzahlt er von der Friderica Margaretha Töpfferin, der Tochter des Hofrats Töpffer zu Wolfenbüttel, daB sie „ein in der edlen Poesie wohlgeübtes Frauenzimmer" gewesen sei und eine groBe Liebhaberin der Musik: „und habe ich vor ungefehr vier Jahren in Wolffenbüttel, als S. Hochfürstl. Durchlaucht der damals regierende Hertzog Anthon Ulrich nebst vielen andern Fürstl. Personen von obgenannten Herrn Hoffrath in dessen Gatten tractiret wurden, mit Verwunde- rung gesehen, wie sie, bei zugleich angestellter Musique, ohne AnstoB accompagm'ret, und sich deBwegen viel LobSprüche zugezogen." Da die Galanten Poetinnen im Jahre 1715 erschienen, muB diese Begegnung um das Jahr 1711 stattgefunden haben. Der Herzog, der auch den Verkehr mit bürgerlichen Kr eisen nicht scheute, wo es galt, den schonen Kunsten zu huldigen, hat bei diesem Gartenfest wohl auch freundliche Worte für den ihn hoch verehrenden jungen Schriftsteller gefunden. Am 26. September 1711 widmet ihm Lehms seinen biblischen Roman Der Weise König Salomo, weil ihn „die kostbahrsten Marquen Dero hohen Gnade gegen mich, so bereits ethche mahl mit dem devotesten Respecte unterthanigst zu admiriren Gelegenheit gefunden," so kühn gemacht natten, dem Herzog, ab einem zweiten Salomo, das Buch „mit der eusersten Submission zu dediciren." gar Übersetzung ist ihm j edoch nicht nachzuweisen. Er ist nicht immer ganz genau: von der Kaufmannstochter Anna Roemers Visscher sagt er z. B., sie sei „ein Fischer-Madgen aus Holland" gewesen, „welches sich wegen seines guten Naturells auf die Poesie und Latinitaet geleget". Doch ist das Werk sehr interessant, schon weil es eine ausführliche Lebensbeschreibung der Anna Maria van Schurman enthalt (S. 194—219), der eine Bibliographie fiber sie beigegeben ist. QI Der Weise König Salomo, In einer Staats- und HeldenGesèhichte, der Galanten Welt zu wohlerlaubter GemüthsVergnügung an den Tag gegeben von Pallidor, Hamburg und Leipzig 1712, ist der letzte einer Reihe biblischer Romane von Lehms-, die sich mit dem Leben Davids beschaftigen. Der Titel des ersten lautet: Die unglückselige Princepin Michal und der verfólgte David, Hannover 1707, der des zweiten: Des Israelitischen Printzens Absalons und Seiner Princessin Sekwester Thamar Staats-, Lebens- und Helden-Geschichte, Nürnberg, 1710. In der Hauptsache sind die historischen Teile dieser drei Romane auf die Bibel gegründet. Daneben hat Lehms aber auch Flavius Josephus und Malvezzis Verfolgten David benutzt. Obgleich er aber selbst im Vorwort zur Michal auf dieses Werk hinweist und sein Titel die Bekanntschaft mit Malvezzi verrat, ist sein eigenes Werk in der Anlage ganz anders. Lehms verarbeitet die Anregungen Malvezzis selbstandig, er behalt sich seine eigene Meinung vor. Malvezzis Anschauungen sind mit denen von Lehms verwachsen, man kann sie nicht überall herauslösen ohne Eigenes mitzunehmen. Deutlich tritt das bei den Anschauungen über das Verhalten bei Hof zu Tage: der Hof ist ein gefahrlicher Boden, man wird von eifersüchtigen Feinden umlauert, die sich freundlich gebarden; man lebt immer in der Gefahr, etwas zu tun, was nicht gefallt: „Der hof ist ein verfüherischer irr-garten, daraus man sich nicht so leichtlich wieder wickeln kan, wenn man nicht den faden einer sonderbaren klugheit bey sich führet," sagt der jugendliche David. Sein mitten im Hofleben geborener und erzogener Schwager Melchisua aber sieht die Sache anders an: „Der hof ist zwar ein garten, aber doch kein irr-garten. Denn er zeiget uns, wie man sich vorsichtig aufführen soll, damit 93 man nicht an den verborgenen syrten und klippen anstosse." *) Ahnlich empfindet es Malvezzi: der Hof sei „ein rechter Probierstein der Dapferkeit; es ist kein Ort, da die Laster eher können bekandt, und die Tugenden besser begabt werden: es ist ein Liecht, bey deme ma» auch den Menschen gantz ins Hertze sehen kan" (Ausgabe Stubenberg 1638, S. 215). An seinem Benehmen bei Hof also kann man den wahren Weit des Menschen erkennen. Die nach jedem biblischen Zitat folgenden Betrachtungen bei Malvezzi verstreut Lehms in der Michal in verkürzter und geanderter Form, wo es ihm paBt. Bezeichnend sind die Stellen, die sich auf die Wirkung der Musik und auf die VergeBlichkeit der Fürsten, erwiesenen Wohltaten gegenüber, beziehen. Beide Betrachtungen sind an dieselbe biblische Begebenheit angeknüpft: an Davids Harfenspiel vor Saul und des Königs Undankbarkeit, nachdem David den Riesen Goliath getötet hatte. In letzterer finden sich sogar wörtliche Anklange (Malvezzi S. 45 ff. und S. 70, Lehms S. 159 ff. und S. 216). Diese Episode laBt die Bekanntschaft mit einer weiteren Quelle durchbhcken, namlich mit der Heroide Die theurerworbene Braai Zieglers (Helden-Liebe S. 217—248), der seinerseits ebenfalls unter dem EinfluB Malvezzis stand. Es war ja nahehegend, daB Lehms, der spatere Fortsetzer der Zieglerschen Helden-Liebe, für seine Romane Anleihen bei diesem berühmten Vorbild gemacht hat. Dies gilt besonders für die Geschichte Nabals und der Abigail, die in der Heroide Der beliebte Liebes-Wechsel erzahlt wird. Saul hatte dem David seine Tochter Michal zum Weibe gegeben, ') Michal S. 146. 93 sie ihm aber spater wieder genommen und dem Günstling Phalti geschenkt. Es wird nun von Ziegler und Lehms ein Zusammenhang gelegt zwischen Davids Heirat mit Abigaü und der Trennung seiner Ehe mit Michal, der in der Bibel nicht vorhanden ist, denn i. Sam. am SchluB des 25. Kapitels werden diese Tatsachen ohne nahere Verbindung neben einander gestellt (Vers 42 und 44). Ziegler und nach ihm Lehms stellen es so vor, als ob David die Abigail durch göttliche Schickung erhielt, weil Saul ihm die Michal genommen hatte. Er war also gerechtfertigt. Bei Lehms empfindet David Leid um die Trennung von Michal und die Liebe der Abigail soll ihm darüber hinweg helfen. Bei Ziegler fehlt dieser feinere Zug. Beide aber verschweigen hier die Tatsache der Polygamie, denn 1. Sam. 43 ist von einer weiteren Gemahlin Davids, Ahinoam von Jesreel, die Rede, über die sie nichts berichten, da ihre Ansichten über Moral sehr verschieden von denen der orientalischen Völker waren. Aus demselben Tugendprinzip kann Lehms die Michal nicht in Davids Arme zurückkehren lassen, nachdem sie die Gattin Phaltis gewesen war. Er weicht also auch darïn von der Bibel ab und erfindet eine lacherlich gezwungene Situation. Die treue Michal weist den verhaBten Freier Phalti stets ab; Saul findet schlieBlich einen Mittelweg um Phalti zu beruhigen und Michal zu schonen: er ernennt ihn zu ihrem Pflegevater. Damit ist die Reinheit der Michal gerettet und sie kann spater zu David zurückkehren. Von der Abigail vernehmen wir dann nichts mehr. Lehms versteht es ausgezeichnet seine Helden wie Marionetten hin und her zu schieben, verschwinden und wieder auftauchen zu lassen. Kann er sie nicht brauchen, dann horen wir einfach nichts mehr von ihnen, hat er sie nötig, 94 so sind sie plötzlich wieder da. Im zweiten Bande z. B. ist Thamar vor Scham gestorben. Nun braucht der Dichter sie aber wieder für seinen Salomo um mit ihr den Prinzen Joram zu beglücken, und trotz einer zehn Seiten langen Grabrede dieses untröstlichen Liebhabers werden Tod und Begrabnis jetzt als beabsichtigte Tauschung hingestellt. Das erweckt den Anschein, als seien die drei Romane nicht aus einem einheitlichen Entwurf hervorgegangen. Für das Ver haltnis der Michal zu den spateren Romanen trifft das auch wohl zu ter hatte vor einen Absalon zu schreiben, wenn die Michal Beifall finden würde *). Den Salomo aber hatte er schon in der Arbeit, als er den Absalon herausgab: im Vorwort verspricht er ihn für die folgende Messe. N Der Mangel an Disposition liegt in der Art dieser Romane. Dadurch wird oft eine solche Verwirrung angerichtet, daB man sich unter den vielen auftretenden Personen und ihren Abenteuern kaum mehr zurechtfindet. Ohne Steigerung reiht sich Episode an Episode, nirgends zartes Entfalten, kraftiges Wachstum oder jaher Untergang. Es bedarf einer groBen Fertigkeit, diese mannigfaltigen Zwischenspiele untereinander und mit der Haupthandlung Zu verknüpfen. Lehms verfahrt dabei nach dem bewahrten *) Man vergleiche die Vorrede zur Michal und zu Absalon und Thamar. Die letztere gibt uns auch einen Einblick in die weitgehende Freiheit, die man sich damals mit Plagiaten erlaubte. Lehms — selbst nicht aüzu gewissenhaft in der Angabe seiner Quellen — beschwert sich darüber, daB ein ihm unbekannter Autor seine Michal stark geplündert habe für eine Beschreibung des Heldenmiithigen Ritten Myro und der verfolgten Paldstinischen Princessin Silvandra. Dieses Buch sei zwei Jahre nach der Michal erschienen, und stimme „in gantzen Bogen, Briefen und Versen gantz accurat" damit überein. Bis jetzt hat sich das Werk nicht auffinden lassen. 95 Rezept der Heirat und Verwandtschaft, der Büder-Erklarung und des Berichtes. Ein charakteristisches Beispiel ist die Einschaltung der nicht weniger als hundert Seiten zahlenden Antigone-Novelle in der Michal. In der Schlacht gegen die Amalekiter hatte David einen Gefangenen erbeutet, der durch seine Schönheit alle blendete. In Wirklichkeit war dies die verkleidete Prinzessin Antigone. Nun ist der Übergang gefunden: Antigone befreundet sich mit der Gemahlin Davids, Abigail. Bei dieser trifft sie blufig den Freund und Verwandten Davids, Abisail), an. Dieser wirbt um ihre Liebe. Es folgen Brief und Gedicht wie üblich sowie kleine Liebesintrigen um das gegenseitige Gestandnis herauszulocken, bis schlieBlich die Hochzeit gefeiert wird: „Doch damit der geneigte Leser auch wisse, was vor ein unglückhcher zufall Antigonen nach Ziclag gebracht, und in Abisai Armen geliefert, so will ich die gantze begebenheit beyfügen." Haufig wird auch die Erzahlung abenteuerlicher Schicksale gleich nach der Entdeckung der Identitat erzahlt. Nicht immer beruhen diese Episoden auf freier Erfindung, soweit man wenigstens bei diesen schablonenhaft verfaBten Liebesabenteuern von eigener Erfindung reden darf; in dem zweiten Roman Absalon und Thamar werden sie mehrfach der Bibel entnommen. Überhaupt tragt er einen viel geschlosseneren Charakter als die beiden andern. Er ist weitaus der beste, die einzelnen Charaktere sind mehr herausgearbeitet, die einzelnen Teile des Inhalts sorgfaltiger mit einander verbunden. Zwischen den biblischen und weltlichen Helden ist etwas mehr Zusammenhang vorhanden als in der Michal; im Salomo vermissen wir ihn überhaupt. 0 i. Sam. 26, 6; a. Sam. 23, 18; 1. Chr. 2, 16, u. ö. 96 Der Inhalt dieses zweiten Romans möge deshalb hier einen Platz finden. Erstes Buch. Wahrend Arbaste, die Gattin des UnterFeldherrn Peleg, am Hof zu Mahanaim *) der Königin Siridene ihre Liebesgeschichte mit Zoar erzahlt, wird König Isboseth, ein Sohn Sauls, von Rechob und Baena ermordet. Seine treue Gattin Siridene stirbt darauf vor Herzeleid. Am Hof zu Hebron wird David aufs auBerste betrübt durch die Ermordung Abners, der von dem eifersüchtigen Joab umgebracht wurde. Nun wird er zum König von ganz Israël ausgerufen, nachdem der Enkel Sauls und Sohn Jonathans, Mephiboseth, abgelehnt hat. Die Königin Michal wird eifersüchtig, besonders auf die Mutter des Absalon und der Thamar, namens Maacha. Absalon zeichnet sich durch ungewöhnliche Tapferkeit in mehr er en Feldschlachten aus; er ist leidenschaftlich ehrgeizig. Sein Stiefbruder Amnon dagegen ist simüicher veranlagt und stets in den Frauengemachern anzutreffen. Es spielen sich Liebesintrigen zwischen den Prinzen Amri und Selamor und den Prinzessinnen Victorinie und Sulamis ab. — Damit ist gewissermaBen die Exposition des Romans gegeben. And er es Buch. Die Bundeslade wird von David nach Jerusalem überführt. Michal, die ihren Gemahl hinter der Bundeslade hertanzen sieht, verachtet und schmaht ihn, worauf sich David von ihr zurückzieht. Lehms halt sich hier genau an die Erzahlung 2. Samuel 6. Unterdessen hat sich Joram, der Kronprinz von Hemath, der unter dem Namen Japhet als Freund Absalons am Hofe weilt, in Thamar verhebt. Zuerst spröde wie ihr Bruder Absalon, erhört sie ihn *) a. Sam. 2, 8. ia. 29. 97 schlieBlich doch, als er plötzlich von seinem Vater abberufen wird. Amnon betrachtet ihn als seinen Nebenbuhler, ist aber von der Braut Absalons, der sich endlich auch entschlossen hat, zu heiraten, derartig entzückt, daB er nun dieser seine Liebe zuwendet. Mariamne, so lautet ihr Name, weist ihn wiederholt ab und Amnon versucht einen Überfall, wird dabei aber von einer streifenden Partei Philister gefangen abgeführt. Er soll ihrem Gotte Dagon geopfert werden, durch eine List befreit ihn jedoch die philistinische Prinzessin Almiris. Auf deren LustschloB erfahrt und erlebt er teilweise die Geschichte der Liebe zwischen Almiris und Hanon sowie zwischen dessen Schwester Isis und dem Prinzen von Zoba. Es gelingt Amnon zu entkommen und er ergibt sich aufs neue seinem Liebesleben auf einem LustschloB seiner Heimat. Unterdessen findet die Hochzeit von Absalon und Mariamne statt. — Dies kann man als die steigende Handlung betrachten. Drittes Buch. David unterwirft sich viele Reiche, so auch das Reich des Prinzen Joram, dessen Vater ein Bündnis mit ihm schlieBt. Im Kampf für David zeichnet Joram sich aus, auf dem Weg zu seiner Thamar wird er jedoch von einer Krankheit überfallen, die ihn an der Weiterreise verhindert. Ihr Briefwechsel wird teilweise von Amnon unterschlagen und die beiden Liebenden sind in grofier Sorge um ihr gegenseitiges Wohlergehen und ihre Treue. Als Intermezzo erzahlt die schone Rahel ihre Liebesgeschichte mit Sephatia und Jeremoth. Darauf folgt die ausführhche Beschreibung der Kampfe gegen die Ammomter und die Belagerung Rabbas. Besonders Joab tritt dabei, wie in der Bibel, in den Vordergrund. „Die Abwechselungen an dem Jerusalemischen Hofe bheben bestandig, und wenn der Krieg geen- 7 98 diget, suchte die Liebe ihre Herrschafft wieder zu behaupten." So horen wir jetzt, wie Prinz Adonias auf einer Reise die schone Abisag von Sunem kennen und lieben lernt. Sie erwidert seine Liebe nicht, denn sie ist durch einen Traum auf ihr spateres Schicksal vorbereitet worden und als dereinstige Königin weist sie jeden Verehrer ab. Aus Rache wird sie wiederholt von dem arabischen Prinzen Sadrach überfallen und geraubt, aber durch die Hülfe des Adonias jedesmal wieder aus seinen Handen errettet. Adonias sucht sie zu vergessen und bereist deshalb historische Gegenden, wo ihm von den Bewohnern die Ereignisse aus der Geschichte des Israelitischen Volkes erzShlt werden, die sich dort abgespielt haben. Es folgt nun also eine Reihe biblischer Geschichten, bis wir zur Haupthandlung zurückgeführt werden, die sich nun dem katastrophalen Wendepunkt naht. Die Geschichte Davids und der Bathseba lieB sich unser Barockschriftsteller natürhch nicht entgehen. Was die Tatsachen betrifft, halt er sich an die Bibel, ebenso wie in der nun folgenden Verführung der Thamar. Joram will die Geliebte trotz allem zur Gemahlin erheben, sie aber lehnt es ab und stirbt vor Gram. Nachdem er ihr eine lange Grabrede gehalten hat, geht Joram in sein Land zurück, wo er auf immer der Liebe entsagt. Viertes Buch. Absalon, der seinen Stiefbruder Amnon getötet hatte, floh vor dem Zorn Davids nach Gesur, zu seinem GroBvater. Mariamne folgt ihm nach mit ihrer Schwester Aramena und sucht ihn zu zerstreuen. Eines Tages bittet sie ihn, ihnen die Geschichte des keuschen Joseph, die sie in Jerusalem gelesen habe, und die seiner Vorfahren zu erzahlen. Absalon erzahlt nun „Die Geschichte vom Anfang der Welt", d. h. die ganze Geschichte der Juden bis 99 auf König Saul und bekehrt dadurch Mariamne und Aramena zum Christentum. Auf einer Jagd verirrt er sich, kommt an ein schönes SchloB und erfahrt von dem Besitzer Azor „Die Geschichte der schonen Siris und des Azors". Mariamne erkrankt und stirbt und, wie nun Absalon von seinem Vater zurückgerufen wird — ganz wie in der Bibel —, da hat der Ehrgeiz wieder Macht über ihn gewonnen. Der weitere Verlauf des Romans halt sich genau an die Erzahlung 2. Sam. 14—21, nur wird Absalons Auftreten gegen die Nebenfrauen Davids ausführlich zu einer Liebesepisode mit Basmath benutzt. Der Roman endet nicht mit dem Tode Absalons, sondern mit der Beisetzung der Gebeine der Fürsten aus dem Hause Sauls (2. •Sam. 21, 14). Unter den eingefügten biblischen Geschichten kommt zweimal die vom Joseph vor, wahrend er noch ein drittes Mal als Vorbild, die Leidenschaften zu bezwingen, dem Simson und dem Jephtha gegenüber gestellt wird. Das erste Mal (S. 312—319) will Mariamne den Amnon auf den Pfad der Tugend zurückführen und liest ihm deshalb die Geschichte Josephs vor, das zweite Mal (S. 709—725) macht sie einen Teil der andern Erzahlungen aus dem Alten Testament aus, die Absalon in der Verbannung erzahlt. In der ersten Darstellung ist dem Zweck entsprechend mehr von Josephs Verhalten die Rede, in der zweiten von dem der Sephira. Mariamne liest die Geschichte des Joseph angeblich aus einem Buch vor. Doch es laBt sich mit Sicherheit behaupten, daB Lehms selbst der Verfasser war. Die Sephira namlich bedient sich zu Anfang derselben Mittel, den Joseph zu verführen, wie in der zweiten Erzahlung: sie arbeitet mit Blieken, Reden und Hande-Drücken. Auch findet sich der für Lehms bezeichnende Ausdruck „verpflichtet" für galant IOO sowie „lüsternd" für lüstcrn. Am beweiskraftigsten aber ist die ihm speaeü dgentümhche Stilfigur der Gegensatze. Sie ist allerdings für das Barock überhaupt charakteristisch, aber selten so virtuos durchgeführt wie bd Lehms gerade in diesem Roman. Die Stilfigur beherrscht ihn völlig: er kann mit dem besten Willen nicht mehr anders. Das führt zu Auswüchsen: „David verheB endlich den Altan, da ihn doch seine Begierden nicht verlassen wolten, er stieg die Treppen herunter, sein lasterhafftes Feuer in die Höhe, er hatte den tödhchen Anbhck aus sdnen Augen verlohren, allein die entblöBte Jüdin (= Bathseba) stand noch bestandig vor den Augen des enzündeten Gemüthes. Dieses war er nun schon gewiB, daB sie die Seele liebe, aber ungewiB, ob sie seine lechzende Sehnsucht vergnügen würde. Die Röthe der untergegangenen Sonne hatte sich in seine glüendèn Wangen gezohen, und der aufgehende bleiche Mond verdunckdte den hellen Schimmer seiner vortrefflichen Tugend" (S. 558). Im allgemeinen unterscheidet sich sein Stil nicht von dem andrer historischen Romane der Zeit. Auch sonst fessdte er seine zeitgenössischen Leser durch medische Gewandung des Bibelstoffes. Im Salomo stiftet die Prinzessin Iris einen Orden, dessen Hauptregd war; „dem mannlichen Geschlechte alle Conversation abzuschndden, und bey ihren verliebten Erklarungen sich der grösten Grausamkeit zu bedienen." Wer sich nicht daran hidt oder gar einen Liebesbrief beantwortete, wurde ausgestoBen. Ein Amor war auf dem gelben Ordensband, das über der Brust getragen wurde, mit Silber eingestickt. Die feurigen Bewerbungen der Prinzen lassen die Herzen der Ordensschwestern aber leider nicht ungerührt und nur die Furcht vor Blamage halt sie von dem IOI Austritt zurück. Als politische Verwicklungen die Auflösung des Ordens herbeiführen, benutzen die Mitglieder schleunigst die Gelegenheit um zu heiraten. Auch SchSferliches findet sich, es bleibt aber bescheiden im Hintergrund. Der Zug zur Grausamkeit fehlt, obgleich die Geschichte Davids dazu reichlich Gelegenheit bot. Nur einmal, und dann nicht allzu grell ausgemalt, wie das sonst bei den Schlesiern übhch war, sind Rauber eben dabei, einem Menschen das Herz aus dem Leibe zu reiBen, als Absalon und seine Begleiter, die zufaUig des Wegs daher kommen, sie vertreiben und den Fremden retten. Im groBen ganzen ist die Erzahlkunst Lehms' einförmig und dadurch ermüdend. Seine Helden wiederholen nicht nur Taten und Worte, auch Gesten. Ein Zeichen der Gnade z. B. ist es, wenn ein Geliebter seiner Braut oder ein Fürst einem Freunde huldvoll „auf den Backen klopfft". Auch die Gefühle sind immer dieselben: haufig ist das Herz „ein Sammelplatz der Affekten", wird aus Wut „glut gespiehen" oder werden die „flammen der Liebe mit der grösten Vergnügung" angenommen. Und doch gelingt es dem Dichter einmal, einer Liebesszene den Anstrich lebhafter Frische zu verleihen. Einer der Söhne Sauls, Prinz Melchisua, war unerwartet aus dem Feld nach Hause zurückgekehrt. Er eilt in die Gemacher seiner Braut, des schonen Hoffrauleins Hyrcanie, und findet sie „tieffsinnig, mit untergestützten Armen" an einem Tisch sitzen, wobei sie ihm den Rücken wendet. Ihre Gedanken weilten bei dem geliebten Mann, den sie in weiter Ferne von Gefahren umgeben glaubte. So überhörte sie sein Herannahen und bemerkte auch nicht, wie er über ihre Schutter hinweg den an ihn gerichteten Brief las, der noch unvollendet vor ihr lag. Wie sie nun die 102 Feder ansetzte um den Brief zu Ende zu bringen, beugte sich der Prinz vor und drückte ihr einen KuB auf die Lippen. Zuerst erschrak sie heftig, als sie aber ihren Verlobten erkannte, erwidèrte sie seinen KuB aufs innigste (Michal S. 228 ff.). Diese anspruchslose Schilderung wir kt inmitten der vielen BegrüBungs- und Abschiedsszenen zwischen Liebenden, die alle nach demselben Muster steifgalanter Perückenhaftigkeit, wobei er die „verpflichtesten Complimente" macht und sie einige Male in Ohnmacht fallt, verfaBt sind, deshalb so erquickend, weil ausnahmsweise lebensfrohe Menschen handelnd auftreten und nicht die blutleeren Geschöpfe ohnmachtiger Höflingsgehirne. Lehms macht den aufrichtigen Versuch, seine Helden zu individualisieren. In der Michal gelingt ihm das wenig, David ist ein Durchschnittshöfling des siebzehnten Jahrhunderts. Seine erste Zusammenkunft mit der Michal findet unter sehr merkwürdigen Umstanden statt. Michal besucht mit einigen Dienern und ihrer Hofdame Arbaste ein pyramidenförmiges Grab, das sie zu besichtigen wünscht. Es hegt in einer endegenen und verlassenen Gegend. Sie ersteigen eine Treppe und erblicken in der Gruft einen mit schwarzem Tuch bedeckten Block, um den sich einige vermummte Gestalten bewegen. Michal erkennt ihren Schwager Adriel, der eben im Begriff ist, seinen Nebenbuhler Adoni hinrichten zu lassen. Die Diener der Michal kampfen um ihn zu erlösen, müssen aber zurückweichen und der ergrimmte und vor Zorn völlig verblendete Adriel will sich eben auf Michal stürzen, als der von Arbaste vorher über den Ausflug verstandigte David erscheint, mit einigen kraftigen Streichen die Situation rettet und sich dadurch bei der Michal aufs gunstigste einführt. Auf dem Heimweg kehren I03 sie dann in einem LustschloB ein, wo David der Prinzessin seine Liebe erklart. Zu Hause setzt er sich hin und, „wie nun seine gedancken noch voller süBigkeiten waren", weiB er nichts Besseres zu tun, als sie in einem poetischen ErguB zu Papier zu bringen, vom innern Trieb dazu gezwungen. Hier offenbart sich nun die erbarmliche Jammerlichkeit des Schriftstellertums jener Tage, wenn Lehms den gottbegnadeten Sanger des Alten Bundes zum schmachtenden Dichterling herabwürdigt, dem er ein seichtes Machwerk modischer Nachahmungspoeterei unterschiebt: Allein, kan auch bey rosen-blumen Ein strauch von schnöden nesseln seyn? Violen weichen leicht idumen, Dem golde weicht ein kiesel-stein. Doch, liebe sieht auf keinen stand, Sie bindet stahl an diamant. (S. 279). In Absalon und Thamar tritt David würdiger auf; Lehms hat es hier verstanden, den biblischen Charakter des groBen Königs zu wahren. Nur gefallt ihm sein Auftreten in der Bathseba-Episode nicht recht und er versucht nun David weniger und Bathseba mehr schuldig erscheinen zu lassen. Er stellt es darum so hin, als ob Bathseba selbst nur zu gern der Verfuhrung des Königs nachgebe und auch spater die Trauer um ihren Gatten Uria nur heuchle, wahrend sie eigentlich David liebe. Ein ahnliches Verfahren beobachtet der Verfasser bei der eingeflochtenen Erzahlung von Jakob und Esau. Nachdem Jakob den Bruder zuerst um sein Erstgeburtsrecht betrogen und ihn danach obendrein um den vaterlichen Segen gebracht hatte, muBte er fliehen; dabei 104 wird er als „der unschuldig verfolgte Jacob" vorgestellt, der vor dem „grausamen" und „frechen" Bruder fliehen muB. Im allgemeinen zeigt der zweite Roman einen entschiedenen Fortschritt: Absalon ist besser als alle andern Marmerfiguren gezeichnet. Mit Vorliebe schildert Lehms einen Jüngling, der zuerst der Liebe ganz abgewandt ist, dann aber plötzhch andern Sinnes wird: in der Michal ist es Jonathan, hier der Titelheld Absalon. in seinem Leben ist kein Raum für die Liebe, da es völlig von einem flammenden Ehrgeiz beherrscht wird. Auf den Befehl seines Vaters David soll er sich mit einer Prinzessin vermShlen und kommt ganz verstört zu seiner Schwester Thamar, die eine ahnliche Natur besitzt, wie er. Er ist ganz verwundert, wie er hört, daB sie nun doch zu lieben gelernt habe. Sie zeigt ihm ein Liebesgedicht ihr es Joram um ihn dadurch, wie es bei ihr selbst geschehen, für die Liebe zuganglich zu machen. Zuerst halt Absalon die Verse für „eitele Phantasien", dann aber wird er „so bestürtzt, daB er gantz aus sich selber gerieth". Besonders die Zeilen: Wenn offt ein eitler Ruhm die Hertzen an sich ziehet, Und sich ein soldier Trieb um Ehren Gold bemühet, Gerath er doch gar leicht in ein verwirrtes Zeit; Wer Ruhm und Ehre hebt, hegt schnöde Scorpionen, Die «hm nach kurtzer Zeit mit süssem Giffte lohnen, machen auf ihn einen solchen Eindruck, daB er „darüber aller Sinnen beraubet" wird. Nun erkennt er plötzhch die Hohlheit seines bisherigen Lebens. Mit herzhcher Liebe wendet er sich seiner Mariamne zu und es entsteht „ein los so hefftiger Trieb nach diesem edlen Leben, daB König David in kurtzer Zeit drey Printzen nebst einer Princessin x), die Absalon nach seiner Schwester Thamar heissen lassen, zu küssen Gelegenheit fand" (S. 428). Mit der klugen Mariamne ist er sehr glückhch. Nach ihrem Tode aber wird er wieder vollstandig von seiner Sucht nach Ruhm und Ehre besessen, und diese Leidenschaft bringt ihm den Untergang. Kurz vor seinem Tode, wie er mit dem schonen, langen Haar in den Asten eines Baumes hangt, zieht sein ganzes Leben an seinem inneren Auge vorüber. Dabei wird er inne, daB sein Streben verfehlt war, und die Worte des Gedichtes fallen jVim ein, die seine Schwester ihm einst zu lesen gab und die damals sein ganzes Wesen erschüttert hatten. Sie machen auch heute „in seiner gequalten Brust alles rege. Das Gewissen wachte ihm auf, und wenn er nur vermogend gewesen, sich einen tödthchen StoB zu geben, würde er solches nicht unterlassen haben." So aber muBte er durch Mörderhand sein Leben verlieren. Absichthch sind die Charaktere Joabs und Ahitophels dunkier gezeichnet als in der Bibel üm dadurch Absalon zu heben. Dazu tragt auch der sehr ungünstig geschilderte Amnon als sein eigenthcher Gegenspieler bei. Dieser wird als faul, feige, wollüstig und charakterlos dargestellt, ist aber, ebenso wie die von ihm ins Unglück gestürzte Thamar, recht schematisch nach der zu allen Zeiten behebten Schwarz-weiB-Methode entworfen. Tm Salomo ist es vor allem die Person des Helden, die fesselt. Die Weisheit Salomos ist das Leitmotiv. Wir erkennen sie darin, daB der junge Königssohn es vermeidet, sich *) Vgl. 2. Sam. 14, 27. ro6 Zu früh mit unebenbürtigen Hofdamen ernsthaft einzulassen um eine übereilte Heirat zu vermeiden. Wir erkennen sie ferner darin, daB er, bevor er um die agyptische Königstochter Bazimax) anhalt, sie verschiedenen Proben unterwirft um sicher zu gehen, daB sie eine gute Gemahlin sein werde. Auch sein Unterhaltungston ist der des Weisen. Er spricht wenig, und so setzt er den Gedanken des Predigers: „Wo viel Worte sind, da höret man den Narren" (5, 2) in die Tat um. Wenn er spricht, kommt bei den gewöhnlichsten Hofgesprachen nur Weisheit aus seinem Munde. Sein Freund Asarias (= Asarja) *) merkt sich die weisen Sprüche des Königs: „Er drückte diese köstliche Lehre als ein Heili gthum in seine Seele; ja damit er sie gleichfalls stets vor den Augen haben möchte, verfertigte er sich ein gewisses Buch, unter dem Tittel: Des weisen Königes Salomonis SprüchWörter, und trug in dasselbige diejenige köstlichen Lehren, so er aus dessen weisem Munde zu vernehmen die Gnade hatte" (S. 194). Die kostbare Lebenserfahrung und tiefe Einsicht und Erkenntnis alles Menschlich-Irdischen, die in so reicher Fülle in den Salomonischen Büchern enthalten ist, wird von Lehms wider alles Erwarten wenig in Anspruch genommen. Die meisten Aussprüche seines Salomo sind eigene Erfindung; einige Male zwar begegnen wir einem biblischen Spruch, aber dann ganz umgeformt. Prediger 2, 23 heiBt es vom Sich-Abmühen des Menschen: „Denn alle seine Lebtage hat er Schmerzen mit Gramen und Leid, daB auch sein Herz des Nachts nicht ruhet. Das ist auch eitel." ') 1. Könige 3, 1. Der Name ist Erfindung des Dichters. *) Über Asarja vgl. man 1. Könige 4, 2. 5; im Alten Testament steht seine Identitat nicht fest, bei Lehms ist er der Freund und standige Begleiter des Königs. — io7 — Und 4, 5: „Ein Narr schlagt die Finger in ■ einander, und verzehret sich selbst." Lehms legt seinem Salomo die Worte in den Mund: „Viele Menschen sind ihre Selbst-Mörder, indem sie es, und andere Leute nicht wissen. Denn heimhcher Kummer, unaufhörhche Thranen, und ein bestandiger Schmertz raubet der Seele so wohl ihre Krafft, als harte Donner-Schlage frischen Baumen, und entreisset sie dem Leibe offt eher so geschwinde, als ein geschliffener Degen oder eingeschluckter Gifft-Tranck" (S. 30a). Auch den Gedanken des Predigers, daB der Mensch nicht allein durchs Leben gehen soll, greift er auf: „Wenn zwey Freunde ihr Liebstes auf der Welt verliehren, so kan sich ihr Hertz viel eher zufrieden geben, als wenn es dem einen allein begegnet. Zwey Gehülffen können eine ungeheure Last mit einander ertragen, da ein eintziger darunter zu boden fallen würde. Also ergehet es auch mit dem Trauren" (S. 303 f.). Hier hat Lehms den tieferen Sinn der biblischen Verse: „So ist's ja besser zwei denn eins; denn sie genieBen doch ihrer Arbeit wohl. Fallt ihrer einer, so hilft ihm sein Gesell auf. Weh dem, der allein ist! Wenn er fallt, so ist kein andrer da, der ihm aufhelfe" (Prediger 4, 9. 10), in ihrem vollen Wert erfaBt. Bei all dieser Weisheit aber behalt der junge Königssohn die Lebendigkeit und Frische seines Alters. Doch werden wir im Verlauf des Romans enttauscht1), denn die zu Anfang künsderisch eingesetzte Charakterisierung einiger 0 Auch auBerlich ist der Salomo schlecht versorgt. Die Illustrationen sind alle falsch paginiert und die Darstellung stimmt nicht immer zum Inhalt des Romans. Im Vorwort zu seinem folgenden Roman Esther hat Lehms sich selbst darüber geauBert. Er wirft die Schuld auf den Verleger, der seine Angaben falsch ausgeführt habe. io8 Hauptpersonen wird nicht über den Anfang hinaus durchgeführt. Salomo selbst, nach seiner Werbung um die agyptische Prinzessin, tritt völhg in den Hintergrund und belebt die Handlung nur mittelbar, indem er die Befehle seines sterbenden Vaters nach dessen Tod ausführt (Erstes Buch der Könige). Sogar die farbenreiche Erzahlung des Adonias und der Abisag von Sunem wird nicht romanhaft ausgeschmückt, wahrend Lehms über die Gerechtigkeit Salomos im Urteil überhaupt schweigt. Mit einer kurzen Mitteilung über seinen Tempelbau, den Besuch der arabischen Königin *) und seinen spateren Götzendienst schheBt der Roman. Zwei Frauengestalten in diesem Zyklus sind mit besonderer Feinheit gezeichnet, Merob und Siridene. Beide finden ein tragisches Ende. Merob, die akere Tochter Sauls, war zuerst dém David versprochen worden, wurde dann aber von dem tyrannischen Vater dem verhaBten Adriel zur Frau gegeben *), wahrend sie im Herzen den Amri liebte, Nach Adriels Tod halt der alternde Amri um die Hand der noch immer Geliebten an, die jetzt schon mehrfach Mutter ist. Sie weist ihn auf ihr herannahendes Alter, aber er bleibt fest. Noch vor der Vermahlung werden ihr durch Davids Grausamkeit ihre fünf Söhne geraubt um sie den Gibeonitern zur Hinrichtung zu überhefern 8). Das kann sie nicht verwinden, ihr heftiger Schmerz zieht ihr ein Nervenfieber zu, das ihr den Tod als Erlösung bringt. Überraschend ist die Charakterbeschreibung der Königin Siridene (Absalon und Thamar). Sie ist keine leichtsinnige, galante, höfische Frau, die wankelmütig ihre Liebe heute diesem, ') Nicaule heiBt sie bei Lehms. ') i. Scan. 14, 49; 18, 17—19. ') 2. Sam. 21, 8. IOQ morgen jenem zuwendet, sondern sie liebt ihren Gatten Isboseth aufrichtig und beweist das, indem sie sich jeder seiner Stimmungen anzupassen sucht. Sie qualt ihn nicht mit taktlosen Fragen, sondern wartet ruhig, bis er selbst ihr seine Sorgen erzahlt. In Freude und Leid ist sie seine treue Gefahrtinj ihre Liebe ist „recht vollkommen". Denn „der gröste Theil auf der Welt hebet, allein die wenigsten wissen, was Liebe heisset." Hier jedoch war das Ideal erreicht: „ein Theil nimmt des andern erregte Freude und durchdringende Schmertzen als sein eigenes an." Einmal rettet sie ihm durch ihre Wachsamkeit das Leben und wie er schlieBlich doch von Mörderhand stirbt, will sie ohne ihn auch nicht langer leben: „Mein Herz hat in deinem Leibe gewohnet, und mein Geist ist deiner schonen Seele bestandiger Geferthe gewesen. Die Götter aber haben die beyden getrennet und von sammen gerissen. Weil ich nun ohne dich, erblaBter Gemahl, bereits lebendig Tod bin, so will ich auch im Tod in deinem Angedencken leben. Ich verlange nach dir, ich hoffe nach dir, ich seufze nach dir. Mache dich deswegen fertig, mich auf das neue zu umarmen, und in deine Seele zu schhessen." Der Tod erbarmt sich ihrer, bevor sie den Plan zum Selbstmord noch zur Ausführung bringen kann* Mit dem Leben Davids zieht in diesen drei Romanen die Geschichte eines ganzen Menschengeschlechts an uns vorüber. Wir sehen die jugendlichen Helden als stürmische Draufganger, unbesonnen werbend und abenteuerlustig. Dann • begegnen wir ihnen in der heiBen Leidenschaft des Mannesalters, wirkend im Zenit ihres Lebens, alles beiseite schiebend was ihnen entgegentritt, voller Intrigen. Und schheBhch, und das ist dem Dichter vortrefflich gelungen, naht uns das Alter mit abnehmenden Kraften, bedachtsam und weise, HO iber auch mit der dem Alter eigenen Sucht zur tyrannischen Beherrschung der nachsten Umgebung. Wie haben sie sich /erandert! „Wie wunderlich sind doch öffters die Mütter t>ey dem verdrieBlichen Winter ihrer|Jahre,7und wie verichten sie alsdenn dasjenige, was sie doch in ihrer Tugend gebilhget" (Salomo S. 10). Aber um die Alternden blüht las neue Geschlecht empor und freut sich seines Daseins: „So freue dich, Jüngling, in deiner Jugend, und laB dein Herz guter Dinge sein in deiner Jugend" (Prediger u, 9). FÜNFTES KAPITEL ESTHER BEI LEHMS Lehms ist der fruchtbarste Schriftsteller auf dem Gebiet des biblischen Romans, seiner Feder entstammt auch eine Esther. Unter dem Namen Pallidor erschien 1713 zu Leipzig bei J. L. Gleditsch Der schonen und Liebenswürdigen Esther merckwürdige und angenehme Lebens-Geschichte. Wer Rembrandts herrhches Gemalde im Haag: David vor Saul auf sich wirken laBt, wird bald von der Versunkenheit des harfenspielenden Hirtenknaben, der düstern Schwermut des Saul aufs innigste ergriffen. Vergebens sucht man solche Momente des Entrücktseins in dem Romanzyklus, der doch derselben Kunstepoche entstammt: es fehlt die Meisterhand, die solchen Stoff zu bewaltigen vermag. Dasselbe trifft für den Estherstoff zu, der in den wiederholten Darstellungen Rembrandts jedesmal aufs neue fesselt, dessen künstlerische Ausgestaltung bei dem Schriftsteller des Barock aber scheiterte an dem hemmenden Tugendprinzip. Der Maler wurde besonders von der Figur des Haman angezogen, Lehms dagegen hatte Shakespearscher Kraft bedurft, um diesem Manne gerecht zu werden. Er begnügt sich denn auch damit, die tugendhafte Heldin in den Vordergrund zu rücken, ohne jedoch auch dieser in ihrer Demut so edeln Königin in den tiefsten Seelenregungen nachzuspüren. Weshalb denn auch? Sie entsprach in der biblischen Gewandung [12 allen Anforderungen barocker Moral, er brauchte ihre Persönhchkeit also einfach in ein modern es Kleid zu hüllen und konnte sich weitere Mühe sparen. Eigenthch habe er nach dem Salomo vorgehabt, teilt er in der Vorrede mit, „die biblische Schreib-Arth gantzlich zu beschlieCen". Die tugendhafte Historie der schonen und hebenswürdigen Esther aber, „welche wegen Ihrer besonderen Quah'taten von einem schlechten SeBel auf den Könighchen Thron erhoben worden, hat mir so merckwürdig geschienen, daB ich endlich die Feder anzusetzen, und Sie in diesem Innhalt der galanten Weltzu communiciren, gleichsamb bin genöthiget worden." Er hofft nun, daB sie durch ihre Tugendhaftigkeit den Beifall des Lesers finden möge. Wie gewöhnlich, so werden wir auch hier sofort mit ten in die Handlung hinein versetzt. Esther lebt mit ihrer Gespiehn Josarene traurig als Verbannte auf einer einsamen Insel. Durch einen Schiffbruch gelangt ihr Gehebter, der Prinz Belsazer, auch dorthin und wie er schlaft, erzahlt Esther der Josarene ihre Lebensgeschichte. Wahrend eines Feldzugsx) seines Vaters Nebucadnezar, des Königs von Babel, gegen den judaischen König Jojakim, hat Belsazer in der Nahe von Jerusalem eine unbekannte Schone gesehen, die sein Herz auf den ersten Bliek in Flammen setzt. Irrtümhcherweise halt er die Tochter Jojakims, Joasia, für seine Unbekannte und laBt sie gefangen zu Nebucadnezar bringen. Dieser führt sie als Geisel nach Babyion *) Für die Feldzüge Nebucadnezars gegen Jojakim vergleiche man besonders 3. Könige 24 und 2. Chronika 36. Der treue Feldherr Nebucadnezars heiflt wie in der Bibel (2. Könige 25, 8. 11) Nebusar-Adan. Bei Lehms ist er der Vater der Bassarene, die sich mit Holofernes vermahlt. H3 und dort erst entdeckt Belsazer seinen Irrtum. Er verhilft Joasia zur Flucht in die Heimat. Es folgt ein rauberischer Überfall, wobei Joasia von ihrem Vetter Zereth gerettet wird, der sie spater als Gemahlin hdmführt. DieLiebe zu seiner Unbekannten bringt Belsazer wieder nach Jerusalem. Bei einer Begegnung mit Joasia wird er von König Jojakim und Zereth überfallen und gefangen genommen. Vom Fenster seines Gefangnisses aus beobachtet er seine schone Unbekannte, wie sie sich mit einem Cavalier in ein prachtiges Haus begibt. In dieser Nacht wird er befreit, da Nebucadnezar mit einer groBen Armee gekommen ist, Jojakim zu bestraf en. Dieser wird hingerichtet, sein Sohn wird sein Nachfolger. Nebucadnezar befiehlt Belsazer ihm nach Babel zu folgen, ohne daB dieser seine Schone wiedergesehen oder erfahren hatte, wer sie sei. Nun folgt ohne jeden Übergang die Liebesgeschichte des medischen Prinzen Darius mit der Tochter Nebucadnezars, Adina. Darius hebt Adina. Deren Mutter Semira intrigiert gegen ihre eigene Tochter und sucht Darius für sich zu gewinnen. Dies miBhngt ihr und auch ihr Plan, Adina mit dem verhaBten Targimul zu vermahlen, scheitert an dem Willen Nebucadnezars. Belsazer spielt den freundlichen Vermittler zwischen den Liebenden und ihre Hochzeit wird prunkvoll gefeiert. Der jetzige König von Juda, Jojachin, erhebt sich gegen Nebucadnezar und dieser zieht abermals nach Jerusalem um die Rebellen zu züchtigen. Der Tempel wird geplündert und viele Gefangene nach Babel geführt. Unter diesen ist Esther, die von Adina liebevoll aufgenommen wird. Belsazer erklart ihr seine Liebe, sie aber will nicht die Seine werden, weil er ein Heide sei. Nachdem ér ihr gelobt hat, heimlich ein Jude zu werden, weil er es als Kronprinz öffentlich nicht tun dürfe, erwidert sie seine Liebe. 8 H4 Semira aber, in böser Begierde nach ihrem Stiefsohn Belsazer, intrigiert abermals, und verbannt Esther mit ihrer Gespielin auf die einsame Insel. Einer der gedungenen Verbrecher, die ihr geholfen haben, gesteht auf seinem Sterbebett den Aufenthaltsort der Esther. Ihr Vater Abihail ist unter dessen vor Leid gestor ben; Belsazer jedoch macht sich sofort auf, sie zu suchen und kommt auch glücklich, trotz des Schiffbruchs, auf die Insel. Es wird jetzt zuerst die Liebesgeschichte der Bassarene mit dem General Holofernes eingeflochten und dann frohes Wiedersehen auf der Insel gefeiert. Belsazer aber hat einen bösen Traum, und wirklich, in der Nacht werden sie von Seeraubern überfallen; der Anführer derselben trennt die Liebenden und fordert von Belsazer ein hohes Lösegeld. Er er halt es auch Und der Prinz wird losgelassen, nachdem der Anführer ihm falschlich mitgeteilt hat, daB er Esther habe töten lassen. Traurig kehrt Belsazer an den Hof seines Vaters zurück. Unterdessen hat der Seerauberhauptmann wiederholt Angriffe auf die Ehre der keuschen Esther versucht, wurde aber stets abgewiesen. Er will sie vergewaltigen, wird jedoch von seinem Unterhauptmann daran verhindert und getötet. Esther darf nach Juda zurückkehren, leidet aber unterwegs Schiffbruch. Sie kommt zu Wilden, die sie daran verhindert, sie zu schlachten, weil sie in der Sternkunst sehr erfahren ist und eine Sonnenfinsternis sehr geschickt zu ihrer Befreiung auszunützen versteht. Sie bringt es dadurch sogar fertig die Wilden zur jüdischen Religion zu bekeuren. Endlich nimmt ein Schiff sie mit nach Sidon. Dort trïfft sie Mardochai, den ihr Vater ihr zum Vormund eingesetzt hat. Sie beschheBen, fortan ihren Wohnsitz in der Residenz des Ahasveros, der prachtigen Stadt Susa, zu nehmen. - "5 Zweites Buch. Gerade um diese Zeit gab der König Ahasveros in Susa ein prachtiges Fest. Er bat seine Gemahlin Vasthi sich bei seinem Gastmahl zu zeigen. Die Königin schlagt ihm die Bitte rundweg ab und versucht eine Weiberrevolution zu organisieren. Diese Emanzipationsgelüste haben jedoch nur das niederschmetternde Resuitat, daB Vasthi und einige Radelsführerinnen von den gestrengen Eheherren verbannt werden, die andern sich desto unterwürfiger erzeigen. Darauf folgt die Liebesgeschichte der Prinzessin Seres und des Haman, der in dem Günsthng des Königs, Sethar, einen Nebenbuhler hat. Sethar wendet sich aber seiner ersten Geliebten, der Angelia, wieder zu und beide Paare heiraten. Sethar macht MiBbrauch von seiner Stellung als Günstling und wird durch Hofintrigen von einem die Angelia leidenschafdich begehrenden Höfling gestürzt und darauf hingerichtet. Aber auch der Verleumder entgeht seiner Strafe nicht: die Entdeckung seiner Intrigen führt zu seiner Hinrichtung. König Ahasveros ist durch den Verlust seines geliebten Sethars in groBe Betrübnis versetzt worden. Man schlagt ihm eine neue Gemahlin vor und er beschlieBt, um die Prinzessin Ehcrona zu werben. Der Erbprinz von Sidon ist ihm aber zuvorgekommen und Ehcrona geht dem König verloren. Unter den schonen Jungfrauen, die ihm nun zur Auswahl vorgeführt werden, befindet sich auch Esther. Sie gewinnt durch ihre Tugend des Königs Gunst und er erhebt sie zur Königin. Da sie ahnt, daB Belsazer ihr untreu geworden ist, fühlt sie sich glücklich an der Seite ihres Gatten. Mardochai deckt eine Verschwörung auf und rettet das Leben des Königs. Wir befinden uns wieder am Hof Nebucadnezars. Die Zerstörung Jerusalems und die Fortführung der Juden in u6 die Babylonische Gefangenschaft wird in derselben Weise geschildert, wie sie uns aus 2. Könige 25 und dem letzten Kapitel 2. Chronika bekannt ist. Daran schheBt sich die Geschichte der Judith und des Holofernes, die sehr genau, fast wörtlich, dem apokryphischen Buch nacherzahlt ist. — Die Figur der Witwe des Holofernes, Bassarene, dient nun zum Übergang auf zwei neue Liebesgeschichten, namlich die ihrer Schwester Süonia mit dem Prinzen Reguel und die der Hofdame Mariana mit dem Prinzen Leontin. Theateraufführungen, Feste und Gesellschaftsspiele bilden hier einen wichtigen Teil der Handlung. Und nun werden die Ereignisse, wie sie im Buch Daniël erzahlt werden, vereinigt: dort natten sie sich unter der Regierung Nebucadnezars (im ersten Kapitel) und der seines Sohnes Belsazer (im fünften Kapitel) zugetragen, hier aber werden sie alle unter die des Nebucadnezar verlegt. Dieser ist es, der die goldenen GefaBe aus dem Tempel zu Jerusalem holen und zu profanen Zwecken entweihen lieB, wahrend Daniël, Hananja, Misael und Asaria zuschauen muBten. Unterdessen hat Belsazer die Witwe des Holofernes geheiratet, aber bald nach dem prunkvoll begangenen Beilager erfahren, daB die totgeglaubte Esther noch lebe. Seine ganze Sehnsucht richtet sich auf die Gemahlin des Ahasveros, und Josarene, die er zufalhg bei einem Lustwandel in einem wilden Wald, wo er selbst sich auf der Jagd verirrt hatte, antrifft, verspricht ihm, der Esther ein Sehr ei ben von ihm nach Susa zu bringen. „Wir wollen sie schon zu rechter Zeit wieder finden, itzund aber die wunderbahren Zufalle betrachten, so an des Nebucadnezars Hofe vorgegangen." Nun folgen die Traume Nebucadnezars und ihre Erklarung durch Daniël, die Ge- H7 schichte der drei Marmer im Feuerofen, die VerstoBung Nebucadnezars in die Wildnis und seine Rückkehr, genau nach der Darstellung des Buches Daniël (Kap. 2—4). Nach Nebucadnezars Tod regiert Belsazer. Dieser laBt die Regierung in der Hand seines Schwiegervaters Nebusar-Adan und lebt selbst nur dem Genusse. Bei einem Gastmahl wird Belsazer von den Edeln und Nebusar-Adan getötet — die Darstellung entspricht dem 5. Kapitel des Buches Daniël — das Volk aber setzt nicht Nebusar-Adan, sondern Darius als König ein. Drittes Buch. Die verstoBene Königin Vasthi erhalt auf ihrem einsamen Schlosse den Besuch des agyptischen Prinzen Dejoces. Von ihm erfahrt sie, daB Ahasveros die Esther Zu ihrer Nachfolgerin erhoben habe. Darauf erzahlt er ihr seine eigene Geschichte, die, obgleich sie keinerlei Zusammenhang mit der biblischen Esthererzahlung hat, fast das ganze dritte Buch einnimmt und deshalb hier einen Platz findet. Dejoces war am Hof des Königs von Agypten erzogen worden. Er hebt dessen Tochter Antonie, wahrend die andre Tochter, Cleopatra, ihrerseits den Dejoces hebt. Die Handlung wird durch Intrigen verwint, schheBhch aber gewinnt Dejoces die Antonie und Cleopatra tröstet sich mit dem viel altern lybischen König. Zwei Tage vor der Hochzeit wird Antonie krank und stirbt. Nach ihrem Tode wirbt Dejoces um die lybische Königstochter Zenodore. Wieder trennen nur zwei Tage die Glückkchen von dem Beilager, da wird Zenodore von Belochus geraubt und auf dessen SchloB entführt. Sie befindet sich jetzt in der Nahe der Vasthi und darf diese auch dann und wann besuchen. Dort trifft sie den Dejoces und er führt sie glückhch als seine Braut nach n8 Agypten, nachdem Belochus seinen Schwerthieben erlegen ist. Unterwegs kommen sie auch an den Hof des Ahasveros und werden dort freundhch empfangen. Politische Zwistigkeiten werden geschlichtet und die Hochzeit findet unter groBem Geprange in Agypten statt. Hier folgt nun eine kurze Liebesgeschichte, die sich zwischen der Hofdame Charidea und dem Staatsmann Teleman abspielt. Dann schlieBt sich das Ende der Episode an: Dejoces und Cleopatra vereinigen Agypten und Lybien durch eine Heirat, nachdem alle zwischen ihnen stehenden Personen innerhalb zwei Jahren gestorben sind. Am SchluB des Romans kehren wir in die Residenz des Königs Ahasveros zurück. Auf ungefahr zwanzig Seiten wird die ganze Geschichte der Esther nach dem 3. bis 10. Kapitel des Buches Esther und dem apokryphischen Zusatz mitgeteilt. Von irgendwelcher psychologischen Vertiefung ist keine Spur. Der Roman endet mit einem frohen Wiedersehen zwischen Esther und Josarene, die in dem Oberhofmeister der Königin einen hebenden Gatten erhalt. Lehms halt sich in der Reihenfolge der Ereignisse, soweit sie der Bibel entnommen sind, an seine Vorlage. In der Hauptsache folgt er dem Buch Esther des Alten Testaments, die beiden Schreiben des Königs aber, den Blutbefehl gegen die Juden und den Widerruf, entnimmt er wörthch den Zusatzen in den Apokryphen. Weil er aber alles, was ausschheBlich zur jüdischen Religionsgeschichte gehort, wie die Einsetzung des Purimfestes (Esther 9), weglaBt, so laBt er auch das Rehgiöse aus den Apokryphen fort: die Gebete des Mardochai und der Esther, den Traum des Mardochai und die Wandlung zur Güte im Herzen des Königs, wie Esther vor seinen Thron tritt. Für diese Szene [IQ benutzt er das vierte Kapitel des apokryphischen Buches als Hauptvorlage, wahrend das Alte Testament (Esther 5, 2) sich mit der Mitteüung der einfachen Tatsache der Begnadigung begnügthatte: „Und da der König sah Esther, die Königin, stehen im Hofe, fand sie Gnade vor seinen Augen. Und der König reckte den güldnen Scepter in seiner Hand gegen Esther. Da trat Esther herzu, und rührte die Spitze des Scepters an." Als ein Zug psychologischer Vertiefung ist es anzusehen, wenn er die Esther auf ihrem Gang zum König schildert: „So angenehm und vergnügt aber ihr auserliches Gesichte anzusehen, war doch das Hertz voller Angst und Sorgen, hatte auch vor Jammer Blut weinen mögen." Es ist die krasse Sprache der Zeit, die uns aber hier tiefes Menschenleid mit f einem Gefühl vermittelt. Wenn Lehms zur Fortführung seiner biblischen Erzahlung Zuweilen ganze Stücke aus dem biblischen Text wörthch herübermmmt, so verfahrt er aber in ihrer Verwendung sehr eigenmachtig. Die Geschichte Nebucadnezars beweist dies deutlich. Der König erzahlt dem Propheten Daniël seinen merkwürdigen Traum, wie ein Bote des Himmels das Umhauen des machtigen Baumes befohlen habe: „Doch laBt den Stock x) mit seinen Wurzeln in der Erde bleiben" (Daniël 4, 12), worauf die Prophezeiung von Nebucadnezars Wahnsinn folgt. Den Gedanken, daB ein König wie ein Tier im Walde leben solle, empfindet Lehms als höchst unpassend und er laBt die Schilderung des wahnsinnigen Zustandes denn auch fort. Aus dem, was übrig bleibt, kann sein Prophet aber doch *) Lehms benutzte die Lutherübersetzung der Bibel. Dafür ist diese Stelle besonders beweiskrafug. Die Übersetzung Dietenbergers hat hier namlich: „Doch solt ja dannocht den samen seiner wurtzel inn der erde lassen." 120 dem König sein Schicksal vorhersagen, wenn auch viel höfhcher als der biblische Prophet: „DaB Sie aber zugleich einen heiligen Wachter von dem Himmel herab fahren sehen, der den Baum umzuhauen befolen, aber doch den Stock mit seiner Wurtzel in der Erde gelassen, das gehet alles Ihr. Maj. an. Sie werden nemlich von den Menschen verstossen und dahin gebracht werden, in den Wüsten und Einöden so lange zu wonnen, biB sie die Gewalt des Höchsten erkennen, und daB er allein die Königreiche geben könne, wenn er wolle" (S. 531). Und auch die himmlische Stimme (S. 533) spricht nur davon, daB ihm seine Macht genommen werde und erwahnt nichts von der Ausstoöung, wie Daniël 4» 29. Nun kommt die Erfüllung des Traumes. Wieder wird in der Bibel die furchtbare Erniedrigung Nebucadnezars geschildert: „und er aB Gras wie Ochsen, und sein Leib lag unter dem Tau des Himmels, und ward naB, bis sein Haar wuchs so groB als Adlersfedern, und seine Nagel wie Vogelsklauen wurden" (Daniël 4, 30). Bei Lehms gerat Nebucadnezar in einen Wald, wo er sich verirrt: „Gegen den Abend Eand sich auch der Hunger ein, und Nebucadnezar konnte tiunmehro sattsam schhessen, daB des Daniels Propheceyung keine leere Worte gewesen, weil er endlich die Wurtzeln aus der Erde graben, und eine gewisse Art Grasses genüssen tnuste, seinen Hunger und Durst dadurch zu stillen. Es fand sich aber dennoch keine Reu über sein tyrannisches Leben, and so lange diese zurück blieb, muste er bey den wilden Thieren wonnen, und ihre Speise geniessen." So ist doch dücklich das Dekorum gewahrt. Andre Anderungen sind auf Mangel an poetischem Empfinlen zurückzuführen. Sehr stark tritt dies bei einer Stelle aus 121 demselbcn Buch Daniël hervor. Da heiBt es von dem ersten Traum (2, 36—38): „Das ist der Traum. Nun wollen wir die Deutung vor dem Könige sagen. Du, König, bist ein König aller Könige, dem der Gott des Himmels Königreich, Macht, Starke und Ehre gegeben hat, und alles, da Leute wonnen, dazu die Tiere auf dem Felde und die Vogel unter dem Himmel in deine Hande gegeben, und dir über alles Gewalt verliehen hat. Du bist das güldne Haupt." Lehms macht es kurz: „Das ist der Traum; Nun will Ihrer Maj. auch die Deutung davon vermelden. Sie sind ein König aller Könige, dem GOtt Macht, Ehre und Starcke gegeben, und bedeuten das güldene Haupt" (S. 527). Die schone Stelle des 38. Verses, die die Allgewalt des Herrschers in so dichterische Worte kleidet, wird als überflüssig weggelassen. Die Esther ist genau so aufgebaut wie der Davidzyklus. Ein einziges Mal riur laBt den Verfasser seine Routine im Stich: er kermt sich selbst nicht mehr aus in dem eingeschachtelten Gehause. Prinz Dejoces erzahlt der Vasthi seine Liebesangelegenheiten. Nachdem von einem Gedicht, daB er seiner Angebeteten zu Ehren verfaBt hatte, die Rede war, fallt Lehms irrtümhcherweise von der ersten in die dritte Person der Einzahl, nachdem Dejoces dann aber der Königin noch einen Brief an Zenodore vorgelesen hat, kommt der Verfasser auf die ursprünghche Darstellungsform zurück. Unter den eingefügten Zwischenerzahlungen befinden sich wie in Absalon und Thamar auch in der Esther einige aus der Bibel. Sie werden als Belehrung Unwissender eingeführt. Das eine Mal ist Holofernes der Ungebildete: er wuBte von seinem eigenen Vaterland wenig, weil er sich „um die 122 Historie und Geographie" nicht viel bekümmert hatte. Das besorgten seine Weisen für ihn. Um ihn aber zu orientieren, erzahlt ihm Achior mit einigen Worten die ganze Geschichte der Juden. Ein anderes Mal bittet Haman seine Angebetete, die Seres, um die Erklarung einiger ihm unverstandhchen Bilder. Seres, „welche sich eine Freude machte, wenn sie ihren Verstand in dieser schwehren Wissenschafft zeigen konnte," erzahlt ihm ausführlich die dargestellten biblischen Erzahlungen von der Dina, dem Joseph und von David und Goliath. Mit der Josephgeschichte hat sie einen sehr zweifelhaften Erfolg: „Haman wunderte sich über diese Geschichte noch mehr, als über die erste, und gedachte bey sich selbst, nach aller wohllüstigen Leute Humeur: Was ist nicht dieses vor eine thörichte Einfalt gewesen, ein solches Glück, von einer schonen und reitzenden Dame geliebet zu werden, so liederlich auszuschlagen. Ich wollte mich besser aufgeführet haben, und doch wohl hernach durch sie zu eben den hohen Ehren gelanget seyn." Die Prinzessin bemerkte seine Nachdenkhchkeit und erkundigte sich danach: „Haman aber war nicht gesonnen, ihr seine Gedancken zu eröffnen" und so gingen sie auf das dritte Bild über. Der Stil ist im allgemeinen ruhiger gehalten als in den vorhergehenden Romanen. Er bewegt sich nicht andauernd in entgegengesetzten Windungen und seine Vergleiche mit der Natur, dem Tier-, Mineral- und Pflanzenreich sind weniger gesucht und beschranken sich auf kürzere Stellen. Er bringt hier mehr Erzahlung, weniger Reflexion, von den lehrhaft moralisierenden Einwürfen, die sich bei ihm übergenug finden, abgesehen. Seine Vergleiche sind nicht immer einwandfrei. Er bevorzugt das Hermelinchen als Sinnbild der Keuschheit, wie auch Zesen und Grimmels- 123 hausen es als Symbol für Josephs Reinheit gern von Cats herübernahmen 1). Aber offenbar wird es bei Lehms so zur gewohnheitsmaBigen Redensart, daB er vergiBt, daB es sich dabei um die Reinheit des Pelzes handelt. Nachdem er den Vergleich zweimal in Absalon und Thamar richtig gebracht hat, indem er Thamar mit einem „reinen und unbefleckten Hermelin" vergleicht und Siridene an der Leiche ihres Gatten sagen laBt, daB ihre Liebe „so unschuldig und rein, als der unbefleckte Hermelin" gewesen sei, legt er seiner Esther die Worte in den Mund, daB so wenig unreines Feuer in ihrem keuschen Herzen verborgen liege „als in dem Munde der unbefleckten Tauben und reinen Hermelinen tödthches Gift zu finden." Die einzelnen Erzahlungen sind wie die Romane selbst echt barock in ihrem in allen Variationen vorkommenden Grundmotiv vom Wechsel des Glücks. Die Unbestandigkeit des Schicksals, heute auf der Höhe des Lebens, morgen im tiefsten Unglück, bald in der Pracht könighcher Höfe, dann einsam und verlassen auf einer öden Insel, jetzt umworbene Gehebte, plötzhch wieder niedrige Skjavin: ruhelose Gegensatzhchkeit beherrscht den Lebensgang der Helden und Heldinnen. Adine in der Esther empfindet dieses Geschleudertwerden vom einen AuBersten ins andre bewuBt, wenn sie in ihrem Schmerz um die drohende Trennung von ihrem Geliebten klagt: „Ach! unbestandiger Wechsel der menschhchen Freude! ich empfinde dich allzu hart, und muB anitzt lernen, was Unglückseehge vor eine Sprache führen.... ') Bei Lehms wird die Herübernahme eine mittelbare sein. Sie wird aus Zesen stammen, wie sich aus der allgemeinen stofflicher Abhangigkeit, die ich S. 63 nachwies, mit groBer Wahrscheinlichkeil folgern laBt. 124 Alle Zimmer, wo ich mich sonst in vergnügten Gedancken auf gehalten, werden mir Marter-Bancke; und alle Blicke, so mich sonst an meinem gehebtesten Darius erfreuet, bey dem schandhchen Targimul Höllen-Blitze" (S. 156 f.). Auch „die gröste, aber in die höchste Niedrigkeit versetzte" Königin Vasthi kommt zu dieser Erkennthis. Sie beginnt „ihr Elend zu beweinen, und zu fühlen, wie wehe es thue, wenn man von dem höchsten Gipffel aller irrdischen Glückseehgkeit in den tieffsten Abgrund des entsetzhchsten Verderbens geworffen werde" (S. 294). Der biblische Roman zur Zeit von Lehms gehort zu den galanten Dichtungen. Der Begriff des Galanten verbarg sich Zu Grimmelshausens und Zesens Zeiten noch im alamodischen Wesen. In den folgenden Jahrzehnten aber entwickelte er sich selbstandig und erreichte um die Wende des Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Die vollendete Darstellung des „galant homme" wurde letzten Endes das Ideal des modischen Schriftstellers. Das „Galante" wurde vom Leben auf die Kunst übertragen und dort zum Formbegriff, und so blenden die „galanten Verpflichtungen der Cavallieres und Damens" zwar nach auBen, verhullen aber nur notdürftig die Faulnis der Sitten. Bald werden Schlüpfrigkeit und Galanterie eins, aber der Schriftsteller spürt es nicht mehr. Lehms ist dafür ein bezeichnendes Beispiel. Oft, besonders in den Heroiden, richtet er sich gegen das galante Unwesen vieler Kreise, bemerkt aber nicht, daB seine eigene Dichtung damit durchsetzt ist. Doch bewahrt er sich zuweilen einen kritischen Bliek, besonders das allzu starke Trinken gefallt ihm nicht. Am Hof des Ahasveros, so erzahlt er in der Esther, habe der König bei einem Gastman! ausdrückhch befohlen, „nieman- [25 den zu zwingen, sondern einem jeglichen seinen freyen Willen zu lassen, wider die Gewohnheit der heutigen Welt, die bey grossen Gastereyen alle Pracht vor geringe halt, wenn nicht dabey auf das entsetzlichste gesoffen wird." Und ziemhch scharf fahrt er dann fort: „Der UberfluB im Trincken will bey gegenwartiger Zeit ein Stück von einem galant homme seyn: wer nicht mit aushalten kan, wird wenig astimiret. Gleichwohl sehe ich nicht, wie mich dieses zu einem galant homme machen kan.... Es verlange solches niemand zu erfahren, denn er möchte eher lernen, was eine unvernünftige Bestie, als ein galant homme ware." Wahrlich, für den vorsichtigen, diplomatischen Lehms eine ungewöhnhche Ausdrucksweisel Schon mancher Schriftsteller vor ihm hatte sich gegen dieses Zeitübel gewendet, denn sie sahen in diesem Laster den Ursprung vielen Unheils und führten mit Recht einen groBen Teil der jammervollen wirtschafthchen und sozialen Zustande auf die UnmaBigkeit im Trinken und die damit verbundene Verrohung des Einzelnen zurück. Doch hat wohl keiner das so drastisch und doch gleichzeitig mit solch eindringlichem Ernst seinen Zeitgenossen vorgehalten wie Grimmelshausen. Im Simplicissimus schildert er ein solches Saufgelage; die zunehmende Trunkenheit der Marmer, die er bedienen muB, entlocken dem kleinen Simphcissimus die Frage an den Pfarrer: „Können dann ihre Seelen, die Gottes Ebenbild seyn, in solchen Mastschwein-Cörpern verharren, in welchen sie doch, gleichsam wie in finstern Gefangnussen und Ungezifer-massigen Diebs-Thürnen, ohn alle gottseelige Regungen gefangen ligen? Ihre edle Seelen, sage ich, wie mögen sich solche so martern lassen? Seynd nicht ihre Sinne, welcher sich ihre Seelen bedienen solten, wie in dem Eingeweid 126 der unvernünfftigen Thier begraben?" (Simplicissimus, Buch I, Kap. 30). Die satirische Frage im Simplicissimus und die etwas rhetorisch gefarbte Klage in der Esther beweisen, daB in dem halben Jahrhundert, das die beiden Werke trennt, die Zustande sich noch um nichts gebessert hatten. Sechstes Kapitel FREIERE BEHANDLUNG BIBLISCHER MOTIVE IM ROMAN DES BAROCK Wir finden sie bei Joachim Meier und Anton Ulrich von Braunschweig. Meier wurde am 10. August 1661 zu Perleberg in der Mark Brandenburg geboren. Nachdem er seine Studiën zu Braunschweig und Marburg vollendet hatte, wurde er Hofmeister bei den Herren von Schuienburg. Er begleitete sie auf ihren Reisen in Frankreich und Deutschland. Im Jahre 1686 wurde er Lehrer am Gymnasium zu Göttingen und erhielt 1695 den Professortitel. Ursprünglich Historiker, zog ihn die Rechtswissenschaft mehr an und, nachdem er 1707 zum Doctor Juris promoviert war, erwarb er sich auf diesem Gebiete eine so groBe Praxis, daB er zehn Jahre spater den Unterricht verlieB und sich nur noch seinen juristischen Studiën widmete. Am 2. April 1732 starb er im Alter von 70 Jahren. Er besaB eine reichhaltige Bibhothek. Auch mit schoner Literatur beschaftigte er sich viel und gern: wir verdanken seiner Feder neben gelehrten fachwissenschafthchen Abhandlungen auch Übersetzungen fremder Romane und ein eigenes Romanwerk: Die Hebreerinnen. Meier ist der Theoretiker unter den Verfassern biblischer Romane. Viele seiner Anschauungen lernten wir in anderm Zusammenhang kennen. Aber auch mit Bezug auf sein eigenes 128 Werk stellt er sich auf einen ausgesprochenen Standpunkt: „Was die Beschaffenheit derjenigen Personen betrifft, welche aus der Bibel von mir in meinén Romans endennet, habe ich die Begebenheiten ihrer ersten Jugend beschrieben, worinnen sie so wenig ohne einige Schwachheiten, als von Mutterleibe an Heilige seyn können. Es wollen verschiedene und der Sachen nicht unerfahrne behaupten, daB Abraham in seinen ersten Jahren so wohl als Th ara *) ein Götzendiener gewesen; von dem Joseph geben sie vor, er habe nicht wenig von denen Aegyptischen Gebrauchen angenommen. Es fehlet ihnen auch nicht von dem Isaak und Jakob etwas zu melden, welches zu erkennen giebet, daB sie nicht weniger gebrechliche und schwache Menschen als grosse Vater und Heiligen gewesen." Nun könne man dies eventuell widerlegen, nichtsdestoweniger gehe aber doch deutlich daraus hervor, daB man diese Personen „nicht so gar verabgöttern müsse, daB man ihnen nicht gleichfalls dergleichen Begebenheiten, wie anderen Menschen zuschreiben dürffe, insonderheit wenn solche nicht wieder die Tugend und Erbarkeit lauffen und ihr Ansehen so wenig als die Ehrfurcht der Bibel verIetzen." Er glaube aber, sehr vorsichtig mit seinen biblischen Fi guren gehandelt zu haben, und möchte den sehen, „der mir einige Umstande in denen Durchl. Hebreerinnen zeigen könne, welche denen Personen, so ich aus der Bibel ent- *) Nach Genesis li, 24 ff. war Tharah der Vater Abrahams. DaB er Götter verehrt habe, bezieht sich wohl auf die Stelle Josua 24, 2: „So sagt der Herr, der Gott Israels: Eure Vater wohneten vor Zeiten jenseit dem Strom, Tharah, Abrahams und Nahors Vater, und dieneten andern Göttern." Damals war Abraham noch bei seinem Vater und hat also auch in der Jugend Götter angebetet, wie Meier sagt, denn 24, 3 fahrt fort: „Da nahm ich euren Vater Abraham jenseit des Stroms, und lieB ihn wandern im ganzen Land Kanaan." [2Q lehnet, unanstandig waren, oder unpartheyischen. und tugendhafften Gemüthern das geringste AergerniB geben können." Er hofft, daB viele nach der Lektüre die Bibel nachschlagen werden, „welche es sonsten nicht Sinnes gewesen." Diejenigen, welche dies getan haben, mogen eine groBe Enttauschung erlebt haben, wenn sie vermeinten, in der Bibel Ahnliches wie in Meiers Roman zu finden. Denn Meiers phantastisches Gebilde hat recht wenig mit der Bibel zu schaffen, der Name biblischer Roman im engeren Sinne ist dafür kaum angebracht. Der Durcfuauchtigsten Hebreerinnen Jiska, Rebekka, Rahel, Assenath und Seera Helden-Geschichte ist ein Romanzyklus, der unter diesem gemeinschaftlichen Titel*) schaferlich gefarbte Liebeserzahlungen nur dem Namen nach biblischer Heldinnen vereinigt. Meier hitte wirklich nicht nötig gehabt, sich zu entschuldigen, wie er es im Vorwort tut, daB er es wage nach Zesens Romanen und Zieglers Heroiden auch noch einen biblischen Stoff zu bearbeiten. Die Entschuldigung dem „Durchlauchtigen Verfasser der Aramena" gegenüber ist schon eher am Platze, denn wir werden spater sehen, daB dieser ebensowenig inneren Zusammenhang mit der Bibel erstrebt. Die Heldinnen sind für Meier alle „Hebreerinnen". Er erklart das in der Vorrede für jede einzeln. Seera und Assenath bedürfen einer naheren Auseinandersetzung: Seera war die Tochter Ephraims; dieser lebte zwar in Agypten, auch war seine Mutter eine Agypterin, er selbst aber, und infolge- ') Der vollstandige Titel lautet: Der Durchlauchtigsten Hebreerinnen Jiska, Rebekka, Rahel, Assenath und Seera Helden-Geschichte, Zu Erklarung der alten Zeiten und tugendhaffter Gemüths-Belustigung auffgefuhret und mit Kupfern gezieret, Leipzig und Lüneburg, Bey Johann Georg Lippern, Anno 1697. Mir hat ein Exemplar des Werkes aus der Landesbibliothek Weimar vorgelegen. 9 C30 dessen seine Tochter auch, waren Hebreer. Für Assenath ist die Nationalitat des Gatten maBgebend. Die erste Erzahlung, von der Jiska, ist vorwiegend Intrigenroman. Abraham wird von einer assyrischen Königin ganz in der Art der Sephira-Episoden zu verführen gesucht. Aber auch er ist tugendhaft wie Joseph. Nun sucht die beleidigte Königin die Jiska umzubringen, die sie zwingt, an ihrem Hof zu leben. Nach vielerlei Gefahren und Verleumdungen wird Jiska doch glücklich die Braut Abrahams. Zu Anfang nennt er seine Gehebte Sar ai, d. h. eine Fürstin, weil sie ihm so edel wie eine Fürstin vorkommt. Er weiB da noch nicht, daB sie wirklich eine ist. Spater nennt er sie Jiska, einmal sogar (S. 87) Sar ai Jiska. Sie war des Fürsten Haran, Abrahams Bruders, Tochter, seine Nichte also. Loth vermittelte dem Abraham die Liebe der Jiska. Die Erlauterung des unsichern Namens dieser biblischen Frauenfigur wird von Lehms in den Heroiden fortgesetzt. Es ist eine ziemlich verwickelte Sache: die Frau Abrahams wird in der Bibel Sar ai, auf götthchen Befehl spater Sara genannt (Genesis 17, 15); da beide Namen „Fürstin" bedeuten, ist der Grund der Namensanderung nicht ersichtiich. Ziegler nennt sie Sara, Lehms Sarai, obgleich die von ihm erzahlten Ereignisse am Hofe König Abimelechs nach der Chronologie der Bibel vor f allen, als der Name bereits geandert war (Genesis 30). Er schüeBt sich hier wohl der jüdische n Sage an1). Aber, fügt er bei ihrer Einführung in die Erzahlung hinzu, sie werde „auch sonst nach der Meynung der Juden und vieler ihnen beypfhchtenden Christen" Jisca genannt und sei eine Tochter von Abrahams Bruder Haran gewesen (Helden- ') Vgl. Micha Josef bin Gorion, Die Sagen der Jaden zur Bibel, Bd. II, Frankfurt a. M., 1914, S. 154. 3i Liebe S. 3). Er wird hier wie so oft, von Meier abhangig sein, denn der Stammbaum der Sara steht durchaus nicht fest. Nach Genesis II, 27—29 hatte Tharah drei Söhne: Abram, Nahor und Haran. Letzterer hatte zwei Tochter, Milka und Jiska, und einen Sohn, Loth. Die Milka wurde die Gattin ihr es Onkels Nahor. Abrams Gemahlin hieC Sarai. Genesis 20 nennt Abraham sie seine Halbschwester, seines Vaters, aber nicht seiner Mutter Tochter und sein Weib. In der Bibel also sind Sarai und Jiska nicht identisch. In einer Sage, die Micha Josef bin Gorion erzahlt (II, S. 32), werden Haran auch zwei Tochter und ein Sohn zugeschrieben, die Namen lauten aber Milka und Sarai, nicht Jiska. S. 333 wird Nahor als der Vater genannt. Unsre Barockdichter kannten wahrscheinlich irgend eine Form der Sage, wie sie S. 98 bei Bin Gorion erzahlt wird, nach welcher Milka, die Tochter Harans, Nahors Gattin, „die Jiska aber, welche Sarai hieB", die Frau des Abraham wurde. Rebecca ist die Titelheldin des zweiten Romans. Als im ersten Kapitel dieser Arbeit die Behauptung aufgestellt wurde, der biblische Roman sei kein Schaferroman, war damit ausschliefilich der wirklich biblische Geschichte behandelnde Roman und die verwandte Heroide gemeint. In Meiers Werk ist das Schaferliche vorherrschend, hier besonders. Die Hirten des Alten Testaments sind zu barocken Schafern geworden; die meisten, das betont der Verfasser ausdrücklich, sind verkleidete Standespersonen. Isaac ist ein schoner Schafer aus Kanaan. Rebecca wird von Drakon entführt. Um diesem zu entfliehen stürzt sie sich in den Pharphar und versucht durch Schwimmen das andere Ufer zu erreichen. Es ware ihr aber wohl kaum gelungen dem VerhaBten zu entkommen, wenn Isaak sie nicht gerettet hatte. Spater, 132 das erfahren wir aber erst im folgenden Roman, will sie dann ihre Söhne verheiraten und zwar den Esau mit der Lea, den Jacob mit der Rahel. — Der Roman hatte gewiB viel Anziehendes für den damaligen Leser: auf blumengeschmückten Schiffen werden Festlauben errichtet und es werden darauf Lustfahrten mit Musik unternommen. Ferner findet sich die Fiktion einer schaferlich-gespielten Liebe, indem die vielumworbene Schaferin Rebecca dem bevorzugten Schafer Kasias eine Lieder-Liebe erlaubt, das heiBt, er darf ihr von seiner Liebe vorsingen und sie in seine Lieder einführen, aber jeder muB wissen, daB es keine wahre Liebe sei. Der dritte Roman, Rahel, ist ahnlich wie der vorhergehende als reiner Schaferroman aufzufassen. Der hebraïsche Fürst Jacob reist nach Haran, wo er die schone Rahel kennen lernt. Diese wird von dem Prinzen Hanoch gehebt. Jacob wirbt nun auch um sie und es gelingt ihm, sie aus der Gefahr, von einem Wolf verschlungen zu werden, zu erretten. Rahel und ihre Schwester Lea lieben ihn, obgleich Lea auf Gegenliebe nicht zu hoffen wagt, da sie ihre Schönheit durch eine Krankheit verloren hat. Jacob bekehrt sie von der Abgötterei und sie will sich nicht zum Betrug gegen ihn gebrauchen lassen. Sie wifd jedoch dazu gezwungen und wird sein Weib anstatt der Rahel. Diese halt den Geliebten für untreu und wird von Hanoch und ihren Brüdern entführt, von einigen Schafern aber gerettet. SchlieBlich klart sich alles auf und sie wird mit Jacob vermahlt. In diesem Kern des Romans laBt sich wenigstens noch eine Spur biblischen Geschehens erkennen. Der Rest ist arkadisches Beiwerk. Im vierten Roman, der Assenath, wird haufig von der Jagd erzahlt. Doch ist dies der einzige der Serie, in welchem ein wirklich biblischer Teil vorhanden ist. Und zwar wird 123 im Anfang des zweiten Buches — alle fünf Romane sind in zwei Bücher eingeteilt — die Erzahlung von Josephs Jugend und seiner Verführung durch Sephira mitgeteilt. Amenophis erfahrt sie von Gerson, „welcher alle Geheimnisse seines (= Josephs) Lebens wuBte." Der Name Musai, der sonst gewöhnhch die Rolle des Erzahlers hat, kommt nicht vor. Die Josephgeschichte unterscheidet sich von allen andern Fassungen nur durch Einfachheit des Stils und eine besondere Hervorhebung der Zeit, die Joseph im Gefangnis verbrachte. Sein gunstiger EinfluB auf die Mitgefangenen wird weitlaufig beschrieben. Der Verfasser hat Zesens und Grimmelshausens Werk nicht ohne Frucht gelesen1), das Gelesene aber zu einem selbstandigen Ganzen verarbeitet. Im Jahre 1732 erschien zu Frankfurt und Leipzig eine Schrift: Die Tritanphirende Keuschheit in der getreuen Liebe Des keuschen Prinzen Josephs, Gegen seine geliebte Prinzefiin Assenath, in einer Anmuthigen Beschreibung Und HeldenGeschichte Zu Erklarung der alten Zeiten und tugendhaffter Gemüths-Belustigung vorgestellet und mit schonen Kupfern geziert, Zum Druck befördert von Meiander *). Dies ist kein •) An Grimmelshausen erinnert z. B. das Sprichwort „weil auf einen Hieb kein Baum fiele" (§ 10). Grimmelshausen sagt: „der Baum fall nicht so gleich von wenig Streichen" (Keiler IV, 765). Bei Meier tröstet Sephira sich selbst mit diesem Gedanken, wahrend bei Grimmelshausen die beiden Kammerjungfern ihr damit Trost zusprechen. Auch die Briefintrige, daB namlich eine der Jungfern den ihr von der Selicha zum Verbrennen eingehandigten kompromittierenden Liebesbrief an den Joseph, der von diesem zurückgeschickt worden war, aufbewahrt hatte, und wie derselbe nun als Werkzeug gegen Sephira benutzt wird, hat starke Ahnlichkeit mit Grimmelshausen. •) Man vergleiche Körnchen a. a. O. S. 166 f. und T. Hofer, Ein noch unbekannter Josephsroman aus galanter Zeit, Progr. Brünn, 1910. J34 netter Josephroman, sondern eben die besprochene Erzahlung Meiers in einem neuen Gewand. Meiers ursprünglicher Romanzyklus ist auch mit Kupfern versehen, im ersten Buch der Assenath befindet sich ein Bild, das den Tod des Adonis auf der Jagd vorstellt, im Hintergrund die herbeistürzende Jo, im andern Buch ein Bild auf dem die Errettung der Assenath dargestellt wird. Ihr Pferd namlich war auf der Jagd scheu geworden und nur Josephs Geschicklichkeit gelang es, einen lebensgefahrlichen Sturz Zu verhüten. In der Ausgabe-Melander werden ebenfalls diese Ereignisse vorgestellt aber mit andern Kupfern. AuBerdem sind noch ein paar Bilder hinzugekommen, worunter eines, das die Verführung der Sephira reproduziert. Meier hatte wohl nicht unabsichtlich diese Vorstellung weggelassen: sein ganzes Werk zeichnet sich durch eine damals unbekannte Dezenz aus. Ein Vergleich der beiden Ausgaben ergab ferner, daB die Ausgabe 1732 mit geringfügigen, meist orthographischen, Anderungen den Text der Erstausgabe abdruckt. Über den fünften Roman Meiers, die Seera, laBt sich in unserm Zusammenhang nur mitteilen, daB er bis auf einige Namen überhaupt nichts Biblisches enthalt. Von allen andern Verarbeitungen biblischer Stoffe im Roman hebt Meier sich durch seinen Stil ab. Er stilisiert überhaupt nicht, macht kurze, klare Satze und berichtet im Erzahlerton ohne hemmende Verastelungen oder storende In diesem Werk wird Meiander mit J. G. Ansorge identifiziert: es ist aber ein Irrtum, wenn Hofer ihn für den Verfasser halt. Denselben Irrtum hatte schon Bobertag begangen. Wir wissen jetzt, daB Meiander der Verleger, bezw. Herausgeber, Joachim Meier der Verfasser ist. Dem deutschen Staats gymnasium in Brünn bin ich für liebenswürdige Überlassung des Programms erkenntlich. Es bringt einen Auszug des Romans und weist einige Ahnlichkeiten mit Grimmelshausen nach. 135 Sprünge in seinem Satzbau. Auch vermeidet er Fremdwörter wie Cavalier u. dgl., ohne aber in Zesenschen Purismus zu verf allen. Doch fehlt seinen Romanen etwas: sie sind allzu schmucklos, die Erzahlungen sind dürftig, an allen Seiten geflickt. Bibel, Mythologie und Abenteuerroman sind zu nüchternem Tagesbericht umgewandelt. Das Schaferkleid verbirgt nur notdürftig die Armut der Erfindung. Am SchluB seiner Vorrede verspricht er bei genügendem Erfolg seiner „Durchlauchten Hebreerinnen", dieselben ,ünftig, gehebt es GOttl in der Zipora, den schonen Töchtern des Zelaphead, Nehuma, Rahab und Achsa, und also ferner in folgenden zur Erklarung der alten Geschichte" in seinen Nebenstunden fortzusetzen. Daraus ist dann wohl nichts geworden, denn diese Romane sind auBer in der Dissertation Volckmanns, der die Stelle, wie oben auseinandergesetzt wurde, aus Meiers Vorwort übernahm, nirgends nachzuweisen. Es war lange Zeit eine in der Literatur weit verbreitete Ansicht, daB die Aramena des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig ein biblischer Roman sei, bis Cholevius die Sache richtig steilte: „Sein erster Roman, Die darchleuchtige Syrerin Aramena (1669—1&73)t sollte vielleicht eine bibhsche Dichtung werden und der Herzog mag seine Entwürfe ursprünglich an die Heirat Jacobs angeknüpft haben. Bei der Ausführung trat jedoch das Patriarchentum ganzhch zurück und man sollte nicht mehr wiederholen, daB dasselbe dem Romane zum Grunde liegt, da es kaum eine Episode in ihm bildet, der hauptsachliche Inhalt aber und der ganze Geist der Dichtung nichts mit der Geschichte der Erzvater zu tun hat" (a. a. O. S. 176 f.). Und wirklich, die vielen biblischen Namen sind lauter unbiblischen Phantasiegestalten 136 beigegeben, in der Art, wie wir es bei Meiers Hebreerinnen beobachtet haben. Auch das eingefügte Singspiel von Jacob und Rebecca ist weiter nicht von Bedeutung; es wurde von Lehms im Salomo nachgeahmt. Dagegen enthalt sein zweiter Roman, die Römische Octavia, ein Heldengedicht vom König David, das in seiner Art einzig dasteht und an dem sich alle Eigenheiten des Schaferromans zeigen. Die Gattung, die Meier in Prosa für seine angebhch biblischen Helden verwendete, wird hier in Dichtform auf Davids Erlebnisse mit Merob und Michal übertragen. Da]; Gedicht befindet sich mit eigenen Illustrationen in der „auf Veranlassung einer hohen Königl. Prinzessin" vollstandig umgearbeiteten Ausgabe des Jahres 17121). Die Ausgabe 1685 bringt es nicht, ebensowenig die Ausgabe 1711, die ich «reder bei Cholevius, noch bei Bobertag verzeich.net gefunden habe 2). Die Geschichte Davids, Königs in Juda, wird im vierten Teil interpohert. Wahrend Milca auf das Ende einer Versammlung im Palast der Pomponia Gracina wartet, hört sie die versammelten Christen ihr bekannte Gesange singen. Sie wundert sich darüber und erfahrt von der Domitia Paulina, „daB diese Lieder vor Zeiten ein König in Juda abgefasset" und daB sie bei den Christen in hohem Wert stünden. Das waren die Psalmen. Die Domitia Paulina gibt ihr dann ») Das Gedicht wurde noch einmal in anderm Zusammenhang abgedruckt: „Eine starke Probe des im 4. Tl. der Römischen Octavia eingeschalteten epischen Gedichts, Die Geschichte Davids, Königs in Juda, befindet sich in der Sammlung der Zürcherischen Streitschriften etc. Stek. 10. S. 3—81 mit Anmerkungen, welche das Unreife dieses Gedichts, besonders in der Anlage desselben, zeigen sollen" (Jördens li 57)- *) Eine vollstandige Aufzahlung der Ausgaben findet sich bei Goedeke, III', S. 249. 137 auch „die Schrift"; „auf mein Verlangen hat des Pudens RufusSohn dieses wieder aufgesuchet, so er in seiner Jugend abgefasset, wovon jedoch das meiste von handen gekommen." Was aber übrig ist, zeigt zur Genüge, daB die Christen den David verentten, was Milca bezweifelt hatte. Um David vor den Gefahren des Krieges zu schützen, hatte der alte Isai ihm die Schafe zu hüten befohlen. Damit ist die arkadische Situation gegeben. Er besiegt zuerst einen Baren, dann einen Löwen. Darauf spielt er die Harfe vor König Saul und traumt von seinem zukünftigen Ruhm. Eines Tages suchen drei Frauen Schutz vor furchtbarem Gewitter in der Höhle, die David bewohnt. Ohne zu wissen, daB sie nicht allein sind, singen sie ein Lied und der Lauscher erkennt einen seiner eigenen Psalmen: Ich heb die Augen auf aus allen Trübsahls Gründen Hin zu die hohen Berg. Mein Hülffe kommt von Gott *). Sie habe den Gesang von Jonathan, sagt die eine, worauf die andre fragt: „Wie? kommt er von meinem Mann?" Die erste Sangerin antwortet aber: „Der schone David hat dies Kunstgebaud gedichtet." Eine der Frauen ist Thalmais*), die Gattin Jonathans. Die andern sind die beiden Tochter Sauls, Merob und Michal. Der unsichtbare Lauscher im Hintergrund erfahrt die ganze Liebesgeschichte der einen *) Über Rufus und seine Mutter vgl. Römer 16, 13. ') Psalm 121. *) Thalmai ist ein Mannername, ein Schwiegervater Davids heiBt so, vgl. 2. Sam. 3, 3. Dort steht der Name im Genitiv: Thalmais. Ob Anton Ulrich deshalb diese Form mit s gewahlt hat? r38 Schwester mit dem „tapfern Ritter" Adriel (S. 429—443) und hört zu seiner groBen Freude, daB die andere ihn liebe. Jedoch: Er weiB nun wer sie sind, weiB doch nicht wer ihn liebet, Die Merob und Michal sind diese, deren giebet Die eine ihre Lieb so deuthch an den Tag. Dann schlafen sie ein. David sieht die Dammerung des erwachenden Morgens, dem eine sehr schone Beschreibung gewidmet ist. Der Hirt muB zu seiner Herde gehen, zuvor aber will er die Frauen bei Tageslicht sehen, deren Erzahlungen ihn in so hohem Grade ergötzt haben. Er hat eine Bege e nu ng mit Michal, bei der über das herrliche ungebundene Leben auf dem Lande im Gegensatz zu dem auBerst geregelten Hofleben gesprochen wird: .... Doch Michal bleibt dabey, Bey Hofe lebt man streng, im Felde lebt man frey. Eben als David davor steht, den Schleier über dem Geheimnis der Nacht zu lüften, bricht die Geschichte ab, indem der Verfasser erzahlt, daB gerade hier eine Lücke in der Erzahlung vorliege. „Als Milca in ihrem lesen bis hieher gekommen war, fande sie ethche ledige Blatter, auf denen nichts geschrieben ware, weshalben sie in etwas inne halten muste." Ihre Zuhörerin Cönis ist darüber „gantz ungeduldig, daB sie eben an dem Orthe aufhörete, da ihre Begierde zum grössesten gewesen ware, zu vernehmen, wie der David möchte seine rechte Liebste gefunden haben." Das „gantze andre Buch" der I3Q Erzahlung fehlt und Milca fahrt mit dem „dritten Buch" in ihrer Lektüre fort. Es wird darin von einem Sieg König Sauls erzahlt und Michal bewundert den tapfern Helden David. Der freut sich darüber natürlich sehr: Er neigt sich auf dem Pferd, schaut ehrerbiethig hin Allwo er stehen sieht die schone Printzessin. Sie grüst ihn ebenfals mit liebhchen Gebahrden, Von jedem, der sie schaut, must' sie gepriesen werden. Sie hatte diesen Tag sehr herrlich sich geziert, Ob sonst wol die Natur dem meisten Wunder führt, Schien sie doch heute mehr; denn ihr vergnügtes Wesen Hat alle Liebhchkeit in ihr Gesicht erlesen. Die Stirn war heller Schnee, die Wangen Milch und Blut, Die Augen schwartz Agat, und sahen aus so gut DaB man sie ohne Furcht verehren kont und preisen; Der Mund war heil Corall, der HalB und Brust sich weisen Den Marmor gleich am Schein. Das schwartze Locken-Haar Dem hellen Angesicht zum Absatz dienlich war. Noch immer weiB David nicht, welche der beiden Schwestern ihnliebt; er hofft sehnlichst, es möge die Michal sein. Diese hinwiederum fürchtet, David liebe ihre Schwester Merob, wahrend diese selbst an der Treue ihres Adriel zweifeit. Thalmais übersieht das Ganze und weiB wohl, daB all diese Zweifel unnütze Qual verursachen: die Zeit wird alle Schwierigkeiten beseitigen, alle Irrtümer ausgleichen. Hier ist die Versammlung der alten Christen zu Ende und die Prinzessinen müssen auf die Fortsetzung des Gedichtes verzichten. Auch wir erfahren nie, wie allen Liebeszweifeln ein Ende gemacht wurde. 140 Das Gedicht ist ein Kleinod barocker Poesie: Schaferliches im Gewande nicht der Nürnberger sondern der Schlesier, vermischt mit Anklangen an die Ritterwelt des Amadis. Es bildet eine Art Gegenstück zu den Darstellungen aus Davids Leben, wie Neumark sie gibt. In seinem Poetischen und Historischen Lustgarten (1666) veröffentlicht er zwei Ubersetzungen, den Sieghaften Davidx) nach einem lateinischen Original, Die verstandige Abigail nach Jacob Cats 2). Beide unterscheiden sich durch eine grobe, flegelhafte Sprache: Abigail nennt ihren Mann Rölps, grober Sauertopf, Holz, Narrenkopf, Eselsstirn, Tölpelskopf. ') Die Erstausgabe erschien 1655. Vgl. E. Stern, Das deutsche Epos des XVII. Jahrhunderts, Progr. Budweis, 1895, S. 11. *) Ausführüch vergleicht Frl. Dr. Schroeter a. a. O. das Original und die Übersetzung mit einander. Siebentes Kapitel EPISCHE BEHANDLUNG BIBLISCHER STOFFE AU6ERHALB DES ROMANS An erstcr Stelle kommen da die Heroiden1) in Betracht. Die prosaische Einleitung, die nach dem Muster Hofmanswaldaus dem Briefpaar vorangeht, bildet haufig eine Novelle für sich, die zuweilen in sich abgeschlossen ist, zuweilen aber erst in dem Briefpaar den Kulminationspunkt erreicht. In Nachahmung Ovids waren diese Heldenbriefe entstanden, der Stoff dazu wurde aber mit Vorhebe der Bibel entnommen und der Geschmack daran war so allgemein verbreitet, daB die unglaubhchsten Helden zum Schreiben schwülstiger Liebesbriefe herangezogen wurden. Man ging schon so weit, „den Adam an die Eva und Kain an Mehala .... und nachstens die Sonne an den Mond und den lieben Mond an die liebe Sonne" schreiben zu lassen (Herder). Allerdings zögern denn auch einige, ihre Briefpaare Heldenbriefe zu nennen, weil „etwan eine und die andere gemeine Standspersohn hier zufinden, welcher der Titel Held oder Heldinnens dem ersten Anbhck nach nicht allzuwohl gebühret", *) oder weil doch „weder Boas noch die beyden alten *) Man vergleiche die ausführliche Arbeit von G. Ph. Gotthold Ernst: Die Heroide in der deutschen lAtteratur, Dissertation Heidelberg, igoi. «) Hofmanswaldau, Helden-Brief e, 1680, Vorrede. [42 Susannen-Brüder sonderliche Helden gewesen" *), aber mi ges chickten Ausreden wird der Name schlieBlich doch pas send gemacht. In die deutsche Heroide eingeführt wurde der biblischi . Stoff von Kiene. Seine Poetischen Nebenstunden, Heroischei Geistern zu sonderbahrer Belustigung verfertiget von Christopl Friedrich Kiene2), enthalten unter den Elegien drei biblischi Heroiden und zwar Einzelbriefe: Eva an Adam, Joseph ai Potiphars Gemahlin, Bathseba an Uria. Der Begriff Heroidi und Elegie ist für Kiene identisch. Die biblischen Heroidei befinden sich im Zweiten Buch seiner Sammlung. Er eröffne dasselbe mit einer Elegie, die sich an die Worte des Hohei Liedes anschheBt: „Er erquicket mich mit Blumen, Unc labet mich mit Aepffeln, Denn ich bin kranck für Liebe.' Dann verknüpft er in der Prosaeinleitung damit die Heroidi Eva zu Adam im Paradifi: „Ich habe in vorhergehende Elegie das geistliche Verlangen einer Seele nach ihrem himm lischen Brautigam, in dieser aber das Natürliche nach einen welthchen vorstellen wollen" (S. 153). In der Einleitung zur Dritten Elegie, Joseph zu Potiphars Gemahlin, bedauer er, daB schon so viele den Stoff behandelt haben: „Aucl wolte ich mehr davon schreiben, dafern der wolbekante Auto: der Assenat und funfzig andere mehr, nicht alles geschrie ben natten; Wie sie aber viel zu sorgfaltig gewesen, nichte: übriges von dieser Geschicht dahinden zu lassen; als bii ich viel zu Ehrgeitzig, nach ihnen so unnützlich zu erscheinen.' Als letzte biblische Heroide folgt dann der Brief: Bathsebi an Uria, in dem Bathseba ihrer Sehnsucht nach dem Gattei Ausdruck verleiht und der starke Abhangigkeit von Hof *) Lehms, Heldenliebe, Vorrede. 0 Die Erstausgabe ist nach Ernst 1680. [43 manswaldau verrat. Im Ganzen vermeidet Kiene grobe Sinnlichkeit und bringt manchmal wirklich poëtische Stellen. Seine Einleitungen sind aber mehr didaktischer als erzahlender Art und nicht so umfangreich wie bei den spateren Heroidendichtern Ziegler und Lehms1). Wie Kiene verknüpft auch Ziegler die Einleitungen mit einander in seiner Helden-Liebe der Schrifft Alten Testaments, in 16. anmuthigen Liebes-Begebenheiten, Leipzig 1691. Nach der Meinung Ernsts (S. 107) ist die ganze Zieglersche Heldenliebe als eine zusammenhangende Erzahlung der Geschichte des Alten Testaments mit poetischen Einlagen anzusehen. Ich kann ihm dar in nur beistimmen; wir müssen aber im Auge behalten, daB keine Ahnlichkeit mit der Konstruktion biblischer Romane vorliegt, denn es fehlen die erdichteten weltlichen Liebeserzahlungen und jede Novelle hat ihre eigenen Haupt- und Nebenfiguren, die nicht über den abgeschlossenen Bezirk hinaustreten. Die erste Heroide heiBt: Die beglückten Eltern und behandelt die Geschichte von Adam und Eva im Paradies. Zuerst wird die Schöpfung ') In der Einleitung zu der Ersten Elegie des Zweiten Buches findet sich folgende Stelle über biblische Heldenbriefe: „und will ich nur unter den Christlichen des Andreae Alani, eines alten Teutschen, anitzo rühmlich gedencken, dessen drey feine Bücher Sacrarum Heroidum, in welchen die Heldinnen des alten und neuen Testaments ihre Zufalle und ungemeine Begebenheiten einander zugeschrieben, im I574sten Jahre, nach der Geburt unsers Erlösers, zu Löwen ans Licht gekommen: und ob sie gleich weniger sinnreich und geistlich sind, als des Ovidii seine; so sind selbige dennoch geistlicher, und also geschrieben, daB keusche Ohren dadurch nicht beleidiget werden." Es ist mir ebenso wenig wie Ernst gelungen, diese Heroiden zu finden und auch nicht die 1692 zu Nürnberg bei Leonh. Loschge erschienenen: Honedens Biblische Poëtische S'end-Schreiben, nach denen führnehmsten Geschichten der Schrifft und Art der Hoffmannswaldau-ischen Helden-Brieffe. :44 erzahlt, die „in dem geheimen Rath-Zimmer der unzertrennhchen dreyeinigen Majestat" beschlossen wurde: Gott, „als der vortreflichste Chymicus", scheidet Himmel und Erde, „das leichteste Wesen von der groben und schweren Materie; jenes zog er in die Höhe, daraus er das saphirne Feld auff welchem ehster Tage die güldnen Himmels-Rosen des blinckenden Gestirnes blühen solten, zierlichst bereitete, und solche schone Himmels-Wiese mit dem Wasser über der Feste gleichsam bewasserte." Die Tiere leben in Eintracht beieinander: „der Bar schertzte mit dem Rinde, und das Tyger hebkoste dem Schaafe: das Panther spielte mit der Ziegen" und alles ist zum Empfang des Menschen bereit, der denn auch, nachdem „die bemühte Hochheilige Dreyeinigkeit gleichsam einen kurtzen Ruhestand" genossen hat, geschaffen wird. „Gott, als der erste Braut-Führer" führt dem Adam die Eva zu. Nun schheBen die beiden Briefe an. Im ersten, Adam an Evam, werden die Wonnen des Paradieses geschildert, zu denen unter andern auch gehort, daB Adam nicht weiB, „was Gicht und Gicht-Beschwerung sey", und wirbt Adam um Eva. Ihre Antwort enthalt ebenfalls Beschreibung paradiesischer Wonnen, weist aber auch schon eine Neigung zu der verbotenen Frucht auf. Hiermit wird der Übergang gebildet zu der Zweiten Heroide: Die gefallnen Eltern (Adam und Eva nach dem Sündenfall). Die Schlange, „das arglistige Monstrum", verführt Eva zur Sünde, diese hinwiederum den Adam und Gottes Strafe wird an ihnen vollzogen. In tiefster Reue schreibt Eva an Adam: „Mein Adam kühle mich durch einen Gnaden-West."—„Jedoch soll Eva nicht deswegen gantz verzagen", antwortet Adam, „ermuntre dich, Mein Schatz!" Gottes Güte sei groB, auch er, ihr Mann, liebe sie wie zuvor. 145 Die dritte Heroide erzahlt die Geschichte Abrahams und der Sara, wie sie Genesis 18, i—16 und 21, 1—14 zu finden ist. Sie tragt den Namen: Das^fruchtbare Alter. Der Brïefwechsel zwischen der hochbetagten Wöchnerin und ihrem Gatten basiert auf dem Gefühl der Verlegenheit, das Sara empfindet, gemischt mit heftiger Eifersucht gegen die Magd Hagar. Abraham beruhigt sie und willigt in die Entfernung der Hagar: „Es sey die Eiffersucht ins tieffe Meer versenckt." t lm allgemeinen zeigt Ziegler wenig Frauenkenntnis, aber die Schilderung der Sara ist vorzüglich. Die alte Frau fühlt sich der Lacherlichkeit preisgegeben; mit bitterm Spott überhauft sie den Gatten. Meisterhaft ist die Steigerung; Scham und Arger gipfeln schheBhch in einem Ausfall gegen Hagar, jahrelang aufgespeicherte Wut sucht einen Ausweg: „Ich raume keinen Platz der Hagar ferner ein." Auch Lehms behandelt in seiner fünfzehnten Heroide dasselbe Thema der Greisin, die zur Unzeit ihre Jugendhoffnungen erfüllt sieht. Diese Heroide über Zacharias and Elisabeth bildet ein Gegenstück zu der von Ziegler. Bei Lehms ist Elisabeth ganz Demut und Liebe, nichts von dem Fluch der Lacherlichkeit haftet ihr an, die Auffassung der Bibel wird in der dort angegebenen Richtung weiter ausgeführt. Die vierte Heroide Geschehn, Unbesehn Oder: Die fremden Verliebten (Isaac und Rebecca) ist bezeichnend dafür, daB Ziegler mit der geschlossenen Form der Heroide gebrochen hat. Die Einleitung erzahlt die Werbung Isaacs um Rebecca, dann folgt der Werbebrief Isaacs, darauf in Prosa die Erzahlung der freundlichen Aufnahme der Werbung und zum SchluB die Antwort der Rebecca. Diese Heroide ist, ebenso wie die fünfte Die geduldige Liebe Oder: Die verliebten Schwestern (Jacob und Lea; Rahel und Jacob), nicht sehr bedeutend. 10 146 Der bestraffte Vorwitz ist die Überschrift der sechsten Heroide (die Geschichte der Dina). Der erste Brief ist eine „bewegliche Klag-Schrifft" der verführten Dina, der zweite eine „vergebliche Trost-Schrifft" Sichems. Der Name des Landes wird auf den jungen Prinzen übertragen. Dieser, umgeben von schmeichelndem Hofgesinde, gleicht in seiner entflammten Leidenschaft einem leichtsinnigen Fürstenkind des Barock, das sich mit herrischer Gebarde alles aneignet, was ihm in den Griff kommt, ohne an die Werte zu denken, die es vernichtet. Die Prachtliebe des Verfassers feiert Triumphe in der Beschreibung der Schönheit der Dina, ihrer Kleider und ihres Schmuckes. Für einen Vers der Genesis (34, 1) braucht Ziegler drei Seiten. „Der leicht-gleitenden Dina setzen wir bilhch den bestandig-keuschen Joseph, als ihren Halb- oder Stieff-Bruder entgegen", hebt die folgende Heroide, Die Triumphierende Keuschheit, an. Der Verführungsszene geht die Jugenderzahlung Josephs und die bereits oben erwahnte Polemik voran. Für die Entwicklung der Leidenschaft bei Sephira verweist uns der Verfasser auf Greiffensohn und Zesen und versetzt uns gleich auf den Schauplatz „des letzten Sturmes". Von allen Darstellungen der Sephira-Episode zeichnet sich die von Ziegler durch schwülstige Pracht aus. Auch bei Zesen fand sich diese Neigung, dort aber war es geschmackvoll in Zusammenhang mit seelischen Regungen gebracht, wahrend es bei dem „vollkommenen Entwurff der erdichteten Venus" Zieglers, trotz ihrer „Schnee-beseelten Achseln" und der mit Diamanten bestreuten Haare, die „die blitzenden Flammen im Hertzen" verrieten, nur prunkvolle Tünche ist. Neben dieser Farbenprachtigkeit ist das Motiv der Grausamkeit in den Drohungen der Sephira AusfluB seiner Schule. 47 ' Die siebente Heroide, Die in Blut begrabene Keuschheit, schildert die Jephtatragödie. Den Namen Iphis habe er Homer entnommen, „allwo er die Tochter des Agamemnons, Iphigenia heisset: deren Ursprung sonder Zweiffel diese Geschichte der Tochter Jephta ist: Jephta = Iphe; Iphigenea = ex Iphe genita." Um einen Liebesbriefwechsel zustande zu bringen, wird ein Brautigam der Iphis namens Jakim eingeführt, fessen Person zu mehrer beweghchen Vorstellung dieser traurigen Geschichte zwar erdichtet worden: wird aber verhoffenthch nicht unangenehm f allen: Zumahl, wenn wir diesem nach den höchstbetrübten Vater beweglichst beyfügen." Und so erhalten wir auBer dem Brief aus „dem thranenden Kiele des Jakims" und dem Antwortschreiben der Iphis noch ein Briefpaar: Jephta an Iphis und Iphis an Jephta. Der wilde Schmerz des Vaters findet schönsten Ausdruck: Es thranet Stamm und Ast, wenn man wil Zweige rauben, Es schallet Berg und Thai, wenn man die Felsen trennt. Wie könte man doch wohl von Jephta dieses glauben, Das nicht von Jammer-Glut sein Vater-Hertze brennt? Und wer es versteht durch das Konventionelle hindurchzulesen, wird nicht ohne Rührung von der gehorsamen Demut der Iphis vernehmen: Und weil mein Geist bereits verlast des Leibes Höle: So küB ich deine Hand, und sage: Lebe wohl! Simson und Delila sind die Helden der neunten Heroide Die durch Liebe geschwachte Stdrcke Oder: die starcke Schwach- 148 heit. Sie ist ziemlich unbedeutend, ebenso wie die zehnte über Ruth und Boas, Die belohnte Tugend. Letztere enthalt auBergewöhnhch viel Gelehrsamkeit. In der elften Heroide, Die theur-erworbene Braut, geht der Werbung Davids um Michal und dem entsprechenden Briefpaar als Einleitung die ganze Jugendgeschichte Davids voran. Sein Kampf mit dem „Schnarcher" (= Prahler) Goliath wird sehr ausführhch geschildert: dem „behertzten JesseKind" tritt der Riese in furchterregender Weise entgegen. „Gleich einem gereitzten Drachen schüttelte er mit grausamen Gerassel die Waffen" und redete David „mit geruntZelter Stirne und f lammenden Augen" an. Sein Ende erfoigte „nach einigem stareken Rocheln und grausamen Gebrülle: da die schwartze Seele den blutigen Ausgang suchte, und sich der Höllischen Riesen-Zunfft einverleiben heB." So muBten die Philister „die Adern ihrer enthalseten Hoffnung spritzen" sehen. Als zwölfte Heroide folgt nun Der beliebte Liebes-Wechsel. Es sind die ausführhch erzahlten Ereignisse, die sich zwischen David, Nabal und Abigail zugetragen haben (i. Samuel 25). Die meisterhafte Schilderung des geizigen Nabal (S. 260 ff.) ist wohl das Beste, was jemals aus der Feder Zieglers geflossen ist. Wie ein Ring umschlieBt der Geiz Seele und Leben dieses Mannes: „Wuchernde Gedancken verhindern das Morgen-Gebeth: geitzige Sorgen verderben vollend den Geschmack der ohne dis geringen Kost: und die Reue, daB dieser Tag nicht mehr unrecht Guth erworben, begleitet ihn zur Ruhe, oder vielmehr zur Unruhe." Denn auch in der Stille der Nacht lassen die Gedanken ihn nicht zur Ruhe kommen und er wirft den gequalten Leib bald auf die rechte, bald auf die linke Seite. Und nicht einmal dieses Hinundher- [49 walzen darf er sich erlauben, denn davon könnte ja das so sauer erworbene Bett Schaden nehmen! Seine kluge und treue Gattin vernachlassigt er vollstandig; als er glaubt, daB sie ihn in seinem Besitz benachteihgt habe, halt er ihr „eine Früh-Predigt auf der Feder-Cantzel". Kein Wunder, daB ihn bei ihrer Mitteilung der groBen Geschenke, die sie David gemacht hat um Nabal vor dessen Zorn zu bewahren, der Schlag trifft (vgl. i. Samuel 25, 37). Als letztes der Liebeserlebnisse des groBen Königs folgt nun in der dreizehnten Heroide, Der gefallene Held, die berüchtigte Geschichte der Bathseba (2. Samuel 11. 12). Sie bietet dem Dichter willkommenen AnlaB zur Ausmalung galanter Situationen und höfischer Intrigen. Dazwischen gibt er seiner moralischen Entrüstung über den „galant homme" im allgemeinen und im besonderen Ausdruck. DaB es ihm Ernst damit war, kommt einem sehr unwahrscheinlich vor, wenn man in Betracht zieht, daB der empörte Eiferer für seine Leser vor dem Gewagtesten nicht zurückschreckt, wo schwülstige Einkleidung es ihm ermöghcht. Schon im Mittelalter war der Chronist bestrebt gewesen, die nahe Verbindung zwischen dem 51. Psalm, „BuBgebet Davids, da der Prophet Nathan zu ihm kam, als er war zu Bath-Seba eingegangen", und der Erzahlung seiner Reue 2. Samuel 12, 13 hervorzuheben. Jansen Enikel macht eine fromme Legende daraus: er gedaht, ich han übel getan, daz ich den man ertoett han. dar umb ich dulde gotes zorn, ich fürht, min sêl si verlorn. zehant macht er daz gebet sus 150 ,Miserere mei deus': den salm macht er schóne unserm herren ze löne. den salter er mit wirdicheit den juden und der kristenheit macht ze gebet gegen got; die frümcheit lêrt in daz gebot, als wir hiut von im hin; er wart ein vil heüic man. (Weltchronik vs, 11303—11315). Die Darstellung in dieser Heroide bei Ziegler ist schwer von zeremonieller Feierlichkeit. König David hatte die Predigt des Propheten angehört und schwieg: „Ich habe gesündiget wider den HERRN!brach er endlich das lange Stillschweigen. Gott sey mir gnadig nach deiner Güte, und tilge meine Sünde nach deiner grossen Barmhertzigkeit *). Worauf er ferner den 51. Psalmen intonirte, und eine reine Beichte zu den Füssen des erzürnten Gottes ablegte. Auf diese hertzliche BuB-Stimme erschallete das freudenreiche Echo Götthcher Vergebung durch den Mund des Nathans." Sentimental und abgeflacht ist dieselbe Stelle in dem Roman Absalon und Thamar seines Nachahmers Lehms geworden: „David schamete sich nicht, in Gegenwart des Propheten seine begangene Sünde, durch die Klag-Worte: Ich habe gesündiget wieder den HErrn, zu bekennen, sondern senckete sich auch so gar auf die Knie, und betete unter den annoch herabrollenden Perlen den 51. Psalm mit sol- *) 1. Samuel 12, 13. *) Psalm 51, 3. i5i chem Eyfer, daB ihn endhch Nathan mit einem erfreuhchen Troste vergnügte." Am Schlusse der vorigen Einleitung entschuldigt Ziegler sich, daB er Davids Verhaltnis zu Abisag von Sunem nicht auch in einer Heroide besinge, aber da es eine sehr „unvollkommene Liebes-Begebenheit" gewesen sei, wolle er sie nicht weiter beachten. Und so „setzen wir unsern FuB auf vorgesetzter Liebes- und Helden-Bahn fort" und gelangen zur Esther, deren Geschichte bis zu ihrer Vermahlung mit Ahasverus in der vierzehnten Heroide, Die gekrönte Armuth, mitgeteilt wird. Die groBartige Königin des Buches Esther erscheint hier in haBlich verzenter Gestalt. Zwar nennt Ziegler sie anmutig, tugendhaft und schön, legt ihr aber die niedrigsten Motive bei, die sie für die Liebe des Königs zuganglich machen, namlich Habsucht: Das zugeschickte Gold verdoppelt meine Flammen und Eitelkeit: Wer wil das Folgen doch an einer Magd verdammen, Wenn ein gekrönter Mund sie in die Kammer rufft. Die schon in den Apokryphen. ausführUche Schilderung der Ermordung des Holofernes (Judith 13, 7—9) wird von Ziegler in einer Weise wiedergegeben, die jeglichem Geschmack Hohn spricht. Sie bildet den Höhepunkt der fünfZehnten Heroide, Die tödtliche Liebe, und da sie für die Darstellungsart der Zweiten Schlesischen Schule kennzeichnend ist, wird sie hier abgedruckt: „Nach geendigten Beten trat sie oben zum Haupten des Bettes, und bemerckte zu ihrem 152 Vortheil das daran hangende Schwerd, welches sie sachte auszog, und mit der lincken Hand nach dem Kopffe fühlte. Dieser hieng nun, wie bey trunckenen Leuten zu geschehen pfleget, gantz geschickt in etwas zum Bette heraus: weil er sich aber nach der Seite wendete, so ergriff sie ihn oben bey den Haaren mit aller Macht, rieB ihn geschwinde dergestalt herum, daB er auf den Rücken zu liegen, und die Gurgel oben kam. Als sie nun eilend, doch hertzlich, nochmahls diese Worte: Herr Gott starcke mich in dieser Stunde! von dem sterbenden Simson entlehnet hatte schwang sie das Schwerd gleich als er sich zu regen begunte, getrost in die Höhe, und hieb es zweymahl mit solcher Gewalt in den fetten HalB, daB, ehe er sich nur im geringsten zu ermuntern vermochte, Wein, Blut und Leben zu den Adern heraus stürtzte. Das hauffig-spritzende Blut zwang sie anfangs in etwas bey Seite zu treten: als sich aber die rothen Quellen ziemhch ausgeleeret natten, und der erstarrete Cörper sie eines ewigen Schlaffs versicherte, trat sie wieder behertzt hinzu, und schneid, oder segete vielmehr, den an dem Rück-Grad hangenden Kopff vollends herunter, den blutigen Leib aber weltzte sie aus dem Bette auf die Er den, und nahm die Decke mit sich" 2). *) Anspielung auf Richter 16, 28: „Simson aber rief den Herrn an und sprach: Herr, Herr, gedenke mein, und starke mich doch Gott, diesmal, " Es kommt Ziegler nicht so sehr auf Genauigkeit, als vielmehr darauf an, daB der Leser seine gründliche Beschlagenheit in der Bibel bewundern kann. Besonders die Simsonerzahlung hat es ihm angetan, auch in der Erzahlung von der Susanna weist er darauf hin (S. 370). ') Die Judithgeschichte ist ein so auf der Hand liegender Stoff bei einer jeden Behandlung der Geschichte des Alten Testaments, daB ich nicht der Meinung Ernsts sein kann, der auf S. 109 a. a. O. behauptet, eine Anspielung Hofmanswaldaus auf Judith habe Ziegler ZU seinem Briefpaar angeregt. 153 Und die schaurige Entdeckung des Bagoas: „da sah er den Leichnam ohne den Kopf in seinem Blut auf der Erde liegen" (Judith 14, 13), wird zu einem geistreich sein sollenden, abstoBenden Witz verwendet. Nachdem Bagoas sich vergebens vor dem Gemach des Holofernes bemerklich gemacht hat, fahrt Ziegler fort: „Allein hier war weder sehen noch hören, weil Augen und Ohren, ja der gantze Kopf mangelte...." Ob die Tat der Judith zu entschuldigen sei, darüber will der Verfasser nichts behaupten. Am SchluB der Einleitung weist er aber wohl darauf hin, daB sie noch in dem Jahre der Abfassung dieser Heroide einen „Mühl-Knecht und ein Mühlerin bey Altenburg" in ihrem Vorhaben, den Müller umzubringen, bestarkt, also böse Folgen für die Moral der Menschen gezeitigt habe. Die letzte Heroide tragt die Überschrift: Des verliebten Alters Thorheit. Den beiden verhebten Altesten, den „alten Krippen-Setzern", die die schone und keusche Susanna überfallen, wie sie eben in „der kühlen Fluth eines springenden Kunst-Brunnens" ein Bad nehmen will, hat Ziegler die Namen Achab und Sedeck beigelegt. Wie er sich den Zusammenhang der Einleitung und der Briefe dachte, ist nicht klar. Die Prosaeinleitung namlich erzahlt die apokryphische Geschichte der Vorlage entsprechend, berichtet also von dem überraschenden Überfall im Bade, wahrend die beiden Briefe der Altesten und die Antwort der Frau als dem Bade vorangehend aufzufassen sind (vgl. den Brief des Achab) und somit das Überraschende des spateren Überfalls in Wegfall kame. Ja der ganze Überfall ware eigenthch nicht mehr möglich,da Susanna, die in Worten, die einem Söldnerknecht Ehre gemacht natten, ihr unsittliches Ansuchen abweist, sich vorher hatte schützen können. *54 Durch einen vornehmen Freund dazu angespornt, — dürfen wir hier an den Herzog Anton Ulrich denken? — setzt Lehms die Arbeit des gelehrten Sachsischen Edelmannes „in dem ascherfarbenen Kleid der Niedrigkeit" fort. Und nicht die Torheiten „elender Avantur-Mannchen" sollen durch seine Feder verewigt werden, sonder wie sein Vorganger wahlt auch er die Liebesbegebenheiten aus den „heiligen Merckwürdigkeiten" der Bibel. Damit aber „die Zahl von sechzehn, wie sie der offtgerühmte Herr von Ziegler in seinem ersten Theil gesetzet, auch hier wegen Ermanglung mehrer Begebenheiten aus dem Heil. Bibel-Buche, nicht verringert werden möchte", wird als letzte noch die Liebesbegebenheit zwischen Psychophilus und Psyche mitgeteilt. So berichtet er in der Vorrede seiner Helden-Liebe der Schrifft Alten und Neuen Testaments Zweyter Theil, Leipzig 1710*). Auch er hat die geschlossene Heroidenform gesprengt: in der Einleitung zur dritten Heroide findet sich ein Madrigal, in der zur vierten eine Arie, in der zur siebenten eine Cantate. Dies entspricht ganz der Auffassung, die er von der Konstruktion eines romanartigen Gebildes hegt, und auch die Art, wie er die Liebesbegebenheiten seiner meistenteils dem Alten Testament entnommenen Helden erzahlt, weicht nicht von der in seinen Romanen ab, weswegen es überflüssig ware, sie hier in Einzelheiten zu behandeln. Nur findet sich hier mehr Polemik und Neigung zur Gelehrsamkeit. Auch sucht er Unverstandhches in dem biblischen Text zu klaren, Widersprüche zu glatten. So spricht •) Nicht 1711, wie Ernst a. a. O., S. na mitteilt. Die Erstausgabe befindet sich in der Göttinger Urüversitatsbibliothek. Die u. a. in meinem Besitz befindliche Ausgabe 1711 entspricht ihr genau, scheint also eine Titelauflage zu sein. 155 er seine Verwunderung darüber aus, daB Michal dem David nicht in die Verbannung gefolgt sei (S. 174). Schon in dem Michalroman hatte er eine Lösung für die Zurückforderung der Michal durch David, die den gelaufigen Ansichten über Moral widersprach, gesucht. Hier war Phalti nicht zum Pflegevater ernannt worden, sondern die Rückkehr wird aus andern Gründen für möghch gehalten. Erstens namlich denkt David, daB sie ja nicht dafür konnte, also unschuldig ist, undzweitens hatte er sich als regierender König Verachtung zugezogen, wenn er sie dem Phalti gelassen hatte. Über den Abschied der Michal *) von Phalti war Lehms im Roman schnell hinweggegangen. 2. Samuel 3, 15 wird berichtet, daB er weinend seine Frau ein Stück des Weges zu David zurückbegleitet habe. Dasselbe erzahlt Lehms hier (S. 183); es ist ihm aber unbegreiflich, wie ein Mann sich so einfach die Gattin wieder wegnehmen lassen konnte und er fügt hinzu: „Ich möchte doch curieux gewesen seyn, des Phalti Gesichte und Aufführung damahls zu betrachten. Óhne Zweiffel werden die Augen vor Zorn und Rache den entsetzhchen Comet-Sternen, die Stirne einem mit schwartZen Woleken überzogenen Himmel, und die ausgesprochenen Droh-Worte einem grausamen Donner-Wetter gleich gewesen seyn. Wie wird er mit den Zahnen geknirschet, mit den Handen geschnellet, und mit den Füssen gestampfft haben. Da werden Uberlegungen gemacht worden seyn, den David zu ermorden, oder sie auf andere Weise wieder zu bekommen, bald aber wird ihm die Furcht solches aus- >) Der Brief der Michal an David hat nicht Lehms zum Verfasser, sondern, wie er in seiner Vorrede sagt, eine Galante Poetin. Ernst S. 118 f. weist durch Lehms* Sammlung Galante Poetinnen nach, daB damit eine Regina Maria Pfitzerin gemeint sei. i56 geredet haben. Mit einem Worte: der Verlust einer so schonen Person und der Schimpff, der durch ihre Hinwegraubung zu besorgen, wird ihn in die gröste Raserey verführet haben." i. Könige i wird erzahlt, wie Bath-Seba und Nathan dem Salomo die Regierung zu sichern suchen und deshalb den sterbenden David zu einer Entscheidung drangen. Zuerst geht Bath-Seba, dann der Prophet ins Schlafgemach des Königs. Vs. 28 fëhrt dann fort: „Der König David antwortete und sprach: Ruft mir Bath-Seba! Und sie kam hinein vor den König." Man stutzt unwillkürlich bei dieser Stelle, denn nirgends steht, da8 Bath-Seba sich wahrend der Unterredung mit Nathan zurückgezogen habe. Lehms hat das gefühlt; er halt sich hier an Josephus und erzahlt: „Er lieB deBwegen die Königin, so sich bey dessen Eintritt entfernet hatte, zurück ruffen" (S. 228). Im Salomo hatte er den Widerspruch in derselben Weise zu lösen versucht. Die bedeutendste unter den novellenartigen Prosaeinleitungen der Heldenbriefe von Lehms ist unzweifelhaft die vierzehnte, welche die Geschichte des Herodes und der Herodias enthalt. Lehms benutzt als Quelle dazu in der Hauptsache Flavius Josephus, den er auch wiederholt nennt. Die erste Gemahlin des Herodes nennt er Tasera, „aus Versetzung der Buchstaben ihres Vaters Nahmen Aretas" (S. 353), eines Araberfürsten, der 2. Korinther n, 32 als im Besitz von Damaskus befindhch genannt, nicht aber in Verbindung mit Herodes gebracht wird wie bei Josephus. Lehms hat aus den geschichthchen Tatsachen eine Novelle geschaffen, die an Geschlossenheit der Form und dramatischem Fortgang der Handlung im Barock ihresgleichen sucht. Die Entwicklung hest sich mit Spannung und die Charakte- 157 risierung der einzelnen Personen ist vortrefflich bis in Einzelheiten. Sobald aber die eigentlichen Heldenbriefe anheben, verwischt sich dem Verfasser das Bild seiner Helden: die schablonenhafte SüBlichkeit für das Herodes-Herodiaspaar und die aufgeblasene Wut des Briefwechsels mit Tasera tritt dafür an die Stelle. Der Anfang des Schreibens der rechtmaBigen Gemahlin Tasera: „Blitz, Donner, Wetter, Fluch, grüBt dich auff diesen Zeilen," genügt, um sich einen Eindruck von dem Ganzen zu machen. Wie in seinen Romanen stellt Lehms auch in den Heroiden gegenseitiges Mitempfinden als der Liebe eigenstes Wesen dar; besonders die Gattenliebe kommt dadurch für ihn in Betracht. DaB er sich dabei der geschweiften Ausdrucksweise seiner Zeit bedient, tut der Aufrichtigkeit seiner Empfindungen keinen Abbruch: „Wo zwey Seelen durch ein ewiges Band zusammen verbunden sind, stimmen beyderseits in vergnügte Jubel-Lieder und trauervolle Lamenten, zerfhessen bey des einen erbarmlichen Jammer-Fluthen gleichfalls in herben Zahren, und sehen ihren Geist durch eben dieses geanstiget, wodurch des andern gefoltert und gequalet wird." So fühlen die „getreue Sarai" und der „bekümmerte Abram"; die schlimme Jesabel sogar ist als Gattin über jeden Vorwurf erhaben: Doch wo man seine Last auf andre Schuldern leget, Erleichtert man die Quaal: und wenn ein treues Paar Der Sorgen Atlas stets mit Eintrachts-Handen traget, Da flieht das Schatten-Werck der traumenden Gefahr. Der ungeheure Beifall, den diese biblischen Heroiden fanden, veranlaBte einen gewissen C. H. S. im Jahre 1729 zu Rochhtz abermals, Biblische Helden-Briefe (diesmal „in i58 XII. sonderbaren Liebes-Begebenheiten des Alten Testaments") erscheinen zu lassen. Wie Ernst (S. 121) beweist, ist damit C. H. Seidel gemeint und sind unter dem bei Goedeke falschlich zitierten Titel Ethische Helden-Briefe diese Biblischen Helden-Briefe zu verstenen. In seiner Vorrede erzahlt er „daB der natürliche Trieb zur Poesie, welchen ich von Jugend auf bey mir gespüret, durch des fleiBigen und gelehrten Herrn von Ziegler wohlgerathne HeldenLiebe A. T. also aufgebracht worden, daB ich solchen zu beruhigen billich einen gleichmaBigen Versuch thun mussen." Er wolle sich nun aber nicht mit fremden Federn schmücken und genau denselben Titel wahlen, „ob schon manche Historie mit jenen einigen Zusammenhang haben könte." Trotz der zur Schau getragenen Bescheidenheit aber halt er sich für auBerordentlich begabt, denn er habe seine Verse „nicht mit solcher Mühe und Angst gebohren, wie wohl ehemals Virgilius, der, was er früh Morgens aufgesetzet, Nachmittags wieder ausgestrichen, daB von 100. kaum 10. stenen blieben." Er wolle nun zwar keinem zu nahe treten, er aber brauche nicht so an seinem Werke zu feilen 1 Am SchluB spricht er die Hoffnung aus, „mit dem andern Theile der Biblischen Helden-Briefe" demnachst aufwarten zu können. DaB diese Hoffnung sich zerschlagen hat, ist weiter kein Verlust, denn seine Heroiden haben keinen hterarischen Wert. Auch kommen sie für diese Besprechung ferner nicht in Betracht, da Seidel sich auf einen sehr geringen Zusammenhang mit der Bibel beschrankt: zumeist sind nur die Namen biblisch und das nicht pjnm?l immer. Eine kleine Angabe wie Exodus 6, 20: „Amram nahm seine Muhme Jochebed zum Weibe," genügte für eine ganze Heroide 1). ') Über den Briefwechsel zwischen Amnon und Thamar sowie ISQ Was sich sonst an biblischer Epik im Zeitalter des Barock in Deutschland findet, ist sehr verschiedenartiger Natur. In den vielen kompilatorischen Werken jener Zeit kommen unter andern Erzahlungen auch solche aus der Bibel vor, ohne daB denselben literarische Bedeutung beizulegen ware. So hat der Kapuziner Pater Martin von Cochem „zum Dienst deren, so keine Teutsche Biblen haben, die fürnembste Biblische Historiën, auB H. Schrifft genommen" und dem ersten Band seines Aufierlesenenen History-Buchs (1687) einverleibt. Sie halten sich aber streng an die Erzahlung der Bibel, geben zum Teil selbst die Worte derselben wieder; auf eigene Zutaten, Ausschmückung, Vertiefung der Charaktere und jede selbstandige Auf fassung wird verzichtet. Andre Theologen suchen ihren Stoff popular zu machen, indem sie die Bibel versifizieren. Der vertriebene evangelische Prediger Johannes Staffelius hat zu dem Zweck die Evangeliën des Neuen Testaments in Dichtform umgesetzt. Da er jedesmal das Metrum eines bekannten Kirchenhedes anwandte und feines dichterisches Empfinden besaB, sind seine Gedichte von teilweise überraschender Schönheit 1). Das könnte man mit dem besten Willen von denen des Pfarrers Bothe zu Gerdau in Lüneburg nicht behaupten. Sein Kleines Neues Thamar und Absalon in Ncumeisters Allerneuester Art zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen, Hamburg 1717, vgl. man Ernst, a. a. O., S. 38 f. ') Sontags und Fest-Evangelia .... Regenspurg 1645. Das Exemplar der Göttinger Universitatsbibhothek gewahrt uns einen Einblick in das Familienleben eines deutschen Hauses zu jener Zeit. Nach ihrer handschriftlichen Mitteilung vom im Buch schenkte Regina Waijdtknechtin das Werkchen im Jahre 1674 ihrem Sohn Johann Rudolff, nachdem sie es früher selbst von ihrem „lieben Herrn Vatter" erhalten hatte. Welche Erinnerungen mogen aus diesen Blattern zu dem Enkel emporgestiegen sein. i6o Testament Unsers Herrn Jesu Christi (1649) ist ein furchtbares Machwerk, an dem nur die fromme Absicht zu loben ist. Magister Johannis Lokken, gekrönter kaiserlicher Poet und Prediger „auff S. Nicolai Hoff vor Bardowick", hat in seinem Biblischen Denkring (1653) einen Auszug in Versen aus der ganzen Bibel, die Apokryphen eingeschlossen, gemacht. Er preBte jedes Kapitel eines biblischen Buches in eine Zeile zusammen. Das Resultat dieses handwerksmaBigen Geschaftes möge durch die Wiedergabe des Buches Judith illustriert werden: Arphaxad wird besiegt. Nebucad Nezar schweret. schikkt Holofernem auB. der alle Welt verheeret. die Völcker geben sich. erkennen ihn für Gott. Israël rüstet sich auf Jojakims gebott. Es meldet Achior, wenn Juda zu bezwingen. drüm nach Bethulien die Feind' im Zorn ihn bringen, das sie belageren. der Stad entfallt der Muht. die Bürger Judith straft. auB Gott ist, was sie thut. den bittet sie üm Sieg. dieweil sie auf ihn trauet. und geht geschmukkt hinauB. der Feld Herr sie anschauet. bespricht sich auch mit ihr. daher ihr grosse gunst. er halt ein prachtig Mal zu stillen seine Brunst. den Kopf haut sie ihm ab. bringt selben zu den ihren. man stekkt ihn auf die Maur, die That die Fremde spüren. sind irr, und gebn die Flucht. der Sieg die Beüt erwirbt. ein Danklied Judith singt. man freüt sich. und sie stirbt. Werden letztere Werke von theologischem Interesse getragen, so herrscht in andern Werken eine rehgiös-morahsche Tendenz vor. Bellin übersetzte Agrippa von Nettesheims i6i Abigail (1650). AuBer dem Namen und dem Titelkupfer, das die Begegnung Davids mit Abigail vorstellt, ist an dem Werk nichts Biblisches. Die Figur der Abigail bedeutet ihm die Verkörperung der treuen Frau und deshalb ist sie ihm sozusagen Symbol für seine Abhandlung über „des FrauenZimmers Adel und Fortrafligkeit.,, Auch als Begründung seiner Theorien über Moral führt J. F. S. (= Mercurius) in seinem Schau-Platz der Dantzenden (1671) viele Beispiele aus der Bibel an. Allgemein belehrende Absichten hatte Opitz, als er 1628 einen Jonas erscheinen lieB, in dem er in Gedichtform die Geschichte des Jonas erzahlt. Nach einem Stück Gedicht von zwölf bis zwanzig Zeilen folgt regelmaBig ein gelehrter und sehr ausführlicher, bis zu vier Seiten langer, Kommentar. Unterhaltender ist da schon die Art, in der Harsdörffer belehrt. Im siebten Teil seiner Gesprach-Spiele spricht er über Adams Fall und bringt ein Gedicht über Daniël in der Löwengrube, sowie die Mutter der Maccabeer; im achten Teil erzahlt er die Geschichte von Adam und Eva. Von einer romanhaften Behandlung des Stoffes darf man aber nicht sprechen. Johann Christoph Mannling, um die Wende des Jahrhunderts Pastor zu Stargard und Mitglied der Teutschgesinnten Genossenschaft, ist der Verfasser einer groBen Anzahl absurder Werke, auf die es sich nicht lohnt naher einzugehen. Als Beispiel für seine wirre Gedankenwelt wird hier die Abhandlung über Abel abgedruckt, wie sie sich ahnhch für viele biblische Personen in einem von ihm verfaBten Poetischen Lexikon findet: 11* 162 Abel. Der Evae frommer Sohn, der bey den Schaaffen stirbt, durch seines Bruders Hand. Der Opffernde wird selbst das Op ff- und Opffer-Tisch. Der erste Martyrer auff des Damascus Feldern. DaB Bruder-Liebe bier nicht lange dauren kan, davon kan Abel wohl das beste ZeugniB weisen, den Cain hat erwürgt, da kaum die Welt die Menschen kannte. Frömmigkeit wird in der Welt, wie des Adams lieber Abel, ein verachtes Jammer-Bild, und des Todes alte Fabel. Der mit seinem eignen Blute dünget Acker und das Feld. Die erste Leiche wird an Abel angeschaut. Von ihm stammt auch eine Reihe Selbst-ersonnener GrabSchriften, unter denen fünf biblische 1). Sie sind geradezu lasterlich, obgleich Mannling sie gewiB nicht so gemeint hat. Grabschriften auf biblische Personen kommen haufiger vor. Gehaltvoll und pathetisch ist die von Kiene auf Eva. Sie ist in der Form einer Gedachtnissaule, allerdings, da sie sehr groB ist, über mehrere Seiten verteilt, so daB die Wirkung der Figur verloren geht. Der Anfang ist am schönsten: Wanderer, Ware dieses Grab nicht, Du würdest weder Grab noch Grabschrifft sehen. EVA Welche die Unsterbhchen umgebracht Und zu Grabe gebracht hat, Liegt in diesem Grabe verscharret. *■) Als Werke Mannlings finden sich wiederholt Der gerechte Abel, Die beliebte Tabea und Des Jephta Tochtermord. Sie waren aber unauffindbar. LieB und seufze! Die Mutter aller Lebendigen Ist aller Lebendigen Mörderin, Ja eine Selbst-Mörderin geworden, Als sie den Tod gebohren, Da sie zum Leben erschaffen war. Auch die itahenisch-pegnesisch abgestimmten Christusund Herodesepen Klajs sind biblischen Ursprungs. Diese wilden Erzeugnisse barocker Phantasie aber spielen in ein völlig anderes Gebiet hinüber, als das welches hier yorliegt. Dasselbe gilt für Brockes' Kindermord und andre Bearbeitungen Marinos. Klajs Dichtungen liegen in einer Linie mit Miltons Phantasien, wie Lemcke das in seinem vortrefflichen Werk sehr richtig eingesehen hat. Die Nachwirkungen sind noch weit ins achtzehnte Jahrhundert hinein spürbar: die Stellung von Klopstocks Messias ist durchaus nicht so klar, wie man anzunehmen geneigt ist. ii — 163 - SchluB ZUSAMMENFASSUNG Wie verschiedenartig die einzelnen Werke unter sich auch sein mogen, eins ist ihnen gemeinsam: der vollstandige Mangel, sich ihrem historischen Stoff anzupassen. Weder durch den Stil, noch durch die Ausarbeitung des Inhalts werden wir in biblische Stimmung versetzt. Zuerst fallt auf, daB die Personen alle in derselben Weise reden, ohne Standes-, Alters- oder Geschlechtsunterschied. Es war eine damals viel besprochene Frage, was zu bevorzugen sei, Verschiedenheit im Ton oder Gleichheit. Die Verfasser waren also in dieser Hinsicht, wenn sie angegriffen wurden, gedeckt, da die Sache unentschieden bheb. Aber auch sonst findet man nirgends den Versuch sich im Stil dem Bibelstoff zu nahem: statt ruhiger Getragenheit, Kraft und edlem Pathos überall die echtesten Stilformen des Barock. Schnörkelhafte Verzierungen, schwer zu entratselnde Gleichnisreden wechseln mit grotesken Plumpheiten ab und hemmen das Verstandnis, zerreiBen die Stimmung. Aber nicht nur, daB diese Romane die gröBten Absurditaten der Sprache ergreifen und dankbar modelheren, sie sind ihrerseits echte Sprachverderber. Heidegger ist mit Recht empört: „Was könte abscheuhcher lauten, als theils Teutsche Roman, da (zum Exempel) einer under den dichten fichten die Ruh-lachzenden Ghder auBdahnet. Item, da man die Kleider arm, und die Bethe reich machet, (wenn man i65 schlaffen geht:) Item, da die klare Darthuung zu Tag stehet, (wenn eine Sach offenbar ist) Item, da gar zuviel vor-lustige Bezeigung auf eine Fehl-lust hinauB laufft, und dergleichen halbzauberisch lautende Redens-Arten mehr." Frankreich ist verantwortlich, aber auch dort finden sich Tadler: „Le recUeü, oü les beautez de ma maitresse estoient en depot, qui me consoküt pendant son absence, et qui a percé 1'azile obscur, oü je croyois 1'avoir mis en seureté. Das sol so viel sagen, er suche seiner Liebsten Pourtrait, so er auB dem Schiebsack verlohren" (Heidegger, Vorbericht). Aus unsern biblischen Romanen HeBen sich viele Beispiele obigen an die Seite stellen. Ich begnüge mich mit einem von Lehms und einem von Ziegler. Michal'. „Ihr gemüthe befand sich hierauff, wie eine see nach den stürmen gantz geruhig. Weil sie aber noch einige spur von den vergossenen thranen spürete, muste diesen perlen-thau ein tuch fassen" (S. 2). Aus Zieglers achter Heroide walde ich die auBerordenth'ch bezeichnende Begegnung zwischen Iphis und Jephta: „Die Thore wurden eröffnet, und die PrinceBin Iphis bhtzte als eine Sonne unter den Sternen vor ihnen her. .... Die f lammenden Augen, der lachelnde Mund, und die blühenden Wangen, stelle ten eine Majestatische Freundhchkeit vor, welche durch den wohlgewachsenen Leib und prachtigen Gang zur Vollkommenheit gebracht wurde. Ihre Hand begriff ein wohl-khngendes Harffen-Spiel, auf welchem sie die zarten Finger wunderkünstlich bewegen kunte. Also setzte dieses Meister-Stücke der Natur den FuB allen andern vor, und lieB sich diese angenehme Hoffnung begleiten, ihre persönliche Bewillkommung würde die Freude ihres Herrn Vaters um ein grosses vermehren." i66 Biblischer Hintergrund wird hauptsachlich durch Namen aus dem Alten Testament vorgetauscht. Weil aber haufig unhistorische Personen mit biblischen Namen belegt werden, ist dies eine dermaBen irreführende Methode, daB man Romane wie Anton Ulrichs Aramena oder Meiers Hebreerinnen auf den ersten Bliek für streng durchgeführte biblische Romane halten würde, wahrend sie es gar nicht sind. So kommen aber auch bei andern Schriftstellern Namen wie Amri, Japhet, Jesabel für Personen vor, die mit den biblischen Figuren, die in Wirkhchkoit diesen Namen trugen, nichts zu schaffen haben. Basmath z. B. ist ein öfters vorkommender Name im Alten Testament; Genesis 26, 34 ist sie die Frau Esaus. Lehms gibt einer Nebenfrau Davids den Namen, die in der Bibel nicht einzeln hervorgehoben wird. Er hat überhaupt wunderliche Einfalle: einen Prinzen nennt er Baal-Sebub, einem andern gibt er den geographischen Namen Salem. Bei Ziegler sahen wir Ahnhches, Seidel erfindet u. a. an die Bibel anklingend den Namen Bessue. Aber auch bier ein Wirr-Warr: Lehms scheut sich nicht, eine Prinzessin der Amalekiter Victorinie oder die Gattin Absalons Mariamne zu nennen, wahrend Siridene, Siris, Heraldo, Iris und andere schon gar nicht in das Milieu hineinpassen. Der Effekt des biblischen Namens geht gleich wieder verloren, wenn ihm, wie es haufig geschieht, ein damals üblicher Titel vorgesetzt wird. Trotz aller Bemühungen der Sprachgesellschaften und Satiriker war es ja nicht gelungen den Roman von fremdlandischen Bezeichnungen zu reinigen. Am haufigsten finden sich die Ausdrücke „Cavallier" und „Dame" und Rist hatte es sehr richtig eingesehen, als er in seinem Kriegs- und Fürstenspiegel (1640) von diesen Wörtern sagte, daB sie „unter den Schornsteinfegern, Ratzenfangern, Schwein- 16*7 schneidern und dergleichen ganz verachtlichen Leuten nunmehr dermassen gemein sind worden, daB es sich schier ansehen lasset, man werde sie schwerhch auB unserer Muttersprache vertreiben können." Es hegt hier die Tendenz vor, den Stoff für den zeitgenössischen Leser anziehend zu machen, ihn seinem Verstandnis nahe zu rücken. Es hatte gleich einen ganz andern Klang für sie, wenn von einer „Durchlauchten" Braut die Rede war oder von der „Maitresse" seiner Majestat des Königs Saul. Auch war ihnen der „Herr General Holofernes" viel sympathischer als es ein Feldhauptmann Holofernes gewesen ware und der „Herr Obrister David" war einer Königstochter würdiger als in der Zeit, da er nur David hieB und bei Saul „die cur mit der harffen" anfing. Der Prophet Nathan figuriert als „Praedicant", „Könighcher Hoff-Prediger", „Königlicher BeichtVater" oder auch wohl als „Hoffmeister" des Prinzen Salomo. Die Spielerei mit diesem Namen ist Lehms so in Fleisch und Blut übergegangen, daB er im Anfang seiner sechzehnten Heroide von einem zeitgenössischen Geisthchen namens Seligmann mitteilt, daB er „der unsterbliche Sachsische Ober-HofPrediger und Nathan" sei. Obgleich nicht einem Roman entnommen, ist doch folgende Stelle so bezeichnend für diese Modernisierung des Bibelstoffes, daB ich sie hier abdrucken möchte. Sie stammt aus Schupps Salomo und handelt von Moses: „Moses war ein hochbegabter Cavallier. Er war am Königlichen Hofe in Egypten als ein Königliches Kind auferzogen, Gott machte ihn zu einem Ambassadeur, und schickte ihn in einer hochwichtigen Sache an den grossen König Pharao. Er machte ihn zu einem General über sechs mahl hundert tausend Mann. Es wuste Moses nicht nur das Schwerdt, sondern auch die Feder zu führen, er hatte trefflich wol stu- i68 dieret, er war beschlagen in aller Weifiheit der Chaldeer und Egyptier. GOtt selbsten hat sich unterschiedhche mahl in discurs mit ihm eingelassen" (Blatt E 4 der Ausgabe 1658). Die Dichter waren von dem BewuBtsein durchdrungen, den Gehalt ihres Werkes durch Wiedergabe einer idealisierten Umwelt heben zu müssen. Und so sind die biblischen Romane, und darin liegt ihre kulturhistorische Bedeutung, Spiegel des höfischen Lebens der Barockzeit. Wir erkennen in ihren Helden und Heldinnen die Schar der Hofbeamten und Hofdamen wieder, welche die unzahligen kleinen und groBen Fürstenhöfe bevölkerten und deren Leben sich in Bannen bewegte, die durch Weiten getrennt waren vom Leben des bürgerlichen und bauerlichen Mitmenschen. Sein Leiden und Lieben, seine Not und seinen GenuB kannten sie nicht; wenn sie je einmal unhebsam daran erinnert wurden, standen sie ihnen verstandnislos gegenüber. Sie ahnten nicht, daB sie diesen Verachteten ihre Lebensexistenz zu verdanken natten. Die groBe Kluft zwischen den Standen ist in den biblischen Romanen darin ersichthch, daB ihre Helden und Heldinnen alle fürstlichen Geblüts sind, sich nur auf dem Parkett der Höfe heirnisch fühlen und es streng vermeiden, mit Geringeren in Berührung zu kommen. Höchstens daB einmal von einem simpeln Dichter die Rede ist. Dann hat man aber stark das Gefühl, daB dieser arme Federfuchser nur zur Ergötzung der Hofgesellschaft in die Erscheinung tritt, weil sie sich an einem Schauspiel oder Gedicht erfreuen will. Die zahlreichen eingestreuten Gedichte, Cantaten, Arien, Lieder aller Art, aber besonders Liebesheder, entstammen für gewöhnhch den fürstlichen Helden selbst. Zuweilen werden sie im einsamen Park von trauernden Prinzessinnen gesungen, zuweilen auch zwischen den Geliebten ausgetauscht i6g und gar in Einzelheiten besprochen. Sic sind ebenso stereotyp, wie die zeremoniellen Liebesbriefe, die zwischen den Liebenden gewechselt werden und die so jeglichen Gefühles bar, so künsdich verkapselter Phrasenhaftigkeit voll sind, daB eine gesund empfindende Frau sie nur mit einem leisen Lacheln mitleidigen Spottes lesen würde. Die Prinzessinnen aber, an die sie gerichtet sind, weinen vor seliger Lust, wahrend sie so ein Briefungeheuer aber- und aber mals mit hebenden Handen an den Alabaster-Busen drücken und mit ihren Korallen-Lippen berühren. Wenn sie nicht gerade vom Dichten und Briefschreiben in Anspruch genommen werden, beschaftigen sich die Helden und Heldinnen sonst standesgemaB, indem sie sich gegenseitig Besuche machen, die gewöhnhch von einem Pagen vorher angemeldet werden. Oder sie wandeln im Zypressenhain, bebetrachten auch wohl kunstvoll angelegte Wasserwerke in herrhchen Garten. Vielleicht begeben sie sich auf einsam gelegene Lustschlösser um sich dort von den Strapazen des gesellscnaftlichen Lebens zu erholen. Auch glanzende Feste finden statt, Hochzeitsfeierlichkeiten und Maskenballe bilden angenehme Unterbrechungen. Vor allem aber Gesellschaftsspiele sind beliebt. Um die trauernde Assenat aufzuheitern machen ihre Verwandten mit ihr Spiele, an denen sich sogar der ehrwürdige Patriarch Jakob beteiligt. Auch sonst ist es merkwürdig, was historischen Personen zugemutet wird; eine Stelle aus der Esther möge dies beweisen: „Unter andern Lustbarkeiten, so noch zur Vergnügung der hohen Anwesenden angestellet wurden, hatte König Nebucadnezar eine Wirtschafft ernennet, davon das LoB die Personen erwehlete, und bald einen Printz in Schafer-Habit, bald eine PrinceBin in ein Bauer-Magdgen einkleidete. Der König von — IJO — Juda, so dem Beylager aus sonderbahrer Vergünstigung beywohnen durffte, hatte die Person des Brautigams; Esther aber die Person der Braut durch das LoB gezogen. Adina wurde Hochzeit-Mutter, die Königin Semira der Braut Pathe, Darius und Belsazer aber Braut-Diener. Die PrinceBin Joasia muste die Stelle der Köchin vertreten, Bassarene und Silonia wurden der Braut Gespielin, Nebusar-Adan aber deroselben Vater. Nebucad Nezar sahe sich mit dem Character eines Hochzeitbitters beschencket, Holofernes wurde zum Tafel-Decker erwehlet" (S. 225). Diese Gesellschaftsspiele waren aber nicht immer harmloser Natur. Es wurde auch um Geld gespielt und daB es sich dabei manchmal um recht hohe Betrage handelte, die zum Zeitvertreib nachlassig gesetzt wurden, geht aus einigen Stellen bei Lehms hervor. Das eine Mal versucht ein galanter Schurke der höheren Gesellschaft, Prinz Sadrach, dadurch Macht über Abisag von Sunem zu gewinnen, daB er ihr, „wenn sie sich mit Spielen divertirten, allemal eine grosse Summa Geldes zuwandte, und zwar mit solcher List und Vorsichtigkeit, daB Abisag keinen Argwohn daraus schöpffen konnte" {Absalon und Thamar S. 523). Das andere Mal wird das Spiel mit einer Dame von der Geliebten als Prüfstein benutzt um zu sehen, ob ihr Anbeter sich dabei richtig zu benehmen weiB: die Partnerin nicht gewinnen laBt aus allzugroBer Neigung für dieselbe, sie aber auch nicht zuviel verlieren laBt um nicht für geizig und eigennützig gehalten zu werden. Er hilft sich geschickt aus der Verlegenheit, indem er die Gehebte bittet, ihm in die Karten zu gucken. Dabei gewinnt er dann „eine ziemliche Summe Geldes" (Ebenda S. 768). Ein drittes Mal wird Geld verspielt, aber hier ist nicht die Rede von der GröBe der - i7i — Summe: „Ich verspielte aus Gefalligkeit mehr, als ich sonst zuthun gewohnet" (Ebenda S. 795). Besonders solche Stellen lassen das wahre Leben durchbhcken. Gewohnt, den Barockroman als planmaBig angelegte Unnatur zu betrachten, vergessen wir so oft, daB die handelnden Personen doch damals nicht als unnatürlich empfunden wurden, daB sie sogar die Verkörperung gewisser Hofkreise waren, die nach auBen einen solchen Eindruck machen muBten. Derunbeteihgte Zuschauer sah durch die Fenster der Palaste und die Gitter der Parke nur den Schein und den blendenden Schein wollte er in seinen Romanen wiederfinden. Das innere Leben all dieser Fürsten und ihrer Höflinge war den Augen des Mannes am Gitter verborgen und phantastisch-bizarre Romane vermogen nicht uns aufzudecken, was geschichtlichen Dokumenten vorbehalten ist. Wer aber einen stillen Barockgarten betritt und die einsamen Gange im Geist mit den zierhchen und feierlichen, den höfhchen und intriganten Gestalten eines solchen Romans bevölkert, dem geht das Verstandnis auf für das tiefste Wesen dieser kunstvollen Unnatun die Wechselwirkung offenbart einen Bruchteil menschhchen Lebens, wie es in einer kurzen Spanne der Jahrhunderte gelebt und als das Natürh'che empfunden wurde. BIBLIOGRAPHIE H. K. Agrippa von Nettesheim, Abigail, übersetzt von M. J. Bellin, Lübeck, 1650. Anton Ulrich von Braunschweig, Aramena, 5 Tic., Nürnberg, 1669 —1673. Anton Ulrich von Braunschweig, Die Römische Octavia, 6 Bde., Nürnberg, 1685; Nürnberg, 1711; Braunschweig, 171a. V. Aptowitzer, Asenath, the Wife of Joseph. A Haggadic Literary- Historical Study (Hebrew Union College Annual, volume I, p. 239—306), Cincinnati, Ohio, U. S. A., 1924. R. F. Arnold, Allgemeine Bücherkunde zur neueren deutschen Literatur- geschichte, 2. Aufl., Strafiburg, 1919. 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Gaarne betuig ik hier mijn dank aan de bibliotheken, die mijn studie bevorderd hebben, in de eerste plaats aan de Amsterdamsche Universiteitsbibliotheek, met name den Heer Oosterbaan en de Bibliotheca Rosenthaliana, verder aan alle Nederlandsche universiteitsbiliotheken en de Koninklijke Bibliotheek te Den Haag. Onder de Duitsche instellingen dank ik voor hun steun vooral het Auskunftsbureau en de Pruissische Staatsbibliotheek te Berlijn, de Universiteitsbibliotheken te Breslau, Freiburg i. B., Göttingen, Greifswald, Heidelberg, Jena, Kiel en Munster, de Stadsbibliotheek te Neurenberg, zoowel als de Landesbibliotheken te Weimar en Dresden. Amsterdam, Januari 1927. M. J. D. INHALT Seite Einleitung: Biblische Epik vor dem Barock i Erstes Kapitel: Der biblische Roman als historischer Roman. . ai Zweites Kapitel: Grimmelshausens Joseph und Zesens Assenat . 40 Drittes Kapitel: David und Simson als Helden bei Grimmelshausen und Zesen 70 Viertes Kapitel: Der Davidzyklus bei Lehms 89 Fünftes Kapitel: Esther bei Lehms 111 Sechstes Kapitel: Freiere Behandlung biblischer Motive im Roman des Barock . 127 Siebentes Kapitel: Epische Behandlung biblischer S toffe auBerhalb des Romans 141 SchluB: Zusammenfassung 164 Bibliographie 17a