52 die sich nur rechtfertigen laBt durch die Annahme eines jedesmal sich erneuernden Wunders und die deshalb nicht als „modem" ausgegeben werden darf, ist es für uns, als „ethische Idealisten," dieselbe wesenhafte geistige Kraft, die sich in der gesamten materiellen Erscheinungswelt ihren Leib baut und die im Inneren des Menschen sich offenbart; nur daB sie — und darin unterscheiden wir uns vom asthetisch-pantheistischen Idealismus — nur daB sie hier in einer Betatigung sich kundgibt, die wir nirgends in der AuBenwelt wahrnehmen, namlich in der des freien sittlichen Willens. Dürfen wir aber in der Bekundung -dieses Willens, in dem wir, religiös urteilend, eine Offenbarung Gottes verehren, die Betatigung derselben geistigen Macht sehen, die in allem Wirklichen vernehmbar ist, darm haben wir die Verbindung mit dem modernen Entwicklungsgedanken erreicht, und nunmehr hatten wir zu zeigen, wie von diesem Standpunkt aus die Cfrenzlinie zwischen den beiden Willenskundgebungen, der bloflmenschlichen und der göttlichmenschlichen, die Hebbel nicht zu zieken vermochte, bestimmt werden kann. Voraussetzung für die Bestimmbarkeit dieser Grenzlinie ist, daB die diesseits und jenseits ihrer aufzustellenden und zu bewahrenden Grundsatze des sittlichen Handelns in einen ausschUeBenden Gegensatz gestellt werden können. Einen solchen Gegensatz zu erfassen und festzulegen, das wird uns nun durch die moderne Wissenschaft erleichtert. Bildet der Mensch nur ein GUed in der Entwicklungsreihe der Tierwelt, ist er dem entsprechend von Natur auch nichts anderes als ein Tier, dann steht er auch in sittlicher Beziehung seinem Wesen nach nicht höher als ein Tier. Auch seine „Liebe" kann da, wo sie sich einmal zu betatigen scheint, nur gedeutet werden als ein erweiterter Egoismus. Denn dem „Tier" kann kein anderer Lebenszweck zugeschrieben werden als der der Lebensförderung und Lebenserhaltung, und soweit es  53 diesen Zweck selbst verfolgt, geschieht es auf Kosten seiner Umgebung. Entweder giebt es also in der Menschenwélt keine über den natürlichen Trieb der Selbstund Gattungserbaltung hinausgehende „Moral" und alles was darüber hinauszugehen scheint, ist Lug und Trug' oder aber die „höhere" jenseits der „Grenzlinie" heinusche Moral muB, ün Gegensatz zur natürHchen, kausalgesetehch wirksamen, sich auch im entgegengesetzten Sinne betatigen; sie mu/3 eine den natürlichen Selbsterhattunastrieb ubermndende Moral der Ndchstenliebe sein. Als solche kann sie unmöglich auf die kausalgesetzlich bestimmte Naturordnung, also auch nicht auf den ebenso bestimmten Naturtrieb des Tiermenschen zurückgeführt werden sondern nur auf ein diesem Trieb entgegengesetztes,' von der Naturordnung unabhangiges Kraftprincip, das wir vom Standpunkt jener Moral aus als übernatürhch von dem der Religion aus als göttlich anerkennen und verehren. Gewifi werden wir, urn der Einheitlichkeit unseres Weltbildes willen, auch in der naturhaften Ordnung der Dmge eine Auswirkung der götthchen Kraft sehen; aber das können wir bloB von dem einzigen Punkt aus an dem wir diese Kraft selbst unmittelbar ertabren, d.h. von dem unseres eigenen, nicht natürlich sondern sittUch bestimmten „Ich" aus. Und ebenso werden wir, urn der Einheithchkeit unserer Entwicklungsidee wülen, auch die schon in der Natur selbst keimhaft strebende Existenz einer der kausalgesetzhchen Ordnung der Dmge überlegenen Kraft voraussetzen. Aber erst m unseren sitthchen BewuBtsein kommt der Keim zur Entfaltung, und erst da, wo wir in unserer sittlichen üetatigung diese unsere eigene Natur überwindende Kraft als eine übernatürliche erproben, können wir den Gedanken einer übernatürlichen Veranlagung der Natur fassen. Aber erst da ist auch Moral. Eine „rein menschhche Moral, die weiter nichts ist und sein will als die Betatigung der naturgesetzüchen Ordnung durch die  54 natürliche Kraft des Menschen, ist selbst blofi Natur. Die „höhere" Moral, die einzige, die der ethische Idealismus als Moral anerkennen kann, ist, weil durch eine der Naturordnung überlegene Kraft bedingt, notwendigerweise religiös bestimmt. b. Das christliche Dogma der Menschwerdung Oottes als symbolischer Ausdruck für die Liebe Gottes. Den Charakter dieser Moral deutlich und allseitig herauszuarbeiten, ist keine Religion so geeignet wie das Ghristentum. Nach christlicher Anschauung ist Gott seinem Wesen nach die Liebe, und die Vorstellung von seiner auch in jeder Aufopferungstat des Menschen wesenhaft wirksamen Liebeskraft hat ihr festes Geprage erhalten ün Dogma von der Menschwerdung: in der Person Jesu Christi hat Gott sich selbst geopfert. Urn die Menschen zu befreien von der Sündenschuld, hat er es getan. Darum war dieses Opfer eine Gnadentat. Soll die Sünde, deren wir uns trotz jenes Gnadenaktes Gottes immer wieder schuldig machen, erfaBt werden als scharfster Widerspruch gegen den in ihm uns offenbarten Weg zur Verwirkhchung des Guten, so scheint für sie keine Stelle so geeignet wie der Platz im Angesicht dieser götüichen Gnadentat selbst. «. Diesen Platz hat ihr nun, unter den neueren Theologen, Schleiermacher auch angewiesen. Ist unser gesamtes christlich reügiöses Leben nach seiner Eigenart bedingt durch das BewuBtsein der Erlösung, dann — so folgert er — muB von ihm auch unsere Erfahrung der Sünde ihr eigenartiges Geprage erhalten : wo wir sie als Christen empfinden, da empfinden wir sie auch als Gegensatz zu jener Gnadentat. Und von seinem Standpunkt aus gesehen, muB diese Folgerung als durchaus zutreffend erscheinen. Diesen Standpunkt aber muB doch wohl jeder einnehmen, der nicht das gesamte christlich reügiöse Leben entweder in verschiedene  55 éinander fremde Bestandteüe zerreifien oder auf den Boden einer Humanitatsreligion verpflanzen wül. Unser Thema selbst vertragt sich, wenn ich es richtig verstehe, grundsatzlich weder mit der einen noch mit der anderen Anschauung. Letztere würde die Beantwortung der Frage, wenn nicht selbstverstandlich, so doch allzu leicht erscheinen lassen, erstere würde sie unmöglich machen; denn in einer aus fremdartigen Bestandteilen zusammengesetzten Religion könnte die Sünde einen bestimmten Platz überhaupt nicht einnehmen. Trotzdem kann ich mir auch die Schleiermachersche nicht restlos aneignen. Zunachst weü sie das nicht leistet, was sie im vorliegenden Falie leisten müBte, sodann aber auch aus dem darüber hinausweisenden Grunde, daB ich sie, wenn nicht für falsch, so doch für einseitig halten muB. Einseitig ist sie, weü sie ausschlieBlich diejenige Seite der Liebe betrachtet, die sich als Gnade kundgibt, und diese Betrachtungsweise ist wieder deshalb einseitig, weü sie das BewuBtsein der Sünde als einen das christlichreligiöse Leben stetig mitbestimmenden Faktor voraussetzt. Dieses aber ist nun einmal tatsachlich, unter normalen Bedingungen, nicht so allseitig vom BewuBtsein der Sünde durchdrungen, wie die Schleiermachersche Lehre es voraussetzt. Zutreffender als von der Sünde könnte es von der Sündhaftigkeit behauptet werden. DaB wir an dieser stetig zu tragen haben, ist ohne weiteres zuzugeben; aber zum BewuBtsein kommt sie uns doch jedesmal erst infolge einzelner Sünden, und m unserem religiösen Leben ,spielt sie daher eine Roüe als BewuBtseinstatsache nur zugleich mit dem BewuBtsein der Sünde. Dieses aber kann im religiösen Leben ganz zurücktreten, nicht nur in Zustanden der Erhebung, sondern auch bei inneren Kampfen. Wie soüte denn'sonst unsere Kirche sich abfinden mit dem Angstruf des Erlösers : mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen ? Urn Gottes gegenwartige Hilfe ringen ist noch  56 nicht dasselbe wie um den Glauben ringen. Das letztere mag ein Gefühl der Sünde und der Sündhaftigkeit einschlieBen, das erstere setzt bloB Unvollkommenheit voraus. Die Bibelwissenschaftler glauben zwar zu wissen, warum jenes Christuswort von Johannes und von Lukas unterdrückt und anderwarts umgeandert oder umgedeutet worden sei; im Marcus- und im Matthaustext ist es nun aber einmal in der ursprünglichen Form stehen geblieben, und keiner, der mit Schleiermacher in Christus den Erlöser von der Sündenschuld der Menschheit verehrt, wird darin den Gedanken finden wollen, daB ihm nichts Menschliches und darum auch nicht das eigene SündenbewuBtsein vorenthalten worden sei. Folglich kann auch keiner von ihnen die Möglichkeit in Abrede stellen, daB es auch uns vergönnt ist, religiöse Erfahrungen und selbstinnere Kampfe zu durchleben, bei denen das BewuBtsein der Sünde nicht beteiligt ist. Mit diesem verschwindet aber auch das der Gnade. Auf diese Weise, mittels Folgerung aus einem Schriftwort, konnten wir nun zwar die DWchführbarkeit von Schleiermachers Ansicht über Sünde und Gnade im Chxistenleben anfechten; aber auch bloB seine Ansicht, und diese nur mit Hilfe seiner eigenen Voraussetzungen. Wie steht es aber um die Tatsache — die Gegenüberstellung von Sünde und Gnade — selbst, und wie mit ihr in den weiteren Kreisen der Christenheit, die von Schleirmachers Voraussetzungen nichts wissen ? Die Antwort auf diese Frage kann uns das Hauptgebet der Christenheit, das „Vater Unser" geben, genauer gesagt der Sinn, in dem die letzte Bitte von der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Christen Gott vorgetragen wird. Ein groBer, wenn nicht der gröBere Teil betet um Erlösung vom „Uebel," und von denjenigen, die um Erlösung vom „Bösen" beten, denken die allerwenigsten an den Bösen, d.h. an den Versucher zur Sünde. So das ■n'ovijQos des neutestamentlichen Textes zu deuten, wird  57 durch die vorhergehende Bitte allerdings nahe gelegt; aber nicht, was einst hellenistische Christen unter dem Ausdruck verstanden haben, steht für uns in Frage, sondern nur, was der heutige Beter unseres Kulturkreises sich vorstellt und was er empfindet, wenn er die siebente Bitte spricht. Und dafiir ist gerade die Abweichung vom uraprünglichen Sinn charakteristisch. Uns Protestanten, die wir an die Paulinischen Rechtfertigungsbegriffe gewöhnt sind, würde unserer „Sünde" auf göttlicher Seite mehr die „Rechtfertigung" entsprechen als die „Erlösung", ein Wort, bei dem nur der des Griechischen kundige Deutsche, der den Ausdruck aneXvrQa^tg zum Vergleich heranziehen kann, an eine „Loskaufung" denken wird. Wo sonst überhaupt eine bestimmtere Vorstellung vorschwebt, wird es die der Lösung von Ketten und Banden sein, und der mit ihr sich verbindende Gedanke ist dann natürhch der der Befreiung vom „Uebel". Nun wird zwar, besonders in anbetracht des Uebels, das der Heiland am Kreuz für die Sünde erlitten hat, die Verknüpfung von „Uebel" und „Sünde" unter dem EinfluB des geschichthch orientierten christHchen Anschauungskreises leichter vollzogen; aber gefordert wird sie auch durch ihn nicht, mithin auch nicht die von „Uebel" und „Gnade." Weit naher liegt selbst da, wo jener Anschauungskreis einwirkt, die des „Uebels" mit der „Liebe" Gottes. Diese Verknüpfung ist denn auch tatsachlich im religiösen BewuBtsein des christlichen Volkes durchgehends in viel weiterem Umfange lebendig gewesen als jene, die fast nur in kleineren Kreisen und meist unter dem EinfluB besonders feinfühliger Persönlichkeiten die Oberhand gewonnen hat. Im modernen Christentum wird ihre unter allen Umstanden sich bewahrende Haltbarkeit als Probe auf die Echtheit des Gottesglaubens empfunden. Wesentlicher als die Zurückweisung von Schleiermachers einseitiger Auffassung, die dem tatsachlichen Bestande des christlich religiösen BewuBtseihs nicht ge-  58 recht wird, scheint mir für die uns jetzt vorliegende Frage die Berücksichtigung des oben (p. 55) an erster Stelle angedeuteten Punktes, wenngleich er sich mit unserem Thema nicht so unmittelbar berührt. Er betrifft den Begriff der „Gnade." Dieser Begriff ist der engere, „Liebe" der weitere. Schon deshalb ware letzterer der für uns brauchbarere. Völlig unbrauchbar wird der der Gnade deshalb, weil er die hiebesbetdtigung nur auf Seiten Gottes zulaBt. Darum findet man von ihm aus keinen Uebergang zum sittlichen Begriff der Sünde. Die Liebe erweckt Gegenliebe, tatige Gegenliebe, der Gnade gegenüber sind wir zu passiver Haltung genötigt. Die Schleiermachersche Formel ware daher zwar geeignet, die „Siindhaftigkeit" ans Licht zu stellen, als welche ebenfalls, ihrem Begriff nach, den Menschen zur Passivitat verurteilt, nicht aber die „Sünde," die ihrem Begriff nach ja seine eigene Betatigung geradezu voraussetzt. Wollen wir also mittels des Gegensatzes zum göttlichen Tun beurteilen, was sündhaftes Tun ist, so kommen wir mit dem engeren Begriff der Gnade nicht aus. In der Vorstellung der Liebe Gottes hingegen ist die Forderung eingeschlossen, daB wir ihn wieder lieben, und das können wir nicht, wenn wir seinem aufs Gute gerichteten Tun zuwider handehi. Damit ist, wie die religiöse Seite im Begriff der Sünde, so auch zugleich die sittliche festgelegt. Die sittliche; denn Sündigen heiBt dem Guten zuwider handeln. Die religiöse ; denn Sündigen heiBt dem Willen Gottes zuwider handeln. Als charakteristisches Merkmal für die Sünde im religiösen Sinn ergibt sich dann weiter : sie versperrt uns den Zugang zur Liebe Gottes, Metus dei kann auch vom Sünder empfunden werden, fiducia dei nicht. ti. In diesem Gedanken treffen wir mit A. Ritschl zusammen. Nach ihm ist das BewuBtsein der Sünde zu bemessen an der Liebe Gottes und am Reiche Gottes  5< als dem Reich der Liebe ; aber das Erlebnis der Siindenvergebung, d.h. also die Zulassung zur Liebe Gottes und zu seinem Reich, ist nach seiner Lehre bedingt durch ein Urteil über die historische Person Jesu von Nazareth. Dieses Urteil, das auf Seiten des Menschen entscheidend ins Gewicht fallt für die Vergebung der Sünde, kann nun aber nicht erst mit ihr dem Sünder eingegeben werden; es muB schon vorher, bei der Sünde selbst, soll sie anders dem Christen als Undankbarkeit gegen die ihm erwiesene Liebe Gottes zum BewuBtsein kommen, mitgesetzt sein. Der Platz, der hiermit der Sünde angewiesen wird, nicht mehr gegenüber der Liebe Gottes selbst, sondern gegenüber der in Jesus, dem historischen Jesus, erschienenen Liebe Gottes, ist m.E. für eine „moderne Auffassung" unhaltbar. Hatte ScMeiermacher in der Vereinigung des „Urbildlichen mit dem Geschichtlichen'' das Wunder der Person Christi erschaut, so verehrt Ritschl die historische Persönlichkeit Jesu als den Höhepunkt der natürlich-menschlichen Entwicklung. Bei jenem ist der schlie/Ülich von der historischen Wissenschaft unabhangige subjektive Eindruck, der Wunderglaube, das Entscheidende; Ritschl's Bewertung des historischen Jesus von Nazareth aber führt fólgerichtig zur Abhangigkeit des Glaubens von der historischen Kritik. Wollen wir auf die „moderne Auffassung" eingehen, dann müssen wir die Spuren des einen wie des anderen verlassen. Mit dem Glauben an ein die geschichtliche Entwicklung zerreiBendes Wunder kann sie sich nicht abfinden. Ebensowenig aber auch mit dem Glauben an Ergebnisse der Geschichtswissenschaft. Das Verstandnis für die religiösen Ideen mag durch die religionsgeschichtliche Kritik noch so viel Förderung und Klarung erfahren haben, für ihre religiöse Wertschatzung ist und bleibt ausschlieBlich entscheidend unser gegenwartiges religiöses Bedürfnis. Auch der im folgenden zu verwertenden Idee des Dogmas von der Menschwerdung Gottes waren wir zwar nicht gerecht geworden auf  60 Grund unserer idealistischen Weltanschauung alleiri und ohne die Ergebnisse der historischen Kritik; aber gerade diese hat uns auch dahin gebracht, die religiöse Idee ganz auf sich selbst zu stellen und ihre Schatzung einzig und allein abhangig zu machen von ihrem Wert für unser rehgiöses Leben. Der Geschichte gegenüber fühlen wir uns demnach religiös vollkommen frei. Ebenso auch dem kirchüchen Dogma gegenüber; denn in ihm sehen wir nur das geschichtüch bedingte Geprage einer Idee, und nur ala symbolischen Ausdruck derselben können wir es einsehatzen und verwerten. Ideen können wir, wie gesagt, überhaupt nicht anders ausdrücken als durch Symbole, und da wir für die christliche Gottesidee kein treffenderes kennen als das überlieferte Dogma von der Menschwerdung Gottes in Christo, so werden wir uns sorgsamst davor hüten, an ihm herumzufeilen. Aber ein Dogma, auch das zutreffendste, ist immer bh/S ein Lehrsatz, ein Satz den man lemen und nachsprechen kann und den man um so lieber und leichter nachsprechen lernt, wenn man die Autoritat kennt und hochschatzt, die ihn vorgesprochen hat; die Idee hingegen, die unter der Hülle dieses Satzes lebt, wffl angeeignet, unserem Geist und Gemüt assimüiert, in lebendige Kraft umgesetzt werden. Zu diesem Behufe aber ist es durchaus gleichgültig, wer die Idee zuerst ausgesprochen hat. Durch Berufung auf eine Autoritat kann, soweit sie sich der Anerkennung erfreut, einem Wort, einem Satz, einer Lehre zwar, wie schon angedeutet, leichter Verbreitung und Zugang verschafft werden ; aber die Aneignung der Idee und die Betatigung ihrer Kraft ist nicht davon abhangig, sondern von der inneren Beschaffenheit und der Bereitwüligkeit des Aufnehmenden. Ob Christus, ob irgend ein anderer dieses oder jenes in unseren Evangeliën aufbewahrte Wort gesprochen hat, das zu untersuchen ist ein heute groBenteils abgeschlossenes  61 Geschaft der historischen und philologischen Kritik. Aber mogen die Ergebnisse sein, welche sie wollen, in keiner Weise, weder im positiven noch im negativen Sinne, dürfen sie zu Autoritaten für unsere religiöse Ueberzeugung werden, am allerwenigsten für die vielen, denen nichts weiter übrig bliebe, als sie auf die recht menschliche Autoritat der Fachgelehrten hin anzunehmen. Die so beschafften „praesidia humana" der modernen Wissenschaft waren um nichts zuverlassiger als die der mittelalterhch katholischen Kirche, von denen uns die Reformation befreit hat. Mag also auch zur Bildung des Dogmas von der Menschwerdung Gottes beigetragen haben wer will, mag es auch um die Person Jesu bestellt sein, wie es will, mag er eine historische Erscheinung von übermenschlichen MaBen gewesen sein, oder ein erst von der Sage zur höchsten Würde erhobener Wanderlehrer, oder auch eine rein vom Mythus geformte Göttergestalt : gleichviel, es war ein unvergleichlicher und von mehr als menschlichen Gedanken zeugender Augenblick in der Geschichte, als aus den verschiedenen Teilen der damaligen Kulturwelt die Faden sich kreuzten, an deren Knotenpunkt diese Idee sich bilden und befestigen konnte, und als zu gleicher Zeit auf allen Seiten die sittlichen und religiösen Krafte rege wurden, die zusammenwirkten, um ihr dauernde Lebensfahigkeit, allseitige Ausgestaltung und Macht über die Gemüter zu sichern. Der mit ihr verbundene Gefühlswert ist es, der, wie ich glaube, bis auf den heutigen Tag noch Leuchtkraft genug besitzt, um uns die Richtung anzuweisen, in der sich unsere moralische Gesinnung zu betatigen hat, und Werbekraft genug, um der Entfaltung unserer Eigenart Gesetz und Schranke vorzuschreiben. Ich würde mich bei diesem Punkte nicht aufgehalten haben, wenn sich das religiöse Autoritatsbedürfnis etwa bloB oder auch nur vorwiegend auf „Dogmenglaubige"  62 erstreckte. Keineswegs ! Ist doch selbst ein Denker wie Tolstoi von ihm nicht frei. Dieser hat in seiner „kurzen Darlegung des Evangeliums" (s. bes. p. 60 und 72) aus den vier kanonischen Evangeliën Gedanken geschöpft, die dem von mir oben als Hauptgedanken des Christentums bezeichneten sehr nahe kommen. Aber er legt Wert darauf, daB sie Worten entnommen sind, die Christus selbst gesprochen hat (p. 16). Aus seinem Beispiel können wir nun ersehen, wie das zunachst nur in formaler Beziehung anzufechtende Bedürfnis nach Glaubensautoritaten auch sachlich irreführende Wirkungen ausübt. Die Bewertung, die er den Eigenworten des' Heilandes als solchen zu teil werden laBt, führt ihn dazu, sie in dem Sinne, wie er sie versteht, als schlechthin verpflichtend auszugeben, und auf diese Weise gelangt er zur Aufstellung von Einzelgeboten, die sich zwar inhaltlich mit den von der Kirche autorisierten durchaus nicht decken, aber doch den Anspruch mit ihr gemeinsam haben, auf alle Zeiten hinaus maBgebend zu sein für die christliche Moral. c. Die Sünde als Ausdruck einer der Liebe Gottes widerspreehenden Gesinnung. Nach unserer Auffassung ist jede gesetzliche Moral, die evangelische Tolstoi's ebenso wie irgend eine andere, sei sie pharisaisch oder jesuitisch, kirchhch-dogmatisch oder biedermeiersch-rationalistisch, grundsatzlich überwunden, sobald die Sünde ihren Platz erhalt gegenüber der göttlichen Liebe; denn die Liebe, wenngleich sie ihre Echtheit erst bewahrt durch die Tat, ist doch an sich eine Gesinnung. Ihr gegenüber wird also die Sünde zur Gesinnung der Lieblosigkeit, wie denn auf der anderen Seite die gesamte positive Moral, soll sie gemessen werden an der göttlichen Liebe, zu einer Gesinnungsmoral werden muB, zur Moral der Liebesgesinnung. Wenn wir nun mit dem Platz, den wir hiermit der  63 Sünde angewiesen haben, zugleich auch für die so eben charakterisierte Moral eintreten, so geben wir damit nur einem Gedanken Folge, der schon im Urchristentum laut geworden und seitdem nimmer verstummt ist. Nicht bloB kleinere Kreise und Abseitler haben ihn immer wieder verkündet, auch die groBen Kirchen haben, trotz aller Abwege, auf die sie durch die Forderungen der Praxis gedrangt wurden, wenigstens grundsatzlich an ihm festgehalten. Dem Heilande selbst werden zwar in den Evangeliën ganze Reihen von Spezialgeboten in den Mund gelegt, und auch die Zusammenfassung des ganzen Gesetzes in zwei Gebote bedeutet noch keine Absage an die gesetzliche Moral. Allein im Hinblick auf den Verfasser des ersten Johannesbriefs (s. besonders 4 20), haben wir doch wohl das Recht, diejenige Auffassung,' die in den zwei formal gesonderten Geboten sachUch nur ein Gebot sieht —nur aus der Gottesliebe kann die Nachstenüebe flieBen — ins ursprünghche Christentum zurückzuverlegen, und ebenso auch das Gefühl dafür, daB auch dieses eine Gebot nur der Form nach ein Gebot ist. Denn ganz abgesehen davon, daB die Liebe sich nicht gebieten laBt, war, wie übrigens auch anderwarts, die Form des Gebotes schon gefordert durch die in dem Bericht vorausgesetzten Umstande, an unserer SteUe vor allem durch die Anlehnung an Deut. 65. Aber wie man uber die Existenz und die Kraft dieses Gefühls bei den Verfassern der Evangeliën auch urteilen mag, ein tieferes Fundament für die gesetzesfreie Moral hat im Anschluji an Paulus jedenfalls erst die Reformation gelegt. Sie hat es dadurch getan, daB sie ausschlieBlich eine Moral gelten lieB, die sich auf den Glauben, also auf eine Gesinnung gründete, und zwar auf den Glauben an die sundenvergebende Gnade Gottes. Auf diesem Fundament lafit sich nur eine Moral der Liebesgesinnung aufbauen. Die Kirchen der Reformation haben indes, wie schon gesagt, die ihnen hiermit überwiesene Aufgabe nur zum  64 geringen Teil erfüllt. Auch sie haben sich von dem Boden der gesetzlichen Moral nicht losgelöst; man denke an den tertius usus legis. Was insbesondere Luther betrifft, so liegen bei ihm die Motive für den Wert, den er trotz des nur an der Liebesgesinnung Gottes genahrten Glaubens der Anknüpfung an die Gesetzesmoral beilegte, deutlich genug vor : es war, abgesehen von der Reaction gegen den mit dem „neuen Glauben" sich vielfach verschwisternden Libertinismus, die Erfahrung, die er selbst bei seiner Bekehrung am Gesetz gemacht hatte. So verstandlich uns nun von diesem Beweggrund aus angesehen Luthers Haltung auch erscheinen mag, so soll uns das doch nicht an dem Urteil behindern, daB grundsatzlich die „Antinomisten" gegen ibn ün Rechte waren. Weil sie das waren, darum ist auch ihr Unternehmen auf reformatorischem Gebiet bis auf unsere Tage immer wieder erneuert worden, wie denn in gewissem Sinne auch diese Abhandlung als eine Wiederaufnahme desselben betrachtet werden kann. Und nicht nur die lutherische, auch alle anderen gröBeren Kirchengemeinschaften haben der gesetzesfreien Moral einen Boden frei gehalten, wenngleich sie ihn noch weniger als jene gekennzeichnet und angebaut haben. Durch das Dogma von der Menschwerdung sind sie insgesamt zur Anerkennung dieser Moral geradezu verpflichtet. Mit dem eben Bemerkten wollten wir bloB darauf hinweisen, daB wir mit unserem Eintreten für die Gesinnungsmoral uns in einer durch die geschichtliche Entwicklung vorgezeichneten Richtung bewegen. Nichts kann uns nach dem Vorhergehenden ferner liegen als den reügiös-sittUchen Wert, den wir dieser Idee zuschreiben, davon abhangig zu machen, wann oder von wem sie zuerst verkündet worden ist; aber darauf kommt es uns an, daB sie nicht etwa als ein wunderlicher Einfall lebensunkundiger Idealisten oder spintisierender Theologen ausgegeben, sondern als das zu einer bestimmten  65 Zeit erreichte Ergebnis einer groBen, Völker umfassenden Kulturentwicklung gewiirdigt wird. Diese Zeit war gekommen, als die Kulturmenschheit reif war für das innere Bedürfnis des Glaubens an einen Gott, der die Liebe ist, und damit zu einer moralischen Idee, die keine andere Sittlichkeit mehr kennt als die der Liebesgesinnung und keine andere Sünde als die der Selbstsucht (vel u. p. 91). Aus Liebe, zur Welt ist Gott Mensch geworden, und der Gottmensch hat sich aus Liebe zur Menschheit für sie gecpfert: in dieser unenneBlichen Liebestat Gottes liegt das denkbar starkste Motiv für das Opfer, das wir Menschen zu bringen haben, indem wir im Dienste der Mitwelt unsere tierisch-selbstsüchtige Gesinnung überwinden und vernichten. Wie Gott seint Gottheit verleugnete, um sich als Mensch für die sündhafte Menschheit zu opfern, so opfern wir unser natürlich-triebhaftes Menschentum, um vergottet zu werden, d.h. um übernatürlich-sitüiche Krafte in uns wirksam werden zu lassen. In was für Handlungen diese Krafte sich in den einzelnen, vom Leben gebotenen Eallen betatigen, davon können wir weder hier noch im zweiten Abschnitt, wo wir auf ihre Charakterisierung zurückzukommen gedenken, etwas Bestimmtes aussagen. Jeder derartige Versnelt führt mit Notwendigkeit wieder in die Kasuistik hinein. GewiB kann keine menschliche Gemeinschaft bebestünmter orts-und zeitgemaBer Anordnungen entraten; aber für die Gesinnungsmoral ist die ünterwerfung unter sie nicht ausschlaggebend. Innerhalb ihres Bereichs gibt es gar keine für alle Glieder und für alle Zeiten und Umstande gültigen Befehle. Denn, wie schon gesagt, die Liebe laBt sich nicht befehlen; und sie befiehlt auch nichts. Sie tut etwas weit Besseres. Als Liebe desmenschgewordenen Gottes, die in unseren Herzen wirksam ist, verleiht sie uns die Kraft zu Handlungen, die, mögen sie auch noch so verschiedenartig, ja einander entgegen- 6  67 vermeiden den Materialisme der letzteren und das Mi rakelhafte der ersteren. Für den Platz, den wir der Sunde nn religiösen Leben einraumen, ist die dritte die religiöse, entscheidend. Mit ihr bringen wir das nicht nur fur jede echte Religion, sondern auch für jede über den Naturalismus hinausgehende Moral unentbehrhche mvstische Element in unsere Definition hinein Bei alledem bleibt aber fraglich, ob sie auch geeignet »t, eine hinreichend scharfe Grenzlinie zu ziehen zwischen Sunde und Nicht-Sünde, wozu sie als Definüion doch gerade bestimmt ist. Offenbar versagt sie, wenn wir andere moralisch abschatzen wollen. Als Gesinnungstatsache ,st die Sünde der Beurteilung durch einen Dritten hochstens auf Umwegen zuganglich und, wenn erreicht unmer noch nicht in ihrer Substanz zu erfassen, eswarê denn daB das ganze Leben eines Menschen samt dem semer Vorfahren offen dalage. Solange nur die Selbstbeurteilung in betracht kommt, ist hingegen der durch unsere Definition gebotene Mantab durchaus brauchbar ±>enn wenn sie auch bei verschiedenen Menschen ie nach den verschiedenen Stufen ihrer sittlichen Bildung verscheden ausfaUt, wenn auch das gleiche Verhalten bei der ernen Schicht der Gesellschaft oder in einem Zeitalter fur erlaubt, bei einer anderen Schicht oder in einem anderen Zeitalter, je nach der Durchschnittshöhenlage des sitthchen BewuBtseins für unerlaubt erklart wird wenn sogar dieselbe PersörJichkeit, um Erweiterung der bishengen Grenzen ihres sittüchen Lebens bemüht, heute als unsittiich verurteüt, was ihr gestern vielleicht noch als naturhch und darum als sittUch gleichgültig erschien • die Norm nach der in Anwendung jenes Mafistabes in aUen Fallen geurteiU wird, ist doch dieselbe. Es ist die fur die jedesnuüige Beurteüung scharf gekennzeichnete Orenze, welche die übernatürlich-gottgewirkten Motive der Liebe van den natürlich-tierischen der Selbstsucht scheidet Wo die letzteren über diese Grenze hinaus wirksam sind*  69 Pessimismus hineingetrieben werden, der mit dem Glauben an jede mehr als temporare und konventionelle Moral den Begriff der Sünde selbst aufhebt. Unwahr wurden wir, wenn wir jene Gesetze als allgemeingültige und ewige anerkennen woUten; denn die heute bekannte Geschichte der Moral, auch der^ christlichen, laBt keinen Zweifel mehr dagegen aufkommen, daB alle statutarischen Gesetze, die auf Gott zurückgeführten nicht weniger wie die auf bloB menschliche Autoritat gestützten, stets so beschaffen sind, wie es bei ihrer Entstehung und Entwicklung der Bestand und die Erhaltung der jeweiligen Gesellschaft erforderten. Und dem Pessimismus könnten wir mcht entrmnen, wenn wir, unserer Erkenntnis Folge gebend, m solch vergangHchen Formen der Moral das höchste Ziel unseres und alles sittlichen Strebens erbhcken sollten Wdche Stellung können wir nun von jenem Ideal aus zu den die Gesellschaft bhfi ordnenden und deshalb auch blofi. temporaren Gesetzen gewinnen ? Auf die Betrachtung der Sünde als gemeinschaftbildende Macht brauchen wir nicht einzugehen; sie fallt aus unserem Thema heraus, als welches nicht nach dem Platz fragt, den die Sünde im religiösen Leben der MenscMet* einzunehmen hat. Wohl aber fordert es von uns, daB wir uns den Platz, den nach unserer Ansicht die Sunde gegenwartig im Leben des einzelnen einnehmen kann und soll, auch darauf hin ansehen, ob von ihm aus eine VerantwortHchkeit sich ergibt auch für die Sunden der an bestimmte Gesetze notwendigerweise gebundenen Gemeinschaft und wie bejahenden Falls dieser VerantwortHchkeit entsprochen werden soH Die erste Frage beantworte ich nun aus folgenden Grimden mit „ja". Einmal ist jeder von uns, so lange er mcht auf Vollkommenheit anspruch machen kann, als Ghed der Gemeinschaft auch in die Simden der Gemeinschaft verstrickt. Wie für MilHonen anderer so sind auch für diejenigen, deren Ideal die gesetzesfreie Moral  70 der Liebe ist, die in der Gemeinschaft, der sie angehören, gültigen Sittengesetze der einzige Weg, auf dem sie, sei es direkt oder indirekt (Vererbung) zur Gesinnungsmoral gelangen konnten oder können. Sodann aber, wenn einer dieses Ziel auch wirklich fest im Besitz hatte, wenn er sich innerlich von jeglicher gesetzlichen Moral frei gemacht hatte, so ware damit immer noch nicht ausgemacht, ob er sich, der Materie nach, nicht ebenso versündigen könnte wie die übrigen. Denn so sehr sich auch formal und gesinnungsmaBig beides unterscheiden mag, die Sünde gegen ein von auBen auferlegtes Gesetz und die Sünde gegen die im eigenen Herzen vernehmbare Stimme der Liebe : der Materie nach kann die Sünde trotz dem die gleiche sein; was das Gebot zwecks Erhaltung und Pörderung der Gesellschaft vorschreibt, kann sich sachlich ganz mit dem decken, wozu im einzelnen Falie die grundsatzlich von der Liebe geleitete Gesinnung bereit ist. Aber noch mehr. Nicht bloB möglich ist vom Standpunkt der Liebesgesinnung, also auch von dem einer idealen Gesinnungsgemeinschaft aus, die Teilnahme an dem sittlichen Leben der realen Gemeinschaft, sondern gerade auf diesem Standpunkt fühlt sich jeder Gesetzesfreie mit verantwortlich für alles, was im Leben der letzteren vorgeht, nicht bloB für seine eigenen Sünden, sondern auch für die seiner Umgebung, auch für die Gesamtsünde, unter der sie leidet. Seine Freiheit vom Gesetz ist ja nichts anderes als Gebundenheit an die Liebe. Von hier aus ergibt sich die Beantwortung der zweiten Frage. Auf Grund der Liebesgesinnung wird der sittlich Fortgeschittene einerseits der Gesellschaft auch da sich fügen und den für ihren Bestand vorlaufig noch wertvollen Gesetzen auch da nachkommen, wo sein persönlich-sittliches BewuBtsein es als auBerliche Form und damit als innerlich unwahr empfinden müBte. Andrerseits darf er sich aber auch der Pflicht nicht entziehen, ihr auf dem Wege, der aus der demoralisierenden „Knecht-  76 plötzlich, ob unter dem erziehlichen EinfluB der Gemeinschaft oder unter persönlichem Ringen, gleichviel auch bis zu welchem Grade der Assimilation mit der Natur des Menschen sie sich durchsetzt. Ohne diesen Vorgang gibt es für uns gar keinen Glauben im religiösen Sinn, keine fiducia, ebensowenig wie für das Tier; ohne ihn können wir also auch keine von den Stimmungen erleben, die mit dem Verlust jenes Glaubens verbunden sind. An dem Begriff der „BuBe" (Schadenersatz !) haftet immer etwas von dem Gedanken einer von auBen auferlegten Strafe, die jeden treffen kann und vor der sich daher auch jeder „Sünder" fürchten muB, am meisten der „unglaubige", obgleich gerade er — so urteilen wir — gar nicht wissen kann, was „Sünde" ist. Anders urteilte die reformatorische Kirche, die an der Gesetzesmoral fest hielt; in ihr spielte die Hölle mit ihren Straten noch lange eine ebenso bedeutsame Rolle wie in der mittelalterlichen. Heute ist aus unserem Gemütsleben, dem der Glaubigen nicht weniger wie dem der Unglaubigen, die Purcht vor der Hölle mit ihrer Pein endgültig verbannt; auch diesseitige Uebel vermógen wir aus der Sünde entfernt nicht mit derjenigen Sicherheit abzuleiten, die erforderhch ware, wenn wir sie als deren kausalgesetzlich erfolgende Strafen deuten sollten; und noch ferner liegt es uns, für einen derartigen Zusammenhang eine besondere Wunderwirkung in anspruch zu nehmen. Wahrend also nach moderner Auffassung dem „Unglaubigen" die „Buf3"stimmung als inneres Erlebnis ganzlich abgeht, verbindet der „Gldubige" mit ihr nicht mehr die Furcht vor aufieren Strafen. Das bedeutet aber, gegen früher, einen tiefgreifenden Stimmungsunterschied. Früheren Geschlechtern war weder die tierische Natur des Menschen noch seine Unfahigkeit, irgendwo drauBen einen Gott zu finden, den er nicht in sich selbst trug, zu einem so deutlichen BewuBtsein gekommen, wie wir es der Descendenztheorie einerseits und unserem erweiter-  77 ten Weltbild andrerseits verdanken. Mit der bei ihnen herrschenden Transscendenzvorstellung Gottes verbanden sie auch andere Begriffe vom Glauben und von der Sünde. Wie alles, was zum „Glauben" — das Wort in ihrem Sinne verstanden — gehorte, einen viel bedeutenderen auBeren Raum in der menschlichen Gesellschaft einnahm, als es bei uns in absehbarer Zeit möglich erscheint, so auch die „Sünde" — dieses Wort ebenfalls in ihrem Sinne verstanden. Den Glauben an die Existenz Gottes meinte man im Hinblick auf das durch ihn geschaffene Werk der Welt und auf die willkürlich von ihm gesetzten und gelegentlich auch wieder durchbrochenen Ordnungen jedem zumuten zu können, und dem entsprechend sollte denn auch jedem die Sünde als Störung jener Ordnungen und Eingriffe Gottes, wenn nicht unmöglich gemacht, so doch nach Möglichkeit erschwert werden. Nur als Mittel zum Zweck wurde in beiden Fallen von den reformatorischen Obrigkeiten die innere Stellung ihrer Untertanen zu Gott in Rechnung gebracht. So wünschenswert es aber auch sein mochte (und vielleicht auch gegenwartig wieder ware), daB, um der gesellschaftlichen Zucht und Ordnung willen, solche „Unglaubige", die die Sünde als inneres Erlebnis gar nicht kannten, doch um ihretwülen mit Strafen und Strafandrohungen, zeitlichen und ewigen, bedacht wurden — eine Art der Behandlung, die sie mit dem zu dressierenden Hunde teilten — , eine religiöse Bedeutung können wir der auf diese Weise erzielten „sittlichen" Wirkung ebensowenig zuerkennen wie der so eingeschatzten und bekampften Sünde selbst. Von dem Platz aus, den wir der Sünde angewiesen haben, erhalt wie das Gefühl der Reue so auch das von dieser vorausgesetzte BewuBtsein der Sünde eine bedeutende Vertiefung im religiösen Leben, aber wohlverstanden — auch nur im Leben des Glaubigen; nur bei ihm ist ja jener Platz für das SündenbewuBtsein vorhanden.  82 Gerechtwerdung — der Ausdruck Gerechtmachung ist auch für die bloBe Vorstellung unbrauchbar. Die Forderung, die wir hiermit grundsatzlich gestellt haben, das VorstellungsmaBige an dem religiös Erlebten zu messen, ist ihrem Inhalt nach nichts weniger als neu. Die mit religiöser Eigenkraft ausgestatteten Manner haben stets ganz von selbst ihr gemaB gehandelt. Auch bei dem, was Paulus, was die Reformatoren aussagen über die auBerhalb und unabhangig von uns vollzogene Erlösungstatigkeit der Gottheit, wird der Hintergrund des Selbsterlebten nicht vermiBt. Nur sind die beiderseitigen Aussagen nicht zu einer rat ionalen Einheit verblinden; vielfach scheinen sie einander gar nicht zu berühren. dtog laxiv ó htwQyap lt> i/tiv xai xo 9tXiiv xcci xo Ivtgynp. Das schreibt z.B. Paulus an die Christen zu Philippi (218), fast unmittelbar nachdem er ihnen als Vorbild der Gesinnung die auBeren Tatsachen der Selbsterniedrigung Christi und seiner Erhöhung durch den jenseitigen Gott vor Augen gemalt hat. An der Spitze dieser Schilderung aber lesen wir ein tv Xqioxoo, das sich seinerseits wieder mit der im Transscendenten festgelegten und individuell abgegrenzten Persönlichkeit des Herrn, vor dem sich aller Kniee beugen sollen, nicht vertragt. Das innere Gotterleben des Apostels war zu machtig, als daB es sich durch Spekulationen über jenseitige Vorgange hatte zum Schweigen verurteilen lassen. Und ahnüch wie bei ihm finden wir's bei vielen anderen religiösen Persönlichkeiten, die in seinen FuBspuren wandeln. Auf die ihnen durch Ueberlieferung, Sprache, Anschauungsformen dargebotenen Vorstellungen eines jenseitigen Gottes, eines jenseitigen Christus und des zwischen ihnen und anderen himmlischen Machten sich abspielenden Dramas mögen sie nicht verzichten; aber auf der anderen Seite drangt es sie, das auszusprechen, was sie an Gottes und Christuserlebnissen innerlich erfahren haben, ohne doch sich und andere darüber aufzuklaren,  83 welche Wesensverwandtschaft die Vereinigung so durchaus verschiedenartiger Begebnisse zu einer einheitlichen religiösen Erfahrungswelt ermöglicht. So kann Luther in Christus seinen und aller Glaubigen himmlischen Herrn verehren und dennoch wiederholt die Forderung erheben : wir müssen alle Christusse werden; d.h. doch wohl, was Christus erlebt und geleistet hat, das muB jeder Christ erleben und leisten, dasselbe innige Verhaltnis zu Gott und dieselbe erlösende Kraftwirkung. Und das ist für Luther wieder nicht anders denkbar als so, daB Christus Person in ihm wird. So lange nun die durch die doppelte Vorstellungsweise entstehenden Widersprüche nicht bemerkt werden, sind sie harmlos. Sobald wir sie erkennen, müssen wir darauf bedacht sein, sie aufzuheben, und das darf bei unserer Weltanschauung nur geschehen auf kosten der transscendentalen Vorstellungen. Die der Genugtuung durch Christus und der Rechtfertigung durch Gott können wir dann nicht beibehalten, wenigstens nicht in dem objektiven Sinn, in dem sie ursprünglich verkündet wurden. Ebensowenig wie in unsere Gottesgedanken lassen sie sich in unser SündenbewuBtsein einfügen. Vermittels fremder Genugtuung gut gemacht, durch ein bloBes Wort wegerklart werden kann die Sünde nur dann, wenn sie uns bloB auBerlich anhangt, so wie es nicht nur die Vorstellung der Gesetzesübertretung mit sich bringt, sondern auch die des „Fleisches" und dio der Vererbung durch das „Fleisch". Besteht sie aber ihrem Wesen nach in der inneren Loslösung von Gott, dann kann sie auch bloB beseitigt werden durch die Wiedervereinigung mit ihm. Was früher, in der Rechtfertigungslehre, als zwei getrennte Vorgange, einerseits in der Gottheit, anderseits im Menschen vorgestellt wurde — es war sozusagen auf verschiedene Raume verteilt — das schlieftt sich bei uns, bei der Immanenzvorstellung, zu einem einheitlichen inneren Vorgang zusammen. Und  84 • waan wir auch gelegentlioh, der überlieferten Vorstellungsweise uns einfügend, die beiden Seiten auseinanderrücken und wieder auf verschiedene Raume verteilen, so wissen wir doch, daB diese Trennung nur ihr zuzuschreiben ist. Für unser religiöses Empfinden ist es stets ein und derselbe ideelle Raum, unser eigenes Innere, in dem das SündenbewuBtsein sich einerseits auswirkt und andrerseits von der Gnadengegenwart Gottes überwunden wird, und darin unterscheidet es sich wesentlich von dem im fruheren und insbesondere auch im reformatorischen Christentum herrschenden. Soviel zur Bechtfertigungslehre. Das für sie und für die Lehre von der BuBe gemeinsam geltende Schlufiergebnis des oben Dargelegten laBt sich in folgende Worte zusammenfassen : das reformatorisch-kirchliche Christentum hat den von der Reformation selbst dem SündenbewuBtsein im Inneren des Glaubigen erschlossenen Raum sozusagen nur nebenbei verwertet. Darüber könnte es nicht hinauskommen, weil in den beiden maBgebenden Lehren grundsatzlich die Transscendenz Gottes als die guitige Vorstellung festgelegt war, und darum sind wir, weü von dem unmittélbar in unserem Inneren sich kundtuenden Gottesbewufitsein ausgehend, auch in unserem Sündenbewufitsein anders gestimmt. Nun erscheint es aber fraglich, ob nicht durch die vom Standpunkt der „Immanenz" aus gebotene Zurückführung der beiden besprochenen, gerade in ihrer Objektivitat für das religiöse Leben einst wesentlichen Vorgange auf rein innerliche, subjektive Erlebnisse das SündenbewuBtsein, statt an ideellem Raum zu gewinnen, auch den bisher ihm zugebilligten einbüBt und geradezu aufgehoben wird. Ohne einen über uns erhabenen Gott, der befiehlt, dessen Befehle wir übertreten, dessen Strafurteil wir zu gewartigen haben, was soll da das SündenbewuBtsein ? Ist es nicht gegenstandslos ? Vom Standpunkt einer am Gesetz normierten Moral aus müBten  85 wir freilich co urteüen. DaB der moderne Protestantismus in seinen weiteren Kreisen die EinbuBe an auBerem Raum für das SündenbewuBtsein bisber durch Verinnerhchung desselben keineswegs ausgeglichen hat, braucht angesichts unserer Gottesdienste, unserer Feste, unserer Literator, unserer trotz des welterschütternden Krieges immer noch recht weltzugewandten Lebenshaltung nicht weiter ausgeführt zu werden. Aber gerade diese Tatsache weist uns nachdrucksvoll darauf hin, daB die ,,Sünde" ihres alten Platzes, von dem früher doch auch der Intensitat des SündenbewuBtseins Kraft und Nahrung zufloB, heute bei uns verlustig gegangen ist. Ob und in wie weit von dem neuen, ihr erst einzuraumenden aus der Schade wieder gut gemocht werden kann, das wollen wir jetzt sehen. 6. Der heute dem an der Liebe Gottes orientierten SündenbewuBtsein zugangliche ideeUe Betatigungsraum, a) seine Schranken und /?) seine Erweiterungsfahigieü. a). Schon aus dem Vorhergehenden ist zu ersehen, daB der Platz gegenüber der Liebe Gottes, den wir der Sünde und dem SündenbewuBtsein zugewiesen haben, nur bei Persönlichkeiten vorhanden sein kann, die selbst etwas von dieser Liebe empfinden, also nur bei solchen, denen die Religion ein inneres persönliches Erleben ist. Wir müssen also von vorn herein auf jeden Versuch eines Nachweises dafür verzichten, daB von jenem Platz aus das SündenbewuBtsein dieselbe Massenwirkung ausüben könne, die es von dem alten, dem durch das Gesetz Gottes bezeichneten, Platz einst ausgeübt hat. Wir müssen zufrieden sein, wenn sich aus dem Folgenden ergibt, dass die EinbuBe an Massenwirkung ersetzt werden kann durch einen um so tieferen und vielseitigeren EinfluB auf das Innenleben solcher Persönlichkeiten. DaB dann von ihnen aus ein neues sittliches BewuBtsein auch wieder in weitere Kreise eindringen kann,  86 braucht hier ebenfalls nicht mehr erörtert zu werden (s. p. 70 f.). /?). Solange man die Sünde am Gesetz mifit, verbleiben nicht nur einzelne LebensauBerungen, sondern auch ganze Gebiete auBerhalb ihrer Sphare. Die Versuche von diesem Standpunkt aus die einzelnen von den gesetzhchen Vorschriften unberührten Stellen, als welche moralfreie Lücken in der Reihe unserer Lebensbetatigungen bilden würden, nach Möghchkeit auszugleichen, haben, im positiven Sinne unternommen, zur Kasuistik geführt und, im gegenteiligen Sinne erledigt, mit der vollstandigen Entleerung des Gesetzes geendet. Kasuistik im allgemeinen Sinne des Wortes stellt sich notwendigerweise überall ein, wo einzelne Gesetzesvorschriften auf einzelne Lebensbetatigungen angewendet werden sollen; sie wird um so mehr „Falie" umfassen, je mehr das Leben nach seinen verschiedenen Seiten gesetzlich geregelt werden soll, und wenn dann schlieBlich die unter einfacheren Lebensbedingungen entstandenen Anordnungen sich den komplizierteren und mannigfach umgestalteten Formen des „modernen" Lebens nicht mehr ohne weiteres anbequemen wollen, dann muB sie sich wohl oder übel zur „Wissenschaft", zur „Kasuistik" im engeren Sinne auswachsen. Selbst in Luthers kleinem Katechismus, in der Auslegung der „zehn Gebote" machen sich Ansatze zur Kasuistik bemerkbar, und Tolstoi konnte mit seinen „fünf Geboten" der Bergpredigt auf die moralische Lebensführung seiner Zeitgenossen bloB einwirken, wenn er sie für gewisse, in der Gegenwart sich baufiger bietende Falie spezifizierte, so wie er es denn gelegentlich in seinen Romanen und Dramen auch getan hat. Anders, systematischer, sind die jüdischen Schriftgelehrten vorgegangen, die grundsatzlioh die Bestimmungen des Mosaischen Gesetzes mit ihren Zusatzen versahen, und anders wieder die Jesuiten, indem sie die Kasuistik zu einem Teil der ethischen Wis-  87 senschaf t erhoben und ihr durch den Beichtstuhl zugleich ihren Wert für die Praxis des Lebens sicherten. Bei der Unmöglichkeit, dieses Unternehmen durchzuführen, ohne daB die Moral verauBerlicht, die moralische Selbstandigkeit des Laien beeintrachtigt, die Wahrhaftigkeit der Gesinnung in Frage gestellt wurde, schien es um so geratener, den entgegengesetzten Weg einzuschlagen, die Zahl der Vorschriften möglichst zu vervingern, ihre Fassung möglichst allgemein zu halten und ihre Anwendung auf den einzelnen Fall mögUchst der freien Entscheidung des gescharften Gewissens zu überlassen. Auf ihm gelangte man nun, folgereoht fortschreitend, zu einem Gesetz, das weiter nichts mehr onthielt als das Gebot „du solist" oder sogar nur das „du solist nicht." Dieses rein formale Gesetz hat allerdings den Vorzug, daB es unbedingte Geltung beanspruchen darf. Sobald man hingegen das Sollen durch die Namhaftmachung einzelner Objekte begrenzt, beginnt mit der Kasuistik auch seine Bedingtheit, und wie der einmal begonnenen Kasuistik kein Ende abzusehen ist, so auch nicht der ihr genau entsprechenden Bedingtheit. Begrenzt sein und bedingt sein bedeutet überaü, wo Leben und Bewegung ist, eins und dasselbe. Und doch! Was soll jener Vorzug gegenüber dem Verlust jedes Inhalts ? Hangt doch von diesem die praktische Anwendung jedes Gesetzes ab. Und sie ist entscheidend für die Echtheit der Moral. Diesem schon von Zeitgenossen erhobenen Einwand gegenüber hat Kant daran festgehalten, daB eben um der nur so aufrecht zu erhaltenden Unbedingtheit willen der rein formale Charakter des kategorischen Imperativs der gröBte Vorzug seines ethischen Systems sei. Und dennoch hat er ihn preisgeben müssen 1 Die Formel: „handle so, daB die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung  88 gelten könnte", ist zwar von jeder Beziehung auf ein empirisches Objekt des Handelns frei; dafür laBt sie aber auch, wie aus Kants eigenen Ausführungen zu ersehen ist, eine Ableitung positiver Pflichten nicht zu. Das ermöglicht erst eine zweite Pormel: „handle so> dafl du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloB als Mittel brauchst." Hier hat offenbar der Imperativ sein Objekt erhalten. Es ist der Mensch, nicht die Natur — eine Gegenüberstellung, mit der ich Kants Meinung zu treffen überzeugt bin —, und erst mit diesem Objekt kann eine durch den Selbstzweck des ersteren bedingte positive Handlungsweise als pflichtmaBig vorgeschrieben werden. Sind nun alle Menschen der Natur gegenüber gleicherweise sittliche Wesen, dann gilt ihr gegenüber auch für alle die gleiche sittliche Vorschrift. Es ist das an der Selbstliebe gemessene Gebot der Nachstenliebe: „du solist Gott lieben über alles und deinen Nachsten als dich selbst." Um die Uebereinstimmung dieses Christusworts mit dem Pflichtgebot der „praktischen Vernunft" darzutun, kommt auch Kant selbst schlieBlich auf dasselbe zurück. An die individuell verschiedenartige Verbindung von „Natur" und „Geist" und die charakteristische Eigenart der verschiedenen Menschen, die so in Liebe einander zugetan sein sollen, soheint er eben so wenig gedacht zu haben wie an die dadurch bedingte verschiedene Art ihrer Liebesbetatigung, deren Berücksichtigung sich uns in der Praxis doch von Fall zu Fall aufdrangt. Weder der Begriff der Selbstliebe noch der des Selhstzwecks gibt einen Masfitab dafür an die Hand, wie weit das sittliche Wesen eines Menschen in seine Natur hineinreicht und wie weit damit sein SündenbewuBtsein sich erstreckt. Eine andere Anschauung, die wir uns eben so wenig aneignen können, ist die, daB im Menschen natürliches Wesen und sitthches Wesen sich als zwei einander aus-  89 sohlieBende Gröflen gegenüberstehen. 81e führt zur Unterscheidung einer zweifachen Moral. Wer sein sittliches Wesen unbehindert entfalten will, der muB die naturhafte Seite verleugnen. Zurückziehung von der Welt mit ihren natürlichen Lebensbedingungen und Aufgaben ist das Mittel dazu. Dieses Mittel ist aber, soll jene „Welt" bestehen, nur fur einzelne Auserwahlte benutzbar. Will man die Masse der „Weltleute" nicht der Morallosigkeit überlassen, so ist man zu einer doppelten Moral genötigt. Unterscheidungen wie die schon aus altchristlicher Zeit stammende zwischen consilia evangelica und praecepta divina oder die von den Soholastikern herausgearbeitete zwischen einer lex naturalis und einer lex divina sind unvermeidlich. Wenn Luther, wie Jordan (Luthers Staatsauffassung, München 1917) meint, durch die scharfe Scheidung von natürlichem und christlichem Leben sich das Verdienst erworben hat, beide in ihrer vollen Reinheit zu erhalten und das Evangelium vor Vermischung mit weltlichen Intressen zu bewahren, so ist der lutherisch-evangelische Christ — der Calvin'sche sei hiermit ausdrücklich ausgeschlossen — , der hierin dem Reformator folge leistet, entweder grundsatzlich zur Unfruohtbarkeit verurteilt auf allen auBeren Lebensgebieten, auf dem politischen nicht nur, sondern auch dem rechtlichen, dem wirtschaftlichen und socialen, oder aber er muB fortwahrend in seiner Moral wechsehi, bald von der lex naturalis, bald von der lex divina, hier von den praecepta, dort von den consilia sich anweisen lassen. Im letzteren Falie besteht die von der Reformation bekampfte Klostermoral der Sache nach weiter fort, nur daB sie von den Klosterleuten übertragen ist auf die Weltleute, die sie neben ihrer gewöhnüch fürs Leben brauchbaren Laienmoral nach Möglichkeit als höhere, evangeüsche Moral verwenden sollen. Mit jeder doppelten Moral ist aber auch eine doppelte Beurteilung der Sünde gegeben. Vieles, was nach dem Ma/?-  90 «tab der evangelischen Grundsatze bemessen, „Sünde" ware, gilt als Bestandteil des bürgerlichen Lebens für sittlich gleichgültig und erlaubt. Und anderseits, für denjenigen, der sich den Betatigungen des weltUchen Lebens ganz oder teilweise entzieht, für den fallt in demselben MaBe die Möglichkeit weg, sich gegen die auch hier anerkannten Grundsatze der lex aeterna zu versündigen. Nach unserer Anschauung ist der Mensch in dem p. ■53 besprochenen Sinn von Haus aus ganz Naturwesen, aber ebenso dazu bestimmt, versittlicht zu werden, und zwar ebenfalls seinem ganzen Umfange nach, so da/3 hein Stück seiner Natur übrig bleibt, das prinzipiell au/iersittlich und damit auch aufiersündig ware. Vorausgesetzt also den Fall, wir hatten es mit einem Menschen zu tun, dem jedes sittliche BewuBtsein abginge, so müBten wir ihn, schon um des Bestandes der Gesellschaft willen, wie ein Tier behandeln, freilich unter der Kant'schen Bedingung,. daB unser eigener sittlicher Charakter darunter keine EinbuBe erleidet, d.h., daB wir seine sittliche Bestimmung nicht aus dem Auge verlieren, wie man denn auch die Dressur eines Liebhngshundes als Ansatz zur Versittlichung betrachten darf. Jeden anderen müBten wir, unter der gleichen Bedingung, nach dem MaBe als Selbstzweck behandeln, in dem er sich als sittliches Wesen über die Natur erhebt. Waren wir schon damit zu einer steten Unterscheidung verschiedenartiger Falie genötigt, so würde diese Nötigung noch ins Unabsehbare zunehmen, wenn wir auch die Eigenart eines jeden sittlichen Charakters berücksichtigen wollten. Und dazu sind wir in der Tat verpflichtet. Ebenso wie wir den eigenen als gegeben annehmen und von anderen beachtet wissen wollen, ebenso müssen wir es auch jedem fremden gegenüber halten, oder wir handeln ungerecht; denn niemals haben wir das Recht, die Eigenart eines Menschen etwa deshalb, weü wir sie nicht verstenen,  91 auf Willkür zurückzuführen. Sie beruht, ebenso wie die eigne, auf natürlicher Basis, und diese soll — das ist modern protestantische Auffassung — nicht unterdrückt, sondern sittlich veredelt werden. Die Beachtung der natürlich begründeten Eigenart ergibt aber eine derartig in infinitum vermehrbare Zahl von sittlichen „Fallen", daB auch die gelehrteste und fleiBigste Jesuitenkasuistik ihr entfernt nicht mehr beikommen könnte. Der Platz, den wir der Sünde auserséhen haben, zeigt uns den Weg, auf welchem wir zwischen der Ueberfüüe der kasuistischen Gebote und dem inhaltsleeren Sittengesetz Kants hindurch gélangen. Es ist der Weg der Gesinnungsmoral. Unter Gesinnung verstenen wir das gleichsam zu einer sittlichen Substan z ver dicht et e Produkt unserer Naturanlage, unserer Erziehung und unserer Lebenserfahrungen. Aus dieser immer in der Bildung begriffenen Seelensubstanz schöpft all unser selbstandiges Denken, Reden, Handeln seinen sittlichen Gehalt und seine sittliche Eigenart. Gut aber ist die Gesinnung in demselben MaBe, wie sie durchdrungen ist von der Liebe, einer Liebe, deren Ursprung wir in die Gottheit hineinyerlegen und deren Wert wir an der göttlichen Liebe bemessen. Entscheidend für das Wesen der menschlichen Liebe und für die Art ihrer Betatigung ware demnach die sittliche Eigenart und die Betatigung Gottes selbst, vom christlichen Standpunkt aus gesehen also, wie oben dargelegt, seine Menschwerdung und Selbstaufopferung. Solange wir nun in diesem Gott und in seiner Tat eine transscendente Wirküokheit verehren, dürfen wir überzeugt sein, in ihm ein über alle menschlichen Gedanken erhabenes Urbild und eine jeder menschlichen Zutat entzogene Quelle für unsere sittliche Gesinnung zu besitzen. Aber nach unserer „modernen Auffassung" ist dieser Gott ja nur eine Vorstellung, und machen wir mit dieser transscendentalen Vorstellung die Probe auf die der Immanenz, dann ergibt sich, daB er der Sache nach nichts  92 anderes ist als unser eigenes Ideal. Ein subjektives Ideal ist aber gar keine einheitliche Gröfie. Nach dem oben Dargelegten hat ja jeder, je nach seiner eigenartig bestimmten Gesinnung, auch sein eigenartiges Ideal. Würden wir demnach nicht jeder Norm für die Beurteilung unseres sittlichen Handeln», also auch für die der Sünde entraten % So ware es in der Tat, eine Grenze zwischen sittlichen Qrundsatzen und willkürlichen Einfatten liefie sich nicht mehr ziéhen, wenn jeder von uns aUein stünde, wenn er nicht Glied einer Gemeinschaft ware. Welche sittliche Bedeutung die für diese notwendigen Ordnungen für den einzelnen haben, obgleich sie keine absolute Gültigkeit besitzen und also auch nur relativ bindend sind, haben wir im Vorhergehenden (p. 69 ff.) gesehen. Jetzt wollen wir daran denken, daB jede Kulturgemeinschaft auch eine Geschichte hat. Von unserem Standpunkt aus betrachtet (cf. p. 23 f. u. 8 ff.) erscheint die geschiehtliche Welt, deren wechselvolles Bild wir stetig in uns aufnehmen, weder als das materielle Ergebnis blinder Krafte noch als ein Gemachte subjektiver Anschauungs- und Denkoperationen, sondern als „der Gottheit am Webstuhl der Zeit unablassig gewirktes Kleid." Die Kettenfaden aber in diesem Gewebe, das sind die groBen und starken Ideen, in denen der Menschheit übernatürliche Würde sich ausspricht. An diesen in der Geschichte grondenden Idealen haben unsere persónlichen Ideale einen Halt, gerade so wie die subjektive Moral an den gesetzlichen Ordnungen und an den Sitten der Gemeinschaft. Aber freilich, dieser Halt bleibt bloB so lange widerstandskraftag, bis persönliche Ideale die geschichtlich gewordenen überbieten. Damit beginnt die Bildung neuer, ihrerseits geschichtlich werdender Ideale. Die Geschichte steht nie still, und darum sind auch die auf ihrem Boden gewachsenen Ideale nicht unveranderlich. Reformationen werden, wie oben schon bemerkt, epochenweise ein Bedürfnis der Kulturmenschheit und eine Pflicht derjenigen, die  93 zu ihnen den Beruf haben. Berufen aber ist nur einer, der sich dem Gange der Gesinnungsgeschichte eingeordnet hat. Wer sich hingegen gewaltsam vom Strome der sittlichen Entwicklung getrennt hat, der kann bloB revolutionar wirken. Der Revolutionar aber — wir haben hier ausschheBUch die Geistesgeschichte im Auge — unterscheidet sich vom Reformator durch die wesentlich negativen Ergebnisse seines Bruchs mit den überlieferten Ideen. Positive werden nur erzeugt im Verein mit den bisher erreichten Idealen; die Geschichte ist nicht ein aus gelegentlichen Fundstücken zusammengesetzter Mosaikboden, sondern ein lebendiger Organismus mit allen denj enigen Organen, die den ZusammenschluB der Teile zum Ganzen mehr oder weniger unvermerkt vermitteln. Damit ist nicht gesagt, daB es in der Entwioklungsgeschichte eines Organismus nicht auch zu Konflikten und zu gewaltsamen Brüchen kommen könne. In unserem Falie und bei unserer Auffassung scheint der Kampf zwischen den alten und den neuen Idealen sogar unvermeidlich zu sein. Dennoch müssen wir uns mit ihrer beiderseitigen Relativitat zufrieden geben und demnach auch mit den bloB relativen Normen für gute und böse Gesinnung. Wir dürfen uns aber um so eher damit zufrieden geben, weü unsere Auffassung vor der gesetzlichen den Vorzug hat, die Móglichkeit zu gewahren für die Hineinbeziehung samtlicher Bestandteüe des menschlichen Lebens in den moralischen Bezirk des SündenbewuBtseins. Jedes neue Ideal, als Frucht neuer geseüschaftlicher, socialer, wirtschaftlicher, poUtischer Gebüde, schlieBt auch neue moralische Gesichtspunkte ein. Von den neu eröffneten Gesichtspunkten aber fallt der Bliek jedesmal auf andere, bisher dem sittlichen BewuBtsein, also auch dem SündenbewuBtsein entzogene Gebiete. Das oben (p. 90) angedeutete letzte Ziel des moralischen Werdegangs würde dann erreicht sein, wenn alle die Lücken verschwunden waren, die die gesetzlichen  94 Bestimmungen offen lassen mufiten für Lebensbetatigungen, die auBerhalb des Gebietes der Sünde und des SündenbewuBtseins, also auch des sittlichen BewuBtseins bheben, wenn es ferner auch keine Lebensgebiete mehr gabe, die der höheren, freien Moral bisher verschlossen und dafür einer willkürhch geregelten und deshalb als drüokend und ungerecht empfundenen Gesellschaftsmoral unterworfen sind, und wenn, endhch, alle Punkte unseres Denkens und Tuns sich auf dem gemeinsamen Grunde der Gesinnung mit einander verbanden zur Einheit des sittlichen Charakters. Diesem Ziel aber kommen wir bloB naher, wenn wir der Sünde ihren Platz anweisen nicht mehr gegenüber dem Gesetz, sondern gegenüber der Gesinnung. Nur der Gesinnungsstoff ist so fein organisiert, da/2 er in alle Teüe unseres Ich, auch in die entlegensten Ecken und Winkel eindringen kann. Und nur wo das SündenbewuBtsein eindgedrungen ist, nur da kann auch, es verdrangend, die positiv gute Gesinnung Platz greifen. Zum SchluB dieses Abschnits noch ein Wort über die Kantsche Achtung vor dem Gesetz und über die Gesinnung der Liebe. Auch Kant erstrebt die Bildung des den gesamten Menschen umfassenden sittlichen Charakters, und der Voraussetzung für die Erreichung dieses Ziels, der Unterwerfung aller Lebensbetatigungen unter das SündenbewuBtsein, wird er dadurch wenigstens in negativer Hinsicht gerecht, daB er grundsatzhch dem sittlichen Gesetz jede inhalthche Bestimmung aberkennt. Aber damit ist auch jede persönliche Beziehung ausgeschlossen. Ein Sondergesetz, so rücksichtslos gegen das Individuum auch seine Bestimmungen gefaBt sein mógen, hat doch immerhin eine bestimmte Gruppe von Menschen im Auge; das Kant'sche Gesetz, ein bloBes Gesetzesschema, kennt nur den Menschen in abstracto, und bloB eine allgemein menschliche Eigenschaft, das sittliche  95 BewuBtsein. Starr, hoch erhaben, seine Verehrer in respecktvolle Entfernung bannend, fordert es von allen die gleiche stramme Haltung, denselben schroff unbeugsamen Gesinnungsausdruck ohne Büchsicht auf die individuelle Naturanlage, auf die unter besonderen Einflüssen vollzogene Entwicklung, auf die durch beide bestimmte Eigenart der Persönlichkeit. Anders die Liebe. Sie ist durchaus persönlicher Natur. Weich und biegsam, schmiegt sie sich den Formen einer jeden Individualiteit an. In der einseitigen Ausbildung derselben erblickt sie zwar Unvollkommenheiten, aber nicht Erscheinungen der Sünde, die vernichtet werden müBten. Sie versteht es vielmehr, sie mit dem heiligen Inhalt zu erfüllen, der durch seine von Innen wirkende Kraft die Unvollkommenheiten ausgleicht und den sie überall dahin ausströmt, wo ihr der Zugang nicht verschlossen wird. Bei dem Platz, den wir der Sünde anweisen, ist demnach besser als bei Kant dafür gesorgt, daB mit ihrer Ueberwindung nicht zugleich die natürliche Eigenart des Menschen getroffen und vernichtet wird. Kein Oebiet seines Lebens kann, auf der ander er Seite, als rein natürliches sich der Sünde und dem SündenbewuBtsein gegenüber neutral verhalten. Ihrem ganzen Umfange nach ist seine Natur dazu befahigt, veredelt und der sittlichen Abzweckung der Persönlichkeii dienstbar gemacht zu werden. 2. Die Bedeutung des vom Gesetz unabhdngigen Sündenbewufitseins hinsichtlich der Art seiner Betatigung. Die den vorhergehenden Teil abschlieBende Behauptung wird so lange mit Recht bestritten werden, wie man an der gesetzlichen Auffassung der Sünde festhalt. Betatigt sich diese als Gesetzwidrigkeit, so kann ihre Betatigung auch nur durch Strafgesetze unterdrückt werden. Mit ihr wird dann aber auch zugleich die der Natur unterdrückt, an die sie gebunden ist. Nach unserer  96 Auffassung hingegen soll die Sünde ausgemerzt werden durch Veredlung, d.h. Versittlichung der menschlichen Natur. Auf welche Weise soll das geschehen ? Wollen wir nicht zu einem göttlichen Wundereingriff unsere Zuflucht nehmen, dann müssen wir einen Weg aufweisen, auf dem der Mensch selbst, dank der in ihm wirksam wordenden höheren Kraft, dahin gelangen kann. Es ist das SündenbewuBtsein, das ihm diesen Weg ermöglicht. Wie das von der Liebe Gottes her bestimmte Gefühl der sündhaften Gesinnung sich in dieser Richtung zu betatigen vermag, soll im folgenden nachgewiesen werden. Bei der religiösen Begründung des SündenbewuBtseins wird sich dieser Nachweis nicht bloB auf das sittliche, sondern auch auf das religiöse Gebiet erstrecken. a. Die Betatigung des an der Liebe Gottes orientierten SündenbewuBtseins in sittlicher Beziehung. «.) Vertiefung des Sünden-Bewufitseins zu dem der Sündhaftigkeit und §.) Umwandlung der sündhaften in die sittliche Gesinnung — Wiedergeburt. Grundlegend für den beabsiohtigten Nachweis ist die Entscheidung darüber, in wie weit die Sünde als Einzelhandlung des Menschen in betracht kommt und in wie weit sie als AuBerung des natürlich menschlichen Gesamtzustandes zu beurteilen ist. Nur sofern die Sünde etwas Geeinnungsmafiiges ist, kann ihre Betatigung durch eine Gesinnung unterdrückt werden, und nur wenn die Natur des Menschen ihr geistiges Geprage in einer sündhaften Gesinnung besitzt, kann sie durch eine Gesinnung veredelt werden. a.) Ce n'est que le premier pas qui coüte. DaB haufig aus einer Sünde eine andere folgt, dieser Tatsache hat sich eine einigermaBen aufmerksame Selbstbeobachtung nie  97 verschlieBen tonnen. Eingehender beschaftigt sich mit ihr die Kasuistik. Sie „unterscheidet." So lehrt z.B. der heil. Thomas, daB eine Sünde Ursache der anderen sein könne, sei es als „causa per se" oder als „causa per aocidens." Folgt nun aber per aocidens eine Sünde aus der anderen, wo bleibt dann die ethische Wertung der zweiten ¥ Nun kann nach demselben Lehrer der Kirche, abgesehen vom „habitus infusus," eine jede Folge von sündigen actns zu einem habitus werden. Also kann auch bei der Bildung des habitus das aocidens mitwirken. Und auf der anderen Seite : da ein einzelner actus den habitus nicht zerstören kann, so kann auoh die virtas (ein habitus) zugleich mit der Sünde (einem actus) vorhanden sein. Solange demnach ein Mensch nicht vollstandig sündenfrei ist, kann es also bei ihm zu einem geschlossenen sittlichen Charakter nicht kommen. Derartigen Folgerungen kann sich kein Ethiker entziehen, der für die ethische Wertung der Sünde vom Gesetz ausgeht. Bei diesem Ausgangspunkt lassen sich Zufall und Willkür nicht ausscheiden. Jener nicht, weü auch bei der scharfsten Sonderung zwischen naMrlich-kausalgesetzlichem und sittlich-freiem Gebiet die für das Hervorgehen spaterer Sünden aus früheren entscheidenden Umstande nicht ausgeschlossen werden können, und diese nicht, weü alle gesetzlichen Vorschriften schheBlich auf Willkür zurüekgehen. Sie alle haben grundsatzlich den Bestand der Geseüschaft im Auge. Wer nun, um die Schwere einer Sünde zu bestimmen, die Folgen in die Wagschale wirft, die sie für die Geseüschaft hat, der hewertet sie nach einem auUersifctlichen MaBstab, und dieser MaBstab ist insofern wülkürhch, als die Folgen für die Gesellschaft je nach politischen, kirchlichen, socialen, wirtschafthchen Lebensbedingungen verschieden beurteilt werden. Auch ToUtoi, der doch in Gott die Kraft seines sittlichen Lebens gefunden hatte, ist, wie z.B. aus der „Macht der Finsternis" ersehen werden 7  r 98 kann, von dem Boden dieser naturalistischen Beurteilung nie ganz losgekommen. Was ihn aber daran festhielt, ist, irre ioh nicht, die Tatsache, daB er trotz Beines Lebens in Gott, wie wir sahen (p. 62), auf eine dieses Leben von auBen bedingende Gesetzlichkeit nie anz verzie htet hat. Können, vom gesetzlichen Standpunkt aus beurteilt, die Einzelsünden dem Zufatt und der Willkür nicht entzogen werden, dann l&fit sich auch ein lückenloser Zusammenhang zwischen ihnen nicht feststellen. Anstatt eines geschlossenen sittlichen Charakters erhalten wir eine vielfach unterbrochene Reihe von Handlungen, die nur durch den Bahmen des formalen ,,Ich" davor bewahrt wird, völlig auseinander zu fallen. Ganz anders als vom Standpunkt der Gesetzesübertretung stellt sich von dem unseren aus der innere Zusammenhang aller Sünden bei einem Menschen dar. Nach unserer Auffassung ist die Möglichkeit der Sünde erst da vorhanden, wo das Göttliche mit dem Naturleben des Menschen zusammentrifft. Zur Wirklichkeit wird sie — zugleich mit dem SündenbewuBtsein — wenn, wie schon oben gesagt, das Natürliche dem Göttlichen übergeordnet wird ;. empfunden aber wird sie als ZerreiBung des Bandes, das uns mit dem Gott verbindet, der die Liebe ist, und damit als Verlust der sittlichen Kraft, welche von dieser göttlichen Liebe sich in unsere von Natur tierischselbstsüchtige Seele ergieBt. Mit diesem Verlust ist uns der Boden entzogen, auf dem aüein all unserem Tun der moralische Wert erwachsen kann. Mögen wir auch tatsachlich mit keinem Gesetz in Widerspruch geraten, „moralisch" sind wir deshalb noch nicht. Unsere Gesinnung ist wieder naturhaft geworden. „Naturhaft" — jetzt bedeutet das ebensoviel wie „sündhaft." Auf dem Boden einer sündhaften Gesinnung aber können auch bloB sündhafte Handlungen erwachsen. Für das, was bei Thomas der böse habitus war, tritt bei uns der der göttliohen  100 und Mord. Die drei genannten Sünden spielten denn auch als peccata irremissibilia bei den Kirchenvatern die Hauptrolle. Um so mehr treten die bösen Regungen des Herzens, die inneren Beweggründe, in den Hintergrund. Ja, wo Augustin einmal die Verfehlungeh gegen den Dekalog als besonders schwerwiegend hinstellt, da laBt er das neunte und zehnte Gebot unberücksichtigt. Und in letzterem verfahren wird ihm jeder folgen müssen, der die Sünden nach einem objektiven und allgemeingültigen MaBstabe zu beurteilen unternimmt. Als inneres Erlebnis betrachtet können sie von einem Dritten bloB dann richtig abgeschatzt werden, wenn dieser sich vollstandig in die Seele des Sünders hineinzuversetzen vermag. Die von dieser, nur sehr schwer erfüllbaren Bedingung absehende Schatzung der Sünde durch dritte wurde aber für die kirchliche Praxis um so entscheidender, je gröBer die Bedeutung wurde, die man der Beichte und der Absolution durch den Priester zuerkannte. Als sicherster MaBstab bot sich ganz von selbst der auch von dem drauBen Stehenden zu bemessende Schaden, den eine Sünde anstiftete. Ob Profanes oder Heiliges, ob der einzelne oder ein engerer Kreis, ob die Gesellschaft, ob Lebensinteressen oder Nebenprodukte der Kultur von ihr betroffen werden, das war für das vulgare Urteil wohl stets der herrschende Gesichtspunkt, und er ist es bis auf den heutigen Tag; ja, wir konnten schon zufrieden sein, ware nur einmal die dem Naturinstinkt folgende Moral jenes Vaters überwunden, der seinen Jungen züchtigte, weil er beim Apfelstehlen die Hosen zerrissen hatte. Die Selbstbeurteilung kann um so eher auf alle auBersitthchen MaBstabe verzichten, als sie die Kenntnis der sittlichen Motive zur Verfügung hat. Auch die althergebrachten Unterscheidungen zwischer schwereren und leichteren Sünden haben für sie bloB Bedeutung, wenn sie auf die Gesinnung zurückgehen. So werden wir auch  101 von unserem Standpunkt aus, bei der Selbstbeurteilung Bosheits-,Absichts-,Vorsatzsünden als die schwereren empfinden; eine feste Abstufung zwischen ihnen und den Schwachheits-, oder Uebereilungssünden werden wir aber nicht durchführen. DaB bei den erstgenannten die Sünde als solche bezweckt werde, ist bei einer Auffassung, die einen „Sünder" ohne das schmerzhafte BewuBtsein der Sünde nicht kennt, von vorn herein ausgeschlossen. Was die Absicht hervorruft und unter Umstanden zur Bosheit werden laBt, das ist letzten Endes immer irgend ein natürliches Gut, Reichtum, Ehre, Herrschaft, sinnücher oder geistiger GenuB; und alle diese Güter werden erstrebt, auch mittels der Sünde deshalb erstrebt, weil die sittliche Kraft nicht hinreicht, um dem Naturtrieb zu widerstehen. Die Absichts- und ihnen verwandte Sünden sind also ihrem Wesen nach nichts anderes als Schwachheitssünden, nur daB sich jene Vorstellung uns aufdrangt, wenn der sittlichen Schwache gegenüber eine natürliche Kraft sich in positiv selbstsüchtiger Weise auBert, wahrend bei der „Schwachheitssünde" nur erstere sich bemerkbar macht. Werden die Unterschiede demnach auch nicht ausgeglichen, so werden sie doch relativiert. Mit dieser einer weithin übliohen Praxis Trotz bietenden Auffassung stehen wir aber doch nicht allein. Der dem 4. Jahrhundert angehörige Ketzer Jovinian hat unter Gegnern der Askese und der Kasuistik bis in unsere Zeit hinein Nachfolger gehabt. Auf das Mittel aber, durch das man sich neuerdings mit dem hérrschenden Befunde auseinander zu setzen versuchte, müssen wir verzichten. Man hat das religiöse Urteil von dem sittlichen trennen und auf diese Weise für die Gleichwertung aller Sünden Raum schaffen wollen. So zu trennen ist uns unmöglich, wenn wir nicht unseren — religiös orientierten — Begriff der Sünde selbst aufgeben wollen. Aber trennen müssen wir ebenfalls. Wir können uns  VERHANDELINGEN BAKENDE DEN Natuurlijken en Geopenbaarden Godsdienst UITGEGEVEN DOOR . | TEYLER'S • GODGELEERD GENOOTSCHAP Nieuwe Serie EEN EN TWINTIGSTE DEEL HAARLEM DE ERVEN F. BOHN 1922  ÓJur 1922  PROGRAMM der Teylerschen Theologischen Gesellschaft ZU HAARLEM FÜR DAS JAHR 1922 Die Direktoren von teylers Stiftung und die Mitglieder der Teylerschen Theologischen Gesellschaet haben in ihrer Versammlung vom 27. Oktober 1921 ihr Urteil gefallt über vier eingesandte Antworten auf die Frage : Eine Abhandlung über den Platz der Sünde im religiösen Leben der Menschen nach moderner Auffass u n g. I. Die hollandisch geschriebene Abhandlung unter dem Motto : „Uit Hem en door Hem en tot Hem zijn alle dingen" ist ein kleiner Aufsatz von 9 Seiten im Predigtstil, der trotz einiger richtigen Bemerkungen keinen wissenschaftüchen Wert besitzt. II. Die ebenfalls hollandisch geschriebene Abhandlung unter dem Motto : yv&9t giuvtóv ist zwar sehr umfangreich, aber ihr Inhalt hat zum grössten Teil mit der gestellten Frage nichts zu schaffen. Erst von S. 483 an wird das Wesen der Sünde besprochen. In der folgenden Auseinandersetzung stösst man auf  2 sonderbare Widersprüche und zahlreiche Wiederholungen. Soweit diese Arbeit wirklich im Zusammenhang mit der gestellten Frage steht, hat sie keineswegs den Charakter einer gründlichen Untersuchung. Sie enthalt oft nur eine gemütliche Aussprache, lasst streng gezogene und eingehaltene Linien vermissen und ist ebenso verwirrt als verwirrend. UI. Die deutsch geschriebene Abhandlung unter dem Motto : „Über das Princip, woraus Sittlichkeit abzuleiten sei, hat man sich nie vollkommen vereinigen können u. s. w.". (Goethe an Carlyle) enthalt eine Auseinandersetzung, die nicht viel zu bedeuten hat. Sie besteht zum grossen Teil aus einer Kritik von Systemen, vornehmlich der Nützlichkeitslehre, die der Verfasser, wie seine ganz unrichtige Vorstellung davon beweist, nicht begreift. TV. Die vierte ebenfalls deutsch geschriebene Abhandlung unter dem Motto : „Der Begriff „des Menschensohn" ist eine „ewige" „Tatsachlichkeit" — Nietzsche im Antichrist — zeichnet sich aus nach Form und Inhalt. Man findet darin eine richtige Auffassung der gestellten Frage, eine sorgfaltige Beurteilung der Begriffe, eine ruhig fortlaufende Untersuchung, eine deutliche Darlegung der vorgetragenen Ansichten, ein gut motiviertes Urteil über die Einheit des geistigen Lebens und des natürlichen Wesens des Menschen, die gut begründete Erkenntnis des rein geistigen Charakters der Sünde sowie zahlreiche feine psychologische Bemerkungen hinsichtlich des inneren Zusammenhangs zwischen den Idealen des Menschen und der empirischen Wirklichkeit seiner Existenz. Auf Grund hievon wird dieser Arbeit der Preis zuerkannt. Als Verfasser derselben ergab sich Prof. Dr. FRITZ ZILLER in Osnabrück.  3 Ausgeschrieben bleiben die folgenden Preisfragen: I. Zur Beantwortung vor 1. Januar 1922 : Eine kritische Beschreibung der ver s c h i e d e n e n geistigen Strömungen im Kreise des Pr o t e s t a n t ismus in den Niederlanden seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts. II. Zur Beantwortung vor 1. Januar 1923 : Das Verhaltnis zwischen der morgenlandischen und der abendlandischen Kultur in philosophischer, religiöser und ethischer H i n s i c h t. Als neue Preisfrage, zur Beantwortung vor 1. Januar 1924, wird ausgeschrieben : „Der Erlösungs- und Heilsgedanke von freisinnig protestantischem Standpunkt aus." Der Preis besteht in einer goldenen Medaille von / 400 an innerem Wert oder in / 400. Der Preis wird ausgehandigt, sobald die gekrönte Arbeit druckfertig vorliegt. Man kann sich bei der Beantwortung des Hollandischen, Lateinischen, Französischen, Englischen oder Deutschen (nur mit lateinischer Schrift) bedienen. Nicht deutlich geschriebene Arbeiten werden nicht beurteilt. Auch müssen die Antworten vollstand i g eingesandt werden, da keine unvollstandige zur Preisbewerbung zugelassen wird. Alle eingesandten Antworten fallen der Gesellschaft als Eigentum anheim, welche die gekrönten, mit oder ohne Über-  4 setzung, unter ihre Werke aufnimmt, sodass die Verfasser sie nicht ohne Erlaubnis der Stiftung herausgeben dürfen. Auch behalt die GeseUschaft sich vor, von den nicht mit dem Preis gekrönten nach Gutfinden Gebrauch zu machen, mit oder ohne Vermeldung des Namens der Verfasser, doch im ersteren Falie nicht ohne ihre Bewilligung. Auch können die Einsender nicht anders Abschriften ihrer Antworten bekommen als auf ihre Kosten. Die Antworten müssen nebst einem versiegelten Namenszettel, mit einem Denkspruch versehen, eingesandt werden an die Adresse: „Fundatiehuis van wijlen den heer P. TEYLER VAN DER HULST, te Haarlem." Das Programm der GeseUschaft ist von Jahr zu Jahr urn den 15. November kostenfrei zu bekommen auf Anfrage bei den Direktoren von Teylers Stiftung.  VERHANDELINGEN UITGEHEVEN DOOR TEYLER'S GODGELEERD GENOOTSCHAP  r  7*rr 1* VERHANDELINGEN BAKENDE DEN Natuurlijken en Gsopenbaarden Godsdienst UITGEGEVEN DOOB TEYLER'S GODGELEERD GENOOTSCHAP Nieuwe Serie EEN EN TWINTIGSTE DEEL HAARLEM DE ERVEN F. BOHN 1922   UEBER DEN PLATZ DER SÜNDE IM RELIGIÖSEN LEBEN DER MENSCHEN NACH MODERNER AUFFASSUNG   UEBER DEN PLATZ DER SÜNDE IM RELIGIÖSEN LEBEN DER MENSCHEN NACH MODERNER AUFFASSUNG VON PRITZ Z1LLER Von der Teyler'schen GeseUschaft gekrönfe Preisschrift HAARLEM DE ERVEN F. BOHN 1922   VORWORT Aus unserem hauslichen Sprachgebrauch ist der Ausdruck „Sünde" mehr oder weniger geschwunden. Wie zu erkl&ren ? Sollte das Schwinden des Ausdrucks etwa ein Anzeiohen sein für das der zu Grunde liegenden Sache, des SündenbewuBtseins selbst ? Gehort aber dieses BewuBtsein nicht zum Wesensbestande unserer Beligion ? Giebt es kein Mittel, den tödhchen Verlust abzuwehren ? Mit derartigen Fragen waren meine Gedanken seit langerer Zeit beschaftigt, als die im Titel angegebene Preisfrage an mich herantrat. Sie gab ihnen eine bestimmte Richtung : wenn die Sünde den Platz gegenüber dem Gesetz, den ihr die Kirche angewiesen hatte, in unserer modernen Vorstellungs- und Gefühlswelt nicht mehr behaupten kann, so muB ein anderer für sie gesucht werden. Ob nun das Ergebnis meines Suchens einem in weiteren Kreisen empfundenen religiös-sittlichen Bedürfnis entspricht, darüber steht mir kein Urteil zu ; aber des bin ich gewiB, daB es von versohiedenen Seiten her anfechtbar ist, namlich von allen den Seiten her, von rechts und von links, wo man meinen Ausgangspunkt nicht billigt. Ausgegangen bin ich in meiner Abhandlung von der Eigenart der dem modernen Menschen erlebbaren Religion. Worin aber diese Eigenart besteht, grade darüber sind heute, je nach persönhchen Erfahrungen und Beeinflussungen, die Ansichten notwendigerweise geteilt — notwendigerweise; denn wir leben in einer Zeit des Übergangs : das Alte ist noch in der Auflösung begriffen und das „Moderne" noch im Entstehen. Nur einem Einwurf möchte ich für alle Falie  XIV zuvorkommen, dem der praktischen TJnbrauchbarkeit meines Ergebnisses. Wer es dar auf hin abfallig beurteilen würde, der übersahe, daB es nur als Ideal verstanden werden will. Als solches aber kann es sich schon aüein dadurch zur Genüge betatigen, daB es dem sittlichen Willen aller derjenigen, denen die ehemals „göttliche" Gesetzesnorm unsicher geworden ist, Ziel und Richtung zu bestimmen vermag. Freilich macht sich augenblicklich auch diese Art der Betatigung nur wenig bemerkbar. Trotz aller gesetzesfreien Neigungen scheint, aufs Ganze angesehen, die christliche „GeseUschaft" ihrem sittüchen Verhalten nach von dem Ziel sich eher zu entfernen als in ihrer WUlensrichtung bestimmen zu lassen. Indes, durch Augenblickserscheinungen woUen wir uns in unserem Entwicklungsglauben nicht irre machen lassen. So denke ich als gottglaubiger und darum unverbesserlicher Optimist. OSNABRÜCKj F GILLER. 7 Juli 1922.  UEBERSICHT A. EINLEITUNG 1-28 1. ) EinfluB des Platzes auf den Raum, den die „Sünde" im religiösen Leben einnimmt und auf die Bedeutung, die ihr zukommt 1-3 2. ) Die Begriffe 3-26 o) „moderne Auffassung" 3-5 6) „religiös" 6-19 c) „Sünde", naoh ihren gegenseitigen Beziehungen .... 14-26 3. ) Unhaltbarheit dea Begriffs „Sünde" an dem der Sünde zugewiesenen Platz gegenüber dem Gesetz und Forderung eines anderen Platzes 26-28 B. HAUPTTEIL : 29-120 I. Erster Abschnitt. Der vom Gesetz unabhangige Platz der Sünde im religiösen Leben des modernen Menschen 29-73 1. ) Der Platz der „Sünde" im religiösen Leben des Christen bis auf die Neuzeit 29-33 2. ) Der Verlust des früher der „Sünde" durch die kirchliche Sitte gesicherten Platzes in der Neuzeit 33-44 3. ) Der der „Sünde" gegenwartig zuzuweisende Platz gegenüber der Liebe Gottes 44-73 o) Der ethische Idealismus als Vorbedingung für die Zuweisung dieses Platzes 44-64 6) Das christliche Dogma der Menschwerdung Gottes als symbolischer Ausdruck für die Liebe Gottes 54-62 c) Die „Sünde" als Bekundung der der Liebe Gottes entgegengesetzten Willensrichtung 62-73  XVI H. Zweiter Abschnitt. Der dem Sündenbewuötsein gegenüber der Liebe Gottes zugewiesene Platz in seiner Bedeutung für das religiöse Leben des modernen Menschen 73-120 1.) Die Bedeutung des an der Liebe Gottes orientierten Simdenbewufitseins hinsichtlich des Raumes, innerhalb dessen es moh betatigen kann 74-96 a) Das an der Liebe Gottes und das an der reformatorischen Bufi- und Rechtfertigungslehre orientierte Sündenbewufitsein hinsichtlich der Verwertung des durch die Reformation erschlossenen ideellen Betati- gungsraumes 74-85 6) Der heute dem an der Liebe Gottes orientierten Sündpn. bewufltsein zugangliche ideelle Betatigungsraum, seine Schranken und seine Erweiterungsfahigheit 85-95 u) Schranken in bezug auf die Anzahl der Menschen 85-86 ft) Erweiterungsfahigheit in bezug auf die Lebensgebiete 86-95 2.) Die Bedeutung des an der Liebe Gottes orientierten SündenbewuBtseins hinsichtlich der Art seiner Betatigung 95-120 a) Seine Betatigung im sittlichen Sinne a) Vertiefung des Sünden-Bewu/3tseins zu dem der Sündhaftigheit 96-102 3) XJmwandlung der sündhaften in die sitüiche Oesin- nung (W'iedergeburt) 102-108 b) Seine Betatigung im religiösen Sinne durch Verbindung a) mit dem SchuldbewufStsein 108-116 S) mit dem Strafbarkeitsgefühl 115-120 C. SCHLUfi. Rückblick suf die Vorganger und Ausblick 121-124  A. EINLEITUNG. 1. Einflufi des Platzes auf den Raum, den die „Sünde" im religiösen Leben einnimmt und auf die Bedeutung, die ihr zukommt. Bei dem „Platz" denkeu wir in erster Linie an die Stelle, die die Sünde neben anderen Erscheinungen des religiös-sitthchen Lebens einnimmt, sodann aber auch an den Raum, innerhalb dessen sie sich von ihr aus betatigt und an die Bedeutung, die dieser Betatigung zukommt. Diese drei Punkte berühren sich aufs engste. Steht die „Sünde" im Vordergrunde des BewuBtseins, dann wird ihr ohne Zweifel auch eine bedeutendere Rolle zufallen, als wenn andersartige Empfindungen, so z.B. die der Allmacht Gottes, sie bei Seite oder in den Hintergrund schieben. Und ebenso ist naturgemaB mit der ihr angewiesenen Rolle wiederum der Raum verknüpft, auf den sich ihre Wirksamkeit erstreckt. Sie kann, jenachdem, das gesamte Innenleben eines Menschen begleiten oder sich nur ausnahmsweise in seinem Bewufltsein bemerkbar machen. Man vergleiche in dieser Beziehung nur einmal Paulus und Luther. In der Zuversicht, nach dem Endgericht Lob von Gott zu empfangen, überlaflt jener ruhig dem Herrn das Urteil über sein 1  2 sittlich.es Verhalten. Er selbst ist sich kelner Schuld bewuBt (I Kor. 4*, vgl. II 64 ff und Phil 3«) und kann sich deshalb auch als Vorbild für andere Christen empfehlen (I Kor. 77, Phil. 317, 49). Luther denkt nicht daran, sich ausnehmen zu wollen, wenn er allen das Bekenntnis zumutet, daB „wir taglich viel sündigen und wohl eitel Straf e verdienen". Nach seiner Vorstellungsart hat die Sünde ihre Wurzel in der menschlichen Natur ; von dieser aber können wir uns, solange wir „im Fleische wandeln", nicht befreien, und darum übt auch die Sünde wahrend unseres ganzen irdischen Lebens unablassig ihre Macht aus über all unser durch die Natur bedingtes Tun und Denken. Nur vermittelst der ebenfalls unablassig wirksamen göttüchen Gnade können wir, kann auch der Wiedergeborene Gott wohlgefallig werden. So empfand Luther. Nach ihm ist das mit dieser Gnadenstimmung unlösbar verknüpfte SündenbewuBtsein, das der Apostel, seitdem er ni>tvuari*óg geworden war, nicht mehr kannte, geradezu kennzeichnend für das religiöse Leben des frommen, auf sein ewiges Heil bedachten Christen. Eine Pneumatisierung des Menschen im Diesseits kann Luther schon deshalb nicht kennen, weil das „Fleisch" (= die „Natur") für ihn einen ganz anderen, mit der Vorstellung der Pneumatisierung nicht vertraglichen, Sinn hat als furPaulus die ,,(t«o5". Durch diesen Unterschied ist aber auch der des Platzes bedingt, den die Sünde bei dem einen und bei dem anderen einnimmt. Zeigt uns dieser Vergleich zwischen Paulus und Luther auf der einen Seite, wie bedeutsam der der Sünde zugewiesene „Platz" ist für die Rolle, die sie im religiösen Leben des Menschen spielt, und für den Raum, den sie daselbst beansprucht, so ist auf der anderen Seite aus ihm zu ersehen, wie verschieden, je nach den Zeïfbedingungen,. selbst geistig und religiös einander nahe stehende Persönlichkeiten die Bedeutung der Sünde empfinden können. Bevor wir aber an die Frage herantreten, welche Stelle,..  3 welcher Raum, welche Rolle ihr nun nach den für unsere Zeit maBgebenden Bedingungen im religiösen Leben der Menschen zufallt, müssen wir noch bei dem Begriff der „Sünde" selbst sowie bei denen des „religiösen Lebens" und der „modernen Auffassung" verweilen. 2. Die Begriffea „moderne Auffassung",b„religiös", c „Sünde" nach ihren gegenseitigen Beziehungen. a. Zunachst ist die Beziehung der Worte „nach moderner Auffassung" festzustellen. Sollen sie bloB den Standpunkt bestimmen, der bei der Behandlung des vorgelegten Themas innezuhalten ist, so daB dieses in Frageform lauten würde : „welcher Platz ist nach moderner Auffassung der Sünde im religiösen Leben des Menschen zuzuweisen !> oder sollen sie auch auf die „Sünde im religiösen Leben" bezogen werden ? Im letzteren Falie würde die Frage etwa folgendermaBen zu formulieren sein: „welchen Platznimmt die Sünde im religiösen Leben des modern auffassenden Menschen ein ?", wobei natürlich vorausgesetzt ware, daB derjenige, der darüber zu urteüen unternimmt, selbst diese moderne Auffassung teilt oder doch wenigstens zu würdigen weiB. Ich habe mich ohne Schwanken für die zweite Möghchkeit entschieden. Denn da der Platz, den die Sünde bei einem Dritten, etwa einem Paulus'oder Luther tatsachlich inne hat, von meiner Auffassung ganz unabhangig ist, so könnte das Ergebnis meiner Studie bei Zugrundelegung der ersteren bestenfalls darin bestehen, daB dank einer modernen historischen Methode dieser Platz genauer als bisher umschrieben würde. Ich würde mich denn auch bei der Erwagung der beiden Mögkchkeiten gar nicht aufgehalten haben, wenn nicht die durch meine Abhandlung sich hindurchziehende inhaltüche Gleichsetzung der Begriffe Sünde und SündenbewuBtsein mich dazu gehötigt batte. Sie muB jedem Leser anstöBig sein, der nicht von dem Unterechied zwischen den beiden möglichen Auffassungen des Themas,  4 und der Wahl Notiz genomen hat, zu der ich mich entschlossen habe. Von einer Sünde ohne SündenbewuBtsein, also von dem, was man als „unbewuBte Sünde" oder auch — etwas zweideutig — als „Sünde der Unwissenheit" bezeichnet hat, kann vernünftigerweise bloB da die Rede sein, wo abweichende sittliche Beurteilungen so aufeinander treffen, daB sie zum Vergleich herausfordern. Wenn zwei in gleicher Weise handeln und der eine seine Handlung als Sünde empfindet, der andere aber nicht, dann wird jener geneigt sein, diesem eine „unbewuBte Sünde" zuzuschreiben; und ebenso kann zu verschiedenen Zeiten ein und derselbe Mensch über sein eigenes Verhalten urteilen. Damit soll nicht geleugnet sein, daB infolge vonwiederholter Einsicht in die „unbewuBten Sünden" anderer und der eigenen Person sich die Vorstellungen eines allem Individuellen überlegenen „Reiches der Sünde" und einer allen Einzelsünden des Individuums zu Grunde liegenden „Sündhaftigkeit" herausbilden — und mit Recht herausbilden — können; aber für diese Vorstellungen dürfen wir nicht ebenso wie für die Einzelhandlung den Ausdruck „Sünde " einsetzen, wenn wir nicht eine schadliche Verwirrung der Begriffe anrichten wollen. Sie sind Ergebnisse von Reflexionen, die wir an die bewuBten Sündenerfahrungen angeknüpft haben. Allerdings legen sie uns die Vermutung nahe, daB wir tatsachlich unbedacht und unbewuBt viel sündigen mögen; um aber ihre Gültigkeit zu wahren, bedürfen sie stets der Bestatigung durch bewuBte Sünden, wie denn auch jene bloB vermuteten Irrungen selbst zu „Sünden" für uns erst dann werden, wenn sie uns nachtraglich, sei es unter dem EinfluB von scharfer urteilenden Persönlichkeiten oder von neuen Sünden, die wir selbst als solche empfinden, zum BewuBtsein kommen. ■ Noch energischer muB ich mich gegen den Versuch wenden, den Begriff der unbewuBten Sünde dadurch zu  5 rechtfertigen, daB man sich auf das Urteil Gottes beruft. Als ob wir vom Urteil Gottes etwas wissen könnten, ohne daB es uns durch unser eigenes Urteil vermittelt wird, und als ob solch ein göttliches Urteil für uns irgend welchen Wert hatte, solange unser eigenes Urteil im Widerspruch dagegen verharrt! Diesem Versuche hegt die Vorstellung eines transscèndenten Gottes zu Grunde, der auf wunderbare Weise unserem Geist Gedanken eingeben kann, die uns selbst vöHig fremd sind. Das ist aber nichts weniger als die „moderne Auffassung", die in unserem Thema vorgesehen ist. Soweit diese nicht bloB hypothetisch, sondern wirklich die des Autors ist, wird sein Urteil über den der Sünde im religiösen Leben anzuweisenden Platz schlieBlich stets auf Selbstbeurteilung zurückgehen; für diese aber decken sich inhaülich „Sünde" und „SündenbewuBtsein". Nur wer das Thema in dem von mir abgelehnten Sinne auffaBt, der mit der ihm eigenen Auffassung von „Sünde" an die Beurteilung von Persönlichkeiten herantritt, die möglicherweise eine ganz andere Auffassung haben, mufi unterscheiden, und sogar scharf unterscheiden, zwischen Sünde und SündenbewuBtsein; denn eine stets wiederkehrende Frage ware dann eben die, ob die Tatsache, die er bei jenen als „Sünde" vorfindet, auch von ihm, nach seinem subjektiven Empfinden, als Sünde eingeschatzt werden kann, und umgekehrt. Das in meinem Sinn verstandene Thema setzt die gleiche „moderne Auffassung" von Sünde beim Subjekt und beim Objekt der Beurteilung voraus, und soweit diese Voraussetzung zutrifft, haben wir im Hinblick auf das uns gesteckte Ziel auch da, wo wir unsere Selbstbeurteilung auf dritte übertragen oder sie verallgemeinern, keinen Grund in anderer Weise zwischen Sünde und SündenbewuBtsein zu unterscheiden, als wir es bei uns selbst tun, namlich formal, aber nicht inhaltlich. Wo letzteres beiderseitig durchaus fehlt, da ist beiderseitig auch keine Sünde vorhanden.  6 b. Urn diesen Satz, der zu schweren Bedenken Veranlassung geben könnte, ins rechte Licht zu rücken, müssen wir uns erst klar geworden sein über die moderne Auffassung der Sünde. Die Sünde aber ist ein religiöser Begriff; also muB zuvörderst der Begriff „religiös" erlautert werden, ebenfalls in Absicht auf die moderne Auffassung. Wie ist nun, nach dieser Auffassung, das religiö'se Leben des modern denkenden Menschen zu beurteilen ? worin besteht seine Eigenart ? Wollen wir diese Frage beantworten, so müssen wir vor allem feststellen, welche Welt- und Lebensanschauungen heute im Unterschied von früheren Zeiten für unsere Stimmungen und damit auch für unser religiöses Innenleben und dessen Aufierungen wirksam sind. a) Wenn ich als ersten AnstoB zu einem Wandel auch auf diesem Gebiete die an den Namen des Kopernikus geknüpfte Entstehung des modernen Weltbildes betrachte, so bin ich zwar überzeugt, daB ich damit nur einer allgemein verbreiteten Ansicht gerecht werde, kann aber nicht zugeben, daB dieses neue Weltbild eine nur negative Wirkung auf das religiöse Innenleben der Glaubigen auszuüben vermag. Gegen Strauss' höhnisches Wort von dem Gott, der in die Wohnungsnot gekommen sei, hat zwar der Verstand nichts Wirksames vorzubringen ; aber mag dem rationalistischen Denker die Unauffindbarkeit eines Weges in das unvorstellbare Jenseits der endlosen Sternenwelt eine willkommene Stütze sein für seine Anzweiflung eines persönlichen Gottes, der Glaubige weiB seinen Gott überall zu erreichen, gleichviel ob er seine feste Burg am Ausgang der MilchstraBs hat oder ob er im Altarschrein des Dorfkirchleins eingeschlossen ist. Aber wenn auch keine Beeintrachtigung des Glaubens, eine Veranderung in der Glaubenstimmung hat doch das Kopernikanische Weltbild zur Folge. Ein weltenferner Gott kann nicht hinter dem Wolkendunkel  7 hervor seine Blitze schleudern oder von seinem heiligen Berge aus seine Lieblinge mit Namen rufen. Der Verlust eines solchen persönlichen Nahverkehrs findet indes einen wertvollen Ersatz. Der ferne Gott wird zum Geist, -der zu uns redet durch unser eigenes Herz. S) Ahnlich glaube ich die Wirkung einschatzen zu dürfen, welche die Kantsche Lehre von der Aprioritat des Raumes und der Zeit auf die Glaubigen ausübt. Haben Raum und Zeit als bloBe Anschauungsformen, in denen uns die sichtbare Welt notwendigerweise erscheint, keine selbstandige Existenz, dann muB doch Gott, als auBerraumliches Wesen, wohl auch die letzte Zufluchtsstatte noch aufgeben, die ihm die Kopernikanische Weltanschauung in dem jenseits unserer Welt immerhin denkbaren Raum offen gelassen hatte. Durch seine AuBerzeitlichkeit aber wird obendrein auch all sein Tun aufgehoben, von der Schöpfung an bis zum Ende alles Werdens; oia geführt, und der paBt sich unserer Auffassung viel besser an als der der BuBe. Mit der fnxui>oiu — wir dürfen das Wort sozusagen beim Buchstaben fasSen — geht eine Geisteswandlung in uns vor, gleichviel wie sie sich vollzieht, ob allmahlich oder  78 Bei ihm gibt es aber auch kein Lebensgebiet, von dem die „Sünde" grundsatzlich ausgeschlossen ware, und je mehr der i>avg seine Natur durchdringt, um so empfindhcher wird er auch tatsachlich auf allen für sie werden. Doch hiervon weiter unten. Zuvor haben wir uns noch in einem kleinen Sonderabschnitt mit der „Rechtfertvjung" zu befassen. p) Die diesem Begriff zu Grunde liegende Stimmung ist zwar mit dem SündenbewuBtsein nicht so unmittelbar gegeben wie die „BuBstimmung", aber als gegensatzliche ist sie doch so nahe mit ihr verwandt, daB von einer hier vorgehenden Stimmungsveranderung auch dort das Gegenbild zu erwarten ist. Aus dem Folgenden wird sich indes ergeben, daB auf dem Gebiet der „Rechtfertigung" der Unterschied zwischen dem reformatorischen und unserem Empfinden noch bedeutsamer ist als auf dem der „BufSe". In der vor allem polemisch verwendeten Lehre von der Rechtfertigung waren unsere Reformatoren sorgsamst bestrebt, den AnschluB an die „heilige" Schrift und insbesondere an die einschlagigen Stellen der Paulinischen Briefe zu wahren. Hat nun die Sünde seitdem einen anderen Platz im religiösen Leben gefunden oder muB sie ihn noch finden, wenn sie als religiös-sittlicher Begriff überhaupt noch existenzfahig sein soll, und ist 'ferner mit diesem Platzwechsel ein ihr Wesen berührender Urteils- und Stimmungswechsel verbunden: dann drangt sich von vorn herein die Vermutung auf, daB auch die Frage nach ihrer Ausschaltung nicht mehr so beantwortet werden kann, wie es vom Apostel und in seinem Gefolge von den Reformatoren geschehen ist. Wer von einem RechtfertigungsitrfeiZ Gottes redet, der stellt sich Gott als Richter vor. Wird uns nun diese im Judentum herrschende Vorstellung schon überhaupt erschwert durch die Konkurrenz mit anderen genuin christhchen Vorstellungen, so wird sie uns in diesem  79 Falie geradezu unmöglich gemacht; denn hier urteilt der Richter in eigener Sache und auf Grund persönlicher Verletzung. Aus der Paulinischen Lehre kann trotz aller wohlgemeinten Interpretationskünste der „Zorn Gottes" nicht ausgeschieden werden. Im AnschluB an sie sahen nun die Reformatoren im „Gottvater" den Richter, der uns solange wegen unserer Gesetzesübertretungen zürnt, bis der „Gottessohn" durch seinen Kreuzestod für sie Genugtuung geleistet und bis wir durch das von „Gott dem Geist" in uns gezeugte Vertrauen (= Glauben) uns diese Genugtuung angeeignet haben. Dann tritt an Stelle des Zorns die Liebe Gottes. Was uns diese Vorstellungsreihe unmöglich macht, das sind nicht etwa die mit der auch uns unentbehrlichen Vorstellung der Transscendenz Gottes verbundenen Menschlichkeiten als solche. Uebertragen wir einmal unsere Raumanschauung auf Gott, dann können wir auch schwerlich die Zeitform von ibm abwehren, mögen wir die Zeitspanne für ihn auch noch so sehr — in indefinitum — erweitern. Wenn wir ihn uns aber in dieser unendlichen Zeit als lebendig vorstellen wollen, dann können wir ihn uns auch nicht als unveranderlich vorstellen, und dann darf uns auch ein Stimmungswechsel bei ihm keinen AnstoB geben. Aber nicht jeder ist uns unanstöBig, und an dem unserem Gottesglauben durch diese Lehre zugemuteten nehmen wir sogar stark AnstoB. Auch als bloB menschliches Symbol müssen wir ihn ablehnen. Als solches können wir nur einen Stimmungswechsel brauchen, der sich in uns selbst durch eigenes Erleben bewahrheitet und als berechtigt erwiesen hat. Würde aber ein im Christentum geborener und erzogner Mensch unserer Tage sich einem Stimmungswechsel überlassen, der in dem streng richtenden Gott des Gesetzes auf der einen und dem Gott der sich aufopfernden Liebe auf der anderen Seite seinen zutreffenden symbolischen Ausdruck fande, so müBten wir das als einen durchaus anormalen sittlichen Zustand betrachten.  80 Von der jüdischen Provenienz des Christentums her ist uns dieser Dualismus in der göttlichen Stimmung historisch wohlbegreiflich. Es sind wirklich zwei Götter, die sich da, wo es zum Bruche kommt, einander gegenübertreten. Das laBt sich auch aus den Briefen des Paulus selbst entnehmen, vor allem aus seiner Rechtfertigungslehre. Sie ist von Haus aus zeitgeschichtlich orientiert — Iv xm tv» *atQm —. Der Apostel selbst und mit und nach ihm andere fromme Juden, die den Wurzelstock ihrer alten dualistischen Religion ins Christentum mit hineinbrachten, konnten die ihr zu Grunde hegende Auseinandersetzung zwischen den zwei entgegengesetzten Göttern, die für sie zu einer Gottesvorstellung zusammen geflossen waren, auch noch persönhch erleben. Heute, nach einer mehr als achtzehnhundertjahrigen Entwicklung der vom Judentum losgelösten Christusreligion ist das normalerweise ausgeschlossen. Geben wir aber, ohne solch eigenes Erleben, die Rede von dem zürnenden und dem rechtfertigenden Gotte weiter, dann bringen wir statt religiöser Aussagen haltlose Mythologieën vor. Unseren Reformatoren blieb dieser geschichtlich begründete Stimmungswandel bei ihrer Anschauung von der übergeschichtüchen Geltung der heiligen Schrift, die die Uebernahme der aus ihr stammenden Gottesvorstellungen zu einer Selbstverstandlichkeit machte, naturgemaB verborgen, und auf die bewuBte Absicht, deren stets nur relative Wahrheit an ihren entsprechenden religiösen Empfindungen erproben zu wollen, konnten sie erst recht nicht kommen, und noch weniger auf den Gedanken, zu diesem Behufe die Transscendenzvorstellungen geradezu durch Immanenzvorstellungen, wenn auch nur versuchsweise, zu ersetzen. Uns wird ein derartiger Versuch das im Vorhergehenden erzielte Ergebnis bestatigen. Der Gott in uns kann uns zwar ebenfalls zürnen, und  81 er wird uns auoh strafen, wenn wir lieblos gehandelt haben, aber es ist das Zürnen und Strafen der Liebe, die wir schlieBlioh immer wieder heraushören aus der Stimme eines Gottes, der sich nicht für zu erhaben betrachtet, um sich in der Form unseres eigenen „Ich" kund zu tun. Ihm, das heifit dem Ideal unseres eigenen Ich gegenüber, verbietet sich jede, sei es von uns selbst, sei es von anderer Seite zwecks der Umstimmung zu erbringende Leistung von selbst. Sollten wir aber mangels inneren Erlebens die Immanenzvorstellung nicht vollziehen können, dann kame schon aus diesem Grande der vollbraohten Leistung irgend ein reügiöser Wert nioht zu. Auch die kirchliche Lehre von der Trinitat müfite, wenn sie nicht für uns zur mythologischen Fabel werden soll, die Probe der Immanenzvorstellung bestehen, d.h. es ware der Versuch zu machen, ob wir in den verschiedenen göttliohen Personen die vorstellungsmaBige Auapragung verschiedener Stimmungen sehen können, in denen wir das Walten der Gottheit innerlich erleben. Erleichtert würde, nebenbei bemerkt, der Versuch, wenn man dabei im Auge behielte, daB die Bedeutung „Maske", „Biolle" für ngoaanop, persona bei der Bildung des Dogmas nachgewirkt hat. Um nicht von unseren Thema abzuschweifen, müssen wir uns hier auf die Betatigung beschranken, die den göttliohen Personen bei dem Werke unserer Erlösung von der Sünde zufallt, und, in Anknüpfung an das Letztvorhergehende, uns mit dem Hinweis darauf begnügen, daB wir, ohne religiös unwahr zu werden, von den Personen der Gott* heit keinerlei Umstimmungen aussagen dürfen, die nicht zugleich Vorgange in unserm eigenen Innern waren, also keine Genugtuung, die auBerhalb unseres Wollens und Empfindens Gott dem Vater durch den Sohn dargebracht und vom Vater angenommen würde, und keine Gerechterklarung, die dieser abgabe, ohne daB sie eins ware mit dem geistgewirkten inneren Vorgang unserer 0  99 Kraft verlust ige Natur zus tand ein. Dieser allen Einzelsünden gemeinsame naturhafte Boden ist es, der ihren Zusammenhang unter einander vermittelt. Letzteren herauszustellen, dazu bedarf es also nach unserer Anschauung ebensowenig besonderer, immer zufallig erscheinender Umstande als einer stets willkürlichen Abschatzung einzelner Sünden. Sind demnach alle Einzelsünden aufzufassen als Folgen des Mangels an übernatürUch liebevoller Gesinnung, dann kann auch als Gradmesser für ihre Schwere nur die Starke dienen, mit der wir diesen Mangel unserer Gesinnung empfinden. Dieser Gradmesser ist offenbar bloB subjektiv verwertbar. Alle aügemeingültigen MafSstabe für die sittliche Beurteilung der Sünde erscheinen hinfallig. Mit dieser Behauptung steken wir nun aber im Gegensatz sowohl zur gewohnlichen Anschauung wie zur kirchlichen Praxis. Schon die neutestamentliche Religion unterscheidet, und zwar nach einigen Schriftstellern sogar recht schroff, zwischen Sünde und Sünde, so insbesondere nach Mc. 328f zwischen der unvergebbaren Sünde wider den heiligen Geist und zwischen anderen, die vergeben werden können, eine Unterscheidung, die dann Mt. 12nf (und Lc. 1210) noch dahin zugespitzt wird, daB jener, der Sünde gegen den heiligen Geist, ganz bestimmt die des gegen den Menschensohn gesprochenen Wortes gegenübergestellt wird. Umfassender und bereits die spater eingehaltene Richtung kennzeichnend ist dann I Joh. 516, wo der laBlichen Sünde gegenüber die „Todsünde" auftritt, gegen die kein Gebet hilft. Verfolgen wir die Richtung weiter, so bemerken wir, daB die zunehmenden Unterscheidungen und Abstufungen wesentlich bestimmt waren durch die Sorge um den Bestand der Gemeinde und um die (morahsche) Gesundung der Gesellschaft. Jener war durch nichts mehr bedroht als durch die Idolatrie, diese am meisten untergraben durch Ehebruch  102 nicht verhehlen, daB die Gesellschaft um ihres Bestandes willen der gesetzlichen Moral bedarf. Und wenn die Gesetze ihr dienen sollen, dann müssen sie auch die natürlichen Bedingungen berücksichtigen, unter denen sie steht, d.h. sie sind ihrem Inhalt nach durch auBersittliche, also naturaüstische Motive bestimmt. Mit ihnen gehort auch die durch sie bedingte Moral dem Naturgebiet an, ebenso wie die Gesellschaft, zu deren Selbstbehauptung und Förderung sie angeordnet ist. Wie diese, auf dem natürlichen Boden der Tiermoral erwachsen, mittels der von ihm aus ihr zugehenden Krafte sich nie über die der natürlichen Entwicklung gesetzten Grenzen einer verfeinerten und verdoekten Selbstsucht erheben kann, so auch nicht die auf demselben Boden erwachsene Gesetzgebung, die in ihrem Dienst erfolgt. Die durch sie angeordnete gesetzliche Moral können wir gradezu Naturmoral nennen. Mit der jedem Gesetz gegenüber selbstandigen Gesinnungsmoral, die wir als für unser religiöses Leben allein bedeutsam im Auge haben, kommt, wie wir sahen (p. 53 f), ein der Natur durchaus fremdes Motiv in die Bestimmungsgründe unseres Handelns hinein. An diesem Motiv gemessen ist unsere Natur sündhaft, und nur die Befreiung aus dieser Sündhaf-, tigkeit befreit uns von der Sünde. |J.) Ein transscendenter, nur von auBen auf unser Ich einwirkender Gott kann uns auch nur durch von auBen her auferlegte Gesetze seinen Willen kund tun. Durch sie mögen, den Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechend, unsere Sitten ausgebildet und verfeinert werden — Ansatze dazu sind schon in der Tierwelt zu beobachten — unsere tierisch-selbstsüchtige Natur wird dadurch nicht veredelt. Das kann nur geschehen, wenn wir, dem Aufruf des an Kant gebildeten Dichters folgend, die Gottheit aufnehmen in unseren Willen. Aber der christliche Gott „ist die Liebe." Soll er also in den von unserer Natur her selbstsüchtig bestimmten Willen  103 aufgenommen werden, so muB auch diese Natur selbst eine wesenhafte Umwandlung erfahren; sonst kann auch unser Wille nicht im entgegengesetzten Sinne, durch die Liebe, bestimmt werden. Wir müssen das „Stirb und Werde" erleben, das der aus dem Urquell des eigenen religiösen Erlebens schöpfende Dichter uns zuruft. Diesen Vorgang nennen wir Wiedergeburt, und wir verstehen unter Wiedergeburt das ytvvrj^vai ava&tv des Johannes evangelista; das avw&fv, von oben her, aber deuten wir nicht im lokalen Sinn, sondern als die übernatürliche Kraft Gottes, der, in uns selbst wirksam, den neuen Menschen erzeugt; und auch darin wissen wir uns in Uebereinstimmung mit Goethe (vrgl. z.B. sein Gedicht „das Göttliche"). Und wenn wir den AnschluB auch ■an die reformatorische Kirche nicht missen wollen, so brauchen wir bloB in Luthers grossem Katechismus die quinta petitio Absatz 2 aufzuschlagen, wo die irreführenden Worte des kleinen „weil wir taglich viel sündigen" ins rechte Licht gestellt werden. Das Sündigen ist ein Ausflu/3 unserer Sündhaftigkeit, d,h. unserer ohne Gott tierischen Natur, und eine wesenhafte Erhebung über das Tierische kommt erst da zustande, wo die natürliche Gesetzesmoral zur übernatürlichen Gesinnungsmoral wird. Mit dieser Ueberbietung gesetzlichen Handelns wollen wir, wie aus dem Vorhergehenden zu ersehen ist, keineswegs einen neuen Weg betreten; wir bewegen uns nur in derselben Richtung weiter, in der durch die Tiefe ihres religiösen Empfindens einfluBreiche Persönlichkeiten uns vorangegangen sind. Zweierlei haben wir indes zu der Trennung zwischen natürlicher und übernatürlicher Moral noch zu bemerken. Einmal daB wir mit ihr etwas durchaus anderes bezwecken als die Unterscheidung zwischen zwei in der Gesellschaft nebeneinander sich betatigenden Lebensidealen, wie etwa die zwischen Laien-und Mönchs-Moral. Die Menschheit soll nicht in zwei Stande zerfallen, von  104 denen der eine um des Jenseits willen die Forderungen der Natur nach Möglichkeit auszuschalten, der andere um des Diesseits willen ihnen als solchen Rechnung zu tragen berufen ware. Nach unserer Auffassung hat die gesamte Menschheit den Beruf, das Naturleben durch Unterordnung unter das übernatürliche Motiv der Liebe zu veredeln. Und diese Unterordnung und Veredlung — darauf muB ich zweitens hinweisen — ist nicht eine bewuBte und in bestimmte Grenzen eingeschlossene Handlung, sondern ein Prozess, der sich allmahlich und in steter Verflechtung mit der natürüchen Entwicklung vollzieht. Es laBt sich nicht etwa ein Querschnitt im Geschichtsverlauf anbringen, so daB man sagen könnte: hüben „natürlich", drüben „übernatürhch". Nirgends in der Entwicklungsgeschichte der Kulturmenschheit können wir den Punkt aufweisen, wo die übernatürliche Moral zur Herrschaft gelangt ware, und nirgends den Punkt, an dem sie zum ersten Male wirksam geworden ist. Es ist ein zwar recht ungleichmaBiger, aber doch zusammenhangender Entwicklungsgang, der vom Tier-Menschhchen zum Gott-Menschhchen f^ührt, ein Prozess, den wir uns in Verbindung mit der Transscendenz Gottes aUerdings schwer vorstellen können ; mit der Immanenzvorstellung vertragt er sich hingegen ganz gut. Es ist derselbe Gott, der sich überall im Weltverlauf betatigt, in dem gesetzmaBigen Gang der Gestirne ebenso wie in den freien Bewegungen des menschüchen Seelenlebens und in der Naturmoral ebenso wie in der übernatürlichen Gesinnungsmoral. So lange und so weit die Gesinnung der Menschheit nicht vergöttlicht — nach Luther konnten wir sagen verchristus't — ist, so lange und so weit muB sie auch, soll sie als solche nicht wieder untergehen, der Gesetzesmoral unterworfen bleiben, die durch die ebenfalls von Gott durchwirkte' naturgesetzliche Ordnung bestimmt ist. Diese, die Gesetzesmoral, haben wir zu würdigen als den Weg, auf dem die in der Menschheit sich betatigen-  105 de göttliche Kraft sie zur Gesinnungsmoral emporführt. Und dieser Weg dehnt sieh ins Unabsehbare aus. Entsprechend dem Entwicklungsgang der ganzen Menschheit vollzieht sich nun auch der des einzelnen Menschen. Auch dieser wird aus einem Naturwesen zu einem freien sittlichen Wesen nur in demselben MaBe, wie er, sei es in schnellerem oder langsamerem Entwicklungsgange, das sittliche Motiv der übernatürlichen Liebe im Kampte mit den fortwirkenden Trieben der natürlichen Selbstsucht zur Entfaltung bringt. Dieser Prozess macht sich dem Menschen nun aber nicht etwa dadurch bemerkbar, daB er sich wahrend seines normalen Verlaufs zunehmend freier fühlte von der Sünde. Im Gegenteil, je mehr sich einer vom Naturwesen zum sittlich freien Wesen umwandelt, um so schmerzlicher empfindet er jede Unterwerfung unter seine Natur als Sünde. Was ihm früher als erlaubte Handlungsweise galt, oder was er, nach dem Gesetze urteilend, als zufalligen und durch gunstige Folgen der Tat noch gemilderten Fehler betrachten konnte, das wird, wie oben schon angedeutet, an der göttlichen Liebe gemessen und auf die bestimmenden Selbstsuchtmotive hin angesehen, heute von ihm als Sünde, vielleicht als schwer wiegende Sünde verurteilt. Und kaum fühlt er sich über diese Sünde erhaben, so empfindet er schon wieder anderwarts die Fesseln seiner Natur. Immer wieder wird er gewahr, daB er des Moralgesetzes nicht entraten kann, und daraus ergeben sich dann Schwankungen des SündenbewuBtseins, die ihn in den entgegengesetzten Stimmungen hin und her werfen. Und mögen diese Schwankungen bei steigender Entwicklung der göttlichen Krafte in ihm auch geringer werden, das SündenbewuBtsein wird darum für ihn nicht weniger 8chmerzhaft; er wird in zunehmendem Grade empfindüch dafür, wenn ihre Wirksamkeit aussetzt. Ebenso wie die dumpfe Teilnahmlosigkeit, die er früher mit dem  100 Druck der Verhaltnisse entschuldigen könnte, wird jede überwallende Bewegung seines Gemütslebens, die er einst vielleicht sogar als Zeugen seiner berechtigten Eigenart begrüBte, ihm jetzt zu einem Anzeichen für die immer noch nicht gebrochene Uebermacht seiner naturhaften Gesinnung. Auf derartige Erfahrungen dürfte Luthers „denn wir taglich viel sündigen" zurückgehen. Die Verallgemeinerung ist nur berechtigt, wenn sie sich auf die Sündhaftigkeit der menschlichen, vom Motiv der übernatürlichen Liebe nie völlig durchdringbaren Natur stützt. Wir wollten den Weg nachweisen, auf dem wir zu dieser Veredlung unserer Natur gelangen können, und nun schlieBen wir damit, daB er uns nicht zum Ziele f ührt ? Müssen wir nicht nachtraglich auf die Seite des Dichters hinübertreten, der mit verat&ndnisvoller Rücksicht auf die „Grenzen der Menschheit" bloB fordert: „Edel sei der Mensch" ? Und doch lesen wir in der letzten Strophe: „Der edle Mensch sei hüfreich und gut". Das Sireben selbst veredelt unsere Natur. Das durch die Liebe Gottes bestimmte SündenbewuBtsein wirkt als Betatigung einer sittlichen, also übernatürlich begründeten Gesinnung veredelnd auf die sündhafte Natur des Menschen, eine Wirkung, die sich nur versteken lafit, wenn auch die Sünde ihrem Wesen nach Gesinnungssache ist. So können wir das Ergebnis zusamen fassen, zu dem uns unsere Verhandlungen über die beiden letzten Punkte geführt haben. Mit diesem Ergebnis sehen wir uns nun aber vor mehrere schwierige Fragen gestellt. Erstens, wenn Gott in der Natur wirksam ist und wenn nach unserer Auffassung dieselbe Natur für uns Ursache der Sünde wird, machen wir damit nicht Gott selbst zum Urheber der Sünde? Zweitens, wenn Gott alles bewirkt, auch den in uns sich abspielenden Vorgang der sittlichen Erhebung über die Natur, wo bleibt dann Raum für die sittliche Freiheit? Drittens, wenn die Sünde unlösbar verdochten  107 ist sowohl in die Entwicklung zur Uebernatur wie in die berechtigte Selbstbehauptung der naturhaft-persönlichen Eigenart, wie kann sie dann von Schuld- und Strafbarkeitsgefühl begleitet sein ? Und doch dürfen diese Gefühle nicht fehlen, wenn der religiöse Begriff der Sünde uns nicht abhanden kommen soll. Auf die beiden ersten Fragen brauche ich mich angesichts unseres Themas nicht einzulassen. Da ihre Behandlung den Umblick über einen viel weiteren Kreis voraüssetzt, als er direkt von unserem Thema aus möglich ist, so würden wir dieses bei n&herem Eingehen auf sie aus dem Auge verlieren. Folgende Bemerkungen werden genügen, um sie aus dem Wege zu raumen. Will man es bei Beantwortung der ersten vermeiden, daB Gott ein von ihm unabhangiges böses Princip gegenübergestellt, ihm also die Allmacht abgesprochen wird, so hilft man sich meist mit der Unterscheidung zwischen einer direkten und einer indirekten Verursachung der Sünde. Wir sehen in der Möglichkeit dieser begrifflichen Unterscheidung nicht den geringsten Beweis für die Möglichkeit der Tatsache und ziehen es daher vor, unsere Unwissenheit einzugestehen. Sie dürfte entschuldbar sein auf einem Gebiet, das als ein überweltliches unserer an der Welt orientierten ratio entzogen ist. Die zweite Frage führt auf die dritte der bekannten Kant'schen Antinomien zurück. Von dem durch die vorhergehenden Erörterungens uns zugewiesenen Standpunkt aus gesehen, würde sich die Antinomie als folgendes „Entweder — Oder" darstellen : entweder wird Gottes Wirksamkeit auf die im Naturgebiet herrschende Causalitat eingeschrankt, oder der Begriff einer von der Naturgesetzlichkeit sich unterscheidenden Moral, also auch der der Sünde, wird aufgehoben. Kant hat sie mit Hilfe eines Werturteils und des „intelligiblen Charakters" zu lösen versucht. Wir konnten das „Entweder — Oder" vielleicht auf folgende Weise überbrücken : soweit der Mensch  108 Natur ist, unterliegt er in alle seinem Fühlen, Denken und Tun der naturgesetzlichen Kausalitat. Erst die in ihm wirksame übernatürliche Kraft verleiht ihm die sittliche Freiheit, mit ihr aber auch die Möglichkeit, diese Kraft selbst der natürHchen KausaHtat unterzuordnen, d.h. die Möglichkeit der Sünde. Hiermit eine bessere Lösung gegeben zu haben als Kant, möchte ich nicht behaupten; ich woUte mich bloB mehr in der durch das Thema gebotenen VorsteUungsreihe bewegen. Ob eine wissenschaftHch befriedigende Lösung gegeben werden kann, bezweifle ich. Eingehender muB ich mich mit der dritten Frage beschaftigen. Wie vertragt sich die Betatigung, die wir der Sünde innerhalb der menschlichen Entwicklung und in bezug auf die natürliche Eigenart der Persönlichkeit zuschreiben, mit dem Schuld-und Strafbarkeitsgefühl, das stets mü ihr verbunden istl Wird dieses Doppelgefühl nicht ausgeschaltet, wenn die Sünde einerseits als unentbehrHche Voraussetzing für die Entwicklung zum sittHchen Wesen und andrerseits als Bestandteil seiner zu erhaltenden natürHchen Eigenart zu gelten hat? b. Die Betatigung des an der Liebe Gottes orientierten Sündenbewufitseins in religiöser Hinsicht vermittelst (a) des Schuld- und des Straf bar keitsgefühls. Zunachst woUen wir zeigen, daB gerade bei unserer Auffassung von der Sünde diese, trotz ihrer EingHederung in die Entwicklung des Menschen und in seine Eigenart, als Schuld empfunden werden kann. «) Es ist ein Punkt von centraler Bedeutung für das reHgiöse Leben, um den es sich handelt. Denn wo das Schuldgefühl ausgeschieden ist, da ist auch die Religiën aufgehoben. Mag man sie ihrer Entstehung nach erklaren, wie man will, aus der Ahnenverehrung, aus der Scheu vor dem Heiligen, aus der Furcht vor der  109 Natur oder der Dankbarkeit gegen sie, etwas von jenem Gefühl macht sich schon in ihren primitivsten AuBerungen bemerkbar, und bis auf den heutigen Tag gibt cs keine in Kult- und Lebensformen ausgepragte Religion, deren Empfindungsgehalt es nicht als festen Bestandteil aufwiese. Es dürfte in der Natur der Sache liegen, daB mit der Unterwerfung unter ein höheres Wesen sich das BewuBtsein einer Verpflichtung verbindet, dessen negativer Gegensatz eben das Schuldgefühl ist. Unser heutiger Gottesbegriff verbietet uns freilich die Meinung, als hatten wir durch ein Versehen oder Vergehen der Gottheit etwas vorenthalten oder geraubt, was wir ihr ersetzen müBten; der Begriff einer Schuld, die wir abtragen konnten, ist ausgeschlossen. Aber es gibt auch Liebes- und Dankbarkeitspfhchten, und dem Gott gegenüber, den wir als Christen von heute verehren, kennen wir bloB diese. Sie verletzen wir, wenn wir, unseren selbstsüchtigen Trieben uns hingebend, uns von ihm abwenden, und diese Verletzung empfinden wir als Schuld. Gegen dieses urreligióse Gefühl hat man sich nun im Namen der modernen Menschheit aufgebaumt. Vor allem berufen sich die Apostel einer solchen antireligiösen Gesinnung auf den unüberbietbaren Wert der menschlichen Persönhchkeit. Wie wirksam ihre Verkündigung ist, das können wir schon aus der Verherrlichüng schlieBen, deren sich heute, innigen und hingebenden Menschen gegenüber, die rücksichtslos sich durchsetzenden, machtvollen Charaktere erfreuen ; und auf wie günstigen Boden sie bei der Jugend fallen, dafür zeugen z.B. Stellen aus dem viel gelesenen Tagebuche des sechzehnjahrigen Otto Braun (Aus nachgelassenen Schriften eines Prühvollendeten 1920. s. bes. p. 128 und 131), der bereits einer Zeit entgegensieht, wo das „Sichselbstbehaupten" keinen Kampf mehr erfordert. Dieses Sichselbstbehaupten wird seit Goethe von starken Geistern oft auch ausdrücklich in Gegensatz gebracht zur Religion und insbesondere  110 zur christlichen Tugendlehre. So versteigt sich der oben schon charakterisierte Hebbel einmal zu den Satzen, das Christentum sei das Blatterngift der Menschheit, die Wurzel alles Zwiespalts, aller Schlaffheit der letzten Jahrhunderte; die Sünde sei ein Unding, Demut die einzig mögliche menschUche Sünde, die Gnade die Sünde Gottes; dadurch werde der Grundstein der Menschheit, die Selbstbehauptung verwirkt. Auch wir sind überzeugt nicht nur von dem Recht, sondern auch von der Pflicht der Selbstbehauptung; aber nicht als Naturwesen soll der Mensch seine Eigenart 6chaupten — solche Selbstbehauptung kann nur zerstörend wirken — sondern als sittliches Wesen. Der so entstehende Widerspruch zwischen der Pflicht der Selbstaufopferung und der der Selbstbehauptung kann freilich zu schweren Konflikten im Innenleben des sitthch strebenden Menschen führen; aber unlösbar sind diese Konflikte nur da, wo die heteronome Gesetzesmoral herrscht, denn das von auBen befehlende Gesetz kennt bloB den vorliegenden Fall, nicht die persónlichen Bedingungen, die für den sittlichen Wert oder Unwert seiner Erledigung entscheidend sind. Mit dem nach einem seiner Paragraphen konstatierbaren Unrecht der Handlung unterdrückt es zugleich das Recht der Persönüchkeit, und je eigenartiger diese ist, um so weniger wird ihre Selbstbehauptung vor ihm bestehen können. Anders, wie schon bemerkt, die göttlichs Liebe, wo sie in ein Herz eingegangen ist. Bei einer ausgepragten, starken Persönüchkeit wird ihre Betatigung aüerdings erschwert werden; aber mag auch auf der einen Seite ihre dem Menschen als Naturwesen fremde Kraft der Selbstüberwindung hier auf machtvoüeren Widerstand stoBen, auf der anderen weiB sie doch die hier angesammelten natürlichen Krafte in den Dienst der eigenen zu stellen und in positiv fruchtbringender Weise zu verwerten. Hiermit ist auch schon angedeutet, wo bei der Selbst-  111 behauptung die Sünde and mit ihr, für den religiösen Menschen, das Schuldgefühl beginnt: auf der einen Seite da, wo die Selbstbehauptung, aus dem Motiv der Selbstsucht entspringend, der aufopferungsfahigen Liebe entbehrt, und auf der anderen da, wo ihre Preisgabe, weil aus Scheu vor den damit verbundenen Opfern an Ruhe, Bequemlichkeit, Genüssen erfolgend, im Grunde genommen nicht weniger selbstsüchtig ist. Die Grenzlinie zwischen beiden Seiten richtig zu ziehen, mag nicht immer leicht sein; aber principiell unvertraglich erscheint SündenbewuBtsein und Selbstbehauptung blofi vom gesetzlichen Standpunkt aus, nicht von unserem. Wir kommen zum Entwicfclungsgedsmken. Er scheint dem Selbstbehaüptungsrecht zu widersprechen. Dieses Recht setzt die innere Unabhangigkeit der Persönlichkeit von ihrer Umgebung voraus. Der Entwicklungsgedanke leugnet sie; denn er sieht in der Persördichkeit nur das Glied einer ablaufenden Kette, das als solches abhangig ist von den vorherigen Gliedern. Aber auch er hat zur Ablehnung einer „Sünde" geführt, die mehr sein wollte als Unvollkommenheit und die wir als Schuld, empfinden konnten. Seit Hegel macht er sich immer wieder dahin geltend, daB auch die Sünde als Bestandteil einer aufsteigenden Entwicklung und folglich als notwendiger Durchgangspunkt zu einer höheren Kulturstufe — einschlieBlich der moralischen Kultur — anzusehen und einzuschatzen ist. Mit dem Begriff einer aufsteigenden Entwicklung ist der der Unvollkommenheit für alle Glieder der Kette mit Ausnahme des letzten gegeben. Wer zu dieser Einsicht gelangt ist, der wird die Sünde nur mehr als eine für ihn unvermeidliche Unvollkomenheit, also nicht mehr als persönliche Schuld empfinden können. Spater, nachdem das geistige Material von Hegels. Aufbau durch materialistische Konstruktionen verdrangt war, ist dann der Begriff Sünde ganz ausgemerzt worden.  112 Sieht man in der Entwicklung eine durch zufallige Ursachen hervorgerufene und nach mechanischen Gesetzen sich voüziehende Bewegung, dann bleibt für eine durch das Streben nach sittlichen Idealen bestimmte Gesinnung überhaupt kein Raum ; denn solche Ideale stehen und fallen mit dem Gedanken eines letzten vemünftigen Weltzwecks. Wollen wir aber auf einen vemünftigen Weltzweck nicht verzichten, dann kommen wir auch ohne die Annahme eines zwecksetzenden vemünftigen Willens nicht aus, und soll die Abzweckung eine sittlich gute sein, dann muB auch jener Wille sittlich bestimmt sein. Der Glaube an einen solchen Gott legt uns die Pflicht auf, dem von ihm festgesetzten sittüchen Ziel nachzustreben, und wenn wir hinter ihm zurückbleiben, so werden wir das als Sünde und als Schuld gegen ihn empfinden; aber doch nur solange, bis wir daran denken, daB wir nur Bestandteile einer erst nach unabsehbarer Zeit jenes Ziel verwirküchenden Entwicklung sind und nicht anders als hinter ihm zurückbleiben, d.h. unvollkommen sein können. Schlufi : unsere Sünde ist nur Unvollkommenheit, nicht Schuld. * Gegen diese Folgerung dürfte nichts einzuwenden sein, wenn der Gott, der die gesamte Entwicklungsreihe angelegt und ins Leben gerufen hat, als transcendent und sein uns offenbarter Wille als das ein für allemal gültige Gesetz vorgestellt wird. Dann gilt für den vom Enfcwicklungsgedanken beherrschten modernen Menschen nur die Alternative : entweder ich erfülle das göttliche Gesetz — dann bin ich vollkommen und damit aus der Entwicklungsreihe ausgeschaltet, oder ich bin ein Gtied in dieser Reihe — dann kann ich es gar nicht erfüllen, kann mich also auch nicht für schuldig erklaren, wenn ich hinter seinen Anforderungen zurückbleibe. Nun wollen wir sehen ob sich, bei unserer Anschauung von Gott und Sünde, nicht doch angesichts unserer Unvollkommenheit andere Empfindungen einstellen können. Wir  113 denken uns Gott als immanent; sein Liebeswüle ist es, den er uns in unserem Inneren kundtut; die Form aber, in der er ihn uns kund tut, ist die des Ideals, das unser besseres, vom natürlichen geschiedenes „Ich" uns vorhalt; und die Form, in der wir gegen ihn verstoBen, ist die Hingabe an die unserem tierischen Ich angehörigen Triebe der Selbstsucht. Nun ist schon oben darauf hingewiesen worden, daB die in unserem Inneren erfolgende Gottesoffenbarung selbst an der Entwicklung teil nimmt. Das Ideal, in dem wir sie schauen, ist nicht wie das Gesetz des transscendenten Gottes ein endgiltiges. Haben wir es erreicht, so macht es vielmehr ■einem neuen, hóheren Platz, und demgemaB ist auch unsere inhaltliche Vorstellung von der Sünde, so oft sich dieser Vorgang wiederholt, immer wieder der Veranderung unterworfen. Die Alternative, vor die derjenige sich gestellt sieht, der die Sünde nur kennt als VerstoB gegen ein von auBen ihm auferlegtes und ein für alle mal gültiges Gesetz, besteht für unsere Vorstellungsart .gar nicht. Denn da hinter dem einen Ideal, sobald es erfüllt wird, immer schon das neue heraufsteigt, so ist uns zwar auf der einen Seite das Gefühl der (absoluten) Vollkommenheit unerreichbar; auf der anderen aber hindert uns nichts innerhalb der von uns unabhangigen Entwicklung daran, das (relative) Vollkommenbeitsideal, «o wie wir selbst es uns jedesmal vorstellen, zu verwirklichen. Lassen wir es daran fehlen, so haben wir die Schuld niemandem zuzuschreiben als uns selbst, denn es ist unser Ideal, gegen das wir uns versündigen, d.h. ein Ideal, wie wir es uns unter denselben Entwicklungsbedingungen schufen, unter denen wir es zu verwirklichen trachten. Selbst ein Glied der Entwicklung, der wir angehören, schwebt es uns auf jeder Stufe als ein höchstes vor. Vom Glauben an dieses, unser Ideal bedeelt, fühlen wir uns verpflichtet, es zu verwirklichen, und wenn wir uns durch die Tragheit oder den Wider- 8  114 stand unseres natürlichen Ich an der Erfüllung dieser Pflicht verhindern lassen, dann rechnen wir uns dies jedesmal als unsere Schuld an. Bestehen wir hingegen im Kampfe gegen dieses Ich, dann erhöht sich auch wieder unser Ideal, und von der gewonnenen Höhe auf unseren früheren Zustand zurückbickend, fühlen wir uns trotzdem wieder als schuldig. Zugleich aber werden wir in dem sittlichen Urteil und in der sittlichen Kraft, über die wir gegenwartig verfügen, bei diesem Rückbliek ein Ergebnis erkennen, zu dem wir entwicklungsmaBig nur mittels der Sünde gelangen konnten. Und so kann uns denn die Sünde als beides erscheinen, als notwendiger Durchgangspunkt und als Schuld, jenes wegen der Entwicklung, zu deren Bestandteilen wir naturgema/S gehören, dieses wegen unseres Zurückbleibens hinter den uns als sittlichen Wesen gestellten immer höheren Aufgaben. Nach dem Vorhergehenden könnte es nun scheinen, als sei die jedesmalige Stufenhöhe und das ihr entsprechende Ideal rein subjektiv. Das ware es auch in der Tat, wenn ein jeder von uns in der Welt für sich allein stande. Gerade wie beim SündenbewuBtsein. Das über dieses im ersten Abschnitt (p. 68 f.) Dargelegte findet hier seine Bestatigung und seine Erg&nzung. Wir sind Gesellschaftswesen, und durch die Gemeinschaft, in der wir leben, wird uns als Ausgangspunkt immer eine gewisse Durchschnittshöhe bezeichnet, unter die wir nichthinabsinken dürfen, wenn wir uns nicht schuldig fühlen sollen. Erweitern können wir diese Urteilsbasis durch den Bliek auf die sittliche Entwicklung unseres eigenen und anderer Völker, so daB es uns an objektiven Normen für unser SchuldbewuBtsein nicht fehlt. Aber sie sind entscheidend nur für die Selbstbeurteilung (vgl. p. 99). Ob oder in wie weit einer hinter der Erfüllung bestimmter und von ihm als verpflichtend anerkannter Gebote zurückbleibt, das laBt sich auch von anderen feststellen. Machen wir aber das Urteil abhangig von  115 seinem Verhaltnis zu einem Ideal, das von jedem innerlich geschaut wird, das auch in der Seele des einzelnen einer Entwicklung unterworfen ist und das hier um so eigenartigere Züge tragt, je selbstandiger die PersönUchkeit sich gestaltet hat, die es tagtaglich weiter ausmalt, dann fehlt uns jeder sichere objektive MaBstab, In welohem Umfange und in welchem Grade Gott sich im Gemütsleben eines dritten als die Liebe offenbart hat, das können wir weder aus seinen Worten noch aus seinen Gottesvorstellungen — letztere sind vom UeberlieferungsmaBigen nie unabhangig — erschlieBen. Wollten wir ihm ein SchuldbewuBtsein vorschreiben, so würden wir uns in einem circulus vitiosus bewegen : ein richtiges Urteil über sein Verhalten konnten wir bloB durch den Einblick in sein Innenleben erzielen, und sein Inneres ist uns bloB zuganglich auf Grund eines richtigen Urteils über sein Verhalten. Wie stekt es nun aber nach alledem um die Straffalligkeit der Sünde ? Unsere sittliche Grundanschauung scheint uns auf denselben Weg zu verweisen, auf dem Tolstoi zur Verwerfung aller Strafen — auch für die schlimmsten Verbrecher — gekommen ist. Wenn wir ihm dahin nicht folgen, so tun wir es einzig und allein mit Rücksicht auf den Bestand der Gesellschaft. Ihr gegenüber werden wir dann aber auch, in Uebereinstimmung mit einem heute bei uns sehr verbreiteten Sprachgebrauch, nicht mehr von Sünden, sondern von VerstöBen, Vergehen, Verbrechen reden. Ware es uns gestattet, ausschheBlich das religiös-sittliche Endziel der Menschheit — „Gott alles in allem" — ins Auge zu fassen, dann müBten wir es bei positiven religiös-sittUchen Erziehungs-maBnahmen 'bewenden lassen. Wir alle sollen erst aus dem Naturzustande zu sittlichen Wesen erhoben werden; davon haben wir bei unserer Beurteilung anderer auszugehen,  116 wenn wir an ihr Verhalten nicht einen falschen, weü subjektiven MaBstab anlegen woüen. Ganz anderes bei der Selbstbeurteüung. Da brauchen wir über den MaBstab nicht zweüelhaft zu sein. Es ist ja unser eigenes Ideal, dem er 'entsprechen muB. Ist es das Ideal der göttlichen Liebe, das sich in unserem Herzen kund getan hat, so werden wir jede Abweichung von dem uns dadurch gebotenen Wege der Liebe um so strenger beurteilen und uns als eine um so schwerere Schuld anrechnen, je dankbarer und je restloser wir die Füüe der Gotteshebe in uns aufgenommen haben. Vom BewuBtsein der Schuld lafSt sich nun das der Strafbarkeit nicht trennen. Aber an was für Strafen ist hier, nach moderner Auffassung, wóhl zu denken ? Die Vorsteüung auBerer Strafen, gleichviel ob sie dem Jenseits vorbehalten oder ins Diesseits verlegt werden, mag für das Knaben- und Jünglingsalter der Kulturmenschheit eine berechtigte Erziehungsmethode gewesen sein, im religiösen Leben des modernen sittlichen Menschen haben solche Strafen,wie p. (21) bereits angedeutet, ihre Roüe ausgespielt. Nicht nur als Wunderwirkungen Gottes — von den bürgerlichen Strafen darf ich nach dem Vorhergehenden hier absehen —, sondern auch in der Form des Kausalitatsgesetzes. Für den modernen Menschen ist dieses ein Naturgesetz; und wenn ihm auch Falie vorkommen, in denen es mit den sittlichen Forderungen übereinzustimmen scheint, so werden sie doch weit aufgewogen durch die anderen, in denen es mit suveraner Gleichgültigkeit an der Ethik vorbeigeht. GewiB wird der moderne Mensch, wenn er zugleich religiös ist, in glaubiger Gesinnung auch das Kausalitatsgesetz dem göttlichen Liebeszweck unterordnen. Aber wenn er auch das Unglück eines zweifeüos sittlich Hochstehenden als göttüches Erziehungsmittel zu würdigen vermag, den Erfolgen des offenbaren Schuftes gegenüber, muB er seine Unwissenheit bekennen, es sei denn, daB er, Gott  117 die Herabwürdigung eines Menschen zum Mittel zuschreibend, jene Erfolge nach der erziehlichen Wirkung beurteilte, die sie möghcherweise für andere haben konnten. Durch die Straffurcht als solche zu wirken, dazu sind die Vorstellungen von den auBeren natürlichen Folgen des sittlichen Verhaltens in keinem Falie geeignet, ebensowenig für den Glaubigen, auch wenn er in ihnen Erziehungsmittel des göttlichen Liebeswillens zu erblicken vermag, wie für den Unglaubigen, der in ihnen nur die. Auswirkungen blind waltender Naturgesetze sieht. Was aber die jenseitigen Strafen angeht, so sind sie infolge der Auschaltung eines örtUchen Jenseits aus unserem Weltbilde in ein so nebelhaftes, jeder bestimmteren Vorstellungsart entrücktes Gebiet verwiesen, daB die Sünde, an der Furcht vor ihnen bemessen, nur noch als etwas recht Unbedeutendes erscheinen kann. Und dieser Eindruck wird durch die heute noch übliche Kirohendisciplin mehr bestatigt als korrigiert. Sie geht von der Voraussetzung aus, daB sich die Strafbarkeit der Sünden, ebenso wie diese selbst, in ein abgestuftes System bringen lasse. Damit ist der Weg angebahnt, der zur Kasuistik führt und mit ihr zu all den eine ernste Moral so stark beeintrachtigenden Umgehungsmitteln und -mittekhen, zu Ersatzleistungen, Strafmilderungen, Ablassen u. dgl. Heute, wo der weltliche Arm der Kirche nicht mehr zur Verfügung steht, wo man den furchtbaren Ernst der Fegefeuer- und Höllenstrafen nicht mehr schon im Diesseits am eigenen Leibe vorempfinden kann, wirkt die Ausübung der kirchlichen Disciplin eher abschwachend als verstarkend ein auf die Furcht vor dem Jenseits. Von unserem Standpunkt aus können wir nur eine Strafe als unzweifelhafte Folge der Sünde gelten lassen ; das ist die Trennung von Gott und damit der Verlust der göttlichen Kraft, deren wir uns bewuBt waren, so lange wir die Herrschaft ausübten über unsere Natur.  118 Diese Strafe ist deshalb unausbleiblich, weü sie im Wesen der Sünde selbst begründet ist, und sie ist deshalb rein sittlicher Art, weü sie nur den inneren Menschen trifft und auch diesen nur dann, wenn er über den untersittlichen Natur zustand bereits hinaus ist. Diese nach unserer Anschauung aüein mit Sic her heit zu erwartende und aüein sittüch wirksame Strafe der Sünde, kann sich aber auch nur in religiösen Seelen betatigen, religiös im engsten Sinne genommen. Nur solche Menschen, die sich mit Gott im Vertrauen auf seine Liebe vereinigt wuBten, können die EinbuBe, die sie durch die Sünde erleiden, voü und ganz ermessen. Bei ihnen steüt sich die ImmanenzvorsteUung nur ein als Ausdruck für das denkbar innigste Gottesgefühl. Dieses aber ist grundlegend für den unverwüstlichen Lebens-' optimismus, der diejenigen hebt und tragt, die sich seiner erfreuen. Soüten sie nicht den Gottesverlust als das schwerste Unglück empfinden, das sie treffen kann ? Das Strafbarkeitsgefühl, das das Schuldbewulitsein begleitet, ist für den religiösen Menschen durchaus hein blofies, leeres Gefühl. Es ist nicht weniger real begründet als das des mittelalterlichen Menschen, der die Jenseitsstrafen bereits in diesem Leben vorwegnahm. Und wenn Luther so empfand, so beweist das, daB auch er der Frömmigkeit des Mittelalters entwachsen war. Nach aüedem nimmt bei unserer Auffassung sowohl das Strafbarkeits- wie das Schuldgefühl im SündenbewuBtsein seine gesicherte und wirksame Stelle ein, sicherer und wirksamer, als es da heute der EaU sein kann, wo die Sünde als VerstoB gegen die Gesetze eines transcendenten Gottes beurteüt wird. An der Liebe des in unserem eigenen Inneren sich bekundenden Gottes gemessen, kann das Schuldgefühl weder durch die Pflicht der Selbstbehauptung noch durch den Entwicklungsgedanken bedroht werden, und die Strafe ist so unmittelbar mit dem BewuBtsein der Sünde selbst gegeben, daB der  119 Schuldige sich ihr durch keinerlei Ausflüchte entziehen kann. Beide sind aber um so kraftiger wirksam, je scharfer sie diejenige Stelle in unserem Inneren treffen, von der aus allein Zweck und Wert unseres Lebens bestimmt wird. Als Naturwesen, ohne Gottesgefühl, können wir uns nur als Glieder einer durch den Zufall gebildeten, vom blinden Causalgesetz zusammengehaltenen und zwecklos ablaufenden Kette von Erscheinungen erachten. Nur die Bindung unseres Ich an ein zwecksetzendes höchstes Wesen gibt uns die GewiBheit, daB auch dieses Ich nicht zwecklos ist. Und nun ist es gerade dieses uns über alles wertvolle Band, das durch das Schuld- und Strafbarkeitsgefühl gelost wird! Erinnern wir uns ferner noch daran, wie umfassend gegenüber der gesetzlichen Auffassung von der unseren aus uns der Kreis erschien, in dem sich das so durch Schuld und Strafgefühl gekraftigte SündenbewuBtsein betatigen kann, und wie es innerhalb dieses Kreises keinen noch so entlegenen Punkt gibt, den es nicht zu erreichen vermochte, denken wir endlich daran, wie es, als Gesinnung wirkend und bis in den Kern unserer natürÜchen Gesinnung eindringend, uns dazu befahigen kann, daB wir neue, der Natur überlegene Menschen werden: dann werden wir uns davon überzeugen, daB -der von uns der Sünde zugewiesene Platz, weit davon entjernt, das SündenbewufStsein zu schwachen, ihm vielmehr erst die Möglichkeit gewahrt, sich in seiner ganzen Kraft zu betatigen. Aber ein für unser Hauptergebnis vielleicht ver- hangnisvolles Nebenergebnis müBten wir mit übernehmen. Jene tief- und weitreichenden Wirkungen übt das von der Liebe Gottes und nicht vom Gesetz bestimmte SündenbewuBtsein nur aus bei Peraönlichkeiten von ;selbstandiger und verinnerlichter Religiositat. Die gro-Ben Massen auch der Christglaubigen und mit ihnen die christlichen Gemeinschaften samt allen, die zu ihnen ge-  120 horen wollen, bedürfen nach wie vor und auf unabsehbare Zeiten hinaus des ausdrückhch vorgeschriebenen und das sittliche Leben auBerlich ordnenden Gesetzes, Also doch, im Princip, eine doppelte Moral %  C. SCHLUSS. Rückbiick auf die Torganger und Ausblick. Wir eind nicht die ersten, die den Versuch wagen mit der Lehre von einer gesetzesfreien Moral. Wir waren aber auch nicht die ersten, bei denen dieser Versuch hinauslauft auf eine doppelte Moral. Hatten wir es in dieser Abhandlung nicht weiter gebracht als unsere Vorganger, dann hatten wir besser getan, sie ungeschrieben zu lassen. Ein kurzer Rückbiick soll zeigen, an welchen Punkten wir über den bisherigen „Antinomismus" hinausgelangt sind; zu ihnen gehort auch der der doppelten MoraL DaB wir im Verfolg unserer Aufgabe, für die ihres alten Platzes verlustige Sünde einen anderen aufzufinden, schlieBlich mit dem „Antinomisten" Agricola und seinen Gesinnungsgenossen, Ritschl und Herrmann eingerechnet, zusammentrafen, können wir natürhch nicht in Abrede stellen. Wir fühlen uns dazu aber auch gar nicht veranlaBt. Denn dieses Zusammentreffen gibt uns die GewiBheit, daB wir, trotz aller vom modernen Leben ausgehenden und in verschiedenen Richtungen wirksamen Antriebe, die Bezièhung zur Reformation nicht verloren haben. Nicht darauf kam es uns an, einen durchaus neuen Gedanken in die Welt zu setzen, sondern unser Absehen war vielmehr, an die Vergangenheit anzuschlieBen und von hier aus die von der Gegenwart  122 und Zukunft geforderte Wegrichtung anzugeben. Der Platz, den wir in Uebereinstimmung mit früheren Antinomisten —- richtiger statt des Lutherschen Scheltworts ware Anomisten — der Sünde zugewiesen haben, liegt unseres Erachtens durchaus in der vom reformatorischen Impuls ausgehenden Richtung des religiösen Empfindens. In diesem Hauptpunkte sind Ritschl und Herrmann gegenüber Lipsius (vgl. Jahrb. f. prot. Theol. 1892) entschieden im Recht, mag auch Luther selbst sich nur früh und nur ausnahmsweise deutUch im Sinne der erst spater formulierten Agricola'schen BuBlehre ausgesprochen haben. MüBten die unter dem EinfluB des reformatorischen EvangeUums aufgewachsenen Christen, um wirklich Christen zu werden, nach wie vor normalerweise dieselben Erfahrungen am Gesetze durchmachen, die einst der Reformator gemacht hat, dann ware ja die bisherige Verkündigung dieses EvangeUums umsonst gewesen. Einmal muB denn doch die Zeit gekommen sein, wo die evangelische Gesinnung in der christlichen Gemeinschaft so herrschend geworden ist, daB innerhalb ihrer die jungen, im Glauben an den sündenvergebenden Gott des EvangeUums erzogenen Christen der durch das Gesetz des strafenden Gottes bei den „impii" bewirkten „concussiones conscientiae" nicht mehr bedürfen, d.h. objektiv ausgedrückt, wo der Gegensatz zwischen dem zürnenden und dem gnadigen Gott zugunsten eines wirkUchen, auch inhaltUch erreichten Monotheismus überwunden ist. Scheiden wir also in dieser Abhandlung die Furcht vor dem Gesetze Gottes aus der spezifisch christlichen Moral aus, so dürfen wir überzeugt sein, mit dieser Anschauung, wenn nicht auf die durchgangige Stimmung der Reformatoren, so doch auf die von der Reformation ausgehende Linie des reUgiösen Empfindens zu treffen. Nun müssen wir aber auch zeigen, ob und in wie weit wir über den von unseren Vorgangern erreichten  123 Punkt von unserem Standort aus hinauskommen können. Mit ihren auf dem Boden der Theologie gewachsenen Idealen können sich die unseren schon deshalb nicht decken, weü wir die Vorstellungen der Sünde, Gottes, des göttlichen Gesetzes vom Standpunkt einer modern religiösen, auch durch Profanschriftsteüer und Dichter vertretenen Auffassung betrachtet und beurteüt haben. Ihrer ins Metaphysische hineinragenden Vorsteüung eines transscendenten objeMiv-wirkiichen Gottes entspricht die historische eines in der Geschichte und insbesondere in dem Worte der heiligen Schrift ein für aüemal kundgetanen göttlichen Wülens, und in dem VerstoB gegen diesen Wülen sehen sie folgerichtigerweise die Sünde. Bei unserem Weltbüde können wir in dem transscendenten Gott nur mehr unsere subjektive Vorsteüung erblicken. Für uns ist die Vorsteüung der Immanenz die zunachst gegebene; denn grundlegend für aüe unsere Gottesvorsteüungen ist das GottesbewuBtsein in unserem eigenen Inneren. Dadürch aber geht für uns die Vorstellung eines aügemeingültigen, auch uns verpfüchtenden Gesetzes, das ein uns fremder Gott zu irgend einer Zeit offenbart haben soü, ihres inneren Haltes verlustig. Geradezu unmöglich gemacht wird sie uns durch die biblische Kritik und die völkergescWchtüche Forschung der Gegenwart. Jene hat den Begriff einer „heiligen" Schrift aufgelöst und diese den der „lex aeterna." Gibt es aber kein aügemein verpflichtendes göttüches Gesetz, dann wird auch die „Sünde", als Ungehorsam gegen ein solches Gesetz aufgefaBt, unmöglich. Der Ausgangspunkt für jene war die Frage, welche Steüung die Sünde innerhalb des religiösen Lebens einnehme; wir müBten zuerst die Frage erörtern, ob es überhaupt so etwas wie Sünde gibt; dann erst, nach dem diese Frage bejaht war, konnten wir einen Platz aufsuchen, an dem sie Existenzrecht hatte. Erreichten wir nun, von der so gesteüten Frage ausgehend, denselben Platz, den auch  124 unsere Vorganger für sie beansprucht hatten, so erhielt derselbe doch für uns eine ganz andere Bedeutung: er war der einzige, den auf Grund unserer Anschauungen und unseres Ausgangspunkts die Sünde besetzen konnte ; zugleich bot er uns den Ausblick auf ein anderes Ideal. Für jene eröffnete er nur den Weg, auf dem sie dem durch das Gesetz ausgeübten moralischen oder religiösen Druck sich entziehen konnten, wir hingegen sehen von ihm aus das positive Ziel einer vom Gesetz gar nicht mehr beeinflufiten, aber in der Religion um so fester verankerten und von ihr aus den ganzen Menschen durchdringenden moralischen Gesinnung. Den „usus politicus" des Gesetzes mag man Moral nennen, wenn man das Wort in seinem ursprünglichen Sinn verwendet. Das haben auch wir getan, als wir oben jede Gesetzesmoraï als Naturmoral bezeichneten; für die den sittlichen Charakter der Persönlichkeit bildende Gesinnung haben wir leider noch keinen eindeutigen Ausdruck — „Ethos" und „Sittlichkeit" gehen ja ebenfalls auf die „Sitte" zurück. In dem Sinne, in dem wir anderwarts in unserer Abhandlung uns jenes Wortes bedient haben, ist Naturmoral noch gar keine „Moral." Diese beginnt erst da wo eine übernatürliche, eine göttliche Kraft in uns wirksam wird. Eine neben ihr sich betatigende religionslose Moral ist nach unserem Urteil nichts als Utilitarismus, und dieser wird uns zur Sünde, sobald er irgendwie als Motiv der Selbstsucht die durch die göttliche Liebe geheiligte Gesinnung entweiht. Der Platz, den wir der Sünde angewiesen haben ist umschlossen vom Bereich der göttlichen Liebe, und darum ist seine Bedeutung auch nicht beschrankt auf die Einschatzung der Sünde selbst. An dem weiten Horizont, der von ihm aus sich vor uns auftut, steigen die einem groBen Teil der modernen Menschheit entschwundenen Idealgestalten der Religion und Moral in neuer Beleuchtung wieder empor.  VERHANDELINGEN UITGEGEVEN DOOR TEYLER'S GODGELEERD GENOOTSCHAP EERSTE DEEL. Prijs / 2.50. Verhandeling over het onderscheidende kenmerk der Christelijke Openbaring en derzelver verband met de natuurlijke en Joodsche Godsdienst, door daniel hovens. - Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door geruit hesselink. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door petbus loosjes. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door cornelis de vries. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door erederik vaster. TWEEDE DEEL. Prijs / 2.—. Verhandeling over Gods bijzondere voorzienigheid, door erederik de castillon. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door josephtts pap de eagaras. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door jan van gelse.  126 Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door eenen ongenoemde. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door jacob kuiper. DERDE DEEL. Prijs / 1.50. Verhandeling over '« Menschen zedelijke vrijheid, door josephtts pap de fagaras. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door archibald maclaine. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door eenen ongenoemde. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door kornelis van den bosch. VIERDE DEEL. Prijs / 4.—. Verhandeling over de gevoelens der oude Wijsgeeren wegensden staat der zielen na dit leven, door daniel wijttenbach. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door jeronimo de bosch. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door eenen ongenoemde. VIJFDE DEEL. Prijs / 1.25. Verhandeling over den staat der Christenheid bij de opkomst van Mohammed, door michael pap szathmari. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door jeronimo de bosch. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door p. a. c. hu- genholtz. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door valentenusslothouwer. ZESDE DEEL. Prijs / 1.90. Verhandeling over de onderlinge verwantschap van de ware  127 Wijsbegeerte met de Christelijke Openbaring, door caesar morgan. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door j. e. lentz. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door pieter verstap Je. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door laurenttnus meyer. ZEVENDE DEEL. Prijs / 1.80. Verhandeling over de dwaasheid der twijfelarij, de ongerijmdheid van het meesterachtig beslissen en den middenweg tusschen beiden, door w. l. brown. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door g. hesselink. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door j. van voorst. ACHTSTE DEEL. Prijs / 1.25. Verhandeling over het onredelijke der onverschilligheid omtrent godsdienstige waarheden en het verstandig ijverennaar waarheid, door jan kops jacobsz. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door hendrik van voorst. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door w. l. brown. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door jacob kuiper. NEGENDE DEEL. Prijs / 2.40. Verhandeling over de voortreffelijkheid der burgerlijke wetgeving van Mozes boven die van Lycurgus en Solon, door Me. hieronymus van alphen. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door eenen ongenoemde. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door Hendrik van voorst. TIENDE DEEL. Prijs / 1.—. Verhandeling over de onstoffelijkheid der ziel en de daaruit  128 af te leiden gevolgen ten opzichte van hare during, gewaarwording en werking na den dood des lichaams, door allard hulshofe. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door jac.rochussen. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door eenen ongenoemde. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door Hendrik van voorst. ELFDE DEEL. Prijs / 2.65. Verhandeling tot verklaring en betoog van den grondregel der Protestanten, dat ieder Christen, zijn verstand machtig, geregtigd en naar vermogen verpligt is, om in zaken van de Godsdienst voor zich zeiven te oordeelen, door paulus van hemert. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door jacob kuiper. Verlmndeling over hetzelfde onderwerp, door wiltetus bernardus jelgersma. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door wdllem de vos. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door petrus weiland. TWAALFDE DEEL. Prijs /2.15. Verhandeling over de vraag, of en in hoeverre Jezus en zijne Apostelen zich in prediking en geschriften naar de toen heerschende volksbegrippen hebben geschikt, en hoe dit denkbeeld, welbegrepen, dienen kan ter verklaring des Nieuwen Verbonds, door paulus van hemert. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door wtllem de vos. DERTIENDE DEEL. Prijs / 2.—. Verhandeling over de gelijkheid der menschen en de regten en pligten daaruit voortvloeiende, door mr.hendrik oon- stantijn gras. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door w. l. brown.  12'9 VEERTIENDE DEEL. Prijs / 1.50. Verhandeling over de vraag, of Gode hartstochten (of aandoeningen) zijn toe te schrijven, en hoe de werking van deze dan met de gelukzaligheid zijn overeen te brengen, door wiltetxjs bernardus jelgersma. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door allardhuls- hoee. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door paulus van hemert. VIJFTIENDE DEEL. Prijs / 2.—. Verhandeling over de genoegzaamheid van het inwendige bewijs, afgeleid uit de Gode betamelijkheid of heilrijke strekking der Christelijke leer ter overtuiging van hare goddelijkheid, door cornelius rogge. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door jan brouwer. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door allard huls- hoee. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door willem de vos. ZESTIENDE DEEL. Prijs / 1.10. Verhandeling over de vraag, of de mensch door zijne eigene rede alleen, zonder behulp van eenig onmiddellijk goddelijk onderwijs, tot de regte kennis van God en goddelijke zaken zou hebben kunnen komen, door jan brouwer. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door willem brutn. ZEVENTIENDE DEEL. Prijs /1.90. Verhandeling over de vraag, of en hoedanig het burgerlijk bestuur eenigen invloed mag uitoefenen op zaken van Godsdienst, door b. van rees. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door gerrit hes- selink. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door mb. rhun- vis eeith. 9  130 Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door cornelius rogoe. ACHTTIENDE DEEL. Prijs /2.10. Verhandeling over de vraag, of eigenliefde het eenige beginsel is in den mensch, door jan brouwer. Vérhandeling over hetzelfde onderwerp, door willem bruin. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door sature. NEGENTIENDE DEEL. (Uitverkocht.) Verhandeling, waarin de ware oorsprong der Mozaïsche en Christelijke Godsdiensten wordt onderzocht en verdedigd tegen derzelver bestrijders Dupuis en Vólney, door j. f. van beeck oalkoen. TWINTIGSTE DEEL. Prijs / 3.—. Verhandeling over de noodzakelijkheid van godsdienstige begrippen en praktijken ter bevordering van deugd en goede zeden, door mr. rhjjnvis feith. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door jan brouwer. EEN-EN-TWTNTIGSTE DEEL. (Uitverkocht.) Verhandeling over de zoenoffers des Ouden Verbonds en den dood van Christus met dezelve vergeleken, door rinse koopmans. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door eenen ongenoemde. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door gerbrand bruining. TWEE-EN-TWTNTIGSTE DEEL. (Uitverkocht.) Verhandeling over het nut der zendelingen en zendelinggenootschappen, door jacob haafner.  131 DRIE-EN-TWTNTIGSTE DEEL. Prijs / 2.80. Verhandeling over de uitbreiding des Ghristendoms, door j. W. statitjs mxjllbb. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door n. o. van KAMPEN. VIER-EN-TWINTIGSTE DEEL. Prijs / 2.20. Verhandeling over de deugd en het geluk der oude, meest beschaafde natiën, vergeleken met die der volken van den tegenwoordigen tijd, door N. o. van kampen. VIJP-EN-TWINTIGSTE DEEL. (Uitverkocht.) Verhandeling over het gewicht en de kracht der bewijzen voor eene mythische verklaring der Heilige Schriften, door JOHANNES HENBIOXTS PABEATT. ZES-EN-TWINTIGSTE DEEL. (Uitverkocht.) Verhandeling over het gevoelen van J. A. Eberhard wegens den oorsprong van den Christelijken Godsdienst, door ELIAS ANNES BORGEB. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door wessel alBEBTTjS van hengel. ZEVEN-EN-TWINTIGSTE DEEL. Prijs /1.80. Verhandeling over den invloed der karakters en denkwijze der Evangelisten en Apostelen op hunne schriften, door WESSEL ALBEBTtTS VAN HENGEL. ACHT-EN-TWLNTIGSTE DEEL. (Uitverkocht.) Verhandeling over den invloed der staatkundige gebeurtenissen en der godsdienstige en wijsgeerige begrippen, sedert ruim vijf-en-twintig jaren op de ware verlichting in het godsdienstige en zedelijke van de vólken in Europa, door m». j. m. kempeb.  132 NEGEN-EN-TWLNTIGSTE DEEL. (Uitverkocht.) Verhandeling over het Mysticisme, door blias annes boegeb. DERTIGSTE DEEL. Prijs ƒ4.—. Verhandeling over de Christelijke Kerk oj> aarde, vólgens het onderwijs van Jezus en de Apostelen en de Geschiedenis, door n. c. kist. EEN-EN-DERTIGSTE DEEL. Prijs / 2.50. Verhandeling over het beginsel der Kerkhervorming in de Zestiende eeuw, door l. weydmann. Verhandeling over hetzelfde onderwerp, door m. schaap geatama. TWEE-EN-DERTIGSTE DEEL. (Uitverkocht.) Verhandeling over het 'eigenlijke wezen des Christendoms, door p. van deb willigen. DRIE-EN-DERTIGSTE DEEL. Prijs / 5.—. Verhandeling over de Kerkelijke Overlevering, door j. m. stufeken. VIER EN DERTIGSTE DEEL. Prijs / 4.80. Verhandeling over den tegenwoordigen stand der Tekstkritiek van het Nieuwe Verbond, door j. i. doedes. VIJF-EN-DERTIGSTE DEEL. (Uitverkocht.) Ueber das apostolische und nachapostolische ZeitaÜer, door g. v. lechbb. ZES-EN-DERTIGSTE DEEL. (Uitverkocht.) Proeve eener Pragmathische geschiedenis der Theologie hier te lande, sedert het laatst der vorige eeuw tot op onzen tijd, door chb. sepp.  133 NIEUWE SERIE. EERSTE DEEL, le Stuk. Prijs / 4.—. Ferdinand Christian Baur. Volledig en critisch Overzicht van zijne werkzaamheid op Theologisch gebied, door w. scheeeer. EERSTE DEEL, 2e Stuk. Prijs / 4.—. Ferdinand Christian Baur. Volledig en critisch Overzicht van zijne werkzaamheid op Theologisch gebied, door s. p. heringa. TWEEDE DEEL. Prijs / 2.50. Moral und Religion nach ihrem gegenseitigen Verhdltniss geschichtlich und philosophisch erörtert, von otto pplei- derer. DERDE DEEL, le Stuk. (Uitverkocht.) Die christliche Gemeindeverfassung im Zeitalter des neuen Testaments, von wtlltbald beyschlag. DERDE DEEL, 2e Stuk. Prijs / 3.75. De inrichting der Christelijke Gemeenten, vóór het ontstaan der Katholieke Kerk, door j. h. maronier. VIERDE DEEL. Prijs / 1.—. Welchen Werth hat die Statistik der sittlichen Thatsachen für die sittlichen Wissenschaften, von dk. w. hollenberg. VIJFDE DEEL. (Uitverkocht.) Die Israelitischen Eigennamen nach ihrer Religionsgeschichtlichen Bedeutung. Ein versuch von dr. e. nestle.  134 ZESDE DEEL. (Uitverkocht.) Die Anlage des Menschen zur Religion, vom gegenwartigen Standpunkte der Völkerkunde aus, von jtjlitjs happel. ZEVENDE DEEL. (Uitverkocht.) Geschichte der Christlichen Sittenlehre in der Zeit des neuen Testaments, von a. thoma. ACHTSTE DEEL. Prijs / 1.—. Die Sociale Gezetsgebung und die ChrisÜiche Ethik, von de. w. hollenbebg. NEGENDE DEEL, le Stuk. Prijs / 2.—. Conjecturaal-kritiek, toegepast op den tekst van de Schriften des Nieuwen Testaments, door de. w. c. van manen. NEGENDE DEEL. 2e Stuk. Prijs / 2.—. Over de toepassing van de Conjecturaal-critiek op den tekst des Nieuwen Testaments, door db. w. h. van de sande bakhtjyzen. TIENDE DEEL. le Stuk. Prijs / 1.50. Der Pessimismus und die Sittenlehre, von hugo sommeb. TIENDE DEEL. 2e Stuk. Prijs / 1.50. Der Pessimismus und die Sittenlehre, von patjl chbist. ELFDE DEEL. le Stuk. Prijs / 2.50. Melchior Hofmann, door w. i. leendebtz. ELFDE DEEL. 2e Stuk. Prijs / 2.50. Melchior Hofmann, ein Prophet der Wiedertaufer, von fbiedbich otto zttb linden.  135 TWAALFDE DEEL. Prijs / 2.50. Die chronologische Reihenfólge in welcher die Briefe des Neuen Testaments verfasst sind, von wilhelm brückner. DERTIENDE DEEL. Prijs / 2.50. Die Bedeutung und das Recht der Individualitaet auf sittlichem Gebiet, von h. drescher. VEERTIENDE DEEL. Prijs / 1.50. Die Offenbarung des Johannes untersucht nach ihrer Zusammensetzung und der Zeit ihrer Entstéhung, von chr. rattch. VIJFTIENDE DEEL. Prijs / 3.—. De Rijnsburger GoUegianten, door j. c. van slee. ZESTIENDE DEEL. (Uitverkocht.) über den Einfluss des Parsismus auf das Judentum, von erik stave. ZEVENTIENDE DEEL. Prijs / 6.—. Geschiedenis van het Lutheranisme in de Nederlanden tot 1618, door de. j. w. pont. ACHTTIENDE DEEL. Prijs / 3.50. De geschiedenis van het Socinianisme in de Nederlanden, door j. o. van slee. ïiy-.'11 NEGENTIENDE DEEL. Prijs / 2.25. Die Psychologie des Gebets unter der LebensgestaUung der Gegenwart, von h. wirz. TWINTIGSTE DEEL. Prijs / 1.60. Characterisierung und Beurteilung des römisch-hatholischen Moralsystems, insbesondere der ürteüsbildung im Probalis-  136 mus, und seine wesenüiche Verbindung mit dem römisch kathólischen Glaubenssystem, von b. fischer. EEN-EN-TWLNTIGSTE DEEL. Über den Platz der Sünde im religiösen Leben der Men schen nach moderner Auffassung, von fritz ziller.