AFRIKANISCHE ORNAMENTIK (Beitrage zur Erforschung der primitiven Ornamentik und zur Gesehiehte der Forsehung). Mit 11 Tafeln. MARTIN HEYDRICH. Zugleieh aueh als Dissertation der Universitat, Leipzig, ersehienen. Supplement zu Band XXII von „Internationales Arehiv für Ethnographie". BÜCHHANDLÜNG UND DRUCKEREI vormals E. J. BRILL, LEIDEN 1914 INHALTSVERZEICHNIS. Seite 1. Geschiohte der Obnamentforschung 1 II. Wesen der Ornamentik 31 Verschiedene Bedeutung des Wortes 31 Definition 32 Gestaltungsprinzipien 33 III. Arten des Ornaments 37 Das Ornament hervorgegangen aus: a) Spiel 37 b) technischer Fertigkeit 38 c) Naturnachbildungen . . . /? 39 IV. Ornament und Technik 47 a) der menschliche Körper 47 b) Gerate 54 c) Architektur 62 V. ausseraesthetische motive der primitiven ornamentik 65 o) religiöse Motive 65 6) sexuelle Motive 67 c) Motive der Mitteilung 67 VI. Ornamentprovinzen in Afrika 70 Beilagen. A. Verzeichnis der Abhandlungen über Ornamentik 75 B. Literaturnachweis u. s. w 81 C. Verzeichnis der Abbildungen 82 VORWORT. Vorliegende Studie ist eine Überarbeitung der Preisarbeit der philosophischen Fakultat der Universitat Leipzig: „Die Ornamentik in der Kunst der Naturvölker". Ein langeres einleitendes Kapitel sucht die bisherigen Ergebnisse der Forschung chronologisch festzulegen und die weit verstreute Ldteratur möghchst zu sammeln. Eine irgendwie erschöpfende Darstellung der primitiven Ornamentik ist heute noch nicht mögUch, da die vorhandenen Arbeiten bei weitem nicht ausreichen. Die Hauptaufgabe der Arbeit besteht in einer Untersuchung der afrikanischen Zierkunst; an ihr soll zugleich Leben und Wesen der primitiven Ornamentik überhaupt dargelegt werden. Afrika scheint wegen seiner Geschlossenheit hierzu besonders geeignet zu sein; zudem ist es ein Gebiet, dessen „spröde" Ornamentik bisher von der Forschung nur wenig berücksichtigt worden ist. Als Anhang will der kurze, gedrangte Abschnitt über afrikanische Ornamentgruppen gelten. Es ware übereilt, schon heute bei den noch mangelhaften und sporadischen Kenntnissen des afrikanischen Kunstgewerbes eine „Kunstgeschichte" des dimklen Erdteils schreiben zu wollen. Benutzt wurden zur vorliegenden Studie die Sammlungen des Museums für Völkerkunde zu Leipzig, die durch die Sammlungen der Berliner, Dresdener und Hamburger Museen, — soweit sie nicht verpackt waren, — erganzt wurden. Von der benützten, ausserst umfangreichen Afrika-Literatur, die nur sehr sparliche, weit verstreute Nachrichten über Ornamentik enthalt, sind nur die hauptsachlichsten Bücher genannt worden, auf die im Text unmittelbar Bezug genommen ist. Die Abhandlungen hingegen, die sich ausschliesslich mit der primitiven Ornamentik befassen, sind möglichst vollzahlig aufgeführt. Die Bilder sind, abgesehen von einigen Museumsaumahmen, zum grössten Teil vom Verfasser selbst.oder auf dessen Anordnung hin angefertigt worden. Abb. 112—130 sind, mit besonderer Erlaubnis des Verfassers, der Arbeit von Herrn Dr. P. Gebmann: Das plastischfigürliche Kunstgewerbe im Grasland von Kamerun entnommen. Abb. 69—71 entstammen dem. Jahrbuch V des Museums für Völkerkunde Leipzig 1913. Für die vielseitigen Anregungen wie für die reiche Unterstützung der Museen bin ich vielen zu Dank verpflichtet. Den grössten Dank schulde ich jedoch Herrn Trof. Weule, der mich in Universitat und Museum jederzeit mit Rat und Tat unterstützt hat. ABKÜRZUNGEN. A. A. = American Anthropologist. A. Ant. == American Antiquarian. A. f. A. = Archiv für Anthropologie. (Braunschweig). Berlin Ak. = Bericht der Akademie der Wissenschaften. Berlin. Berlin Veröff. = Veröffentlichung aus dem Kgl. Museum für Völkerkunde. Berlin. C. BI. = Correspondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und ürgeschichte. Dresden Abhdl. = Abhandlungen und Berichte des Kgl. Zoolog. und anthropologisch-ethnographischen Museums zu Dresden. Dresden Publ. — Publikationen aus dem Kgl. ethnographischen Museum zu Dresden. E. N. BI. = Ethnologisches Notizblatt. Berlin. I. A. E. = Internationales Archyf f. Ethnographie. Leiden. J. A. I. = Journal of the Royal Anthropological Institute. Lamprecht Beitrage. = Beitrage zur Kultui-- und Universalgeschichte. Herausgeg. von Karl Lamprecht. M. A. M. = Mémoirs of the American Museum of the Natural History. Buil. A. M. =b Bulletin of the American Museum of the Natural History. M. a. d. Sch. = Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten. Phil. Sachs. Ak. Wiss. = Philologisch-historische Klasse der Kgl. Sachsischen Akademie der Wissenschaften. Sm. A. R. = Smithsonian Institution. Annual Report of the bureau of American Ethnology. Sm. I. Buil. = Smithsonian Institution. Bulletin of the bureau of American Ethnology. Wien. Anth. Mitt. = Mitteilungen der Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und ürgeschichte. Wien. Wien. Annal. k. k. Mus. = Annalen des k. k. naturhistorischen Hof-Museums. Wien. Z. Ae. K. = Zeitschrift für Aesthetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Z. a. Ps. = Zeitschrift für angewandte Psychologie. Z. E. = Zeitschrift für Ethnologie. Berlin. (1) bedeutet Literaturnachweis. (S. 81). Abb. 1. = Abbildung 1 zur gesonderten Bilderbeilage. L. M. Af. und L. S. Af. = Signaturen des Leipziger Museums. Dr. = Signaturen des Dresdener Museums. I. KAPITEL. Geschichte deb Obnamentfobschung bei den Nattjbvölkebn. Die Erforschung der Ornamente primitiver Völker reicht in ihren Anfangen nicht weit zurück. Wie bei jeder jungen Wissenschaft finden wir auch in der Geschichte der primitiven Kunst am Beginn der Forschung eine spekulativ-theoretische Periode. Namentlich die Vertreter der historischen Disziplinen sind Trager dieser Theorien. Abgesehen von gelegenthchen Bemerkungen, wie sie etwa bei Herder oder bei Forschungsreisenden wie A. von Humboldt, Cook, Lichtenstein u.a. zu finden sind, stellt zuerst der Leipziger Gelehrte Gustav Klemm (1) rein deduktiv eine vollstandige Entwicklung der Zierkunst auf. Die Anfange der Kunst, so führt er im ersten, 1843 erschienenen Bande seiner „Allgemeinen Kultm-geschichte der Menschheit" aus, „liegen in dem Trieb des Menschen das, was in ihm vorgeht, was ihm erscheint, nach aussen darzustellen und mit diesen Darstellungen seine Umgebung zu schmücken". „Die ersten Kunsttriebe wird der Mensch immer auf seine eigenè Person anwenden, dann aber wendet er sie auch auf seine Gerate, Waffen, Fahrzeuge, Wohnungen an". Je genauer der Mensch seine Umgebung kennen lernt, um so regelmassiger und besser stellt er seine Gerate her. „Weitergehend versucht er dann Figuren in das Holz einzuschneideh und allerhand. regelmassige Figuren, besonders aber geradünige, wie Dreiecke, Vierecke, Zickzacke zu bilden, wobei vorzugsweise die Blattrippen nachgeahmt werden". „Auf die Einschnitte folgen erhaben gebildete Ornamente, deren Ausarbeitung bereits grösseres Nachdenken und grössere Kunstfertigkeit voraussetzt". Auch die Prahistoriker beschaftigen sich, angeregt durch die Ergebnisse der klassischen Archaologie, frühzeitig mit der Ornamentik. Doch kümmert man sich weniger um den asthetisch-künstlerischen Wert der Ornamente, sondern benützt diese, um eine Chronologie der Funde aufzustellen. Auf diese Weise bildet sich die typologische Methode aus, als deren Hauptvertreter nur S. Müller (32—34), Montelius (35), B. Salin (36), Hoernes (42—43) genannt seien. Innerhalb der Geschichte im engeren Sinn bringt K. Lambrecht (50—53) in seiner „Initialornamentik des VHI.—XHI. Jahrhunderts" eine ahnliche Methode zur Anwendung, die spater von seinen Schülern von Hoerschehnann (54) auf die Ornamentik chinesischer Bronzevasen der Shang- und Tshen-Dynastie angewandt und von G. Fr. Muth (55) zur vergleichenden Methode (Germanen, Chinesen) ausgebaut worden ist. Das erste Werk, das auch die ethnologische Ornamentik stark mit heranzieht, Semper. ist das Buch Gottfried Semper's: „Der Stil". Der bekannte Architekt raumt hier auch dem Studium primitiver Ornamentik einen grossen Raum ein, wahrend sonst im allgemeinen die Kunstwissenschaft der damaligen Zeit mit nur wenig Ausnahmen (3) an der Kunst l — 2 — I» Conze. Schaafl hausen. Springer- der Naturvölker vorübergeht, und der Durchschnittsleitfaden') für „vorbildliche Ornamente" mit seinem unfruchtbar abstrakten Dogmatismus kaum irgendwie fördernd gewirkt hat. Das Hauptergebnis der vergleichend-gene'tischen Studiën Sempers ist, dass die Ornamente, wie die Kunstformen im allgemeinen, durch die Technik bedingt sind, die ihrerseits wieder von Gebrauchszweck und Material abhangt. Wenn Semper daneben auch der Umwelt und der individuellen Begabung einen Einfluss zugesteht, so schreibt er diesen Faktoren doch gegenüber der Technik besonders bei den gebundenen Kunsten, also auch bei der Ornamentik einen geringeren Einfluss zu. Diese „Theorie von der technisch-materiellen Entstehung der künstlerischen Urform" will alle „geometrischen Ornamente" aus ihrer Herstellung erklaren. Die aus der einen Technik entstandenen Ornamente werden haufig in eine andere Technik übertragen. Vornehmlich sieht Semper in der Textilkunst die „Urkunst", aus der alle anderen Künste ihre Typen und Symbole entnehmen. Flachenornamentik wird gleichbedeutend mit Textilornainentik. Auf die Textilkünste folgen die keramischen. Beide fasst der Prahistoriker und Anthropologe Johannes Ranke (38/39), einer der ersten Anhanger Sempers, als die „Mutterkünste aller Ornamentik" zusammen. „Das alte stilgerechte Ornament ist der in Linien veredelte Ausdruck der primitiven Fabrikationstechnik". Dieser Satz gilt auch als Leitmotiv in den Ausführungen Ranke's über die Ornamentik in seinem Hauptwerk: „Der Mensch"; daneben können jedoch auch „regelmassig sich wiederholende Fehler der technischen Herstellung zum Ornament werden". Besonders scharf formuliert die Theorien seines Lehrers ein anderer Schüler Sempers, Alexander Conze (40/41). Aus der geometrischen Ornamentik der wenigen damals (1870) bekannten griechischen Vasen der alteren Zeit leitet er „den alteuropaischen Stil" ab, der aus der Weberei und der getriebenen Metallarbeit stamme; diese Fertigkeiten seien, wie sich sprachlich erweisen lasse, den alteuropaischen Yölkern, namentüch den indogermanischen von altersher bekannt gewesen. „Diese Ornamentik, die das ganze Kunstvermogen der alten Bewohner Europas reprasentierte, kam überall zur Anwendung, wo ein Zierrat geschaffen wurde, mochte ihn nun der Brite auf seinen nackten Leib tatowieren, mochte man ihn einweben oder flechten, mochte man ihn auf Tongefassen durch Einritzen oder durch Aufmalen anbringen, mochte man ihn in Holz schnitzen oder in Bronze oder in anderen Metallen darstellen". Spater (1897) hat Conze seine Ansichten selbst stark eingeschrankt. Neben dem Gefallen an Rhythmus und Symmetrie, die erst eigentlich den geometrischen Stil" bilden, bestehe auch „das Streben, im bildlichen Ausdruck sich so deutlich wie möglich auszusprechen", zu Recht. Auch H. Schaafhausen weist bereits 1876 in einem Vortrag über die Entwicklung des menschlichen Handwerks (16) den „Einfluss des Stoffes auf die Kunstform" nach, wobei er schon auf die Entstehung des Topfes und seiner Ornamentik aus dem mit Ton bestrichenen Korb und auf das der Flechttechnik entlehnte Bandornamentmotiv zu sprechen kommt. Der „materiellen Kunstauffassung", wie sie zuerst von ihrem Gegner Riegl genannt wird, schliesst sich neben vielen anderen auch Anton Springer in seiner Kunstgeschichte (226) an, „Das Ornament als Erzeugnis des technischen Vorganges bilde (für ihn) das erste Glied in der Entwicklungsreihe dekorativer Formen". 1) Als Beispiel dieser Art Abhandlungen (225) möge die kleine Arbeit des Zeichenlehrers W. Jost: „Entwicklungsphasen der geometrisch-ornamentalen Urtypen im Vergleich mit der jetzigen Verzierungskunst der Bewohner des Südsee-Archipels" genannt sein. Als Norm samtlicher auch der einfachsten Ornamente scheinen die altklassischen Muster zu dienen. — 3 — Diesen einseitigen Erklarungsversuchen des Ornaments aus der Technik ist von zwei Seiten entgegengetreten worden, einmal bewusst von der Kunstwissenschaft und zum andern unbewusst von der Ethnologie. Wahrend Riegl (227) und spater Schmarsow (25) theoretisch gegen die „materialistische Kunsterklarung" zu Felde ziehen, suchen die Ethnographen, indem sie zunachst dem entgegengesetzten Extrem zustreben, alle Ornamente als stilisierte Naturnachbildungen zu deuten. Die Ethnologie, die sich erst spat von ihren viel alteren Schwesteiwissenschaften emanzipiert und Spuren selbstandigen Lebens zeigt, beschaftigt sich nachhaltig erst seit wenigen Jahrzehnten mit so wichtigen Aeusserungen der Kultur wie der Kunst. Es dauert geraume Zeit, bis die alten Kuriositatensammlungen in wissenschaftlich geordnete Museen umgewandelt und an den grosseren Orten wissenschaftliche Fachvereine gegründet werden. Die fahigen Köpfe, die der neuen Wissenschaft ihre volle Kraft widmen, ein Waitz, Bastian, Lubbock, Tylor, Batzei, meist in den 20er und 30er Jahren des Jahrhunderts geboren, haben in den ersten Jahren und Jahrzehnten zu viel und zu grobe Arbeit zu leisten, um in die Tiefe dringen zu können. Die Forschung wird zunachst noch durchaus extensiv betrieben. Ja, man spricht in „dieser Zeit der heiligen Klassizitat" (213) etwas verachtlich „von Kleinigkeiten" wie Ornamentik u. dergl. Die zweite Generation der ethnologischen Forscher zeigt hingegen ein sehr reges Interesse, das mit dem Beginn der 90er Jahre einsetzt, wenn auch schon in den 70 und 80er Jahren verschiedene, nennenswerte Ansatze zu finden sind. Im Folgenden soll nun versucht werden, den Gang der Forschung zu skizzieren. Gewicht ist dabei auf eine möglichst lückenlose Aufzahlung der bisher erschienenen Ornamentarbeiten, die zum Teil an entlegenen Orten veröffentlicht und nur schwer aufzufinaen sind, gelegt worden. Man kann natürlich in der kurzen Spanne Zeit von 20 bis 30 Jahren, seit der man von einer eigentüchen ethnologischen Ornamentforschung sprechen kann,. die Entwicklung der Theorien kaum zeitlich scharf gliedern. Um den Einfluss der" einzelnen Arbeiten aufeinander mögüchst würdigen zu können, wird die Besprechung der ersten VerÖffentlichungen, die eine allgemeine Bedeutung erlangt haben, chronologisch aufeinander folgen, wahrend spater, der anwachsenden Fülle der Arbeiten und der grosseren Differenzierung der Wissenschaft entsprechend, die Entwicklung innerhalb raumlich beschrankter Gebiete zu zeigen sein wird. Das Verdienst zum ersten Mal auf die Bedeutung und Entwicklung primitiver Ornamentik hingewiesen zu haben, gebührt zwei Englandern. Um die Prinzipien der Veranderung und Bestandigkeit in Sitten und Fertigkeiten primitiver Völker zu zeigen, zieht Lane Fox (Pitt-Rivers) (82) unter anderen Beispielen auch die Ornamentik heran. Er vermag bereits 1872 eine wahrend T Jahren zusammengebrachte Sammlung von Zierrudern aus Neu-Irland derart in eine lückenlose Reihe zu ordnen, dass das erste Glied eine konventionell dargestellte menschhche Figur und das letzte einen Halbmond darsteHt. Mosley (83) der im hawaischen Fischhakenornament a religieus emblem vermutet, weist auch schon an dem Beispiel der hawaischen und neuseelandischen Ornamentik darauf hin, dass es möglich sei aus dem Vergleich ahnlicher Ornamente verschiedener Völker Schlüsse auf die Verwandtschaft dieser Völker zu ziehen. Der eigentliche Begründer der ethnologischen Ornamentforschung ist der Schwede stolpe. Hjalmar Stolpe (228) (1841—1905), der von Haus aus Zoolöge, sich als Museumsdirektor spater auch der Archaologie und Ethnographie widmet. In den Jahren 1880/81 macht er — 4 — langere Reisen durch Europa, um Museen zu studieren und sammelt dabei über 3000 Zeichnungen, Abreibungen und ahnliches von Ornamenten. Bereits 1881 halt er in der Société des Sciences naturelles de Neuchatel einen Vortrag über die Ornamente der RarotongaInsulaner, zunachst besonders unter dem Gesichtspunkt, eine wissenschafthche Aufstellung von Museumsgegenstanden zu ennögüchen. 1890 erscheinen dann seine Ausführungen in der schwedischen Zeitschrift Ymer unter dem Titel „Utvecklings företeelser i Naturfolkens Ornamentik" (84). Diese Abhandlung, die spater auch in einer englischen und einer deutschen Uebersetzung erscheint, übt einen ungeheueren Einfluss aus, der in dem Umstand begründet ist, dass Stolpe schon die Methode, der die Forschung in den nachsten Jahren folgt, in ihren Hauptzügen klar ausbildet. Stolpe unterscheidet eine doppelte Aufgabe des Ornamentstudiums: 1. Einmal soll das Eigenartige und Charakteristische im Stil eines jeden Volkes herausgefunden werden. Hierfür ist vor allen Dingen die Beschaffung eines grossen und guten Bildermaterials erforderlich, für dessen Erwerbung Stolpe wertvolle technische Winke gibt. Um psychologische und aesthetische Betrachtung ist es ihm „jetzt im Kindheitsstadium der Ethnographie" noch wenig zu tun; das Hauptziel ist für ihn, „die falschen Herkunftsangaben vieler ethnographischer Gegenstande verbessern" zu können. Unter diesem Gesichtspunkt führt er dann eine Einteilung der polynesischen Kunst in 6 Provinzen durch. Hierbei glaubt er eine allmahliche Stilveranderung vom Westen nach dem Osten, vom éinfachen geometrischen Muster zu immer höheren Stilformen, bis zur „Bilderschrift der Osterinsel" als letztem Glied der Kette, feststellen zu können. 2. Die andere Aufgabe der Forschung ist es: Den im Ornament oft verborgenen Sinn herauszufinden. Die scheinbar ganz bedeutungslosen „geometrischen Ornamente lassen sich oft in Entwicklungsserien einreihen; sie sind Rudimente, Zwischenformen von der Natur entlehnten Vorbildern". „Die Rudimente können mehr oder weniger deutlich sein; allein überall, wo sich der Ursprung deutüch feststellen lasst, können sie meiner (Stolpes) Auffassung nach keine andere Aufgabe haben, als das Bild, welches ihnen zu Grande liegt, darzustellen und ins Gedachtnis zurückzurufen. Erst in einem sehr spaten Stadium geht ihre ursprünghche Bedeutung dermassen verloren, dass sie zu einem blossen, sinnlosen Ornament herabsinken". Mit einer grossen Anzahl von Beispielen, bei denen er sogar rein lineare Ornamente von Menschen- und Tierformen ableitet, sucht Stolpe diese Behauptung zu belegen. Ja er folgert sogar rein deduktiv, „dass die bis aufs Aeusserste^ stüisierten Entwicklungsformen des alten Urbildes eine symbolische Bedeutung gehabt haben mussen". Sie haben wahrscheinhch „eine Art mystischer Schrift gebildet", um sich die Gottheit ins Gedachtnis zu rufen". Diese weitgehenden Folgerungen Stolpes müssen wir jedoch durchaus als Hypothesen betrachten, die sich durch keinerlei Tatsachen belegen lassen. Stolpe gibt selbst zu, dass das gleiche Ornament oft verschiedenen Ursprung haben kann und dass seine tatsachliche Entstehung hauflg nur noch schwer zu bestimmen ist. In einer .spateren, leider nur schwedisch in 100 Exemplaren erschienenen Arbeit: „Studier i amerikansk ornamentik, ett bidrag till ornamentes biologi" (187) behandelt Stolpe die amerikanische Ornamentik monographisch. In der Einleitung fasst er den damaligen Stand def Forschung zusammen und bespricht die inzwischen über die Ornamentfrage erschienenen Abhandlungen. In einem kleinen Beitrag zu einer Festschrift für A. B. Meyer stellt Stolpe Material und Literatur über die Tatauierung der Osterinsulaner (85) zusammen. Einer Deutung der — 5 — 'Ornamentik, die mit den Gerateornamenten ihre Besitzer durchaus in Parallele zu setzen Jst, enthalt sich Stolpe hier. Auch anderwarts beginnt man sich jetzt mit der Ornamentfrage zu beschaftigen. Im gleichen Jahre 1881, in dem Stolpe zum ersten Mal mit den Ergebnissen seiner Forschung an die Oeffentlichkeit tritt, halt Graf Wurmbrand (60) auf dem zweiten österreichischen Anthropologentag in Salzburg einen Vortrag über „die Elemente der Formgebung und ihre Entwicklung." Wurmbrand, der seine Ausführungen vornehmlich auf die Ornamente prahistorischer Funde und slavischer Bauernkunst stützt, weist, offenbar stark von Taine, Buckle und Semper beeinflusst, auf das organische Wachstum der Kunstprodukte hin, das weniger von der Wülkür des Schöpfers, als von den natürüchen und notwendigen Bedingungen abhange. Wurmbrand behandelt dann die Entstehung der Ornamente, die sowohl aus der Technik wie aus der Nachahmung natürlicher Formen erfolgen kann. Aber diese Stüisierung von Tieren und Blumen kann nicht angelernt werden, sondern sie ist eine Folge organischer Entwicklung. Leider sind die Ornamente der europaischen Bauernkunst weiterhin nur wenig von der Ethnologie beachtet worden, und die meist in den Veröffentlichungen kleiner Lokalvereine. über diesen Gegenstand erschienenen Arbeiten sind ausserdem meist sehr schwer zuganglich. Doch besitzen wir namentüch über Slavische und ungarische Bauernkunst gute Materialsammlungen. Auch über russische „Volksornamente" sind wir gut unterrichtet, wahrend in Deutschland und dem übrigen Europa bisher nur wenig ge tan ist. Erwahnt sei als Beispiel ein Vortrag Hörmanns über die Hirtenkunst in Süd- und Mittel-Deutschland, zu der schon Ranke einen kurzen Beitrag veröffenthcht hatte (63). Wahrend in Europa, abgesehen von diesen vereinzelten, soeben behandelten Ansatzen, die Ornamentforschung bald wieder ëinschlaft, setzt sie in Amerika gegen die Mitte des Jahrzehnts umso reger ein und hat dort bis heute auch kaum eine langere Unterbrechung erlitten. In meist glanzend ausgestatteten Museumsveröffentlichungen haben Cushing, Holmes, Mason und andere amerikanische Gelehrte schon in dieser Zeit wertvolle Beitrage zur Ornamentforschung der nordamerikanischen Indianer gelieferi;. Da diese Veröffentlichungen zunachst kaum von Einfluss auf die europaische Forschung gewesen sind, sollen sie erst spater im Zusammenhang mit den Arbeiten der jüngeren amerikanischen Gelehrten, die von ihnen nur schwer zu trennen sind, behandelt werden. Dagegen seien hier einige schwer zugangliche Abhandlungen, die wahrscheinlich ihrerseits von den nordamerikanischen Publikationen beeinflusst sind, erwahnt. In den portugiesisch geschriebenen Museumsbericht von Rio de Janeirö vom Jahre 1885 (189/190) fügt Fr. Hartt einem Fundbericht ein Kapitel über Entstehung und Entwicklung der Ornamentik bei. Die ganze Abhandlung steekt noch in den alten abstrakten Theorien der Kunstgewerbeschulen, doch ist der Entwicklungsgedanke auch hier schon bemerkbar, wie der Versuch, die Herausbildung des Maanders an der Hand des vorliegenden Materials^zu zeigen beweist. In einer weiteren Abhandlung des gleichen Bandes erstattet L. Netto Bericht über archaologisehe Funde, die reich mit stilisierten mensenbenen Gesichtern und anderen Ornamenten verziert sind. Die bilderschriftartigen Zeichen der Marcajo vergleicht er dann noch mit ahnlichen Symbolen aus dem alten Mexiko, China, Aegypten und Indien. Eine genetische Erklarung des Maanderornaments versucht auch A. Stübel in seiner Abhandlung „Ueber die altperuanischen Gewebemuster und ihnen analoge Ornamente der altklassischen Kunst" (210) zu geben, indem er ihn aus zufalliger Verschiebung entstehen Wurmbrand. Hartt. Stübel. — 6 — Unie A. R. Hein lasst. Gegen diese Theorie, die Wilke (58) in die europaische prahistorische Forschung eingeführt hat, ist neuerdings von Otto Aichler Stellung genommen worden, (vgl. S. 28) (59). Unter den deutschen Museumsveröffentlichungen dieser Zeit verdienen besonders die reich ausgestatteten Publikationen des ethnographischen Museums zu Dresden hervorgehoben zu werden, da sie auch Ornamentfragen mit in den Kreis ihrer Betrachtungen ziehen. M. Uhle berücksichtigt bei einer Untersuchung von „Holz- und Bambusgeraten aus dem Nordwesten "von Neu-Guinea" besonders die Ornamentik (103). Offenbar angeregt durch die Arbeit Sophus Müllers über die „Tierornamentik im Norden", gelingt es Uhle an der Hand der zahlreichen auf den Geraten befindlichen Tierornamente zwei Stilbezirke festzustellen. Die Vorbilder dieser Ornamente, die sich in einem Bezirk als einzelne Teile eines stilisierten Krokodils und im anderen als aus einer geringen Zahl verschiedener tierischer Motive hervorgegangen nachweisen lassen, sind nach Uhle in der höherstehenden Ornamentik des ostindischen Archipels zu suchen. Gleichzeitig mit dem Erscheinen der Stolpeschen Arbeit (vgl. S. 4) setzt in den verschiedenen Orten eine intensive und rege Forschung ein, die meist von den anthropologischen Fachvereinen getragen wird. In Wien sind es die Brüder Hein, die sich zuerst mit Ornamentfragen beschaftigen. -- «' ; Alois Baimund Hein, Professor an der K. K. Malakademie in Wien, untersucht vom Standpunkt des Kunstgewerblers aus die hochstehende Ornamentik der Dayak auf Borneo. Bereits 1889 halt er einen Vortrag im Verein österreichischer Zeichenlehrer über diese Studiën (120), und im darauffolgenden Jahre erscheint sein Hauptwerk (121): „Bildende Künste bei den Dayaks auf Borneo". Hein betrachtet die Kunst der Dayaks unter dem Gesichtspunkt asthetischen Gefallens. Er schildert „das hohe Vergnügen dieses Volkes an künstlerischer Betatigung, seine Leidenschaft für das Kunsthandwerk und den feinen Sinn für zarteWirkungen der verzierten Gebilde." Der Ornamentik raumt Hein in seinem Buche, das für langere Zeit die einzige grössere Monographie der gesamten bildenden Kunst eines Naturvolkes bleibt, einen breiten Baum ein. Von seinen kunstgewerblichen Fachgenossen unterscheidet er sich dadurch vorteilhaft, dass er betont, „die Entstehung des geometrischen Gebildes sei von vornherein niemals das Resultat der Abstraktion, sondern das Ergebnis einer Abbildung der den Menschën umgebenden und ihn interessierenden Gegenstande. Der gegenstandliche Name, den fast alle Muster bei den Eingeborenen führen, ist fast stets ein sicherer Steckbrief ihrer Entstehung." Die Ornamente sind aber in ihrer Mehrzahl nicht von den Dayak selbst erfunden, sondern sie sind haufig dem Formenschatz höherer Kuituren entlehnt; so lasst sich chinesischer, indischer und arabischer Einfluss nachweisen. Aber auch in den Kunstprodukten, die durch fremde Vorbilder beeinflusst sind, spricht sich ein eigenartiger Geist aus, der durchaus berechtigt, von einem dayakischen Kunststil zu sprechen. In einigen weiteren kleineren Abhandlungen (1865) befasst sich Hein mit dem Studium der einfachsten ornamentalen Gebilde, der „Urmotive", die lange Zeit hindurch Gegenstand müssiger Spekulationen von Gelehrten gewesen waren'). Hein sucht die allgemeine Ver^ breitung dieser „geometrischen" Motive (Kreuz, Hakenkreuz, Maander u. a.) durch die 1) Als Beispiel, das sich gleich verhundertfachen liesse, seien einige Satze aus einer Abhandlung M. v. Zmigrodzkis »Zur Geschichte der Suastika" (56) vriedergegeben: »Das letzte Ziel, nach welchem ich durch meine Arbeit strebe, ist zu beweisen, dass die Ariër seit jeher edlere und höhere Lebensanschauung hatten, als andere Stamme, . . . und die Suastika ist unser Wappen. . . ., das Symbol des Gottes der Seelenunsterblichkeit". — 7 — Einfachheit ihrer Formen zu erklaren, die eine selbstandige Entstehung an verschiedenen Orten ohne gegenseitige Beeinflussung zulassen. Wilhelm Hein, der Bruder A. R. Heins, beschaftigt sich gleichfalls mit ornamentalen Fragen, zu deren Lösung er besonders einige Abhandlungen vergleichender Art beisteuert, In seiner Erstlingsarbeit, den „Omamentalen Parallelen" (17) stellt er die Kreuz- und Maanderformen, die unabhangig von einander zu den verschiedensten Zeiten und in den verschiedensten Landern verwandt worden sind, nebeneinander. Trotz aller scheinbaren Verwandtschaft der verschiedenen Ornamentgruppen kann man diese, da das Typische in der Art der Verwendung liegt, scharf auseinanderhalten. In einer weiteren Abhandlung untersucht Hein „die Verwendung der Menschengestalt in Flechtwerken" (122). Doch fahrt er sich hier in einem unfruchtbaren Aufstellen von Dekorationsprinzipien fest. Er möchte „die Philologie der Ornamente ausbauen, indem er die einfachen typischen Muster, das Alphabet der Ornamente, aufsucht. Über diese kann uns der Verfertiger ebensowenig Auskunffc geben, wie der irgend eine Sprache sprechende Mensch sich deren Entwicklungsgesetze bewusst ist." Hein gibt die Unzulanghchkeit seiner Methode selbst zu, wenn er betont, dass es nicht genüge, den Ursprung eines Ornaments nachzuweisen, sondern es müssen auch die Beweggründe untersucht werden, die zur Wahl eines bestimmten „Verzierungstypus" geführt haben (18).„ Angeregt durch die Arbeiten der Brüder Hein behandelt der Kunstwissenschaftler Alois Riegl, der spater in seinen „Stilfragen" (227) gegen die Semper'sche Theorie von der technisch-mateflellen Entstehung der altesten Ornament- und Kunstform Stellung nimmt, die „Neuseelandische Ornamentik" (115). Ueber diese war, ausser kurzen Notizen in den Reiseberichten, nur eine nur wenigen zugangliche Studie des Japaners L. Tsuboi (119) érschienen, in der dieser die Entartung der vorgestreckten Zunge im Gesichtsornament darlegt. Riegl will an der neuseelandischen Spiralornamentik die Unrichtigkeit der materiellen Kunsttheorie" zeigen, die die Spirale, gerade das Lieblingsmotiv der metallosen Kunst der Maori, immer als Kind der Metalltechnik hatte erklaren wollen. In seinem spater erschienenen Hauptwerk, den „Stilfragen", die „Grundlegung für eine Geschichte der Ornamentik" sein wollen, berücksichtigt Riegl leider die Ergebhisse der ethnologischen Forschung nicht. Dafür treten in dieser Zeit die Ethnologen um so zahlreicher auf den Plan. Den grössten Einfluss unter ihnen gewinnt von den Steinen (192/196), der als erster Erkundungen und Beobachtungen über die Ornamentik eines Naturvolkes unter diesem selbst macht. Besonders die zweite Schingu-Expedition ist von grosser Bedeutung. Die Veröffentlichungen v. d. Steinens lassen das erwachende Interesse deutlich erkennen, gleichzeitig spiegein sie aber die Entwicklung wieder, die die gesamte ethnologische Ornamentforschung durchlaufen hat. Auf der ersten Expedition (192) geht von den Steinen noch fast achtlos an den „geometrischen Ornamenten" vorüber, die „nicht ohne natürlichen Kunstsinn gearbeitet" sind. Man lasst wohl gelegentlich neben „einer Landkarte" auch einige „netzartige Guyenmuster" von den Eingeborenen in sein Skizzenbuch zeichnen, ohne jedoch über deren Bedeutung etwas Wesentliches mitteilen zu können. Ganz anders auf der zweiten Expedition! Der primitiven Kunst wird eine bis dahin unerhörte Bedeutung beigelegt. Man hat zufallig bemerkt, dass die Eingeborenen die meisten Ornamente mit den gleichen Namen belegen, den bestimmte Tiere führen. Man forscht nun weiter nach und erfahrt bald eine grosse, vielleicht allzu grosse Zahl von Ornamentbenennungen. W. Hein. Riegl. v. d. Steinen. — 8 — Ehrenreich. Eine Vorstufe des ornamental-künstlerischen Zeichens ist das mitteilende, das an die erklarende Gebarde anknüpft. „Aus den konkreten Nachbildungen ist bei einer sich vom Original mehr und mehr in künstlerischem Sinne entfernenden Tradition unter dem Einfluss der Arbeitsmethode und des Arbeitsmaterials das stilisierte Kunstwerk geworden, das im Geiste unserer Indianer noch auf das engste mit dem alteren Abbild verknüpft ist. Schon so ,einfache' Figuren wie Dreiecke und Vierecke, von denen man glauben mochte, dass sie freiweg auch von dem primitivsten Künstler konstruiert werden könnten, sind erst durch Stilisierung aus Abbildungen entstanden und haben nur, da sie sich der Technik von selbst als Typen empfahlen, im Kampf um das Dasein mit komplizierten Gebilden wie spielend den Sieg davongetragen". Die Motive dieser ornamentalen Kunst sind mit alleiniger Ausnahme des Uluri, des kleinen dreieckigen Weiberschurzes, dem Tierreich entlehnt; von den Steinen erklart die Beschrankung bei der Wahl der ornamentalen Vorlagen aus der Beschaftigung der Eingeborenen, die lediglich in Jagd und Fischfang besteht. „Trotz des rein ornamentalen Charakters" der Figuren ist sich der Indianer auf das entschiedenste noch der konkreten Bedeutung des einzelnen Ornamentes, für das er eine bestimmte Naturvorlage anzugeben weiss, bewusst. Naturalistische und stilisierte Formen leben in der primitiven Kunst durchaus nebeneinander. Der Grad der Stilisierung einer Ornamentgruppe kann als relatives Zeitmass dienen. So sind, nach der Annahme von den Steinens die Auetö, die die stilisiertesten Ornamentmuster der behandelten Stamme haben, auch am langsten im Besitz dieser Muster. Seine in der Ethnographie gewonnenen Theorien wendet von den Steinen spater auch auf prehistorische Ornamente und Symbole an, indem er das Urbild der Swastika im Storch, „dem heiligen Vogel des Thor", und das des Triskeles im Haushahn sieht (57). Auf eine Kritik der Theorien v. d. Steinens braucht nicht eingegangen zu werden, da, wie noch zu zeigen sein wird, v. d. Steinen seine Anschauungen spater selbst andert (S. 23). Im Anschluss an die Besprechung der Forschungen von den Steinens seien einige kleinere Arbeiten über die amerikanische Ornamentik, die sich in der Hauptsache in den gleichen Bannen wie die v. d. Steinens bewegen, erwahnt. Joest, der in seinem bereits 1887 erschienenen Buch (6) über „Taetowieren, Narbenzeichnen und Körperbemalen" die Ornamentik gelegentlich streift, liefert auch wertvolle Beitrage zur Ornamentik von Guyana (204), die spater von L. C. van Panhuys') (205) und von de Goeje (207) erganzt werden. Joest geht in seinen Deutungsversuchen nicht so weit wie v. d. Sternen; ja er tritt dessen Ausführungen schon 1888 in einer Sitzung der Gesellschaft für Erdkunde (193) in Berlin entgegen. Besonders möchte er den Satz v. d. Steinens: „Die Abbildung wird Ornament, wird geometrische Figur" auf Malerei, Schnitzwerk und dergleichen beschrankt wissen. Es gibt eine Unmenge geometrischer Figuren, die der Mensch darstellen kann, ohne stets dabei die Absicht zu verfolgen, den das betreffende Muster zeigenden Gegenstand selbst abzubilden, wohl aber die ihm ins Auge fallende charakteristische Eigentümlichkeit desselben". Ehrenreich, der als Teilnehmer der 2. Schingu-Expedition v. d. Steinens an dessen Ornamentforschung beteiligt gewesen war (197), berichtet an der Hand von Erkundungen des Missionars Petter über die Ornamentik der nordamerikanischen Indianer (162). Er findet, dass „den anscheinend willkürlich zusammengestellten, oft recht komplizierten Kreuz- und 1) Panhuys (206) beschaftigt sich auch mit der interessanten Ornamentik der eingewanderten Buschneger, die Ankliinge an die alte wie an die neue Heimat zeigt. — 9 — Dreiecksmustern auch hier eine konkrete Bedeutung innewohnt, mag dieselbe auch vielfach vergessen sein". Zoomorphe Formen (Adler-Donnervogel, Hirsch, Mensch) überwiegen hier wie überall; die wenigen, kaum stilisierten Pflanzenornamente scheinen unter europaischen Einfluss angenommen zu sein. Besonderes Interesse beanspruchen die physikomorphen Darstellungen, von denen Verzierungën, die Himmelserscheinungen darstellen, von den kulturell hochstehenden, ackerbautreibenden Pueblostammen bevorzugt werden. Daneben werden auch geographische Motive (Berg, Fluss, Lagerplatz u. a.) verwandt. Es finden sich sogar ideographische Zëichen, wie z. B. ein Glück bedeutendes Symbol, das an Kindertragen vorkommt. Es ist durchaus zweifelhaft, ob wir Zeichen der eben besprochenen Art, die eine hohe Stufe auf dem Wege zur Schrift bedeuten, noch als Ornamente ansprechen dürfen. Wir sind hier am Scheideweg zwischen mitteilenden und asthetischen Motiven angelangt. Erstere sind hier nicht weiter zu verfolgen. Deshalb können die Arbeiten von Seler, (209; 160) (229) Danzel und anderen, die sich mit diesen Fragen befasst haben, hier übergangen werden. Mit den Ornamenten der niedersten Völker beschaftigt sich Ernst Grosse (8) in seinem Grosse. Buche: „Die Anfange der Kunst". Grosse ist der erste und für lange auch der einzige, der die vergleichende Völkerkunde zu Aufhellung asthetischer Probleme heranzieht. Nach Fechner unterscheidet er: Künste der Rune und der Bewegung. Die ursprünglichste Form der ersteren ist die Zierkunst, die aus „Kosmetik oder Körperschmuck" und „Ornamentik oder Gerateschmuck" besteht. „Wenn auch der menschliche Körper der Gegenstand ist, an dem sich die Zierkunst am frühesten betatigt, so begnügen sich doch auch die rohesten Stamme nicht damit, den eignen Körper zu verzieren, sondern sie schmücken auch ihre Gerate und Waffen." Im Anschluss an die Zierkunst behandelt Grosse „die primitiven Erzeugnisse der freien Bildnerei, d. h. diejenigen Malereien und Skulpturen, welche nicht dekoratiyen Zwecken dienen, sondern eine selbstandige Bedeutung haben." In der Zierkunst der Gerate scheidet Grosse den weiteren Begriff des „Gerateschmuck" von dem engeren der Ornamentik. „Wir erkennen nicht nur in der ornamentalen Dekoration, sondern schon in der glatten und ebenmassigen Ausführung eines Gerates einen Schmuck," wenn auch Glatte und Ebenmass in den meisten Fallen zunachst nicht sowohl eine asthetische, als eine praktische Bedeutung haben, die stets die primare ist. Wahrend die einfachste Form des Gerateschmuckes bei keinem Volke fehlt, hat sich unter den primitiven Völkern, die sich ihre Nahrung durch Jagd und Pflanzensammeln erwerben, „eine eigentliche Ornamentik nur bei den Australiern, Mincopie und Hyperboraern entwickelt." „Doch die Formen, die auf diesem kargen Boden wachsen, sind weder üppig noch mannigfaltig; sie erinnern den Europaer an einfache geometrische Figuren, mit denen sie aber nicht das Geringste gemein haben. Völlig frei konstruierte Figuren sucht man bei den Primitiven ganz vergeblich. Die Ornamentik-schöpft ihre Motive, wie an zahlreichen Beispielen dargelegt wird, aus der Natur und aus der Technik". Sie beschrankt sich dabei, im Gegensatz zur Pflanzenornamentik der zivilisierten Völker, fast ausschliesslich auf menschliche und tierische Formen. „Die meisten künstlerischen Produktionen sind aber keineswegs rein aus asthetischen Absichten hervorgegangen, sondern sie sollen zugleich irgendeinem praktischen Zwecke dienen; und haufig erscheint dieser letzte sogar unzweifelhaft als erstes Motiv, wahrend dem asthetischen Bedürmisse nur nebenbei, an zweiter 2 — 10 — Balfour. Stelle, genügt wird. Die primitiven Ornamente sind, ursprünglich und wesentlich, nicht als Verzierungën, sondern als praktisch bedeutsame Marken und Symbole gedacht und geschaffen." „Auch den technischen Ornamenten dürfen wir wahrscheinlich keinen rein asthetischen Wert zuschreiben", da der konservative Sinn des „Wilden" gebrauchliche Formen und Muster auch in einer anderen Technik beibehalten will. „Doch so fremdartig und unkünstlerisch die primitiven Kunstformen zuweilen dem ersten Bliek erscheinen, sobald man sie naher prüft, entdeckt man immer, dass sie nach denselben Gesetzen gebildet sind, welche auch die höchsten Schöprangen der Kunst beherrschen. Die grossen asthetischen Grundprinzipien der Eurhythmie, der Symmetrie, des Gegensatzes, der Steigerung, der Harmonie werden von den Australiern und Eskimo ebenso betatigt wie von den Athenern und den Florentinern.... Die naturalistischen und die technischen Ornamentmotive werden nicht bloss nachgebildet, sondern auch umgebildet. Zum Teil gibt -man den Formen der Vorbilder eine reichere und feinere Ausgestaltung, um ihren asthetischen Wert zu erhöhen. Weit öfter aber vereinfacht man die ursprünglichen Formen, um sich die Herstellung bequemer zu machen Die Bequemüchkeit der Arbeiter hat die Darstellung der Natur- formen im Laufe der Zeiten immer einfacher und summarischer gestaltet, bis dem ornamentalen Nachbilde am Ende kaum noch eine entfernte Aehnlichkeit mit dem natürlichen Urbilde übrig bleibt." Wir haben absichtiich Grosse hier möghchst wörtlich zitiert, um den stark subjektiv gefarbten Gefühlston, den wir bei ihm finden, nicht zu unterdrücken. Leise scbimmert hier unbewusst eine künstlerische Entartungstheorie durch, die von der, infolge ihrer allzu grossen Verallgemeinerung, falschen These herrührt, dass die Ornamente Verkümmerungen von ehemals „reaüstischen Naturnachbildungen" seien. Grosse untersucht dann auch noch die Beziehungen der Ornamentik zur primitiven Kultur und damit zum Wirtschaftsbetrieb", als dem „wesentlichsten Kulturfaktor". Die „niedere Produktionsform" der Jagerstamme macht eine reichere Entwicklung der Ornamentik unmöglich. Aber auch die Wahl der ornamentalen Motive wird durch das praktische Interesse der Jagd bestimmt. „Der TJebergang vom Tier- zum Pflanzenornament ist das Symbol des grössten Fortschrittes, der sich in der Kulturgeschichte vollzogen hat, des Ueberganges von der Jagd zum Ackerbau." „Nicht nur Einflüsse der primitiven Kultur auf die primitive Ornamentik sind zu erkennen, sondern es lassen sich umgekehrt auch Einflüsse der primitiven Ornamentik auf die Kultur nachweisen. Vor allem fördert die Ornamentik die Technik." In England erscheinen in diesen Jahren gleichfalls eine Reihe von Arbeiten, die die Anfange der Kunst aufhellen wollen, und die sich hierbei die Aufgabe gestellt haben, die Entwicklung der Zierkunst darzulegen. Die Bücher von Balfour: „The evolution of decorative art" (7) und von Haddon: „Evolution in art" (10) verdienen hier besondere Berücksichtigung, da sie zum ersten Mal die Hauptprobleme der Ornamentik deutlich herausarbeiten und auch auf die Methodik der Forschung eingehen. Balfour betont, dass die Forschung, um Licht in das Dunkel der Kunstentwicklung zu bringen, auf Analogieschlüsse angewiesen ist, da die eigentliche Geschichte vom Wachstum der Kunst verloren gegangen ist und nicht mehr geschrieben werden kann. Auch von der Entwicklung der Zierkunst gilt der Satz: Natura artis magistra. Die Nachahmung gibt den Massstab für die Entwicklung der Ornamente, die Balfour in drei Gruppen gliedert. 1. Auf der untersten Stufe (adoptive stage) stehen die Ornamente, die sich aus — 11 — Besonderheiten des natürlichen Objekts, wie etwa Knoten im Holze des Bumerang ode aus Zufalligkeiten der Herstellungstechnik ergeben. Diese Zeichen sind zunachst allerding weniger eigentliche Ornamente denn Erkennungs- und Eigentumsmarken der Waffei und Gerate. 2. Auf der zweiten, schöpferischen Stufe (creative stage) sucht man die gleichei Wirkungen künsthch hervorzubringen. Man ahmt jedoch bald nicht mehr nur die ursprüng lich natürliche Vorlage nach, sondern auch das eben geschaffene Ornament. Ein Vorgans fortgesetzten Kopierens, „der vielleicht das Wichtigste in der ganzen fruhen Kunstent wicklung ist", setzt ein. 3. (The stage of variation.) Diese verandert die Form der Ornamente; diese Verande i rungen, die oft auch mit Bedeutungswechsel verknüpft sind, können unbewusst oder von Künstler beabsichtigt eintreten. Der erste Fall wird durch sorgloses, wiederholtes Kopiëren durch Materialschwierigkeiten und durch gedachtnismassiges Reproduzieren hervorgerufen Balfour führt vergleichenderweise sehr lehrreiche Versuche an, die früher in ahnlichei Weise schon von General Pitt-Rivers vorgenommen worden waren und neuerdings wiedei von Verworn (48) aufgenommen worden sind. Eine Person fertigt die Kopie eines Bildes an, eine zweite Versuchsperson kopiert diese, eine dritte kopiert die Kopie der zweiter und so fort; bald treten hierbei kleine scheinbar unwesentliche Veranderungen in dei Zeichnung auf. Wenn sich auch die einzelnen aufeinander folgenden Glieder nur wenig von einander unterscheiden, so kann doch das Endglied einer langeren Entwicklungsreihe eine ganz-andere Bildbedeutung bekommen als das Anfangsglied hatte. Balfour bringt u.a. ein Beispiel, bei dem sich aus einer Schnecke allmahlich ein Vogel entwickelt. AusserordentUch hauflg sind auch, wie Balfour an zahlreichen Beispielen darlegt, die bewussten Veranderungen der Ornamente. Um eine vollkommnere Esthetische Wirkung zu erzielen oder auch um einen praktischen Zweck (etwa als Eigentumsmarke) besser zu erreichen, werden die Muster geandert. Besonders hauflg geschieht dies bei der Entwicklung einer profanen Sache zu einem Symbol. Der ursprüngliche Sinn des Ornaments gerat dabei meist in Vergessenheit. Aber trotz dieser Tendenz zu andern, entwickeln die Völker doch gewisse feste Kunsttypen; diese bilden den Stil, den die Völker auf ihren Wanderungen mitnehmen. Lange erhalten sich meist die alten Muster in der neuen Heimat und können daher zu einem wichtigen Schlüssel für alte Völkerbeziehungen werden. Dem Material und der Technik raumt Balfour ebenfalls einen grossen Einfluss auf die Gestaltung der Ornamente ein. Er weist nachdrücklich darauf hin, dass bei einer Uebertragung .der Formen der einen Technik auf eine andere alte unverstandene Reste der früheren Herstellungsart als Schmuck mit übernommen werden; nur noch aus seiner Entwicklungsgeschichte heraus ist ein Ornament oft zu verstenen. Die Ausführungen Balfours, der die Ornamente offenbar zu einseitig aus Naturzufailigkeiten entwickelt, werden durch das umfassendere Buch Haddons „Evolution in art" (10) gut erganzt. Die Abhandlung Alfred C. Haddons, die sich auf ein viel grösseres ethnographisches Material stützen kann als die zwei Jahre vorher erschienene Arbeit Balfours, ist bis heute eine der wertvollsten Abhandlungen über primitive Ornamentik geblieben. Haddon führt für die Ornamentik die grundlegende Scheidung jeder Wissenschaft in eine besondere und in eine vergleichende durch, und er hat in beiden Forschungszweigen wertvolle Beitrage geliefert. In einer umfangreichen Monographie bearbeitet er die Ornamente von Britisch-Neu- r s m i L i Haddon. — 12 — Guinea (104) und kommt dabei zu sehr wertvollen Ergebnissen, die sowohl eine für den damaligen lückenbaften Stand der Kenntnisse von Neu-Guinea recht brauchbare Einteilung in 5 Provinzen ergeben, als auch Licht in das Dunkel der Herkunft und Abstammung seiner Bewohner werfen. Er halt sich jedoch nach Möghchkeit von jeder Spekulation fern und ist bestrebt, nur Tatsachen zu geben. Zeigt schon diese monographische Abhandlung den umfassenden Bliek Haddons, der allen Faktoren gerecht zu werden versucht, so tritt dies noch deutlicher in seinem Buche „Evolution in art" hervor. Hier sind zum ersten Mal die bis dahin erzielten, in der Literatur weit verstreuten Ergebnisse primitiver Ornamentforschung zu einer vergleichenden Darstellung der primitiven Kunst zusammengefasst. Für den Naturwissenschaftler Haddon ist es das Hauptbestreben, eine Lebensgeschichte (life-history) der Ornamentik und primitiven Kunst überhaupt zu geben. Entsprechend Geburt, Wachstum und Tod des Lebens kann Ursprung, Entwicklung und Verfall der Kunst unterschieden werden. Die Urbilder der dekorativen Kunst sind der Hauptsache nach entweder künstüche oder natürüche Gegeristande. Zunachst werden die aus der Technik stammenden Ornamentformen untersucht, für die Haddon den von March gepragten Ausdruck „Skeuomorph" übernimmt. Haddon zeigt den grossen Einfluss, den die verschiedenen Techniken, wie Binden, Flechten, Weben, Töpfern, Holzschnitzen auf die Entstehung und Gestaltung der Ornamente ausüben. Doch möchte er die ihm zu weit gehenden Ausführungen Sempers eingeschrankt wissen. Die zu Zierzwecken nachgebildeten Naturobjekte teilt Haddon rein naturwissenschaftlich in unbeseelte und beseelte, in „physikomorphe" und „biomorphe" Formen ein. Zu den ersten gehören ausser den meist mit magischer Bedeutung verbundenen Darstellungen von Himmelserscheinungen, die wir besonders hauflg bei nordamerikanischen Indianern antreflen, die wenigen zur Ornamentierung verwendeten Landschaftsdarstellungen (z. B. die DarsteUung der Insel Mer (Murray Island) auf einer Tabakspfeife). Eine weit wichtigere Rolle spielen in der primitiven Ornamentik die Biomorphen Ornamente. Die seltenste Abart von diesen sind die Darstellungen abstrakter Lebensideen wie sie Cushing (159) u. a. (160/162) an Pueblogefassen nachgewiesen haben. Auch die phyllomorphen Ornamente (Pflanzen-Ornamente) kommen nur selten in der primitiven Kunst vor; um so haufiger sind, wie Haddon an zahlreichen Reihen- und Einzelbeispielen nachweist, zoomorphe Formen. Viele dem flüchtigen Beschauer bedeutungslos scheinende Muster entpuppen sich als Tierformen. „We thus come to the conclusion that before any pattern can be termed the same as another, its life-history must be studied, otherwise analogy may be confused with homology, and false relationships erected. Things which are similar are not necessarily the same". In anthropomorphen Darstellungen, die meist religiösen Zwecken dienen, sind nach Haddons Behauptung die Primitiven weniger geschickt als in Tierdarstellungen. Unter der Bezeichnung „heteromorph" endheh fasst Haddon die Falie zusammen, in denen mehrere Ornamentmotive mit einander vermengt sind. Er sieht in ihnen Umformungsund Entartungserscheinnngen. „To speak somewhat figuratively, heteromorphism is a sort of disease that may attack the skeuomorph or the biomorph. Whereas the final term of the Ufe-history of the biomorph is, so to speak, senile decay, the result of heteromorphism is a teratological transformation. Accepting this view of the subject, the present section might be entitled The Pathology of Decorative Art". In einem weiteren Teil seines Buches versucht Haddon, wohl von Grosse beeinflusst, — 13 — eingehend die psychologischen Motive, aus denen die Zierkunst hervorgeht, zu analysieren. Als natürliche Basis jeder Kunst, auch der Zierkunst, gilt ihm der asthetische Sinn, der bei den Primitiven ebenso zu finden ist wie bei den Kulturvölkern. „AU men have this sense, varying from a rudimentary to an exalted extent". Der Kunstsinn ist aber durchaus nicht die einzige Ursache der Zierkunst, sondern es sprechen auch andere Motive mit. Der Mitteilungstrieb führt zur Verwendung von bildlichen Darstellungen (pictorial signs) in der einen oder anderen Form, mag man sein Eigentum durch Zeichen kenntlich machen, oder eine Kunde oder Nachricht für sich oder andere aufzeichnen wollen. Die Zeichen verhoren allmahlich mehr und mehr ihren dekorativen Charakter und entwickeln sich zur selbstSndigen Schrift. Ein weiteres Motiv, nas den Menschen zum Ornament führt, ist das Streben nach Reichtum. Um seinen Besitz möglichst wertvoll zu machen, verziert schon der primitive Mensch seine Gerate und sonstiges Eigentum. Werden einige dieser Gegenstande regelmassig zu Tauschzwecken verwandt, so haben wir die Anfange des Geldes vor uns. Sehr wichtig ist aber die Religion, „die Beziehung des Menschen zu unsichtbaren Machten", für die Entwicklung der Ornamentik. Haddon untersucht dann die Beziehungen der Ornamentik zur Religion, die er nach Frazers „The Golden Bough" scheidet. „It is hower, preferable to distinguish between Sympathetic Magie and Religion proper, as the former is impersonal and the latter is essentially personal in its operation". Als Beleg für die erstere Art von Ornamenten gelten Haddon die Zaubermuster der Orang Semang und Orang-hütan über deren Wert noch zu sprechen sein wird. Weiter werden dann auch die Beziehungen der Ornamentik zum Totemismus und zu den religiösen Symbolen behandelt; leider vermisst man aber gerade hier bisweilen eine scharfe Kritik gegenüber den zitierten Autoren, wie überhaupt das Kapitel über Religion zu den schwachsten des ganzen Buches gehort. Anhangsweise behandelt Haddon „The scientific method of studying decorative art". „The aesthetic study of art may very well be left to professional art critics. We will now turn to a more promising field of inquiry, and see what can be gained from a scientific treatment of art". Haddon geht deshalb auch auf die Entwicklungsreihen, die entweder zur Wucherung (complexity) oder zur Verkfimmerung (simplification) oder. durch Wucherung fiinzelner abgetrennter Teile, zu einer Verbindung beider führen, naher ein. Der Vorschlag die Verbreitung der Tiere mit der Verbreitung der entsprechenden Tieromamente zu vergleichen, verrat den Zooiogen, der aus einer Dissonanz beider Quellen auf eine Auswanderung des Menschen oder ein Aussterben von Tierrassen schhessen will. Einige technische Winke fur die Forschungsmethode bilden den Schluss des reichhaltigen Buches. Ein scheinbar ganz eigenartiges, von der übrigen Ornamentik durchaus abweichendes Material ziert die Gerate primitiver Stamme im südlichsten Asien. Stevens sammelt Form und Bedeutung der Ornamente, die sich auf Kammen, Blasrohren und anderen Bambusgegenstanden der Orang-Semang, Orang-hütan, Orang-Belenda und verwandter Stamme finden, und Grünwedel und spater auch Preuss verarbeiten in zahbreichen Vortragen und Abhandlungen (139—143) diese Beobachtungen. Man glaubt „ein Unikum in der Bilderschrift aller Zeiten und Völker entdeckt zu haben, zu deren Herstellung eine aussergewöhnliche geistige Kraft gehört" (142). Man baut auf die gefundenen „Tatsachen", die „frei von Schreibtischhypothesen" sind, eme Theorie von der Entstehung des Ornaments auf. „Das Ornament des Kulturvolkes ist eme fertige, viel variierte, missverstandene, oft sinnlos verwendete Phrase, wahrend die Zeichen des Wildstammes immer ein bestimmt gewolltes Bild smd. Stevens. — 14 — Natürlich reden hier die Anlagen des Volkes, seine Umgebung u. s. w. stark mit. Von der kindhchen Freude über ein Ringornament, das durch eine Seitenspitze des Bohrers zufailig. einmal entstanden sein mag, bis zum bewussten Wiedererkennen von ahnlichen Formen in der belebten und unbelebten Natur, dem künstlichen Nachbilden von umstandlichen Marken und Flecken auf Pflanzen, Insektengangen, Holz, TierfeUen geht eine fortlaufende Reihe von Aeusserungen der Phantasie, welche bald das Mitteilungsbedürfhis einschliesst, und erst, wenn diese Phantasie erlahmt, wenn durch Mischung des Volkes das individuelle Empfinden erlischt, entwickelt sich aus der Zeichnung das blosse Ornament". Ein grosser Teil der Muster soll nun angebhch nach den Aussagen der Eingeborenen Blumen darstellen, die einerseits gegen verschiedene Krankheitsdamonen schützen, anderseits Heilmittel für die verschiedenen Krankheiten angeben. Die Erfindung der Zeichen wird durchaus mythisch gedeutet. Auch Eigentumszeichen sind auf den Kammen zu ünden und auf allen alten Exemplaren sogar Reihen für Namenszeichen. Preuss vermutet, dass diese alle aus einer trapezahnlichen Grundform hervorgegangen seien. „Allein unsere Muster bestehen aus einer Aneinanderreihung der einfachsten geometrischen Figuren, die wohl grösstenteils nie ein reales Vorbild mit ahnlichen Umrissen nachbilden sollten". Nach Preuss ist jedoch der Verdacht am Platze, dass vielfach an sich sinnlose Zeichen als Ausdrucksmittel für Blumen oder mindestens für Abarten derselben gebraucht werden. Neuerdings haben jedoch Skeat-Blagden (144) und Rudolf Martin (145) nachgewiesen, dass die ganze Blumentheorie Stevens unhaltbar ist. Schon die angenommene „Zerlegung einer Blume in ihre Baubestandteile und die getrennte DarsteUung der letzteren in der Ornamentik sei etwas so Fremdes und Unnatürliches für den Geist eines Naturmenschen, dass schon aus diesem Grunde die Theorie als unmöglich bezeichnet werden müsse". Sogar dem Geist der (benachbarten) hochstehenden Malayen, von denen die Negritos sicher manches entlehnt haben, Uegt nach Skeat eine solche botanische Analyse völlig fern. Skeat fasst sein absprechendes Urteil folgendermassen zusammen: „This astounding theory, or tissue of begged questions for it is nothing less, sets out by ascribing to one of the most backward and undeveloped races of mankind, a system of decorative art based upon scientific principles which would not discredit a textbook of botany". Der Irrtum ist nach Skeat auf die mangelnde Sprachkenntnis Stevens zurückzuführen, der sich mit den Semangs und den anderen Stammen malayisch verstandigte. „The fact of the word bunga, which he thought meant flower, being applied to the whole pattern, naturally suggested to him the idea that the series of horizontal lines might perhaps be intended to divide the various panels which would represent the various parts of the flower in question". Martin, der auch der eigentümlichen Bambustechnik einen Einfluss auf die Gestaltung der Ornamente zuerkennt, sucht den technischen Entwicklungsgang der Zierkunst zu konstruieren, „da wir dies kaum in gedanklicher Hinsicht" zu tun vermögen. Die einfacheren Formen, die sich zum Teil an wirkliche - Naturvorlagen anlehnen, sind logischerweise die ursprüngücheren; dagegen die komplizierteren, die sich auf jene aufbauen, die spateren. Vom künstlerischen Standpunkt aus sind diese Dreiecke, Zickzacklinien und ahnlichen geometrisch anmutende Linien Zeichen „eines ausserordenthch primitiven Kunstschaffens". Die beste Parallele zu der „geringen Variabilitat und bestandigen Wiederkehr der relativ einfachen Muster sieht Martin in den keramischen Erzeugnissen der europaischen Neohthiker. In den zahlreichen Unregelmassigkeiten der Zeichnung, die sich besonders auf den neuen, oft auf Bestellung von Fremden gefertigten Stücken befinden, darf sicher keine bestimmte Absicht des Künstlers oder eine — 15 — spëzifische Bedeutung erblickt werden. So sind denn die Resultate, wie Martin sagt, übereinstimmend negativ" und von einem eigentlichen Verstandnis dieser Ornamentik'„kann man noch nicht sprechen" und wird es wohl auch nie vermógen. A. B. Meyer und O. Richter (133) stellen in einer Dresdener Museumspublikation das auf die gleichen „Urformen" zurückgehende „gemeinmalayische Ornament", dessen sich die Bewohner von Celebes bedienen, zusammen. Auch die höherstehende polynesisehe Ornamentik mit ihren engen Beziehungen zu den religiösen Vorstellungen wird frühzeitig untersucht. Angeregt durch H. Stolpe studiert Charles H. Read (95) die Ornamente auf polynesischen Gegenstanden, um Gesichtspunkte für eme Museumsaufstellung zu gewinnen. Read kommt dabei auch zu ganz ahnlichen Ergebnissen wie Stolpe. Besonders findet er die Vermutung, dass ein enger Zusammenhang zwischen Ornament und Mythos bestehe, bestatigt. Mit diesen Fragen beschaftigt sich auch H. Colley March (96), der bereits 1889 einen Vortrag über „The meaning of ornaments" (961) halt, in einer „Polynesian Ornament a Mythography; or a Symbohsm of Origin and Descent" betitelten Arbeit. Im Gegensatz zu Stolpe, von dem er im übrigen stark beeinflusst ist, nimmt March an, dass das zoomorphe Ornament von dem bereits bestenenden skeuomorphen Ornament oder der Strukturform („preexisting skeuomorph or structure-form") beeinflusst wird. Die zoomorphen Muster hangen sehr eng mit dem Mythos zusammen, so dass March von einer Mythographie sprechen kann, die in einem umfassenden Symbolismus von Ursprung und Abstammune besteht. Auch über die Ornamentik anderer Gebiete haufen sich die Einzelarbeiten, die oft, wie z. B. die Untersuchung Grabowskys (86) über die offenbar mit Phalluskult zusammenhangenden Kalkspatel von den Anachoreten, nur eine einzige kurze Entwicklungsreihe klar zu legen suchen. Eine Beschreibung einiger Holzornamente der Betsileo-Malagassen gibt James Sibrée (220), jedoch ohne naher auf diese Beziehungen und auf die Entwicklung der Ornamente einzugehen. Eine grössere Arbeit wieder, die das Problem der Ornamentik in seiner ganzen Bedeutung erfasst, ist die Untersuchung des genialen Heinrich Schurtz über „das Augenornament" (164). Der Wert dieser Abhandlung liegt nicht in den viel zu schwach fundierten Schlussfolgerungen, durch die angeblich schwierige anthropogeographische Fragen gelöst werden, sondern in dem klaren Herausarbeiten der Begriffe und in der Berücksichtigung aller mitwirkenden Krafte. Für ihn ist die Ornamentik „keine leere Spielerei, sondern ein Zeugnis des geistigen Lebens; sie steht in tiefem Zusammenhang mit dem Denken nnd Fühlen des Volkes, das sie hervorbringt". Die Eigenart des Ornaments liegt im Gegensatz zur freien Knnst in seiner Unselbstandigkeit. Wenn es „auch in manchen Fallen gelingt die Entstehung und Entwicklung der geometrischen Ornamentik in Flechtkunst und Töpferei zu verfolgen", so ist doch die „figürliche Ornamentik" von weit grösserer Wichtigkeit Die flgürlichen Ornamente werden organisch umgebildet, d. h. stüisiert durch „regelmassige Wiederholung des gegebenen Motivs, jenes merkwürdigen Gesetzes, das auch die übrigen Künste m ihren primitiven Formen durchdringt." Nach zwei Seiten können sich die Ornamente entwickeln, entweder zu „Kümmer-" oder zu „Wucherformen", die beide aber auch nebenander auftreten können. Die StiMsierung der Formen beschrankt sich durchaus nicht, wie man gewöhnlich aus den Formen des klassischen Altertums geschlossen hat, auf das Bead. March. Schurtz. — 16 — Herausarbeiten des Wesentlichen, sondern oft leben gerade nebensachliche Glieder des Ganzen fort, wahrend die wichtigen Theile verschwinden. Mit Kümmer- und Wucherformen ist aber die schöpferische Phantasie der Naturvölker keineswegs erschöpft, sondern sie bedient sich auch anderer Mittel, so der Symmetrie, die bisweilen künstlich durch Zusammensetzen von zwei Figuren erreicht wird oder der „konzentrischen Wiederholung", bei der eme Figur in konzentrische oder doch parallele Linien aufgelöst wird. Die Stilisierung entsteht aus „der TJnmögUchkeit die immer wiederkehrenden Figuren des Ornaments zu individualisieren oder auch nur mit demselben Fleiss herzustellen." „Sie ist eine unmittelbare Folge der dienenden Stellung des Ornaments." Ihr „Grundgedanke ist der "Wunsch, die reine Naturtreue zu zerstören, um dadurch die unbegrenzte Wiederholung eines Motives zu ermögüchen." Die Zahl der Ornamentmotive ist klein, da die Gestalten, die sich zu Ornamenten entwickeln, meist aus einem bestimmten Interesse gewahlt sind, und der Ideenkreis abgeschlossener Völker an sich meist schon sehr beschrankt ist. Das Hauptergebnis seiner Arbeit sieht Schurtz in dem Hinweis auf das auffaUige gleichzeitige Vorkommen des Augenornamentes in Nord-West-Amerika, in Melanesien und der übrigen Südsee. Schurtz schliesst aus dieser Aehnüchkeit „der ornamentalen Kunst in zwei so verschiedenen Gebieten" auf eine Einwanderung der Malayo-Polynesier in N. W. Amerika und sucht dann- die gefundene „ethnologische Zone" noch durch zahlreiche andere ethnologische Parallelerschemungen zu stützen. Diese weitgehenden Schlussfolgerungen sind von verschiedenen Seiten angegriffen worden, am scharfsten wohl von Bastian, dem Vater des Elementargedankens (164). Eine weitere Abhandlung (146) von Schurtz beschaftigt sich mit den Ornamenten der Ainu und ordnet diese in mehrere Grappen, die zur Aufstellung von drei ethnographischen Zonen dienen, und die den Nachweis erbringen sollen, dass die alte Kultur der Japaner und die der Ainu eine gemeinsame Grandlage gehabt haben. In einer letzten. Arbeit gibt Schurtz einen kurzen Bericht über die Maorischnitzereien des Bremer Museums und über die Angaben des primitiven Künstlers (116). Schurtz, der hier weit zurückhaltender mit Schlüssen ist als in den ersten Arbeiten, macht auf den eigentümlichen Unterschied der bekannten Spiralornamentik, die sich in Schnitzereien und Tatauierungen findet, von der offenbar alteren, auf die rohe Zeichnung eines Gesichtes zurückgehende Ornamentik der Malerei aufmerksam. Das jüngere, gewöhnlich als das „Maoriornament" bezeichnet, kann kaum als selbstandige Erflndung gelten; wahrscheinlich geht es auf melanesischen Einfluss zurück. Weule. Angeregt durch die Ergebnisse der Forschung von v. d. Steinen und anderen, beschaftigt ' sich als einer der ersten Karl Weule mit der afrikanischen Ornamentik, indem er die Eidechse (213), das bei weitem wichtigste afrikanische Ornamenttier, monographisch behandelt. Er zeigt, „dass die Ornamentik der Naturvölker Afrikas sich in kernen anderen Bannen i bewegt, als diejenige anderer Erdteile". „Die Faktoren der Wiederholung, der Durchdrmgung, / der Anpassung an Raum und Material, der Verkümmerung und der Wucherung" spielen I auch beim Eidechsenornament eine bedeutsame Bolle. Das haufige Vorkommen des Eidechsenomamentes, das sich fast über den ganzen Erdteil erstreckt, erklart er daraus, dass die ' / Eidechse dem Neger „standig vor Augen und darum bekannt und geiaufig ist." „Ist es denn so verwunderlich, wenn der Eingeborene ohne jede tiefere Absicht, aus reiner Lust am Darstellen, Tiere nachzubilden sich bestrebt, die durch ihr Farbenspiel, ihr munteres drolliges Wesen, ihre Anhanghchkeit an die Hütte ihm auffallen müssen?" Wenn Weule — 17 — auch durchaus nicht den Einfluss religiöser Ideen leugnet, so möchte er doch unnützer Spekulationen aus dem Wege gehen. „Wir sehen, wie an der gemeinsamen Grenzlinie beide Gebiete unmerklich wieder inemander übergehen. Was dem Vorfahren bei der Aus wahl seiner „Gottheit" recht war, sollte es für das heutige Geschlecht bei der Anfertigung einer simplen Schnitzerei oder einer primitiven Zeichnung nicht billig sein 7" Weule geht dann auf die verschiedene Gestaltung des Ornaments bei verschiedenen afrikanischen Völkern ein und zeigt an zahlreichen Beispielen den Einfluss des Materials auf die Technik des Ornamentierens. Er findet, „dass entweder das Ornament durch die Gestalt seines Tragers bedingt wird, oder aber, und das liegt ebenso nahe und ist dabei viel bedeutungsvoller, dass die Gestalt des Tragers eine Funktion des Ornaments ist. Der erste naheliegende Gedanke ergibt ohne Weiteres die Möglichkeit, aus der Form des Tragers die Herkunft des Ornamentes selbst zu bestimmen." Der andere Gedanke hingegen führt zü der Vermutung, dass „alle Dinge, die als Ornament zur Verwendung gelangen, sei es Pflanze oder Tier, in ihren Originalen dem Menschen lange vorher nicht nur überhaupt gedient, sondern auf ahnliche Weise und zu ahnlichen Zwecken gedient haben, wie nachher die im Zierstück verewigten selben Gegenstande." Aber es besteht eine Wechselbeziehung zwischen Trager und Ornament, und nicht nur übt jener einen Einfluss auf dieses, „sondern auch die Gestalt des Tragers wird durch das Ornament mehr oder weniger beeinflusst." Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Form „eines anscheinend ausschliesslich aus Nützlichkeitsrücksichten hervorgegangenen Gerates" auch „durch die asthetischen Rücksichten auf sein Ornament" mit bedmgt worden ist. Das rege Interesse der damaligen Zeit für die primitive Ornamentik zeigt der wissenschaftliche Bericht der Kolonialausstellung in Treptow 1896 (214). Unter dem reichen Bildermaterial befinden sich auch zahlreiche von Weule gezeichnete „Ornamehtreihen", die die Wandlung der menschlichen Figur auf den Speeren der Salomongruppe und andere Ornamententwicklungen veranschaulichen. v. Luschan (108), der auch sonst ein reges Interesse für ornamentale Fragen betatigt hat, gibt die erlauternde Beschreibung. In einem Vortrag untersucht v. Luschan (215) das Vorkommen des „Hakenkreuzes in Afrika". Er kommt dabei zu dem Resultat, dass dies Ornament vermutlich nicht von aussen nach Afrika gekommen, sondern dort selbstandig aus der Eidechse entstanden ist. Frobenius, der diese Ausführungen erganzt (219), bringt das Hakenkreuz mit einem Augenornament zusammen. Vor dieser kleinen Studie hat Leo Frobenius schon verschiedene andere Arbeiten veröffentlicht. Bereits 1894 untersucht er den Einfluss der Holztechnik auf die Keramik des südlichen Kongobeckens (216). 1896 behandelt er wieder ausschliesslich an afrikanischem Material „die Kunst der Naturvölker" (217). Er erganzt hier die Schurtzsche Definition von der Unselbstandigkeit der Ornaments, indem er im Ornament eme Figur sieht „die an einem Gegenstand ohne den Gedanken der praktischen Gebrauchserleichterung angebracht ist". Bei der Bildung der Ornamentik wirkt die Verzierung nicht als einziges Motiv, sondern mythologische Ideen, die Absicht zu schrecken und andere Einflüsse smd gleichfalls tatig. Besondere Beachtung schenkt Frobenius dem Stil (21). Allerdings dürfte seine Einteilung in ein 1. beschreibendes, 2. phantasierendes, 3. metamorphosierendes und 4. dekorierendes Stilisieren kaum für die Ornamentforschung besonders fruchtbar sein. Dasselbe gilt von der Unterscheidung in einen vornehmen und einen niederen Stil, je nachdem eigene oder entlehnte Motive nach den eigenen Gesetzen entwickelt werden. Die 3 i ; '. Luschan. frobenius. — 18 — Preuss. Hauptaufgabe der Ornamentik besteht darin, dass wir „den Text der Ornamente auch ohne Kommentar der Eingeborenen lesen lernen". Hierbei helfen uns die Entwicklungsreihen. „Zumeist weisen noch vollendete, klar das Sinnmotiv verratende Ornamente auf die zukünftige Auflösung hin". Die in Afrika „allerorts bevorzugte" Auflösungslinie ist die Zickzacklinie. Sie verleiht der afrikanischen Ornamentik ihren Charakter. Auf diese viel zu sehr verallgemeinernde Charakteristik der afrikanischen Ornamentik, die Frobenius aus einem nur kleinen Material gefolgert hat, ist wohl spater von dem Forscher selbst kein allzu grosses Gewicht gelegt worden. Bereits im folgenden Jahr (218) 1897 beschaftigt sich Frobenius wieder mit „dem anscheinend ausserórdentlich sterilen Gebiet der Ornamentik Afrikas". Er versucht auch dieses Mal eine Charakteristik der afrikanischen Ornamentik, in der „eine verwirrende Anzahl „von Entwicklungsreihen zu finden seien", zu geben. Die Hauptlinien bestehen in einer sinkenden Naturkunst, bei der die Ornamente als sinnliche Motive beginnen und als geistige enden, und in einer steigenden Kulturkunst, die sich in der Entwicklung „vom Geisterpfahl zur Ahnensaule" ausspricht. Der Formenschatz ist denkbar einfach und „die bevorzugte Linie ist die gebrochene mit dem beliebten Rechten." Der Grundzug ist im Gegensatz zu den melanesischen und indonesischen Wucherungserscheinungen die überwiegende Verkümmerung der afrikanischen Ornamentik. Auch in seiner „Völkerkunde in Charakterbildern" (22) hat Frobenius die Ornamentik in Wort und Bild vertreten; dagegen ist in seinen Reiseberichten über die an Ort und Stelle gemachten Studiën leider bisher, abgesehen von einigen Bildern und als Zier- oder Buchschmuck verwandten Zierleisten, nicht viel zu finden. Die Ornamentstudien Haddons über Britisch-Neu-Guinea sucht K. Th. Preuss') (105/7), den wir bereits als Interpreten der Steven'schen Ornamentik kennen gelernt haben, für die Ornamentik von Deutsch-Neuguinea zu erganzen. Wie Haddon strebt auch er eine Einteilung des Landes in ethnographische Distrikte an. Wenn die Kunstbezirke auch nicht so scharf von einander gesondert sind, so lassen sich doch markante Grenzen aufstellen. „Da man von der Sprache nicht das geringste weiss (1897), bietet in diesen kunstfrohen Gegenden das Ornament das exakteste Mittel, um den Fragen der Verwandtschaft naher zu treten." Hierbei ist es aber wichtig dass stets alle Gegenstande einer Gegend beachtet werden. Bei einer gleichzeitigen Betrachtung der Ornamentik verschiedener Völker muss man stets nur die ganzen Entwicklungsreihen vergleichen, da vereinzelt das gleiche Ornament leicht zu falschen Schlüssen verleitet und deshalb gar nichts für einén Völkerzusammenhang sagt. „Die geometrische Entwicklung eines Omaments kann alle möglichen Bahnen einschlagen und schnell einfache Formen hervorbringen, die überall in der Welt zu finden sind" (106). Die Möglichkeit, dass die angenommene Entwicklung „von realen Urbild zum geometrischen Ornament" in Wirklichkeit auch umgekehrt verlaufen könne, ein Umstand, „der nie zu einem einleuchtenden Ergebnis der Entwicklung, sondern höchstens zu einer planlosen ZusammensteUung von Aehnhchkeiten führt", verneint Preuss für das behandelte Gebiet. „Bei der Verwandlung eines geometrischen Ornamentes in ein Tier müsste dieses schon sonst dargestellt sein, und die Entwicklung nur ruckweise von statten gehen können." „Die Grenze, wo eine Reihe hypothetisch wird, lasst sich dabei 1) In einem soeben erschienenen, für einen weiteren Kreis bestimmten Buche: „Die geistige Kultur der Naturvölker" (11b) gibt Preuss seine Auffassung der primitiven Kunst wieder. — 19 — überall angeben. Die Möglichkeit, dass aus einfachen geometrischen Formen reale Gestaltei werden, d.h. beide sich kombinieren, ist nur als allerletztes Erkiarungsmittel in Betracht zi ziehen." Wo immer aus einfachen geometrischen Formen reale Gestalten werden, ist die; nur als eine Kombination aufzufassen. Daneben gibt Preuss das Auftreten von „ren ornamentalen Linien zur Vollendung der Verzierung von Fiachen" zu, „jedoch erst, wem trotz grossen Materials sich nur eine Anlehnung an die Motive erkennen lasst, deren reale] Ursprung durch Ableitung festgestellt ist". „Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass wh in der Zackenlinie ein asthetisches Prinzip vor uns haben und nicht wie sonst hauflg eine Ableitung von einem realen Gegenstand" (107). In einer spateren Arbeit unterscheidel Preuss zwischen gebundener und freier Ornamentik. „Frei wird die Ornamentik erst, wenr aus vorhandenen Liniengruppen oder Teilen Kombinationen gebildet werden, in dener nicht mehr ein ursprüngliches Motiv — sei es in realer oder abgeleiteter Form — über wiegt... Man darf sicher sein, dass die freie Ornamentik keinen Sinn hinter sich birgt.., "Weisen irgend welche Muster allmahliche Uebergange von einem zum andern auf, so ist von einer Bilderschrift keine Rede" (107). Auf die rein ethnologischen Ergebnisse dei Preuss'schen Forschungen, die mit den übrigen bekannten Tatsachen in Verbindung ge bracht werden, ist hier nicht naher einzugehen. Die gefundene Einteilung ist anderweit z. B. von v. Luschan in einer kurzen Monographie über Neu-Guinea (108) benützt worden. Weitere wertvolle Beitrage zur Ornamentik von Deutsch-Neuguinea Uefert Jankó (109) in dem „beschreibenden Katalog einer ethnographischen Sammlung." Wahrend man Jankd mcht immer unbedingt bei seinen. Erklarungsversuchen zu folgen vermag, sind die Ornamentdeutungen Schlaginhaufens (112) durchaus massvoll und zurückhaltend. Angeregt durch v. Luschans „Beitrage" sammelt der Missionar Vormann (110) Eingeborenendeutungen, die P. W. Schmidt unter Berücksichtigung der Literatur herausgibt. Graebner benützt die Ornamentik, um Kulturbeziehungen aufzuhellen (114). Doch liesse sich für Untersuchungen über Kulturkreisfragen wohl die meist recht konservative Zierkunst noch viel mehr heranziehen, als dies bisher namentlich von Frobenius und Grabner geschenen ist. K. Hagen vermag an der Hand eines reichen Materials „die Ornamentik der MatyInsulaner" (98) in Beziehung zu der mikronesischen Ornamentik zu setzen, die mehr Verwandtschaft mit den Ornamenten der Ruk- und Gilbertinsulaner zeigen. Hans Wohlbold (99), der reiches Material aus dem Berliner Museum veröffentlicht, halt die Ornamentik der Maty-ïnsulaner dagegen falschlich für selbstandig und „eigenartig". „Wir vermogen sie nicht zu erklaren oder nur ihre Verwandtschaft mit irgend einem Völkerkreis der Südsee nachzuweisen". Auf eine Deutung der Ornamente lasst sich jedoch Wqhlbold ebenso wenig wie R. Karutz (100) ein, der réiches Material aus dem Lübecker Museum mitteilt. Er weistnur auf den Zusammenhang mit den Ornamenten der Karolinen und den polynesischen Tapamustern hin. Jedoch wird die letztere Beziehung von Hagen (102) als „nicht überzeugend" abgelehnt. In der Ornamentik von Agomes kann Thilenius (101) zwei verschiedene Reihen nachweisen, von denen die eine auf eme Phallusflgur zurückgeht, wahrend die Ausgangsform der anderen ein Baumbeutler mit einer Schildkröte ist. Thilenius macht besonders darauf aufmerksam, dass das Bestreben des primitiven Künstlers, das Objekt bis aufs letzte Fleckchen mit Ornamenten zu bedecken, zur Anbringung von bedeutungslosen Linien und Leisten, die lediglich „Füllsel" smd, führt. Ein Höhepunkt der Ornamentforschung fallt mit der Jahrhundertwende zusammen. Von zwei verschiedenen Seiten, von der Ethnologie und der Kunstgesehichte, werden die t L L Hagen. Schurtz. — 20 — Kuske. Woermanii. 1 I jisherigen Ergebnisse zusammengefasst. Heinrich Schurtz, über dessen eigene Forschung schon zu berichten war, (vgl. S. 15), berücksichtigt in seiner „Ürgeschichte der Kultur" 12) auch die Ornamentik, ihre Entwicklung, Wesen und Verbreitung. Er unterscheidet swischen geometrischer und figürlicher Ornamentik, von denen die eine Gruppe ursprung* ich bedeutungslos ist, die andere aber einen Sinn hat. Doch die Grenzen zwischen den beiden irsprünglich scharf geschiedenen Gruppen haben sich nach und nach verwischt, da einerseits „die geometrische Ornamentik erweitert und durch phantastische Zusatze bereichert ïvird, anderseits die figürhche Ornamentik infolge der Stilisierung mehr und mehr in Sedeutungslose Schnörkel übergeht". Einen neuen Gesichtspunkt für eine Einteilung der Ornamente gibt Schurtz, indem er die linearen Ornamentformen, die als Einfassungen und Elander dienen, von der die ganze Fiache bedeckenden Ornamentik scheidet. Eine weitere zusammenfassende Arbeit über „den Stand der Omamentikfrage" gibt Bruno Kuske in einem Vortrag des ethnographischen Seminars der Universitat Leipzig, in lem besonders auch die allgemeinen Fragen und Probleme vorgeführt werden (24). Als erster Kunsthistoriker berücksichtigt Karl Woermann auch die primitive Kunst md Ornamentik der heutigen Naturvölker in einer „Geschichte der Kunst" (11). Von der Mahistorischen Kunst ausgehend, gliedert er entsprechend den drei grossen dort vorgefunlenen Perioden auch die heutigen Naturvölker in drei Gruppen: 1. Die niederen Naturvölker (Jager und Fischer). 2. Die Völker, die auf der Stufe der jüngeren Steinzeit stehen geblieben sind, und 3. die metallkundigen Völker. Doch scheint dieses ausserlich übernommene Einteilungsprinzip für die Aufstellung pon Kunststufen nicht sehr glückhch zu sein, da die Erflndung oder Einführung der Metalltechnik bei den heutigen Naturvölkern nur einen unwesentlichen Einfluss auf ihre Kunst msgeübt hat. Eine Einteilung nach geographischen Gesichtspunkten dürfte bei dergleichen nmfassenden Darstellungen als eindeutig und feststehend immer noch vorzuziehen sein. Woermann kommt schliesslich auch auf diese Einteilung hinaus, wenn er zur ersten Gruppe iie „Randvölker" Ratzels, zur zweiten den pazifisch-amerikanischen Völkerkreis und zur ietzten die afrikanischen Völker und die Malaien rechnet. Woermann übernimmt es dann an der Hand der Literatur und eignen Museumstudiums sin übersichtüches, möglichst scharf charakterisierendes Bild der Kunst der einzelnen Völker, iie ja meist im dienenden Kleid der Ornamentik auftritt, zu geben. Dabei behandelt er luch die Frage nach dem Ursprung des Ornaments. Wir dürfen nicht alle Zierate aus siner QueUe ableiten, sondern sowohl aus der Naturnachahmung wie aus der Technik und 3innbildhchen Vorstellungen können Ornamente hervorgehen. Das Hauptgewicht legt Woermann aber auf die Naturnachahmung, aus der er auch „die einfachen oder rhythmisch ge'liederten eingeschnittenenen ParalleUinien, Zickzacklinien, Wellen- und Bogenlinien, sowie iie aus eingestochenen Punkten bestehenden Muster, die oft schachbrettartige Felder bilden", me wir sie bei den „niedrigen Naturvölkern" finden, herzuleiten versucht. „Die kristalünischen Gebilde der unorganischen Natur, die Zeichnung und Umrisslinien des Tierkleides werden nachgeahmt. Auch die Pflanzenwelt bietet eine Fülle symmetrischer und regelmassig-geometrischer Linienftthrungen dar." Diese Behauptung, die weniger schroff schon Balfour vertritt, ist trotz des versuchten Beweises durch Nebeneinanderstellen von Ornament und Vorbild schwerüch aufrecht zu halten. Wenn der primitive Mensch auch infolge seiner Lebensweise ein scharfes Beobachtungsvermögen besitzt, so kümmert er sich in der Regel — 21 — doch nicht um für ihn so nebensachliche Dinge wie die Zeichnung eines Schmetterlings oder die Form einer Pflanze oder gar eines Gebildes der anorganischen Welt. Sein Interesse ist vornehnüich rein vital auf die Tierwelt gerichtet. Sie hefert zunachst auch die Motive für die künstlerischen Darstellungen. Die Ornamentik der niedrigsten Naturvölker ist, wie noch zu zeigen sein wird, entweder aus der spielerischen Materialbeeinflussung oder aus der Technik oder auch aus stilisierten Natumachbildungen hervorgegangen; aber einen ausgepragten Sinn für die zartesten Kunstwerke der Natur bei den primitivsten Menschen voraussetzen, heisst die Qefühle der Menschen der Vollkultur in ihn hineinlegen. Ebenso erscheint uns „eine angeborene mathematische Begabung des menschhchen Geistes", die Woermann aus der Tatsache schliesst, dass die Stihsierung natürhcher Vorbilder immer zu denselben geometrischen Figuren führe, recht zweifelhaft. Ehe wir die Entwicklung der Ornamentforschung in Europa weiter verfolgen, soll kurz die amerikanische Forschung beleuchtet werden. Die amerikanischen Forscher legen vor allen Dingen auf zwei durchaus verschiedene Punkte Gewicht: einmal auf den Einfluss der Technik und zum andern auf die symbolische Bedeutung der Ornamente. Wie früher in Deutschland Semper, so ist es auch hier gegen Ende der 80er Jahre ein Architekt, W. H. Holmes, der nachdrücklich auf den grossen Einfluss der Technik auf die Ornamente hinweist. In zahlreichen Veröffentlichungen behandelt Holmes (150/58) textile nnd keramische Muster auf prabistorischen und rezenten Gegenstanden, wobei er die systematische Methode klar herausarbeitet. Jeder Gegenstand kann mit Bücksicht auf seinen Bau und seinen Zweck oder unter asthetischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Die asthetische Wirkung aber ist bedingt durch: Form, Farbe und Muster. Diese einzelnen Faktoren stehen untereinander in enger Wechselbeziehung. Form und Material vornehnüich üben einen grossen Einfluss auf Wahl und Gestaltung des Ornaments aus, wahrend die Farbe, „einer der bedeutendsten Faktoren in der asthetischen Entwicklung", meist sehr konstant bleibt. Das textile Ornament, das zwar nicht das alteste ist, wohl aber durch mögliche Ideenassoziationen Susserst bedeutsam werden kann, wird von Holmes besonders eingehend studiert. Mit der Flechttechnik hangt, wie Holmes eingehend darlegt, das keramische Ornament eng zusammen, da wahrscheinlich die primitivsten Töpfe durch Beschmieren von Körben mit Lehm entstanden sind (vgl. S. 57). Aus den Abdrücken von Geflechten auf den prahistorischen Gefassen schliesst Holmes anderseits wieder auf die Art des Geflechts. Neben dem Einfluss der Textilkunst auf die keramische Ornamentik macht Holmes auch die Verwendung von Stempel und Zahnrad zur Herstellung von Ornamenten an prahistorischen Töpfen wahrscheinlich. Die gesamte bekannte amerikanische Ornamentik fasst schliesslich Holmes in dem Artikel „Ornament" des „Handbook of American Indians" (] 58) zusammen. Auf die Untersuchungen der zahlreichen Forscher kann hier natürüch nicht im Einzelnen naher eingegangen werden. Von den alteren Forschern sind besonders Cushing, Hamlin und Boas zu nennen. Zahlreiche Monographien einer Technik und ihrer Ornamente erscheinen; so behandelt Beauchamp (1611) die Metalltechnikder New-Tork-Indianer, wahrend Mason (184/85) die amerikanische Flechtornamentik untersucht. G. NordensMöld weist nach dem Vorgange Holmes auf den Zusammenhang des keramischen Maanderornaments der Colorado-Indianer mit der Textilindustrie hin (161). K. Lumholtz (181/82) beschaftigt sich besonders mit der textilen Ornamentik der Amerikaner. — 22 — Schmidt modernen Huitschol-Indianer Mexikos, die stark von spanischer Kunst beeinflusst sind und deren Ornamente interessante Vergleiche mit den altmexikanischen Funden zulassen. In zahlreichen Tier- und Pflanzenmotiven an Kultgegenstanden, die die Huitschol, auch wenn jene bis zur UnkenntUchkeit stilisiert sind, stets zu benennen wissen, glaubt er eine Art ununterbrochener Gebete, um Regen für die Ernte zu erflehen, sehen zu dürfen. Die Pflanzenmotive führt Lumholtz auf den Einfluss der Missionare zurück, durch die auch der heraldische österreichische Doppeladler ins Land gekommen ist. Mit der symbolischen Bedeutung der Ornamentzeichen beschaftigt sich auch A. L. Kroeber besonders eingehend. Kroeber (171/73) behandelt in einer Arbeit über die ArapahoMuster, die zum grossen Teil abstrakte Ideen ausdrücken sollen, auch allgemeine Fragen. Er wendet sich gegen die Theorie von der Entstehung der Ornamente aus darstellenden Vorbildern. Der Grundfehler dieser These bestehe in der von vielen gemachten Voraussetzung, dass die wirkenden Tendenzen unvermischter und mehr differenziert gewesen seien, wahrend in Wirkhchkeit das Gegenteil der Fall ist. „L*i short, it is impossible to determine the origin of any art whose history we do not know." „Different objects may then have been represented, other ornamental motives employed in other materials but even then there certainly was the combination of ideographic symbolism with crude heavy decoration" (171). Kroeber behandelt dann auch noch ebenso wie Dixon, (178/80) S. A. Barret (183) u. a. die Flechtmuster kalifornischer Indianer (172). Sehr zahlreich sind auch die Arbeiten, die sich mit der interessanten Ornamentik der Nordwest-Amerikaner befassen: Fr. Boas (165) untersucht die Ornamente der Lülooet- und Thompson-Indianer und gemeinsam mit G. T. Emmons (167) die Flechtmuster der Chilkat. Emmons befasst sich ausserdem mit der Ornamentik der Tlinkit (168). L. Farrand (170) untersucht die Flechtornamente der Salisch, wahrend C. Wüloughby (174) und H. Newell Wardle (175) ahnliche Flechtornamente mit symbohscher Bedeutung aus derselben Gegend beleuchten. Clark Wissler (177) studiert die Zierkunst der Sioux-Indianer, und W. James Hoffman (186) gibt in seiner Monographie: „The graphic art of the Eskimos" auch eine eingehende Beschreibung und Erklarung der wenigen Ornamente dieser Rasse. Eine gedrangte Uebersicht der nordamerikanischen Ornamentforschung, die die Hauptergebnisse kurz zusammenfasst, gibt ein popularer Führer durch das American Museum of Natural History (163). In der europaischen Forschung tritt, z. T. durch die Arbeiten der amerikanischen Gelehrten angeregt, in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts eine Anderung in der Theorie- und Methodenbildung ein. Ein ernsthaftes Studium der primitiven Arbeitsweise, besonders der der textilen Künste, lasst den grossen Einfluss der Technik auf die Ornamentbildung erkennen. Dieselben Ornamente der Bakairi, die sr. Zt. v. d. Steinen zur Bildung seiner Theorie veranlasst hatten, führen Max Schmidt (199/202) zu einem ganz anderen Ergebnis. Dieser findet, dass die einfachen geometrischen Ornamente der Schingu-Indianer ihr unmittelbares Vorbild in den Geflechtsmustern haben, die sich ohne weiteres aus der Flechttechnik ergeben. Dem Indianer, der die Geflechtsmuster von Jugend auf vor seinen Augen entstehen sieht, sind diese mit konkreten Assoziationen verbundenen Muster so vertraut, dass er sie leicht auf andere Techniken übertragt. Durch blosse Variation und Kombination der zahlreichen aus der Technik von selbst entstehenden Muster ergibt sich eine ungeheure Zahl verschiedener Ornamente. Die Entstehung der Ornamente aus der gleichen Technik erklart auch das Vorkommen der gleichen Muster in ganz verschiedenen — 23 — Teilen Amerikas, ja der ganzen Erde. „Ueberall, wo Palmen wachsen, und wo die Menschen die Biatter derselben zu ihren Gebrauchsgegenstanden verflechten, ist ein selbstandiger Ausgangspunkt für das Entstehen der sogenannten Geflechtsmuster und der von ihr abgeleiteten Ornamentik überhaupt gegeben". Die Indianer wissen fttr alle vorhandenen Muster Benennungen anzugeben, die meist in enger Beziehung zu Tieren stehen. „Aber zumeist sind es nicht direkt die Tiere, nach denen die Muster benannt werden, sondern es sind bestimmte charakteristische Zeichnungen auf der Oberflache gewisser Tiere, die in ihrer geometrischen Anlage sowie in ihrer ausseren Erscheinung den betreffenden Mustern entsprechen". Von den Steinen, dessen frühere Auffassung wir bereits geschildert haben (vgl. S. 7), schliesst sich den Ausführungen Schmidts (195) an. Er unterscheidet jetzt für Südamerika von einer „figürhchen Ornamentik mit unzweifelhaft geometrischen Derivaten" ein „auf den diagonalen Flechtstil zurückgehendes Mustersystem mit Zickzacken, Dreiecken und Rauten mit zentralem Kranz". „Uluri und Mereschu können nicht mehr als bildliche Urmotive bestehen bleiben, sondern erscheinen nur mit sekundarer Bilddeutung ausgestattet". Die Ergebnisse M. Schmidts werden in glücklicher Weise durch zwei andere deutsche Forscher, die gleichfalls Expeditionen zum Studium der brasihanischen Indianer unter* nommen haben, bestatigt. Th. Koch-Grünberg, der die Indianer im Norden Brasiliens studiert, hat auch der künstlerischen Begabung dieser Stamme ein reges Interesse entgegengebracht. Ausser in seinem grossen Reisewerk: „Zwei Jahre unter den Indianern" hat er in einer Monographie über südamerikanische Felszeichnungen und in einem SMzzenbuch „Anfange der Kunst im Urwald" (203) reiches Bildermaterial und manch feine Beobachtung veröffentlicht.') Koch-Grünberg flndet die Einteilung Max Schmidt's im allgemeinen auch bei den von ihm untersuchten Indianern bestatigt. Sehr verdient um die Ornamentforschung hat sich auch Fritz Krause (202) gemacht, der in einer reich ausgestatteten Monographie über die Kunst der Karaja-Indianer wertvolles Material und sorgfaitige Beobachtungen veröffentlicht, ohne dabei seine Ergebnisse „mit dem schweren Ballast von allen möglichen Kunsttheorien zu überladen". Die KarajaIndianer besehranken sich — mit Ausnahme der Körpermuster — auf die Anbringung von aus der Flechttechnik stammenden Ornamenten, die als Tiere gedeutet werden. Diese Vermutung wird durch die Aussagen der Eingeborenen bestatigt. Diese antworteten gefragt nach den Namen der von ihnen ins Skizzenbuch gemalten Muster jedes Mal erst mit : hödjüdjü (= Flechterei) und geben erst auf weiteres Befragen hin den Namen irgend eines Tieres an. Wir haben hier also einen kaum misszuverstehenden Hinweis auf die Ent. stehung dieser Ornamente. Eine weit höher stehende Stufe der Ornamentik haben wir in den Gewebemustern aus Bolivien, die Erland Nordenskiöld (211) bespricht und die in ahnlicher Weise schon früher von Stübel, Reiss und Koppel in dem grossen Werk: „Kultur und Industrie süd. amerikanischer Völker" (188) veröffentlicht worden waren, vor uns. Besonderes Interesse erregt der österreichische Doppeladler, der, wie Nordenskiöld vermutet, auf spanischen Münzen ins Land gekommen ist. Zu ahnüchen Ergebnissen wie M. Schmidt gelangt A. Kramer (88—92) bei seinen Koch. Krause. Kramer. 1) Eine versprochene Monographie über Ornamentik ist leider nicht erschienen. — 24 — Stephan. mühsamen Untersuchungen der Ornamente auf den Kleidmatten und Rindenstoffen, die er wahrend seines wiederholten Aufenthaltes in der Südsee vornimmt. Kramer sammelte, unterstützt von seiner Prau, bei den Marshall-Insulanern, den Samoanern und den Bewohnern von Kusae mit dankenswertem Eifer eine grosse Anzahl von Ornamentmustern und Ornamentbenennungen. Das Ergebnis seiner Untersuchung ist, dass nicht eine Erklarung ausreicht, sondern dass sowohl die Phantasie der Flechterin wie auch die Gesetze des Flechtens hier neue Ornamente schaffen. „So einförmig die einzelnen Teile der Matten sind, so vielfèltig sind die Ornamente, welche in die Bander, (aus denen die Matte besteht) hineingestreut sind. Sie werden fast alle, wie auch die zahlreichen Tatauierornamente von den Eingeborenen benannt. ... Es mag beabsichtigt sein, dass z. B. ein Schift", ein Fisch oder ein Gerat auf der Matte erscheinen soll". Oft wird dies dann auch noch durch Stickereien mit der Hadel verst&rkt. „Es kann aber auch sein, dass die Flechterin irgendeine Figur erzielt, die von einem launigen Besitzer als etwas ganz anderes gedeutet wird als beabsichtigt war, und die neue Deutung beibehait. Diese Ursachen und Wirkungen sind so einfach und auf der Hand liegend, dass man nicht glauben sollte, dass besondere Spekulationen betreffs solcher Ornamente noch möglich waren". Den engen Zusammenhang, der oft zwischen Ornament und Mythos besteht, leugnet Kramer aber dabei durchaus nicht, wie sein Vortrag über „Ornamentik und Mythologie von Palau" (91) zeigt. Er untersucht hier besonders die Bedeutung der Darstellungen an den Hausern, die allerdings streng genommen schon keine Ornamente, sondern Bildergeschichten sind. Als beliebteste Zierfigur "finden wir kleine Ringe mit einem Kreuze als Zeichen für das Geldstück Galebogup oder einen Kreis oder auch ein Wirbelornament, das die in der Mythologie von Damonen gerollte Holzscheibe der Sonne darstellen soll. Mit der Südseekunst, dem Eldorado der Ornamentforschung, wo „es nur wenige Dinge gibt, die nicht in irgend einer Weise künstlerisch verziert werden", beschaftigt sich auch Emil Stephan (94). In einem reich ausgestatteten Buche, das auch für die Theorie- und Methodenbildung von hoher Bedeutung ist, beleuchtet er besonders die psychologische und asthetische Seite der Kunst des Bismarck-Archipels. Zunachst gibt Stephan den objektiven Tatbestand, indem er über Herkunft, Objekt, Vorlage und Technik der ornamentierten Gegenstande berichtet. In einem weiteren Abschnitt: „Von der wahren Bedeutung der Darstellungen" versucht er eine psychologische Analyse des Kunstschaffens der Bismarckinsulaner und des primitiven Menschen überhaupt zu geben. „Von dem offenbaren Missverhaltnis zwischen Darstellung und dem hier angeblich •zu Grunde liegenden Vorbilde" ausgehend, untersucht er die Entstehung der Kunst, die er „als blosses Symbol der Wirkhchkeit auffasst." Die Kunst, die in dem behandelten Gebiet wesentlich profanen Charakter tragt, besteht ihm in der unbewussten Abstrahierung der Erscheinungen der Aussenwelt. „Erst in dem Augenblicke, wo sich... in einem mensch-lichen Gehirn unbewusst die Form vom Inhalt eines Dinges trennt und sich das Bestreben regt, der geschauten Form Dauer zu verleiheh, entsteht die Kunst." Die Entwicklung der Kunst hat „auf dem Wege stattgefunden, den wir noch heute bei unseren Kindern verfolgen können. Das Gekritzel der Kinder, d. h. die blosse Materialeinwirkung, auf der das Tier stehen bleibt, führt namlich nicht zum ornamentalen Linienspiel, sondern macht den ungeheuren Sprang zur Schilderung der Natur. Das Wesentiiche bei dieser Art der Entwicklung ist die beabsichtigte Darstellung der Aussenwelt, als deren Symbol ein plastisches Gebilde oder die Umrisslinie erscheint.... Halten wir fest, dass nahezu alle künstlerische — 25 — Tatigkeit Nachbildung eines Vorbildes oder einfacher ausgedrückt" im Schaffen von „Bildern" besteht, so „verliert der Streit um die Herkunft der sogenannten Ornamente von vornherein seine grundsatzliche Bedeutung." Die Frage ob die Eingeborenen ihre Kunstprodukte als naturgetreu oder als stüisiert betrachten, muss unentschieden bleiben, „da die Beantwortung der Fragé lediglich vom Gefühl des Beschauers abhangig ist." „Ob die von den Bismarck-Insulanern angegebenen Bedeutungen ursprünglich oder übertragen smd, lasst sich nicht allgemein entscheiden Es kann aber nicht mehr bezweifelt werden, dass der "Weg von der Natur zum einfachsten Formgebilde möglich ist .... und dass die Deutungen im allgemeinen als ursprünghch und nur bei den technisch von selbst und neben dem Hauptzweck des Erzeugnisses entstandenen einfachsten Formgebilde als übertragen anzusehen ist." Aber eme Entstehung der sogenannten Ornamentik aus technischen Vorbildern ist im behandelten Gebiet „höchst unwahrscheinlich." Im einzelnen zu der Kunsttheorie Stephans, die — wie fast alle Theorien — einem bestimmten Gebiet angepasst ist, Stellung zu nehmen, erübrigt sich durch spater noch zu gebende Ausführungen. Auch bei den „Kunstwerken" der Bismarck-Insulaner ist offenbar die Tatsache der in der Psyche des primitiven Menschen durchaus bedingten „Wiederholung überkommener Vorwürfe" von grösserer Bedeutung als Stephan anzunehmen scheint. Gegen die Annahme, dass die Mehrzahl der Kunsterzeugmsse für die primitiven Künstler „Bilder" smd, scheinen die gelegentlich vorkommenden „auch für unsere Anschauung naturgetreuen Darstellungen" '), die verschiedene Deutung der gleichen Muster und die sicher übertragene Bedeutung vieler Muster zu sprechen. Es ist aber schhesslich eme Frage der Nomenklatur, ob man bei „symbolischen" Darstellungen von einzelnen Teilen eines Gegenstandès oder Körpers, — denn um diese handelt es sich ja meist nur — von einem Bilde sprechen darf. Man gibt Stephan schliesslich gern recht, wenn er betont, dass es „notwendig sei, dass man die gelehrten Bedenken, ob die Bedeutungen ursprünghch oder übertragen sind, zurückschiebt und die Auffassung der Eingeborenen dafur in den Vordergrund der Betrachtung rückt." Eine sehr wertvolle und interessante Erganzung des Materials von Stephan gibt K. Hagen. Hagen in seiner „Ornamentik von Wuvulu und Aua" (102) auf Grand einer Sammlung des Hamburger Museums für Völkerkunde. Das Material ist besonders wegen des offensichtlichen Mangels von Technikeihflüssen beachtenswert. Wir haben hier — um mit Verworn (46—48) zu reden — „eme ausgepragt physioplastische 2), d. h. der Natur entsprechende Kunst" vor uns. „Neben den rein physioplastischen Zeichnungen haben wir aber schon starke Ansatze von ornamentalen TJmformungen tierischer Gestalten in der Kunst von Wuvulu und Aua. Wir belauschen hier den Werdegang der idioplastischen Kunstübung, die in diesem Fall sicher hervorgerufen ist durch das „handwerksmassige und massenhafte Kopiëren von Vorlagen". Erwahnt sei das — in der primitiven Kunst sonst seltene — Vorkommen von Pflanzen- und Geratedarstellungen. Ob allerdings alle einfachen Formengebilde sich als stilisierte Naturnachbildungen erweisen, scheint doch fraglich zu sein. Mit der Zierkunst Australiens in ihren verschiedenen Aeusserungen, die schon von SnencerBr. Smyth (78) berücksichtigt worden war, beschaftigen sich eingehend Baldwin Spencer Giüen- 1) Gegenstücke finden sich in der Kunst der Schingu-Indianer. 2) Ueber die Berechtigung dieser Bezeichnung hat sich ein hitziger Kampf entsponnen, zu dem Doehlmann (49), Kerschensteiner (30) u. a. (298) das Wort ergriffen haben. 4 — 26 — Nieuwenhuis. und F. J. Gillen (79—80). Von der einfachen Rille, den schlecht ausgeführten und unregebmassig angeordneten Brandstrichen und dem einfarbigen Anstreichen eines Teiles des Gerates verfolgen sie die Ornamentik dieser primitiven Stamme bis zu ihren verwickeltsten Formen. Die im Anschluss an Haddon durchgeführte Einteilung in zoomorphe, phyllomorphe und geometrische Muster tritt bei den behandelten Ornamenten jedoch nicht scharf hervor. „It must however, be borne in mind that some of those included amongst the last may very possibly be the derivatives of one or other of the flrst two groups, which have becöme so modified in course of time that their original significance is completely lost. At the same time, their meaning and origin are completely unknown to the nataves". Besonderer Wert wird dann mit Recht auf den Zierat gelegt, der mit den Zeremonien und der totemistischen Weltanschauung in engem Zusammenhange steht. Einige weitere kleine Arbeiten über die australische Ornamentik verdanken wir Foy (74), Etheridge (73) und van Gennep (75). Mit der hochstehenden Ornamentik Indonesiens, die schon von Hein in Angriff genommen worden war (vgl. S. 6), haben sich in den letzten Jahren wieder verschiedene Forscher beschaftigt. W. Foy und O. Richter (135) untersuchen die Timorornamentik, für die sie auch bei scheinbar unkenntlich gewordenen Ornamenten oft eine naturalistische Grundlage nachweisen können. Ebenso wie diese Abhandlung ist auch eine Untersuchung von A. B. Meyer und O. Richter (133) über die gemein-malayische Ornamentik von Celebes als Publikation des Dresdener ethnographischen Museums erschienen. Auch grössere Reisewerke berücksichtigen jetzt endlich die Ornamentik; wenn es auch wohl nur selten in so glanzender und ausführlicher Weise geschieht wie von A. W. Nieuwenhuis1) in seinem Werk: „Quer durch Borneo" (130). Nieuwenhuis zeigt die hohe künstlerische Begabung der Dayak, die weit schönere Produkte hervorbringen könnten als es jetzt bei der ausschliesslich für den persönlichen Bedarf arbeitenden Zierkunst geschieht. Nieuwenhuis geht auch auf die Verteilung des Kunstsinnes unter die verschiedenen Volksangehörigen ein. Am hauftigsten und starksten regt sich der Kunstsinn in der Pubertatszeit, wahrend nach der Heirat die künstlerische Produktion meist rasch abnimmt. Eine Beschrankung nach Geschlechtern scheint nicht stattzuünden, doch haben im allgemeinen die Glieder der Haupthngsfanrüien allein die nötige Musse, um sich eingehend dem Kunsthandwerk widmen zu können. Einen breiten Raum in der dayakischen Kunst nehmen die erotischen Motive ein; diese hangen offenbar eng mit religiösen Vorstellungen zusammen. Man will durch Hervorheben der Genitaliën die bösen Geister vertreiben. Unter den wenigen Motiven der Zierkunst spielen die im Mythos vorkommenden Tiere eine wichtige RoUe, wenn auch andere Gegenstande der Umgebung, die „starke Eindrücke aufs Gemüt machen", hauflg als Vorlagen dienen, und der den Dayakstammen „eigene Kunstsinn nicht ohne weiteres als unmittelbarer Ausfluss ihrer religiösen Ueberzeugungen oder ihres Kultus" aufgefasst werden darf. Die Vorbilder der Ornamente entschwinden aber hauflg dem Bewusstsein, und „nur wenig Muster tragen noch die ursprünglichen Namen". Aber auch bei stark umgebildeten Motiven sind meist noch Erkennungszeichen wie die Augen, die Zahne, die Zunge u. a. vorhanden. Einige Erganzungen zu der von Nieuwenhuis gegebenen Entwicklung des Drachenornaments teilt Ernest B. Haddon (128) mit, wahrend Charles Hose und R. Shelford (129) 1) In einer soeben erschienenen Arbeit sucht Nieuwenhuis an der Hand der Ornamentik die psychische Fahigkeit der malaischen Völker darzulegen. (1301). — 27 — unter Heranziehung der vorhandenen Literatur reiches Material für das Studium der Tatauierornamente der Borneo-Insulaner beibringen. Ueber die Ornamentik der Mentaweinsulaner sind wir durch A. Maas (137) und W. Volz (132) naher unterrichtet. "W. Volz und M. Moszkowski (131/2) gehen in ihren Reiseberichten auch auf die Ornamentik verschiedener Stamme von Sumatra ein. Der letztere behandelt dabei auch die Entstehung der Ornamentik im allgemeinen, ohne jedoch irgend etwas wesentlich Neues zu bringen. Mit der von der Forschung bisher wenig berücksichtigten Ornamentik der nordasiatischen Naturvölker beschaftigt sich Berthold Laufer in der Monographie: „The decorative art of the Amur tribe" (148). Die behandelten Ornamente lassen sich auch bier auf ganz wenig Motive zurückführen; aus Nachbildungen des Hannes und des Fisches ist die ganze Ornamentik hervorgegangen. Manmgfache Mischungen der beiden Motive machen sie zu dekorativen Zwecken besonders geeignet. Die Frage aber, ob eine direkte Ableitung aus der Natur stattgefunden habe, verneint Laufer ganz entschieden. Die Seriën sprechen unleugbar dagegen. „It should not be imagined that the creations of animal life continued to lose more and more of their original forms, and gradually shrunk in to geometrical devices." Im Gegenteil lasst sich ein immer getreuer werdendes Nachbilden der Natur feststellen. In seiner Arbeit über die „Ornamente auf Birkenrinde und Feil beiden Ostjaken und Wogulen" (149) gibt TJ. T. Sirelius eine höchst wertvolle Materialsammlung mit nur kurzen Bemerkungen zur Erklarung der Ornamente. Die ebenfalls nur wenig bearbeitete afrikanische Ornamentik ist erst in den allerletzten Jahren wieder Gegenstand eifrigeren Studiums geworden. Ein besonderes Verdienst um die Erforschung der Ornamentik der Kongovölker hat sich das Musée du Congo in Brüssel erworben. Th. Masui studiert die keramischen Ornamente an den im Brüsseler Museum beflndlichen Gefassen. (221/22) Diese Untersuchung ist wegen der Seltenheit der zerbrechlichen keramischen Erzeugnisse in europaischen Museen doppelt zu begrüssen. Die Grundidee seiner Arbeit bezeichnet der Foischer selbst mit den Worten: „L'art primitif étant essentiellement imitateur, il est intéressant de rechercher a quelles sources 1'indigène a puisé les éléments décoratifs qu'il met si copieusement en oeuvre il suffira de vérifier si les ingénieuses theories établies ailleurs avec tant de vraisemblance et d'autorité trouvent leur application au Congo." Auf Einzelheiten dieser wie der übrigen noch zu besprechenden Arbeiten über afrikanische Ornamentik braucht hier um so weniger eingegangen zu werden, als im zweiten Teil dieser Abhandlung, der sich ausschliesslich mit der afrikanischen Ornamentik beschaftigt, Mufig auf die erwahnten Veröffentlichungen zurückzugreifen sein wird. (vgl. besonders, S. 44). Im Rahmen einer Monographie der Bushongo behandeln E. Torday und T. A. Joyce 1 (223) die Ornamentik dieses künstlerisch wohl begabtesten afrikanischen Volkes in geradezu mustergültiger Weise. Eingehend untersuchen sie die beiden grossen Kategorien der Ornamentik: „La première qui comprend des dessins visiblement empruntés au monde naturel, et la seconde qui comprend ceux empruntés au travail du tissage, bienque ces derniers aient parfois regu des noms d'animaux grace a la ressemblance plus ou moins grande qu'ils avaient avec ces animaux ou encore avec d'autres objets". Besonders wertvoll smd die Beobachtungen des primitiven Künstlers und die daran knüpfenden psycholo- Masui. rordayJoyce. — 28 — Tessmann. Vierkandt gischen Folgerungen. „Un Bushongo ne regarde pas un dessin, de la mêmé manière qu'un Europeen; il ne considère pas le dessin dans son ensemble, mais le décompose en différents dessins élémentaires, prend un de ces éléments comme caractéristique de la figure et donne au dessin tout entier la dénomination de cette partie". Einige andere ethnographische Werke, die in den letzten Jahren erschienen sind, streifen ornamentale Fragen wenigstens kurz und Dringen einiges wertvolle Material bei. Erwahnt seien nur Weule (230/1), Stow (232), Ankermann (233) u. a. In der alteren Literatur hingegen finden sich höchstens wertlose Urteile wie: „Geschmackvolles Ornament", „geometrisches Muster", „abscheulicher Geschmack", „groteske Phantasie" u. dergl. Ein erst in den letzten Monaten erschienenes Buch muss hier jedoch noch hervorgehoben werden: Günther Tessmann, „Die Pangwe" (224). Tessmann berichtet hier über seine eigenen, unter den Eingeborenen gemachten Studiën. Das Hauptergebnis seiner Forschungen besteht in der Erkenntnis, dass sich aUe Schöpfungen der ornamentalen Kunst, die wir bei den Pangwe treffen, auf einige wenige, eng mit der Technik zusammenhangende Formengebilde zurückführen lassen. „Von ihnen ist zu irgend einer Zeit ein asthetischer Eindruck ausgegangen; sie wurden als selbstandige Formen erfasst und mit diesem Augenblick zu Vorbildern, die man absichtlich — losgelöst von ihrer ursprünghchen, im wesenthchen praktischen Bedeutung —, zuerst in spielerischer Weise nachahmte und darauf nachschuf, um sie als ornamentales Beiwerk zu verwerten; sie wurden zu künstlerischen Motiven". Tessmann belegt seine Theorie mit zahlreichen Beispielen aus verschiedenen Techniken; besonders zieht er die Rlndenbearbeitung und die Kerbschnitzerei heran. Die aus der Technik entstandenen und in die Ornamentik übernommenen Muster, deren Ursprung ohne weiteres jederzeit wiederzuerkennen ist, werden von Tessmann als „Grundmuster" bezeichnet. Sie führen meist bei den Eingeborenen den Namen des Materials (s. Abbild. 77). Aus ihnen entstehen durch haufige Wiederholung und wechselndes Material „die abgewandelten Muster, in die der Pangwe spater konkrete Dinge der Umwelt hineingesehen und sie nach ihnen benannt hat". (s. Abb. 78). Die in der Ethnographie ausgebildeten Methoden haben in letzter Zeit auch auf die Prahistorie, deren besondere, typologische Methode wir bereits kurz beleuchtet haben (vgl. S. 1), befruchtend gewirkt. C. Schuchardt (45) u. a. suchen das technische Ornament mit Hilfe ethnologischer Parallelen aus seiner ursprünghchen Entstehung heraus zu erklaren. Aichler untersucht den Maander und das Kymation und erklart, im Gegensatz zur Verschiebungstheorie von Stübel und Wilke (vgl. S. 6), den Maander aus der Technik der Brettchenweberei und das Wellenornament aus einer keramischen Verzierung mittels Drehung einer Schnur. Unter den Ethnologen hat für die Ornamentforschung in Bücherbesprechungen und gelegentlichen Bemerkungen A. Vierkandt stets reges Interesse gezeigt. Neuerdings hat er in einem Artikel über „das Zeichnen der Naturvölker" (27) durch scharfes Herausarbeiten der Begriffe und einzelner Probleme viel zur Klarung der Frage beigetragen. Er stellt Entwicklungsstufen der Zeichnungen auf, die ausser einem ursprünghchen Nacheinander auch nebeneinander auftreten. Die Entwicklung, die durch ein Fortschreiten vom Subjektiven zum Objektiven charakterisiert wird, ghedert Vierkandt in: 1) andeutendes Zeichnen, das besonders durch die Felszeichnung vertreten ist, 2) beschreibendes Zeichnen, 3) anschauungsgemasses Zeichnen. - 29 — Ausser dieser inneren entwicklungsgeschichtlichen Gliederung trennt Vierkandt noch von dem „reinen Zeichnen" „die Nutzkunst", die er wiederum in rituales Zeichnen mitteilendes Zeichnen und Ornament gliedert. Es ist allerdings fraglich, ob die letztere Einteilung der wenig differenzierten primitiven Psyche genügend Rechnung tragt. Vierkandt selbst halt eine scbarfe Grenze kaum für möglich und betont wie Grosse das Mitwirken. von praktischen, nicht-asthetischen Motiven beim primitiven Ornament. Entsprechend den beiden Hauptforschungsrichtungen scheidet Vierkandt: Ornamente absteigender Entwicklung, die vom reahstischen Urbild ausgehen, von solchen aufsteigender Entwicklung, die meist aus der Technik ontspringen. Hierzu gesellt sich noch als drittes das unverandert gebhebene Ornament. Mit Recht betont Vierkandt, dass wir nicht nach dem Ursprung, sondern nur nach der Entwicklung einer relativ jüngsten Zeit fragen können. Das Ornament im enge ren Sinn ist durchweg, gemessen an der aufgestellten Entwicklungsfolge, auf der Stufe der Andeutung stehen geblieben. Als Grimde hierfür führt Vierkandt an: p dass <üe Ornamentik, im Gegensatz zur Felszeichnung von Sitte und Tradition beherrscht wird, 2. das durchweg spröde und schwierige Material, 3. den beschrankten Raum, 4. die Macht der Wiederholung, die leicht zur Ermüdung auf seelischem Gebiete führt und so eine möglichst einfache, schematische Lösung der Aufgabe erstreben lasst. Mit dem Problem des Anfangs der Ornamentik befasst sich Schroeter in seinen „Anfangen und Entwicklung der Kunst im Tierreich und bei den Zwergvölkern" (29). Schröter kommt zu dem formal-logischen Ergebnis der allmahlichen Komphzierung, Detailherung und Differenzierung. „Im Anfang der Kunst tritt stark die Neigung hervor von Unregelmassigkeit zu Regelmassigkeit zu gelangen". Zunachst ist nach Schröter die Ornamentik bedeutungslos, und erst allmahhch flndet ein „Uebergang zu grösserem Naturahsmus" statt. Eine Geschichte der Ornamentforschung bei primitiven Völkern darf und kann nicht achtlos an den Ergebnissen der Völkerpsychologie, deren Einfluss auf die Ethnologie immer stérker wird, vorübergehen. Das Standardwork der jungen Wissenschaft: Wilhelm Wundts, Völkerpsychologie (14—15) raumt der Ornamentik den ihr gebührenden Platz ein, indem es einerseits die Entwicklung der Zierkunst vorführt und anderseits eine psychologische Analyse der Ornamentik gibt'). Dass auch die Kunstwissenschaft und Aesthetik endlich lebhafteres Interesse für die ethnologische Ornamentik hat, beweisen u. a, verschiedene Abhandlungen von August Schmarsow (25; 234), dem der „Anfangsgrund aller Ornamentik der Mederschlag geregelter Ausdrucksbewegungen in sichtbaren Zeichen ist." Unter den Aethetikern beschaftigt sich neuerdings auch Worringer viel mit primitiver Ornamentik. In seinem geistvollen Buch: „Die Formelemente der Gotik" (28) „konstruiert" Schroeter. Wundt. 1) Eine Besprechung und Würdigung dieser Ausfuhrung die naturgemass einen sehr weiten Raum beanspruchen wurden, muss und kann hier unterbleiben. - 30 — er als Gegenstück zum klassischen den primitiven Menschen. Wahrend im klassischen Menschen das Gefühl des Lebendigen, Organischen rege ist, steht der Primitive unter der „Anschauungsqual eines Dualismus zwischen Mensch und Welt; die Kunst ist ihm Ausfluss eines geheimen Beschwörungsdienstes Die Ornamente dienen ihm nicht zur blossen Schmuckfreude oder als Spiel, sondern sie sind ihm Symbole des Notwendigen in geometrischen und stereometrischen Gebilden, der einzige ihm erreichbare anschauhche Ausdruck." Neuerdings hat Worringer seine Ansichten über primitive Ornamentik, die er in engem Zusammenhang mit transzendental-religiösen Anschauungen bringt, auf dem Kongress für Aesthetik und Allgemeine Kunstwissenschaft in Berlin vorgetragen 1). Fassen wir die Ergebnisse unseres Ueberbhcks über die Ornamentforschung nochmals kurz zusammen, so finden wir, dass, abgesehen von einzelnen Vorarbeitèn, eine intensive Forschung erst mit den letzten beiden Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts einsetzt. Wahrend anfanglich die Forschung fast ausschliesslich in den Handen der Fachethnographen runt, beschaftigen sich neuerdings auch andere beteiligte Grenzwïssenschaften mit diesen Fragen. Man hat endgültig mit der alten Ansicht aufgeraumt, dass Ornamente der „Wilden" „zu fallige bedeutungslose Schmierereien" oder „ausgeklügelte mathematische Liniendekorationen" seien. Dafür hat man eine Unzahl oft scheinbar ganz unvereinbarer Theorien über Entstehen, Wesen und Entwicklung der Ornamentik gebildet. Lassen sich alle diese verschiedenen Auffassungen in ein einheitliches System bringen? Um eine Antwort auf diese Frage geben zu können, muss man die Bedingtheit der verschiedenen Forschungsergebnisse in Betracht ziehen. Neben der Abhangigkeit des Einzelnen von den allgemeinen die Zeit bewegenden philosophischen Theorien und Systemen (Völkergedanke oder EnÜehnung) und den vorhergehenden Forschern übt das behandelte Material einen entseheidenden Einfluss aus. Was für ein gewaltiger Unterschied besteht etwa zwischen der Ornamentik der Polynesiër und der nordamerikanischen Indianer, oder gar zwischen der primitiven Kunst der Negritos und der hochstehenden malayischen Ornamente Indonesiens; von der Ornamentik der Kulturvölker, die hier ausser Betracht zu bleiben hat, ganz zu schweigen. Auch die Art der Herstellung der behandelten Ornamente kann nicht ohne Wirkung auf die Gesamtauffassung der Ornamentik bleiben. Wie verschieden sind doch scheinbar die „Gestaltungsprinzipien" der textilen Ornamente von den geschnitzten Verzierungën. Der „rote Faden", der in allen Anschauungen durchscnimmert, ist der der organischen Bedingtheit jedes Ornaments. Wie folgerecht jedes Ornament beschaflèn ist, wie tief es in der Kultur des betreffenden Volkes begründet ist, soll im Folgenden am Beispiel der afrikanischen Ornamentik zu zeigen versucht werden. 1) Leider kann noch nicht naher auf diese Ausführungen eingegangen werden, da z. Zt. der Kongressbericht noch nicht erschienen ist. II. KAPITEL. Wesen der Ornamentik. Mannigfaltig und bunt wie die Methoden und Theorien der Ornamentforschung schillert schon das Wort und der Begriff: Ornament. Sprachliche Entwicklung des Begriff8 Ornament: Das lateinische Stammwort: ornameutum (= Verzierung, Zierat, Schmuck) fasst den Begriff in seiner weitesten Form. Diese allgemeine Bedeutung: Schmuck ist ursprünghch mit dem Worte selbst ins Deutsche übernommen worden. Dies zeigt noch deutlich folgende Stelle einer deutschen Uebersetzung des Boccaccio vom Jahre 1535 (235): „geleich als die leuchtende stern des himmels schone und ornament sein, also auch in dem angende des meien in dem grünen anger die schönen plümelein des angers ornament • sein". Die Franzosen (ornement) und die Englander (ornament) gebrauchen noch heute das Wort in dieser weiteren Bedeutung. Die in der Sprache eingetretene Beschrankung des Wortsinnes ist, wie der mannigfache Gebrauch des Wortes erkennen lasst, noch nicht abgeschlossen. Allen Definitionen des Ornaments ist wohl als wesentlicher Gesichtspunkt das asthetische Empfinden des Menschen gemein. So ist z.B. nach Preuss das Ornament im weitesten Sinn ebenso wie das selbstandige Gemalde „das Produkt der asthetischen Kunst, deren Zweck und Ursache die Freude ist". Abgrenzung des Ornaments gegen den Schmuck: Der Mensch schafft sich einen Zierrat, sei es nun, dass er vorgefundene Gegenstande — vielleicht unter bestimmter Anordnung — einfach als Schmuck acceptiert, oder sei es, dass er irgend ein Objekt in der Absicht es zu verschonen verandert. Meist beschrankt man sich jedoch auf die letztere Art der Verzierung und scheidet die blosse Verwendung von Gegenstanden ohne diese zu verandern, als „Schmuck" aus. Abgrenzung des Ornaments gegen die freie Kunst: Die Abgrenzung der Ornamentik gegenüber der „freien Kunst" lasst gleichfalls wieder verschiedene Möghchkeiten zu. Der Hauptunterschied ist schon durch den Gegensatz: freiunfrei gekennzeichnet. Die künstlerische Unselbstandigkeit hat ein Vereinfachen, ein Zurücktreten des Besonderen zur Folge. Ebenso wie das „eigenthche Ornament" keinen Eigenwert in künstlerischer Hinsicht besitzt, darf es auch nicht praktischen Zwecken — 32 — wie der Mitteilung, der Eigentumsbezeichnung und ahnlicbem dienen. Noch unhaltbarer ist der Gegensatz von „ornamental" und „sinnig", den Hutter, Klaatsch u. a. (237; 238) machen. Vierkandt versteht unter dem Ornament im weiteren Sinn „jede Zeichnung, die durch irgendwelche Technik des Verzierens, Brennens, Schneidens, Kerbens u. s. w. hergestellt, sich auf irgendeinem Gerate oder sonstigen Gegenstand des praktischen Gebrauches flndet". (27). Stephan (94) führt die Beschrankung des Ornaments auf bedeutungslose Kunst konsequent durch und versteht „unter einem ornamentalen Stil eine Kunstübung, die nur von den Gesetzen des Bhythmus und der Symmetrie eingeengt, durch das willkürliche Spiel mit einfachen Linien mannigfache Gebilde erzeugt, die einzig und allein der freischaffenden Phantasie ihre Entstehung verdanken, in der Aussenwelt kein Vorbild haben und lediglich den Zweck verfolgen, dem Beschauer zu gefallen". Folgerichtig verwirft deshalb auch Stephan die Bezeichnung Ornament für die Kunsterzeugnisse der Bismarckinsulaner. Um den sprachUchen Schwierigkeiten „dieser technischen Ausdrücke unserer Aesthetik zu entgehen, möchte Stephan statt der bisherigen Bezeichnung Ornamentik die neue: „Bekunstung" setzen. „Ornament", für das die neue Benennung keinen Ersatz bietet, „lasst sich durch Vorwurf, Motiv, im einzelnen Fall wohl auch durch Bemalung, Schnitzerei oder sonstwie umschreiben". Abgrenzung zwischen Ornament und Arbeitsprodukt. Schwer zu ziehen ist schliesslich auch noch die Grenze zwischen blossem Arbeitsprodukt und Ornament. Verworn (48) halt „als alteste überlieferte Aeusserung eines künstlerischen Empfindens den klarbewussten Formensinn, der sich in dem regelmassig bearbeiteten Steinhammer des Palaolithikers zeigt". Auch für Schmarsow (25) ist „alle überschüssige Vervielfaltigung der technischen Prozedur, die nur ein verweilendes, durchkostendes, umspielendes Wiederholen der Zweckform bedeutet, Ornamentik". Nach dieser Deflnition ist also auch Glanz, Glatte, regelmassige Ausführung als Ornamentik zu betrachten. Ernst-Grosse (8), der die Verzierung des menschlichen Körpers gesondert als Kosmetik behandelt, bezeichnet diesen weiteren Begriff als „Gerateschmuck im Unterschied von dem engeren der omamentalen Dekoration". Auch Frobenius (218) versteht unter einem Ornament „eine Figur, die an einem Gegenstand angebracht ist, ohne den Gedanken der praktischen Gebrauchserleichterung". Ein im gewöhnlichen Sprachgebrauch haufig vorkommende, aber durchaus nicht streng durchgeführte Beschrankung der Bezeichnung Ornament auf die Flachenverzierung im Gegensatz zum plastischen Zierrat sei nur beiiaufig erwahnt. Ebenso unbrauchbar für die primitive Ornamentik ist der Sinn, den Grosse in seinen „Kunststudiën" (9) dem Worte unterlegt. Für ihn ist „ein Bild, dem ein derartiger (seelischer) Inhalt fehlt nichts als ein Ornament; es gehört als solches, auch wenn es in den riesigsten Dimensionen ausgeführt ist, zu den Werken der kleinen Zierkunst, nicht zu denen der grossen Bildkunst". Zusammenfassung : Zusammenfassend können wir unter Ornamentik diejenige künstlerische Tatigkeit verstehen, die irgendwie einen Gegenstand, der bereits irgend einem Zwecke dient, in der Absicht denselben wohlgefijlliger zu gestalten, verandert. Es ist hiermit natürlich nicht ausgeschlossen, dass die asthetischen Motive mit anderen eng verknüpft sind. - 33 - Gestaltungsprinzipien: Das Wesen der Ornamentik ist mit dieser Deflnition aber ebensowenig erschöpft, wie das Wesen irgend eines körperlichen Organismus mit der Kenntnis seiner Anatomie. Es gilt die Gesetze zu finden, nach denen sich das in ihnen herrschende Leben gestaltet. Als erstes dieser Gestaltungsprinzipien, die natürlich auch vom „Bau des Knochengerüstes" bedingt sind, finden wir eine Anpassung der Ornamentik an Raum und Material, Form und Zweck des Ornamenttragers. Das Objekt mit seinem bestimmten Material, bestimmter Form und bestimmten Zweck, das als primarer Reiz die künstlerische Reaktion auslöst, ist einer der wichtigsten Faktoren, der bei der Gestaltung eines Ornaments mitspricht, oder, wie Weule es kurz ausdrückt, (213): Die Gestalt des Tragers ist eine Funktion des Ornaments. Grosse und Form des Ornamenttragers: Form, Grösse und Beschaffenheit des zu schmückenden Raumes sprechen bei Wahl und Gestaltung der Muster ein gewichtiges Wort mit. Der Sudan-Neger etwa ziert seine schmale Messinghaarnadel nur mit „einfachsten Formgebilden", wahrend er auf die breite Speerspitze mühsam eine Eidechse einritzt. Vor allem wird man sich begnügen auf niederer Kulturstufe einen kleinen Raum mit rhythmisch angeordneten Strichen zu zieren. Die Hottentotten schmücken ihre Armringe mit. Randdreiecken und sich daraus ergebenden Rauten. Nur auf einer verhaltnismassig hohen Stufe und bei einer bestimmten Absicht (Amulett) werden auch kleine und ungünstige Raumverhaltnisse als Trager von „komplizierten Lebensformen" oder deren Ableitungen auftreten. Ein assimilatives Hineinsehen von Lebensformen hingegen scheint sehr haufig zu sein. Im Gegensatz hierzu ermuntern die grossen leicht zu bearbeitenden Flachen einer Kalebasse zur Verwendung von Nachbildungsornamenten. Wir finden verzierte Kürbisschalen fast über den ganzen Continent verbreitet. Der grosse leere Raum, verbunden mit einer leichten Technik, verleitet den primitiven Künstler förmlich zum Erzahlen. So schmückt der Kaffer oder der Schilluk gern seine Gefasse mit Darstellungen von allerhand Begebenheiten, die an die klassischen Verzierungën auf den Schilden homerischer Helden erinnern. Im künstlerisch viel höher stehenden Sudan finden meist nur wenig Motive zur Verzierung der Kalebassen Anwendung. Diese Zierformen sind durch Stilisierung. der Form ihres Tragers besonders angepasst. Wird aber das gleiche Muster bei verschiedenen Raumverhaltnissen gewahlt, so nimmt es hierbei meist ganz verschiedene Gestalt an. Ein langlicher Raum etwa zieht die Formen auseinander, wahrend ein enger Platz sie zusammenpresst. Das Spinnenmuster an einem Ruhebett tragt ein ganz anderes Geprage als ein solches auf der Kopffrisur einer Balipfeife. Besonders schön kann man die Umbildung desselben Musters bei verschiedenen Raumverhaltnissen am „Bandriemenornament" der Bakuba studieren. Raum: Schliesslich kann ein noch zu füllender Raum zur Bildung fester einfacher Formgebilde führen. Auf den Kalebassen etwa werden die aufgebogenen Rander oft mit ganz unkennthch gewordenen Eidechsenkörpern verziert. (Abb. 44/49 Taf. H). Zweck und Verwendung des Tragers: Dass auch der Zweck und die praktische Verwendung eines Ornamenttragers grossen 5 — 34 — Einfluss auf Wahl und Gestalt ausübt, braucht kaum noch besonderer Belege. An keramischen Erzeugnissen besonders kann man den Unterschied zwischen Gebrauchs- und Luxusgegenstanden deutlich an der verschiedenen Ornamentierung erkennen. Wahrend die fur kultische Zwecke bestimmten Gefasse oft reich mit figürlichen Ornamenten geschmückt sind, tragen die Töpfe des taglichen Gebrauches meist nur die allereinfachsten Ritzmuster. Die gleichen Ornamente sind auf der Paradeaxt viel sorgfaltiger und oft auch in einer viel mühsameren Technik ausgeführt als auf der Gebrauchsaxt. Der Zweck eines Gerates übt naturgemass auch einen Einfluss auf die Wahl der oft mit religiösen Vorstellungen zusammenhangenden Ornamente; so schmückt man die Musikinstrumente, die zur Vertreibung der Geister dienen sollen, mit Vorliebe mit Darstellungen von Genitaliën, Eidechsen, Schlangen u.a. (vgl. S. 47 ff). Material: Auf den grossen Einfluss, den das Material auf die Ornamentik ausübt, braucht hier nicht eingegangen zu werden, da dies im Zus ammenhang mit dem ausführhch zu behandelnden Einfluss der Technik geschehen soll. (vgl. S. 47 ff). Wiederholung: Ein weiteres fundamentales Gestaltungsprinzip tritt uns in der Wiederholung entgegen, die geradezu als Kriterium der Ornamentik' gelten kann. Vierkandt z. B., der eine Ornamentik im weiteren von einer im engeren Sinn scheidet, halt als Merkmal der letzteren „die fortgesetzte Wiederholung desselben Motivs auf demselben Gerat" (27). Der einzelne Strich oder „Haken" an einem Gefass oder der vereinzelte bunte Faden im Flechtwerk wecken eher den Eindruck des TJnregelmassigen, Störenden, denn den der Verzierung. Dagegen können die gleichen „Materialveranderungen" in bestimmter Anordnung wiederholt, durchaus „dekorativ wirken" und dadurch zum Ornament werden. Auch die zu Zierzwecken verwendeten „Naturformen" werden recht eigentlich erst durch die Wiederholung zum Ornament. Es ist jedoch schwer, wenn nicht unmöglich, dem einen als Trager einer Schale dienenden Tier den Ornamentcharakter abzusprechen, den man dem gleich „stilisierten" Tier, wenn es wiederholt nebeneinander gestellt wird, zuerkennt. Die Wiederholung des gleichen Motivs ist ursprünghch wohl nicht dem noch ganz unentwickelten asthetischen Empflnden des primitiven Menschen, sondern seiner Gedankenarmut und dem das Einschlagen neuer Wege verhindernden Beharrungsvermögen zuzuschreiben. Oft tritt hierbei unbewusst eine Veranderung ein, indem man Besonderheiten oder auch Fehler der Vorlage beim Wiederholen vergrössert und den ursprünghchen Charakter schliesslich ganz verwischt. Diese Eigentümlichkeit tritt besonders beim fortgesetzten Kopiëren von Zeichnungen deutlich zu Tage. Die Ornamente, die auf Metallgefassen der Joruba eingepunzt sind, werden, obwohl sie einen unverkennbaren Zusammenhang mit einer hochstehenden Pflanzenornamentik zweifellos erkennen lassen, als Teile von Tieren gedeutet. (Abb. 50—56 Taf. I). Den gleichen Vorgang können wir an den Lederornamenten der Haussa beobachten. In dem wahrscheinlich aus dem Oriënt stammenden Bandriemenstil sind Eidechsen, Schlangen, Menschen und andere Wesen hineingesehen und schliesslich auch hineinkombiniert worden (Abb. 90—93 Taf. DJ. u. VII). Germann (243) zeigt, dass die ursprünghch naturwahr beabsichtigten, aber technisch unvoUkommenen Masken des Kameruner Graslandes durch fortgesetztes Kopiëren der — 35 — unvollkoinmenen Formen schliesslich einen ganz fratzenhaften, ja geradezu grotesk wirkenden Charakter erhalten können. Stümerung: In der Ornamentik wird durch die Wiederholung ein bestimmter Formenschatz herausgebildet, ein Stil geschaffen. Die Stilisierung kann entweder ein Vereinfachen und Verkümmern der ursprünglichen Formen, oder ein Wuchern derselben bedeuten, bisweilen tritt auch eine Verbindung beider ein. In der afrikanischen Ornamentik treten Wuchenmgsformen, die der Südseeornamentik das eigentümliche Geprage geben, ganz zu Gunsten der Kümmerformen zurück. Bei der Stilisierung von Naturformen geht der ursprüngliche Sinn oft ganz verloren; nur durch Aufstellen von Entwicklungsreihen kann die Bedeutung und Entstehung mancher Formen erkiart werden. Ein grosser Teil der bisherigen Ornamentforschung besteht in der Bildung solcher möglichst lückenloser Reihen. Doch hat man deren Bedeutung offenbar stark überschatzt. Es ist meist schon schwer zu entscheiden, ob die Entwicklung tatsachlich vom naturalistischen Vorbild zum geometrischen Ornament verlauft, oder ob nicht vielmehr der umgekehrte Fall vorliegt und die in das geometrische Ornament hineingesehene Bedeutung erst spater realistisch ausgestaltet worden ist. Auch über die Zugehörigkeit der einzelnen Glieder können leicht Zweifel entstehen. Einwandfrei sind nur die aus einem Material hergestellten und von einem Volke stammenden Ornamentseriën. Aber auch hier haben die verschiedenen Entwicklungsstufen, die oft von einem Künstler nebeneinander auf demselben Trager angebracht werden, zunachst lediglich asthetischen Wert, keinen historischen. Von einer bestimmten Stufe an kann man die stihsierten Formen oft auf ganz verschiedene Vorbilder zurückführen; hierdurch wird natürlich der Wert der Reihenbildung ebenfalls stark beeintrachtigt. Einwandfreie Reihen finden sich vor allen Dingen an „fabrikmassig" hergestellten Gegenstanden. Abb. 44/49 Taf. Et zeigen einige der zahlreichen Formen, die das Eidechsenornament auf Kalebassen annehmen kann. Abb. 44 zeigt deuthch erkennbar eine Eidechse, die in der nachsten Figur dem Gesetz der Symmetriebildung folgend einen zweiten Kopf erhült. In Abb. 46 sind beide Köpfe verschwunden und der Körper ist noch einfacher gestaltet. Schliesslich (Abb. 47) ist der Eidechsenkörper halbiert und mit seinen beiden seitlichen Ecken wieder spiegelbildartig zusammengesetzt; hierbei sind je zwei Beine zu einem Winkelzug vereint worden, der in der nachsten Figur zum einfachen kurzen Bogen zusammengezogen wird. Andere Reihen zeigen die Ornamente der Jaundespielmarken (Abb. 1—43 Taf. I), die aus der Schale einer harten Kernfrucht bestehen und in deren braunrote Epidermis Figuren eingeschnitten sind. Das Kreuz (Abb. 22—27) lasst sich lückenlos auf eine Vogelfigur zurückführen, wahrend sich das „Menschenornament" in „einfachste geometrische Gebilde" auflöst. Symmetriebildung: Ein weiterer Faktor, der bei der Gestaltung der Ornamentik von Bedeutung ist, ist die Neigung zur Symmetriebildung, wie sie uns in Abb. 45 Taf. II; 29 Taf. I u.a. entgegentritt. Selbst im übrigen ganz naturwahr gestaltete Figuren tragen bisweilen dem Gesetz der Symmetriebildung Rechnung, indem sie z.B. statt der unteren Extremitaten einen zweiten Kopf erhalten. — Viel wichtiger aber als die Symmetriebildung des einzelnen Ornaments ist die symmetrische Anordnung der Muster, der wir an dem mit einfachsten Formgebilden — 36 — geschmückten Ring des Buschmanns (Abb. 70 Taf. UI) ebenso wie an dem mit plastischen Ornamenten geschmückten Kunstgegenstand des Sudannegers begegnen. Die allgemeine Verbreitung der Symmetrie hat ihr Vorbild im bilateralen Bau des menschlichen Körpers. Die ersten symmetrischen Ornamente sind wahrscheinlich in den die Körperhnien nachziehenden Malereien und Tatauierungen zu suchen. Das wichtigste Merkmal jeder primitiven Ornamentik, ihre rhythmische Gestaltung ist durchaus in der psycho-physischen Organisation des Menschen bedingt. Um sie recht würdigen zu können, müssen wir aber auf den wichtigsten Faktor jeder Kunst naher eingehen, den Menschen. III. KAPITEL. Abten des Ornaments. Die Ornamentik ist das ABC der Kunstgeschichte. Es gibt heute kaum ein Volk auf der Erde, dem jede Spur einer Zierkunst fehlt. Vor allen Dingen haben auch die von Verworn u.a. als auf „rein physioplastischer" Stufe stehenden Buschmanner'), Eskimo, Palaolithiker, "Wuvulu u.a. eine mehr oder minder ausgepragte Ornamentik „linearer" und auch flgürlicher Art. (Abb. 69—73 Taf. III). Andere Völker wie die Bergdamara und wahrscheinlich auch die zentralafrikanischen Pygmaen haben ebenfalls lineare Ornamente, obwohl ihnen jede naturwahre Darstellung zu fehlen scheint. Auch hochstehende Hirtenvölker wie Massai und Herero, bei denen sich heute nicht die geringste Spur physioplastischer Kunst findet, haben diese schwerlich jemals besessen. Die geographischen Bedingungen und die von ihnen abhangigen wirtschaftlichen Verhaltnisse sind neben der verschiedenen Begabung die Hauptursachen der verschiedenen künstlerischen Betatigung. Für alle Erscheinungen und alle scheinbaren Zufalligkeiten in der primitiven Kunst müssen wir Grund und Ursache zu erkunden suchen. Ueberall, wo wir nur die nötige Kenntnis besitzen, lasst sich die Stetigkeit der Entwicklung nachweisen oder doch wenigstens vermuten. Drei verschiedene Möglichkeiten drangen sich zur Erklarung der Entstehung und Weiterbildüng der Ornamentik auf: Spiel, technische Fertigkeit, Naturnachbildung. Spiel: Die Mutter der Kunst ist das Spiel. Eine Vorstufe der Kunst primitivster Völker wie der Kinderkunst2) ist offenbar spielerische Materialeinwirkung, wie wir sie in Sandzeichnungen, Felsritzungen u. dergl. finden. Viele Autoren, unter ihnen besonders Verworn und Stephan, leugnen die Möglichkeit, dass ein Ornament aus spielerichen Kritzeleien entstehen 1) TJnverstilndlich ist die Behauptung von Levinstein (244) die Buschmanner seien noch nicht „zur Ornamentik übergegangen". 2) Der naheliegende Gedanke, die Ornamentationsversuche unserer Kinder, über die wir besonders durch die Massenuntersuchungen von Kerschensteiner (30) und die Monographien von Muth (31) unterrichtet sind, mit der Ornamentik der Naturvölker zu vergleichen, geben uns, wie auch Kerschensteiner betont, kaum ein brauchbares Ergebnis. Die Kinderornamente, die ja allerdings meist aus dem Spiel hervorgehen, werden erst von einem gewissen Alter ab „bedeutungsvoll". Wahrend beim Kinderornament „das angeborene Gefühl ftir Symmetrie und Rhythmus" und die durch Umwelt und Erziehung bedingte „Nachahmungstradition" die einzigen Quellen sind., wirken bei der Zierkunst der Naturvölker noch zahlreiche religiöse und andere Faktoren mit. — 38 — könne. Andere hingegen (und unter ihnen sorgsame Beobachter wie Thurnwald) (245), behaupten, dass „eine grosse Menge von Ornamentierungen rein spielerisch entstanden sei". Die Kritzeleien sind lediglich durch die psycho-physische Organisation des Menschen bedingt, und sie haben durchaus den Charakter einer Triebhandlung (246), sie gestalten sich aber wie alle menschliche Tatigkeit, der keine Hemmungen irgend einer Art entgegentreten, im bestimmten Rhythmus. Der Buschmann etwa ritzt rein zufallig seinen Pfeil, indem er denselben dabei gleichzeitig dreht. Er findet Gefallen an dem „schlangenförmigen" Linienzug, er apperzipiert denselben und wiederholt ihn willkürlich. (Abb. 71 Taf. DJ). Eine Assoziation mit einem Erinnerungsbild, hier etwa mit einer Schlange, braucht gar nicht notwendig vorhanden zu sein. Meist wird sie aUerdings bei dem konkreten Denken des Primitiven hinzutreten. In Abb. 71b ist zu der einfachen Schlangenlinie noch eine parallele eingeritzt und der Baum zwischen beiden ist teilweise, — offenbar ist der Künstler ermüdet oder sonstwie gestort worden —, mit Punkten ausgefüllt, vielleicht um dem Eindruck einer Schlange noch zu erhöhen. Die eigentlich künstlerische Betatigung setzt erst mit der Beteiligung des menschlichen Willens ein. Technische Fertigkeit: Auch die HersteUung von allerhand Geraten, Waffen, Kleidern u.a. führt den Menschen zu einer Materialveranderung, bei der sich gewollt oder ungewollt besondere Eigentümlichkeiten ergeben. Beim Plechten z. B. entstehen stets Geflechtslinienmuster (26). Indem man diese durch farbige Faden hervorhebt oder sie auf eine andere Technik übertragt, schafft man sich Ornamente (Abb. 94 Taf. VII). Auch hier wandelt sich die rein passive Apperzeption früh in eine aktive. Man sieht das Bild eines Gegenstandes in das Muster hinein. In Ruanda etwa deutet man die einfachen geradlinigen Ornamente, die sich durch Verwendung von verschiedenfarbigen Flechtfaden aus der Technik ergeben als Schwalbenflügel, Pfeile u. dergl. (Abb. 63 Taf. E) Die nur symboüsche Bedeutung der Ornamente geht aus der Tatsache hervor, dass die Namen meist nur noch von einigen alten Weibern gewusst werden, wahrend sie dem Gedachtnis der heutigen Generation schon fast ganz entschwunden smd (247). Dasselbe gilt auch von der Deutung vieler auf eine andere Technik übertragener Ornamente. Dreiecke, die auf Köcher geschnitzt werden, führen so den Namen Ingabbo (= Schild), wahrend schmale Kreise als Handgelenkringe bezeichnet werden. Bei diesen Bezeichnungen muss ausserdem noch die Tatsache berücksichtigt werden, dass den primitiven Sprachen, wie überhaupt dem primitiven Denken, abstrakte Begriffe wie Dreieck, Halbkreis u. s. w. noch fehlen. Die Wakamba bezeichnen deshalb die auf ihren Kalebassen als Randverzierung eingebrannten Dreiecke als Pfeilspitzen, also einem Gegenstand ihres Interessekreises, der die gleiche Form hat (Abb. 63/64 Taf. II). Durch die Technik smd auch die Ornamente auf den Zierrinden der Pangwe bedingt. In die Raute, die durch Axthiebe beim Ablösen der Rinde entsteht, wird etwa eme Eidechse hineingesehen und möglichst naturgetreu gestaltet. (Abb. 78 Taf. DJ). In der Nahtiinie (h) wird eine Schlange erkannt. Durch „Abwandeln" der „Grundmuster" entstehen schüesslich allerhand Ornamente wie Kiste (a), Leopard (g), Maske (k) u. a. (224). Besonders haufig finden wir den Assimilationsprozess an plastischen Gebilden. Der Knoten eines Buschmannstockes, der sich im Leipziger Museum für Völkerkunde befindet, (Abb. 69a Taf. DJ) ist alsTierkopf zurechtgeschnitzt. In die langen Löffelstiele der Betschuanen und Kaffern sind oft Giraffen hineingesehen. In Abb. 108 Taf. IX haben wir den wahrscheinlichen — 39 — Gang der Entwicklung vor uns. Der erste Löffel ist noch durchaus Zweckform und zeigt nicht ernmal eine Andeutung von einem Tier, im nachsten ist das gekrümmte Ende des Stiels als nicht naher zu bestimmender Tierkopf gestaltet. In den weiteren Abbildungen sehen wir nun deutlich die Giraffe. Im letzten Glied ist der Kopf, da die ursprünglich den Reiz auslösende Krümmung weggefallen ist, aus dem geraden Stil herausgearbeitet'). Naturnachbüdung: Ist der Mensch auf eine bestimmte Bewusstseinsstufe gekommen, so wird der Wunsch nach Reproduktion, falls er nicht wie bei den meisten Hirtenvölkern durch andere ungünstige Bedingungen unterdrückt wird, zum Durchbruch kommen. Der primitive Künstler ist bestrebt ihm besonders „nahe" liegende Dinge seiner Umgebung möglichst naturwahr darzustellen. Wir finden in den Buschmannmalereien geradezu Meisterwerke, aber auch im übrigen Afrika begegnen wir, wenn auch weniger vollkommenen, „Bildern". Sei es nun in der Hütte des Kreuzflussnegers oder an der Aussenwand der Behausung eines Mhehe, sei es auf der Kalebasse eines Kaffern oder eines Sudannegers oder auf der Tabaksbüchse eines Suaheli. Die Darstellungen stenen noch durchaus auf der Stufe der „Erinnerungskunst". Die Grenze zwischen freier und unfreier Kunst ist hier allerdings schwer zu ziehen, da die „Kunstwerke" ja nicht eigentlich Selbstzweck sind. Man ist durchaus bestrebt das Charakteristische des Vorbildes darzustellen. Wir können dies leicht an den Jaunde-Spielmarken (Abb. 1 ff Taf. I) beobachten. Am lehrreichsten ist die Darstellung eines Menschen (Abb. 36 Taf. I). Die Gestalt ist in Frontalansicht gegeben, nur der Kopf ist im Profil zusehen; doch man hat das zweite Auge unter das erste gesetzt. Von der Nase ist nur sehr wenig zu bemerken; dafür ist aber der Mund nicht zu verkennen. Die Arme sind zwar etwas zu dick, aber doch im übrigen im richtigen Grössenverhaltnis gegeben; auch die Finger sind wenigstens an der einen Hand deutlich zu erkennen. Die Beine haben den fast nie fehlenden Knick im Knie; die Füsse sind nur oberflachlich angedeutet. Ausserdem ist noch der Nabel dargesteilt, oder sollte es die weibliche Vagina sein? Die nachste Abbildung des Menschen ist bereits viel stilisierter, der Kopf ist als Raute gegeben; die nebeneinandergestellten Augen sind die einzigenj Charakteristika des frontal gestellten Gesichts. Die Extremitaten treten ganz hinter dem langgestreckten Körper zurück. Unter den Tierdarstellungen auf den Spielmarken findet sich haufig die Antilope, die in der übrigen afrikanischen Kunst mit Ausnahme der Buschmannzeichnungen fast fehlt. Wir finden sie stets in Profilstellung2) dargestellt. Das schwierigste Problem, das zu lösen ist, besteht in der Stellung des Kopfes. Die radikalste, zugleich aber schlechteste Lösung zeigt Abb. 40. Taf. I. Wahrend der Rumpf im Profil gesehen ist, gibt der primitive Künstler den Kopf in der Oberansicht, wobei er den Hals ungebührlich dehnt. Die übrigen Daistellungen (Abb. 38; 39) stellen eine Verbindung von Profil- und Frontalstellung des Kopfes dar. Auffallend ist noch die verschiedene Behandlung der Beine und des Schwanzes, der eigentlich nur in 1) Es sei hier auf die bekannte parallele Erscheinung aus dem Kinderleben hingewiesen. Einem Kind, das etwa einen Menschen zeichnet, sind einige Striche „daneben geraten". Gefragt, warum es denn diese gezeichnet habe, antwortet es nach kurzem Bedenken: Das ist doch der Teppich. Auch der Erwachsene, der gedankenlos etwas hinkritzelt, sieht plötzlich in dem Gewirr der Linien eine bekannte Erscheinung, und er versucht nun die Zeichnung dem assozierten Erinnerungsbild möglichst anzugleichen. 2) Eine beachtenswerte Ausnahme findet sich unter den von Moszkowski wiedergegebenen BuschmannMalereien (244). — 40 — Abb.. 40 naturwahr getroffen ist. Besonders beachtenswert ist die dekorative Ausnützung des verfügbaren Raums. Eine kleine Musterleistung in dieser Hinsicht ist das Chamaleon (Abb. 42), dessen Schwanz geschickt zur Erzielung einer geschlossenen Wirkung benützt ist. Die Vogeldarstellungen bedürfen kaum eines Kommentars. (Abb. 22 ff.) Was wird aber nun nachgebildet? Nicht planlos und willkürlich sind die Vorbilder gewahlt, sondern nur einige wenige Motive treten auf, die mit dem gesammten Geistesleben eines |Volkes in innigem Zusammenhang stehen. Anderseits darf die Bedeutung der getroffenenen Auswahl für das Verstandnis der primitiven Psyche nicht überschatzt werden, da, wie spater (vgl. S. 41) zu zeigen sein wird, bei der Wahl der Motive auch technische Grande stark mitsprechen. Man stellt vornehmhch Tier und Mensch dar; doch sind auch „Bilder" von Waffen, Schiffen, ja Badfahrern und anderen europaischen Kulturerrungenschaften nicht selten. Aber bei haufiger Wiederholung derselben Darstellungen werden nur noch die Dinge reproduziert, die erfahrangsgemass gelingen. Wird das Erinnerungsbild als Zierat irgend eines fertigen Gegenstandes verwandt, so richtet es sich nach den besonderen Gesetzen, die sich aus dem Wesen der Ornamentik ergeben. Wir scheiden mit Haddon die Nachahmungsornamente nach ihrer Entstehung in: 1. biomorphe. 2. physiomorphe. 3. skeuomorphe. Unter den biomorphen Bildungen nehmen bei fast allen unberührten Naturvölkern die Tierornamente bei weitem die erste Stelle ein. Menschenornam ent. Das Menschenornament, das in der amerikanischen und polynesischen Kunst eine wichtige Rolle spielt, tritt in der afrikanischen Zierkunst weit zurück. Meist ist er ganz naturgetreu wiedergegeben, stilisierte Formen sind oft nur durch die Technik bedingt. Wir finden deshalb auch den Menschen viel haufiger als plastisches denn als Fiachenornament. Letzteres kommt in der Ornamentik der Kaffern, etwa an einer Nackenstütze, auf Armringen und Messern von Loango, oder als Bambusritzerei in den Schnupftabaksbüchsen verschiedener ostafrikanischer Bantustamme vor. Auch in Flechtwerken finden sich bisweilen menschliche Darstellungen, so z. B. auf den Matten der Suaheli und der Loango (Abb. 85—86 Taf. VI); ebenso sind in den Ornamenten der Haussaledersachen bisweilen Menschen zu erkennen. Als plastische Verzierung dagegen wird der Mensch haufig verwandt, besonders in Joruba, im Kameruner Grasland und im südlichen Kongobecken, drei Bezirken, die man wahrscheinlich nicht mit Unrecht demselben Kulturkreis zurechnet. Aber auch im übrigen Afrika fehlen plastische Menschenornamente durchaus nicht ganz. Besonders die kultischen Zwecken dienenden Gerate sind mit menschhchen Figuren verziert. Sei es nun als Trager einer Opferschale (z. B. Weida, Togo) oder eines Schemels (Joruba u. a.). sei es als Schmuck einer Fetischtrommel (z. B. Dahome) oder eines Zeremonialstabes (z.B. Bakuba). Die Musikinstrumente tragen ebenfalls haufig menschhche Formen, so ist der Griff der Sansa gern als Menschenkopf gebildet. In Ostafrika, wo anthropomorphe Formen allerdings selten zur Verzierung benützt werden, finden wir in Usaramo menschhche Figuren als Schmuck auf dem Ende von Kriegshörnern, Spazierstöcken, Haarpfeilen, als Deckel von Tabaksdosen und als Stühltrager. In Pfeifenköpfe werden leicht menschlichec — 41 — Köpfe hineingesehen und darnach geformt. (Kameruner Grasland, südl. Kongohecken, Togo, Aschanti.) Erhaben geschnitzfce Menschenköpfe zieren mitunter die .Röhre der Bahtabakspfeifen. (Abb. 126 Taf. X). Die Bakuba schnitzen oft ihre Becher in der Form eines menschlichen Kopfes; vielleicht ist dies noch ein letzter unbewusster Nachklang der Zeit, da der Schadel des erschlagenen Feindes als Trinkgefass diente. Der Becherhenkel zeigt gleichfalls oft anthropomorphe Formen. (Abb. 89'o Taf. V). Keramische Erzeugnisse, die in den amerikanischen Kulturlandern so hauflg menschhche Formen tragen, sind in Afrika nur sehr selten mit anthropomorphen Formen verbunden" Frobenius hat auf seiner letzten Expedition in Joruba „Ahnentöpfe" gesammelt, die die Form eines Menschen tragen; auch im Kongohecken finden sich bisweilen anthropomorph gestaltete Gefasse, die aber wahrscheinhch auf fremden Einfluss zurückzuführen sind (vgl. S. 58). Am haufigsten finden sich anthropomorphe Verzierungën an klemeren Schnitzereien, in die wohl haufig erst wahrend der Bearbeitung die menschhche Form hineingesehen ist. Der Griff einer Schale (249) ist etwa als Kopf gestaltet, ein Spazierstock ist einer menschlichen Figur angeahnelt (250); der Stiel einer Axt oder eines Messers endet als menschlicher Kopf (251); ein Löffel (252) zeigt menschhche Formen, und die Kamme sind haufig mit Menschenfiguren geschmückt. Kleine Medizin- und Schnupfbüchschen (230) tragen ebenfalls gern „menschhches" Geprage; auch die Deckel der Bakubakastchen (Abb. 88a, c, d Taf. "VT^sind mitunter in der Form eines menschhchen Kopfes geschnitzt. Obwohl das Menschenornament" meist nur wenig stilisiert ist, ordnet es sich doch durchaus unter die Gestaltungsprinzipien der "Wiederholung und der Anpassung an den Trager, mag hierbei der ganze Körper des Menschen (Abb. 113 Taf. XI) oder nur der Kopf desselben verwandt werden. Auch die Neigung zur Symmetrie fehlt nicht; neben der durch den bilateralen Bau des menschhchen Körpers bedingten natürlichen Symmetrie kommen als eine Art künstlerischer Symmetrie, Körper mit zwei oder gar keinen Kopf vor. (Abb. 132, 133 Taf. XI). Auf diese ratsemaften Gestalten, die wahrscheinhch mit Darstellung der Eidechse zusammenhangen, ist spater wieder zurückzukommen. (vgl. S. 66). Tier ornament: Weit haufiger als der Mensch tritt das Tier in der afrikanischen Ornamentik auf. Von den vielen dem Künstler vertrauten und bekannten Tieren werden aber nur einige wenige dargestellt. Die Haustiere beispielsweise fehlen in der ornamentalen Kunst fast ganz; dagegen werden als Ornament gern Tiere verwandt, die im mythologischen und kultischen Leben der Eingeborenen eine wichtige Rolle, spielen oder doch gespielt haben. Natürlich finden auch Tiere als Zierrat Verwendung, die sicher keine Beziehung zu religiösen Vorstellungen haben. Als Beispiel sei an den Adler auf Dualarudern (253) erinnert, der sein Gegenstück im doppelköpfigen Adler südamerikanischer Gewebe hat. (vgl. S. 23). Bei weitem nicht, alle Tiere, die im Kult oder Mythos eine Volkes vorkommen, werden jedoch als Ornamente benützt. Manche Völker, wie etwa die Herero (254) haben einen ausgepragten Totemismus, aber nicht eme Spur irgend eines Tierornaments. Andere Völker schmücken ihre Gerate u. s. w. nur mit den Darstellungen einiger weniger Tiere, wahrend sie eme viel grössere Zahl heilig halten. Man begnügt sich mit einem kleinen Formenschatz, der sich aus der Eidechse, der Schlange, der Spinne, der Schildkröte und 6 — 42 — dem Chamaleon ableiten lasst. Seltener treten dann noch der Leopard, die Giraffe, der Elefant,