■«■■"■"jgSB 061» Inhalt. Seite Einleitung • T Kapitel I. Die Synthese in der Romantik 1 „ II. Pancy und Imagination 10 „ UI. Synthesis der GegensStze (A) 30 „ IV. Synthesis der Gegens&tze (B) • 57 „ V. Die Liebe in der Romantik • • 79 „ IV. Liebe und Schönheit 92 „ VH. Das Unendliche als Schöpfung 97 Zusammenfassung H3 Ausblick 115 Benntzte Textausgaben . . . / • ^ 1 Einleitung. Immer von neuem wendet die Forschung ihren fragenden Bliek der Eomantik zu, jener eigenartigen Bewegung in Enropa zwischen ca. 1795 und 1830, die trotz ihrer Vielgestaltigkeit, trotz ihrer scheinbaren Widersprüche dem Betrachter immer wieder als Einheit erscheint. Namentlich die Forschung der letzten zwanzig Jahre nat sich um das Verstenen der Romantik, vor allem der deutschen Eomantik, bemüht und zweifellos manen schöne Frucht einheimsen können. Bei der traditionellen Einstellung der Forschung war die historisch-genetische Betrachtungsweise der einzige Weg, um zum Ziele, d. h. zur Erkenntnis vom Wesen und von der Bedeutung der Eomantik zu gelangen. Man suchte festzustellen, in welchem Zusammenhang die romantische Bewegung in Deutschland, England und Frankreich mit der Vergangenheit steht, wo ihreWurzeln, wo ihre Anfange liegen; man wies hin auf das Verhaltnis (sowohl Abhangigkeit als auch Gegensatz) zu Eousseau, Sturm und Drang, zur Aufklarung, zum Klassizismus, zu Kant und Fichte, zu der neuzeitlichen Mystik, zu Spinoza und Leibniz, besonders aber zu Plato und zum Neuplatonismus sowie zu deren Erneuerern in der Neuzeit. Ferner hat man die Entwicklung der Eomantik selbst ins Auge gefafit, ihre verschiedenen Entwicklungsstadien, ihre Blütezeit und ihren Verfall. Kapitel I. Die Synthese in der Romantik. In seinem Buche Hegél und seine Zeit gibt Eudolf Haym die folgende scharfe Charakterisierung des Urspmngs der Hegelschen Philosophie: „Es ist nicht in erster Linie das Bedürfnis wissenschafüicher Gewissenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit, was ihn zum Philosophieren treibt, sondern es ist das Bedürfnis, sich das Ganze der Welt und des Lebens in einer ordnungsvollen Form vorzustellen. Es ist nicht ein sicher abgegrenzter Punkt, von dem er der Erforschung der Wahrheit nachgeht, sondern es ist ein historisch und gemütlich erfülltes Ideal, ein konkretes Bild, eine breite inhaltsvolle Anschauung, eine Anschauung, von deren Berechtigung er sich nicht zuvor eine abstraktkritische Eechenschaft gibt, sondern die er sich aus der vollen Energie seines Wesens heraus angeeignet und angelebt hat, die ihn, er weifi selbst nicht wie, durch und durch erfüllt,'und in die er nun das Verlangen hat, den ganzen Eeichtum des natürlichen wie des menschlichen Seins hineinzustellen. Die Hegelsche Philosophie somit entspringt aus einem gleichsam poetischen Triebe, aus dem Drange, ein Weltbild nach einem in der Seele des Systematikers vorratig liegenden idealen Typus zu entwerfen. Er ist über Kant und Beutschbein, Bas Wesen des Bomantischen. ± 2 Fichte hinaus, ohne dafi und ene er ausdrücklich an den Grundbegriffen derselben Kritik geübt hat".1) Was Haym hier als Grondlage der Hegelschen Philosophie hinstellt, gilt auch für das romantische Denken. Der romantische Geist sucht ejne höhere geistige Form des_Seins_aus sich .selbst heraugzngestalten, sei es auf dem WegtTdes Erkennens oder des Wollens oder des Schaffens. Diejenige Welt, die der gemeine Menschenverstand als die gegebene und seiende ansieht, hat für jenen die Bedeutung, als Material für die höhere Welt zu dienen: „Aus der gemeinen Wirklichkeit gibt es nur zwei Auswege, die Poesie, welche uns in eine idealische Welt versetzt, und die Philosophie, welche die wirkliche Welt ganz vor uns yerschwinden lafit".2) Die Bedingung einer solchen Form des Seins, mag sie nun als Vorstellung gedacht oder als Ideal gewollt, oder als ein wirkliches Produkt geschaffen werden, ist die ïnnere Freiheit. Ohne sie ist eine solche schöpferische Leistung unmöglich. Das Mittel aber, durch das diese höhere geistige Welt realisiert wird in Denken, Wollen und Handeln, ist die Synthese. D^Syjathese ist das Grundprinzip der Romantik, sie ist ihr köstlichstes Gut und ihr innerstes Geheimnis. Die Romantiker waren im Recht mit ihrem Glauben an die Synthese, denn diese allein. ermöglicht und verbürgt den Aufbau einer geistigen Welt; sie bedeutet nicht bloB eine Anderung, Verschiebung, Modiflkation des Gegebenen, sondern sie i) s. 88 f. s) Schelling, System des trcmszendentalen Idealisme § 4 = Weifi n, 25. É 3 fiihrt uns darüber hinaus; im geistigen Leben gilt nicht das Gesetz der Erhaltung der Energie, sondern das Prinzip der Steigerung und Vermehrung der schon vorhandenen. Es sind zwei Arten von Synthesen möglich: eine Svnthesejtes Mannigfaltigen und eine Synthese der Geg^satzejfDie Synthese des Mannigfaltigen vollzieht deTrómantische Geist auf allen Gebieten; nichts ist ihm so fremd, so fernliegend, als daB er es nicht in den Berëich seiner synthetischen Tatigkeit zöge: Natur, Geschichte, Kunst, Religion, Wissenschaft, Politik, Ethik usw.; in diesem UjiiyersaJisjDmS-ist der romantische Geist dem philosophischen vergleichbar und wahlverwandt. /. Die zweite Form der Synthese, die Synthese von Gegensatzen, ist wesentlich schwieriger und komplizierter und erfordert besondere Anlagen des menschlichen Geistes. Die Verschmelzung, die Vereinheitlichung von Gegensatzen ist ja öfters in der Geschichte der Philosophie, namentlich seit Ausgang des Mittelalters (Nicolaus von Cues) zum Prinzip erhoben worden, aber die^Romantik macht dieses Prinzip. zur Grundlage jeder schöpferischen Tatigkeit. Die Wurzel und die Berechtigung dieses Prinzips sucht und findet die Romantik in der Kunst, in der künstlerischen Tatigkeit; und von da aus wird es zum beherrschenden Prinzip des geistigen Geschehens überhaupt. Daraus leitet sich ab und erklart sich der asthetische Idealismus der Romantik. So bilden Universalismus, beruhend auf der Synthese des Mannigfaltigen, und asthetischer Idealismus, beruhend auf der Synthese des Gegensatzlichen, die Kennzeichen des romantischen Geistes. Die Bedeutung des synthetischen Verhaltens unseres Bewufitseins ist 1* 9 des Géschehens und Seins in eine letzte Einheit verschmelzen. Diese letzte Einheit, die die Imagination herstellt, ist das Universum, das in sich Natur, Welt, Menschheit und Geschichte einschliefit. Der Unterschied von Vernunft und Imagination im romantischen Sinne beruht besonders darauf, daB die Imagination einen wesentlich intuitiven Charakter hat, so daB wir die Imagination auch als intuitive Vernunft bezeichnen könnten. Damit ist aber auch gegeben, dafi Weg und Methode der Imagination andere sein müssen, als die der Vernunft; das Nahere darüber vgl. Kap. Dl. Im besonderen Sinne ist die Imagination dasjenige Organ des Menschen, das dazu dient, die schwierigste Synthese, namlich die der Gegensatze, zu vollziehen, vgl. Kap. n. Hier sei noch bemerkt, daB die Imagination identisch ist mit der asthetischen Einbildungskraft, der Schelling in seinem System des transsendentalen Idealismus eine so bedeutende, ja entscheidende Eolle einraumt, namentlich in bezug auf das Schöpferische. Er sieht diese Kraft nicht nur als Grundlage des künstlerischen Schaffens, sondern auch des philosophischen Denkens an; so sagt er: „Die Philosophie beruht also ebensogut wie die Kunst auf dem produktiven Vermogen, und der Unterschied beider bloB auf der verschiedenen Richtung der produktiven Kraft. Denn anstatt daB die Produktion in der Kunst nach auBen sich richtet, um das UnbewuBte durch Produkte zu reflektieren, richtet sich die philosophische Produktion unmittelbar nach innen, um es in intellektueller Anschauung zu reflektieren".1) An anderer Stelle2) betont er, daB die asthetische ») WeiB n, 25. 2) Weifl H, 299. 10 Anschauung die objektiv gewordene intellektuelle Anschauung ist, die Kunst selbst aber die allgemein anerkannte und auf keine Weise hinwegsuleugnende Objektivitat der intellektuellen Anschauung ist. Und ebenso wie die Imagination vollzieht nach Schelling die intellektuelle Anschauung die Synthesis der Gegensatze: „Die intellektuelle Anschauung nicht nur vorübergehend, sondern bleibend als unveranderliches Organ, ist die Bedingung des wissenschaftlichen Geistes überhaupt und in allen Teilen des Wissens.' Denn sie ist das Vermogen überhaupt, das Allgemeine im Besonderen, das Unendliche im Endlichen, beide zur lebendigen Einheit vereinigt zu sehen".1) Kapitel n. Fancy und Imagination. Die Bezeichnungen Fancy und Imagination bedürfen noch einer genauen Besprechung, da sie den Angelpunkt der romantischen Kritik, wenigstens in England, bilden. Wenn auch der Unterschied von Fancy und Imagination für die altere Kritik z. B. Addison nicht vorhanden ist und gegenwartig noch beide Ausdrücke vielfach ohne scharfere Bedeutungsnuancierung gebraucht werden — das New English Dictionary versagt in diesem Punkte etwas —, so ringen die englischen Romantiker immer mehr nach einer scharferen Be- l) Werke IV, 362. 14 temporal part of our nature, Imagination to incite and to support the eternal".1) Schliefilich wollen wir die zusammenfassende AuBerung Coleridges in der Biographia Literaria, Kap. 13,2) anfuhren. Er unterscheidet hier eine primary und secondary imagination; unter der primary imagination versteht er, einer Anregung Schellings folgend, das produktive Vermogen, welches die Scheidung des Ichs von einer Welt von Objekten bewirkt; die secondary imagination ist die Imagination im gewöhnlichen romantischen Sinne: „The Imagination then, I consider either as primary, or secondary. The primary Imagination I hold to be the living Power and prime Agent of all human Perception, and as a repetition in the finite mind of the eternal act of creation in the infinite I Am. The secondary Imagination I consider as an echo of the former, co-existing with the conscious will, yet still as identical with the primary in the kind of its agency, and differing only in degree, and in the mode of its operation. It dissolves, diffuses, dissipates, in order to recreate; or where this process is rendered impossible, yet still at all events it struggles to idealize and to unify. It is essentially vital, even as all objects (as objects) are essentially fixed and dead. • Fancy, on the contrary, has no other counters to play with, but fixities and definites. The fancy is indeed no other than a mode of Memory emancipated from the order of time and space; while it is blended with, and modified by that empirical phenomenon of the will, which we express by the word Choice. But 1) Cowl, 1. c, S. 34 und 35. 2) Shawcross I, 202. 15 equally with the ordinary memory the Fancy must receive all its materials ready made from the law of association".' Besonders eingehend beschreibt Coleridge das Wesen der Imagination am Ende des 14. Kapitels der Biographia Literaria:*) „He (der Dichter) diffuses a tone and spirit of unity, that blends, and (as it were) fuses, each into each, by that synthetic and magical power, to which we have exclusively appropriated the name of Imagination. This power, first put in action by the will and understanding, and retained under their irremissive, though gentle and unnoticed, control (laxis effertur habenis), reveals itself in the balance or reconciliation of opposite or discordant qualities: of sameness with difference; of the general with the concrete; the idea with the image; the individual with the representative; the sense of novelty and freshness, with old and familiar objects; a more than usual state of emotion with more than usual order; judgement ever awake and steady self-possession, with enthusiasm and feeling profound or vehement; and while it blends and harmonizes the natural and the artificial, still subordinates art to nature; the manner to the matter; and our admiration of the poet to our sympathy with the poetry". Aus den bisherigen Ausführungen können wir entnehmen, dafi der Unterschied zwischen Fancy und Imagination sich in fünffacher Richtung bewegt: a) Die Fancy bedeutet eine Synthesis des Mannigfaltigen, wahrend die Imagination vorzugsweise eine Synthesis der Gegensatze bewirkt. b) Die Fancy beruht auf einem Akt der Willkür *) Shawcross n, 12. 16 (choice), wahrend die Imagination einen s'tark gef ühlsbetonten Willen zur Voraussetzung hat.1) c) Die Fancy erzeugt eine losere Einheit als die Imagination. Die Fancy ergibt nur eine Vereinigung der von ihr kombinierten Elemente; die Verknüpfung erscheint mehr als ein Produkt der Laune und Willkür (vgl. b) als der inneren Notwendigkeit. Die Imagination hingegen schafft eine wirkliche Einheit, nicht bloB ein Aggregat, deren Elemente sich ebenso leicht auflösen, wie sie zusammengetreten sind (in diesem Punkte hat offenbar Coleridge gegenüber Wordsworth recht, vgl. S. 13). Die Imagination also eint die Elemente auf Grond einer inneren immanenten Verwandtschaft und Zugehörigkeit; das Produkt ist eine totale danernde Verschmelzung der Elemente. d) Die Fancy bleibt innerhalb der Schranken von Sinnlichkeit und Verstand; sie bewegt sich in der Welt des Endlichen, Begrenzten und Bedingten. Die Imagination, ahnlich wie die Vernunft, klopft an das Reich des Unendlichen, Unbedingten und Irrationalen an, und gerade die Verknüpfung dieser Reiche mit der endlichen rationalen Welt ist die Hauptleistung der Imagination. e) Die Fancy setzt eine objektive Stellungnahme des BewuBtseins voraus — die Imagination eine subjektivobjektive. Diese Ausdrücke bedürfen einer naheren Erklarung: Unser BewuBtsein hat eine vierfache Möglichkeit, sich auf einen gegebenen Erfahrungsinhalt einzustellen. ') Vgl. Shawcross XXXII: For whereas the activity of fancy is practically independent of the artist's emotional state, it is only ander the stress of emotion that the imagination can exercise its interpretative power. 17 1. Das Ich kann sich völlig gleichgültig verhalten: neutrale Einstellung. 2. Das Ich kann völlig unter dem EinfluB des Erfahrungsinhaltes stenen: objektive Einstellung. 3. Das Ich sucht, mehr oder minder bewuBt, seine Stellung gegenüber dem Erfahrungsinhalt zum Ausdruck zu bringen: subjektive Einstellung. 4. Das Ich sucht in den Erfahrungsinhalt einzudringen, sich mit ihm zu verschmelzen, ohne daB dabei das Ich völlig vernichtet würde: sub jektiv-öbjektive Einstellung.J) Am klarsten kommt die verschiedene psychologische Einstellung der Natur gegenüber zum Ausdruck: Der Naturforscher, soweit er als Gelehrter arbeitet, nimmt der Natur gegenüber eine vóllkommen neutrale Stellung ein; denn er ist weder abhangig von seinem Objekt, noch sucht er, dieses zu vergewaltigen. Bei objektiven Naturbetrachtungen gebe ich mich den Eindrücken der Natur hin; ich lasse sie auf mich wirken; es ist die Aufgabe des naturbeschreibenden Dichters, diese Eindrücke zu reproduzieren. Der subjektive Naturdichter tragt nun seine Gefühle und seine Stimmung in die Natur hinein und sucht, sie so zum Gefahrten, zum Teilnehmer seiner eigenen subjektiven Erlebnisse zu machen. Von diesen scheidet sich das subjektiv-objektive Naturgefühl: Der Dichter sucht sich selbst in die Natur einzuleben, einzufühlen, ihr Wesen zu erfassen, oder besser gesagt, zu erschauen; das Ich wird mit der Natur eine Einheit; auf Grund einer inneren Verwandtschaft ist es tatig in der Natur und arbeitet mit der Natur. Diese subjektiv-objektive Tatigkeit ist aber nichts ') VgL K. TJnger, Weltanschauung und Dichtung 38 ff. Deutschbein, Das Wesen des Eomantischen. 2 18 anderes als die Wirksamkeit der Imagination, wahrend die Fancy die objektive Einstellung des BewuBtseins zur Voraussetzung hat. Die Imagination erkennt eine innere Verwandtschaft, die, unausgesprochen, aber deutlich gefühlt, zwischen Subjekt und Objekt, zwischen dem Ich und der Natur existiert, sie beruht auf einer inneren Sympathie von Ich und Nicht-Ich. Wir können daher die Worte von Shawcross unterschreiben, die er im Sinne von Coleridge ausspricht: „Thus the activity of the imagination depends on an inherent relationship between nature and the human soul, a relationship apprehended by a vision at once emotional and intellectual." *) Steht so dje Imagination in einem eigenartigen, vielfach entgegengesetzten Verhaltnis zur Fancy, so steht sie umgekehrt inj&ngster Berührung mit der Vernunft (= Reason). Nicht nur handelt es sich hier um das gleiche Material, das beide zu einer höheren Einheit verschmelzen, sondern beide überschreiten die Schranken der menschlichen Erkenntnis, beide verlangen nach dem Unbegrenzten, Unbedingten, um die Einheit des Weltbildes zu gewinnen. So bezeichnet Wordsworth die Imagination einmal als die Vernunft in Ekstase: Imagination, which, in trnth, Is but another name for absolute power And clearest insight, amplitude of mind, And Reason in her most exalted mood.1) Die enge Verbindung und Wechselbeziehung von Vernunft und Imagination wird uns klar, wenn wir uns das Wesen des Schematismus und des Symbolismus vergegenwartigen. Eant hatte schon erkannt, daB das Schema eine Regel ist, mit deren HiMe die Begriffe >) Shawcross I, XXXIV. ») Prelude XIV, 189 ff. 19 veranschaulicht werden können, und dieser Schematismus, d. h. also die sinnlich angeschaute Eegel der Hervorbringung eines empirischen Gegenstandes, ist nach Kant ein Vermogen der produktiven Einbildungskraft. Nun erklart Schelling ganz richtig, daB die Imagination (die für die Romantiker nicht bloB graduell, sondern auch qualitativ ein höheres Vermogen als die Einbildungskraft Kants ist) die Fahigkeit des menschlichen Geistes bedeute, die Ideen der Vernunft auf dem Wege des Symbols zu veranschaulichen:y„Um alles zu erschöpfen, was sich über die Natur des Schemas sagen lafit, muB noch bemerkt werden, daB es eben dasselbe für Begriffe ist, was das Symbol für Ideen ist. Das Schema bezieht sich daher immer und notwendig auf einen empirischen entweder wirklichen oder hervorzubringenden Gegenstand. So ist z. B. von jeder organischen Gestalt, wie der menschlichen, nur ein Schema möglich, anstatt daB es z. B. von der Schönheit, von der Ewigkeit usw. nur Symbole gibt,"i) Und ahnlich ist für Coleridge die Imagination die Faculty of symbols,2) „the reconciling and mediatory ') TranszendentoJer Idealismus WeiB n, 184. s) Bei dem Symbolismus der Eomantik ist zu beachten, daB es, wie Shawcross p. XL richtig erkannt hat, eine doppelte Art von Symbol gibt; entweder besteht eine vö'llige Trennung zwischen dem Symbol und dem, was es reprasentiert (z. B. ein von den Mensehen gemachtes Götterbild), oder das Symbol ist mit der Existenz des Symbolisierten in einem gewissen lebendigen Zusammenhang; „the symbol, while remaining distinct from the thing symbolized, is yet in some mysterious way interpenetrated by its being, and partakes of its reality." Oder um mit Coleridge zu reden, ist es für das Symbol charakteristisch: „that it always partakes of the reality which it renders intelligible: and while it enunciates the whole, abides itself as a living part in that unity of which it is the representative" (Shawcross LXXm). Diese Form des Symbolismus ist die romantische. — 2* Das Wesen des Romantischen Von Max Deutschbein o. Professor an der Unlver%itat Marburg Cöthen :: Verlag von Otto Schulze :: 1921 VI Und doch vermag uns die historische Betrachtungsweise nicht das Letzte, nicht das Wesentliche der Romantik zu geben. Das Eigenartige, das Besondere, d. h. also „das Romantische an sich", kann nicht als ein Produkt einer Kausalreihe gedeutet werden. Die historische Methode vermag uns wohl über die Bedingungen und Voraussetzungen der Entstehung und der Entwicklung einer geistigen Bewegung Auskunft zu geben, aber Bedingungen, Ursache, Folgen erschöpfen nicht das Wesen von geistigen Phanomenen. Ich teile in diesem Punkte die Meinung von Rudolf Otto, der kurz und bündig erklart: „Historisch-genetische Ableitung ist nicht Wes'ensdeutung,"J) und ferner:,, Historisch-genetische Ableitungen und Kon-» tinuierungen bestimmen nichts über Wesen und Wert \ einer Sache."2) Also um den Geist der Romantik, oder besser* gesagt, um „das Romantische an sich" handelt es sich im folgended; das Romantische ist etwas Absolutes, etwas Unbedingtes für uns. Als solches ist es unabhangig von Raum und Zeit, und wir können von diesem Standpunkt aus die Frage oïïen lassen, ob nicht zu anderen Zeiten und bei anderen Vólkern das Romantische empirische Realitat angenommen hat, bzw. wird annehmen können. Auf der anderen Seite ist es klar, daJJ die Idee des Romantischen bei den germanischen Vólkern um 1800 eine besonders ausgepragte Erscheinungsform angenommen hat, und daher die romantischen Schöpfungen dieser Zeit als Grundlage der Erforschung des Romantischen dienen können. Dabei wird uns die Arbeit ») Dos Heüige S. 23. ') Das Heilige S. 101. VII wesentlich durch die Tatsache erleichtert, daB die deutsche und die englische Eomantik (die Eomantik in Frankreich ist im wesentlichen fremder Import) sich wunderbar erganzen: die deutschen Eomantiker sind vor allem Theoretiker, die englischen hingegen haben die theoretisch gestellten Forderungen der deutschen in ihrer Poesie zur Erfüllung gebracht. Um bis zum Wesen des Eomantischen vorzudringen, wird es nicht" genügen, einige Züge der romantischen Bewegung aus dem Erfahrungsmaterial aufzuführen und daraus induktive Schlüsse zu ziehen; ein solches Verfahren wiirde nur zu einer Beschreibung oder .öchstens zu einer Klassifizierung führen; unsere Aufabe wird es vielmehr sein, eine systematische Betrachtungsweise einzuschlagen. Nur auf diesem Wege wird es möglich sein, aus der bunt schillernden Farbenpracht der Eomantik die Grundfarben zu erkennen. Wir werden also versuchen, eine Wesensschau des Eomantischen vorzunehmen, das Eomantische als Einheit und Totalitat zu verstehen, d. h. die empirische Mannigfaltigkeit als innerlich notwendig zu begreifen. Dieser systematische Standpunkt ist der ph&nomenologische. Ich habe an andrer Stelle1) das Wesen der phanomenologischen Betrachtungsweise dahin prazisiert, daB sie die Eigengesetzlichkeit, die immanente Struktur der geistigen Produkte erschauen will, um diese als lebendige Organismen zu begreifen, wahrend die rein historische Methode eine solche Betrachtungsweise prinzipiell ablehnt. •) Die Hilfe 1920, S. 556. 4 von Kant auf das sch&rfste betont worden; seine Kritik der reinen Vernunft lehrt uns auf Schritt und Tritt, wie stark diese Funktion des menschlichen Bewufitseins wirksam ist, ja wie überhaupt Erfahrung nur durch das synthetische Verhalten des „BewuBtseins überhaupt" zustande kommt. Die erste Synthese, die das BewuBtsein vollzieht, ist die Vereinheitlichung des Mannigfaltigen, der dér3 sinnlichen Anschauung gegebenen Elemente. Diese sinnlichen, Elemente werden durch die aprioristischen Formen der Anschauung — Raum und Zeit — aufgenommen und durch die reproduktive Einbildungskraft, zu deren Tatigkeit besonders auch die Verknüpfung durch Assoziation gehort, zu einer Erscheinung, beziehentlich zu einem Wahrnehmungsbild, vereinigt. Damit diese Bilder der sinnlichen Anschauung allgemeingültige Notwendigkeit erhalten, ist eine zweite Synthese notwendig, und zwar ist es die Spontaneitat unseres Denkens, die diese zweite Synthese mit Hilfe der reinen Verstandesbegriffe (Kategorien) vollzieht.1) Erst auf diese Weise, durch die sogenannte transzendentale Apperzeption, wird die subjektive Vorstellungsverknüpfung zur objektiven Allgemeingültigkeit erhoben: aus den Wahrnehmungsbildern werden Gegenstande des Denkens. Im Traume z. B. haben wir nur solche Bilder, die auf objektive Gültigkeit keinen Anspruch erheben können; erst in dem bewuBten Zustand gewinnen die Data der Sinnlichkeit durch die Kategorien den Anspruch auf allgemeine Geltung. ') Dabei ist es die produktiye Einbildungskraft, die zwischen der Sinnlichkeit und den reinen Verstandesbegriffen vermittelt; mit Hilfe des Schemas kann der Begriff auf die Anschauung angewandt werden. 5 So bilden Raum und Zeit (in Verbindung mit der reproduktiven Einbildungskraft) einerseits und die Kategorien (in Verbindung mit der produktiven Einbildungskraft) andererseits die Formen der notwendigen und allgemeingültigen Vereinheitlichung der Mannigfaltigkeit der sinnlichen Elemente, d. h. sie sind in ihrer Verbindung die konstituierenden Prinzipien der Óbjektivit&t. Wir müssen beachten, daB Kant immer wieder betont, dafi unser Verstand in Verbindung mit der Sinnlichkeit uns nur dazu bef&higt, die Erscheinungswelt als solche zu erkennen, daB wir aber nicht über das „Ding an sich" oder gar über eine transzendente Welt eine Aussage machen können, die auf objektive Gültigkeit Anspruch erheben könnte: unsere Erf ahrung reicht nicht über die Erscheinungswelt hinaus. Nun sind aber alle Gegenstande der Erfahrung durch einander bedingt, und unser Erkenntnistrieb hat die Neigung, ein Unbedingtes zu suchen, das den AbschluB des Bedingtseins bringt; d. h. mit anderen Worten: unser BewuBtsein sucht nach einer dritten Synthese, die als AbschluB der unvollendeten Reihe ein ünbedingtes fordert, das die GesetzmaBigkeit der Reihe in sich enthalt. Kant bezeichnet diese Tatigkeit unseres BewuBtseins als Vernunft im speziellen Sinne; vgL Kritik der reinen Vernunft: „Der Verstand mag ein Vermogen der Einheit der Erscheinungen vermittels der Regeln sein, so ist die Vernunft das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien. Sie geht also niemals zunachst auf Erfahrung oder auf irgend einen Gegenstand, sondern auf den Verstand, um den mannigfaltigen Erkenntnissen desselben Einheit ,a priori' durch Begriffe zu geben. Diese Einheit bewirkt die Vernunft mit Hilfe 6 der Idee".1) Diese Ideen sind nicht Gegenstande unserer Erf ahrung, sie bezeichnen als Einheitsprinzipien Aufgaben unserer Erkenntnis; sie sind Postulate unserer Vernunft, regulative, aber keine konstitutiven Prinzipien unserer Erfahrung. Soweit Kant. Aber neben diesen drei Synthesen gibt es noch andere Möglichkeiten des * synthetischen Verhalteris unseres BewuBtseins, und diese Synthesen sind für die romantische Bewegung entscheidend. Diese Arten von Synthesen entspringen nicht dem allgemeinen BewuBtsein, sondern dem individuellen Bewufitsein, sie können daher nicht auf Allgemeingültigkeit Anspruch erheben, sondern haben nur subjektiven Wert und subjektive Bedeutung. Diese individuellen Synthesen beruhen auf der freien schöpferischen Tatigkeit des EinzelbewuBtseins. Welches sind nun diese subjektiven schöpferischen Synthesen? Sie beruhen auf der Tatigkeit zweier Vermogen unseres BewuBtseins, die wir mit der Asthetik der englischen. Romantik als Fancy und Imagination bezeichnen, und deren nahere Charakterisierung wir dem folgenden Kapitel überlassen wollen. In diesem Zusammenhange sei nur das Notwendigste gesagt. Die Fancy hat es zunachst mit den Gegenstanden unserer sinnlichen Erfahrung zu tun. Wie diese durch die Assoziationstatigkeit zu einer Einheit, zu einer Vorstellung gebracht werden, so werden auch durch die Fancy Verbindungen einzelner Vorstellungselemente, beziehentlich einzelner Vorstellungen, bewirkt. Aber wahrend sich die Verbindung der ') Reclam S. 267. 7 einzelnen Elemente bei dem Wahrnehmungsbild passiv vollzieht, haben wir es bei der Fancy mit aktiven Erlebnissen zu tun, d. h. die Verbindung und Verknüpfung der Elemente geschieht unter Mitwirkung der Aufmerksamkeit; der vereinheitlichende Prozefi ist willkürlich, wir haben es, um mit W. Wundt zu reden, mit Apperzeptionsverbindungen und nicht blofi mit Assoziationsverbindungen zu tun. Die Fancy ist somit jene verbindende Funktion, die Wundt als apperzeptive Synthese bezeichnet. Diese unterscheidet sich von den Verschmelzungen und Assoziationen „durch die Willkür, mit der bei ihr von den durch die Assoziation bereit liegenden Vorstellungs- und Gefühlsbestandteilen einzelne bevorzugt und andere zurückgedrangt werden, wahrend zugleich die Motive dieser Auslese ün allgemeinen erst aus der ganzen zurückliegenden Entwicklung des individuellen BewuBtseins erklart werden können. Das Produkt der Synthese ist infolgedessen ein zusammengesetztes Ganzes, dessen Bestandteile samtlich von früheren Sinneswahrnehmungen und deren Assoziationen herstammen, in welchem sich aber die Verbindung dieser Bestandteile mehr oder minder weit von den ursprünglichen Verbindungen der Eindrücke entfernen kann. Insofern die Vorstellungsbestandteile eines durch apperzeptive Synthese entstandenen Gebildes als die Trager des übrigen Inhaltes betrachtet werden können, bezeichnen wir ein solches Gebilde allgemein als eine Gesamtvorstellung. Wo die Verbindung der Elemente des Ganzen als eine eigenartige, von den Assoziationsprodukten der Eindrücke erheblich abweichende erscheint, da wird die Gesamtvorstellung, ebenso wie jeder ihrer relativ selbstandigen Vorstellungsbestandteile, wohl auch eine Phantasie- 8 vorstellung oder einPhantasiebild genannt."1) Der Tf&irscTiïed zwiscïênr_aer passiven Assoziationsverbindung und der Apperzeptionsverbindung der Fancy wird uns besonders klar bei einem Vergleiche eines Traumbildes und eines Fancybildes eines Dichters. Beim Traumbild handelt es sich um ein passives Erlebnis, die Verbindung der Elemente geschieht ohne unser Zutun, vollzieht sich sozusagen von selbst; bei den apperzeptiven Verbindungen des Dichters handelt es sich um aktive Erlebnisse; sie setzen ein t&tiges Verhalten des Urhebers voraus. Wenn wir nach einem besonderen Wort für die passive Assoziationsverknüpfung suchen, so empfiehlt sich das englische Wort fantasy (allerdings wird es besonders für extreme Falie gebraucht, z. B. bei Fieber oder Wahnsinnszustanden), wahrend wir für die planvolle, ordnende, apperzeptive Synthese den Ausdruck fancy beibehalten wollen. Wie die Gegenstande der sinnliehen Anschauung eine (allerdings subjektive) Synthese durch die Fancy erfahren können, so können auch die Gegenstande des Denkens einer weiteren subjektiven Synthese unterworfen werden; wir nennen diese Synthese mit den englischen Romahtikern Imagination. Die Imagination steht also als Einheitsfunktion parallel zur Vernunft, und vielfach beruhren sich beide auf das engste; so betrachtet auch Schelling sowohl die Vernunft als auch die Einbildungskraft als einen Ausflufi des Absoluten.2) Die Imagination kann ebenso wie die Vernunft die Mannigfaltigkeit der Gesamtheit ') W. Wundt, Grmdrip der Psychologie'' S. 322. ») Vorlesmgen über die Methode des academischen Studiums Weifi n, 597. 11 stimmung und Trennung beziehentlich Begrenzung der beiden Begriffe. Lamb eröffnet den Reigen mit seiner Kritik über Hogarth; Coleridge, der Systematiker, sucht mit Hilfe des deutschen Kritizismus Klarheit in die fundamentalen Gegensatze zu bringen, besonders in seiner Biographia Literaria;1) Wordsworth sucht immer wieder an konkreten Beispielen den Unterschied dieser geistig-künstlerischen Krafte klarzumachen; Leigh Hunt widmet dieser Frage eine besondere Schrift, die den Titel tragt: Fancy and Imagination.1) Wenn auch die englischen Romantiker nicht bis in die letzten Einzelheiten übereinstimmen und auch die AuBerungen der einzelnen ófters in "Widerspruch mit sich selbst stehen, so lassen sich doch gewisse feste Grundlinien erkennen. An die Spitze wollen wir nun einige Falie stellen, an denen uns der Unterschied zwischen Fancy und Imagination besonders klar wird. So sucht z. B. Coleridge in der Fancy die Quelle der griechischen Mythologie, in der Imagination aber die Quelle für den Gottesbegriff des Alten Testamentes, er schreibt darüber 1802 an Sotheby: „To the Greeks *) Shawcross sucht in seiner vorzttgiichen Ausgabe der Biographia Literaria sorgfaltig das geistige Eigentum Coleridges und der Englander gegenüber dem deutschen Idealismus festzustellen, namentlich den EinfluB Kants und Schellings genau abzuschStzen. Im allgemeinen kann man ihm darin wohl zustimmen, daB Coleridge schon vor der Bekanntschaft mit den Deutschen gleiche und ahnliche Probleme wie diese gehabt hat, daB aber die deutsche Philosophie ihn befahigt, seinen erlebten Wahrheiten die wissenschaftliche Grundlage zu geben. 2) Vgl. auch Brandl, Coleridge S. 366. Nicht vergessen wollen wir Blake, der der Imagination dieselbe Bedeutung beimiBt wie die Romantiker; a\jch Hazlitt mit seinem Essay: On Beason and Imagination gehort in diesen Kreis. 12 all natural objects were dead, mere hollow statues: but there was a goddess or goddessling included in eacb. In the Hebrew poetry you find none of this poor stuff, as poor in genuine imagination as it is mean in intellect. At best it is but fancy or the aggregating faculty of the mind, not imagination, or the modifying and coadunating faculty. This the Hebrew poets appear to me to have possessed above all others, and nèxt to them the English. In the Hebrew poets, each thing has a life of its own, and yet they are all our life. In God they live and move and have their being: not had, as the cold system of Newtonian theology represents, but have".1) Wordsworth in seinem Preface to Poems 1815 erklart das Wesen der Imagination folgendermafien: „Having to speak of stature, she (— the imagination) does not teil you that her gigantic Angel was as tall as Pompey's Pillar; much less that he was twelve cubits or twelve hundred cubits high; or that his dimensions equalled those of Teneriffe or Atlas; — because these, and if they were a million times as high it would be the same, are bpunded: the expression is, ,his stature reached the sky!' — the illimitable firmament!"2) Wenn der Dichter den Vergleich braucht, der Engel war so groB wie die Saule des Pompejus, so handelt es sich natürlich um einen Akt der Fancy. Prüfen wir nun weiterhin die theoretischen AuBerungen der Romantiker. Zunachst die Erklarung von Fancy und Imagination, die der Schriftsteller George Crabbe in seinem Wörterbuch English Synonyms3) gibt: ') Shawcross XXXIII. *) Cowl, The Theory of Poetry S. 34 f. 8) 2. Aufl. 1818, S. 454. 13 „The fancy consequently forms combinations, either real or unreal, as chance may direct; but the imagination is seldomer led astray. The fancy is busy in dreams or when the mind is in a disordered state; but the imagination is supposed to act when the intellectual powers are in full play. The fancy is employed on light and triyial objects, which are present to the senses; the imagination soars above all vulgar objects, and earries us from the world of matter into the world of spirits, from time present to the time to come. A milliner or mantua-maker may employ her fancy in the decorations of a cap or gown; but the poefs imagination depicts every. thing grand, every thing bold, and every thing remotq". Ausführlich bespricht Wordsworth den Unterschied zwischen fancy und imagination in dem Preface to Poems 1815: „To aggregate and to associate, to evoke and to combine, belong as well to the imagination as to the fancy,1) but either the materials evoked and combined are different; or they are brought together under a different law, and for a different purpose. Fancy does not require that the materials which she makes use of should be susceptible of change in their constitution, from her touch; and where they admit of modification, it is enough for her purpose if it be slight, limited, and evanescent. Directly the reverse of these are the desires and demands of the imagination. She recoils from everything but the plastic, pliant, and the indefinite. ... Fancy is given to quicken and to beguile the *) Diese Aufstellung wird — wohl mit Recht — von Coleridge in der Biographia Literaria (Chap. XH) bestritten: „the aggregfttive and associatiove power" komme nur der Fancy zu. 20 power, which incorporates the reason in images of the sense, and organizes, as it were, the fluxes of the sense by the permanent and self-circling energies of the reason." *) Aber trotz der nahen Verwandtschaft der beiden höchsten Fahigkeiten des menschlichen Geistes sind auch groBe Unterschiede festzustellen. Abgesehen davon, daB es die Vernunft im allgemeinen mit deiSynthese des Mannigfaltigen zu tun hat, besitzt die Imagination simultanen Charakter, die Vernunft diskursiven. Die Imagination ist eben geistige Anschauung, und durch diese Intuition werden die Gegenstande der Imagination zu wirklichen Inhalten unserer Erkenntnis, auch die Ideen sind in romantischer Auffassung nicht bloB Postulate der Vernunft, nicht nur regulative Prinzipien, sondern Eealitaten unserer Erfahrung. Die Synthesis vollzieht sich demnach bei der Imagination auf anderem Wege als bei den übrigen Vermogen des menschlichen BewuBtseins. Kant hatte den Verstand als ein Vermogen der Einheit mittels der Regeln, die Vernunft als das Vermogen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien erklart. Die Imagination hingegen erschaut den Zusammenhang des ihr Gegebenen; sie gibt eine Wesensschau. Die Intuition der Imagination lehrt den Menschen diesen Zusammenhang als etwas Notwendiges, als den AusfluB eines Lebens, eines Organismus, begreifen. Denn die Einheit der Gegensatze ist nur im Organischen möglich, das zugleich Einheit und Ganzheit ist; und so sieht die Imagination in der letzten Einheit, dem Universum, einen lebendigen Organismus. So schafft Imagination Einheit und Ganz- ') Shawcross 73. 21 heit, wahrend die Fancy nur die Ganzheit, Verstand und Vernunft nur die Einheit kennen. Noch ein Punkt bleibt zu klaren. Wenn das Wesen der Imagination Intuition ist, wenn die, durch die Imagination gewonnenen Wahrheiten intuitive Wahrheiten sind, so liegt die Frage nahe: auf welchem Wege kommt diese Intuition zustande, und wie begründet sich der Wahrheitscharakter der Intuition? Die Intuition der Imagination kommt nur auf dem Boden des Erlebnisses zustande; jedes Erlebnis übermittelt uns Erkenntnisse und Erfahrungen, die uns auf dem Wege des Denkens, ja selbst des Forschens nicht zuteil geworden waren. Nun liegt es im Wesen des Erlebnisses, daB die auf diesem Wege gewonnenen Erfahrungen für den Erlebenden durchaus den Charakter evidenter Wahrheiten haben; es handelt sich um ein GewiBwerden von Realitaten. ^ Die erlebte Wahrheit ist eine Intuition,. und so sind z. B. die Ideen für den Romantiker Inhalt solcher Intuitionen; sie können erlebt und damit auch erkannt werden. Die Möglichkeit solcher Erlebnisse liegt also in dem Vorhandensein der Imagination begründet. Ohne Imagination keine Möglichkeit des Erlebnisses; ohne Erlebnis keine Möglichkeit von intuitiven Erfahrungen. Ungeklart ist noch die Frage nach dem psychologischen Charakter der Imagination; zweifellos stellt sie eine ganz eigenartige Verschmelzung von primaren l) Wenn ein Ethiker z. B. das Wesen der Liebe definiëren will, so kann er natürlich die Psychologie oder auch die Poesie oder das gesamte historische Material auf das genaueste und umstandlichste untersuchen; er wird kaum dem Wesen der Liebe in dem Mafie gerecht werden, wie derjenige, der dieses köstliche Gut selbst genossen hat. 22 psychologischen Vorgangen dar; die Imagination ist offenbar das Produkt von Anschauen und Fühlen die verwandte intellektuelle Anschauung beruht auf einer Einheit von Denken und Anschauen. Wie aber dieser Einheitsprozefl in unserem BewuBtsein zustande kommt (vermutlich spielt der Wille eine entscheidende Rolle), muB der modernen Psychologie zur weiteren Untersuchung überlassen bleiben. Schon Novalis hat hier das Richtige gespurt, wenn er das Apercu1) ausspricht: „Sonderbar, daB das Innre der Menschen bisher nur so dürftig betrachtet und so geistlos behandelt worden ist. Die sogenannte Psychologie gehort auch zu den Larven, die die Stellen im Heiligtum eingenommen haben, wo echte Götterbilder stehen sollten. Wie wenig hat man noch die Physik fiir das Gemüt, und das Gemüt für die AuBenwelt benutzt. Verstand, Fantasie, Vernunft, das sind die dürftigen Fachwerke des Universums in uns. Von ihren wunderbaren Vermischungen, Gestaltungen, Übergangen kein Wort. Keinem fiel es ein, noch neue ungenannte Krafte aufzusuchen, — ihren geselligen Verhaltnissen nachzuspüren. Wer weiB, welche wunderbare Vereinigungen, welche wunderbare Generationen uns noch im Innern bevorstehn." Wir sehen also das Wesen der Imagination in einer eigenartigen Verschmelzung von Gefühl und Anschauung. Sie sind beide in der Imagination eins und ungetrennt (erst unser reflektierender Verstand zerlegt die Imagination in ihre Bestandteile). In dem Momente, wo das Ich die Intuition vollzieht, liegen diese beiden Elemente in einer einbeitlichen Verschmelzung vor. J) Novalis Schriften, hg. von E. Heübronn n, 2, 390. 23 Die Imagination ist nun keineswegs auf die Kunst beschrankt, sondern ebenso wirksam im wissenschaftlichen wie religiösen Leben. Gerade die religiöse Imagination vermag uns weiteren AufschluB über diese „magical gift" unserer Natur zu geben; besonders klar tritt sie bei Schleiermacher in seinen „Eeden über die Eeligion" zutage. Über das Wesen der Eeligion spricht sich Schleiermacher (ich folge der Ausgabe der Beden von Eudolf Otto) folgendermaBen aus: „Ihr (der Eeligion) Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andachtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüssen will sie sich in kindlicher Passivitat ergreifen und erfüllen lassen."1) Es handelt sich bei diesem religiösen Gemütserlebnis im Sinne Schleiermachers nicht um zwei verschiedeneVorgange: Fühlen und Anschauen, sondern um eine Einheit. Die Formel „Anschauung und Gefühl" ist, wie Otto richtig S. XXf. bemerkt, als Hendiadys zu fassen, und Schleiermacher2) bemerkt ausdrücklich: „Anschauung ohne Gefühl ist nichts und kann weder den rechten Ursprung noch die rechte Kraft haben: Gefühl ohne Anschauung ist auch nichts: beide sind nur dann und des wegen etwas, wenn und weil sie ursprünglich eins und ungetrennt sind." Dieser „Sinn" für das Universum3) ist aber eine Anlage des Menschen a priori: er ist identisch mit der Imagination. ') Beden S. 26. 2) ibidem S. 38. ») ibidem S. 65. 24 Die eigenartige Verschmelzung von Anschauung und Gefühl, die die Grundlage der Imagination bildet, wird auch von Wordsworth ganz deutlich als der Grundstock des religiösen Erlebens hingestellt. In seiner Excursion lafit er den Wanderer, der viele Züge von ihm selbst tragt, in der einsamen Gebirgsnatur die Herrlichkeit und Majestat Gottes „fühlen und schauen": „A Herdsman on the lonely mountain tops, Such intercourse was his, and in this sort Was his existence oftentiraes possessed. O then how beautifnl, how bright, appeared The written promise! Early had he learned To révérence the volume that displays The mystery, the life which cannot die; But in the mountains did he feél his faith. All things, responsive to the writing, there Breathed immortality, revolving life, And greatness still revolving; inflnite: There littleness was not; the least of things Seemed inflnite; and there his spirit shaped Her prospects, nor did he believe, — he saw.ui) Der in der Heiligen Schrift offenbarte Gott offenbart sich dem Wanderer-Dichter in den Werken der Natur: die Bedingung der Offenbarung Gottes dem Menschen gegenüber ist die Imagination. So ist das Erlebnis der Imagination für den Romantiker die fundamentale Tatsache des BewuBtseins, die sich im künstlerischen, religiösen und wissenfschaftlichen Leben auBert. Aber das Erlebnis ist etwas rein persönliches; nicht mitteilbar, nicht erlernbar; hier ist der Mensch ganz auf sich gestellt. Aus seinem tiefsten inneren Ich muB er schöpfen, aus dem eigensten geistigen Ich, aus dem Urgrund und Ungrund ») Excursion I, 219 ff. 25 seines Wesens.') Schleiermacher betont ausdrücklich, daB die Intuition des Ewigen und Unendlichen, welche die Geburtsstunde der Eeligion für ihn ist, eine durchaus persönliche Erfahrung und Leistung des Einzelnen ist und der Moment, wo Gefühl und Anschauung eins sind und dadurch das Innewerden der Gottheit herbeifuhren, das Entscheidende ist: „Nur die Anschauungen und Gefühle kann ich euch vergegenwartigen, die sich aus solchen Momenten entwickeln. Das aber sei Euch gesagt: wenn Dar diese noch so vollkommen versteht, wenn Ihr sie in Euch zu haben glaubt im klarsten BewuBtsein, aber Dir wiBt nicht und könnt es nicht aufzeigen, daB sie aus solchen Augenblicken in Euch entstanden und ursprünglich eins und ungetrennt gewesen sind, so überredet Euch und mich nicht weiter, es ist dem doch nicht so, Eüre Seele hat nie empfangen, es sind nur untergeschobene Kinder, Erzeugnisse anderer Seelen, die Ihr im heimlichen Gefühl der eigenen Schwache adoptiert habt."J) Noch deutlicher ist der Hinweis auf die Einzigkeit, auf die Originalitat, auf den absoluten Zusammenhang der Imagination mit dem Ich, auf das unbedingte Sich-Verlassen auf das eigene Wesen bei Wordsworth: Imagination naving been our theme, So also hath that intellectual Love, For they are each in each and cannot stand Dividually. — Here must thou be, O Man! ») Über Coleridge bemerkt Shawcross (p. XXXII) mit Recht: And of Coleridge we learn that his deepest philosophy was drawn not from the speculations of other men, but from the teaching of life, the inevitable conclusions forced on him by his own experience, bodily, mental, spiritual, in the intercourse with men and the companionship of Nature. *) Beden S. 39 f. 26 Power to thyself; no Helper hast thou here; Here keepest thou in singleness thy state: No other ean divide with thee this work: No secondary hand can intervene To fashion this ability; 't is thine, In the recesses of the nature, far From any reach of ontward fellowship, Else is not thine at all."1) An anderer Stelle verlegt Wordsworth ganz im Sinne der Romantik die schöpferische Kraft der Imagination in die Jugendzeit; aber wiederum hebt er ihren ursprünglichen Charakter hervor: „Oh! mystery of man, from what a depth Proceed thy honours. I am lost, but see In simple childhood something of the base On which thy greatness stands; but this I feel, That from thyself it comes, that thou must give, Else never canst receive." *) Wenn wir nicht aus dem eigenen Ich geben, können wir auch nichts von auBen empfangen; aus uns allein entspringt das Leben, vergleiche die schonen Worte3) Coleridges: „I may not hope from ontward forms to win The passion and the life, whose fountains are within. O Lady! we receive but what we give, And in our life alone does Nature live: Ours is her wedding garment, ours her shroud! And would we aught behold, of higher worth, Than that inanimate cold world allowed To the poor loveless ever-anxious crowd, Ah! from the soul itself must issue forth A light, a glory, a fair luminous cloud Enveloping the Earth — And from the soul itself must there be sent ») Prelude XIV, 206 ff. s) Prelude XII, 273 ff. 3) DejecUon, cm Ode, L 47 ff. 27 A sweet and potent voice, of its own birth, Of all sweet sounds the life and element."') Ihnliche Gedanken finden wir bei Tieck ausgesprocben in seinen „Phantasien über die Kunst". "Es geschieht oft, daB die Menschen über Alltaglichkeit inres Lebenslaufes klagen, daB sie jeden Zeitvertreib erbaschen, um die drückende Zeit zu verkürzen. Alle ftthlen einen Hang nach dem Wunderbaren in ihrem Busen, und fast alle klagen, dafi so gar nichts Wunderbares vor ihren Augen geschehe: daher die unersattliche Neugier, die wilde, ungezahmte Begier, etwas Unerhörtes zu hören, etwas Niegesehenes zu sehn. Eigentlich gleicht jeder Mensch mehr oder weniger dem Bilde des Tantalus in der Unterwelt. Wie treibt es, wie spornt es ihn an! — und wie erhalt er so gar nichts! — So wandelt sie, in ewig gleichem Kreise Die Zeit nach ihrer alten Weise, Auf ihrem Wege taub und blind, Das unbefangene Menschenkind Erwartet stets vom n&chsten Augenblick Ein unverhofftes seltsam neues Glück. Die Sonne geht und kehret wieder, Kommt Mond und sinkt die Nacht hernieder, Die Stunden, die Wochen abwarts leiten, Die Wochen bringen die Jahreszeiten. Von aufieh nichts sich je erneut, In Dir tragst Du die wechselnde Zeit, In Dir nur Glück und Begebenheit. Diese Betrachtungen habe ich schon oft angestellt, wenn ich die Menschen ansah, wie sie sich abarbeiteten, ») Solange der shaping spirit of the Imagination den Dichter erfüllt, solange besitzt er jene innere Heiterkeit (joy), die das Kennzeichen des produktiv-Schaffenden ist; verlafit aber die gütige Pee, genannt Imagination, den Menschen, dann zieht Ode, Erstarrung, Tod bei ihm ein. 28 und immer des Ziels verfehlten, weil sie es zu sehr aufier sich suchten. Wie wenigen ist es verliehen, die Wunder zu verstehn und zu fühlen, die sich wirklich und wahrhaftig ereignen und immer wieder erneuern." l) So gibt uns die schöpferische Imagination eine ganzliche Unabhangigkeit von der AuBenwelt: sie kann dem Leben einen andern Sinn, eine andere Bedeutung geben; sie kann eine höhere Lebensform schaffen, die sich über die Sphare des durchschnittlichen Alltagslebens mit seinen Einschrankungen und Beschrankungen hinweghebt; es kann dies nur ein geistiges Leben sein. Diese geistige Welt, in die das gewöhnliche Leben nur als Material eingeht, ist für den Romantiker das wirkliche Leben. Der Romantiker schöpft alles aus seinem innersten Ich und ist in diesem Sinn unabhangig von der AuBenwelt.2) So ist die Innenwelt (Wordsworth the inward eye) das Schöpferische und das Nicht-Ich nur das Material, in dem sich der schöpferische Geist bewegt. Das Verhaltnis der materiellen AuBenwelt zur geistigen Innenwelt bringen die"Romantiker in verschiedener Form zum Ausdruck. So betont Schleiermacher,3) daB die auBere Welt mit all ihrer Herrlichkeit doch nur unser Innerstes zurückstrahlt, die Herrlichkeit ist nicht aufier uns, ») Jakob Minor S. 84. 2) Vgl. auch William Blakes Ausspruch (Jerusalem ed. by Yeats p. 71): As in your own Bosom you bear your Heaven v"$ftfc And Earth, and all you behold: tho' it appears Without is Within In your Imagination, of which this World of Mortality is but a (faint) Shadow. 8) Monologen S. 4. 29 sondern in uns. „Auch die auBere Welt mit ihren ewigsten Gesetzen wie mit ihren flüchtigsten Erscheinungen strahlt in tausend zarten und erhabenen Allegorien wie ein magischer Spiegel, das Höchste und Innerste unseres Wesens auf uns zurück. Welche aber den lauten Aufforderungen ihres tiefsten Gefühles nicht horchen, welche die leisen Seufzer des gemiBhandelten Geistes nicht vernehmen, an diesen gehen auch die wohltatigen Bilder verloren, deren sanfter Reiz den stumpfen Sinn scharfen soll und spielend belehren". Und an anderer Stelle1) erklart Schleiermacher: „Was dann das aufiere Leben wirklich bringt, ist nur des frühern und reichren inneren Bestatigung und Probe und in das dürftige Mafi von jenem ist nicht die Bildung des Geistes eingeschrankt." So kann uns auch die AuBenwelt nur das gebèn, was wir selbst ihr leihen; wie Coleridge und Wordsworth mit Recht betonen: wir empfangen nur das, was wir geben. Zum Schlusse möchte ich noch eine AuBerung Schellings über das Wesen der intellektuéllen Anschauung anführen: „Uns allen namlich wohnt ein geheimes, wunderbares Vermogen bei, uns aus dem Wechsel der Zeit in unser Innerstes, von allem, was von aufien her hinzukam, entkleidetes Selbst zurückzuziehen, und da unter der Form der Unwandelbarkeit das Ewige in uns anzuschauen. Diese Anschauung ist die innerste, eigenste Erfahrung, von welcher allein alles abhangt, was wir von einer übersinnlichen Welt wissen und glauben. Diese Anschauung zuerst überzeugt uns, daB irgend etwas im eigentlichen Sinne ist, wahrend alles übrige nur erscheint, worauf wir *) Monologen S. 56. 30 jenes Wort übertragen. Sie unterscheidet sich von jeder sinnlichen Anschauung dadurch, daB sie nur durch Freiheit hervorgebracht und jedem andern fremd und unbekannt ist, dessen Freiheit, von der eindringenden Macht der Objekte überwaltigt, kaum zur Hervorbringung des BewuBtseins hinreicht."') Kapitel HL Synthesis der Gegensatze. A. Endlichkeit-Unendlichkeit. Ewigkeit-Zeitlichkeit. Die Imagination befahigt den Romantiker, den schwerwiegendsten und fundamentalsten Gegensatz zu überwinden: Endlichkeit-Unendlichkeit, EwigkeitZeitlichkeit. Unendlichkeit ist das Lieblingswort, das Lieblingsthema der Romantik; überall2) in ihren Werken und Schriften stoBen wir auf dies geheimnisvolle, zauberische Zeichen. Überall empfindet der Romantiker Ahnungen einer solchen Unendlichkeit, und seine philosophischen, religiösen und asthetischen ') Philos. Briefe über Dogmatismus etc., Werke 1,1, 318f. !) Vgl. die AuBerung Wordsworths: „Even in poetry it is the imagination only, viz., that which is conversant with, or turns upon infinity, that powerfully affects me. Perhaps I ought to explain: I mean to say that, unless in those passages where things are lost in each other, and limits vanish, and aspirations are raised, I read with something too much like indifference" (Letters, ed. Knight n, 215). 31 Bedürfnisse stehen im engsten Zusammenhang mit dem Unendlichen und können nur durch eine Verbindung mit diesem befriedigt werden. Was ist nnn das Unendliche? Negativ können wir die Antwórt geben: es laüt sich weder durch Raum noch Zeit bestimmen. Aber das Unendliche ist nicht bloB ein negativer, sondern vielmehr ein positiver Begriff; er besagt, daB das Unendliche ein Überendliches, ein Mehr als ein Endliches, ein Anderes als das Endliche ist. Deshalb kann es nicht von der sinnlichen Anschauung erfaBt werden, aber ebensowenig durch den Verstand: sondern es kann nur durch Intuition zum Bewufitsein kommen; vgl. Fr. Schlegel: „ï)as "Universum kann man weder erklaren noch begreifen, nur anschauen und offenbaren. Höret nur auf, das System der Empirie das Universum zu nennen und lernt die wahre religiöse Idee desselben vor der Hand in den Reden über die Religion lesen."1) Oder: „Der Verstand, sagt der Verfasser der Reden über die Religion, weifl nur vom Universum; Die Phantasie herrsche, so habt ihr einen Gott. Ganz recht, die Phantasie ist das Organ des Menschen für die Gottheit."2) So ist das Unendliche das letzte groBe Geheimnis desüniversums; es ist sozusagen die idee desUniversums; diese Idee selbst entf altet sich im Universum und durch das Universum. Dies Geistige, das das All-Eine ist, das alles Lebendige in sich schlieBt und aus dem alles Lebendige hervorgeht, das in ewiger, ruheloser Bewegung ist, wird von den einzelnen Romantikern verschieden gefaBt und entsprechend verschieden be- ») Ideen 150, Minor n, 306. a) Ideen 8, Minor II, 290. 32 zeichnet; bald in religiöser Weise als Gott, Gottheit; bald in philosophischer Weise als Mittelpunkt, Zentrum, Absolutes, innerste Welt, Weltseele, Weltgeist nsw. Wordsworth spricht von einer „abstract intelligence, whose kingdom is, where time and space are not", und ruft dieses letzte und oberste Prinzip an als: „Thou, dread source, Prime, self-existing cause and end of all That in the scale of being fill their place.B1) Shelley bezeichnet die letzte lebendige Einheit als: „Intellectual Beauty" (geistige Schönheit), die ihm das oberste und letzte Prinzip alles Seins und Geschehens ist und diesem erst Sinn und Bedeutung gibt. In seiner Hymne an die „Intellectual Beauty" verehrt Shelley das tiefste Mysterium als „Spirit of Beauty", als „awful loveliness", dessen Schatten uns umgibt {„The awful shadow of svme unseen Power floats though unseen among us.u). Es mufi aber ausdriicklich betont werden, daB dieses Unsagbare, mit den Formen der sinnlichen [Anschauung und des Verstandes nicht zu Fassende, kucht auBerhalb der Welt steht. Schlegel hat den romantischen Grundgedanken in seinen Berliner Vorlesungen folgendermaBen formuliert: „Man halte das Unendliche nicht etwan für eine philosophische Fiktion, man suche es nicht jenseits der Welt: es ntrifyiht rins iihftra11T wir können ihm niemals entgehen; wir leben, weben und sind in dem Unendlichen. Freilich haben wir seine Gewahr nur in unserer Vernunft und Phantasie; mit den auBeren Sinn, und dem Verstande können wir es nicht ergreifen; denn diese bestehen nur durch einfeestandiges Setzen von Endlich- ') Excwrsion IV, 79 ff. 33 keiten und von Verneinen des Unendlichen"*) oder Schleiermacher: „Alles Endliche besteht nur durch die Bestimmung seiner Grenzen, die aus dem Unendlichen gleichsam herausgeschnitten werden mussen. Nur so kann es innerhalb dieser Grenzen selbst unendlich sein und eigen gebildet werden."2) Endliches und Unendliches erscheinen dem Romantiker auf das innigste verschmolzen, auf das engste verknüprt. Aus dieser romantischen Grundauffassung ergibt sich aber auch die Stellung zur Wirklichkeit, zu der uns umgebenden Endlichkeit. Das Endliche. das real Gegebene, wifd als Ausdrnck des Unendlichen aufgefaBt, als eine Phase, als eine Entwicklungsstufe des Unendlichen betrachtet. Im Endlichen kommt das Unendliche zur Geltung, oder wie Schleiermacher es ausdrückt: „auf dem Endlichen ruht der Glanz des Unendlichen." So kann der Romantiker nicht der Wirklichkeit kalt oder gleichgöltig gegenüberstehen, oder mit Verachtung über sie hinweggehen — auch kann sie ihm nicht als etwas Unbedeutendes, Nebensachliches erscheinen. Die gewöhnliche Auffassung, die wir mit dem Wort „romantisch" verbinden, wird dem Wesen der Romantik nicht gerecht.3) Der romantische Geist halt sich nicht, wie man glaubt, fern von der endlichen Welt, er schwebt nicht nur in weltabgewandten phantastischen Regionen, deren Idealwelt tagtaglich mit ') A. W. Schlegel, Vorksungen S. 90. a) Beden S. 28. *) Die Auffassung ist natürlich historisch begrfindet und hangt mit gewissen Ausnahmeerscheinungen, mit gewissen krankhaften Zügen, die namentlich bei einzelnen deutschen Romantikern auftreten, zusammen; wie überhaupt die empirische Formung des Romantischen streng von seinem eigentlichen Wesen zu trennen ist Deutschbein, Das Wesen des Eomantischen. 3 34 der rauhen Wirklichkeit zusammenstöBt; vgl. Novalis: „Das Leben ist etwas, wie Farben, Töne und Kraft. Der Romantiker studiert das Leben, wie der Maler, Musiker, Mecbaniker Farben, Ton und Kraft. Sorgfaltiges Studium des Lebens macht den Romantiker, wie sorgfaltiges Studium von Farbe, Gestaltung, Ton und Kraft den Maler, Musiker und Mechaniker." *) Nein, die Romantik steht der Wirklichkeit nicht gleichgültig gegenüber, denn nur durch sie allein kann sie das Unendliche erkennen, da es sich im Endlichen pffenbart. Da das Universum nur das Spiegelbild eines Höheren ist, kann der Romantiker die Welt als solche werten, ihr eine gewisse Sympathie abgewinnen, die sich bis zur Liebe steigern kann; allerdings alles dies nicht um der Welt selbst willen, sondern weil sie in Beziehungen zum Unendlichen steht und das Abbild des All-Einen ist. So hat gerade die Romantik ein besonders innerliches Verhaltnis zur sinnlichen Welt, aber es liegt in ihrem Wesen, dafl nicht alle Ausdrucksformen, nicht alle Erscheinungsformen, nicht alle Gestaltungen der sinnlichen Welt den Romantiker in gleicher Weise und in gleicher Starke beeinflussen: die romantische Art fühlt sich nur zu besonderen Formen der AuBenwelt hingezogen; ès ist besonders das Reich der Farbe, des Lichtes und des Tones und deren Verknüpfungen und Verschmelzungen, in dem sich der Romantiker heimisch fühlt. Die. romantischen Dichter (ich erinnere nur an Coleridge, Shelley, Keats in England) schwelgen darih, die feinsten Nuancen der umgebenden Natur in sich aufzunehmen und die zartesten Empfindungsreize unserer sinnlichen Wahrnehmung zu reproduzieren: ') Novalis H, 1, 200. 35 keine leeren Abstraktionen, keine althergebrachten, überkommenen, verbrauchten, nichtssagenden Bilder und Vergleiche, sondern Selbstempfundenes, Selbsterlebtes, mit den eigenen Sinnen Aufgenommenes und Beobachtetes: alles hat den Geruch und Odem der Mutter Erde an sich, in deren sinnliche Reize der Romantiker sich manchmal wollüstig yersenkt. So führt eine Verbindungslinie und zwar eine sehr kraftige von der Romantik zum Realismus; ja, der Sensualismus, der oft als Begleiterscheinung des Realismus auftritt, ist in der Romantik schon völlig entwickelt, j edoch erfahrt in der Romantik das Sinnliche — mag es noch so stark und reich sein — immer eine Interpretation, immer wird es zu einem Geistigen in Beziehung gesetzt^^und wo dieser geistige Sensualismus in einen materiellen Sensualismus umzuschlagen droht, da sind auch die Grenzen der Romantik. Es bleibt als Rest nur eine rein formale Romantik übrig.1) Auf der anderen Seite muB man anerkennen, daB tatsachlich eine Richtung in der Romantik existiert, die zu einer Entwertung, zu einer Geringschatzung der Wirklichkeit führt, die gern zu Traumbildern, Visionen, wunderbaren Verzückungen gréift Die Êlnheit n&mTïcn von Unendïichem und Endlichem kann eine doppelte Form annehmen: entweder findet eine Verschmelzung (oder wie Schelling sagt, Einbildung) des Unendlichen mit dem Endlichen statt, oder eine solche des Endlichen mit dem Unendlichen. Die Endlichkeit bez. die Wirklichkeit besteht in dem ersten Falie selbstandig neben dem Unendlichen; im ') [Über den asthetischen Sensnalismus der Romantik vgl. jetzt auch die interessante Studie von Fr. Brie, Aesthetische Weltanschauung in der Literatur des 19. Jahrhunderts, Freiburg 1921]. 3* 36 zweiten Falie tritt ein Sichaufgeben, ein Auflösen des Endlichen im Unendlichen ein. Schelling hat in seiner Philosophie der Kunst diesen Unterschied folgendermaBen festgelegt: „lm ersten Falie (bei der Einbildung des Universums in das Endliche) ist das Endliche zugleich das Unendliche selbst; nicht bloB es bedeutend, eben darum etwas für sich, auch unabhangig von seiner Bedeutung."1) So tritt neben die realistische Romantik eine entmaterialisierende, rein geistige Romantik — der Drang, die Sehnsncht nach dem Unendlichen kann in den einzelnen Romantikern so stark in den Vordergrund treten, ihn so ausschlieBlich beherrschen, daB (Mineben der Sinn und die Wertung des Endlichen fast verschwindet. Diese sehnsuchtsvolle, oft melancholische (weil das Ziel, namlich Einheit mit dem Unendlichen, nicht erreicht wird, nicht erreicht werden kann),2) ja oft krankhaf te Form des romantischen Geistes bedeutet aber auch in ihrer Methode und Struktur eine Abbiegung von der realistischen Romantik; nicht mehr handelt es sich um ein reines Anschauen, Betrachten, Erkennen des Unendlichen, das sich dem mit Imagination Erfüllten mitteilt und offenbart sondern um eine gefühlte und gewollte Erfassung des Unendlichen, die vom endlichen Subjekt ausgeht — die treibende Kraft dabei ist die Liebe (vergl. das nahere Kap. V). Noch ein weiteres Moment, das sich aus den bisherigen Ausführungen mitNotwendigkeit ergibt, müssen ») Weiss Hl, 100 f. a) Dieser Tragik des romantischen Geistes hat Shelley in seinem Preface zu seinem Alastor beredten und glanzenden Ausdruck verliehen; das Unendliche in seiner Herrlichkeit findet in der Wirklichkeit kein entsprechendes Bild und Gleichnis. 37 wir bier anführen. Die Romantik fafit die Einheit von Endlichem und Unendlichem nicht als ein Seiendes, sondern als ein Werdendes auf, sei es, daB die Unendlichkeit als ein sich in dem Endlichen Realisierendes, sei es, daB die Endlichkeit als eine Stufe zur Unendlichkeit, als eine Phase des Unendlichen aufgefaBt wird — also entweder: das Unendlicht= ^werdende Endlichkeit oder: das Endliche = werdende Unendlichkeit. Dadurch kommt in die Romantik Bewegung un) Monologen 8.13. 2) Beden S. 39. 42 Ist so die Tiefe des ïchs der Boden, auf dem sich die Vermahlung vom Unendlichen und Endlichen vollziehen kann, so besitzt der romantische Geist auch in der ganzen auBeren Welt, in der Natur und in dem Kosmos ein Reich. wo die Imagination ihr ureigenstes Wesen entfalten kann. So ist mit dem Begriff Romantik die Vorstellung von Naturpoesie und Naturgefühl auf das engste verbunden; ja die Starke der englischen Romantik wurzelt geradezu in dem innigen Verhaltnis, in dem die einzelnen Dichter zur Natur stenen. Zwar haben auch schon andere Zeitalter, andere Geschmacksrichtungen zur Natur Stellung genommen; für ihre Schönheit, für ihre sinnliche Wirkung sind andere Generationen ebenso empfanglich gewesen wie die Romantiker. Auch schon vor der Romantik haben Dichter aller Zungen ihr eine Seele gegeben, sie zu ihrer Vertrauten — vielleicht einzig Vertrauten — ihrer Wünsche und Hoffnungen, ihrer Leiden und Freuden gemacht, sich in der tiefsten Not an den Busen der Allmutter Natur geflüchtet. Die auBerste Steigerung wird erreicht, wenn die Natur mit Gott identisch wird — es wird die Natur dann selbst zur Gottheit, und sie empfangt die Verehrung, die der Gottheit zukommt. Doch das Naturgefühl der Romantiker ist von besonderer Art, wenn auch nicht zu verkennen ist, daB das Naturgefühl des 18. Jahrhunderts in seiner sentimentalen Auffassung die Grundlage des romantischen Verhaltnisses zur Natur bildet, ja einzelne Romantiker sind in der Naturauffassung des 18. Jahrhunderts stehen geblieben. Was ist aber für den echten Romantiker die Natur? Die Natur ist für ihn das anschauliche Symbol des Unendlichen, des Transzendenten. 43 Das Universum, die Erde ist ein Gedicht der Gottheit; vergl. Fr. Schlegel: „Ja, wir alle, die wir Menschen sind, haben immer und ewig keinen andern Gegenstand und keinen andern Stoff aller Tatigkeit und aller Freude, als das eine Gedicht der Gottheit, dessen Teil und Blüte auch> wir sind — die Erde. Die Musik des unendlichen Spielwerks zu vernehmen, die Schönheit des Gedichts zu verstehen, sind wir fahig, weil auch ein Teil des Dichters, ein Funke seines schaffenden Geistes in uns lebt."1) Da das Unendliche zu groB und gewaltig ist, als daB wir als Menschen mit ihm in Beziehung treten könnten (Fr. Schlegel2) „Gott erblicken wir nicht, aber überall erblicken wir Göttliches; zunachst und am eigentlichsten jedoch in der Mitte eines sinnvollen Menschen, in der Tiefe eines lebendigen Menschenwerks. Die Natur, das Universum kannst Du unmittelbar fühlen, unmittelbar denken, nicht also die Gottheit"), spricht es zü uns durch die Natur; durch sie wird der Schleier, der auf dem Unendlichen runt, ein wenig gelüftet; die Natur gibt uns gewissermaBen ein Zeichen, sie ist das Alphabet, mit deren Hilfe wir den Sinn des Universums studieren können;8) sie kann ') Gespröch über die Poesie. Minor II, 339. a) Ideen 44, Minor II, 293. ") Spranger hat in seinem Buche: W. von Humboldt und die Humanitdtsidee der Frage nach dem Ursprung dieser symbolischen Naturauffassung, der „Chiftreschrift der Natur" eine eingehende historische Untersuchung zuteil werden lassen, auf die ich hiermit verweise. Ich möchte hier nur die Schillersche Darstellung (Spranger S. 175) dieses für die Asthetik des 18. Jahrhunderts und der Romantik so wichtigen asthetischen Begriffes bringen: „Das Universum ist ein Gedanke Gottes Also gibt es für mich nur eine einzige Erscheinung in der Natur, das denkende Wesen. Die grofie Zusammensetzung, die wir Welt nennen, 44 als Schema des übersinnlichen gebraucht werden (vergl. Kant, Kritik der Urteilskraft § 53). So erkiart Coleridge in einem seiner frühesten Gedichte The Destiny of Nation, veröffentlicht 1794: „All that meets the bodily sense I deern SymbolicaL, one mighty alphabet To infant minds; and we in this low world Placed with our backs to bright reality, That we might learn with young unwounded ken The substance from the shadow."l) Wir mussen der Natur, da sie der Ausdruck eines unendlich grofien Geheimnisses ist, nur mit Ehrfurcht nahen, nicht dürfen wir sie zu unserer menschlichen Vertrauten machen, nicht dürfen wir ihr unsere — im ganzen doch kleinen, weil menschlichen — Klagen anvertrauen, wir müssen sie still und andachtig verehren — ja wir versinken in schweigende Anbetung vor der Majestat des göttlichen Geistes in der Natur. Wordsworth laflt den Wanderer in seiner Jugend an der Herrlichkeit einer Naturlandschaft das Wesen der Gottheit ahnen und inne werden: „ He looked Ocean and earth, the solid frame,of earth And ocean's liquid mass, in gladness lay Beneath him: — Far and wide the clouds were touched, And in their silent faces could he read Unutterable love. Sound needed none, bleibt mir jetzo nur merkwürdig, weil sie vorhanden ist, mir die mannigfaltigen Aufierungen jenes Wesens symbolisch zu bezeichnen. Alles in mir und aufier mir ist nur ein Hierogtyphe einer Kraft, die mir ahnlich ist Die Gesetze der Natur sind die Chiffern, welche das denkende Wesen zusammenfttgt, sich dem denkenden Wesen yerstandlich zu machen — das Alphabet, vermittelst dessen alle Geister mit dem vollkommensten Geist und mit sich selbst unterhandeln." l) Works, ed. by E. H. Coleridge H, 17 ff. 45 Nor any voice of joy; bis spirit drank The spectacle: sensation, soul and form, All melted into Mm; they swallowed np His animal being; in them did he live, And by them did he live; they were his life. In snch access of mind, in such high hour Of visitation from the living God, Thonght was not; in enjoyment it expired. No thanks he breathed, he proSered no request; Rapt into still communion that transcends The imperfect offices of prayer and praise, His mind was a thanksgiving to the power That made him; it was blessedness and love!1) Diese religiöse Naturmystik erreicht ihren Höhepunkt in der Stille der Nacht2) Ein religiöser Schauer erfaBt uns, wenn wir in der1 zauberhaften Stille der Nacht Zwiesprache mit der Natur halten, ihren Offenbarungen lauschen dürfen. Dann mussen wir die wise passiveness (Wordsworth) besitzen, d. h. uns in ehrfurchtsvoller Andacht der Natur hingeben, ihrer Wirkung und ihrem EinfluB unser eigenes Ich unterwerfen, oder wie Shelley so schon in seinem Selbstbekenntnis: Alastor3) sagt: „In lone and silent honrs, When night makes a weird sound of its own stillness, Like an inspired and desperate alchymist Staking his very life on some dark hope, Have I mixed awful talk and asking looks ») Excursion I, 200 ff. *) Stille und Einsamkeit sind ebenso wie die Unendlichkeit ein Leitmotiv der Romantik, so dafi die beiden Yorstellungen in engster Wechselwirkung stehen. Offenbar bedarf die Imagination, die das Unendliche im Ich, Natur und Kunst erlebt, der Stille und des Schweigens, die doch andererseits wieder das höchstgesteigerte Leben bedeuten; vgl. Shelley's „solemn midnight's tingling silentness" (Alastor L. 7). *) V. 29—36. 46 With my most innocent love, until strange tears TJniting with those hreathless kisses, made Such magie as compels the charmed night To render up thy (= Nature's) charge." Diese Auspragung des Naturgefühls hat einen stark religiösen Einschlag; und die Ahnlichkeit, von Wordworth und Shelley mit der Auffassung Schleiermachers vom Wesen der Religion (schon oben S. 23 zitiert) fallt sofort ins Auge. Die kindliche Passivitat, von der sich der religiöse MenscTTaurcn aas Universum ergreifen laiJt, ist aber der Grundzug, den das Verhaltui£ des Romantikers znr Natur anjFwmgtM eben jene „wise Passiveness". Daraus folgt aber auch, daB der Romantiker durchaus nicht Pantheist sein muB; das Universum ist, um wiederum mit Wordsworth zu sprechen: „a work Glorions! becanse the shadow of thy might, A step, or link, for intercourse with thee."') Für den romantischen Dichter ist somit die Natur nur der Saum des Kleides, in dem die unendliche Gottheit in strahlender Majestat einherwandelt, und er küBt ihn in stiller Verehrung, er wird ergriffen von den eigenen Darstellungeu und Handlungen des Universums. Ist somit der Romantiker von dem gewöhnlichen Pantheismus entfernt, der die Natur der Gottheit gleichsetzt (für die Romantiker ist sie mehr als die Natur), so ist auf der anderen Seite zu beachten, daB die Natur nicht bloB ein auBeres Schema, ein auBeres Symbol der Gottheit ist. Wir haben schon oben S. 19 auseinandergesetzt, daB das Symbol in der romantischen Auffassung in einem innern lebendigen Zusammenhang mit dem Symbolisierten steht — und das gilt auch von der Natursymbolik des Romantikers. Er fühlt in *) Excwsion IV, 100. 47 ihr eine geheimnisvolle Bewegung, die auf einen tieferen Ursprung hinweist; er spürt in ihr den Hauch und Atem der Gottheit, vgl. Wordsworth: „And I have feit A presence that disturbs me with joy Of elevated thoughts; a sense snblime Of something far more deeply interfnsed, Whose dweiling is the light of setting suns, And the round ocean and the living air, And the blue sky, and in the mind of man; A motion and a spirit, that impels All thinking things, all objects of all thought, And rolls throngh all things1)." Deshalb auch die wunderbare Kraft und der reinigende EinfluB der Natur bei den Romantikern; man lese den Hymnus auf die Natur, in den Wordsworth in „Tintern" ausbricht: „The anchor of my pnrest thoughts, the nurse, The guide, the guardian of my heart, and soul Of all my moral being." *) Deshalb vermag der Umgang mit der Natur ihn die höchste Weisheit zu lehren und über die Natur findet W. seine Rückkehr zum Menschen; vergl.: „The lesson deep of love which he, Whom Nature, by whatever means, has taught To feel intensely, cannot but receive."3) Neben der Natur sind es aber auch die Werke der Kunst, in denen der Romantiker die Offenbarungen der Unendlichkeit auf sich wirken lafit. Die wahre und letzte Aufgabe der Kunst ist also, das Unendliche darzustellen und zwar im Endlichen. Es vollzieht sich in dem Kunstwerk die Synthese von Endlichkeit und Unendlichkeit. Die asthetische Auffassung vom •) Tintern Abbey v. 93 ff. a) V. 109 ff. ») Excursion 1,194 ft und ahnlich IV, 1267 ff. 48 Wesen der Kunst ist also wieder die symbolische. Diese symbolische Auffassung der Kunst ist ein Erbstück des 18. Jahrhunderts, und der Unterschied besteht nur in den Ideen, die durch die Kunst symbolisiert werden sollen.1) Hatte Kant das Schone als Symbol des Sittlich-Guten erkiart, hatte er (Kritik der Urteilskraft) das Schone als den allgemeinen Ausdruck der asthetischen Idee formuliert, so gab Wilhelm Schlegel in seinen Vorlesungen die neue Auffassung des Schonen als eine symbolische Darstellung des Unendlichen in folgenden Worten2) wieder: „Das Schone ist eine symbolische Darstellung des Unendlichen. . . . Wie kann nun das Unendliche auf die Oberflache, zur Erscheinung gebracht werden? Nur symbolisch, in Bildern und Zeichen. Die unpoetische Ansicht der Dinge ist die, welche mit den Wahrnehmungen der Sinne und den Bestimmungen des Vërstandes alles an ihnen für abgetan halt, die poëtische, welche sie immerfort deutet und eine figürliche Unerschöpflichkeit in ihnen sieht . .. Dadurch wird erst alles für uns lebendig. Dichten (im weitesten Sinne für das Poëtische allen Kunsten zum Grande Liegende genommen) ist nichts andres als ein Ewiges symbolisieren: wir suchen entweder für etwas Geistiges eine aufiere Hülle, oder wir beziehen ein AuBeres auf ein unsichtbares Inneres."3) ') Vgl. Spranger S. 328 und 326 fl. *) A. W. Schlegel, Vorlestmgen S. 91. 8) Schelling scheidet wie die übrige Asthetik seiner Zeit zwischen „Schon" und „Erhaben" und erkiart (Philosophie der Krmst § 65): „Die erste der beiden Einheiten, die, welche Einbildung des Unendlichen im Endlichen [ist], drückt sich an dem Kunstwerk vorzugsweise als Erhabenheit, die andere, welche Einbildung des Endlichen im Unendlichen, als Schönheit aus." (Weifi Hl, 109 f.). 49 Daraus erkiart sich auch die Forderung einer „Transeendentalpoesie". Nach Fr. Schlegel soll neben der Transzendentalphilosophie eine „Transzendentalpoesie" geschaffen werden, deren Hauptaufgabe es ware, die Verbindung von Realitat und Idealitat herzustellen: „Es gibt eine Poesie, deren Eins und Alles das Verhaltnis des Idealen und des Realen ist, und die also nach der Analogie der philosophischen Kunstsprache Transzendentalpoesie heifien müflte. Sie beginnt als Satire mit der absoluten Verschiedenheit des Idealen und Realen, schwebt als Elegie in der Mitte und endigt als Idylle mit der absoluten Identitat beider."J) Ein verwandtes Programm einer Transzendentalpoesie, allerdings nicht in gleichem Sinne, haben die englischen Romantiker Wordsworth und Coleridge aufgestellt und auch wirklich in ihren „Lyrical Ballads" durchgeführt, der ersten Frucht der romantischen Bewegung in England. Die beiden Freunde hatten verabredet, Wordsworth solle das Alltagliche, Gewöhnliche durch die Imagination in eine poëtischere ideale Sphare erheben, wahrend Coleridge umgekehrt das Übersinnliche durch seine Darstellung so realistisch gestalten sollte, daB der Leser das Wunderbare, Übernatiirliche als reale Wirklichkeit empflnden sollte. Es lohnt sich, den Heroldsruf des neuen Geistes wiederzugeben: „The thought suggested itself (to which of us I do not recollect) that a series of poems might be composed of two sorts. In the one, the incidents and agents were to be, in part at least, supernatural; and the excellence aimed at was to consist in the interesting of the affections by the dramatic truth of such emotions, as would naturally ») Athenaeum Fragment 288) Minor II, 242. Deutschbein, Das Wesen des Eomantischen. 4 50 accompany such situations, supposing them real. And real in this sense they have been to every human being who, from whatever source of delusion, has at any time believed himself under supernatural agency. For the second class, subjects were to be chosen from ordinary life; the characters and incidents were to be such, as will be found in every village and its vicinity, where there is a meditative and feeling mind to seek after them, or to notice them, when they present themselves."J) Die höchste Form der Vermahlung des Unendlichen mit dem Endlichen (und ebenso des Idealen mit dem Realen und des Übersinnlichen mit dem Sinnlichen) vollzieht sich in der Poesie, in dem Poetischen. Das Unendliche, das Absolute ist nirgends gegenwartiger als in der Poesie; denn die Poesie ist ein Abglanz des Unendlichen. Die Stellung der Poesie im Leben der Romantiker kann nicht hoch genug eingeschatzt werden: Für den Romantiker ist die Poesie das Leben, das Absolute, das Reale; in ihr entfaltet sich das Leben zur höchsten Blüte: Leben, Kunst und Philosophie sind in ihr vereinigt. Die Poesie ist die höchste Realitat. Marie Joachimi2) belegt das Verhaltnis durch einige Aussprüche von Schlegel: „Wo die Philosophie aufhört", soll jetzt „die Poesie anfangen". Aus dem SchoJJe des Idealismus mufi sich jetzt „ein ebenso grenzenloser Realismus erheben". Denn die Wirklichkeit ist wohl als eine poëtische, geistige, göttliche Wirklichkeit von der Philosophie erkannt, aber nur abstrakt. „Nur eine ewig volle, unendliche Poesie" *) Coleridge, Biographia Lit, Shawcross II, 5. *) Die Weltanschawu/ng der Romantik, S. 139. 51 wird als Realismus diese grofiè Wirklichkeit um uns und in uns veranschaulichen können: „Alle Philosophie ist Idealismus, und es gibt keinen wahren Realismus als den der Poesie." Aus dieser Definition des Poetischen ergibt sich aber auch, daB es uns keineswegs allein in den Werken der Dichter entgegentritt, sondern daB sein Reich unermeBlich ist. Überall da, wo der Glanz des Unendlichen auf dem Endlichen ruht, tritt uns Poesie entgegen — im Ërhabensten und Gewaltigsten der Natur Tnra~aêsl[enschenlebens, ebenso wie im Einfachsten, Elementarsten, Primitivsten. Auch hier trifft Fr. Schlegel das Richtige: „UnermeBlich und unerschöpflich ist die Welt der Poesie wie der Reichtum der belebenden Natur an Gewachsen, Tieren und Bildungen jeglicher Art, Gestalt und Farbe. Selbst die künstlichen Werke oder natürlichen Erzeugnisse, welche die Form und den Namen von Gedichten tragen, wird nicht leicht auch der umfassendste alle umfassen. Und was sind sie gegen die formlose und bewufitlose Poesie, die sich in der Pflanze regt, im Lichte strahlt, im Einde lachelt, in der Blüte der Jugend schimmert, in der Hebenden Brust der Frauen glüht? — Diese aber ist die erste, ursprüngliche, ohne die es gewiB keine Poesie der Worte geben würde."1) Daraus erkiart sich die schon oben S. 39 berührte Eigentümlichkeit der Romantik, namlich die Wertsch&tzung und das Verstandnis für das Einfache und Primitive. Für den Romantiker konnte ja die Individualitat in jeder Form, auch in der einfachsten, Bedeutung gewinnen, wenn er sie als eine Phase der Unendlichkeit ansah — es konnte dann jede Indi- ') Gesprach über Poesie, Minor II, 338 f. 4* 52 vidualit&t einen Teil der Allpoesie darstellen. Wenn das Individuum als Ausdruck des Unendlichen gefaBt wird, so liegt in diesem Augenblick über ihm der Zauber der Poesie; und damit kann auch das Einfachste in den Ereis der poetischen Betrachtung treten. Daraus ergibt sich aber auch, daB auch primitive Menschen poëtisch sind, ja selbst Poetisches schaffen können. Auch die Naturvölker, auch die einfachsten Menschen haben Sinn für das Poëtische und können dies Gefühl in ihren Liedern zum Ausdruck bringen: die Möglichkeit einer Natur- und Volkspoesie ist wohl begründet. Daher die Vorliebe und Verehrung der Romantiker für die Volkspoesie. Ich erinnere für Deutschland an die Sammlung von Volksliedern durch Achim von Arnim und Brentano und an die Veïöffentlichung der deutschen Kinder- und Hausmarchen durch die Gebrüder Grimm; in England war schon Percy 1765 mit seinen Reliques vorangegangen; — aber das wahre Verstandnis ist" auch hier erst durch die romantische Bewegung gekommen; jetzt wurde der Text nicht mehr für den Geschmack eines zivilisierten Publikums zurechtgestutzt — sondern die Stimmung des Volkes wurde rein und unverfalscht erhalten. Was aber die Romantiker so stark an Volkslied, Volksballade, Volksmarchen fesselt, ist die eigenartige Stimmung, die über diesen lagert. Eine goldene Sonne breitet sich über ihnen aus, die alles mit ihrem Glanze überftutet und durchwarmt; die nackte kalte Wirklichkeit ist es nicht, die in ihr vorherrscht, sondern eine wunderbare Traumwelt, die aber doch als eine höhere Wirklichkeit erscheint. Der Romantiker kennt, wie wir wiederholt ausgeführt haben, eine höhere geistige Wirklichkeit; er wandelt die empirisch gegebene 53 Wirklichkeit durch seine Imagination in eine Welt von tieferem Gehalte, von wanneren Farben, von strahlenderem Lichte urn ƒ er macht die Wirklichkeit zu einer Traumwelt, die aber nicht als ein wildes Gebilde wüster Bilder erscheint, sondern ihm das wirkliche Sein bedeutet; in dem Traum besitzt er volles Bewufitsein und volle Willenskraft. ' Die englischen Dichter bezeichnen diesen Zustand des erhöhten LebensbewuBtseins als „waking dream" — wir traumen und sind doch wach. • ... Besonders stark treten die beiden Grundzüge der Volkspoesie, ihr symbolischer Wert und ihr traumhaftes Schauen, im Marchen an den Tag, für den Romantiker war gewissermafien die Marchendichtung die literarische Form, in der sich seine Weltanschauung am starksten entfalten konnte, und so war gerade das Marchen das Lieblingsthema der (deutschen) Romantik. Auch über die Volkspoesie hinaus haben die Romantiker ein feinfühliges Verstandnis für die verschiedenen Arten und Entwicklungen der Dichtkunst gezeigt — überall das Poëtische empfunden; ich brauche nicht darauf hinzuweisen, wie die Poesie des Mittelalters, Spaniens und des Orients mit offenen Armen von ihnen aufgenommen und verbreitet wurde, allerdings haben auch andere Gründezur Wertschatzung dieser Literaturen geführt. Bei der hohen Stellung, die die Romantik der Kunst, besonders der Poesie, einraumt, ist es kein Wunder, daB sie für den Bwigkeitswert der Kunst ein besonders feinfühliges Organ hat. Der Ewigkeitswert folgt aber aus dem Wesen des romantischen Geistes selbst. Ist das Schone ein Symbol des Unendlichen, stellt es in sich die Vereinigung des Endlichen und Unendlichen dar, so nimmt das Schone 54 selbst an dem Unendlichen teil. Nehmen wir daher etwas Scbönes in uns auf, so haben wir in diesem Augenblick an der Unendlichkeit, an der Ewigkeit Anteil. Dann steigt ein Ahnen der Ewigkeit in uns auf oder, wie Keats es so schon ausspricht: „A thing of beauty is a joy for eoer." Wenn derselbe Dichter die Nachtigall als einen „immortal bird" bezeichnet, so bedeutet dies, daB die Schönheit unverganglich und ewig ist, nicht als ob die Nachtigall ewig lebe, sondern in dem Augenblick, wo ihr Gesang ertönt, erlebt der Mensen die Ewigkeit. Daher tritt auch bei manchen Dichtern der Romantik wie Shelley und Keats das Motiv auf: „in Schönheit sterben".1) Wer einmal das Schöne in seiner elementaren, ergreifendsten Form erlebt hat, der wünscht, diesen Gewinn auf ewig festzuhalten und nicht wieder in die Sterblichkeit zurückzusinken, und er kann dies nur, indem er auf sein sterbliches Ich verzichtet. Tieck spricht ahnliche Gedanken aus: „Wir haben uns an die Vorstellung gewöhnt, Ewigkeit nur unter dem Bilde der zukünftigen Zeit zu denken, so mit schwindelndem Bliek in die ungemessene Lange künftiger Jahre hinabzuschauen, und uns den wiederkehrenden Kreislauf von Begebenheiten und Ereignissen dazu zu denken... Ist es denn die majestatische Unverganglichkeit,,die auf uns zukommt? Wir vergessen, daB die Gegenwart ebenso gut ewig zu nennen sei, dafi die Ewigkeit sich in den Umfang einer Handlung, eines Kunstwerks zurückziehen könne, nicht deswegen, weil sie unverganglich daure, sondern weil jene groB, weil dieses vollendet ist. Statt nach auBen geht hier die Ewigkeit gleichsam nach innen ... *) Vgl. Keats's Ode to a Nightingale st. 6. 55 Alles, was vollendet, das heifit, was Kunst ist, ist ewig und unverganglich, wenn es auch die blinde Hand der Zeit wieder auslöscht, die Dauer ist zufallige Zugabe; ein vollendetes Kunstwerk tragt die Ewigkeit in sich selbst, die Zeit ist ein zu grober Stoff, als daB es aus ihr Nahrung und Leben ziehen könne. Wenn daher auch Geschlechter, Erden und Weiten vergehen, so leben doch die Seelen aller groBen Taten, aller Dichtungen, aller Kunstwerke. — In der Vollendung der Kunst sehen wir am reinsten und schönsten das getraumte Bild eines Paradieses, einer unvermischten Seligkeit. Gemalde verbleichen, Gedichte verklingen; — aber Weise und Farben waren es auch nicht, die ihnen ihr Dasein schufen. In sich selbst tragt die Gegenwart der Kunst ihre Ewigkeit, und bedarf der Zukunft nicht, denn Ewigkeit bezeichnet nur Vollendung."') Am Schlusse seines Aufsatzes fordert Tieck auf, unser Leben zu einem Kunstwerk zu gestalten — dann sind wir schon auf Erden unsterblich. Charakteristisch ist wieder die enge Beziehung von Kunst und Leben, ohne die wir uns die Romantik nicht denken können. Mit dem Ewigkeits- und ünsterblichkeitsgedanken hangt aber auch ein weiteres, für die Romantik charakteristisch.es Moment zusammen: ihre Vorliebe und Begeisterung für die Jugend und für die KindheitT In beiden nndet der KomantikeF~]ëne Freiheit von Endlichkeit und Bedingtheit wieder, die er ersehnt. Die Jugend kennt das Gefühl der Sterblichkeit nicht; noch ist für sie das Endliche das Unendliche, das Unendliche das Endliche; das Bewufitsein der Begrenztheit, der Eingeschlossenheit, des Verganglichen ') Phanta.sieen der Kunst, S. 47 f, 56 und Sterblichen fehlt ihr völlig.1) Die Kindheit und Jugend ist für den Romantiker gewissermafien noch die Zeit, wo er seinem Ausgangspunkt, der Ewigkeit, noch am nachsten steht, wo der Glanz der Ewigkeit, aus dem er hervorgegangen ist, noch am starksten funkelt, um allmahlich zu verdunkeln. Die Seele ist ihrer Heimat noch nahe, von der sie sich im fortschreitenden Alter immer mehr entfernt.2) AuBerdem liegt es im romantischen Wesen, daB der Dichter nur solange schaffen kann, als er jung ist oder bleibt; denn nur die Jugend kann die Wirklichkeit in eine höhere goldene Traumwelt umschaffen, nicht mehr der praktische Bliek und die Nüchternhëit des reiferen Mannesalters. Auch die Gabe der Imagination, die Voraussetzung des romantischen Schaffens, eignet nur der Jugend. Bei den englischen Romantikern tritt deshalb leicht eine schwere Krisis ein, wenn sie das Schwinden der Jugend, das Versagen der Imagination, fühlen. So bei Coleridge, Wordsworth, Shelley. Deshalb fallt auch Produktion und Jugendzeit bei den romantischen Dichtern oft zusammen — ja im Alter tritt völliges Versagen ein.8) Auch Tieck4) preist die Jugend als die Morgenröte des Lebens, wahrend ihm das poesielose Mannesalter als der volle Tag erscheint. Aber er weifi auch, dafi der Mensch unabhangig von der Zeit sich eine ewige Jugend wahren, daB die Romantik ihn durch das ') Vgl. auch Hazlitt's Essay On the Feeling of Immortality in Touth, oder das bekan»te Gedicht Wordsworth's: We. are Seven. *) Dies ist das Thema und der Grundgedanke von Wbrdsworth's berühmter Ode: Intimations of Immortality. 8) s. o. S. 26 f. 4) Franz Sternbalds Wandervmgen (ed. Jac. Minor) S. 254 ft. 57 ganze Leben begleiten kann. Noch energischer betont Schleiermacher diesen Punkt in seinem V. Monologen betitelt Jugend und Alter, und Coleridge sieht es geradezu als ein Zeichen des Genies an, daB es fahig ist, sich eine ewige Jugend zu erhalten: „To carry on the feelings of childhood into the powers of manhood; to combine the child's sense of wonder and novelty with the appearance which every day, for perhaps forty years, had rendered famitar With sun and moon and stars throughout the year — and man and woman — this is. the character and privilege of genius, and one of the marks which distinguish genius from talent." Kapitel IV. Synthesis der Gegensatze. B. Allgemeinheit und Individualitat. Die Imagination befahigt den Menschen, nicht nur die Brücke über den scheinbar diametralen Gegensatz von Unendlichkeit und Endlichkeit zu schlagen, sondern auch einen weiteren, tiefgreifenden Gegensatz zu überwinden, namlich den von Allgemeinheit nnd.Bgsonderheit, der mit dem ersten Öegensatzpaar Unendlichkeit und Endlichkeit sich teilweise berührt.1) *) Soweit man überhaupt einen prinzipiellen Unterschied zwischen Eeligion und Kunst aufstellen will, so hat es die erstere mit der Realisierung (im Sinne von engl. to realise) des Unendlichen, die letztere mit der Auseinandersetzung von Allgemeinen und Besonderem zu tun. Aus der Mischung beider Gegensatzpaare entsteht dann die religiöse Kunst, beziehentlich die asthetische Religion; in letztern Fallen besteht immer die Gefahr, dafi entweder die Kunst oder die Religion ihren Eigenwert verliert. 58 In dem Versuche der Synthese von Allgemeinem und Besonderem hat die Eomantik Hervorragendes geleistet und das gesamte geistige Leben auf das starkste angeregt, ja die fruchtbarsten Keime, die sie in dieser Eichtung entfaltet hat, harren noch vielfach der Entwicklung. Besonders tiefgreifend ist der Gegensatz von Allgemeinem und Besonderem in der Kunst gewesen. Die Frage des Allgemeinen und Besonderen hat in» der Kunst eine verschiedene Lösung, beziehentlich Beantwortung erfahren. 1. Der gesunde Menschenverstand sieht z. B. in dem Begriffe Mensch weiter nichts als einen Gattungsnamen, als einen Einheitsbegriff, der bestimmte Lebewesen mit gewissen einheitlichen Merkmalen zusammenfafit.1) Das Besondere, das Individuum ist das Gegebene, und das Allgemeine existiert nur soweit, als es aus dem Individuellen abstrahiert werden kann; es hat keinen eigenen Wert, keine eigene Bedeutung, sondern es ist blofl eine Hilfskonstruktion unseres synthetischen Denkens. Das Allgemeine als das Bedeutungslosere, als das Belanglosere (der GattungsbegrifE ist immer armer als das Individuum) kann einen Künstler, in dem diese Grundanschauung vom Verhaltnis des Allgemeinen zum Besonderen lebt, nicht interessieren; er wird viel mehr Wert darauf legen und es sich zur Aufgabe machen, das Spezifische, das Besondere, was das Einzelne von dem empirischen GattungsbegrifE scheidet,' herauszuarbeiten, und nicht das gleichmaBig Wieder- l) Der Begriff Mensch ist wie jeder Begriff als Einheit der Allheit, und zwar auf induktivem Wege, gewonnen, daneben ware noch denkbar die Menschen als Totaliteit der Allheit in dem Begriffe, beziehentlich in der Idee, Menschheit aufzufassen. 59 kehrende, was ohne Interesse ist: das ist das Ziel des Realismus. 2. Anders steht der klassische Künstler diesen Fragen gegenüber: er geht von allgemeinen Ideen aus und betrachtet die Individuen als Ausstrahlungen dieser allgemeinen Ideen, oder um einen von Humboldt beliebten Vergleich zu gebrauchen „Die Erscheinungswelt ist gleichsam ein vielseitig geschliffner Spiegel, in dem sich die einfache Idee in einer Vielheit von Bildern bricht."1) Der klassische Künstler geht also z. B. von einem Ideal des Menschheitstypus aus und mifit an diesem die einzelnen Menschheitsklassen, beziehentlich den einzelnen Menschen. Die Kunst hat dann für ihn die Aufgabe, solche Ideale zu verwirklichen (wir fassen Ideal im Sinne von Kant: „Ideal bedeutet die Vorstellung eines Einzelnen als einer Idee ad&quaten Wesens"). Das Ziel des klassischen Idealismus ist also, solche Idealtypen, die in der Empirie nie oder nur unvollkommen sich finden, darzustellen. Das so dargestellte Ideal, das also eine Idee in einem Einzelwesen darstellt, kann natürlich reicher sein als jèdes empirische Individuum, doch kann es nicht einschliefien den gesamten Reichtum der empirischen Individualitaten. Der Klassizismus kann der Individualitat nicht völlig Rechnung tragen, zumal das konkrete Individuum nach dem Grade gewertet wird, als es jenes Ideal erreicht. Eine gewisse Einförmigkeit bildet eine Gefahr für den Klassizismus, die auch Schleiermacher erkannt hat „Wie kommt sie (= die Religion) zu der armseligen Einförmigkeit, die nur ein einziges ') Spranger S. 191. 60 Ideal kennt und dieses überall unterlegt? Weil es Euch an dem Grundgefühl der unendlichen und lebendigen Natur fehlt, deren Symbol Mannigfaltigkeit und Individualitat ist."1) 3. Damit zeichnet Schleiermacher auch schon die romantische Kunstauffassung. Der Romantiker sucht in jedem einzelnen Menschen die Menschheit nicht als ein Allgemeines, sondern als ein Besonderes wiederzufinden/d. h. in der Idee des Individuüms, beziehentlich in der individuellen Idee sucht er die Menschheit, wobei allerdings die Voraussetzung ist, dafi von jedem Individuum eine Idee desselben existiert, Die Menscheit als Ganzes kann nur durch Vermittlung der individuellen Idee geschaut werden (wahrend der Realist die Menschen nur durch die empirischen Einzelexemplare erkennt und der Klassizist ein abstraktes Ideal der Menschheit voraussetzt). Die Individualitat ist also die gesuchte Synthese von Allgemeinem und Besonderem.2) Schelling bringt in seiner „Philosophie der Kunst" eine Einteilung der künstlerischen Auffassungsweise, die sich mit der von mir gegebenen eng berührt. Es heifit da § 39: Erlauterungssatze. „Diejenige Darstellung, in welcher das Allgemeine das Besondere bedeutet, oder in welcher das Besondere durch das Allgemeine angeschaut wird, ist Schematismus. 0 Vgl. Beden S. 28. ») Vgl. auch W. vori Humboldt: „es gibt in dem Menschen ... immer wieder einen gewissen Teil, der nur ihn und sein zufalliges Dasein angeht, und recht fuglich von Anderen unerkannt dahinstirbt. Dagegen gibt es in ihm einen anderen Teil durch den er mit einer Idee zusammenhangt, die sich in ihm vorzüglich klar ausspricht, und von der er das Symbol ist" (Bruchstück einer Selbstbiographie = Gesammelte Werke Bd. XV, é52). 61 Diejenige Darstellung aber, in welcher das Besondere das Allgemeine bedeutet, oder in welcher das Allgemeine durch das Besondere angeschaut wird, ist allegorisch. " Die Synthesis dieser beiden, wo weder das Allgemeine das Besondere, noch das Besondere das Allgemeine bedeutet, sondern wo beide absolut eins sind, ist das Symbolische." Es efitspricht also ~wenn auch nicht völlig, die schematische Darstellung dem klassizistischen Kunstideal, die Allegorisierende dem realistischen, die Symbolistische dem romantischen.1) Prüfen wir diese individuelle Idee der Romantik noch genauer: Bezeichnen wir die empirischen Einzelindividuen mit a, d, a", d" etc. und die zugehörigen individuellen Ideen mit a, a', a", a'" etc und die Einheit von a, a', a", a" etc. mit A, so ergibt sich foteendes Bild: Dabei ist aber zu beachten, daB die individuellen Ideen nicht gleiche Teile eines Allgemeinen, sondern verschiedene Gestaltungen des Allgemeinen sind. Das Ganze ist somit ein lebendiger vitaler Organismus, nicht bloB ein Kollektivum, auch kein bloBer technischer Organismus, da das Ganze eine potentielle Energie ist. So nimmt das Individuum durch seine individuelle Idee an der allgemeinen Idee teil — ja als ein Glied eines Organismus bedarf das Individuelle des All- ») Weifi UT, 55. 62 gemeinen, es ist sogar ganz in ihm begründet und verwurzelt. Aber umgekehrt kommt auch das Ganze erst im Einzelnen zur Entwicklung und Geltung, und der ganze Reichtum der allgemeinen Idee als Organismus kommt in der möglichsten Differenzierung der Individualideen, bez. der empirischen Einzelindividuen zum Ausdruck, zur Gestaltung. Das Ganze wirkt im Teile mit; ja das Ganze bedarf, um zu einer vollen Entfaltung zu gelangen, des Individuellen genau so wie dieses des Ganzen bedarf, um zu einer vollen Blüte zu gelangen. Wir können also sagen: je mehr das Ganze sich entwickelt, desto reicher und mannigfaltiger und eigenartiger wird sich das Individuum entfalten, und umgekehrt; je reicher, je eigenartiger das Individuum sich entwickelt, desto gewaltiger und wunderbarer entfaltet sich das Ganze. Die romantische Theorie von der individuellen Idee hat also zwei Voraussetzungen: 1. daB das empirische Einzelindividuum durch seine Idee an der allgemeinen Idee teilnimmt und 2. daB die Idee, sowohl die allgemeine wie die individuelle, ein Organismus ist. Was die erste Voraussetzung anbelangt, so beruht die Möglichkeit, die individuellen Ideen in dem gegebenen Erfahrungsmaterial zu erfassen auf der Imagination. Wer sie nicht besitzt, wird solche nicht erkennen, überhaupt schon die Möglichkeit von individuellen Ideen ablehnen.1) Was die Idee als Organismus anbelangt, so ist sie scharf von dem Begriff zu trennen. Ich möchte hier nur auf die klare Gegenüberstellung von Idee und Begriff hinweisen, die Schopenhauer gibt:2) ') Vgl. auch die Bemerkungen Schopenhauers in: Die Wélt als WiUe und Vorstéttung 3 § 49, Grisebach S. 311. 2) Die Welt als WiUe und Vorstéttung S. 312. 63 „Die Idee ist die, vermöge der Zeit- und Raumform unserer intuitiven Apprehension, in die Vielheit zerfallene Einlieit: hingegen der Begriff ist die, mittelst der Abstraktion unserer "Vernunft, aus der Vielheit wieder' hergestellte Einheit: sie kann bezeichnet werden als unitas post rem,.jene als unitas ante rem. Endlich kann man den Unterschied zwischen Begriff und Idee noch gleichhisweise ausdrücken, indem man sagt: der Begriff gleicht einem toten Behaltnis, in welchem, was man hineingelegt hat, wirklich nebeneinandei liegt, aus welchem sich aber auch nicht mehr herausnehmen laBt (durch analytische Urteile), als man hineingelegt hat (durch synthetische Reflexion): die Idee hingegen entwickelt in dem, welcher sie gefaBt hat, Vorstellungen, die in Hinsicht auf den ihr gleichnamigen Begriff neu sind: sie gleicht einem lebendigen sich entwickelnden, mit Zeugungskraft begabten Organismus, welcher hervorbringt, was nicht in ihm eingeschachtelt lag." Die Idee, sei es die individuelle, sei es die allgemeine, ist also ein Organismus; sie bildet also nicht nur eine Einheit, sondern eine Ganzheit; und zwar ist die individuelle Idee die organische Lebenseinheit des empirischen Individuums. Die individuellen Ideen treten dann zu einem Organismus zusammen, zu der Allgemeinidee. So ist die Allgemeinidee ein Organismus, dessen Glieder die individuellen Ideen sind; in ihnen entfaltet sich das Wesen der allgemeinen Idee. Die individuelle Idee ist aber nicht auBerhalb der empirischen Individualitat, sondern in ihr. Sie macht sich geltend als Stimme der Natur, deren Nichtbefolgung den Menschen verhangnisvoll wird $f es ist der schaffende Urgrund unseres Bewufitsein, es ist ein organischer, nach oben treibender Keim, der zur 64 Entfaltung drangt; es ist jener Funken des göttlichen Geistes in uns, der uns das Unendliche verstenen laBt; es ist die Stimme der Gottheit, die uns in den groBen Zusammenhang des Universums stellt. / So wird die individuelle Idee, die also ein organischer Teil der allgemeinen Idee ist, zur Briicke zum Unendlichen, das die Einheit der allgemeinen Ideen ist.1) Da jeder Organismus auBer der Totalitat noch eine in ihm wirkende Kraft enthalt,2) so schöpft die Individualitat aus der allgemeinen Idee, mit der sie ja im organischeD Zusammenhang steht. Die allgemeine Idee aber schöpft ihrerseits die Kraft aus dem Organismus der allgemeinen Ideen, d. h. aus dem Universum. Ein Unterschied besteht noch zwischen allgemeiner Idee und individuelier Idee. Die allgemeine Idee ist noch mehr als ein festgegebener Organismus, der ein bestimmtes Leben führt; die allgemeine Idee enthalt die Möglichkeit zu vielen individuellen Ideen, sie ist potentielle Energie — die allgemeinen Ideen sind Potenzen, die sich in individuellen Ideen realisieren können, wahrend jeder individuellen Idee nur eine Gestalt entspricht (wobei aber unentschieden bleiben soll, ob die empirische Gestalt wirklich die vollkommenste Auspragung der individuellen Idee ist). Aus diesen eigenartigen Beziehungen zwisehen empirischer Einzelerscheinung, individueller Idee und allgemeiner Idee erkiart sich auch der reale Idealismus, bez. die höhere Form des Realismus, die die Romantik fordert. Dem Künstler kommt die Aufgabe zu, die jedem empirischen Einzelwesen und jeder empirischen ») Vgl. auch Joachimi S. 92 u. 93. ") Vgl. Spranger S. 382. 65 Einzelerscheinung zugrunde liegende individuelle Idee i zu erfassen und zu ersehauen, bis zur Seele „soul of things" *) oder bis zum Leben der Dinge „life of things"1) \ vorzudringen. Der Dichter nimmt also eine Wesensschau des Einzelnen vor, dessen Totalit&t er als innerlich notwendig erkennt; und diese Wesensschau ist wiederum eine Funktion der Imagination. Die AuBerungen der Vertreter der Eomantik sind in dieser Eichtung ganz klar und deutlich. Zunachst Schelling3): „Tod und von unertraglicher Harte ware die Kunst, welche die leere Schale oder Begranzung des Individuellen darstellen wollte. Wir verlangen allerdings nicht das Individuum, wir verlangen mehr zu sehen, den lebendigen Begriff desselben. Wenn aber der Künstler Bliek und Wesen der in ihm schaftenden Idee erkannt und diese heraushebt, bildet er das Individuum zu einer Welt für sich, einer Gattung, einem ewigen ürbild." Mit dieser Auffassung stehen offenbar die ahnlichen AuBerungen Coleridges in seinem Aufsatz „Poesy or Art" im Zusammenhang4) „The artist must imitate that which is within the thing, that which is active through form and flgure, and discourses to us by symbols — the Natur-geist, or spirit of nature, as we unconsciously imitate those whom we love; for so only can he hope to produce any work truly natural in the object and truly human in the effect The idea which puts the form together cannot itself be the form: It is above form, and is its essence, the 1) Wordsworth, Excursion IV,1 265. 2) Wordsworth, Tintern Abbey V, 48. ») Verhaltnis der bildenden Künste zur Natur, Weifi IH, 400. 4) Shawcross II, S. 259. Deutschbein, Das Wesen des Eomantischen. 5 66 universal in the individual, or the individuality itself, — the glance and the exponent of the indwelling power." Auch Wilhelm von Humboldt, der der Romantik nahe steht, formuliert als Aufgabe des Künstlers: „Bei organischen oder unorganischen Dingen, die Gestalt in der Gestalt aufsuchen, die wahre in der erscheinenden, ist, oft ihm selbst unbewuBt, das Geschaft des bildenden Künstlers. Mit anderen Worten heiBt dies versuchen, die Gestalt aus ihren Mittelpunkt, ihren notwendigen Bedingungen (d. h. in unserem Sinne aus der individuellen Idee) zu begreifen."1) Folgerichtig lehnt auch Humboldt den Realismus einer krassen Portratkunst ab: „Das wahrhaft gute Bildnis zeigt niemals die Züge des Augenblicks, sondern die Züge, wie sie dem ganzen Innern in allen ihm eigenen Stimmungen und Gedankenentfaltungen entsprechen, wie sie, auf eine mit Worten nicht darzustellende Weise, über jedes abgeschnittene Einzelne hinausgehend den ganzen Charakter umschlieBen."2) Und ahnlich wie Wordsworth" betont er die höhere Realitat der Kunst. So sagt er in einem Brief an die Freundin, daB die Kunst viel ernster und höher sei als das Leben, eben weil sie die innere Wahrheit der Dinge zum Gegenstand habe.3) Bezeichnend ist auch das Urteil von Wordsworth über die Kunst Walter Scotts (der nur Fancy aber keine Imagination besitzt): „Er gab sich viel Mühe, ging mit Bleistift und Notizbuch aus und schrieb nieder, was ihm ganz besonders aufflel: einen Bach, der über denSand rann, eine Ruine, die sich an den Fels >) Spranger S. 383 f. 2) Spranger S. 384. ») Spranger S. 385. 67 über ihr lehnte, ein Vorgebirge, eine Bergesche, die ihre rote Beeren im Winde schaukelte. Dann ging er nach Hause und verwob alles in eine poëtische. Beschreibung — aber die Natur erlaubt nicht, daB man ein Inventar ihrer Reize aufnimmt. Er hatte Stift und Notizbuch zu Hause lassen sollen, hatte sein Auge wahrend des Wanderns mit ehrfurchtsvoller Aufmerksamkeit auf Alles, was ihn umgab, richten sollen und alles in einem Herzen, fahig zu geniefien und zu verstehen bewahren sollen. Dann nach einigen Tagen hatte er sein Gedachtnis nach dem Geschehenen befragen mögen. Er würde dann entdeckt haben, daB wohl viel, was er bewundert, ihm geblieben, anders aber sehr weise entschwunden war. Das, was ihm blieb, das in seinem Geiste lebendige Bild würde ihm ideale, wesentliche Wahrheit der Landschaft geboten haben. Es hatte sich alles abgelöst, was wohl auffallend, aber nicht charakteristisch war. In jeder Landschaft sind viele der glanzendsten Einzelheiten nur zufallig. Ein für die Natur treues und geübtes Auge bemerkt sie nicht oder weilt wenigstens nicht darauf."') Durch die Herausarbeitung der individuellen Idee verzichtet der Dichter auf das momentan Zufallige, was keine Dauer besitzt; auf der anderen Seite erreicht er durch Eealisieren der individuellen Idee, daB die allgemeine Idee in einer ihrer Gestaltungen lebendig wird. ---t, f Die wahre Volkspoesie hat immer in dieser Bichtung und nach diesem Ziel, wenn auch unbewuBt, gearbeitet. Eine tiefgründige Untersuchung über das Volkslied von E. Wechssler (Begriff und Wesen des Volksliedes) '( Vgl. Marie ttothein, Wordsworth S. 176. 5* 68 vermag uns hier wertvolle Dienste zu leisten. "Wechssler sieht das Wesen des Volksliedes darin, daB es aus dem Bereich der menschlichen Geschehnisse das Bleibende, Dauernde, ewig Wiederkehrende festhalt; „Urstimmungen sind es und Urgefühle der Menschheit, metaphysische Erlebnisse, wié der Idealphilosoph, religiöse Erlebnisse, wie der Theologe sagen würde."1) Der Volksdichter erlebt in dem konkreten Einzelereignis das Allgemeine, Ewige, in dem Leid zweier Liebenden erlebt er den Sinn und das Wesen des Leides überhaupt — er tut einen Schritt aus der Enge in die Weite, aus der Verganglichkeit in die Ewigkeit — er fühlt sich eins mit allen denen, die das gleiche Leid genossen und das gleiche Leid geniefien werden. Die Kunst hat aber auch die Möglichkeit, das Gegebene von seiner zeitlichen Beschranktheit loszulösen, in dem empirisch-zeitlichen Moment das Individuell-Ewige zu betonen; vgl. Schelling: „Hat nach der Bemerkung des treföichen Kenners ein jedes Gewachs der Natur nur einen Augenblick der wahren vollendeten Schönheit, so dürfen wir sagen, daB es auch nur einen Augenblick des vollen Daseins habe. In diesem Augenblick ist es, was es in der ganzen Ewigkeit ist: aufier diesem kommt ihm nur ein Werden und ein Vergehen zu. Die Kunst, indem sie das Wesen in jenem Augenblick darstellt, hebt es aus der Zeit heraus; sie laBt es in seinem reinen Sein, in der Ewigkeit seines Lebens erscheinen."2) Aber die Synthese vpm Allgemeinen und Besonderen, wie sie die Romantik in dieser eigentümlichen Form ') Wechssler L c. S. 19. a) Verhdllms der bildenden Künste zu der Natur, Weifi Hl, 399. 69 darstellt, hat eine, weit über die Poesie und Kunst hinausragende Bedeutung; sie ist eine der genialsten Kónzeptionen des romantischen Geistes und hat sich entsprechend dem romantischen Universalismus auf allen Gebieten geltend gemacht. Alle normativen Wissenschaften, wie die normative Asthetik, Ethik, Staatswissenschaft und Sozialwissenschaft, haben aus dieser Grundidee die starksten Anregungen und Aufgaben empfangen, die bis heute zum Teil noch nicht gelost sind. Ich kann natürlich hier nur kurz auf die allgemeinsten Gesichtspunkte hinweisen und muB die Weiterführung dieser Theorien den Fachgenossen dieser Gebiete überlassen, soweit es nicht schon geschehen ist. Für die Asthetik ergibt sich daraus die Forderung einerseits einer starken Betonung der Individualitat, anderseits die Forderung der Universalitat des Dichters. Der Dichter muB sich in seine Individualitat versenken, sein Schaffen muB aus dieser hervorgehen, oder um mit Novalis zu sprechen: „Der Dichter muB" durch künstlerische Reflektion und schöne Selbstbespiegelung seines transzendentalen Ichs immer mehr Herr werden — er wird durch Erforschung des eigenen Ichs das All begreifen. Die transzendentale Poesie soll den Geist des Autors vollstandig ausdrücken, so daB manche Künstler, wenn sie auch nur einen Roman schreiben wollten, von ungefahr sich selbst dargestellt haben." *) Der romantische Dichter fühlt in sich den Beruf, den Werdegang, das Entstehen seines eigenen schöpferischen Geistes darzustellen, nicht aus Eigenliebe, nicht aus Ruhmsucht, sondern weil er fühlt, daB die poëtische Kraft, die eigene Schöpfertatigkeit ein Teil ') Vgl. Joacbimi, 1. c. S. 145. 70 jener unendlichen poetischen Kraft ist, die das gesamte Universum beherrscht. Sein eigenes poetisches Erlebnis hat somit einen representativen, exemplarischen Charakter, der die Geheimnisse der universalen Urpoesie in «ich schlieBt. Selbstbespiegelung, Selbstbetrachtung, Selbstschilderung, vor allem Selbsterlebnisse, besonders aber das BewuBtwerden der eigenen individuellen Idee, des Zusammenhangs des Ichs mit dem Universum, das Gefühl des Auserwahltseins als Dichter und Prophet. das Mit die reiche Bekenntnisliteratur der Eomantiker, Daher erklaren sie Bousseaus Confessions für einen weit vorzüglicheren Roman als die Nouvelle Heloise. *) Als Hauptunterschied zwischen antiker und moderner Poesie bezeichnet Fr. Schlegel, daB diese auf modernem Grunde ruhe, namlich Selbsterlebtes schildere, „was gut ist, da liegt immer wahre Geschichte zugrunde."s) Und dem Satze Ricarda Huchs: „Nur Erlebtes ist schön und lieb,"3) würden die Romantiker unbedingte Zustimmung erteilt haben, denn nur Erlebtes konnte ihnen Material für die Dichtung geben. In der englischen Literatur sind die literarischen Konfessionen besonders haufig; ich erinnere nur an Wofdsworth's Tintern Abbey, Prelude, Excursion, an Coleridge's Biographia Literaria oder an Shelleys Werke, die, soweit sie nicht dramatischen Charakters und politischen Inhalts sind, auch nur Selbsterlebtes der eigenen Dichterseele darstellen. Kann so der wahre Dichter nur aus sich geboren werden, so würde es verhangnisvoll für ihn sein, wenn *) Ricarda Huch, Die Eomantik I, 294. a) ibidem 1,295. •) ibidem I, 295. 71 er seine Entwicklung nur in sich beschlieBen wollte — denn die Poesie, die in ihm lebt, ist ja nur ein Strahl der Urpoesie, der Allpoesie. Er kann seine eigene Poesie nur. zur Entfaltung bringen durch die Berührung und Verbindung mit der gesamten poetischen Wirklichkeit; daraus ergibt sich die Forderung der Universalit&t der romantischen Poesie: so steht poëtischer Individualismus und Universalismus in Wechselwirkung. So traumt Fr. Schlegel von einem Weltreich echter Poesie, und weiterhin erkiart er: „Darum dart es auch dem Dichter nicht genügen, den Ausdruck seiner eigentümlichen Poesie, wie sie ihm angeboren und angebildet wurde, in hleibenden Werken zu hinterlassen. Er mutj streben, seine Poesie und seine Ansicht der Poesie ewig zu erweitern, und sie der höchsten zu nahem, die überhaupt auf der Erde möglich ist; dadurch, daB er seinen Teil an das groBe Ganze auf die bestimmteste Weise anzuschlieBen strebt: denn die tötende Verallgemeinerung wirkt gerade das Gegenteil. Er kann es, wenn er den Mittelpnnkt gefunden hat, durch Mitteilung mit denen, die ihn gleichf alls von einer andern Seite auf eine andre Weise gefunden haben. Die Liebe bedarf der Gegenliebe." *) Jetzt wird es klar, daB gerade die Romantiker berufen waren, die Vermittlerrolle zwischen den verschiedenen Literaturen zu übernehmen, durch Ubersetzungen das geistige Eigentum der anderen Völker dem eigenen zugangig zu machen und so ein geistiges Universalreich herzustellen — ich branche nur auf den universellen Charakter der Kunst Shelleys hinzuweisen, der ebenso die deutsche Literatur wie die klassische, die spanische wie die italienische kannte ') Joacbimi, 1. c. S. 149. 72 und schatzte, oder auf die schönste Frucht dieses geistigen Austausches, die deutsche ShakespeareÜbersetzung des romantischen Kreises. — Die starkste Wirkung hatte aber die Synthese des Allgemeinen und Besonderen auf dem Gebiete der romantischen Ethik, und hier ist der Abstand gegenüber der Vergangenheit besonders auffallig. Auf sittlichem Gebiete mufite der alte Gegensatz: Individuum-Gemeinschaft, Egoismus-Altruismus durch die Forderung gelöst werden: jeder Einzelne erfülle oder werde seine individuelle Idee. Es ist die höchste moralische Forderung, sein Ich nach allen Seiten zu entwickeln, die Individualitat bis aufs höchste zu steigern — ja das letzte (Unendliche) Ziel ist, die individuelle Idee zu realisieren, was selbst ein Progressus ad infinitum ist. Aber dieser Trieb zur Selbstentfaltung darf nicht in einen Egoismus ausarten — denn das letzte Ziel ist nicht eine Hochspannung der empirischen Individualitat, sondern das Einswerden der empirischen Individualitat mit der individuellen Idee. Und darin liegt das Wesen der Persönlichkeit, denn die Harmonie von individuelier Idee und empirischer Individualitat macht das Wesen der Persönlichkeit aus. Als individuelle Idee ist die Persönlichkeit ein Organismus, in der alle Fahigkeiten und Anlagen gleichmafiig entwickelt werden, auf der anderen Seite ruft die Persönlichkeit einen überindividuèllen Eindruck hervor, da sie in einem Höheren, in der allgemeinen Idee, verankert ist. Die Individualitat kann sich aber selbst nur entwickeln, ja ihre Lebensmöglichkeit entfalten nur im Zusammenhang mit dem grofien Organismus, in dem sie eingestellt ist, der allgemeinen Idee. Es kann 73 sich daher das Individuum nur entfalten innerhalb der groflen Gemeinschaften Volk, Staat, Menschheit — aber umgekehrt ist die Entwicklung dieser groBen Organisationen gebunden an die Entfaltung und Gestaltung der individuellen Ideen, denn der Organismus gedeiht dann am besten, wenn jeder Teil sich auf das beste entwickelt, d.h. seine Individualitat ain starksten auspragt. Es existiert also die engste Wechselwirkung zwischen dem Ich und der Gemeinschaft: das Ich kann nur auf dem Boden der Allgemeinheit seinen reinsten und kraftigsten Ausdruck erwirken, d. h. die individuelle Idee erreichen; und umgekehrt bedarf das Allgemeine möglichst vieler und mannigfaltiger individueller Ideen, um die gröBte Vitalitat entfalten zu können, oder die Vitalitat des Organismus besteht darin, daB möglichst viele und verschiedenartige Ideen wirksam werden, was aber auch nur möglich ist, wenn die empirische Individualitat sich zu ihrer individuellen Idee erhebt. |H Unsittlich bedeutet damit im Sinne der romantischen Ethik, wenn das Individuum nur der Erweiterung und Starkung des eigenen Ichs lebt, ohne seiner individuellen Idee zu leben, ohne eine höhere Art von Individualitat zu erreichen; denn so würde er sein Leben auBerhalb der Gemeinschaft stellen und damit unsozial werden. Aber anderseits verlangt die romantische Ethik ebensowenig ein absolutes, unbedingtes Aufgeben, ein Verschwinden im Allgemeinen. Jede Unterdrückung des Individuellen, jede Nicht-Selbstentfaltung ist ebenso unsittlich wie die unsoziale Gesinnung; wir dienen der Allgemeinheit am besten, wenn wir unser höheres Ich entfalten.1) Jede Askese, jede freiwillige Vernichtung *) Vgl. auch Coleridge {Biographia Literaria, Chapter XXV): „We must not only love our neighbours as ourselves, but ourselves 74 des Eigenen zugunsten eines Höheren, Allgemeinen (mag sie sogar zugunsten des höchsten Wesens geschehen) ist in diesem Sinne unsittlich. Denn das Allgemeine, selbst die höchste, umfassendste, allgemeinste Idee, Gott, fordert und verlangt das Individuelle. Das Allgemeine besteht durch das Individuelle und mit und in ihm. Mit dieser evolutionistisch-organischen Ethik hat die Eomantik nicht nur den alten Gegensatz von Individualismus und Sozialismus tiberwunden, sondern ebenso das sittliche Leben nicht aufierhalb der Natur, sondern in die Natur selbs£ hingestellt. Das oberste Gesetz lautet also: erfulle deine individuelle Idee, damit dienst du dir und der Gesamtheit am besten. Die AuBerungen der Eomantiker sind in dieser Hinsicht ganz klar, wenn sie sich auch des Ausdrucks „individueller Idee" nicht bedienen. So erkiart Fr. Schlegel: „Doch deucht mir, ist ein gewisser gesetzlich organisierter Wechsel zwischen Individualitat und Univergalitat der eigentliche Pulsschlag des höheren Lebens und die erste Bedingung. der sittlichen Gesundheit."1) Vergleiche auch die bemerkenswerten Worte Schleiermachers: „Leb' ich doch im BewuBtsein meiner ganzen Natur! Immer mehr zu werden, was ich bin (= individuelle Idee), das ist mein einziger Wille; jede Handlung ist eine besondere Entwicklung dieses einen Willens; so gewifi ich immer handeln kann, kann ich auch immer auf diese Weise handeln, nichts kommt in die Eeihe meiner Taten, es sei denn so bestimmt. Begegne denn, was da wolle."2) likewise as our neighbours; and that we can do neither unless we love God aboye both." — ») Minor II, 325. *) Monologen 49. 75 Ahnlich Novalis: „Wir sind gar nicht Ich, wir können und sollen aber Ich werden, wir sind Keime zum Ich-werden. Wir sollen alles in ein Du, in ein zweites Ich verwandein; nur dadurch erheben wir uns selbst zum groBen Ich, das Eins und Alles zugleich ist." 0 Nach Fichte soll der Mensch sein, was er ist; oder das empirische Ich soll so gestimmt werden, wie es ewig gestimmt sein könnte. Das höchste Gut ist nach Fichte die vollkommene Übereinstimmung eines vernünftigen Wesens mit sich selbst.2) Im AnschluB an Fichte hat Schiller diesen Gedankengang in eine Formel gebracht, die der Eomantik noch naher steht: „Jeder individuelle Mensch ... tragt der Anlage und Bestimmung gemaB einen rein idealistischen Menschen in sich, mit dessen unveranderlicher Einheit in allen seinen Abwechslungen übereinzustimmen, die groBe Aufgabe seines Daseins ist."3) Auch für die Erziehung des Menschen ergeben sich neue Grundsatze. Es ist nach romantischer Auffassung aussichtslos, die Menschen nach allgemeinen Grundsatzen, nach einem allgemeinen Bildungsideal erziehen zu wollen, möge das Bildungsideal noch so hoch sein. Fr. Schlegel (Gesprach über die Poesie) erkiart konsequenter Weise4): „Die Vernunft ist nur eine und in allen dieselbe: wie aber jeder Mensch seine eigne Natur hat und seine eigne Liebe, so tragt auch jeder seine eigene Poesie in sich. Die muB ihm bleiben und soll ihm bleiben, so gewiB er der ist, der ') Haym, Sie romantische Schule1 S. 358. 2) Bestimmung des Gelehrten, Medicus I, 224, 225, 227. ») Spranger S. 184. *) Minor II, 338. 76 er ist, so gewiB nur irgend etwas Urprunglicb.es in ihm war; und keine Kritik kann und darf ihm sein eigenstes Wesen, seine innerste Kraft rauben, um ihn zu einem allgemeinen . Bilde ohne Geist und ohne Sinn zu lautern und zu reinigen, wie die Thoren sich bemühen, die nicht wissen, was sie wollen."1) Oder: „Jeder gebe ganz den seinigen (sc. Weg) mit froher Zuversicht, auf die individuelle Weise, denn nirgends gelten die Rechte der Individualitat — wenn sie nur das ist, was das Wort bezeichnet, unteilbare Einheit, innerer lebendiger Zusammenhang — mehr als hier, wo vom Höchsten die Bede ist, ein Standpunkt, auf welchem ich nicht anstehen würde zu sagen, der eigentliche Wert, ja die Tugend des Menschen sei seine Orginalitat."2) Aber nicht nur die Asthetik und die in engem Zusammenhange damit stehende Erziehungslehre, sondern auch scheinbar fernstehende Gebiete wurden von dem neuen romantischen Leben durchflutet: was die Nationalökonomie anbelangt, so kann ich in dieser Hinsicht auf eine Schrift von Spann (Vom Griste der *) Auch für die Beziehungen zu unseren Mitmenschen ergibt sich die sittliche Forderung, daB wir die individuelle Idee jedes einzelnen Mitmenschen fördern und entwickeln sollen. Tagore lüflt in seinem Roman „Das Heim und die Wélt" (deutsche Übersetzung bei Kurt Wolff S. 363) den Haupttrager des Romans als das Fazit seines Lebens bekennen: „Könnte ich noch einmal von vorne anfangen? Ja, dann würde ich den Pfad der Einfalt gehen. Ich würde nicht versuchen, die Gefëhrtin' meines Lebens mit meinen Ideen zu binden, sondern die frShliche Flöte meiner Liebe spielen und fragen: Liebst Du mich? Dannwachse nur." Ahnliche Gedanken liegen dem Gedichte: Warum ging die Lompe aus? zu Grunde. Der Gartner Nr. 52 (München, Kurt Wolff). ») Minor II, 362. 77 Volkswirtschafstlehre Jena 1919) hinweisen, der zeigt, wie Adam Müller aus dem Geiste der Romantik heraus zum Begründer der neuen Theorie des wirtschaftlichen Universalismus geworden .ist. Wie starke Anregungen die Politik aus der Romantik empfangen hat, ist ebensowohl bekannt, wie die Tatsache, dafi die verschiedensten Theorien sich auf die Romantik berufen, beziehentlich aus ihr hervorgegangen sind.1) Aber zu einem einheitlichen System einer politischen Romantik, in dem das Wesen des romantischen Denkens zum Ausdruck gekommen ware, ist es nicht gekommen. Wohl linden sich Ansatze, Versuche zu einer Politik im romantischen Geiste bei Fr. Schlegel, Novalis, und besonders auch bei Adam Müller und Schleiermacher. Besonders wertvoll und durchaus im romantischen Sinne ist die Auffassung des Staates als Individualitat und damit die Anerkennung des nationalen Prinzips, was den Gedanken einer europaischen Federation nicht ausschlieBt, die Abneigung gegen das rationale „Machen" eines Staates und damit die Anerkennung des Staates als einen historisch gewordenen Organismus u. a. m. Aber die reaktionare Auffassung, die je spater um so mehr bei Fr. Schlegel, Adam Müller, v. Haller durchbricht und die den Staat als ein historisches Naturprodukt ansieht und in der absoluten Anerkennung des Gewordenen schwelgt, widerspricht der romantischen Grundeinstellung, die in dem Staat eine allgemeine Idee im obigen Sinne sehen muB. — *) Naheres bei Pr. Meinecke, Wéltbürgertu/n^ und Nationalstaat; W. Metzger, GeseUschaft, Recht und Staat in der Ethik des deutschen 'Idealismus, 1917; Schmitt-Dorotic, Politische Romantik, 1919. 78 Aber ebensowenig kann der Liberalismus, der sich vielfach an die Romantik anlehnt, sich für seine Rechtfertigung auf die Romantik bennen.1) So hat gerade auf politischem Gebiete meines Krachtens nach die Romantik ihr eigenstes Wesen unvollstandig entwickeln können; es fehlt in Deutschland an einem romantischen Burke. Wohl bekannt sind die starken Anregungen, die gerade Geschichtsschreibung und Geschichtsphilosophie aus der Romantik gezogen haben. Für den Romantiker ist die Geschichte nicht bloB ein Mechanismus physiologischer und psychologischer Kausalreihen: damit ist die volle Erklarung der geschichtlichen Tatsachen nicht erschöpft. Wilh. von Humboldt hat die Ideenlehre in den Kreis der historischen Betrachtung gezogen;2) ohne allerdings in den Fehler zu f allen, die Wirklichkeit zu vergewaltigen und sie in Ideen aufzulösen. Scharf und eindeutig faBt Humboldt das Programm der Geschichtsforschung zusammen in folgende Satze: „Zwei Dinge sind es, welche der Gang dieser Untersuchung3) festzuhalten getrachtet hat: *) Ahnlich liegt es 'auf wirtschaftlichem Gehiet: ider wirtschaftliche Liberalismus, der das wirtschaftliche Individuum frei und ungehemmt, ohne Rücksicht auf das Ganze auswirken lassen will, ist ebenso unmöglich, wie der reine Sozialismus, der das Individuum nur als Beauftragten, Sachwalter, Angestellten des Ganzen gelten lassen will, der den Wert und auch die Würde der wirtschafüichen Individualitat nicht berücksichtigt. Im romantischen Sinne würde man fordern mttssen: betatige dich als wirtschaftliches Individuum soweit und so stark wie möglich — aber so, als ob du ein Treuh&nder des Ganzen warst, so daB du jederzeit deine Handlungen vor dem Ganzen verantworten kannst. 2) Spranger, S. 266 und derselbe Historische Zeitschrift Bd. 100. ") Gemeint ist die Rede „Über die Aufgaben des GeschieMsschreibers." » 79 daB in Allem, was geschieht, eine nicht unnüttelbar wahraehmbare Idee waltet, daB aber diese Idee nur an den Begebenheiten selbst erkannt werden kann. Der Geschichtsschreiber darf daher nicht, alles allein in dem materiellen Stoff suchend, ihre Herrschaft von seiner Darstellung ausschliefien; er muB aufs mindeste den Platz zu ihrer Wirkung offen lassen; er muB ferner, weiter gehend, sein Gemüt empfanglich für sie und regsam halten, sie zu ahnden und zu erkennen; er muB vor allen Dingen sich hüten, der Wirkliohkeit eigenmachtig gebildete Ideen anzubilden." Und an anderer Stelle sagt er: „Das Geschaft des Geschichtsschreibers in seiner letzten, aber einfachsten Auflösung ist Darstellung des Strebens einer Idee, Dasein in der Wirklichkeit zu gewinnen." Die Leistung der Romantik auf dem Gebiete der Sprachwissenschaft zu würdigen, behalte ich mir für eine besondere Studie vor. Kapitel V. Die Liebe in der Romantik. Neben der Himmelsgabe der Imagination wohnt in dem Menschen noch eine zweite wunderbare Kraft, die dem BewuBtsein gegebene Mannigfaltigkeit, insbesondere aber die Gegensatze, in eine höhere Einheit zu verschmelzen; das ist die Liebe. Aber die Einheit ist hier nicht bloB eine Funktion der Ërkenntnis, sondern ebensosehr, wenn nicht viel mehr, eine Funktion unseres Willens. 80 Gehen wir noch einmal auf die verschiedenen Formen der Synthesis unseres BewuBtseins ein, wie wir sie in Kapitel I festgestellt haben. Die primarste Synthesis ist die Synthesis unserer physiologischen Empfindungen. Unser BewuBtsein enthalt aber, aufier den Empfindungen noch andere primare Elemente: das sind die Gefühle, die subjektiven Elemente unseres BewuBtseins, gegenüber den objektiven unserer Wahrnehmung. Die Gefühle aber sind verschiedenster Art, heterogene Elemente von unterschiedenem Charakter, Ursprung, Dauer, — sie herrschen oft mehr im UnbewuBten, vielfach als Triebe und Djstinkte, die, zwar nicht immer leicht feststellbar (und daher auch gefahriich), sich aber haufig um so energischer auswirken. Diese bunte Mannigfaltigkeit von Gefühlen und Trieben, die oft im Menschen chaotisch hausen, drangt unbewuBt nach Ordnung, damit die widerstrebenden Gewalten ihrer gegenseitigen Zerstörung ein Ende bereiten und so zu positiver Arbeit gelangen. Es liegt nun im Wesen der Liebe, daB sie aus diesem psychischen Chaos von gleichen und ahnlichen und auch widerstrebenden Elementen einen harmonischen Organismus entstehen laBt, der selbst überall Leben hervorruft. . Um aus der Fülle der Beispiele, die Leben1) und Literatur geben können, eins herauszugreifen: Shakspeares Othello. Der Mohr selbst ist ein Stück Natur, in der die Krafte mit elementarer Wucht und scheinbar ohne Ziel und Zweck wüten — Othello selbst leidet darunter, bis er durch die Liebe zu Desdemona seine Erlösung findet, aus dem eigenen Wirrsal seiner gewaltigen Natur zu einer harmonischen Persönlichkeit •) Vgl. die Briefe Humboldts an „Li", Spranger S. 286. 81 emporwachst; aber deshalb ist sein Schicksal an die Liebe Desdemonas gebunden — die Tragik seines Charakters enthüllt sich in den Worten, die er der sich entfernenden Desdemona in LTl, 3, 90 widmet: „Excellent wretch! Perdition catch my soul, But I do love thee! and when I love thee noty Chaos is come again." Die Liebe selbst aber ist nicht weiter ableitbar — ihr schöpferischer Charakter ist genau so ein apriori, wie so manches in der menschlichen Natur;] sie steht parallel mit der Spontaneitat unseres Verstandes, die selbst wieder ein nicht weiter ableitbares Vermogen ist. Deshalb sagt Schlegel: „Wie die Liebe entspringt die Tugend nur durch eine Schöpfung aus Nichts;"1) die Liebe ist nach ihm das erste und nrsprünglichste Leben: „Alles Leben ist seinem ersten Ursprung nach nicht natürlich, sondern göttlich und menschlich, denn es muB aus der Liebe entspringen, wie es keinen Verstand geben kann ohne Geist."2) Das Schöpferische der Liebe liegt aber auch hier in der Synthesis der Gegensatze. Schon die einfachste Erfahrung lehrt uns, daB in der Liebe Sinnliches und Geistiges in einer ganz eigenartigen Mischung sich vereinen, unauflösbar miteinander verbunden erscheinen. Die rein sinnliche Liebe konnte nicht das Ideal der Romantiker sein, ebensowenig eine rein geistige, sondern das sinnliche und geistige Element mussen in der Liebe in eine höhere Einheit eingehen. Und so kann-der Romantiker die sinnliche Schönheit (denn die Schönheit ist das Kleid, das die Liebe ihrem Gegenstand gibt) bewundern, und es wird ihm die sinnliche Schönheit zum Ausdruck der geistigen. ') Joachimi S. 99. 2) Joachimi S. 40. Deutschbein, Das Wesen des Eomantischen. 6 82 Auch der alte Gegensatz von Subjekt und Objekt, von Ich und Nicht-ich findet in der Liebe seine Lösung. Die sympathische Einfühlung, das völlige Ineinander-Aufgehen zweier Liebenden, das erhöhte Bewufitsein eines Mehr als eines blofien Individuellen im Rausche der Liebe, das Gefühl der Steigerung der eigenen Lebenskrafte durch den andern: dadurch ist die Liebe die höchste Entfaltung des Ichs, seine vollkommenste Existentialform — aber zugleich auch die Aufhebung des Ichs. Die höchste Form der Subjektivitat führt zur Objektivitat; und umgekehrt bedeutet die höchste Verschwendung und Ausgabe von Kratten gleichzeitig die starkste Bereicherung des Ichs, oder wie Julia in Shakespeares Tragödie es mit einfachen, aber um so tieferen Worten ausdrückt: „My bomity is as boundless as the sea, ■v'-iMy love as deep; the more I give to thee, The more I have, for both are inflnite." (Bomeo and Juliet II, 2,132). Auch die Synthese Freiheit_jind Notwendigkeit kann die Liebe vollziehen — denn der von ihr Betroffene findet sich in einer eigenartigen Stimmung: er fühlt, daB er lieben muB, aber er empfindet dieses Verhalten nicht als Zwang, sondern als sei i eigenes Wollen, das von einem ausgepragten Lustgefühl begleitet ist/Müssen und Wollen sind also eine Einheit. Die Liebe wird so für den Romantiker zum schöpferischen Prinzip, weil eben das Schöpferische die Aufhebung der Gegensatze, die Wiederherstellung des Absoluten ist. Sie ist auch deshalb der Imagination auf das engste verwandt.1) So erkiart auch Humboldt ») Ebenso gibt es eine Liebe, deren Wesen nur „fancy" ist. So ist Julias Liebe vom ersten Augenblick an „imagination"; 83 die Liebe als eine asthetische Kraft; sie erhebt sich so von dem beschrankten Gebiet in das Idealische der Phantasie.1) Und Wordsworth betont, daB die höhere geistige Liebe nicht ohne Imagination existieren kann: „This spiritual Love acts not nor can exist Without Imagination ... Imagination having been our theme, So also hath that intellectual Love, For they are each in each and cannot stand Dividually."2) Auch das Problem der Unendlichkeit und Endlichkeit, Allgemeinheit und Individualitat erfahrt eine neue Wendung und Lösung vom Standpunkt der imaginative Love. / Bei dem engen Zusammenhang, in dem Individuum und Universum für das romantische Denken stehen, ist es erklarlich, daB das schöpferische Prinzip der Liebe nicht nur im Einzellebèn als wirksam gedacht wird, sondern daB die empirische Einzelliebe nur als Funken der allgemeinen Weltenlieb* aufgefaBt wird, daB die Liebe als jene geheimnisvolle, unsagbare, unnennbare Kraft bezeichnet wird, die in dem Universum waltet,y die erst die Welt aus dem Chaos gezogen und aus den gröBten Disharmonien die gröBte Symphonie geschaffen hat, ében die Symphonie des Universums. Und diese Weltensymphonie ist für einen Bomeos Liebe hingegen ist zunachst nur von fancy erfullt, und erst allmühlich vertieft sie sich zu einer imaginative love. •) Spranger S. 287. 2) Prelude XIV, 188 ff. 3) Wordsworth: Excursion (Book 1,202ff.): „Far and wide the clouds were touched, And in their silent faces could he read Unutterable love." 6* 84 Dichter wie Shelley der höchste und einzige, allumfassende Sinn des Daseins. So ist für die Romantiker, um mit Joachimi1) zu sprechen, „die göttliche, menschliche, natürliche Liebe, die das Leben des groBen Weltorganismus, des Makroanthropos erhalt und tragt und so das höchste Lebenselement bedeutet: die Liebe ist für sie das letzte Faktum. Sie ist ein offenbares Geheimnis, sie ist das höchste Lebensmoment jedes Organismus." Und auch für die alte Frage: wie ist eine Einheit der unendlichen Liebe und der individuellen Liebe möglich? liegt die Antwort klar auf der Hand: die Liebe zu der einzelnen Person ist nur ein Spezialfall der allgemeinen Liebe; wir vermogen durch die Liebe zu einem Einzelindividuum Sinn und Bedeutung der Urliebe des Universums zu verstenen; die irdische Liebe kann also als Schema der göttlichen dienen. So ist die Liebe die starkste und klarste Offenbarung der heiligen Lebensfülle und Lebenskraft der bildenden Natur; sie ist die unmittelbare Offenbarung der Gottheit.2) Novalis, der vielleicht neben Shelley das Wunder der Liebe am starksten empfunden und der Sehnsucht nach der unendlichen Liebe den zartesten Ausdruck gegeben hat, laBt seinen Ofterdingen das hohe Lied der Liebe singen: „Ja, Mathilde, die höhere Welt ist uns naher, als wir gewöhnlich denken. Schon hier leben wir in ihr, und wir erblicken sie auf das Innigste mit der irdischen Natur verwebt. Deinè Liebe wird mich in die Heiligtümer des Lebens, in das Allerheiligste des Gemüts führen; du wirst mich zu den höchsten Anschauungen begeistern."3) ») L c 73. •) Joachimi S. 74. 8) Novalis 1,123. 85 Auch das Problera der Synthesis vom Allgemeinen und Besonderen kann die Liebe ebenso zu einer Lösung führen wie die Imagination:/die Liebe hat die Fahigkeit, die individuelle Idee in der geliebten Person zu erfassen. Denn jede groBe, wahre Liebe ist mit einer Dlusion, mit einem Akt der Phantasie (und die Imagination ist ja eine besondere Form der Phantasie) verbunden.1) Dieser Phantasieakt beruht darauf, daB der Liebende als Objekt seiner Neigung nicht die gegebene empirische Einzelperson liebt, sondern deren Idee; das Erfassen dieser Idee aber ist ein spontaner, schöpferischer Akt. Haftet die Liebe an der empirischen Einzelperson, so kann ich diese wegen ihrer sinnlichen Vorzüge lieben (rein sensuell), oder wegen ihrer geistigen (rein platonisch), oder wegen ihrer sinnlichen und geistigen Vorzüge. Aber daneben existiert eine höhere Form der Liebe: das ist die imaginative Liebe, die nns das eigentliche Wesen des Menschen erkennen und liebenlaBt. Es ist also vielfach die Idee des Individuums, die die Liebe zu diesem in uns hervorruft. So schreibt ') Vgl. Shakespeare, der im Sommernachtstraum V, 1, 7 f. die Verrückten, Dichter und Liebenden wegen ihres Wahnsinns zusammenwirft (schon in der Antike vorgebildet): „The hmatie, the lover and the poet Are of imagination all compact." Der Reiz und die Spannung vieler Shakespeareschen Komó'dien (und gerade der besten) beruht auf der eigenartigen Drasion, mit der die Liebe verbunden ist, ja ohne die sie überhaupt nicht bestehen kann. Es mufi aber beachtet werden, daB diese Dlusion vielfach nur fancy ist (und so leicht enttauscht werden kann) und nicht immer Imagination. Die fanciful love sieht etwas in den Geliebten hinein, was nicht vorhanden ist, die imagination sieht etwas aus dem Geliebten heraus, was tatsachlich wenigstens ideel vorhanden ist. 86 Wilh. von Humboldt an seine Braut: „nur nach dieser Ürgestalt müBte man Charaktere schildern, und nur durch sie entsteht Liebe im echten Sinne des Wortes."1) So ist die Liebe ein ahnliches Vermogen der Erkenntnis wie die Imagination, sie vermag uns einerseits das Zentrum des Universums, die Urliebe im Unendlichen aufzuschliefien, andererseits uns bis zur Quelle des Individuums, d. h. seiner individuellen Idee zu fiihren.2) Aber doch sind die Funktionen von Imagination und Liebe nicht ganz die gleichen. Die Imagination hat es zu tun mit der Erkenntnis eines Seienden; sie kann im gefilhlvollen Anschauen das Universum bewundern, Sinn und Bedeutung des Universums in sich aufnehmen; es ist also mehr'ein passives Verhalten; ein Gegebenes wird auf dem Wege der Wesensschau als Einheit und Ganzheit erkannt. Anders die Liebe: sie schlieBt ein aktives Moment in sich — sie bewundert nicht blofi den geliebten Gegenstand, sondern 'versucht, in ihm aufzugehen, mit ihm eins zu werden; es tritt ein voluntatives Element auf, das die Liebe von der Imagination scheidet__Jjps kann der Bomantiker nicht nur, von tiefer Andacht ergriffen, vor den Geheimnissen des Universums erschauern, es kann ein Gefühl der Sehnsucht nach dem Universum ') Spranger, 234 Anm. 3. 2) Ofterdingen liebt in diesem Sinne die Idee seiner Geliebten; vgl, sein Bekenntnis: „Was mich so unzertrennlich zn dir zieht, was ein ewiges Verlangen in mir geweckt hat, das ist nicht aus dieser Zeit. Könntest du nur sehen, wie du mir erscheinst, welches wunderbare Bild deine Gestalt durchdringt, und mir überall entgegenleuchtet, du würdest kein Alter fürchten. Deine irdische Gestalt ist nur ein Schatten dieses Bildes. Die irdischen Krafte ringen und quellen, um es festzuh,alten, aber die Natur ist noch unreif; das Bild ist ein ewiges Urbild, ein Teil der unbekannten, heiligen Welf (Novalis 1,122). 87 in ihm aufsteigen, und dieses Gefühl kann sich zum Affekt steigern, zum Eros werden, es erfaBt ihn ein heiBes Verlangen nach einer Vereinigung mit dem Unendlichen (nicht bloB nach 'einer Erkenntnis des Unendlichen). Es entwickelt sich hier, sobald das desiderative und voluntative Moment das Übergewicht gewinnt, ein besonderer Typus der Romantik; wir erhalten neben der intuitiven - contemplativen Romantik eine voluntativ-aktive Romantik: in England ist Wordsworth ein 'ausgesprochener Typus der ersten, Shelley der zweiten Richtung. Die intuitive und voluntative Romantik sind in ihrem Ursprung aber keineswegs verschieden, sondern sind einer Wurzel entsprossen. Wenn der Mensch, erfüllt von der Imagination, vor der Gröfie und Gewalt des Alls in andachtiger Verehrung, ja in Verzauberung steht, so entsteht in ihm zweifellos das Gefühl des Furchtbaren, Gewaltigen; er erschrickt vor der Majestat der göttlichen Offenbarung — aber gleichzeitig fühlt er sich angezogen, gebannt, verzaubert. Es drangt ihn ein unbestimmtes Etwas nach dem Gewaltigen hin; er fühlt zwar, daB das GroBe zu groB für ihn ist, daB dies Erhabene bei direkter Berührung ihn vernichten würde: und doch fühlt er sich hingezogen trotz der Furchtbarkeit des Erhabenen von diesem, wie von einem Magnet, angezogen. Ganz entsprechénd ist auf religiösem Gebiete in dem Numinosen*) einerseits das Moment des Tremendum, eines furchtbar Gewaltigen, auf der anderen Seite etwas eigentümlich Anziehendes, Bestrickendes, >) Wir folgen hier den Ausführungen Kndolf Ottos in seinem Buche: Das Heilige. 88 .Faszinierendes enthalten. Diese beiden Momente treten miteinander in eine seltsame Kontrastharmonie. In diesem Kontrast sieht nun Otto das charakteristische des Numinosen: „Der qualitative Gehalt des Numinosen ... ist einerseits das schon ausgeführte Moment des abdringenden tremendum mit der ,majestas', andererseits aber offenbar etwas eigentümlich Anziehendes, Bestrickendes, Faszinierendes, das nun mit dem abdrdngenden Momente des tremendum in eine seltsame Kontrastharmonie tritt."1) • Auf einer ahnlichen, ja in mancher Hinsicht gleichen Kontrastharmonie des Gefühls beruht nun das Erlebnis des Eomantikers gegenüber dem Unendlichen: an sich liegt hier das Moment des tremendum, das ein passives Verhalten des Menschen herbeiführt, und das Moment des Faszinosum vor, das zu einer aktiven Vereinigung mit dem Unendlichen drangt.2) Aber es kann das Letztere das Übergewicht gewinnen und das Tremendum in den Hfhtergrund drangen. Das Faszinosum nimmt die Quantitat des Tremendum in sich auf; es steigert sich in das Überschwengliche, in das Enthusiastische, in den traumhaften Zustand der Ekstase, wo das Ich vollkommen mit dem Unendlichen verschmilzt, sich in ihm auflSSt; alle Phasen und Formen der Mystik sind hier auf romantischem Gebiete möglich. Shelley und Novalis rpraesentieren diesen Typus am besten. Durch diesen Akt des Hingezogenseins, der Liebe zum Unendlichen verliert das Ich seine individua- !) Otto, S. 35 *) Wordsworth, Tintern Abbey v. 93: . .. And I have feit A presence that distnrbs me with the joy Of elevated thoughts; a sense sublime Of something far more deeply interfused etc. 89 listischen- empirischen Charakter; es wird sozusagen selbst ein Stück Unendlichkeit. Der Schritt znm Unendlichen vollzieht sich, indem das individuelle, empirische- Ich sich zu seiner individuellen Idee erhebt^jdie Liebe aber zum Universum bewirkt diese Steigerung des Ichs, und so sagt Schelling mit Recht: „Der Zustand der Seele, in welchem sie das wirklich ist, was sie der Idee nach ist, ... (ist) unendliche intellektuelle Liebe der Seele zu Gott, welche, absolut betrachtet, nur die Liebe ist, mit der sich Gott selbst liebt." 0 Die voluntative Romantik steht hier auf ihrem höchsten Gipfel; ein darüber Hinaus gibt es nicht, es muB zum Abstieg führen, zum Mystizismus. Wir haben oben S. 82 gesehen, daB die Liebe im empirischen Sinne die Vereinigung von Subjekt und Objekt bedeutet; die romantische Liebe hat es, ihrem Grundcharakter entsprechend, mit der Liebe zum Unendlichen und zum Allgemeinen zu tun — aber daraus ergeben sich gewisse Gefahren. Was zunachst die Liebe zum Unendlichen anlangt, so liegt es in der Natur des Verhaltnisses vom Endlichen zum Unendlichen, daB das endliche Subjekt gegenüber dem Unendlichen in seiner Wesenheit, in seiner Bedeutung verliert, daB es gegenüber dem Übergewicht des Unendlichen in ein Nichts zerrinnt, so daB schlieBlich das Ich vollstandig vernichtet und aufgehoben erscheint. Es liegt ein schwerer Irrtum der Mystik oder, besser gesagt, des Mystizismus vor, eine volle Vereinigung, ein volles Auflösen in Gott erreichen zu wollen. i) Werke VI, 556. 90 Auch bei der rein menschlichen Liebe geschieht es oft, daB z. B. eine Frau ganzlich in die Seele ihres Mannes aufgeht, daB sie auf jede eigene Individualitat Verzicht leistet, daB sie zum Werkzeug des Mannes herabsinkt; aber die Synthese von Subjekt und Objekt bedeutet nicht, daB das eine zu Gunsten des anderen seinen Charakter völlig aufgibt, sondern daB Objekt und Subjekt zu einem Organismus zusammentreten, in dem beide ihre Funktion und Bedeutung haben. Und ahnlich liegt es bei dem Verhaltnis von Endlichkeit und Unendlichkeit. Ein völliges Aufheben, ein völliges sich Auflösen des Endlichen im Unendlichen würde dem Organismusgedanken des Universums widersprechen — denn Gott bedarf unser, um seine Kraft und Macht zu entfalten. Die gesunde Mystik besteht in der Steigerung des Individuums zu seiner individuellen Idee, wo es der Gottesgemeinschaft wirklich naher kommt, wo es einen organischen Zusammenhang mit Gott erlebt; nur als individuelle Idee können wir der Gottheit selbst inne werden. Eine völlige Identitat von Ich und Gott würde auch dem Wesen der Romantik widersprechen — die Eomantik bedeutet zwar die Synthesis der Gegensatze, aber nicht in dem Sinne, daB die eine Einheit in der anderen Einheit untergeht oder durch sie aufgehoben wird, vielmehr bedeutet die Synthesis die Spannung, die sich zwischen zwei entgegengesetzten Polen entwickelt, und diese Spannung ist die lebendige Einheit der Gegensatze, aus der alles Leben hervorgeht. Wenn aber im Mystizismus eine vollstandige Vereinheitlichung von Ich und Gott vollzogen wird, so ist zwar der Gegensatz von Lidividuum und Unendlichkeit beseitigt, aber keine aktuelle, virtuelle Einheit geschaffen. Denn die Synthesis im romantischen Sinne 91 muB ein ununterbrochener, nie zum Stillstand kommender Akt sein. Die voluntative Romantik nimmt aber auch dem Problem der Allgemeinheit gegenüber eine besondere Stellung ein; wie sie die Einheit mit dem Unendlicnen zn erreichen sucht, so wird auch der Gegensatz zwischen Individuum nnd Allgemeinheit überwunden, indem das Ich das Allgemeine z. B., die Menschheit nicht mehr in einzelnen Individnalerscheinnngen liebt, sondern als Ganzes, als Allheit. Die Liebe richtet sich nicht so sehr auf einzelne Individuen, sondern das Gefuhl erstreckt sich auf eine unbeschrankte Zahl von Objekten; daher der universalistische Charakter der romantischen Liebe. In Wirklichkeit ist die Folge, dafi der Romantiker mehreren Personen in gleicher Liebe zugetan ist, ohne im geringsten das Gefuhl der Untreue zu empfinden, wenn er in einen innigen Bund mit mehreren tritt. Shelley schildert diesen universalistischen Charakter der romantischen Liebe ausgézeichnet in seinem Epipsychidion, in dem er die Italienerin Viviani verherrlicht: „True Love in this differs from gold and clay, That to divide is not to take away. Love is like nnderstanding, that grows bright, Gasring on many truths; 'tis like thy light, Imagination! which from earth and sky, And from the depths of human fantasy, As from a thousand prisms and mirrors, fills The Universe with glorions beams, and kills Error, the worm, with many a sunlike arrow Of its reverberated lightning. Narrow The heart that loves, the brain that contemplates, The life that wears, the spirit that creates One object, and one form, and bnilds thereby A sepulehre for its eternity. 92 Mind from its object differs most in this: Evil from good; misery from happiness; The baser from the nobler; the impure And frail, from what is clear and must endure. If you divide suffering and dross, you may Diminish till it is consumed away; If you divide pleasure and love and thought, Each part exceeds the whole; and we know npt How much, while any yet remains unshared, Of pleasure may be gained, of sorrow spared." (Epipsychidion 160—183). Aber auch diese Form der romantischen Liebe schlieflt gewisse Gefahren in sich: Die Romantiker übersehen, daB die umfassende Liebe sich nur vielfach auf eine Vielheit (d. h. auf einzelne Menschen), nicht auf die Allheit (auf die Menschheit als Ganzes) erstreckt; hieraus entwickelen sich oft die starksten Konflikte mit der Sittlichkeit, und dem Libertinismus wird leicht Tür und Tor geöffnet. Kapitel VI. Liebe und Sckónheit. Wir müssen noch eines Zusammenhanges gedenken, des Zusammenhanges der Liebe mit der Schönheit. Beide Begriffe, beziehentlich Ideen scheinen, in einer unauflosbaren Verbindung zu stehen: Schönheit scheint durch die Liebe und diese wiederum durch jene bedingt zu sein. Schon im gewöhnlichen Sprachgebrauch heifit es, daB es die Schönheit gewesen ist, die die Liebe geweckt hat, und umgekehrt wird das Subjekt 93 an dem geliebten Gegenstand leicht alles schön finden; die Schönheit wird zunï Kleide, das die Liebe dem Objekt gibt. Liebe und Schönheit sind auch von Philosophen und Dichtern identifiziert, ganz nahegebracht worden. Die enge Zusammengehörigkeit von Gutem (und die Liebe ist die höchste Form des Guten) und Schönem ist eine alte These des Idealismus, besonders des asthetischen Idealismus aller Zeiten und Völker gewesen. Worauf beruht diese Interdependenz von Schönheit und Liebe? Um diese Frage zu entscheiden, mussen wir erst die Vorfrage beantworten: was ist schön? Als Ausgangspunkt wahlen wir hier wieder Kant, was sowohl sachlich, als auch historisch begründet ist. Mit Kant kann die Schönheit nicht in dem Objekte gesucht werden, sondern in dem Subjekt. Allerdings müssen in dem Objekt gewisse Bedingungen erfüllt werden, damit in uns das Gefuhl des Schonen hervorgerufen werden kann. Aber das Gefühl des Schonen selbst ist eine subjek'tive Schöpfung unseres BewuBtseins, die allerdings nicht absolut willkürlich, sondern ihrerseits an eine GesetzmaBigkeit gebunden ist. Nach Kant ist es nun die Harmonie von Sinnlichkeit und Verstand oder von der Freiheit unserer Einbildungskraft und Notwendigkeit unseres Verstandes, die jenes Gefühl für das Schöne verursacht. Es liegt also nach Kant das Wesen des Schönen in einer subjektiven Harmonie von Sinnlichkeit und Verstand, und im asthetischen Urteil (z. B. dieser Gegenstand ist schön) wird das Gefühl als solches zum Gegenstand unserer Erkenntnis gemacht. Wir müssen noch beachten, dafl dieses asthetische Urteil nur möglich ist, wenn wir eine charakteristisch 94 Erscheinung des psychologiseren Lebens beachten. Es handelt sich bei dem asthetischen Urteil urn das Übertragen der subjektiv empfundenen Harmonie auf das Objekt: unwillkürlich legen wir diese in uns vorhandene Harmonie den Gegenstanden bei. Die Gegenstande nehmen das Harmonische, d. h. das Schone, an, was in uns ist. Es handelt sich hier urn die Objektivierung subjektiver Vorgange, urn einen ProzeB, der im psychischen Leben so hauflg wiederkehrt.*) Die Folge ist, daB das Objekt, das ursprünglich nur die Bedingungen des Schonen enthalt, zur ürsache des Schonen gemacht wird, so dafi wir folgende Entwicklung erhalten: ein Objekt, das gewisse Bedingungen erfüllt, ruft im Subjekt eine Harmonie von Sinnlichkeit und Verstand hervor, und diese Harmonie wird vom Subjekt auf das Objekt übertragen. Schönheit ist demnach die Objektivierung einer subjektiven Harmonie. Kant setzt nun allerdings nur die Harmonie von Sinnlichkeit und Verstand als das Wesen des Schonen an; aber jede Harmonie im Subjekt (einerlei in welcher Form sie sich vollzieht) kann, wenn auf ein Objekt übertragen, dieses als schön erscheinen lassen. — Das Schönheitsgefühl der Romantiker kann naturgemafi nicht auf die Harmonie von Verstand und Sinnlichkeit zurückgeführt werden, da diese auf Endliches Bezug nehmen; sondern hier muB die Imagination, die eben eine Verbindung von Endlichem und Unendlichem herstellt, betrachtet werden. Auch hier ') Es ist hier nicht der Ort, die zahlreichen Falie, in denen die objektivierende Tendenz unseres Bewufitseins zur Geltung kommt, zu behandeln; ich mö'chte aber darauf hinweisen, dafi es sich hier um eine der fundamentalsten Vorgange unseres geistigen Lebens handelt. 95 muB die Harmonie zwischen den Grundelementen der Imagination, namlich Gefühl und Anschauung, vorhanden sein, und diese subjektive Harmonie wird dann dem Objekt mitgeteilt. Die Schönheit des Universums ist ebenfalls eine Objektiviérung êiner subjektiven Harmonie, d. h. der Harmonie in den Grundbestandteilen der Imagination, Anschauung und Gefühl. Diese . Harmonie tritt ein, wenn der sinnliche Gegenstand Anschauung und Gefühl in gleicher Weise befriedigt, d. h. zum Symbol erhoben werden kann. Ist subjektive Harmonie, die Voraussetzung, daB ein Gegenstand als schön empfunden wird, so kann auch die Liebe selbst ihr Objekt zu einem Schonen machen. Die Liebe führt ja in uns eine Synthese unserer Gefühle, Triebe und Instinkte herbei; ist diese Synthese nun vollkommen, so werden wir selbst zu einem harmonischen Organismus und übertragen die Harmonie wiederum auf den Gegenstand, der unsere Liebe erregt hat, und dieser wird* auf diese Weise zu einem Ausdruck des Schonen gemacht; also wiederum eine eigentümliche Wechselbeziehung von Subjekt und Objekt: das Objekt ruft die Sympathie und Neigung im Subjekt wach — dieses wird ein harmonisches Ganzes und übertragt die Harmonie auf das Objekt. Das Schone erscheint also als das Produkt der Liebe, und die Folge davon ist, dafi überall da, wo Schönheit erscheint, diese als Ergebnis der Liebe angesehen wird — Schönheit und Liebe erscheinen also gegenseitig im Wechsel bedingt. Jetzt verstehen wir auch, warum das Unendliche, das .Universum dem Romantiker als schön erscheinen muBte. Der Romantiker ist von Sehnsucht und Liebe zum Unendlichen erfüllt — diese unendliche Liebe verklart sein Wesen, erhebt ihn zu einer organischen 96 individuellen Idee — und nun teilt er seine eigene Harmonie dem Universum mit, das nunmehr als schön erscheint. Aber die Schönheit des Universums selbst erscheint als das Produkt der Liebe, und so wird als treibende Kraft des Universums die Liebe angesehen und dessen Schönheit als ihr Kleid. Die Liebe des Subjektes findet also ihr Gegenstück in der Liebe des Objektes (Universums) wie die Harmonie des Subjektes in der Schönheit des Objektes. Es ist naturgemaB, daB die Liebe des Subjektes mit der Liebe des Objektes zu verschmelzen sucht, und die Vermittlung übernimmt die Schönheit — so ergibt sich hier eine Identitat von Subjekt und Objekt, von Unendlichkeit und Endlichkeit, durch einen asthetischen Verschmelzungsprozefi, dessen Agens die Liebe ist. — Dieser VerschmelzungsprozeB kann sich noch auf anderem "Wege vollziehen. Es kann zunachst ein asthetisches Urteil der Imagination in dem Sinne stattfinden, daB da's Universum als schönes erkannt wird. Aber die wahrgenommene Schönheit kann das Begehren in uns wachrufen, die Schönheit dauernd zu geniefien, sich ihrer zu bemachtigen, d. h. sie zu lieben (denn ein dauernder Besitz ist natürlich nur möglich durch eine totale Verschmelzung). Diese Liebe führt dann zur Harmonie der Persönlichkeit, diese übertragt sich auf das Objekt, in diesem Falie auf die Schönheit des Universums: so wird die Schönheit des Objektes vom Subjekt aus wieder auf das Objekt zurückgeworfen, so daB also die Schönheit zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt. 97 Kapitel VEL Das Unendliche als Schöpfung. Bei der intuitiven Romantik nimmt das endliche Subjekt gegenüber dem Unendlichen als Objekt ein mehr passives Verhaltnis ein, indem es sich den Wirkungen dés Unendlichen hingibt; das endliche Subjekt erkennt nur das Unendliche (oder besser: das Unendliche offenbart sich ihm). Das Subjekt erkennt das Unendliche als ein Sein, und damit steht es unter dem Gesetze der Notwendigkeit gegenüber dem Unendlichen. Bei der voluntativen Romantik liegt ein umgekehrtes Richtungsverhaltnis vor: hier sucht das Subjekt auf das Objekt zu wirken, sich mit ihm zu verschmelzen, in es einzugehen; hier herrscht Freiheit des Subjektes. Also liegt bei der intuitiven Romantik eine Wirkung des Unendlichen auf das Endliche vor (die Fahigkeit des Endlichen auf das Unendliche zu reagieren, ist eben die Imagination); bei der voluntativen Romantik sucht das Endliche, sich dem Unendlichen zu nahem und mit ihm eins zu werden (die Kraft dieser Bewegung ist die Liebe). Im ersten Falie geht die Bewegung vom Objekt zum Subjekt, im zweiten Falie vom Subjekt zum Objekt. Aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit: es kann das Unendliche und das Endliche in gegenseitige Wechselwirkung treten. Es wirkt ahnlich wie bei der intuMKen Romantik-ilafilllliendliche auf das Endliche, und dieses nimmt das Wnnderbare nicht nur passiv auf, sondern kommt selbst zur Tatigkeit und Deutschbein, Das Wesen des Romantischen. 7 98 verbindet seine Kr af te mit denen des Unendlichen: Freiheit""und Notwendigkeit vereinigen sich, dies ist die Form der schöpferischen Romantik. Tritt Endliches mit dem Unendlichen in Wechselwirkung, so ist der Moment des Schöpferischen gegeben: das bedeutet erschaffen im eigentlichen und absoluten Sinne. *) Davon ist zu trennen das Handeln und Tun im gewöhnlichen Sinne; es handelt sich um den platonischen Unterschied von jtoislv und ngaxreiv. Die Praxis arbeitet mit den gegebenen empirischen Gegenstanden und Tatsachen, nimmt Anderungen, Veranderungen und neue Kombinationen vor — die Poësis schafft absolut Neues, d. h. mit anderen Worten: sie schafft nicht nur Gegenstande, sondern deren individuelle Ideen, wahrend die Praxis nur vorhandene Ideen aktualisiert. Ein Architekt, der die Skizze zu einem Hause entwirft, ist ein Schöpfer; der Bauunternehmer, der den Plan ausführt, ist ein Handelnder. Goethe gebraucht für' das Schöpferische gern den Ausdruck „Produktivitat". Nach romantischer Auffassung kommt nun dies Schöpferische am klarsten ufid starksten auf dem Gebiet der Kunst zum Ausdruck, und es sind für sie insbesondere Goethe und Shakespeare die Vertreter des Schöpferischen. Aus diesem Grunde ist für die *) So schreibt Wordsworth der „Nature" eine erregende nnd bernbigende Wirknng auf den Menschen zu; und daraus folgt dann die schöpferische Tatigkeit des Genies (Prelude XIII, 5 ff): „Hence Genius, born to thrive by interchange Of peace and excitation, finds in her (= Nature) His best and purest friend; from her receives That energy by which he seeks the truth, Froin her that happy stillness of the mind Which fits him to receive it when unsought." 99 Romantiker die Kunst die höchste Lebens- und Daseinsform und umgekehrt: überall da, wo wirklich Schöpferisches sich entfaltet, liegt Kunst, d. h. Poësis vor. Aber an der Kunst im engeren Sinne kann das Schöpferische am klarsten begriffen werden. Der Künstler schafft mit der Idee zugleich deren empirische Gestalt, er ist also gleichzeitig Schöpfer und Handelnder. Ein Drama z. B., dem keine eigentliche Idee zugrunde liegt, wodurch dieses zu einem einheitlichen Organismus wird, ist nur eine Tat, keine Schöpfung des Dichters. Wiederum wird uns durch einen Vergleich mit Kant die Stellung der Romantiker klar werden. Kant hatte gelehrt, dafi dem Menschen keine intellektuelle Anschauung zukame, wohl aber die Existenz einer solchen denkbar ware. Eine intellektuelle Anschauung müfite nicht blofi die Formen unserer Erfahrung erzeugen, sondern auch gleichzeitig deren Inhalte; aber die menschliche Anschauung sei nur sinnlich rezeptiv, und es würde nur den durch die Sinnlichkeit aufgenommenen Elementen durch die Spontaneitat unseres Verstandes eine Form gegeben. Aber Kant lafit die Möglichkeit offen, dafi es Intelligenzen gabe, die mit einem intuitiven Verstande ausgerüstet waren, d. h. die gleichzeitig mit der Form auch den Inhalt der Erfahrung erzeugten. Der Romantiker würde die Möglichkeit einer intellektuellen Anschauung bejahen. In dem Kunstwerk schafft der Künstler gleichzeitig Inhalt und Form; d. h. er verhilft einer individuellen Idee zur Gestaltung. Jedes wahrhafte Kunstwerk, jede schöpferische Leistung (z. B. auch auf dem politischen Gebiete) ist eine individuelle Idee, der Schöpfer dieser Leistung ist ein Künstler. Die Bedingungen für das Schöpferische 7* 100 liegen nun aber in der Wechselwirkung von Endlichem und Unendltehem, und das bedeutet, daB das Unendliche in dem Künstler nicht nur erscheint, sondern in ihm und mit ihm wirksam wird. Aus der Vermahlung des Weltgeistes mit der ihdividuellen Seele des Künstlers geht dann das wahre und hohe Kunstwerk hervor. Das Geschaffene zeigt dann die Synthese von Endlichem und Unendlichem, und jedes Kunstwerk ist èndlich gewordene Unendlichkeit: es ruht auf ihm der Schimmer des Unendlichen, der von dem betrachtenden . Menschen mit Hilfe der Imagination erfaBt werden kann. Auf der anderen Seite steht der schaffende Künstler in engster Beziehung zu dem Weltgeist; denn dieser entfaltet seine Wirksamkeit durch den Künstler; dieser ist das Medium, durch das er hindurchgehen muB, er ist der Boden, auf dem er seine Krafte spielen lassen kann. Die Dichterseele ist die Leier, die durch den Hauch des Weltgeistes in Schwingung versetzt wird;') und der Mensen hat sich nur als Instrument des Weltgeistes zu fühlen, seine Intentionen aufzunehmen, l) Dieser Vergleieh ist in der Komantik besonders beliebt, vgl. Wordsworth, Prelude 1,94: „It was a splendid evening, and my soul Once more made trial of her strength, nor lacked jEolian visitations; but the harp Was soon defrauded etc." Oder Shelley, Alastor v. 41 ff.: "... that serenely now And moveless, as a long-forgotten lyre I wait thy breath, Great Parent, that my strain May modulate with murmurs of the air etc. etc." Besonders eindrucksvoll Coleridge in dem Gedichte The Eolian Harp, aus dem ich hier nur v. 44— 48 herausheben möchte: 101 ahnhch wiedas musikalische Instrument den Weisungen und Wunschen des Spielenden nachgibt; aber die Musik kann der Weltgeist nicht direkt hervorbringen. Er l ^ *HSInstrument^ das den Eesonanzboden seiner Krafte bildet; es bedarf das Unendliche des Endli chen urn sich gewissermaflen zu realisieren, urn überhaunt der^«hann f*^6 Zen?™ und Bekenntnisse der grofien Gemes, daB sie sich als Organ einer überirdischen, transzendenten Macht fühlen. Ich führe hier nur^die Zeugnisse von Goethe und Beethoven an Goethe sagt: „Jede Produktivitat höchster Art, jedes bedeutende Apercu, jede Erfindung, jeder ffroBe dn Mngt UDd Fol& hat> steht in eZ?r\GTVDd iSt Üb6r aller «chen Macht erhaben Dergleichen hat der Mensch als unverhoffte Geschenke von oben, als reine Kinder Gottes zu betrachten, die er mit freudigem Dank zu empfangen und zu verehren hat. Es ist dem Damonischen verwarmt, das ubermachtig mit ihm tut wie es beliebt und dem er sich bewuBtlos hingibt, wahrend er glaubt' er handele aus eigenem Antriebe. In solchen Fallen ^der Mensch oftmals als ein Werkzeug einer höheren Weltregierung zu betrachten, als ein würdig befundenes GefaB zur Aufnahme eines göttlichen Einflusses. Ich sage dies, indem ich erwage, wie oft ein einziger Gedanke ganzen Jahrhunderten eine andere Gestalt gab^mdjme einzelne Menschen durch das, was von „And what if aU of animated nature Be but organio harps diversely framed That tremble into thought, as o'er them sweeps plastic and vast, one intellectual breeze At once the Soul of each, and God of alP* 102 ihnen ausging, ihrem Zeitalter ein Geprage aufdrückten, das noch in nachfolgenden Geschlechtern kenntlich hlieh und wohltatig fortwirkte." *) Die AuBerungen Beethovens sind uns allerdings nur durch Vermittlung von Bettina Brentano erhalten und sind wohl von ihr zum Teil erst stilisiert worden: „Sich selbst ihren (d. h. der Musik) unerforschlichen Gesetzen unterwerfen, vermöge dieser Gesetze den eignen Geist bandigen und lenken, daB er ihre Offenbarungen ausströme, das ist das isolierende Prinzip der Kunst; von ihrer Offènbarung aufgelöst werden, das ist die Hingebung an das Göttliche, was in Ruhe seine Herrschaft an dem Basen ungebandigter Krafte übt und so der Phantasie höchste Wirksamkeit verleiht. So vertritt die Kunst allemal die Gottheit, und das menschliche Verhaltnis zu ihr ist Religion; was wir durch die Kunst erwerben, das ist von Gott, göttlicher Eingebung, die den menschlichen Befahigungen ein Ziel steekt, was er erreicht."2) Wir wiirden aber dem Wesen des Schöpferischen nicht gerecht werden, wenn wir nur auf dem Gebiete der Kunst die Möglichkeit einer Wechselwirkung von Endlichkeit und Unendlichkeit ansetzen wollten, überall da, wo der Mikrokosmus zum Organ des Makrokosmos wird, entsteht das wirklich Neue; vgl. auch Goethe:3) „Jene göttliche Erleuchtung, wodurch das AuBerordentliche entsteht, werden wir immer mit der Jugend*) und der Produktivitat im Bunde finden, wie denn Napoleon einer der produktivsten Menschen war, die je gelebt haben". i) Bckermann. Gespraehe mit Goethe 3,166. *) Bettina von Arnim, Werke hrsg. von Oehlke EU, 459. ») Eckermann, Gesprache mit Goethe 3,160. *) s. o. S. 55 f. 103 Den Mikrokosmos aber, der mit dem Unendlichen in tatigen Zusammenhang tritt und produktiv tatig ist, bezeichnen wir als Genie. Das Genie ist demnach keineswegs auf das Künstlerische beschrankt, sondern kann sich auf allen Gebieten des menschlichen Geistes aufiern, immer sind die Erzeugnisse eines solchen Genies Neuschöpfungen, die den Geist des Unendlichen an sich tragen, einen Ewigkeitswert besitzen, der sie nie im Strome der Zeit untergehen laflt. Wir erinnern uns der bekannten schonen Verse Keats's: „A thing of beauty is a joy for ever: lts loveliness increases; it wül never Pass into nothingness ..." Vergl. auch die Bemerkung Goethes: 0 „Denn was ist Genie anders als jene produktive Kraft, wodurch Taten entstehen, die vor Gott und in der Natur sich zeigen können, und die eben deswegen Folge haben und von Dauer sind". Ist das Wesen des Genies die organische Synthese von Endlichem und Unendlichem, so ist dadurch auch seine Stellung zu dem Problem: Allgemeines - Individuelies gegeben. Da das Genie individuelle Ideen produziert, soist es eben selbst eine allgemeine Idee, die die Brücke bildet zwischen dem unendlichen Weltgeist und der individuellen Idee. Als allgemeine Idee. ist aber das Genie potentielle Energie, die sich eben in Einzelideen, d. h. in genialen Werken, realisiert. Das Wesen solcher potentiellen Energien schildert uns Wordsworth im Prelude (Book XT7,101 ff.); er nennt sie hier: „higher minds". ') Eckermann, 1. c. 3,161. 104 „They (the higher minds) build up greatest things From least suggestions; ever on the watch, Willing to work and to be wrought npon, They need not extraordinary calls To rouse them; in a world of life they live, By sensible impressions not enthralled, But by their quickening impulse made more prompt To hold fit converse with the spiritual world, And with the generations of mankind Spread over time, past, present, and to come, Age after age, tül Time shall be no more. Such minds are truly from the Deity, For they are' Powers;1) and hence the highest bliss That flesh can know is theirs — the consciousness Of Whom they are, habitually infused Through every image and throngh every thought, And all affections by communion raised From earth to heaven, from human to divine; Hence endless occupation for the Soul, Whether discursive or intuitive: Hence cheerfulness for acts of daily life, Emotions which best foresight need not fear, .Most worthy then of trust when most intense." DaB in dem schaftenden Genie Freiheit und Notwendigkeit sich in eine Einheit vereinigen, ist schon immer ausgesprochen worden. Ich erinnere nur an Kant, der schon das Genie als Intelligenz bezeichnet hatte, die als Natur wirke. Das Genie muB schaffen, ein innerer Drang treibt es dazu, ohne daS es diesen Zwang empfindet {they need not extraordinary calls to rouse them); im Gegenteil, es fühlt die starkste Lebenslust und Lebenssteigerung im Schaffen. Diese doppelte Form der Tatigkeit, die freie und notwendige, die bewufite und bewufltlose, hat Schelling besonders in seinem „System des transzendentalen Idealismus" klargestellt; er nennt die bewufite freie J) Potentielle Energien. 105 Tatigkeit des Künstlers „Kunst" und scheidet von ihr die unbewufit notwendige, die er Poesie nennt; es heifit:») „Wenn nun ferner die Kunst durch zwei voneinander völlig verschiedene Tatigkeiten vollendet wird, so ist das Genie weder die eine noch die andere, sondern das, was über beiden ist. Wenn wir in dei- einen jener beiden Tatigkeiten, der bewuflten namlich, das suchen müssen, was insgemein Kunst genannt wird, was aber nur der eine Teil derselben ist, namlich dasjenige an ihr, was mit BewuBtsein, Überlegung und Reflexion ausgeübt wird, was auch gelehrt und gelernt, durch Überlieferung und durch eigene Übung erreicht werden kann, so werden wir dagegen in dem BewuBtlosen, was in die Kunst mit eingeht, dasjenige suchen müssen, was an ihr nicht gelernt, nicht durch Übung, noch auf andere Art erlangt werden, sondern allein durch freie Gunst der Natur angeboren sein kann und welches dasjenige ist, was wir mit einem Wort die Poesie in der Kunst nennen können. Es erhellt aber eben daraus von selbst, daB es eine höchst unnütze Frage ware, welchem von den beiden Bestandteilen der Vorzug vor dem andern zukomme, da in der Tat jeder derselben ohne den andern keinen Wert hat, und nur beide zusammen das Höchste hervorbringen. Denn obgleich das, was nicht durch Übung erreicht wird sondern mit uns geboren ist, allgemein als das Herrlichere betrachtet wird, so haben doch die Götter auch die Ausübung jener ursprünglichen Kraft an das ernstliche Bemühen der Menschen, an den FleiB und die Überlegung so fest geknüpft, daB die Poesie, selbst wo sie angeboren ist, ohne die Kunst nur gleichsam tote Produkte hervorbringt, an welchen ») Weifi II, 292. 106 k'ein menschlicher Verstand sich ergötzen kann, und welche durch die völlig blinde Kraft, die darin wirksam ist, alles Urteil und selbst die Anschauung von sich zurückstoBen." Wenn wir uns nach den Bedingungen, nach dem Vermogen fragenj durch das der Mikrokosmos zur allgemeinen Idee wird, so bildet natürlich die intuitive Imagination die Voraussetzung. Ferner kommt hinzu jener traumhafte Enthusiasmus, jene Ekstase, die wir als Kennzeichen der voluntativen Romantik in Kap. V kennengelernt haben. Auch in dem schaftenden Künstler tritt jener Zustand des ÜberbewuBten ein, der aus der Verschmelzung von BewuBtem und UnbewuBtem entsteht, oder, um mit,Schelling zu reden es ist das BewuBtsein der Identitat von BewuBtem und BeWuBtlosem; *) es ist jener Zustand einer aktiven Ekstase, der es dem Genie ermöglicht, in die letzten Dinge einzudringen mit überirdischer Klarheit. Aber es kommt noch ein Weiteres hinzu. Das Genie ist in diesem Zustand von einer ungeheuren Energie erfüllt, sich zu objektivieren; es waltet in, ihm eine irrationale Kraft, die etwas Wunderbares nie ganz zu Fassendes, Unbegreifliches darstellt; es ist eben das Unendliche selbst. Es ist das Damonische im Künstler, das dadurch gerade charakterisiert ist, daB es den von ihm Besessenen zu ungeheurer Kraftentwicklung drangt, oder wie Goethe es formuliert: „Das Damonische (aber) auBert sich in einer durchaus positiven Tatkraft."2) Noch ein Wort über das Verhaltnis des Künstlers zum Kunstwerk. Auch hier liegt eine Synthesé vor ') Weifi H, 286. 2) Eckermaiin II, 205. 107 und zwar von Subjekt und Objekt. Denn in dem Momente der künstlerischen Produktion gebt der Schaffende vollstandig in seinem Werk unter und ist völlig mit ihm identisch — ebenso besteht das Werk in diesem Momente noch nicht auBerhalb, sondern innerhalb des Geistes des Schaffenden selbst. Ferner ist das Kunstwerk immer etwas Zweckvolles ohne Zweck, d. h. ohne Absicht. Ein Kunstwerk ist immer zweckmafiig, ohne einem bestimmten Zweck zu dienen; es ist Selbstzweck — und vereinigt so Notwendigkeit und Freiheit in sich. Es ist ein tatiger Organismus, der sich selber Gesetz ist. Der Organismuscharakter des Kunstwerkes folgt aber auch aus der Tatsache, daB jedes Kunstwerk die Gestaltung einer individuellen Idee ist — denn diese selbst ist ein Organismus. Von diesem Gesichtspunkt aus können wir uns das Wesen eines Kunstwerkes, z. B. eines Dramas, veranschaulichen. Jedes Drama enthalt eine auBere Form, eine innere Form und einen Gehalt. AuBere Form beim Drama ist der Teit in seiner prosaischen oder metrischen Form; innere Form ist die immanente Struktur (z. B. Einteilung in Akte, Gruppierung der Personen), und der Gehalt ist das Problem, das Thema, das eigentliche Lebenszentrum des Dramas. Vergleichen wir diese Gruppierung mit der Auffassung des Kunstwerkes als der Gestaltung einer individuellen Idee, so ergibt sich, daB die auBere Form die empirische Gestaltung der individuellen Idee ist; die innere Form und der Gehalt zusammen aber reprasentieren die individuelle Idee selbst, und zwar kommt das Organische der individüellen Idee in der inneren Form zum Ausdruck, wahrend der Gehalt der lebendigen Kraft entspricht, die jedem Organismus als einem Lebendigen zu Grunde liegt. 108 Wir können uns hier wiederum auf Goethe') beruf en, der ganz klar das Verhaltnis von individueller Idee und ihrer Gestaltung an Shakespeares Arbeitsweise zu erlautern sucht: „So kam Shakspearen der erste Gedanke zu seinem ,Hamlet', wo sich ihm der Geist des Ganzen als unerwarteter Eindruck vor die Seele steilte, und er die einzelnen Situationen, Charaktere und Ausgang des Ganzen in erhöhter Stimmung übersah, als ein reines Geschenk von oben, worauf er keinen unmittelbaren EinfluB gehabt hatte, obgleich die Möglichkeit, ein solches Apercu zu haben, immer einen Geist wie den seinigen voraussetzte. Die spatere Ausf ührung der einzelnen Scenen aber und die Wechselreden der Personen hatte er vollkommen in seiner Gewalt, sodaB er sie taglich und stiindlich machen und daran wochenlang fortarbeiten konnte, wie es ihm nur beliebte." Wir kommen nunmehr zum Letzten und Höchsten: es ist ja immer vermessen von den Menschenkindern, in das Mysterium des letzten Seins zu dringen, und so wollen wir nur mit Demut in den Vorhof des Allerheiligsten treten. - Wenn wir mit Genie jenen besonderen Typus des Menschen bezeichnen, in dem sich eine Wechselwirkung von Endlichem und Unendlichem vollzieht, so handelt es sich beim Endlichen um einen Mikrokosmos; findet die Vereinigung des Unendlichen mit dem Makrokosmos statt, so ist dieses eine Leistung des Weltgeöies, d. h. Gottes. In Gott sind somit alle Gegensatze und auch der Gegensatz von Unendlichkeit und Endlichkeit gelost; er ist absolute Identitat. Alle Gegensatze sind in der scharfsten Form in Gott vorhanden und doch zu inniger Einheit verschmolzen. i) Eckermann L c. 3,167. 109 Aber es ist ein Irrtum anzunehmen, wie es vielfach auch von den Romantikern geschehen ist, daB die Aufhebung der Gegensatze ein Stillsein, eine tatenlose Ruhe, eine ganzliche BewuBtlosigkeit, ja einen Nullpunkt bedeute.i) Wir haben ja gesehen, daB aus der Synthese der Gegensatze gerade das Leben in der höchsten Form, die Produktivitat im starksten Sinne hervorgeht. Wenn auch alle Gegensatze in dem göttlichen "Geist aufgehoben sind, so bedeutet eben dieses das Schöpferische im absoluten Sinne und totalen Umfange. Da der ProzeB der Verschmelzung von Endlichem und Unendlichem nie einen AbschluB gewinnen kann (weil eben das Unendliche unendlich ist), so ist Gott ewige, ununterbrochene Produktion, nicht Seiendes, Ruhendes. Gott ist die höchste Lebendigkeit; er ist die Urtat; er ist nichts Abseitsstehendes, Starres; denn es gibt keine Synthese der Gegensatze ohne schöpferische Produktion. So ist er die allgemeinste, letzte, ewige, höchste Synthese der Gegensatze: Schöpfung xax' ego^V. Goethe hatte ein richtiges Gefühl, als er den Logos des Johannisevangeliums mit „Tat" übersetzen wollte. Und Schleiermacher bemerkt in demselben Sinne: „Auch Gott kann in der Religion nicht anders vorkommen, als handelnd, und göttliches Leben und Handeln des Universums hat noch niemand geleugnet; und mit dem seienden und gebietenden Gott hat sie' nichts zu schaffen, so wie ihr Gott den Physikern und den Moralisten nichts frommt, deren traurige l) So lehnt auch Coleridge das „Absolute" Schellings als eine tote Identitat ab: „Existence is an eternal and infinite selfrejoicing, self-loving, with a joy unfathomable, with a love all comprehensive." Shawcross LXXV. 110 Mifiverstandnisse dies eben sind und immer sein werden."*) Aber noch eine Schwierigkeit besteht: wie ist es denkbar, dafi der Makrokosmos mit dem Unendlichen in eine Einheit eingeht? Denn der Makrokosmos hat als Endliches eine Ursache, und diese Ursache kann nichts anderes sein, als das Unendliche selbst, das ja die letzte Bedingung und Ursache alles Seins ist *— also ist das Endliche erst vom Unendlichen geschaffen worden. Aber warum verharrt das Unendliche nicht in absoluter Ruhe und Stille und tritt aus seiner Erhabenheit heraus? Auch hier kann uns das mensch liche Genie eine Parallele bieten. Grofie geniale Menschen zeigen vielfach einen Schaffensdrang, dessen Zweck und Ziel nicht durchsichtig ist — die Genies der Industrie und des Handels türmen Reichtum auf Reichtum, Feldherrn wie Alexander und Napoleon erobern ein Reich nach dem andern; unersattlich, unermefilich erscheint ihre Machtbegier; das Handeln und Schaffen wird Selbstzweck; es ist, als ob ein gewisses Etwas das Genie nicht zur Ruhe kommen lassen wolle, und wie im Kleinen so im Grofien: Gott mufi schaffen, und da Schöpfung2) nur möglich ist durch Verschmelzung von Unendlichem und Endlichem, so mufi 2) Beden S. 66. l) Wenn wir allerdings das Absolute, das Unendliche mit der TMiebe gleichsetzen, so ware einé Erklarung möglich. Das Absolute hat den Drang zur Liebe; es mufi daher einen Gegenstand der Liebe haben und sich in ein Endliches und Unendliches spalten, in ein Allgemeines und Besonderes, denn nur so kann Gott sein innerstes Wesen zur Geltung bringen. Die Liebe ist also jene geheimnisvolle Kraft im Unendlichen, die sich der Majestat entaufiert, um das endliche Kleid anzulegen. Es liegt daher dem Glauben, dafi Gott die Welt aus Liebe geschaffen hat, ein tiefer Sinn zu Grunde. 111 Gott sich selbst begrenzen und die Endlichkeit aus sich erzeugen, denn er ist der Weltdamon, dessen Eigenschaft es eben ist, zu schaffen urn des Schaffens willen. Und wenn wir fragen, was Gott zum Schaffen treibt, so können wir ebensowenig eine Antwort darauf geben, als wenn wir die Ursache der scheinbar zwecklosen Schaffenskraft der groBen Genies feststellen wollten; ja in letzter Linie bleibt das Leben an sich überhaupt das gröBte Geheimnis; das Leben hat scheinbar keinen anderen Zweck als sich selbst; und so steht über dem Grofien und Kleinen, über dem Verganglichen und Ewigen das Geheimnis des Lebens. — Was das Problem des Allgemeinen anbelangt, so ist Gott naturgemaB die Einheit der Allheit, d. h. alle Allgemein-Ideen finden ihre Vereinigung in Gott und sind aus Gott hervorgegangen. Gott ist die Voraussetzung der allgemeinen Ideen überhaupt. Diese bilden einen einheitlichen Weltorganismus, und das vitale Prinzip, die Seele dieses Weltorganismus, ist Gott selbst. So sind alle allgemeinen Ideen durch Gott bestimmt, aber sie erschöpfen Gott nicht — Gott ist die höchste potentielle Energie, die alle vorhandenen Allgemein-Ideen in sich schliefit, aber ebenso sehr die Möglichkeit neuer allgemeiner Ideen in sich birgt, ja bergen muB, denn Gott ist ununterbrochen tatig. ' So geht Gott nicht in der Welt in ihrer Universalitat, in ihrer höchsten Form und ihrem allgemeinsten Begriff auf: er ist zugleich diesseits und jenseits alles Seins. Die allgemeinen Ideen sind die Gestalt, in die sich die Gottheit ununterbrochen kleidet; die allgemeinen Ideen realisieren sich in den individuellen Ideen (z. B. das Genie in seinen Werken), und die individuellen Ideen finden ihre Form in den konkreten 112 Einzelwesen und Einzeldingen. So fiihrt eine Stufenleiter vom Höchsten bis zum Tiefsten. Das endliche Individuum erfüllt erst dann seine Aufgabe, kann erst dann den wahren Frieden erhalten, wenn es sich dieses Zusammenhanges bewuBt wird; und ich kann meine Aijsführungen nicht besser schliefien als mit einem der letzten Worte, die uns von Goethe überliefert sind: „Wenn man die Leute reden hört", sagt Goethe, „so sollte man fast glauben, sie seien der Meinung, Gott habe sich seit jener alten Zeit ganz in die Stille zurückgezogen, und der Mensch ware jetzt ganz auf eigene FüBe gestellt und müsse sehen, wie er ohne Gott und sein tagliches unsichtbares Anhauchen zurechtkomme. In religiösen und moralischen Dingen gibt man noch allenfalls eine göttliche Einwirkung zu, allein in Dingen der Wissenschaft und Künste glaubt man, es sei lauter Irdisches und nichts weiter als ein Produkt rein menschlicher Krafte. Versuche es aber doch nur einer und bringe mit menschlichem Wollen und menschlichen Kraften etwas hervor, das den Schöpfungen, die den Namen Mozart, Rafael oder Shakespeare tragen, sich an die Seite setzen lasse. Ich weiB recht wohl, daB diese drei Edeln keineswegs die einzigen sind, und daB in allen Gebieten der Kunst eine Unzahl trefflicher Geister gewirkt hat, die vollkommen ebenso Gutes hervorgebracht als jene Genannten. Allein, waren sie so groB als jene, so überragten sie die gewöhnliche Menschennatur in eben dem Verhaltnis und waren ebenso gottbegabt als jene. Und überall, was ist es und was soll es? — Gott hat sich nach den bekanntén imaginierten sechs Schöpfungstagen keineswegs zur Rune begeben, viel- 113 mehr ist er noch fortwahrend wirksam wie am ersten Diese plumpe Welt aus einf achen Elementen zusammenzusetzen und sie jahraus jahrein in den Strahlen der Sonne rollen zu lassen, hatte ihm sicher wenig SpaB gemacht, wenn er nicht den Plan gehabt hatte, sich auf dieser materiellen Unterlage eine Pflanzschule für eine Welt von Geistern zu gründen. So ist er nun fortwahrend in höhern Naturen wirksam, urn die geringeren heranzuziehen".i) Zusammenfassung. Wir haben die drei Formen der Romantik geschieden: die Romantik als Intuition, die Romantik als Wille, die Romantik als Produktivitat. Das Unendliche kann durch die Imagination als Seiendes erkannt werden (intuitive Romantik); das Unendliche kann gewollt werden, d. h. eine Vereinigung mit dem Unendlichen begehrt und verlangt werden (voluntative Romantik); und das Unendliche kann durch das Genie zur Tat werden (produktive Romantik). Im ersten Fall ist die Unendlichkeit ein Sein, ein Dasein das erschaut wird; im zweiten wird das Unendliche als die gleiche Kraft gefühlt, die auch im Endlichen lebtd. h. also als Liebe; im dritten Fall ist das Unendliche etwas ununterbrochen Tatiges. Das Verhaltnis vom Endlichen zum Unendlichen gestaltet sich verschieden je nach dem Typus des romantischen Geistes. Für die intuitive Betrachtungsweise ist das Endliche nun eine Form der Unendlichkeit, das Kleid des Unendlichen; in der voluntativen ') Eckermann UI, 265. Deutschbein, Das Wesen des Komantisehen. 8 114 Romantik wird das Endliche zu einer individuellen Idee des Unendlichen; in der produktiven Romantik wird das Endliche (= Genie) eine allgemeine Idee des Unendlichen. Daraus ergibt sich, daB in der intuitiven Romantik eine totale Wesensverschiedenheit von Unendlichkèit und Endlichkeit existiert; in der voluntativen Romantik eine Gleichartigkeit und Ahnlichkeit der beiden; und in der produktiven Romantik eine Identitat von Unendlichkèit und Endlichkeit vorhanden ist. Auch die Wertung des Endlichen ist entsprechend verschieden. Die voluntative Romantik neigt zu einer Ab- und Entwertung des Endlichen, wahrend die produktive Romantik zu einer vollen Würdigung des Endlichen gelangt; hingegen ist das Endliche bei der intuitiven Romantik eine Notwendigkeit, mit der sich der Einzelne abfinden muB, und mit der er sich auseinandersetzen muB, ohne berechtigt zu sein, ein Werturteil zu fallen. Noch ein kurzes Wort über das psychologische Verhaltnis der in der Romantik wirkenden Krafte. Setzt sich die Imagination aus Anschauung und Gefühl zusammen, so entsteht der Eros aus einer Verschmelzung von Imagination und dem zum Affekt gewordenen Gefühl: und verbindet sich der Eros mit einer starken Willenskraft (volition) zur Gestaltung und zur Objektivierung, so erhalten wir das DamonischGeniale. Daraus ergibt sich folgendes Schema: Anschauung \ Imagination l Eros | Damonisch- Gefühl ) Affekt J Volition/ Geniale. Es ist zu beachten, daB Gefühl-Affekt-Wille eine sich steigernde Entwicklungsreihe darstellen. 115 Ausblick. Die Wesensschau.des Romantischen haben wir bis zu ihrem auBersten Ende durchzuführen versucht: wir wenden nunmehr unsere Blicke zur empirischen Romantik. Zweifellos wird der Kenner derhistorischen Romantik, besonders der deutschen, gegen das von uns gezeichnete Bild des Romantischen Widerspruch erheben; und wir müssen zugeben, daB dieses Bild in vielen, ja in wesentlichen Punkten von der bishérigen Auffassung des Romantischen abweicht. Aber man muB sich immer wieder vor Augen halten, daB die „Idee" des Romantischen nicht in der Summe der empirischen romantischen Einzelphanomene aufgeht. Weiter kommt hinzu, daB die menschlichen GefaBe, die von dem Strom des romantischen Geistes erfüllt wurden, sich vielfach als zu schwach und widerstandslos erwiesen, woraus sich auch das Fragmentarische, Sprunghafte, Apercuhafte erklart, dasnamentlich den deutschen romantischen Dichtern vielfach anhaftet und das m. E. zum Teil auch die These von der romantischen Ironie hervorgerufen hat. Schon Gundolf hat hier das Richtige gesehen; er erklart- 0 „Die Romantik hat sich nicht in groBen Menschen erfüllt und nicht in Werken ihr eigentümliches Leben zusammendrangen und festhalten können. Nur dichterische und gedankliche Bruchstücke geben uns Kunde von ihr als einer - weit über ihre Ergebnisse hinaus — emdringhchen und umfassenden Bewegung, wie an- Jena)1907Diriker':Briefe' heraUsgegeben von P- Gundelfinger, 116 gespülte Trümmer vom Sturm. Man hat in diesen Trümmern die Bewegung selher sehen und sie danach werten wollen. Aber alle von ihr übernommenen Schlagworte und Eichtungen, die Bereicherungen, die man aus ihr ziehen durfte — die Kenntnis ausMndischer Literaturen oder das Wiedererwachen des Deutschtümlichen — sind nicht ihr Wesen, sondern Begleiterscheinungen, die letzten dunnen, bis ins BewuBtsein geschlagenen Wellen der Wirbel, denen sie entstieg." Entspricht so kaum die Gesamtheit der empirischen Erscheinungen, geschweige denn eine einzige empirische Erscheinung der „Idee" des Romantischenf so muB auf der anderen Seite betont werden, dafi selten ein einzelner Mensch in seiner Totalitat vom romantischen Geiste erfafit wird/meist sind es nur gewisse Teilgebiete des seelischen Lebens, in denen das Eomantische zum Leben kommt: so stark z. B. Shelley vom romantischen Wesen erfüllt ist, so wenig ist er es als Politiker; hier, bleibt er in den Traditionen der französischen Eevolution stecken; hier bleibt er ein politischer „Stürmer und Dranger". Ahnlich betont Meinecke,«) dafi Fr. Schlegel als politischer Denker urn 1796 noch der unromantischen Welt angehört, wahrend er als Dichter und Asthetiker schon ganz neue Bannen wandelt. Aber wir müssen von dem gewonnenen Standpunkt aus noch einen Schritt weitergehen: wir müssen uns fragen, wie weit ein Künstler oder Philosoph das Eecht hat, zu den Komantikern gerechnet zu werden. Für Scott und Byron, die in vielen Literaturgeschichten als Hauptreprasentanten der englischen Romantik auf- >) Wéltbürgertum und Nationalstaat* S. 76. 117 treten, müssen wir dies vernemen — ihnen feblen zwei Voraussetzungen des Romantischen: einerseits fehlt beiden die „imagination" (sie besitzen nur fancy; diese allerdings, namentlich Scott, im hohen Mafle); andrerseits besitzen sie kein Organ für das Metaphysische. Byron gehort noch in die „Sturm und Drang"Periode, und der damonische Zug seines "Wesens kann nicht dem Romantischen ausschlieBlich zugerechnet werden. W. Scott hingegen huldigt einem historischen Realismus; bei ihm erscheint das Romantische nur als Ornament, Staffage, Aufputz. Ganz richtig hat dies auch Coleridge erkannt; er bemerkt: i) „Iflwere called upon to form an opinion of Mr. Scott's poetry, the first thing I should do would be to take away' all his names of old castles, which rhyme very prettily, and read very picturesquely; then, I would remove out of the poem all the old armour and weapons; next, I would exclude the mention of all nunneries, abbeys, and priories, and I should see what would be the residuum — how much poetry would remain." — Auch Thackeray hat den Gegensatz zwischen dem eigentlichen Romantiker und W. Scott und Byron empfunden: er lafit in seinen Newcomes"1) eine altere Generation nicht nur für die Pseudoklassizisten, sondern auch für Byron und Scott schwarmen, wahrend die jüngere Generation sich andere Götter erwahlt hat; sie schwört auf Shelley, Keats und den jungen Tennyson; Byron ist für sie no great poet, though a very clever man; Sir Walter Scott a poet of the second order. ') Lectwres and Notes on Shalcespeare, ed. by Ashe, London 1907, S. 15. 2) Tauchnitz-Ausg-abe II, 58 f. 118 Und unsere Literarhistoriker werden sich bequemen mussen, in ihrem asthetischen Urteil der jungen Generation von 1835 Eecht zu geben, wenn sie nicht auf eine klare Definition und Abgrenzung des Komantischen überhaupt verzichten wollen. Aber auch für die romantischen Denker und Dichter im engeren Sinne wird es notwendig sein, festzustellen, in welchem MaBe. und in welcher Art der romantische Geist in ihnen zur Wirksamkeit und Entfaltung gelangt ist: hier liegen m. E. grofie Zukunftsaufgaben der Literaturwissenschaft vor. Noch eine zweite grofie Aufgabe harrt der Lösung: es ist das Formenproblem der Romantik. Nichts ist verhangnisvoller für das Verstandnis der Romantik gewesen als das Schlagwort von dem Formlosen, Zerfliefienden der Romantik. Im Gegenteil kann nicht genug betont werden, daB die Romantik sich genau so ihre eigene Form geschaffen hat wie die Klassik, eine Form, die auf das engste mit der geistigen Struktur des Romantischen zusammenhangt. Ich kann hier nur kurz andeuten, in welcher Richtung sich das Formenproblem der Romantik bewegt: L Synthese der Mannigfaltigkeit der Künste (z. B. von Musik und Poesie oder Poesie und Malerei). 2. Innerhalb der literarischen Kunst: Synthese der Mannigfaltigkeit des Dramatischen, Lyrischen und Epischen (daher lyrische Dramen, Marchendramen, Vorliebe für Ballade und Volkslied). 3. Synthesen der verschiedenen Sinnesempflndungen (sog. Synasthesie).1) >) Vgl. darüber die vorzügliche Arbeit von Erika von Siebold, Englische Studiën Bd. 53. 119 4. Bevorzugung des Malerischen (Picturesque) im Sinne von Wölfflins „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen". 5. Betonung und Wertung des Musikalischen. . 6. Neue Auffassung des Substanzbegriffes und der Kausalitat 7. Betonung des Individuellen (jedes Kunstwerk verlangt eine eigene individuelle Form, die seinem immanenten Wesen angemessen ist). Wahrend die Punkte 1—3 mit der Synthese des Mannigfaltigen zusammenhangen, die die romantische Kunst erstrebt, handelt es sich bei Punkt 4—7 urn eine Gestaltung, Objektivierung der Synthesis der Gegensatze, auf der ja das Wesen des Romantischen besonders beruht. 120 . Benutzte Textausgaben. S. T. Coleridge, The Complete Poetical Works, edited with Textual and Biographical Notes by E. H. Coleridge, 2 Vol. Oxford 1912. S. T. Coleridge, Biographia Literaria, edited with his Aesthetical Essays by J. Shawcross, 2 Vol. 1907. Eckermann, Gesprache mit Goethe, hrsg. von Moldenhaner (Reclam). Fichte, Werke, hrsg. von Medicus, Leipzig 1911/12. Kant, Kritïk der reinen Vernunft2, hrsg. von Kehrbach (Eeclam). Kant, Kritik der Urteïlskraft, hrsg. von Kehrbach (Reclam). Novalis, Schriften, hrsg. von Ernst Heilborn, Berlin 1901. Schelling, Werke, hrsg. von K. F. A. Schelling, Stuttgart 1859 (zitiert Werke), Schelling, Werke, hrsg. von Otto Weifi, Leipzig 1907 (zitiert WeiB). Schlegel, Friedrich, Prosaische Jugendschriften, hrsg. von J. Minor, Wien 1906. Schlègel, August Wilhelm, Vorlesungen = Deutsche Literaturdenkmaler dt.s 18. und 19. Jahrhunderts, Bd. 17. Schleiermacher, Über die BeUgion, Beden an die Ge- bildeten usw., neu hrsg. von Rud. Otto, 3. Aufl., Göttingen 1913. Schl eiermacher, 3/Lonologen und W^eihnachtsfeier, nen hrsg. von O. Braun, Leipzig 1911. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, hrsg. von E. Grisebach (Reclam). Shakespeare, Works, ed. by Herford (Eversley Edition). P. B. Shelley, Complete Poetical Works, edited with Textual Notes by Th. Hutchinson, Oxford 1917. Tieck und Wackenroder, hrsg. von J. Minor = Deutsche Nationalliteratur Bd. 145. Wordsworth, Poetical Works, edited by W. Knight, London 1896. Druck von . J*23|r « Kielichmann, Halle (Saaie)