DAS SEXUALLEBEN in seiner Biologischen Bedeutung als ein Hauptfaktor zur Lebensenergie für Mann und Weib, für die Pflanzen und für die Tiere»;^É^| Der neuen Generatton gewidmet die die Liebe nicht als et was unreines will, sondern als die schönste Blüte unseres Lebens. VON Dr. med. J. RUXGERS. LOCHEM, HOLLAND. DAS SEXUALLEBEN in seiner Biologischen Bedeutung als ein Hauptfaktor zur Lebensenergie für Mann und Weib, für die Pflanzen und für die Tiere. Der neuen Generation gewidmet die die Liebe nicht als etwas unreines WÜI, sondern als die schönste Blüte unseres Lebens. VON Dr. med. J. RUTGERS. LOCHEM, HOLLAND. Vorwort* Die vorliegende Arbeit ist weder eine Sexualhygiene noch eine sexuelle Moral; sie will erst durch eine bessere Einsicht in das Wesen des Sexuallebens, für beide einen festen Boden schaffen. Nur zu wenig hat man es gewagt das Geschlechtsleben in seinem tiefsten Wesen zu begründen, die ganze Kausalitatskette von den winzigen materiellen Vorgangen an bis zum höchsten Idealismus der Leidenschaft zu ermitteln, wodurch es überhaupt erst möglich sein wird, diesen Erennpunkt unserer ganzen Existenz zu unserm vollen Bewusstsein zu bringen und alle seine Motive zu beherrschen. Dass man dies bis jetzt noch immer nicht recht gewagt hat, war nicht nur wegen Prüderie ; aber die Sexualerscheinungen passen so wenig in dem Rahmen der sonstigen Wachstumserscheinungen, dass man auch in wissenschaftlicher Hinsicht immer damit in der grössten Verlegenheit verkehrte und sich niemals recht herausgefunden hat. Es wird hier jetzt ein Versuch gewagt, um dieser wichtigsten Offenbarung des Zellenlebens auch einmal ihre richtige Stelle im Rahmen der biologischen Wissenschaft einzuraumen. Dann erst eröffnen sich viele neue Perspektive. 4 Die vergleichende Methode wjrd uns dazu den Zauberschlüssel liefern, wie sie überall eine bessere Einsicht herbeigeführt hat. Nicht nur wollen wir nach Kraften versuchen immer das Gesammtgebiet zu überbliéken, wie diese Funktion sich bei Mann und Weib, bei den Pflanzen und bei den Tieren verhalt, sondern weil ja diese Funktion gewissermassen doch auch eine sekretorische Funktion ist, wollen wir uns sogar nicht scheuen, sie auch mit unsern anderen ebenfalls sekretorischen Funktionen vergleichend zu studieren, wodurch dann wieder manches aufgeklart wird. Da stellt es sich aber erst recht heraus, dass zwar in sekretorischer Hinsicht eine grosse Anlichkeit der sexuellen Funktion mit den andern Sekretionen vorliegt, dass aber das Sexualleben seinem tiefsten Wesen nach, auf eine Neubildung einzelliger Organismen beruht, und dadurch von der normalen vegetativen Entwicklung sehr wesentlich abweicht. Es ist gerade dieser prinzipielle Gegensatz zwischen der sexuellen Neubildung und dem gewöhnlichen vegetativen Wachstum, der sowohl anatomisch wie physiologisch grosse Streitigkeiten hervorruft, Streitigkeiten die wir dann auch psychisch als sittlichen Kampf empfinden. Diese Neubildung von Einzelzellen ist eben das Wichtigste am Sexualleben, und es muss also diese besondere Art von Neubildung auch mit andern bekannteren Neubildungen, die sexuelle Abweichung des vegetativen Wachstums auch mit andern Abweichungen des normalen Wachstums vergleichend studiert werden, was wir denn auch namentlich im Kap. 5 und im Kap. 40 *) tun werden. Es ist erst eine so konsequente Durchführung der vergleichenden Methode, die uns manches erhellt das sonst niemals verstanden werden kann. Natürlich stösst man nebenbei auf viele schon langst veraltete Irrtümer und auf manches zahe Vorurteil. Diesen Widerstand aber zu überwinden ist an und für sich schon eine lohnende Aufgabe. Dadurch wird ein solches Studium erst recht wertvoll für die eigene individuelle Ausbildung, und sogar unentbehrlich für diejenige Arzte, Geistliche und Lehrer, die auch dem intimeren *) So lange Kap. 40 noch nicht erschienen ist, lese man meinen Vortrag: Ursprang und Wesen des Sexaallebens in der Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. LXV. (1920). Red. Prof. Dr. Hans S c h i n z, Botanischer Garten, Zürich. 5 Leben der Massen Führung geben wollen; was aber bis jetzt fast immer daran scheiterte, dass sie selbst auf diesem Gebiet nicht tüchtig genug unterlegt waren. Wurde ja bis jetzt, sogar in unsetn medizinischen Lehrbüchern die sexuelle Leidenschaft mit ihren feinern einschneidenden Problemen, fast ganz ignoriert. Und doch fühlt jeder Erwachsene in seinem eigenen Innern nur zu tief, dass es sich hier um die wichtigsten . Reizmotive unseres Lebens handelt, entscheidend über Glück oder Elend, über Gesundheit oder Siechtum. Da mussten wir dann immer als Arzt in unserer Praxis erst alles nachholen, was uns an der Universiteit leider vorenthalten wurde. Die Erfahrungen auf welche ich mich ' stütze, habe ich als Familien-arzt in einer grossen Stadt (Rotterdam) gesammelt, aber erst nachdem ich meine Praxis niedergelegt, fand ich die erforderliche Müsse, das Material zu verarbeiten. Ich habe mich dabei bemüht alles in einer Form darzustellen die auch gebildeten Laien zuganglich sein dürfte. Wie viele Unverheiratete giebt es ja die sich mit ihrer Leidenschaft, wie viele Verheiratete die sich in ihrer Ehe nicht zurecht finden können ; wie viele Eltern die gerne ihre Kinder gewissenhaft erziehen mochten, wenn sie selbst nur wussten wie ! Was dann in jedem Abschnitt für Sachkundige wichtig ist, und was nur für Laien zur Orientierung hinzugefügt wurde, kann jeder für sich leicht ausfindig machen. Namentlich der erste Anfang des Buches musste zum Zweck der Allgemeinverstandlichkeit möglichst elementar gehalten werden; auch ist für Laien eine kleine Liste von medizinischen Fremdwörtern hinzugefügt worden. Es ist ja die schönste Errungenschaft der modernen Demokratie, dass nach Muster der Volksuniversitat, alle Probleme die für unsere Lebensführung und für unser Lebensglück dienlich sind, immermehr Gemeingut aller Individuen werden sollen, anstatt ein Privilegium der höher Studierten zu sein. Auch bietet diese Gemeinverstandlichkeit noch andere Vorteile ; denn öfters, wenn man nur erst die traditionellen technischen Ausdrucksweisen meidet, da fühlt man erst recht das Bedürfniss besser begründeter Vorstellungen. 6 Bis jetzt ist man bei dem wissenschaftlichen Studium des Sexuailebens immer dadurch irregeführt worden, dass man eigentlich nur die Prokreation als Endzweck ins Auge fasste, und das primare Ergebniss, den Reiz der Wollust dabei bloss^als Nebensache betrachtete, wahrend doch in Wirklichkeit der Sachverhalt oft gerade umgekehrt liegt. Um diesen Fehler prinzipiell zu meiden, und jetzt auch einmal den Reiz der Wollust in seiner biologischen Bedeutung zu würdigen, habe ich in der vorliegenden Arbeit nicht^Én'erster Linie das weibliche, sondern vielmehr das mannliche Sexualleben als Ausgangspunkt genommen; umsomehr als beim Manne wegen der mehr oberflachlichen Lage der betreffenden Organe, das Sexualleben in seinem materiellen Zusammenhang jvon vorneherein mehr offen zu Tage tritt, wahrend beim weiblichen Organismus^der Zusammenhang seelischer Gefühle und körperlicher Bedürfnisse viel weniger offenbar zum Bewusstsein kommt, oft sogar von 'hr selbst kaum geahnt wird. Für die Frau ist die Liebe ein verschleiertes Geheimniss, für den MannT eine nackte Wahrheit. Als Studienobjekt wahle ich allererst die nackte Wahrheit. Wie ihrerseits die Frau diese Lebensimpulse empfindet, wird sie dann selbst wohl weiter ermitteln und der Offentlichkeit kond geben. Lochem, Holland 1921. Dr. J. RUTGERS. 7 Inhaltsverzeichniss» *) Heft L Die Ausbildung der Organe. (Anatomischer Teil). 1. Die zwei Urquellen unseres Sexuallebens. 2. Handelt es sich hier um Drüsen oder um Geschwülste? 3. Die Embryologie der Geschlechtsdifferenzierung mit Anhang über Hermaphroditismus. 4. Die Organochemie der Geschlechtsdifferenzierung mit Anhang über Hermaphroditismus. 5. Die neue Zellenbildung von den Pubertatsjahren an mit Anhang aus dem Pflanzenleben. 6. Die Weiterbeförderung der neu gebildeten Zeilen. 7. Der Hochzeitflug dieser neuen Zellengeneration mit Anhang aus dem Pflanzenleben. 8. Die Bauchhöhle und ihre Muskelwand. 9. Der Genitalkanal a. Der Weibliche Genitalkanal. b. Der Mannliche Genitalkanal. 10. Der untere Abschnitt des Genitalkanals als Kopulationsorgan. 11. Eichel und Vorhaut. 12. Die Beschneidung. 13. Hygiënische Pflege der ausseren Organe. *) Die Seitenzahlen konnten hier nicht beigefügt werden, wei) wegen Mangel an Kapital vorlaufig nur das erste Heft gedruckt werden konnte. Sobald aber meine Ersparnisse es erlauben werden, will ich nach und nach auch die anderen 5 Hefte, die im gleichen Umfang fertig liegen, drucken lassen. Universiiats- und andere öffentliche Bibliotheken können bis auf weiteres, ein Gratis-ex. anfragen. Lochem, Holland. Dr. med. ]. RUTGER5. 8 Heft II. Die Geschlechtsfunktion. (Physiologischer Teil.) 14. Einleitung. 15. Der verschiedene Ursprung der drei verschiedenen sekretorischen Produkte. 16. Die Darmsekretion, 17. Die Harnsekretion. 18. Die Spermasekretion. 19. Unrein? 20. Kongestive Wirkung und psychische Einflüsse. 21. Erektion und Kuiminationspunkt. 22. Die sekretorische Funktion des Weibes. 23. Der Zweck des Geschlechtslebens. 24. Derivantia und ein Aderlass. 25. Die biologische Bedeutung der Massage. 26. Gesteigerte Lebensenergie. 27. Materielle Hindernisse beim Begattungsakt. 28. Gesellschaftliche Beschrankungen des SexuallebenS. 29. Wenn alles sich günstig gestaltet! Heft. III. Selbstbeherrschung. (Ethischer Teil.) 30. Einleitung. 31. Die Beherrschung unserer Spermabildung. 32. Die Beherrschung unserer Spermasekretion. 33. Die Erhöhung unserer Widerstandsfahigkeit. 34. Die Beherrschung unseres eignen freien Willens. 35. Suggestion und Hypnose. 36. Sexuelle Traume. 37. Sexuelle Erziehung. 38. Sexuelle Aufklarung. Heft IV* Entwicklungsgeschichte. (Biologischer Teil.) 39. Einleitung. 40. Das erste Auftauchen der sexuellen Wachstumsmodifikation. 9 41. Die Entwicklung der Gehirnorgane und der Sexualorgane aus gleichwertigen Segmenten. 42. Die Entwicklung der Sexualempfindung. 43. Von kaltblütig zu warmblütig. 44. Von einer beschrankten Brunstzeit zum dauerhaften Geslechtsleben. 45. Vom Gruppenverhaltniss zur Privatangelegenheit. 46. Von der Sklavin des Mannes zu seiner Lebensgefahrtin. 47. Das Liebeswerben. 48. Vom Paradiesesfluch zur bewussten Mutterschaft. 49. Unsere höhere DifFerenzierung. 50. Sexualstolz und Sexualkampf. Heft V. Liebesleben. (Psychologischer Teil). 51. Einleitung. 52. Das kindliche Alter. 53. Liebe in den Kinderjahren. 54. Die sexuelle Zartlichkeit. 55. Das erste Erwachen der sexuellen Leidenschaft. 56. Der Gipfelpunkt unserer Lebensenergie. 57. Harmonische Befriedigung und deren psychische Hindernisse. 58. Verschiedene Abstufungen der Sexualitat. 59. Hetero-, Homo- und AmbisexualitSt. 60. Anfang des Alterns. 61. Alterszerfall. 62. Die Lebenskurve. Heft VL Verstümmeltes Geschlechtsleben. (Pathologischer Teil). 63. Einleitung. 64. Ubermass. 65. Elende Ersatzmittel. 66. Abstinenz. 67. Sublimierung. 68. Entartung. 69. Schamgefühl. 70. Schluss. Unseres Lebens Sonnenschein. Heft L DIE AUSBILDUNG DER ORGANE. ANATOMISCHER TEIL. 1. Die zwei Urquellen unseres Sexuallebens. Ursache der meisten Irrtümer ist nicht die absolute Unwissenheit, sondern eine unklare Vorstellung gerade derjenigen Sachen die man ganz besonders gut zu wissen meint. Namentlich gilt dies auf sexuellem Gebiet. Eine möglichst einfache, klare Darstellung allererst der materiellen Grundlage muss also immer vorangeschickt werden. Die materielle Grundlage und der Ausgangspunkt unseres ganzen Sexualwesens mit all seinem Wohl und Weh, mit seinen tiefen Erschütterungen und Leidenschaften, stammt aus zwei winzigen Organen, zwei kleine Geschwülste die im erwachsenen Körper die Fortpflanzungszellen liefern; es sind dies wie jeder Erwachsene weiss, beim Manne die beiden Testes, Hoden oder Testikel, hart und rund, so gross wie ein Fingerglied, die die Spermazellen liefern, beim Weibe die beiden Ovarien oder Eierstöcke, von Form und Grosse wie eine grosse Rosine, die die Eizellen liefern. Beiderlei Organe werden öfters unter dem gemeinsamen Namen : „Keimdrüsen" oder „Geschlechtsdrüsen" zusammen gefasst; aber es ver-knüpfen sich mit dieser Benennung so viele Irrtümer, dass wir im nachsten Kapitel noch ausführlich darauf zurück kommen wollen. Von der anatomischen Struktur der Testikel handeln wir sogar erst im sechsten Kapitel, weil wir vorher noch einige Kapitel brauchen, um die ganz einzige Bedeutung dieser Organe in embryologischer und in chemischer Hinsicht naher zu prazisieren, wodurch es erst recht erklarlich wird, wie spater im erwachsenen Leben, diese Organe überhaupt eine so wichtige Rolle spielen können. Es sind ja die Testes, resp. die Ovarien, die einzigen für den Geschlechtsunterschied entscheidenden Organe, weil sie es sind die die Fortpflanzungszellen liefern, und auch sonst schon wegen der spezifischen chemischen Bestandteile die von ihnen her in unsere Zirkulation eingeführt werden. Wird also ein Kind 12 geboren von dem man wegen unvollkommner Anlage nicht zu entscheiden wagt, ob es als Knabe oder als Madchen vom Standesambt registriert werden muss, so ist nach dem Tode dies Ratsel fast immer noch zu lösen, je nachdem bei der Obduktion Testes mit Spermazellen, oder Ovarien mit Eizellen gefunden werden. Meistens stellt es sich dann heraus, dass es sich um ein unvollkommen entwickeltes mannliches Individuum handelt, wo man den stark zurück gebliebenen Penis mit verkürzter Urethra irrtümlich für eine Klitoris mit einer weiblichen Urethra, und die leeren Falten des Skrotums für Schamlippen gehalten hat. Daher stammen auch alle jene Mirakeln im Mittelalter, wobei ein Madchen auf einmal in einen Jungen verwandelt wurde; wir würden sagen, dass ein gewahntes Madchen sich in den Pubertatsjahren oder spater, als ein wirklicher Junge entlarvte. Das sonderbarste aber mit den Testikeln ist wohl, dass sie aus der Bauchhöhle wo sie srth bildeten, auswandern, und dann unten am Körper einen besondern Auswuchs bilden. Ebenso wie beim Weibe die Ovarien, bilden sich anfangs beim Manne die Testikel ziemlich hoch in der Unterleibshöhle rechts und links von den Lendenwirbeln, also etwa da, wo beim erwachsenen Menschen immer noch der Schwerpunkt des ganzen Körpers liegt. Aber bei den höheren Saügetieren und so auch beim Menschen, verlassen die Testikel schon vor der Geburt ihre ursprüngliche Lage, und rutschen wie eine Hernie immer mehr herunter, wobei sie sogar zwischen den Muskelfasern der Bauchwand hindurch sich einen Weg bahnen, immer mehr das Bauchfell vor sich ausstülpend und niemals die Haut durchbohrend, bis sie zuletzt der Leistengegend entlang, von rechts und links fast zusammenkommend, ganz unten am Körper zwischen den Beinen in zwei Hautfalten sich herabsenken. Es sind diese Falten eine Fortsetzung der Gesassfalten, und zwar die namlichen Falten, die sich beim Weibe zu den zwei grossen Schamlippen ausbilden, die aber beim Manne mit den Testikeln beladen, zu einem einzigen Sackchen, wenn auch mit einer innern Scheidewand, zusammenwachsen, das dann Skrotum, Hodensack genannt wird. Die Naht in der Medianlinie des Körpers wo die beiden Halften des Skrotums zusammen gelötet sind, ist auch beim erwachsenen Manne immer noch deutlich zu erkennen. 13 In dem Sackchen sind die beiden Testikel leicht durchzufühlen ; so auch beiderseits der Abführkanal (der Samenkanal) der sich wie ein dünner harter Strang anfühlt. Zum Glück hangen die beiden Testikel im Sackchen fast nie auf der gleichen Höhe, sonst würden sie sich nur zu oft gegenseitig drücken, was dann sehr peinlich ware. Es kann uns dies auch gar nicht wundern; sie haben sich ja auch schon im intra-uterinen Leben neben einander fügen müssen. Von vorne, d. h. also en face gesehen, wird das Sackchen von einer Verlangerung des Harnkanals, dem Paarungsorgan (mannliches Glied, Penis), einigermassen verdeckt *). Beim Madchen senken sich die Ovarien auch schon vor der Geburt ein wenig, und kommen dann etwa auf die namliche Höhe wie die obere Grenze des Schambeins zu liegen. In seltenen pathologischen Fallen quellen sie sogar in die Leistengegend wie eine Hernie unter der Haut empor; una noch viel seltener rutschen sie schliesslich, wie beim Knaben die Testikel, bis in die betreffende Schamlippe herab. Auch die Nieren, die wie wir weiter sehen werden, embryonal den Testikeln so nahe verwandt sind, dislozieren sich öfters; man spricht dann von Wandernieren ; sie sind aber allerdings zu gross um je aus der Bauchhöhle herauszuschlüpfen. Es ist nicht zu verkennen, das die Art und Weise wie so ein Testikel disloziert wird, ganz und gar den Eindruck eines pathologischen Vorganges macht, analog der Bildung einer Leistenhernie, oder richtiger gesagt, wie eine doppelseitige Skrotalhernie (Sackbruch). Eine Hernie oder ein Bruch ist ja im Allgemeinen eine kleine Darmschlinge oder ein sonstiger kleiner Eingeweidepartikel *) Weil die Testes beim herunterrutschen oberhalb des Schambeins austreten, der Harnkanal aber unterhalb desselben nach aussen hervortritt, würde man eher erwarten, die Hoden sollten sich an der Vorderseite des Gliedes einnisten, und das Skrotum sollte also vor dem Penis sich entwickeln 1 Dem ist aber nicht so. Denn vor der Geburt ist die Frucht in der Gebarmutter zusammengeballt, und liegt auch das Glied wie die beiden Oberschenkel der vordern Bauchwand knapp an ; wenn also die Testes die Bauchwand passieren, passieren sie auch das Glied, und wölben sich erst an dem untern Pole des Körpers zwischen Penis und Anus hervor. So wachsen sie an einander vorüber. Sie haben doch schon eine Neigung sich zu kreuzen, weil sie beide von der entgegengesetzten Seite heranwachsen: die Urethra wachst ja an der unteren Seite des Schambeins entlang nach vorne und nach oben, die Testikel versenken sich oberhalb des Schambeins unter der Haut entlang, nach unten. 14 der, nicht zufriedèn mit seiner Stelle in der Bauchhöhle, dem innern Abdominaldruck nachgebend, nach aussen zu entwischen sucht; auch immer das Bauchfell vor sich ausstülpend und niemals die Haut durchbohrend. Findet man eine solche Hervorwölbung in der Nabelgegend, da spricht man von einer Nabelhernie; findet man sie aber in der Beugefalte zwischen Unterleib und Oberschenkel, welche Beugelinie „Leiste" genannt wird*), dann nennt man sie eine Leistenhernie. Diese hat dann bloss den Weg 'gefolgt, der ihr schon vor der Geburt von dem Testikel angebahnt wurde. Es kann sogar so eine Leistenhernie auch ebenso wie damals der Testikel seinen Weg weiter verfolgen und noch weiter nach unten herunterrücken, bis sie beim Madchen in die betreffende grosse Schamlippe, beim Knaben als eine Skrotalhernie (Sackbruch) in die betreffende Skrotumhalfte zurecht kommt. Namentlich bei altera Mannern kann, wenn es einmal so weit gekommen ist, die eine Darmschlinge der andern nachfolgen bis schliesslich, wenn nicht abgeholfen wird, fast alles Eingeweide kindeskopfgross wie eine Riesengeschwulst im Skrotum zusammen geballt liegt. Gewiss ein sehr unbeliebiger Zuschlag zu dem Descensus Testiculi! Zum Glück kommt es aber meistens nicht so weit. Im Gegenteil, die grössten Gefahren drohen anfangs, wenn der Bruch kaum noch zwischen den Bauchmuskelfasern hindurch geschlüpft ist, diese aber ihm dann den Rückweg abschneiden, und sein Stiel, den Brachhals, einklemmen d. h. ihm die Blutgefasse und Nerven abschnüren. Da wird der Patiënt von einem dumpfen Schmerzen, von Angstgefühl, Schwindel und Uebelkeit befallen, ein Kollaps wie beim Herannahen des Todes, oft ohne zu ahnen was ihm fehlt. Es ist desshalb noch als ein Glück zu betrachten, dass die Bauchmuskulatur in der Leistengegend so dünn und wenig resistent ist, weil sonst dies fatale Ereigniss noch wohl viel öfters eintreten würde ; es sei denn, dass die Muskulatur so straff ware. dass gar nichts hiniurch schlüpfen könnte. Mag also auch die Dislozierung der Testikel ursprünglich vielleicht ein pathologisches Ereigniss gewesen sein, so muss man *) Wie man am Oberarm von Achsel spricht. 15 doch anerkennen dass dieses Heraustreten der beiden Testikel an die Offentlichkeit, in der Entwicklungsgeschichte als ein wichtiger Moment ersten Ranges zu betrachten ist. Es wurden diese Organe dadurch auf einmal viel mehr wie früher der Fajl war, ausseren Reizen und willkürlichen Reizen ausgesetzt, wodurch das mannliche Sexualleben bedeutend gesteigert wird, und mehr regelrecht zum Bewusstsein kommt. Die dadurch zur gleichen Zeit bedingte leichtere Verwundbarkeit und die Gefahren etwaiger nachkommender Hernien kamen gewiss diesem Riesenvorteil gegenüber kaum in Betracht, was wohl am deutlichsten hieraus hervorgeht, dass im Kampf ums Dasein die Dislozierung der Testikel gesiegt hat» und mit ihrer höheren Sexualitat die höheren Gattungen sich auch sonst höher entwickelt haben. Doch kommen vereinzelt auch beim Menschen immer noch Falie vor, wo die Testikel nicht oder nur halbwegs austreten, in welchem letzteren Fall sie in der Leistengegend hindurch zu fühlen sind, wahrend dann das Sackchen an der betreffenden Seite leer ist. An und für sich hat dies nichts zu bedeuten, so lange nicht auch hier, gerade wie bei einer Hernie, das fatale Ereigniss der Einklemmung eintritt, was dann die namlichen drohenden Erscheinungen wie bei einer Hernieneinklemmung hervorruft. So hatte ich damals einen Patiënten, einen jungen Mann von etwa 18 Jahren aus gut situierter Familie, der zum zweiten Male in eine Irrenanstalt geschickt werden musste. Er war so rasend, dass vier Manner ihn kaum zu halten vermochten. Weil, wie ich von den Familienmitgliedern erfuhr, seine Wahnideeën anfangs mit erotischen Vorstellungen verknüpft waren, und ich mich erinnerte früher einmal von ihm konsultiert zu sein weil einer seiner Testikel in der Leistengegend durch zu fühlen war, was ihn aber niemals belastigt hatte, schlug ich vor, ihm erst den betreffenden Testikel weg zu nehmen, bevor er in die Anstalt geschickt werden sollte. Unter Chloroformnarkose machte die Operation keinerlei Schwierigkeiten, und von dem Augenblick an war sein Irrsinn genesen; er hat niemals mehr die geringste Spur von Nervenleiden gezeigt, bestand ein gutes Examen und ist spater eine glückliche Ehe eingegangen. Da sieht man, wie so ein paar winzige Organe über unseres Lebens Glück oder Unglück entscheiden können. 2. Handelt es sich hier um Drüsen oder um Geschwülste ? Die zweierlei Organe wovon oben die Rede war, diese Testes und Ovarien, werden öfters unter dem Namen : „Geschlechtsdrüsen zusammen gefasst. Sind es aber wohl Drüsen? Es ist diese Frage nicht eine eitle Spekulation, denn es handelt sich hier wesentlich um die Grundlage des sexuellen Lebens. Wir werden niemals einen richtigen Einblick in das Wesen des Geschlechtslebens bekommen können, so lange wir in dieser Funktion bloss eine Drüsensekretion erblicken; wir übersehen dann eben das Wichtigste. Das Geschlechtsleben ist eine neue Schöpfung, die sich mit sekretorischer Gewalt Bahn bricht; hier geht Neubildung Hand in Hand mit Sekretion. Funktionell überwiegt beim Mann die Sekretion, beim Weibe die Neubildung. Für nicht Fachleute wird es Not tun, sowohl den Begriff Neubildung, wie den Begriff Drüsensekretion etwas naher zu begründen. Mit dem Wort „Neubildung" meint man für Gewöhnlich nicht die normale Bildung von neuen Gewebsbestandteilen wie sie durch die regelmassige Zellteilung statt findet; da redet man lieber von „Wachstum", und man bezeichnet mit dem Wort Neubildung mehr ausschliesslich eine abnormale Gewebsbildung, namentlich jede pathologische Geschwulst (Tumor); wobei man dann weiter zwischen bösartigen (malignen) und gutartigen (benignen) Tumoren unterscheidet, je nachdem das Leben des Patiënten dadurch gefahrdet wird oder nicht. Dieser Begriff „Geschwulst" ist ohne weiteres klar genug. Jedes Wachstum, jede Gewebswucherung oder Neubildung wenn sie nur streng genug lokalisiert bleibt, muss sich mehr oder weniger hervorwölben und wird dann zuletzt zu einem Höcker, einer Geschwulst, einem Tumor; dieser kann sich unter gewissen Urnstanden sogar als ein gestielter Tumor von seiner Unterlage 17 abheben, ja er kann zuweilen noch einen Schritt weiter gehen und sich ganz loslösen. (*) Ich habe die Tumorenbildung hier schon desshalb etwas ausführlicher erörtert, weil fast immer die erste mise eh scène des Sexuallebens eine Tumorbildung ist, als erste Wachstumsmodifikation dem gewöhnlichen vegetativen Wachstum gegenüber. Im nachsten Kapitel werden wir das noch weiter erfahren, und im Kap. 40 kommen wir noch ausführlich darauf zurück. Ungleich schwieriger aber ist es, sich von einer Drüse (Glandula) einen richtingen Begriff zu bilden. Landlaufig, denkt ja mancher bei diesem Wort in erster Linie an geschwollene „Lymphdrüsen", wie sie namentlich bei jugendlichen Personen so oft am Halse vorkommen, meistens zusammen mit feuchten, eiterigen Stellen im Angesicht, resp. an der behaarten Kopfhaut. Es handelt sich aber in diesen Falten gar nicht um eine Drüsensekretion, sondern gerade umgekehrt ist die oft nassende Hautinfektion das Primare, und nur sekundar sind von dieser Infektion auch die benachbarten Lympkfollikel befallen, die sichjdann wie kleine Höcker oder Knoten (Glandula d. h. ein Eichelchen) hervorheben. Irrtümlich meinte man in früheren Zeiten, diese Knoten seien das Primare, und die nassen Stellen rühren von den (*) Bei gestielten Tumoren an der Körperoberflache z.B. kann bei zunehmendem Wachstum der Stiel so dünn werden, dass er zuletzt bei der unbedeutendsten Veranlassung zerreisst, wodurch dann der Tumor abgestossen wird. Aber, so wird man sagen, da handelt es sich dann doch immer noch einigermassen um aüssere Gewalt. Aber auch in der Bauchhöhle hat man zuweilen Apendices epiploïcae die ja anfangs auch gestielt waren, ganz losgelöst gefunden ; und im Uterus hat man ebenso subseröse Myomen abgestossen angetroffen; so auch bei den losliegenden Gelenkmauschen, die doch auch gewiss als gestielte Tumoren von der Gelenkkapsel aus sich gebildet haben. Die reife Pracht, das Kind, wie es mittels des Nabelstranges an die Plazenta (Nachgeburt) verbunden ist, steilt nicht etwa einen von der Mutter ausgehenden Tumor dar; der Sachverhalt liegt hier gerade umgekehrt. Die Plazenta ist ein von der ursprünglich los liegenden Pracht herrührender Tumor, der wie Tumoren dies öfters zu tun pflegen, sogar sein Nachbarorgan d. h. in casu die Uteruswand überwucheit. Sofort nach der Geburt wird dann der dünne Stiel (der Nabelstrang) zerrissen, sei es mittels der Scheere des Geburtshelfers, oder wie bei den Tieren durch reissen und beissen, wobei dann der Tumor beseitigt wird. 2 18 Krankheitsstoffen*) her, die von ihnen ausgeschieden sein sollten! So erhielt das Wort Glandula, Drüse, das ursprünglich nur ein Höckerchen bezeichnete.ttamermehr die spezielle Bedeutung eines Sekretórischen Organs. Jetzt aber, da wir in diesem Punkt besser aufgeklart sind, und das Wort Drüse sich nun einmal zurAndeutung eines sekretórischen Organs eingebürgert hat, sollen wir deno auch weiter nicht mehr von Lymphdrüsen, sondern von Lymphknoten oder Lymphfollikeln reden, und als Drüsen nur diejenigen Organe bezeichnen, die wirklich den Bau und die Funktion eines sekretórischen Organs beanspruchen. So haben wir in unserer Haut und in unseren Schleimhauten zahllose winzige Drüsen die Talg, Schleim, Schweiss oder sonstige Stofte liefern, je nachdem ihre Zeilen in fettiger, oder schleimiger Degeneration zerfallen, oder nur eine wasserige Lösung gewöhnlicher oder sonstiger Stoffwechselprodukte absondern. So eine einfache Drüse, die ja eigentlich nur eine Einstülpung der Haut oder der Schleimhaut darstéllt, besteht bloss aus einem mikroskopisch kleinen Schlauch, dessen innere Oberflache grösstenteils mit Zeilen (Drüsenzellen) bekleidet ist, wahrend der Schlauch in ihrem weiteren Verlauf bloss als Abführkanal funktioniert. Die Abfallstoffe jener Drüsenzellen werden also, ohne sich erst mit der Körperzirkulation zu vermischen, mittels dieses Abführkanals regelrecht an die Oberflache (**) des Körpers oder an die Innenflache des Darmkanals entleert. Ausser diesen mikroskopischen Drüsen die je nur aus einem einzigen kleinen Schlauch bestehen. giebt es im Innern unseres Körpers auch grössere Drüsen die aus einer unzahligen Menge solcher kleinen Schlauche zusammengesetzt sind, deren Abführwege allmahlig wie kleine Bachlein zu einem grossen Fluss zusammenfliessen, um schliesslich, ebenso wie die einfachen Schlaüche. an der Körperoberflache oder im Darmkanal auszumünden. So drfiiti'—l da^ s°9»r. die feuchte Absonderung zu „unter- drücken , weil dann die Krankheit gewiss „nach innen schlagen" würde! i**;^einden Pflan2en lie9«> bisten Drüsenzellen sogar unmittelbar an der Oberflache, wodurch dann ein Abführkanal überflüszig wird; es sind Ep.thelzeUen. Haare, Schuppen oder sonstige Gruppen von Epithelzellen. die ohne t ^"^f^'P^S versteekt zu liegen, Honig, atherisches Oei oder sonstige Stottwecnselprodukte absondern. 19 haben wir zwei Tranendrüsen, mehrere Speicheldrüsen und zwei Milchdrüsen, welche letztere aber beim Manne, wenn auch nicht ganz und gar rüdimentar, doch für gewöhnlicli unentwickelt bleiben. Unsere grösste Drüse ist die Leber: die Galle von der Leber und der Pankreassaft von der Pankreasdrüse münden zusammen ein wenig unterhalb des Magens im Darmkanal aus, und sind für die Verdauung von g rosser Bedeutung. Für die Harnsekretion haben wir zwei Niere. Der Ausführgang vieler dieser grossen Drüsen hat kurz vor seiner Ausmündung eine seitliche Erweiterung, wie ein seitliches Reservoir, wo die abgesonderten Flüssigkeiten sich ansammeln können, anstatt fortwahrend abzutraüffeln; es ist desshalb seitlich angeheftet, weil sonst jedesmal beim sich Füllen und beim sich Entleeren, eine die Funktion hemmende Zerrung auftreten müsste. So haben die beiden Tranendrüsen je ein Tranensackchen bevor die Tranen in die Konjunktivalhöhle hervor quellen, um dann weiter zur Nasenhöhle abzufliessen; die Leber hat die Gallenblase, beide Nieren haben zusammen eine Harnblase. Dadurch wird es in allen diesen Fallen ermöglicht viel Flüssigkeit auf einmal zu liefern; und wenn dann noch Muskelkontraktion hinzukommt, kann die aufgespeicherte Flüssigkeit sogar mit Kraft ausgespritzt werden. Letzteres geschieht zuweilen auch einigermassen bei der Milch- und bei der Speichelsekretion, obwohl hier der Ausführkanal bloss ein wenig erweitert, und nur mit aüsserst sparsamen Muskelfasern versehen ist. Neben den löslichen Bestandteilen als Stoffwechselprodukte der Drüsenzellen, enthalt die Absonderungsflüssigkeit sammtlicher Drüsen auch weniger lösliche, wie Schleim oder Fett als Degenerationsprodukte der betreffenden Drüsenzellen; mikroskopisch sieht man sogar tote und halb verweste Zeilen in der Flüssigkeit schwimmen, die von der Innenflache des Abführsystems herrühren, wie ja auch unsere Hautoberflache und alle unsere Schleimhaüte fortwahrend tote oder zerstückelte Zeilen abstossen. Nun giebt es aber beim Mann noch zwei spezielle Organe, die beiden Testikel, die zwar typisch wie eine Drüse gebaut sind, die aber anfangs gar nichts, und erst von den Pubertatsjahren an zahllose frische, junge lebenskraftige Zeilen, die mannlichen 20 Fortpflanzungszellen mit vielem Schleim gemischt, absondern als ware es ein gewöhnliches E>rtisensekret. Diese Produktion frischer, junger, lebenskraftiger Zeilen als Lebenskeime der nachsten Generation, passt gar nicht in den Rahmen einer Drüsensekretion; denn was von einer Drüse abgesondert wird, das sind vom Standpunkt der Drüse gesehen, ihre Stoffwechselprodukte, ihre Abfallstoffe, höchstens wie gesagt mit toten und verwesten Zellresten vermischt. Eine derartige lokale Massenproduktion frischer Zeilen findet sich sonst nur bei Neubildungen, Geschwülsten und dergleichen pathologischen Zustanden (siehe Kap 5), aber niemals bei der normalen Drüsenfunktion. Bloss die Art und Weise wie diese Zeilen aus dem Körper ausgeschieden werden, ist typisch die einer Drüsenfunktion. Es wird sich denn auch im nachsten Kapitel herausstellen, dass wirklich der Testis aus der Verwachsung eines epithelialen Tumors mit dem Abführsystem einer embryonalen Drüse hervorgegangen ist; wahrend beim Weibe das Ovarium bloss den bebetreffenden Tumor darstellt, dem dann in einiger Entfernung das Abflusskanal einer anderen rüdimentaren Drüse zur Verfügung steht. In beiden Fallen handelt es sich also um ein Doppelorgan; nur überwiegt beim Manne das Drüsenapparat, beim Weibe die einfache Geschwulst; was genau stimmt mit der Bemerkung am Anfang dieges Kapitels, dass beim Manne die sekretorische, beim Weibe die neubildende Funktion überwiegt. Wir sehen also, dass der Sprachgebrauch Testes und Ovarien Geschlechtsdrüsen zu nennen, von einer irrigen Auffassung herrührt, die damals nur deswegen auftauchen kdnnte, weil man einseitig nur die Funktion des Mannes ins Auge fasste; bei genauer Betrachtung auch des weiblichen Organismus, hatte man niemals in diesen Fehler verfallen können. Und wollte man vielléicht neuerdings die beiderlei Organe desshalb Drüsen nennen, weil sie ausser den Fortpflanzungszellen auch noch. wichtige organochemische Stoffe liefern, dann könnte man alle lebenden Organe wohl Drüsen nennen, denn sie haben ja alle ihre eigenen Stoffwechselprodukte. Will man Testes und Ovarien mit einem Wort zusammenfassen, da nenne man sie Fortpflanzungstumoren; weil sie in einer spatern Periode ihrer Existenz die Fortpflanzungszellen liefern. Von Drüsen aber kann hier niemals die Rede sein. 3. Die Embryologie der Geschlechtsdifferenzierung. Nach diesen vorlauflgen Orientierungen, wollen wir jetzt erst recht vom Anfang her anfangen; und so wollen wir denn jetzt die noch ganz weiche Frucht in Utero betrachten, in ihrem primitivsten Stadium, das embryonale Stadium, als sie noch gar nicht mit der Gebarmutterwand verwachsen ist, und sich nur dadurch behaupten und dürftig ernahren kann, dass sie frei im ausgeschwitzten mütterlichén Serum schwimmt. Erst spater, wenn nach den ersten drei Monaten die ursprüngliche Energie der befruchteten Eizelle zu Ende gehen würde, wachsen einige Blutgefasse vom Embryo her zur mütterlichén Uteruswand und verzweigen sich da reichlich als Plazenta (Nachgeburt), wodurch dann osmotisch eine Ernahrungsgemeinschaft des mütterlichén Blutes mit dem kindlichen Blute hervorgerufen wird. Die Frucht wird von jetzt an nicht mehr Embryo sondern Fötus genannt, und lebt als Schmarotzer auf die mütterUche Zirkulation bis an die Geburt. Von da an lebt das Kind frei, von andern Organismen sich ernahrend, und entwickelt sich zwar anfangs noch sehr energisch, dann aber bis an die Pubertatsjahre mit abnehmender Wachstumsenergie. Das erste Stadium, das embryonale Stadium, ist wohl ein sehr primitives Stadium. Die Kiemenbogen fangen erst an das Angesicht zu "bilden; der ganze Leib liegt von vorne in der Medianlinie noch offen ; zwei Ur-nieren besorgen die sparliche Nierenfunktion; vier kleine Hoeker bilden sich schon von der dritten Woche an, um alsbald zu Armchen und Beinchen auszuwachsen; jeder aüssere Geschlechtsunterschied fehlt noch. Sogar von einem innern Geschlechtsunterschied ist anfangs noch gar keine Rede. Es verlief anfangs alles regelmassig. Alles Wachstum geschah nach dem Prinzip der gewöhnlichen vegetativen Zellteilung, und es entwickelten sich die verschiedenen Gewebe ruhig neben einander ohne einander zu belastigen. Erst 22 als die erste embryonale Entwicklung schon ziemlich weit vorgeschriften war, und auch die Ur-niere sich schon gebildet hatte ereignete sich ein neues Phanomen. Es wölbt sich namlich rechti und links von den Lendenwirbeln eine Verdickung der die KÓrperhöhle von innen bekleidenden Epithelialschicht hervor, die sich allmahlig zu einer kleinen Geschwulst oder Tumor emporhebt. Es sind dies die ersten Anfange des rechten und linken Fortpflanzungstumors. Mikroskopisch ist die erste Anlage daran zu erkennen, dass an dieser Stelle auf einmal die Epithelzellen und die darunterliegende Bindegewebeschicht einander üppig zu durchwuchern anfangen. wobei dann die Epithelzellen in zahllosen kleinen Haüflein abgeschnürt, und allseitig von dem Bind^gewebe eingeschlossen werden. Solch eine gegenseitige Durchwucherung zweier heterogener Gewebesysteme erinnert uns typisch an das mikroskopische Bild gewisser pathologischer Geschwülste oder Tumoren. (*) die sogar ihre Nachbarorgane überwuchern können wodurch dann oft das Leben des Patiënten mit Untergang bedroht wird. Aber auch hier hat diese Abschnürung von Zellenhauflein die weitstreckendsten Folgen: es ist dieses Ereigniss der Ausgangspunkt des ganzen Geschlechtslebens. Sonst hatten diese Epithelzellen als Oberflachenbekleidung Dienst getan; sie hatten sich dann in diesem Sinn differenziert, und waren schliesslich wenn alt und degeneriert, als tote Zeilen abgestossen worden. Jetzt aber. da sie in die Tiefe des Gewebes versetzt werden, bleiben sie, wie sehr auch durch Zellteilung vermehrt und modifiziert. ihren embryonalen Charakter im wesentlichen beibehalten, bis zuletzt auch ihre Zeit einmal kommen wird, und sie dann bei ihrer letzten Zellteilung als jugendliche Zeilen ans Licht treten werden. (*) Weil sonst derartige Tumoren erst in einer spateren Lebensperiode auftreten. als die normale Lebensenergie schon heruntergeht und doch hie und da noch Wachstumsenergie vorhanden ist, ist es sehr verbluffend ein derartiges Phanomen hier schon in einer so frühen Lebensperiode zu beobachten. Es ereignet sich aber diese TumorbÜdung, zwar nicht in einer spateren Lebensperiode jedoch m der embryonalen Lebensperiode erst dann, als die erste, anfangs so neS1ge Wachstumsenergie der befrüchteten Eizelle sich schon gelegt hat, und mit der Zeit gewiss zum Untergang neigen müsste, wenn nicht am rechten Moment die mütterlfche Zirkulation zu Hilfe kam, womit dann die embryonale Lebensperiode zu Ende geht, und die fötale Lebensperiode anfangt. 23 Es können sich diese Hauflein von Epithelzellen von ihrer Abschnürüng an, auf zweierlei Art weiter entwickeln, und hierdurch /entsteht dann eine Divergenz die faktisch erst mit den Pübertatsjahren zum Geschlechtsunterschied wird. In einigen Embryonen giebt es in jedem Hauflein immer eine Zelle die zu grösserem Wachstum gelangt, und so zur künftigen reifen Eizelle wird ; das betreffende Embryo wird sich dann mit der Zeit zu einem weiblichen Individuum ausbilden. Die Bildung soldier Eizellanlagen dauert noch bis zum vollendeten zweiten Lebensjahre fort. In andern Embryonen aber (*), und diese werden dann spater zu mannlichen Individuen, bilden sich die Zeilen jedes Haufleins durch weiterer Zellteilung zu einer ganzen Menge winziger Zeilen aus, die sich dann als Wandbekleidung ringsum eine winzige Zentralhöhle lagern. Je mehr nun aber die ganze Geschwulst sich vergrössert, destomehr stösst sie auf ein benachbartes, auch rechts und links von der Wirbelsaule liegendes Organ, ein Drüsenorgan, die Ur-niere, die in dieser vorgeschrittenen Periode des embryonalen Lebens auch wirklich schon als Niere funktioniert. Es wird dieses Nachbarorgan sogar förmlich durchwuchert, und zwar so lange bis die ebengenannten winzigen Höhlen, die sich inzwischen zu winzigen Kanalen verlangert haben, mit den mikroskopischen Abführkanalen der Ur-niere in offener verbindung treten, und aufs innigste damit zusammenschmelzen.-Beide Organe zusammen bilden fortan ein Ganzes und werden von jetzt aa Testis, Hode genannt. (*) Wahrend viele pathologische and namentlich maligne Tumoren polymorph sind, weil sie sich von jeher in den verschiedensten Geweben und Organen entwickelt haben, ist die Fortpflanzunggeschwulst nur dimorph, weil sie nur entweder mehr mit der Ur-niere, oder mehr mit dem Abführkanal einer rüdimentaren Vor-niere in nahere Beziehung treten kann. So bilden sich schon von Anfang an zwei verschiedene Gestaltungen des „Urogenitalsystems". Eigendich aber haben wir erst seit der specifischen Neubildung der Fortpflanzungszellen in den Pübertatsjahren das Recht, von einem Genitalsystem oder Sexualsystem zu reden ; denn bis dahin gilt es nur eine dimorphe Ausbildung einer embryonalen Geschwulst. Ebenso rührt auch die Dimorphie der aüsseren „Genital"-organe schon bei der Geburt, einfach sekundar von der genannten Pravalenz der Ur-niere oder der Vor-niere her. Auch ist die Dimorphie nicht immer eine absolute, wie die hermaphroditischen Erscheinungen uns lehren. 24 Auch spater beim erwachsenen Manne stammt dann bloss das sexuelle Abführsystem von der ehemaligen Ur-niere her, die Fortpflanzungszellen aber werden von dem andern Teil der Hode geliefert, der dem ursprünglichen Tumor entspricht. Die harnabsondernde Nutzwirkung der beiden Ur-nieren geht hierbei natürlich ganz verloren, und wird von jetzt an von zwei neuen, rüchtigen, ausgewachsenen Nieren übernommen. Es bleibt inzwischen auch in der erwachsenen Hode der typische Drüsenbau noch so deutlich erkennbar, dass sie auf den ersten Anblick immer noch den Eindruck macht, als ware sie eine richtige Drüse. So bildete sich rechts und links die epitheliale Hervorwölbung zu einer Geschwulst, in der sie sich nicht .nur immermehr hervorwölbte, sondern sich schliesslich ganz und gar von ihrer Grundlage loslöste, wodurch dann die beiden Hoden von hinten ihren Halt verloren, und nach vorne heruntersinken mussten. Nur noch mit ihrem Abführkanal (als ware dies ein Stiel woran er aufgehangt ist) verbunden, senken sich dann die beiden fertigen Testikel mit einem zierlichen Bogen resp. rechts und links von der Harnblase (*) nach unten, bis sie in die Leistengegend und schliesslich sogar in das Skrotum zurecht kommen, wie wir dies schon im ersten Kapitel ausführlich erörtert haben. Wenn also spüter seit den Pübertatsjahren die reifen Spermazellen abgestossen werden, dann haben diese nur den früheren Harnwegen der Ur-niere zu folgen, wenn auch dieser Weg anfangs ein bischen steil empor geht, bis die beiden Samenkanale von rechts und links schliesslich tief unten in der Bauchhöhle in die unpaarige Harnröhre ausmünden. Auch die weiblich sich ausbildenden Fortpflanzungstumoren lösen sich ab von ihrer Grundlage; nur dass an den .Ovarien immer noch ein paar Bindegewebestrange übrig bleiben, wodurch dann auch diese beiden Geschwülste viel weniger wie die Testikel heruntersinken. Es fehlt hier auch die Verwachsung mit einem Drüsenorgan, wesshalb ein Ovarium auch bedeutend kleiner (platter) ist wie ein Testikel, und von einer mehr einfachen (*) Namentlich machen diese beiden Kanale einen weiten Bogen, jedesmal wenn die Harnblase stark gefüllt ist. 25 Form, bloss wie eine Geschwulst. Denn in den weiblich sich entwickelnden Embryonen gehen schon früh die Ur-nieren mitsammt ihrem Abführkanal bis auf ganz geringe Spuren zu Grunde. Desshalb werden die Eizellen dann auch mit der Zeit, wenn sie gereift sind, nicht so glücklich sein wie die Spermazellen, gebahnte Wege bereit zu finden. Jedesmal wenn künftig von den Pübertatsjahren an, eine Eizelle zur Reife gelangt, wird diese sich gerade wie ein reifes Geschwür mit Vernichtung der umgebenden Zeilen quer durch das Ovariumgewebe einen Weg bahnen müssen, um sich an dessen Oberflache hervorzuwölben und mit Hinterlassung sogar von Blutungsresten (*) und Narbengewebe sich los zu lösen, wodurch sie dann frei in die Bauchhöhle gelangt. Aber dann weiter? Zum Glück giebt es in jedem Embryo beiderseits d.h. rechts und links ausser der Ur-niere mit ihrem Abführkanal auch noch ein anderer Kanal, der nicht nur bei seiner Ausmünding am untern Körperpol, sondern auch an seinem innern Ende innerhalb der Bauchhöhle offen bleibt, und der nach den neuesten Untersuchungen noch von einer Vor-niere stammen soll, einem rüdimentaren Organ, das nur noch bei einigen niedrigen Tierarten als Niere funktioniert, wovon aber beim Menschen nur geringe Andeutungen zu verspüren sind, schon ehe die Ur-niere zur Entwicklung kommt. Mit diesem in einiger Entfernung liegenden Abführkanal werden dann mit der Zeit die Eizellen weiter für lieb nehmen müssen um aus dem Körper ausgeschieden zu werden. Freilich wird manche dieser Eizellen sich gewiss in der dunklen Bauchhöhle noch wohl verirren müssen, bevor wiederum andere richtig den offiziellen Ausweg finden, wenn auch die innere Óffnung dieses Kanals ganz nahe liegt und sogar trichterförmig erweitert ist. Der freie Rand deiser erweiterten Öffnung ist überdies von einer Art grossen Flimmerhaare wie mit Franzen umsaumt, deren tastende Bewegung dem Eintritt des Eies regelrecht erforderlich ist. Es ist eben diese trichterförmige mit Franzen umsaumte Mündung, die eigentlich noch einen Überrest der Vor-niere darstellen soll. (') 'Die serös-blutige Sekretion der Gebarmutterschleimhaut die wir Menstruation nennen, scheint mit diesem Ereigniss öfters zusammen zu gehen, aber gewiss nicht immer. Bewiesenermassen kann jedes dieser Zwei Ereignisse auch gesondert statt finden, ohne die andere. 26 Jetzt kommen wir schliesslich an die ausseren Genitaliën, oder besser gesagt zu dem ausseren Abführsystem der embryonalen Ur-niere und der rüdimentaren Vor-niere, ein Abführsystem das erst von den Pübertatsjahren an, zu sexuellen Zwecken Verwendung finden wird. Beide genannten Abführkanale reichen in der embryoflalen Periode bis zum untern Körperpol, wo ihre Ausmündung einen kleinen Hoeker bildet, der per anticipationem (schon im voraus) Genitalhöcker genannt wird. Auch weiter im embryonalen Leben, als bei schon geschlossener Körperhöhle dieser Genitalhöcker sich zu einer kleinen Protuberanz aüsgebildet hat, ist es anfangs von dieser kleinen Warze noch gar nicht zu entscheiden, ob sie zu einer Klitoris mit kurzer Urethra, oder zu einem Penis heranwachsen will; und ein paar Falten zwischen den Beinchen werden noch ebenso gut zusammengewachsen ein Skrotum, wie gesondert ein paar Schamlippen bilden können. Erst von der zehnten Woche nach der Befruchtung an, also erst gegen Ende der embryonalen Lebensperiode fangt der künftige Geschlechtsunterschied an, auch aüsserlich kennbar zu werden, und schon lange vor der Geburt haben die kindlichen Körperformen ihre vollkommene Ausbildung erreicht. Jedenfalls aber bleibt dann noch wahrend vielen Jahren das ganze Apparat zwar mit den anderen Körper-organen gleichmassig wachsen, es bleibt aber vorlaüflg in seiner rüdimentaren Ruhe beharren; vorlaufig funktioniert beim Kinde nur das Harnsystem. Anhang über Hermaphroditismus. Wir sahen also, dass der Geschlechtsunterschied nicht immer so leicht zu erkennen ist, wie man landlauflg wohl glaubt. Anfangs z. B. existieren im embryonalen Leben die beiden Fortpflanzungstumoren noch nicht einmal, und auch spater, wenn diese sich schon gebildet haben, ist es anfangs noch gar nicht zu entscheiden, in welchem Sinn diese sich entwickeln werden. Auch die ausseren Genitaliën sind, wie gesagt, im embryonalen Leben anfangs noch unentschieden. In nicht so seltenen abnormalen Fallen, namentlich bei Bildungshemmungen von Knaben (siehe Seite 12) bleibt diese 27 letztgenannte Ungewissheit bis an die Pubertatsjahre oder sogar noch spater fortexistieren. Man spricht dann zuweilen von Hermaphroditismus oder Doppelgeschlechtlichkeit, denn wenn sie faktisch auch gar nicht doppelgeschlechtlich sind, sie haben dann doch von beiderlei Geschlecht einige Merkmale. So hat schon im klassischen Altertum die menschliche Phantasie sich Individuen gedacht, die doppelgeschlechtlich waren und die desshalb Hermaphroditen genannt wurden, weil sie sowohl die Attribute des mannlichen Gottes H e r m e s (Mercurius) wie die der weiblichen Göttin Aphrodite (Venus) in sich vereinigten. Eine wirkliche funktionelle Doppelgeschlechtlichkeit findet sich aber nur bei vielen niedrigen Tierarten, wie bei unseren Gartenschnecken und Regenwürmern, wo alle Individuen wenn erwachsen, sowohl zur mannlichen wie zur weiblichen Tatigkeit fahig sind. So oft man sie gepaart findet, verspürt man zwei mannliche Fortsatze die das Sperma gegenseitig hinüberführen, wie auch im Pflanzenreich die meisten Blumen zur gleichen Zeit mannliche und weibliche Organe enthalten. In der grossen Evolutionsgeschichte der Gattungen ist das hermaphroditische Stadium ein Ubergangsform zwischen asexuell und geschiedenem Geschlecht. In unserer individuellen Entwicklungsgeschichte verspüren wir etwas derartiges. Soeben haben wir ja schon gesehen, dass in unserer embryonalen Entwicklung eine Zeitlang als Übergang von der Asexualitat zur Geschlechtsdifferenzierung eine gewisse Doppelgeschlechtlichkeit besteht bloss hinsichtlich dem Abführsystem, weil dann das Abführkanal der Ur-niere und dasjenige der Vor-niere beide noch nebeneinander anwesend sind. Es bewahrt sich also auch hier der HACKELsche Satz einer gewissen Parallelie zwischen der Evolutionsgeschichte und der individuellen Entwicklung. In unserm erwachsenen Körper aber hat jede Sexe nur noch rüdimentare Uberreste des Abführsystems der anderen Sexe beibehalten. Ein wirklicher Hermaphroditismus hinsichtlich Testes und Ovarien kommt bei den Wirbeltieren nicht haufig mehr vor. Es findet sich hie und da noch, sei es physiologisch sei es pathologisch, bei den niedrigern Wirbeltieren: den Fischen und den Amphibien. Bei den Vögeln nur pathologisch z. B. in einer 28 Körperhalfte ein Ovarium, in der andern Körperhalfte ein Testis; zuweilen sogar auch mit der korrespondierenden Befiederung der namlichen Körperhalfte! Bei den höheren Wirbeltieren aber, und so auch beim Menschen, kommen darartige hermaphroditische Monstruositaten nur noch ganz vereinzelt vor. So fand B. PHOTAKIS bei einer 12jahrigen Hermaphroditen, einem Madchen, links ein Ovarium mit Ei-anlage und rechts ein Testis ohne Sperma-anlage. Durchwucherung eines Testis von sterilem Ovariumgewebe fand sich einmal bei einer erwachsenen Hermaphroditen, einer Frau. Und Durchwucherung eines Ovariums von sterilen Samenkanalchen einmal bei einem hermaphroditischen Schwein. Öfter fand sich beim Schwein und auch beim Menschen in einer oder in beiden Körperhalften ein Ovotestis d.h. ein Ovarium mit Ei-anlage, verwachsen mit einem testikelartigen Anhang worin Samenkanalchen aber keine Spermazellen-anlage. Nur Prof. L. PlCK in Berlin hat einmal im Ovarialteil eines' Ovotestis die Anwesenheit reifer Eizellen, und im Testisteil die Anlage von Spermazellen (Gametogonien) nachweisen können. Es ist dies das erste Mal, dass beim Menschen oder überhaupt bei den Saugetieren wirklich ein Hermaphroditismus der Fortpflanzungszellen konstatiert wurde. Die betreffenden mikroskopischen Praparate stammten von der 43jahrigen Augusta Persdotter, und wurden in 1898 vom Schwedischen Gelehrten E. SALÉN angefertigt, nach dessen Tod aber von Prof. PlCK in 1913 noch einmal nachgeprüft, wobei sich dieser Fund ergab. 4. Die Organochemie der Geschlechtsdifferenzierung . Schon lange hatte man sich vergebens gequalt mit der Frage was doch wohl die Bedeuting einiger kleinen, funktionell gar nicht zu deutenden Organe in unserm Körper sei, bis man schliesslich fand, dass sie wichtige chemische Bestandteile enthalten und in die Zirkulation einführen, wo dann diese Stoffe für die übrige Okonomie unseres Stoffwechsels von grosser Bedeutung sind. Man hatte namlich erfahren, dass wenn ein solches Organ z. B. die Schilddrüse, wegen Kropfkrankheit radikal entfernt worden war, der Patiënt alsbald an allgemeinen trophischen Störungen wie eine gedunsene Haut, trockene Oberhaut, Hemmung aller geistigen Funktionen, bis zum ganzlichen Stumpfsinn zu leiden anfing, Symptome die sich sofort besserten wenn man dem Patiënten kleine Mengen von der Schilddrüse z. B. des Schafes, resp. Schilddrüsenextrakt, einnehmen liess. Man hatte sogar bemerkt, dass auch wenn ein sonstiger Patiënt an dergleichen Symptomen leidend war, die gleiche Medizin auch hier Heilung brachte. Es wirkt namlich eine kleine Dose dieses organochemischen Mittels als ein Reiz für den Stoffwechsel der Gewebe : sie heilt Fettsucht, macht die Oberhaut wieder glanzend, heilt sogar Kretinismus; wahrend eine grössere Dose als Herzgift wirkt, wie man dies alsbald an dem frequenten Puls verspürt. Hinsichtlich des Sexuallebens sei noch hinzugefügt, dass wenn bei einem Kinde schon früh die Schilddrüse weggenommen wird, die Geschlechtsreife erst spat oder gar nicht eintritt. Anfangs meinte man in Organen die so stark wirkende Stoffen liefern, eine neue Art Drüsen entdeckt zu haben; und weil man doch keinen Abführkanal fand, redete man schon von „innerer Sekretion" was ja doch wohl in sich einen Widerspruch enthalt. Aber man entdeckte immer mehr solcher Organe mit solchen stark wirkenden Stoffen: den Thymus, die Nebenniere, die Hypophyse u. s. w. V 30 Auch vom Muskelfleisch kannte man schon-lange diephysiologische Wirkung, namentlich des Extrakts, das auch Reizwirkung ausübt, den Puls frequent macht und in zu hoher Dose ein Herzgift (*) ist; auch die abmagernde Wirkung war ja von der Banting-kur her schon lange bekannt. Und so stellt es sich immermehr heraus, dass alle lebenden Organe als Stoffwechselprodukte ihres gewöhnlichen Zellenlebens typische chemische Bestandteile enthalten die sie als Abfallstoffe mittels der Lymphe an die Zirkulation abgeben. Denn in biologischem Sinn ist ja alles was von einem Organ abgeschieden wird, ein Abfallstoff; womit aber nicht gesagt sein soll, dass derartige Stoffe spater für andere Gewebe des namlichen Individuums nicht ■ noch recht nützlich sein können. Von diesem Standpunkt, ist dann die Drüsensekretion eigentlich nur ein Spezialfall von Organochemie, und haben wir nur dann Veranlassung von Drüsen zu reden, wenn der spezielle Bau einer Drüse vorliegt, namentlich wenn ein Abführkanal sich vorfindet, der die Abfallstoffe regelrecht nach aussen befördert, sei es an die Oberflache des Körpers, sei es an die Innenflache des Darmkanals ; wahrend sonst alle anderen Gewebe und Organe, auch jene geheimmissvolle, ihre Abfallstoffe mittels der Lymphbahnen in den Blutkreislauf einführen. Es kann da kein Wunder nehmen, dass unter solchen Stoffwechselprodukten neben indifferenten Stoffen aller Art, auch stark wirkende sich vorflnden, die wir dann je nachdem, als Gifte oder als Heilmittel bezeichnen. So kennen wir jetzt schon viele, von den verschiedensten Geweben herrührenden normalen Stoffwechselprodukte, die unter dem Namen „organochemischer" oder vielleicht noch besser „biochemischer" Stoffe in der modernen Medizin eine wichtige Rolle spielen. Ein klassisches Beispiel und wohl eine der altesten Anwendungen dieser organochemischen Therapie ist gewiss das Verordnen von Lebertran als Stoffwechselreiz bei torpiden Skropheln. Freilich waren früher Droguen aus der Tierwelt sehr () Auch die Gefahr der Fleischernahrung bei Nephritis und die toxischen Schwangerschaftserscheinungen mit Bewusstlosigkeit und Nephritis sind vielleicht auf die namlichen organochemischen Stoffe zurückzuführen. Eine Schwangere ist ja doch schon doppelt gefahrdet, weil sie nicht nur die Abfallstoffe ihres eignen Muskelgewebes sondern auch die der Frucht in ihren Kreislauf aufnimmt kommt dann noch Fleischkonsum hinzu, dann ist sie dreifach gefahrdet i 31 allgemein. Als toxische Wirkung organochemischer Stoffe kennen wir Arzte nur allzusehr die Wirkung der Bakteriengifte ! Auch das organochemische produkt der Hefezelle ware vielleicht noch hinzu zu fügen, weil ja auch der Alkohol bekanntlich Hautkongestion und Herzklopfen veranlasst, und in zu hoher Dose sogar den Tod, meistens durch Herzlahmung herbeiführt. Man sieht es, die kleinsten Organismen sind öfters noch die bösartigsten ! Es beruht also unsere normale Gesundheit chemisch auf dem labielen Gleichgewicht aller derjenigen Stoffe die entweder als Nahrung für die Gewebe, oder als Abfallstoffe der Gewebe im lebenden Blut herumkreisen; und die organochemische Therapie bezweckt dann ja. eigentlich nur das Hinzufügen derjenigen Stoffe die gegebenenfalls zu wenig vorhandeo sind. So wird es auch erst recht begreiflich, dass allerhand rüdimentare Organe im menschlichen Körper, die sonst schon lange ihre Bedeutung verloren haben, dennoch fortexistieren und nicht schon lange eliminiert worden sind; dies rührt wohl nur daher, weil diese Organe durch ihre organochemischen Bestandteile im Kampf ums Dasein noch immer einen gewissen Wert beanspruchen. Daher waren es denn auch gerade derartige rüdimentare Organe, die neuerdings zum Studium der organochemischen Stoffe die etste Veranlassung gegeben haben. Auch wenn die Testes, resp. die Ovarien weggenommen sind, wird das betreffende Individuum hinfallig und minderwertig. Man hat also auch die organochemische Wirkung dieser Organe studiert, wie damals BROWN-SÉQUART mit dem Hodenextrakt vom Stier als spezifisches Reizmittel Versuche anstellte, und zwar nicht ganz ohne Erfolg. Aber viel unzweideutigere Resultate bekommt man, wenn die Versuche so gemacht werden, dass man dem Probetier nicht das Extrakt reicht, sondern ihm die lebenden Organe irgendwo z. B. in die Bauchmuskulatur einpflanzt, weil nur dann die Wirkung eine Nachhaltige ist Durch diese Tierversuche ist neuerdings der experimentelle Beweis geliefert worden, dass die organochemischen Stoffe die vom Testis, resp. vom Ovarium, und zwar nicht von den Fortpflanzungszellen sondern vom sonstigen Gewebe herrühren, von entscheidender Bedeuting sind für die Entfaltung der sekundaren Geschlechtsmerkmale. 32 Entscheidend sind in dieser Hinsicht die Tierproben von Prof. EUOEN STEINACH in der Wiener biologischen Versuchsanstalt auf Ratten und Cavia's. Noch sehr jung wurden ihnen die angeborenen Testes oder Ovarien weggenommen, sie wurden also zu Eunuchen (Verschnittenen), Dann wurde ihnen in der Bauchmuskulatur ein Fortpflanzungstumor des andern Geschlechts eingepflanzt. Dieser degenerierte dann in dem Sinn, dass die Anlage der Fortpflanzungszellen zu Grunde ging, wahrend das sonstige Gewebe hypertrophierte; es kann also weiter nur die Produktion der organochemischen Stoffe in Betracht kommen. Wenn es wirklich gelang das neue Organ einheilen zu lassen, zeigten sich mit der Zeit bei den so behandelten Tieren obwohl es Eunuchen waren, doch die sekundaren Merkmale, aber nicht die des angeborenen, sondern die des implantierten Geschlechts. Die masculinierte Weibchen-eunuchen bekamen einen robusteren Körperbau, versuchten es die Weibchen zu bespringen u. s. w. Bei den feminierten Mannchen-eunuchen entwickelten sich die Brustwarzen, sie waren scheu, liessen sich bespringen u. s. w. Sogar saugten feminierte mannlich geborene Ratten ein oder zwei jungen Tiere mit mütterlicher Zartlichkeit! So ist dann die Anwesenheit von entweder Testes oder Ovarien entscheidend für die Ausbildung des Geschlechtsunterschieds, nicht nur wegen der Produktion von Eizellen oder Spermazellen sondern schon wegen der speziflsch verschiedenen organochemischen Stoffen die vom sonstigen Gewebe dieser Organe geliefert und an die Zirkulation abgegeben werden. Es sind gerade diese organochemischen Stoffe die den spezifischen sexuellen Reiz darstellen, wodurch dann weiter unsere ganze körperliche Entwicklung und sogar unsere Psyche beherrscht wird. Bewiesenermassen sind also diese organochemischen Stoffe entscheidend für das Auftreten der sekundaren Geschlechtsmerkmale. Man ist dann aber noch einen Schritt weiter gegangen und hat sich gefragt, ob sie in letzter Instanz auch nicht verantwortlich sein konnten für den entscheidenden Punkt, das Auftreten der Fortpflanzungszellen ? Sieht man ja auch sonst öfters Gewebsneubildungen durch chemische Reize hervorgerufen werden, z. B. durch Toxine d. h. durch organochemische Stoffe die von Bakterien und dergleichen Mikro-organismen herrühren. 33 Dass auch die von unsern eigenen Ge websorganen herrührenden organochemischen Stoffe in diesem Sinn wirksam sein können, sahen wir Seite 29 schon, als wir bemerkten, dass man erst spat oder gar nicht geschlechtsreif wird, wenn im jugendlichen Alter die Schilddrüse zu radikal entfernt worden ist. Und dass die vom Testis und vom Ovarium stammenden organochemischen Stoffe in dieser Hinsicht nicht mindestens ebenso stark wirksam sein sollen, das ist ja nach den Tierproben Prof. STEINACH'S kaum zu bezweifeln. Die Gewebspartien die diese Stoffe liefern, liegen sowohl im Testis wie im Ovarium den Bildungsstatten der Fortpflanzungszellen unmittelbar an, und zeigen gerade im Pubertatsalter mikroskopisch nachweisbar eine auffallende Wucherung. Beide Pubertatsfaktore sind also örtlich und zeitlich kaum zu trennen; etwa wie es die Safte des Baumes sind, wodurch die Früchte reifen. Es wird diese Auffassung dadurch bestatigt, dass die Geschlechtsreife auch in andern Altersperioden künstlich hervorgerufen werden kann, wenn es nur geling t die Produktion der betreffenden organochemischen Stoffe im Gang zu bringen. So ist es Prof. STEINACH bei schon durch Alter steril gewordenen Ratten gelungen, die Produktion von Fortpflanzungszellen künstlich wieder hervorzurufen, bloss indem er die Produktion der genannten organochemischen Stoffe künstlich wieder anregte; wobei dann, wenn auch nur für kurze Zeit, eine totale Verjüngung eintrat. Bei mannlichen Ratten genügte dazu schon die Unterbindung und Durchschneidung eines der beiden Samenleiter, wodurch dann in diesem Testikel die Sperma-anlage zu Grunde geht und das sonstige Gewebe hypertrophiert; bei weiblichen Ratten aber war Einpflanzung eines jugendlichen Ovariums unbedingt erforderlich. Eine solche Verjüngungskur hat sich sogar auch schon bei Menschen, wenn auch nur für kurze Zeit, wirksam gezeigt zur Beseitigung mannlicher Impotenz, und ware wahrscheinlich auch wirksam zur Beseitigung weiblicher Frigiditat. Man soll aber mit so eingreifenden Operationen immer sehr vorsichtig sein, weil solche Leiden öfters ein Heilmittel der Natur sind, um geistige Ruhe zu verbürgen. Auch vorzeitig, sogar bei sehr jungen Tieren gelang es Prof. Steinach, die Geschlechtsreife künstlich hervorzurufen, und 3 34 zwar durch jede Schadigung die im Stande ist, die Fortpflanzungszellenanlage zu vernichten und das sonstige Gewebe zur übermassigen Wucherung zu bringen. Es sind dazu geeignet die folgenden schadigenden Einflüsse: Einpflanzung sonstwo, Röntgenbestrahlung, Erhitzung, Vergiftung, und bei mannlichen Individuen Unterbindung und Durschschneidung der beiden Samenleiter. Schade nur, dass wenn die Fortpflanzungstumoren beiderseits geschadigt werden, die Produktion von Fortpflanzungszellen dadurch von vorneherein im Wegfall kommt; ob diese letztgenannten Tierexperimente auch schon so gemgcht sind, dass bloss einseitig eingegriffen wurde, wobei dann auch wirklich, zugleich mit der sonstigen sexuellen Reife auch Fortpflanzungszellen vorzeitig geliefert werden können, habe ich zur Zeit noch nicht erfahren können. Recht bezeichnend aber in dieser Beziehung ist folgender pathologische Fall von einer einseitigen Schadigung, wobei dann auch wirklich Pollutionen vorzeitig auftraten, ich meine den Fall von Lacchi. Hier war ein Knabe von 9 Jahren schon 143 c.M. lang, mit. Bartwuchs, Erektionen, Sexualdrang und Pollutionen. Als dann aber der linke Testikel wegen Carcinoma amputiert wurde, da ist innerhalb vier Monaten nicht nur der Bartwuchs wieder rückgangig geworden, sondern es waren auch die Erektionen, der Sexualdrang und die Pollutionen wieder verschwunden! Auch diese Rückgangigkeit ist als Gegenprobe ausserst beweisend. Es ist also das Auftreten der Sexualerscheinungen eine tiefgehende Modiflkation des normalen vegetativen Wachstums, eine Modifikation die sich in erster Linie in einer modifizierten Zusammensetzung der Safte, dann aber auch weiter in einer neuen Zellenbildung aussert. Mit welchen chemischen Prozessen das Auftreten der Sexualerscheinungen in der Pflanzenwelt einhergeht, ist so viel ich weiss, noch wenig untersucht worden; nur ist es pharmazeutisch schon lange bekannt, dass Blumen oft andere chemische Bestandteile aufweisen wie die vegetativen Pflanzenteile. 35 Wie gerne würden wir die Kausalitatskette unserer Geschlechtsdifferenzierung noch weiter nachspüren, damit wir spater auch diesen Punkt von Anfang an beherrschen könnten! Wie gerne mochten wir wissen, woher die erste Geschlechtsdifferenzierung eines jeden Individuums herrührt, d. h. wesshalb embryologisch die anfangs doch gewiss noch identischen Epithelzellen, nach ihrer Abschnürung sich in einigen Fortpflanzungstumoren kleinzellig, in andern grosszellig entwickeln ? Die folgende Hypothese scheint mir wohl die wahrscheinlichste. Man hat schon ehemals gemeint, und es ist jetzt sowohl bei Pflanzen wie bei Tieren auch experimentell nachgewiesen worden, dass bei üppigen verhaltnissen d. h. bei einem Optimum an Nahrstoffen, an Feuchtigkeit, an Warme u. s. w. relativ mehr weibliche Individuen gebildet werden, und umgekehrt. Es liegt ja auch auf der Hand, dass in dergleichen günstigen Verhaltnissen sich grössere Zeilen bilden werden; wie auch spater die Eizelle noch immer gross und reich an Nahrungsvorrat ist. Umgekehrt werden sich in weniger üppigen Verhaltnissen bloss kleine Zeilen bilden? wie auch spater die Spermazelle sich durch Mangel an Nahrungsvorrat auszeichnet. Es stimmt dies auch mit der ethnographischen Erfahrung, dass Polygynie haufiger in wanneren, fruchtbaren Gegenden, Polyandrie hingegen meist auf rauhea, kalten Bergplateaux gefunden wird. Es weist bei diesen Naturvölkern dieser Tatbestand darauf hin, dass auch in der Menschenwelt die Natur bei einer gewissen Üppigkeit ein Übermass an weiblichen Individuen züchtet, und umgekehrt; sonst hatten diese Sitten sich niemals verallgemetnern können. In diesem Sinne wird es auch leicht erklarlich, wesshalb nach einem verheerenden Krieg die Zahl der mannlichen Geburten so auffallend hoch zu sein pflegte : es soll dies vom erlebten Kriegselend herrühren. Es haben aber diesmal wahrscheinlich die riesigen Rationierungs- und Unterstützungsmassnahmen, wenn diese auch nur die ausserste Grenze des Ellends ein wenig gemildert haben, doch dem Aufreten dieses statistischen Missverhaltnisses entgegen gewirkt, Wenn man aber solche rohen Naturzustande und Katastrophen, die die Geburtenzahlen entweder in dem einen oder in dem andern 36 Sinn auffallend beeinflüssen, von vornefiérein ausschaltet, so wird man nach dieser Hypothese im Allgemeinen mittlere Zahlen erwarten dürfen, wobei die Knabengeburten und die Madchengeburten einander etwa das Gleichgewicht halten. Wirklich flndet man in denjenigen Landern wo die Bevölkerungsstatistik pünktlich organisiert ist, im Mittel ein Knabengeburtenüberschuss von etwa 3 pc. (*). Es scheint also in diesen Landern der allgemeine Wohlfahrtszustand. wenn auch nicht gerade gunstig, dann doch auch nicht besonders schlecht zu sein. Es können aber vielleicht auch schon Erblichkeitseinflüsse dazu angetan sein, eine gleiche Zahl mannlicher und weiblicher Individuen hervorzurufen, wie uns dies aus der Lehre Mendel'S erhellt. Bei seinen Hybridisationsversuchen in seinem Pfarrgarten kreuzte er z. B. weisse Bohnen von reinster Rasse mit dunkelen Bohnen von reinster Rasse; spater nahm man auch wohl weisse Schafe reinster Rasse mit schwarzen Schafen reinster Rasse, und so mit allen hervorragenden Merkmalen; sogar wurden bei Menschen durchaus erbliche Merkmale wie Farbenblindheit und Haemophilie auf die namliche Weise statistisch nachgeprüft Bei jenen Experimenten mit Pflanzen und Tieren erhielt man gemischte Nachkommen die man wiederum in verschiedenen Kombinationen und Generationen unter sich kreuzen konnte. Nach vielen Experimenten wusste Mendel schon im voraus zu sagen m welchen numerischen Verhaltnissen für jeden Fall die betreffenden Merkmale auftreten würden. Es sind dabei auch Falie in denen die gleiche Zahl des einen und des andern Merkmals zu erwarten ist. Vielleicht liegt dem normalen numerischen Verhaltniss der beiden Geschlechter etwas ahnliches zu Grunde. Anhang über Hermaphroditismus. Neben den schon am Ende des vorigen Kapitels erwëhnten verschiedenen Arten und Abstufungen des Hermaphroditismus, muss hier zum Schluss noch auf dem Hermaphroditismus hinge(*> Durchschnittlich kommen in diesen Landern, wie man schon Anfano unseres Jahrhunderts hat feststellen können, auf 100 Madchengeburten 106 Kna bengeburten; in Ostreich und Italien 107. in der Schweiz 99. Nur infolge grösserer Knabensterbhchkeit findet sich in den heiratsfehigen Jahren ein überschuss an weibhchen Personen. 37 wiesen werden das entsteht wenn beim namlichen Individuum organo-chemische Stoffe der beiden Geschlechter produziert werden. Die Möglichkeit dieser Art Doppelgeschlechtlichkeit kann nicht in Abrede gestellt werden, denn man hat diesen Fall schon experimentell hervorgerufen. Wurden van Prof. steinach bei kastrierten jungen Tieren zur gleichen Zeit ein Testis und ein Ovarium implantiert, dann erhielt er einen doppelgeschlechtlichen Typus, eine Art künstlicher Hermaphroditen, mit abwechselnden Perioden mannlicher und weiblicher Neigungen, je nachdem mikroskopisch nachweisbar, das Zwischengewebe des Testis, oder das die Eianlage umgebende Gewebe des Ovariums sich zur Zeit am kraftigsten entwickelte. Es ist für das Verstandniss der Geschlechtsdifferenzierung dieses Experiment namentlich desshalb so wichtig, weil es uns der Lösung eines geheimnissvollen Ratsels wiederum einen bedeutenden Schritt naher bringt. Man wusste namlich schon lange, dass es Manner giebt die von Haus aus gar keine sexuelle Neigung zu Frauen, aber eine sehr ausgesprochene sexuelle Zuneigung zu Mannern, also zu ihrem eignen Geschlecht fühlen, und die desshalb homosexuell genannt werden; so auch homosexuelle Frauen die nur für Frauen Zuneigung hegen. Weil wir aber durch die Experimente Steinach's wissen, dass die Zuneigung entweder zu dem einen oder zum andern Geschlecht wesentlich durch die Anwesenheit der entweder vom Testis oder vom Ovarium stammenden organochemischen Stoffe bedingt wird, lag die Vermutung auf der Hand, eine solche individuelle Eigenart wo diese angeboren ist, von einer Verwechslung jener organochemischen Stoffe herzuleiten. Es braucht dazu der Mann nicht ein Ovarium, oder die Frau einen Testis zu haben, aber es würde schon genügen, wenn im Testis solches Ovarialgewebe, oder im Ovarium solches interstitielle Testisgewebe vorlag. Jetzt lehrt uns das hier erwahnte Experiment Steinach's, dass Falie mit dieser hermaphroditischen Gewebsmischung künstlich hervorgerufen werden können, und am Ende des vorigen Kapitels sahen wir, dass auch in der Natur solche Mischfaüe wirklich schon gefunden worden sind; weitere Wahrnehmungen bei Obduktionen und bei eventuellen Operationen werden uns jetzt nur noch weiter belehren müssen, wie frequent die Falie sind einer Homosexualitat die von dieser hermaphroditischen Gewebsmischung hervorgerufen wird. 38 Inzwischen haben diese Entdeckungen auch jetzt schon zu überraschenden Errungenschaften geführt indem es schon im Sommer von 1916 Dr. LlCHTENSTERN wirklich gelungen ist, einen deutlich ausgesprochenen Homosexuellen auf dessen Bitte nach vorhergehender doppelseitigen Kastration, durch Einpflanzung irgendwo eines normalen Testikels der bei einem andern Patiënten wegen Kryptorchismus (halbwegs zurückbleiben) doch weggenommen werden musste, in einen ausgesprochenen heterosexuellen Mann zu verwandein, der sich dann auch seither glücklich, wenn auch steril, verheiratet hat. Seitdem hatten auch andere Operateure mit diesem Verfahren den namlichen Erfolg aufzuweisen. Wird bei der Operation die Kastration vorlaüBg nur an einem der beiden Testikel vorgenommen, dann kann vielleicht der Erfolg der namliche sein, mit Beibehaltung der Fruchtbarkeit; den andern Testikel kann man ja immerhin, wenn es Not tut, auch spater noch wegnehmen. Die Mehrzahl der homosexuell veranlagten Personen wird sich aber wohl nicht gerne dieser Operation unterwerfen; sie fühlen sich ja gar nicht unglücklich wegen ihrer Eigenart, sondern nur wegen unserm Fanatismus; das ist unsere Krankheit, von der wir geheilt werden sollten. Wir müssen es vor lieb nehmen, dass die Natur alle Menschen verschieden veranlagt hat. Sogar die Trennung der Geschlechter, ist ja nicht eine absolute. Auch wird man bei diesen Untersuchungen schon bald verspüren, dass die Psyche doch immer noch ein feineres Kriterium darstellt wie das Seziermesser. Von der feineren psychischen Sexualdifferenzierung kommen wir im Kap. 59 noch mehr eingehend zu handeln. Psychisch sind wir ja vielleicht alle wohl ein bischen hermaphroditisch, weil wir ja alle von einem Vater und von einer Mutter stammen. 5. Die neue Zellenbildung von den Pubertatsjahren an. Mit den Pubertatsjahren, als die erste Energie der Kinderjahre sich gelegt, und das Wachstum aller Körperorgane sein Endziel nahezu erreicht hat, e'rwacht bei beiden Geschlechtern zu ihrem grossen Erstaunen ein neuer Impuls, ein Nachschub von Wachstumsenergie, gerade von den beiden kleinen Geschwülsten herrührend, die nach den ersten, stürmischen embryonalen Anfangen immer noch in ihrer Ruhe beharrten, als waren sie verurteilt, immer rüdimentare Organe und Non-valeurs zu bleiben. Jetzt aber entsteht hier aufeinmal ein neuer Reiz zur Neubildung, und es ist dieses frei werden einzelliger Organismen der erste Anfang des eigentlichen Sexuallebens, das bis jetzt nur noch kindlich geahnt wurde. Ein neues Leben erwacht in dieser Lebensperiode sowohl in den Testes wie in den Ovarien. Wahrend in ihrem interstitiellen Gewebe eine starke Wucherung sich geltend macht, wobei sich die im vorigen Kapitel genannten organochemischen Stoffe bilden, fangen im Ovarium halbflüssige Eizellen zu reifen an, die periodisch abgestossen werden; im Testikel reifen zahllose Spermazellen, die mit viel kürzeren Intervallen nach aussen entleert werden. Wie die Eizellen sich mühsam quer durch das Ovarialgewebe einen weg bahnen müssen, sahen wir oben schon (seite 25), aber wie bildet sich beim Mann die neue Zellenart? In der erwachsenen Hode ist, wie wir Seite 23 bemerkten, die Innenflache der feineren Kanale, als waren es Drüsenschlauche, von Zeilen bekleidet, immer noch die Nachkommen der damals im Fortpflanzungstumor abgeschnürten Epithelzellen. Ihre letzte Ausbildung ist jetzt, dass sie alle mit 50 bis 60 mikroskopisch feinen Eiweissfaden oder Cilien versehen sind. Das Ganze sieht dadurch aus, als ware der feine Kanal reichlich mit Flimmerepithel bekleidet; bei genauer miskroskopischer Betrachtung aber stellt es sich heraus, dass diese Cilien in der Zelle stechen wie beim 40 Getreide die Grannen in einer Ahre. Die neue Zellteilung, eine ArtReduktionsteilung(sieheKap.40) besteht nun darin. dass diese Ghen sich loslösen, wantend an jede Cilie ein kleines Stückchen von der Mutterzelle haften bleibt, als ware dies der Kopf des Spermatozoöns (*); wahrend öfters da wo der Kopf und die fadenförmige Cilie in einander übergehen, eine kleine Unebenheit noch die Grenze verrat, wo die neue Zelle sich von der Mutterzelle losgerissen hat. Die Mutterzelle selbst sieht schliesslich aus wie eine ausgedroschene Ahre. So eine plötzlich auftretende Aussaat einer Unmasse neuge^ bildeter Einzelzellen, kommt öfters in unserm Leben vor, z. B. auch jedesmal wenn nach Veranlassung einer Infektion eine Entzündung mit Eiterbildung sich einstellt; und wir wollen jetzt einmal versüchen eine Parallele zu ziehen, zwischen so einem gewöhnÜchen Fall von Entzündung einerseits und dem Auftreten der sexuellen Reife anderseits. Nebenbei ein glanzendes Beispiel. wie die kategorische Trennung pathologischer und physiologischer Prozesse zwar praktisch sehr bequem, biologisch aber doch nicht so prinzipiell ist wie man dies früher wohl meinte. Erstens dann das Krankheitsbild der Entzündung. Nach Anlass der chemischen Wirkung etwaiger den Bakterien entstammenden organochemischen Gifte, bildet sich unter typischen Erscheinungen lokaler venöser Blutstauung, eine Unmasse weisser Blutkörperchen, eine Aussaat neugebildeter Eiterzellen, wodurch dann die ganze Umgebung und wenn Fieber auftritt sogar die ganze Konstitution körperlich und seelisch aufs heftigste erschüttert wird. Es sind diese Zeilen die bekannten Phagocyten. die dann weiter chemotactisch durch ihnen besonders zusagende Nahrungsstoffe angelockt werden, die aber nicht föhig sind als einzellige Organismen ihre individuelle Existenz zu behaupten. Die nachsten Folgen einer Entzündung beziehen sich wie bekannt auf zwei Kategorien von Erscheinungen: einerseits erhöhte Neubildung, anderseits ein vermehrter Zerfall von Gewebe. (*) Damals als man die Spermazellen zum ersten mal mikroskopisch ent deckte, wie sie mittels lebhafter Geisselbewegung sich emsig fortbewegen, hielt man sie für „Samentierchen" (Spermatozoën) mit Kopf und Schwanz. 41 Und jetzt das Auftreten der sexuellen Reife. Wahrscheinlich vom chemischen Reiz namentlich der im vorigen Kapitel genannten organochemischen Stoffe veranlasst, tritt von den heftigsten lokalen venösen Blutstauungen begleitet, eine Aussaat neugebildeter Spermazellen auf, wodurch die ganze Umgebung und öfters sogar die ganze Konstitution körperlich und seelisch aufs heftigste erschüttert wird. Sobald die Veranlassung dazu vorliegt, stürzen sich diese Spermazellen auf die an Nahrstoffen reicheren Eizellen von denen sie chemotactisch angezogen werden; an und für sich aber sind diese Zeilen nicht fahig als einzellige Organismen ihre individuelle Existenz zu behaupten. Die nachsten Folgen beziehen sich auf zwei Kategorien von Erscheinungen: eine erhöhte Neu~ bildung und ein vermehrter Zerfall von Gewebe. Der Weg den die Eiterzellen nehmen, geht öfters quer durch das Körpergewebe, gerade wie die Eizelle quer durch das Ovarialgewebe hindurch geht; öfters auch wahlt der Eiter praformierte gebahnte Wege wie die Spermazellen. Zum zusammenschmelzen als Fortpflanzungszellen sind die Eiterzellen schon desshalb weniger geeignet, weil sie alle nach dem namlichen Typus gebaut sind, und also keinen chemotactischen Reiz auf einander ausüben können. Dass die Fortpflanzungszellen unter sich so verschieden sind, nach zweierlei Typus, liegt wohl daran, dass die Geschwulst aus der sie stammen dimorph ist (siehe Fussnote Seite 23). Wir können aber die Parallele noch weiter verfolgen: alle die Einflüsse die den sexuellen Reiz zu sehr steigern und die desshalb, wie wir spater (Kap. 32) ausführlich erörtern werden, bei sexuell reizbaren Personen möglichst gemieden werden sollen, sind auffallenderweise die namlichen, die auch bei Entzündung en und Fieberzustanden zu meiden sind. Kontraindiziert sind in beiderlei Fallen : jeder lokale mechanische Druck und Erhöhung des Blutdrucks, das Geniessen von scharfen Gewürzen und sonstigen Reizmitteln namentlich auch von Alkoholicis, alle überflüssige Nahrung namentlich überflüssige Eiweissnahrung, lokale Hitze, lokale Massage, psychische Exaltation. Wahrend auch umgekehrt jene Droguen die den sexuellen Reiz. lahmen, wie Chinin- und SaUcylsaurepraparate, auch die wertvollsten Mittel sind um das Fieber zu beschwören. 42 Wie Fieber und Entzündung ursprünglich Heilmittel der Natur sind, damit durch die erhöhte Stoffwechselenergie die übelen Einflüsse beseitigt werden, schade nur dass dies Heilmittel zuweilen gar zu heftig angreift *), so ist das Sexualleben eine Energieerhöhung wenn nach fast erreichter körperlicher Entwicklung sonst Stillstand und Siechtum (siehe Kap. 66) eintreten würde, schade nur dass es sich öfters gar zu ungestüm Bahn bricht. Ja wie bei der Eiterentleerung jedesmal eine wohltuende Erleichterung eintritt, so wird auch jedesmal bei der Sekretion der Fortpflanzungszellen der sexuelle Reiz beschwichtigt. Eine gewisse Verwandtschaft ist gewiss nicht zu verkennen. Diese Verwandtschaft der Fortpflanzungszellen mit einer pathologischen Neubildung kann uns auch gar kein Wunder nehmen. Es sind ja die Fortpflanzungszellen nur die reife Aussaat einer Geschwulst von der wir bei der embryonalen Entwicklung schon gesehen haben, wie sie ganz nach dem Schema einer pathologischen Geschwulst, aus einer gegenseitigen Durchwucherung zweierlei Gewebesysteme hervorgegangen ist, und bei mannlicher Veranlagung auch sofort schon einen typisch pathologischen Schaden verursacht hat, indem sie ihr Nachbarorgan die Urniere total überwucherte. Ebenso wie diese embryonale Geschwulst, kann auch z. B. eine Atheromcyste (Breigeschwulst) wie sie im vorgerückten Alter so oft an der behaarten Kopfhaut vorkommt, viele Jahre hindurch im Stillstand verharren; reift sie aber, und wird sie entzündet, dann bleibt eine ergiebige Zellenproduktion anhalten bis Exstirpation erfolgt. *) Die Natur tut ja öfters mit uns ein bischen gewaltsam; wie im Fabel der Bar der eine Fliege auf dem Kopf des schlafenden Einsiedlers mit einem Felsenblock, aber damit auch des Einsiedlers Kopf zerschmetterte. So versteht es sich, wesshalb wir Arzte die Krankheitserscheinungen fast immer hemmen und nur selten stacheln mussen. 43 Wir wollen uns aber bei unserer Parallele nicht auf pa'hologische Anhaltspunkte allein beschranken. Biologisch ist ja jede Art von Neubildung, auch wenn sie pathologisch hervorgerufen wird, der Ausdruck einer gewissen Wachstumsenergie die doch vorratig sein muss um die Neubildung überhaupt hervorrufen zu können. Betrachten wir die verschiedenen Neubildungsarten hinsichtlich den verschiedenen Lebensperioden in denen sie hervortreten, dann ergiebt sich ein typisches Schema unseres Lebens, weil ja die verschiedenartigen Neubildungen ein Ausdruck sind der verschiedenartigen Wachstumsenergie die unseren verschiedenen Lebensperioden eigen ist. Solange in der Jugend die Wachstumsenergie noch maximal ist, aussert sie sich im normalen, vegetativen Wachstum. Sobald aber diesem Wachstum ein Ziel gesetzt wird, aussert sie sich nur noch in einer davon abweichenden Art, namlich in der sexuellen Bildung einzelliger Organismen. Und wenn spater mit steigendem Alter auch dièse Energie-Musserung zu Ende geht, entstehen zuletzt nur noch hie und da atypisch in den verschiedensten Körpergeweben abnormale, pathologische Neubildungen, oft bedeutungslos, öfters sogar unbemerkt, zuweilen aber bösartig und verhangnissvoll. So stellt es sich heraus. dass die sexuelle Neubildung von Spermazellen und Eizellen zwischen dem gewöhnlichen Wachstum von dem in der Jugend alles beherrscht wird, und den pathologischen Neubildungen wie sie im vorgerückten Lebensalter hervortreten, etwa eine Mittelstellung einnimmt. Die Sonderstellung des sexuellen Lebens im Gegensatz zu unserer vegetativen Existenz wird dadurch aufeinmal genau charakterisiert; und es wirft dies auch (siehe Kap. 40) ein ganz anderes Licht auf die sexuelle Evolutionsgeschichte. Diese Mittelstellung wollen wir jetzt noch in den verschiedensten Hinsichten Punkt für Punkt kurz streifen. Erstens, wie gesagt, hinsichtlich dem Lebensalter in dem die Zellenbildung auftritt: das gewöhnliche Wachstum ist im Kindesalter am starksten; die pathologischen Neubildungen bilden sich namentlich im höheren Alter. Die sexuelle Neubildung hingegen, fangt eben in den Pubertatsjahren an. 44 Zweitens: das gewöhnliche Wachstum ist an den Körperoberflachen (Haut, Schleimhaut, Nagel, Haare) am ergiebigsten; die pathologischen Neubildungen entstehen vielfach mitten in abgeschlossenen Gewebspartien. Die sexuelle Neubildung hingegen liegt zwar tief im Innern verborgen, sie steht aber doch mit der Aussenwelt noch einigermassen in Verbindung. Drittens: das gewöhnliche Wachstum ist eine normale isomorphe Neubildung d. h. die neugebildeten Zeilen sind wenigstens im Anfang mit dem Gewebe aus dem sie hervorkommen. gleichförmig; die pathologischen Neubildungen sind fast immer heteromorph, zuweilen sogar ganz abnormal, sie wölben sich denn auch im Gegensatz zu ihrer Umgebung wie eine Geschwulst hervor, und haben öfters sogar eine ausgesprochene Neigung sich abzuschnüren und sich los zu lösen. Die sexueile Neubildung ist zwar bei beiden Geschlechtern ebenfalls ihrem Muttergewebe ungleichartig, sie ist also auch heteromorph, und passt auch so wenig in ihrem Zellverband dass. Loslösung alsbald folgt, sie ist aber eine normaliter auftretende heteromorphe Neubildung. Schliesslich : das gewöhnliche Wachstum geht aus der Anwesenheit einer genügenden Menge normaler chemischer Nahrungsstoffe hervor; die pathologischen Neubildungen werden öfters von dem abnormalen Reiz toxischer organochemischer Stoffe veranlasst die von Bakterien und dergleichen stammen. Das Reifen und Abgestossenwerden der Fortpflanzungszellen seit den Pubertatsjahren hingegen, wird durch den Reiz der im vorigen Kapitel genannten organochemischen Stoffe hervorgerufen. Es wirkt also auch hier ein ungewöhnlicher chemischer Reiz, aber ein Reiz der in einer normaliter vorhandenen Geschwulst auftritt. Es wird sich weiter im Kap. 40 noch herausstellen, wie im Anfang der Evolutionsgeschichte das vegetative Wachstum der einzig normale Wachstumsmodus war; wahrend die pathologischen Neubildungen uns wie eine accidentelle Krankheit befallen. Die sexuelle Neubildung hingegen war bei ihrem ersten Auftreten zwar eine sehr speziflsche Modifikation, aber eine Modifikation die aus dem tiefsten Wesen der organischen Entwicklung hervorgeht. 45 Ein weiteres Charakteristikum der Fortpflanzungszellen den beiden andern Kategorien von Neubildung gegenüber, ist dass sie abgestossen werden, und zwar nicht erst bei hohem Alter, sondern sofort bei ihrer Bildung, in ihrer ersten Lebenskraft, als sie noch aus fast flüssigem Eiweiss bestehen. Es ist dies bei den höheren Organismen ein ganz exceptioneller Fall *), der sich nur bei den Fortpflanzungszellen findet; eben desshalb sind es Fortpflanzungszellen ! Zur Befruchtung ist es ja unbedingt notwendig dass sie abgestossen werden, sonst könnten sie niemals zusammentreffen. Mindestens in einem der beiden Geschlechter müssen sie abgestossen werden, wie z. B. bei den Pflanzen der Pollen zerstaubt, wahrend die Eizellen im Fruchtknoten ruhig warten bleiben. Ebenso notwendig ist es dass sie zur Zeit der Abstossung wenigstens innerlich noch halbflüssig sind **), wie könnten sie sonst zusammenschmelzen ? Sind die Fortpflanzungszellen einmal aus dem Zellverband ausgetreten, dann kommt es weiter darauf an, aus dem Körper herausbefördert zu werden. Auch hinsichtlich dieser weiteren Herausbeförderung, behaupten die Fortflanzungszellen eine Mittelstellung zwischen Wachstumszunahme einerseits und Altertumstumoren anderseits. Beim gewöhnlichen Wachstum wird nur die oberflachliche Zellschicht von Oberhaut oder Schleimhaut, wenn alt und degeneriert, regelmassig spontan -abgestossen ; wahrend in den tieferen Gewebeschichten bloss die Abfallstoffe mittels den Lymphbahnen oder sogar regelrecht mittels spezialen Drüsenkanalen eliminiert werden. Alles dies kann man ruhig der Natur überlassen; aussere Einflüsse wie Massage u. s. w. sind dabei zwar erförderlich, sie sind aber nicht unbedingt notwendig. *) Sonst findet sich dieses Phanomen nur bei den allerprimitivsten Lebewesen, pflanzliche sowohl wie tierische; hier sogar bei jeder Zellteilung, weil es einzellige Organismen sind. **) Nur bei sehr primitiven Organismen wo es einer Zusammenschmelzung noch gar nicht bedarf, werden auch wohl alte, sogar trockne Zeilen zur Fortpflanzung abgestossen, die sogenannten Sporen. 46 Bei unsern pathologischen Neubildungen aber ist zur Entfernung eines Tumors der mechanische Eingriff" eines Operateurs fast immer unerlasslich! Bei der sexuellen Neubildung inzwischen geht die Herausbeförderung weniger leicht von Statten wie beim Wachstum, normaliter aber doch auch nicht so schwer wie bei den pathologischen Neubildungen. Wir wollen dies für die beiden Geschlechter noch ein wenig naher erörtern. Anfangs geht bei beiden Geschlechtern alles noch ohne fremde Hilfe. Im weiteren Verlaufaber verlangt beim Manne die Entleerung der Samenblaschen, beim Weibe die richtige Kontraktion der Gebarmutter normaliter den Begattungsakt. Aber zur Begattung bedarf man eines Partners! Man hat also hier die sonderbare Erscheinung, dass zur naturgemassen Erledigung eines physiologischen Bedürfnisses, man der Mithilfe eines zweiten Individuums bedarf. Denken wir uns einmal, dass auch für andere physiologische Funktionen wie für Verdauung und Atmung die Mithilfe eines Partners unentbehrlich ware! Und wenn schliesslich einmal Befruchtung eingetreten ist, dann bedarf mit der Zeit die Gattin, gerade wie bei der Entfernung einer pathologischen Geschwulst erst recht eines Operateurs d. h. des Accoucheurs. Jedenfalls ist bei der Entbindung seine Hilfe und sein Rat wesentlich erförderlich, und sein blutiges Eingreifen leider nur zu oft ganz unentbehrlich! Wenn auch unsere unnatürliche, mit zu vielem Sitzen verknüpfte Lebensweise und unsere oft recht unzweckmassige Körperbekleidung vielfach Schuld daran ist, dass in der menschlichen Entwicklungs (?)geschichte die Entbindung ein so riesiges Martyrium geworden ist, so darf man aber dabei doch nicht vergessen, dass auch bei den primitivsten Naturvölkern und schon bei den höheren Tieren die schlimmsten Gebarhindernisse nicht fehlen, und dass auch in den normalst verlaufenden Fallen, doch das Trennen der neugeborene Frucht vom Nabelstrang ein blutiger eingriff ist, der sogar bei den wildlebenden Tieren nicht entbehrt werden kann; sie reissen oder beissen ihn ja durch. 47 Gewiss, es ist ein riesiger Vorsprung für uns, Manner dass bei uns diese neugebildeten Zeilen unter allen Umstanden immer so mikroskopisch klein bleiben, und dass sie von vorneherein einen so ganz gebahnten Ausweg finden; wahrend bei der Frau die endgültige Herausbeförderung oft so schwer gelingt! Und wenn schon im ehelichen Verkehr die beiden Gatten einander für ihre gegenseitige Hilfsleistung dankbar sind, fast noch erkenntlicher ist die Mutter dem Accoucheur wenn alles richtig überstanden ist. Und der feierliche Accoucheurskuss der ehemals in den ersten Gesellschaftskreisen Sitte war, war denn auch als Dankbarkeitsausserung nicht weniger herzlich gemeint und ebenso heilig, wie der Abschiedskuss nach dem Begattungsakt. Anhang aus dem Pflanzenleben. Bei vielen Pflanzen zerfallt die erste periode, die periode des normalen vegetativen Wachstums, noch wieder in zwei gesonderten Perioden. Nachdem bei unsern Laubbaumen und Strauchern die Periode des Frühlingswachstums abgeschlossen ist, erscheint im Frühsommer an vielen Zweiglein: der Sommerwuchs. Es ist dies ein Nachschub von Laubbildung an den namlichen stellen wo damals das erste Wachstum halt gemacht hat; und diese bildet hier wiederum Laubsprösse ebenso wie damals. Es ist dies also eine rein isomorphe Neubildung. Erst in der geeigneten Jahreszeit tritt Blütenbildung auf; und diese ist bei den Pflanzen eine ebenso sonderbare (heteromorphe) Neubildung, wie bei uns das Phanomen der Geschlechtsreife. Auch in der höheren Pflanzenwelt ist zur Befruchtung das Zusammenwirken der beiden Geschlechter unbedingt notwendig; und auch hierbei ist mechanische Hilfsleitung von aussen her öfters sehr erförderlich, zuweilen sogar unentbehrlich. Man denke nur an die Bestaubung mittels Insekten. 6. Die Weiterbeförderung der neugebildeten. Spermazellen. Wir wollen jetzt beobachten, wie die allmahlich reifenden und abgestossen werdenden Spermazellen, zahllosen Windungen entlang, einen Ausweg finden. Im Gegensatz zur weiblichen Organisation (Seite 25) ist dieser Weg zwar ein ununterbrochener, aber doch sehr kompliziert; wie dies bei der Verwendung eines embryohalen Nierenabführsystems wohl kaum anders zu erwarten war. Wir müssen also zu der geheimnissvollen Werkstatt der Natur im Kellerraum unseres Körpers hinabsteigen, wo wir zwei explosive Kugeln finden, die die Welt fortwahrend erschüttern; es gilt hier aber nicht eine Explosion des Todes, sondern eine Explosion des Lebens. Wir wollen die innere Konstruktion so eines Testikels jetzt einmal genau betrachten. Die mannliche Hode, wie sie schon vor der Geburt ihre definitive Gestalt erreicht hat, ist nicht kugelrund sondern langlich rund, bohnenförmig, etwa wie eine kleine Niere, nur weniger platt. Von aussen ist das kleine Organ von einer sehr harten Bindegewebe-schale oder Kapsel umgeben, und von innen enthalt sie keine Flüssigkeit sondern nur festes Gewebe. Wenn wir es durchschneiden, finden wir alles von zahllosen ausserst fein gekrauselten Kanalchen voll gepfropft, wovon oben (Seite 23) schon die Rede war, und die mikroskopisch wie gewöhnliche Drüsenkanalchen aussehen. Sie sind auch von innen mit Zeilen bekleidet als waren es Drüsenzellen, die aber in diesem Fall von den embryologisch abgeschnürten Epithelzellen herrühren. Für das blosse Auge sehen diese Kanalchen aus, wie dünne Faden z. B. von ausgerissener Hackelarbeit, alles dicht auf einander zusammengepackt zu langlich kegelförmigen Pyramiden die unter sich durch feste Bindegewebe-wande geschieden sind. Es sind diese Wande eigentlich nur Fortsetzungen der aüssere Kapsel die allmahlich sich verjüngend sich zwischen die Pyramiden einsenken. Die ganze Organisation ist also eine Anordnung wirklich wie eine Niere. Das 49 weichere Gewebe das überall zwischen den feinen Kanalchen liegt, ist das interstitielle Gewebe *), das als Stoffwechselprodukt die genannten, für den Geschlechtsunterschied so typischen organochemischen Stoffe liefert. Alle die Gipfel dieser Pyramiden liegen einem einzigen Punkte zugewendet, und zwar zur Mitte der ein wenig konkaven Seite des Testikels, wo auch bei einer Niere der Abführkanal und die Blutgefasse austreten ; man denke sich nur bei einer Bohne den Fleck wo der Keim liegt. Alle diese feinen Kanalchen fliessen wie kleine Bachlein immermehr zusammen (es rührt eben daher die Zuspitzung der Pyramiden) und da wo am genannten Fleck die Gipfel aller Pyramiden zusammentreffen und diese grosseren Kanëlchen austreten, bilden sie, immer noch stark zusammengekrauselt, bevor sie die Hode ganz verlassen, erst noch an der Konkavitat des Testikels eine Verdickung, den Epidydimis **) oder Nebenhode, wodurch dann die Nierenform verdeckt wird und das ganze Organ mehr eiöe langlich runde Form annimmt, etwa wie ein Fingerglied. Auch im Epidydimis fliessen diese grosseren Kanalchen noch immermehr zu einem einzigen Kanal zusammen, der dann zuletzt an dem einen Pole des langlichen Testikels nach aussen hervortritt, wodurch dann letzterer schliesslich der Lange nach aufgehangt wird. Dieser Abführkanal mit fester Wand und ohne Windungen wird Samenkanal ***) oder Samenleiter genannt. Er ist wie schon Seite 13 bemerkt wurde, als ein harter Strang leicht durch die Haut des Skrotums durchzufühlen, und macht den Eindruck als ware dies der Stiel, woran der Testis als er hinunter rutschte noch hangen geblieben ist; in Wirklichkeit aber ist er der Anfang des mannlichen Genitalkanals. Dieser Samenkanal geht vom Testikel aufwarts, die Leistengegend entlang zur Bauchhöhle, beschreibt in der Bauchhöhle rechts und links von der Harnblase *) Auch im Ovarium werden diese organochemischen Stoffe von dem Gewebe geliefert das den Ei-anlagen am nachsten ist. **) Es ist dieser Epidydimis mitsammt seinem grossen Abführkanal eigentlich das Einzige was damals von der ganzen Ur-niere intakt geblieben ist, ***) Der Kanal selbst heisst Samenkanal (vas deferens); der Kanal mitsammt seiner Umbebung d. h. Blutgefassen, Nerven und Bauchfellscheide heisst Samenstiang (foeniculus spermaticus). 4 50 einen zierlichen Bogen (siehe Seite 24) und gelangt schliesslich hinten an den Fuss der Harnblase, um hier von rechts und links sich zu einander naherend, mit feinster Mündung nebeneinander in die weite Harnröhre einzumünden. Diese Harnröhre wird also fortan abwechselnd das eine Mal Harn, das andere Mal Sperma abführen. Kurz vor dieser Ausmündung in die Harnröhre ist sowohl der rechte wie der linke Samenkanal von einem eigenen seitlichen Reservoir versehen, die Samenblaschen. Diese letztere sind sehr langlich von Form und liegen seitwarts an die Hinterwand der Harnblase angeschmiegt. Wenn wir hier immer von Samenkanal und Samenblaschen reden, muss ich darauf aufmerksam machen, dass dies traditionelle Namen sind, mit traditionellen Irrtümern verknüpft. Will man sprachbildlich botanische Namen wahlen, dann sollte man gar nicht von Samen, sondern eher von Pollen reden ; der Samen ist ja erst das Endresultat in der reifen Frucht. Bei einigen Völkern aber, namentlich im klassischen Altertum findet man auch wirklich die Meinung vertreten, der Mann liefere den Samen, und die Frau sei nur der Acker; was doch wohl der Gipfelpunkt von Mannerdünckel ist. 51 Dieser ganze Apparat bleibt bis zu den Pubertatsjahren in seiner rüdimentaren Ruhe beharren *). Sogar die Zeilen die die Innenwand der feinsten Kanalchen auskleiden, bleiben, eben weil es keine Drüsenzellen sind, bis an die Pubertatsjahre ausser Tatigkeit. Wie von diesem Zeitpunkt an, als neue und ungewöhnliche Zellteilung, die Spermazellen zu Tausenden und zu Millionen sich loslösen, haben wir im vorigen Kapitel schon ausführlich dargetan. Sie werden mit einem Minimum von Feuchtigkeit **) abgeschieden, und zur Weiterbeförderung einfach von den nachstfolgenden neugebildeten Zeilen aufgestaut. In ihrem weiteren Verlauf im Epidydimis werden sie aber durch das Flimmerepithel das daselbst die Kanale auskleidet, noch viel kraftiger weiter befördert. Ich will hier ein für allemal auseinandersetzen, was man mit Flimmerepithel meint. Eine gewöhnliche Schleimhaut ist an ihrer Oberflache mit platten Zeilen bekleidet, wie auch unsere Oberhaut mit platten Zeilen bekleidet ist, nur dass sie bei den Schleimhauten eine weiche und feuchte Konsistenz haben. In einigen Körperkanalen aber, wie in unseren Luftwegen, tragt jede dieser obetflachlichen Zeilen einen kleinen, haarfeinen Eiweissfaden, der so lange der Körper lebt, durch rythmische Eiweisskontraktionen in fortwahrender Bewegung ist. Das Ganze macht dadurch den Eindruck einer Sammetbekleidung. Riesig vergrössert, kann man sich eine solche Oberflache denken wie eine Rasenflache wo der Wind eine wellenförmige Bewegung des Grases hervorruft. Die aktive Richtung der Bewegung ist immer der Aussenwelt zugewendet, wodurch diese Bewegung aller Einzelzellen z. B. in den Luftwegen neben dem Husten eine machtige Veranlassung ist, um kleinere Fremdkörper und Schleimpartikelchen nach aussen zu befördern. Durch das namliche Spiel wird beim Weibe die Eizelle wenn sie einmal in eine der Eileiter angelangt ist, weiter zum Uterus herunterbefördert. ') Auch die Samenblaschen sind ja, bloss als die beiden Harnblasen der beiden Ur-nieren aufzufassen. **) Weil alles Bindegewebe poros ist, ist auch unser ganze Körper in allen seinen Bestandteilen mit der KörperSüssigheit (Lymphe) durchtrankt. Unsere Oberhaut allein, bildet eine resistente Hülle. 52 So werden auch in den Epidydimiskanalchen *) die Spermazellen mit ihrer minimalen Flüssigkeitsmenge . vermischt, mittels dem Flimmerepithel das die inneren Kanalwande auskleidet, zum Samenkanal befördert. Hier werden sie dann weiter durch peristaltische d. h. fortlaufende Kontraktionen der Muskelwand noch viel energischer fortbewegt; besteht ja die Samenkanalwand, ebenso wie auch die Samenblaschenwand, nicht nur aus Bindegewebe, sondern auch aus glatten Muskelfasern **). So sieht man, wie diese neugebildeten Zeilen immer energischer und immer in geraumigeren Bahnen hinausbefördert werden. Zuletzt erreichen die Spermazellen die seitlich angehefteten Samenblaschen, wo viele ***) hineindringen und sich daSelbst mit dem schleimigen Sekret der Samenblaschenwand vermischen, wahrend andere sich im Samenkanal anhaufen, und sich erst dann mit dem Samenblaschenschleim vermischen, sobald gelegentlich eine energische Kontraktion der Samenblaschen mitsammt der Samenkanalen dazu die Veranlassung giebt. Es ist das hieraus resultierende Gemenge von Schleim und Spermazellen, das dann unter dem 'Namen „Sperma" in die Harnröhre hineingespritzt und so weiter hinausbefördert wird. Jetzt erst finden die Spermazellen einen genügenden Spielraum um sich frei zu bewegen, wahrend sie bis dahin gerade wie die Eizelle sich nur passiv verhalten könnten. Jetzt kann man sie leicht unter den; Mikroskop beobachten. Eine Spermazelle sieht bei starker Vergrösserung aus wie ein langlicher Punkt (der bei der Reduktionsteilung losgerissene Teil der Mutterzelle) von einem *) Auch schon die ersten, feinsten Kanalchen im eigentlichen Testikel sahen ursprünglich, als die Spermazellen noch kaum aus ihrer Mutterzelle hervorragten (siehe Seite 39) aus, als waren sie mit Flimmerepithel bekleidet. **) Für die verschiedenen Muskelarten siehe die Wörterliste am Ende des Buches, sub : Muskeln. ***) Der damals herrschenden Meinung gegenüber, als sassen die Samenblaschen mit Spermazellen vollgepfropft, vertrat schon J. H u n t e r die Meinung, die Spermazellen drangen fast gar nicht in die Samenblaschen hinein. Es ist aber seitdem durch Obduktionen zur Genüge bewiesen, dass beim Menschen neben den Samenkanalen auch die Samenblaschen ganz gewiss als Spermabehalter funktionieren, wenn auch mit einem Ubermass an Schleim gemischt. Bei denjenigen Tiergattungen aber, wo Samenblaschen nicht oder fast nicht gefunden werden, funktionieren anstatt diese, nur die Samenkanale. 53 am Ende umgebogenen Harchen (Wimper oder Cilie) versehen, alles von noch fast flüssigem Eiweiss. Wer je in einem Aquarium Froscheier im ersten Stadium ihrer Entwicklung als Larve gesehen hat, wie der schwarze Punkt einen fadenförmigen Schwanz bekommt, und die ganze Brut lustig im Wasser herumschwarmt, der hat eine zwar sehr plumpe und riesig vergrösserte, aber doch einigermassen richtige *) Vorstellung davon, wiej die schlanken Spermazellen sich energisch bewegen, sobald ihnen nur die genü~ gende Menge einer passenden Flüssigkeit **) zur Verfügung steht um sich überhaupt bewegen zu können. Wie ein Ruderboot das von hinten durch die Spiralbewegungen eines Ruders fortbewegt wird, so wird der kleine Punkt, die Spermazelle, durch die wellenförmige Bewegungen der nachkommenden Geissel fortbewegt. Und wie jede frei sich bewegende Zelle von Nahrung und von allerhand nützlich wirkenden Chemikalien angezogen (Chemotaxis), hingegen von allen Giften und schadlichen Einflüssen welche Eiweiss koagulieren abgestossen wird (negative Chemotaxis), so wird auch die winzige Spermazelle die fast gar kein Nahreiweiss enthalt, sobald sie in die weiblichen Genitalorgane hineingelangt, von der vielfach grosseren und mit vielem Nahreiweiss versehenen Eizelle durch Chemotaxis angezogen. Ist ja eine Spermazelle weiter fast nichts als ein kleiner Ze 11 kern, bloss mit einem Geissel versehen, wahrend bei der Eizelle der Kern wie bei jeder gewöhnliche Zelle, von Nahreiweiss reichlich umgeben ist; so sogar, dass bei niederen Tieren eine Eizelle, wenn auch ausnahmsweise, sogar ohne mit einer Spermazelle zusammenzuschmelzen, dennoch im Leben bleiben und sich zu einem erwachsenen Individuum entwickeln kann (Parthenogenesis); aber niemals und nirgends findet sich der Beispiel von einer Spermazelle die sich ohne Mithilfe einer Eizelle entwickelt hat! *) Man soll aber hierbei nicht vergessen, dass man im Mikroskop auch alle Bewegungen vergrössert sieht, und dass man also das ganze Bild mit kinematographischer Verschnellung erblickt. **) Wasser lahmt die Bewegungen für eine Zeitlang; schwach alkalische Reaktion begünstigt sie. Schon eine sehr schwach sauere Reaktion aber, wie auch eine stark alkalische Reaktion tötet die Zeilen; stark alkalische Plüssigkeiten z. B. Seifenlösung, sogar unter Auflösung der Schleimmassen worin sie sich verstecken. Am geeignetsten ist die indifferente Feuchtigkeit der normalen Schleimhaute im weiblichen Genitalkanal. 54 Um sich weiter einigermassen zu vergegenwartigen, wie verschieden in Grosse die beiderlei Zeilen wohl sind, soll man nur wissen, dass die kugelförmige Eizelle in allen Richtungen einen Diameter von 0.17 Millim. aufweist, sodass sie sogar mit blossem Auge noch eben sichtbar ist; die Spermazelle hingegen hat, die haarförmige Verlangerung mitgerechnet, nur eine Lange von 0.05 Millim. Das ist dann die grosse Uberseereise der kleinen Spermazellen, der feuchten Vaginalwand und der Uteruswand entlang schwimmend. Für diese zartén Lebewesen eine verhangnissvolle Fahrt, die alle mit Untergang bedroht. Von den vielen Tausenden Spermazellen die der Mann bei einer einzigen Paaring zu liefern pflegt *), kann sogar bei einer befruchtenden Begattung, doch nur eine einzelne gerettet werden! Ja sogar bei der Zeugung von Zwielingen, können auch im günstigsten Fall nur zwei Eizellen und zwei Spermazellen gerettet werden Alle andere sind wie von der Natur dazu bestimmt, unwiderruflich im Strudel unter zu gehen. Eine so reiche Fülle herrscht in der Natur, wodurch die Fortexistenz der Gattung umsobesser gesichert wird. *) Die Gesammtzahl der Eizellen die eine Frau in ihrem Ovarium veranlagt hat, ist eine viel geringere; aber nach den massigsren Angaben doch immerhin wohl ein paar Hundert. 7. Der Hochzeitflug dieser neuen Zellengeneration. Wie im Hochsommer viele unserer Insekten Flügel bekommen, ausschwarmen, sich begatten und entweder befruchtet werden oder massenhaft zu Grunde gehen, so schwarmen jetzt diese einzelligen Organismen aus, frei und unbehindert, mit voller Energie einer neuen Zukunft entgegenstrebend! Bis dahin sassen sie im Mieder eines vielzelligen Organismus, womit sie dann doch früh oder spat hatten zu Grunde gehen müssen, fest umschlossen und aufs engste eingepfercht *). Jetzt aber sind sie auf einmal absolut frei! Was das für so eine Einzelzelle sagen will, frei zu sein, können wir kaum mehr ahnen, weil bei uns ja alle die Zeilen aus denen unser eigene Körper aufgebaut ist, sich schon langst behufs einer eigenen speziellen Funktion einseitig entwickelt haben und dadurch jetzt an Ort und Stelle gebunden sind Es geht hiermit wie mit der Masse der Fabrikarbeiter in einer grossen Stadt; sie sind schwielig durch die rohen Berührungen, taub durch das gewaltige Getöse, stumpf durch das ewige Einerlei; sie sind alle an ihr eigenes Gewerbe und an ihre eigene Stelle gebunden ; es giebt nur wenige unter ihnen, die ihr ursprüngliches Menschsein, ihre Genialitat noch erhalten haben. Und doch stammen diese lebenden Rader der Industrie, und stammen wir alle, lange her, von noch im Naturzustand lebenden Vollmenschen, die in ihrer Familiengruppe selbst den Kampf des Lebens kampfen mussten, die selbst ihre Nahrung im Freien suchten oder züchteten, die sich selbst Kenntniss erwarben, nicht aus Büchern oder aus den Zeitungen, sondern aus eigener Lebenserfahrung, die sich selbst genasen so oft sie krank waren, sich selbst trösteten so oft sie von Sorgen und Angst erfüllt waren. So haben auch unsere erwachsene Körperzellen schon lange *) Siehe den Anhang, am Ende dieses Kapitels. 56 vergessen, dass die Urzellen aus denen sich im Laufe der Evolution alle höheren Gattungen entwickelt haben, ursprünglich alle Funktionen, sei es auch nur bedürftig, selbst machen mussten. Bei diesen einzelligen Organismen hatte so ein einzelnes Zellchen die Macht ihren Ort zu wechseln, Nahrung in sich aufzunehmen, Abfalistoffe auszuscheiden, zu wachsen, sich zu teilen; und wenn das Produkt dieser Zellteilung, diese zwei neuen Zeilen, sich vollstandig von einander ioslösten, dann bedeutete diese Zellteilung zur gleichen Zeit auch die Funktion der Fortpflanzung. Das geht aber jetzt nicht mehr. In unsern vielzelligen Organismen haben sich alle Zeilen aus denen unser Körper wie eine riesige Zellenkolonie aufgebaut ist, diese vielseitige Funktionsfahigkeit schon seit lange eingebüsst, und sind dabei auf die verschiedenste Weise alteriert worden. Sie haben sich zu den verschiedensten Spezialfunktionen differenziert. Zur Umhülling sind unsere Oberhautzellen verhornt, zur Befestigung ist unser Knochensystem verkalkt, zur Bewegung sind unsere Muskelzellen als elastische Drahte zusammengewebt, das Ganze und alle Détails wird mittels Bindegewebe urn huilt und zusammen gehalten. Von der ursprünglichen Autonomie und Selbsgenügendheit jeder Einzelzelle haben wir die Erinnerung ganz verloren, wir haben davon sogar keine Ahnung mehr. Jetzt aber, da wir diese neue Generation einzelliger Organismen aus unserem eigenem innersten Wesen hervortreten und ausschwarmen sehen, werden wir auf einmal daran gemahnt. Es handelt sich hier um eine Wiederholung jener Urzeitperiode, die Periode der einzelligen Organismen. Es ist dies eine Generation von freigeborenen Einzelzellen, noch fast aus flüssigem Eiweiss bestehend, die noch ganz und gar den namlichen embryonalen Charakter zeigen, wie die Zeilen aus denen ursprünglich unsere ganze Evolutionsreihe hervorgegangen ist, noch gar nicht zu speziellen Funktionen differenziert, also ein noch frei zur Verfügung stehendes jugendliches Rohmaterial. Das Aparte an den Fortpflanzungszellen ist eben nur, dass noch nichts Apartes d'ran ist; es sind noch die reinen Vertreter ihrer Gattung, bloss mit varianten wégen ihrer Ahnen *). *) Es sind selbstverstandlich nicht die Eigenschaften als solche die sich vererben, sondern vielmehr Entwicklungstypen die sich wiederholen. 57 Es sind aber die jetzigen Einzelzelien zu zart und zu schwach um an und für sich fortexistieren zu können. In der ersten Freude des Hochzeitfluges paaren sie sich denn auch schleunigst, sobald ihnen nur die Möglichkeit dazu geboten wird. So verdoppeln sie ihre Energie und ihre nützlichen Bestandteile, indem sie zu zwei zusammenschmelzen. Aber auch so eine befruchtete Eizelle (eine Zygote) bedarf anfangs noch der mütterlichen Pflege, damit, und zwar jetzt wieder durch vegetative Zellteilung, aus dem einzelligen Organismus wiederum ein vielzelliger Organismus emporwachsen kann. So liefert uns die Evolutionsgeschichte von altersher jedesmal das Bild einer Periodizitat, wie beim Generationswechsel: erst eine sexuelle Generation von einzelliger Organismen, dann wieder die vegetative Generation eines vielzelligen Organismus. Es haben diese einzelligen Organismen nur eine kurze Existenz, aber eine Existenz voll Entzücken, bloss ein Hochzeitflug! Dann aber kommt wieder eine vegetative Wachstumsperiode, die selbstverstandlich unendlich viel mehr Zeit in Anspruch nimmt. Spater, bei Behandlung der sexuellen Evolutionsgeschichte (Kap. 40) werden wir auf dieses Thema noch ausführlich zurückkommen. Anhang aus dem Pflanzenleben. Wiesehr das Innere der Organismen schon durch die Oberhaut in seinem weiteren Wachstum beeintrachtigt wird, erhellt sich am besten im Pflanzenreich. Es gilt ja auch für die Pflanzenwelt das Gesetz, dass jede an den Einflüssen der Aussenwelt ausgesetzte Oberflache sich zu einer undurchdringlichen Oberhaut erhartet, die zwar den eiweisshaltigen Organismus kraftig schützt und ihn für auseinanderfallen behütet, aber so lange sie intakt bleibt, auch alles Hervorspriessen unmöglich macht. Nur in den Blattachseln wo ein rinnenförmiger Blattstiel seine Gefassbündel seitlich im das Zweiglein eingenistet hat, da muss beim heranwachsen diese Rinne, die ursprünglich nur der schwache Abdruck des runden Zweigleins war, sich allmahlich erweitern, je grösser Blatt und Blattstiel werden. Ausserhalb dieser Rinne wird dabei eine Druckerhöhung, innerhalb der Rinne 58 eine Zerrung eintreten müssen. Und wie auch schon beim einfachen Dickenwachstum kleine Risse regelmassig sogar noch in der dicksten Korkschicht auftreten, so wird auch hier im Zentrum der Rinne die zarte Oberhaut mit der Zeit als normaler Wachstumserscheining einen, wenn auch anfangs nur mikroskopischen Defekt erleiden, wo dann eine Knospe hervortreten kann *). Es sind dies die normalen, typischen Achselknöspen. Und wie alt der Baum auch wird, immer wird man noch an der Bifurkation jedes alten Astes, die ja doch ehemals auch eine Blattachsel war, einen hervorragenden Wulst von Narbengewebe finden, der durch diesen Wachstumsdefekt hervorgerufen ist. So auch wenn Wurzel oder Stamm accidentell verwundet werden, auch da kann dann die innere Wachstumsenergie einen unerwarteten Ausweg flnden; es bilden sich dann daselbst die bekannten atypischen Knospen und Sprösse. Wenn man diese dann in die Tiefe verfolgt, bemerkt man öfters, dass so eine atypische Knospe eigentlich nur eine neuerwachte Fortsetzung einer der Zahllosen Knospen ist, die damals bei Mangel an Licht und Luft untergegangen sind und dann überwuchert wurden. Ja sogar wenn ein erwachsener Baum in toto abgesagt wird, giebt es Falie wo an der Sageflache im Kambium wo niemals Knospen sassen, sich ganz neue Knospen bilden, bloss weil die Kambiumzellen jetzt frei kommen, und ihre Wachstumsenergie jetzt zum Ausdruck bringen können. Der Mensch aber hat nicht eine so einfache Gefassbündelstruktur, und auch keine Achseldefekte; auch ist bei uns die Regenerationsmöglichkeit nach Verwundungen sehr beschrankt, wir sind schon froh wenn unsere Wunden heilen ! Es sind also bei uns nur die sexuellen Fortpflanzungszellen die die Fortpflanzung der Gattung übernommen haben. Sie können dies aber nur, indem sie ausschwarmen. */ Bei den Nadelbaumen wo von einer solchen Rinne kaum die Rede ist, und bei den Monokotylen wo alle Gefassbündel mehr parallel verlaufen und nicht so quer in den Zweig hineindringen, unterbleibt auch die Knospenbildung in der Mehrzahl der Achseln. Am schönsten hingegen kann man das V förmige Eindringen der Gefassbündel in den Zweig bei einer Roszkastanie beobachten, an der Narbe wo im Herbst ein Blattstiel abgefallen ist. 8. Die Bauchhöhle und ihre Muskelward. Bis jetzt war man gar zu sehr geneigt, wenn man nur die Fortpflanzung erst richtig auseinander gesetzt hatte, zu meinen, das Studium des Sexuallebens hatte damit seine Aufgabe eigentlich schon erfüllt. Das ist aber nicht richtig. Die Fortpflanzung ist nur eine Teilerscheinung des Sexuallebens; die Befruchtung ist und bleibt ja immer nur ein Ausnahmefall, und bezieht sich, auch günstigstenfalls, doch immer nur auf eine oder zwei", höchstens auf fünf der zahllossen Spermazellen. Der Reiz der Wollust aber, woran sich alle Spermazellen so lebhaft beteiligen, ist für jedes erwachsene Individuum bei Tag und bei Nacht eine brennende Frage, ein Hauptfaktor unserer Lebensenergie. In diesem Sinn das Sexualleben zu erörtern, und auch hier in allen Details den Kausalnexus herauszufinden, wodurch wir dann künftig diesen Lebensreiz, mehr wie bis jetzt, bewusst werden beherrschen können, das wird denn auch weiter die Aufgabe dieser Arbeit sein. In den vorigen Kapitein haben wir das Sexualleben in erster Linie als Neubildung betrachtet; von jetzt an wird das Sexualleben mehr in seiner sekretorischen Erscheinung hervortreten. Wir wollen also in den nachsten Kapitein allererst die Anatomie des Abführsystems betrachten. Zum besseren Verstandniss aber wird in diesem Kapitel erst noch eine kleine Notiz über die Bauchhöhle als Behalter der sekretorischen Organe vorangeschickt. Die Bauchhöhle ist der Behalter der drei grossen sekretorischen Organe: vorn die Harnblase, hinten der Darm, und in der Mitte beim Weib das ganze Genitalkanal, beim Mann *) nur der letzte Abschnitt der beiden Samenkanale mitsammt den beiden Samenblaschen. *) Anfang und Ende des mannlichen Genitalkanals sind aus der Bauchhöhle ausgetreten: die Testikel traten quer durch die Vorderwand nach aussen hervor, die Urethra durchbohrt die untere Wand. 60 Alle diese drei inneren Organe können sich durch peristaltische (fortlaufende) Kontraktionen ihrer membranösen Muskelwand *) nach aussen entleeren ; diese Muskelkontraktion im Innern unseres Körpers ist aber für unsere direkte Wahrnehmung nicht zuganglich, und steht daher auch mit unserm Bewusstsein sehr wenig in Verbindung. Wir würden also diesen drei sekretorischen Funktionen gegenüber, mit unserm Bewusstsein ziemlich machtlos dastehen, waren nicht diese dreierlei Organe zusammen in einer gemeinschaftlichen Körperhöhle mit beweglichen Wanden, wie in einem Sack eingeschlossen; nur die Abführöffnungen im Boden bleiben durchlassig. Diese beweglichen Wande bestehen aus roten Muskelfasern, die weil sie an der Körperoberflache der direkten Beobachtung zuganglich sind, ganz bestimmt mit unserm Bewusstsein wie auf Befehl zusammenhangen. Es sind dies die Bauchmuskeln die vom Rippenrand bis zum Beckenrand **) angespannt sind. Wenn diese Bauchmuskeln sich zusammenziehen, und die Bauchhöhle zusammengepresst wird, so wird dies auch in den dreierlei innern Organen durch den erhöhten Druck sehr leicht eine Kontraktion veranlassen. Diese Wirkung .kann aber doch immer nur eine indirekte sein, weil die eigentliche entleerende Wirkung der genannten Organe eine peristaltische ist. Doch kann die Bauchmuskulatur unter dem Einfluss unseres Bewusstseins, namentlich die grosseren Organe: Blasé und Darm, öfters machtig anregen : doppelt wenn Brustmuskeln und Bauchmuskeln sich zur gleichen Zeit anstrengen, und die ganze Körperhöhle also unter hohen Druck versetzt wird. Sind in diesem Fall die untern Körperöffnungen verschlossen, wahrend die obern Körperöffnungen offen gelassen werden, dann wird eine tiefe Ausatmung z. B. ein Seufzer erfolgen; werden hingegen die obern Öffnungen verschlossen, oder wie man sagt: wird der Atem éingehalten, wahrend die untern Öffnungen nicht verschlossen werden, dann wirkt die „Bauchpresse" kraftig nach unten. Die Wirbelsaule wird dabei gekrümmt, denn die vordern * Für die verschiedenen Muskei ar ten siehe man die Wörterliste am Ende des Buches, sub: Muskeln. **) Man siehe die Wörterliste am Ende des Buches, sub: Becken. 61 Körpermuskeln sind ja auch die Beugemuskeln der Wirbelsaüle. *) Eine so kraftige Druckerhöhung wird nebenbei sogar die grossen Venenstamme drücken, wodurch dann eine riesige venöse Stauung hervorgerufen wird, mit rotem oder sogar gedunsenem Antlitz. Bis jetzt handelte es sich nur noch um diejenige Bauchmuskeln die vom Rippenrand zum Beckenrand reichen, und die man sich denken kann als die Wand einer zilindrischen Höhle. Von oben wird diese Höhle von einem kuppelförmig gewölbten Muskei abgedeckt, der von innen am Rippenrand anschliesst. Dieser ausgedehnte aber dünne Muskei bildet ein Diaphragma, eine Scheidewand zwischen Brusthöhle und Bauchhöhle, oder will man: zwischen Brusthöhle und Leber. Er wird Mediastinum oder Zwerchfell genannt. Aber wie steht es von unten, wo doch der Boden des Beckens auch noch verschlossen werden muss? Die Gesassmuskeln können dies nicht tun, weil sie nur an die Aussenseite des Beckens angeheftet sind, um den Oberschenkel zu strecken; sie überwölben zwar alles wenn man aufrecht steht; in sitzender oder hockender Stellung aber, als sie entspannt sind, legen sie sich seitlich von den beiden Sitzbeinhöckern, wodurch dann das untere, zugespitzte Ende des Beckens frei wird. Dadurch werden dann vier feste Punkte von aussen her deutlich fühlbar: rechts und links die beiden Sitzbeinhöcker, hinten das Steissbein und vorn die untere Grenze des Schambeins, namlich ein spitzer Winkel wo man die Urethra durchfühlt, die sich von da an nach oben umbiegt. Der kleine Raum zwischen diesen vier festen Punkten ist der Boden des Beckens, und wird durch eine spezielle Muskelschicht, die Perinealmuskelschicht, vollkommen ausgefüllt. Auf diese kleine Muskelpartie müssen wir aber desshalb den grössten Wert legen, weil die Ausführgange der drei sekretorischen Organe sich quer durch diese Muskelschicht einen Weg bahnen müssen. Es liegt diese Muskelschicht nicht in eine flache Ebene, denn wie das Zwerchfell nach oben gewölbt ist, so ist dieser Boden *; Um gehorig tief einatmen zu können, muss man umgekehrt die Rückenmuskulatur anspannen. 62 der Bauchhöhle nach unten gewölbt *). Im Anschluss namlich an die Sackform der Bauchhöhle, vertieft sich diese Muskelschicht in der Mitte ein weinig ; es reichen ja die beiden seitlichen Sitzbeinhöcker ein weinig tiefer herab wie das Steissbein von hinten, und bedeutend viel tiefer wie das Schambein von vorne. Es ist eben diese letztere schrag nach vorne aufsteigende Neigung des Beckenbodens, die bei der Erektion die Richtung aufwarts bedingt. Diese Bodenwand der Bauchhöhle besteht, ebenso wie alle andern Bauchmuskeln, aus rotem Muskelfleisch, und kann sich also auch ebenso prompt wie jene, sowohl reflektorisch wie willkürlich, zusammenziehen. Da aber die gegenseitige Beweglichkeit der drei Beckenknochen mit denen sie verbunden sind, im erwachsenen Körper zu null reduziert ist, können diese Muskeln nimmerméhr zur Bewegung von Skeletteilen verwendet werden, sondern dienen sie nur dazu, die genannten Abführröhren auf's wirksamste abschliessen zu können; gerade wie drei Schleusetüre ! Es müssen ja diese Abführkanale um nach aussen auszumünden, sich einen Weg quer durch diese Muskelschicht bahnen; oder man kann vielleicht noch besser sagen, diese verschiedenen Muskelfasern lagern sich etwa zwischen diese Kanale hindurch; und wenn so ein Kanal von beiden Seiten halb umschnürt wird, dann wirkt dies zusammen fast eben so gut wie eine kreisförmige Abschliessmuskel oder Sphinkter. Es können also diese Muskeln wenn sie sich zusammenziehen den Abfluss dieser Kanale riesig hemmen, sie können sogar alles abschliessen; namentlich wenn sie alle zusammen in Tatigkeit gesetzt werden und die ganze Perinealgegend dadurch aufeinmal empor gehoben wird. Ich werde denn auch fortan diese ganze Muskelschicht en bloc mit dem Namen aüssere, willkürliche Abschliessmuskulatur belegen, ohne jedesmal speziell anzugeben, welche der feineren Muskelgruppen *) Die Bewegungen dieser beiden Muskelsysteme erschüttern unsere Hautoberflache nur noch kaum so viel, dass wir uns dessen bewusst werden. Sogar bei systematischen Turnübungen werden sie desshalb leider fast immer vernachlassigc, wie gross ihre Wichtigkeit für die innere Massage von Lungen, Herz und Unterleibsorganen auch sei. 63 es sind, die im gegebenen Fall mehr speziell funktionieren; *) öfters wirken sie ja auch alle zusammen und haben, wie gesagt, dann den meisten Erfolg. Für gewöhnlich wirken diese Muskeln reflektorisch d. h. ohne dass wir dabei denken; wir können sie aber wie gesagt auch willkürlich und sogar mit Vorbedacht anstrengen. Letzteres braucht man aber nur ausnahmsweise zu tun, weil die innern, unwillkürlichen Abschliessmuskeln der drei sekretorischen Organe, die ja richtige Kreismuskeln sind, meistens auch ohne sie, vollkommen im Stande sind sich genügend zu bewahren. Weiss ja jeder Erwachsene, dass bei der Harnabsonderung der innere, unwillkürliche Schliessmuskel der Harnblase fast immer genügt; nur wenn dieser zusehr bedroht wird, kontrahieren wir vor Angst auch die aüsseren willkürlichen Schliessmuskeln. So auch hinsichtlich der Kotentleerung. Es war einmal bei einer meiner Patiënten durch eine ausserordentlich schwere Entbindung die aüssere, willkürliche Abschliessmuskulatur am Anus ganz zerrissen, und sie wollte dies nicht eher operieren lassen, bevor ihre Zeit Kinder zu gebahren vorüber sein sollte, weil sonst die Entbinding immer wieder aufs Neue ebenso schwer ausfallen würde; doch ist diese Dame nur in seltenen Ausnahmefallen d.h. wenn Diarrhöe drohte, dadurch belastigt worden. Die doppelte Abschliessmuskulatur des Genitalkanals wird in den nachsten Kapitein mehr ausfuhrlich érörtert werden ; innerlich beim Mann die Kreismuskeln der Samenblaschen, beim Weib die Muskulatur des Uterushalses; aüsserlich bei Mann und Weib die Perinealmuskelschicht. *) In den Lehrbüchern der Anatomie unterscheidet man alle diese bescheidenen Muskeln mit pompösen Namen, je nachdem sie die ganze Analgegend heben (Musculus levator Ani), oder nur die Ureteren verschliessen (Musc. constrictor Urethrae), oder mehr speziell die Blutgefasse abschnüren (Musc. transversus Perinei, Musc. Ischio-cavernosus und Musc. Bulbo-cavernosus). Anstatt dieses letzteren Muskels hat der weibliche Organismus den Musc. constrictor Cunni als Gesammtschliessmuskel für Scheideneingang und Urethra, und Zwar in 8 form ringsum beide Kanale herumgelegt. 9. Der Genitalkanal. a. Der Weibliche Genitalkanal. Wie wir im Kap. 3 schon gesehen haben, ist der weibliche Genitalkanal die embryonale Ausbildung eines rüdimentaren Organs, aus uralten Zeiten von der damaligen Vor-niere herstammend. Die innere Offnung dieses Kanals wurde im embryonalen Leben nicht wie die Ur-niere von der Fortpflanzungsgeschwulst überwuchert; sie liegt also auch im erwachsenen Körper immer noch in einiger Entfernung vom Ovarium. Sie ist trichterförmig erweitert, um die reifen Eizellen, sobald sie in die dunkle Bauchhöhle abgestossen werden, um so besser in sich aufnehmen zu können; wobei dann die immer beweglichen Eiweissfortsatze am Rande der trichterförmige Offnung, wie riesige Flimmerhaare eifrigst mithelfen. So wird es öfters gelingen, dass ein Ei wirklich in den weiblichen Genitalkanal zurecht kommt. Wahrend beim Mann die beiden Samenkanale erst einen riesigen Umweg machen müssen, bevor sie hinter die Harnblase in die Harnröhre einmünden, verlaufen im weiblichen Organismus die beiden Eileiter oder Tuben (Tubae Fallopianae) von rechts und links regelrecht zur Mittellinie des Körpers, und fliessen hier hinter der Harnblase sofort zusammen. Die Fortbewegung des Eies wird in diesen beiden Kanalen vom Flimmerepithel besorgt, womit die Innenwand bekleidet ist. Wahrend beim Mann die beiden Samenkanale sobald sie sich naherén jeder ein eigenes Samenblaschen tragt, bilden die Eileiter sobald sie zusammen kommen, also schon sehr bald, zusammen nur ein einziges grosses Reservoir *), aber dann auch ein sehr tüchtiges von rotem Muskelfleisch, das desshalb nicht *) Hingegen bleiben im weiblichen Organismus Harnkanal und Genitalkanal durchlaufend von einander getrennt. Beim Mann also eine Trennung im fröntaleh Durchschnitt; beim Weib eine Trennung im sagittalen Durchschnitt. Was ja auch gut stimmt mit den obstetrischen Beckendimensionen ; ist ja das mannliche Becken mehr elliptisch, das weibliche Becken mehr kreisrund erweitert. 65 Blasé sondern Uterus oder Gebarmutter genannt wird. Hier wird das Ei, auch wenn es nicht befruchtet wird, vorlaufig aufgehalten; um dann jedesmal mit der Menstrualflüssigkeit peristaltisch in die Vorhalle d. h. in die Vagina oder Scheide hinuntergepresst, und so weiter hinausbefördert zu werden. Nur wenn Befruchtung eintritt, verbleibt die Frucht mehrere Monate lang in diesem Behalter. Es bettet sich namlich die befruchtete Eizelle, und spater das kleine Embryo von seinen eigenen Hüllen umgeben, allmahlich in die serös-feuchte Schleimhaut des Uterus ein, von der es auch ihrerseits umwuchert wird. Erst vom dritten Schwangerschaftsmonat an, wachsen ein Paar tüchtige Blutgefasse, den Nabelstrang bildend *), von der Frucht her zur Uteruswand, wo das stark verzweigte Ende dieser Blutgefasse, Plazenta oder Nachgeburt genannt, wie ein Tumor die Schleimhaut daselbst überwuchert, wodurch ein osmotischer Zusammenhang zwischen dem mütterlichen und dem kindlichen Kreislauf dargestellt wird. Die Frucht bleibt inzwischen noch wahrend weiteren sechs Monaten **) im Uterus verweilen und wachsen, bis endlich infolge der immer wachsenden Spannung Muskelkontraktionen der Uteruswand auftreten, wodurch dann die reife Frucht schliesslich ausg es tossen wird. Die Muskulatur des Uterushalses bildet im weiblichen Genitalkanal den inneren, unbewussten Abschliessmuskel, dessen Kontraktion oft ein riesiges Gebarhinderniss darstellt; wahrend ein *) Dass spater dieser Nabelstrang so stark spiralig gedreht ist, wird meistens als eine Folge der fötalen Umdrehungen gedeutet, wie auch der Haarwuchs am Scheitel uns daran erinnert. Es ware aber vielleicht richtiger, umgekehrt die Drehung der Frucht als Folge der Torsion des Nabelstrangs zu deuten. Auch ein Baumstamm und jeder Pflanzenstiel wachst ja gedreht, sobald die verschiedenen Gefassbündel aus denen sie zusammengesetzt sind einen verschiedenen Wachstumscoëfficient zeigen. So haben gewiss auch die Arteriën und die Venen die zusammen den Nabelstrang bilden, einen verschiedenen Wachstumscoëfficient, **) Solche Zeitbestimmungen sind natürlich immer nur sehr approximativ ; die Schwangerschaftsdauer, im Mittel 280 Tage, schwankt sowohl individuell wie auch nach ausseren Umstanden. 5 66 andermal bei einem nicht erwünschten Abort, die Frucht nur zu leicht durchgelassen wird. Ofters veranlassen Kontraktionen dieser Muskelgruppe heftige Menstruationskrampfe. Auch die Perinealmuskelschicht mit ihren ausseren, bewussten Abschliessmuskeln (siehe Seite 63) leistet beim Gebarakt,' wenn man bloss abwartet, und nicht künstlich eingeschritten wird, einen. langwierigen Widerstand. Sie kann zuweilen auch jede Genitaluntersuchung seitens des Arztes krampfhaft erschweren, resp. unmöglich machen. Ja, in ausserst seltenen Fallen kann es geschehen, dass infolge von heftigen Schmerzen, oder vor lauter Angst, diese Abschliessmuskeln sich so krampfhaft zusammenziehen *), dass auch der Kopulationsakt dadurch förmlich unmöglich wird ; oder, wenn dieser Krampf wahrend des Kopulationsakts auftritt, kann das mannliche Kopulationsorgan dadurch so eingeklemmt werden, dass der Mann an Ort und Stelle gebunden bleibt, und die Eichel immermehr venös aufschwillt. Wenn man sich dann nur ganz ruhig verhalt und alle Zerrung meidet, wird meistenfalls der Krampf sich wohl bald wieder legen. Sobald man aber verspürt dass die Sache ernst ist, soll man schleunigst arztliche Hülfe herbeiholen, damit die Eichel nicht gangranös werde, was den Tod des Mannes herbeiführen kann. Der Arzt wird in diesem Fall nicht den Mann sondern das Madchen (gewöhnlich handelt es sich ja in solchen Fallen um ein Madchen) mittels Chloroforminhalation oder subkutaner Morphiumeinspritzung einschlafern, damit der Muskelkrampf sich lege. Die Gesammtlange des weiblichen Genitalkanals ist, wie die der weiblichen Harnröhre nur sehr kurz; denn, wie die Ovarien, so überragen auch die Eileiter kaum den oberen Rand des Schambeins; sie sind ja eigentlich nur die seitlichen Auslaufer der beiden oberen Ecken des Uterus, und werden desshalb auch wohl Mut- *) Man sieht also, dass im Krampfzustande auch die willkürlichen Muskeln unserm Willen nicht mehr unterworfen sind. — Der entgegengesetzte Fall, dass bei alteren Frauen die mehrmals geboren haben, diese Muskeln gar nicht mehr funktionieren, ist dann noch eher vorzuziehen! 67 tertrompeten genannt. Auch die Gebarmutter selbst senkt sich mit ihrer untern Spitze, dem Gebarmuttermund, immer ein wenig *) in das Scheidengewölbe hinein. Bei diesen kleinen Dimensionen ist es um so auffallender, dass die Gebarmutter, wenn schwangerschaft eintritt, so riesige Proportionen annehmen kann; und ganz und gar unglaublich ist es, wie, sobald sie sich vollkommen entleert hat, und alle Muskelfassern sich gleichmassig zusammenziehen, diese ganze in 9 Monaten gewachsene Masse, schon innerhalb 6 Wochen wieder fast zu ihrem vorigen, bescheidenen Umfang reduziert sein kann. Auch die Vagina ihrerseits legt sich immer in riesige Falten zusammen; nur bei Tamponade und dergleichen Eingriffen verspürt man dass, wenn alle Falten ausgeglichen werden, die Scheide eigentlich ballonförmig gestaltet ist, und sich bis zu Kindeskopfgrösse ausdehnen lasst. Sosehr hat der weibliche Genitalkanal sich dem Gebarakt angepasst. Auch die Empfindlichkeit für Druck ist im weiblichen Genitalkanal gering. Nur wenn die Gebarmutter plötzlich erschüttert wird, wird dies wegen der Zerrung sehr unangenehm, etwa wie eine Hernieneinklemmung (siehe Seite 14) empfunden. Sogar sonst ganz harmlose Eingriffe im Innern des Uterus können zuweilen ganz unerwartet den augenblicklichen Tod durch „Shoc" veranlassen, wahrscheinlich durch Uberreizung des sympathischen Nervensystems, kleine Nervenzentrengruppen, die in der Bauchhöhle zerstreut liegen, und deren die Sonnenflechte (Plexus coeliacus) die grösste ist. Auch ist die innere Schleimhaut des Uterus bei örtlicher Berührung sehr leicht zu Blutungen und Infektionen geneigt ; was umso lebensbedrohlicher ist, weil durch die beiden Eileiter die Uterushöhle mit der Bauchhöhle in offener Verbindung steht. Im Gegensatz damit ist die Vaginalschleimhaut für alle Berührungen von der Aussenwelt her, aüsserst resistent. *l Zuweilen sogar sehr tief. In pathologischen Pallen kann es Sogar zum Vorfall (Prolapsus) von Scheidenfalten, oder sogar des Muttermundes kommen. 68 Der Vaginaleingang ist beim Menschen *) erst durch zwei feineren Schleimhautfalten, die kleinen Schamlipppen, und dann durch zwei grosseren gewölbten Hautfalten, die grossen Schamlippen, aufs sorgfaltigste verschlossen ; auf diesem Komplex, Vulva oder aussere Scham genannt, kommen wir spater noch zurück. Statt einer Vaginalöffnung, zeigt also der weibliche Körper von unten her gesehen, nur eine Schamspalte, als Fortsetzung der Gesassspalte. Letztere verbirgt die Darmöffnung, erstere die Vaginalöffnung mitsammt der Urethraöffnung, zwei Öffnungen die beim kleinen Madchen fast gleichwertig sind; je erwachsener aber, umsomehr tritt die letztere gegen die erstere zurück. Zwischen Urethra und Schambein bleibt jedenfalls nur noch kaum Platz für eine kleine Gefassgeschwulst, die Klitoris. Wir werden bald sehen, wie beim Mann diese drei: Genitalkanal, Urethra und Gefassgeschwulst, zu einem einzigen Organ zusammengewachsen sind, und sich überdies um das Vielfache ver lange rt haben. *) Bei den Saugetieren findet sich nur ein paar Palten die, ebenso wie unsere Augenglieder, Nasefiügel und Lippen, innen mit Schleimhaut, aussen mit Haut bekleidet sind. b. Der Mannliche Genitalkanal. Der mannliche Genitalkanal war ursprünglich das Abführsystem der Ur-niere, damals als dieser noch nicht vom Fortpflanzungstumor überwuchert worden war. Wir behandelten den ganzen Verlauf dieses Kanals mit seinen vielen Windungen schon im Kap. 6 bis vorbei den Samenblaschen. Abwarts von den Samenblaschen führt beiderseits nur noch ein sehr kurzer, haarfeiner *) Kanal bis an die Harnröhre (Urethra), deren hintere Wand sie ganz nahe nebeneinander durchbohren. Gerade diese Lötstelle wo die beiden Samenkanalchen in die Urethra hineinfliessen, ist in eine Verdickung eingebettet, die Prostata, von Form und Grosse etwa wie eine Kastanie. Von der analen Offnung her ist sie vorne im Enddarm mit der Fingerspitze leicht durch zu fühlen. Der Nutzen dieses Organs ist unbekannt. Es enthalt viele mikroskopischen Muskelfasern von glattem Muskelgewebe, und weiter eine Anzahl feiner Drüsenkanalchen die in die Urethra ausmünden, wo sie eine schleimige Substanz absondern, die für den eigentlichen Spermageruch entscheidend zu sein scheint; wenigstens der Inhalt der Samenblaschen ist geruchlos. Wegen dieser Schleimabsonderung wird die Prostata Vorsteherdrüse genannt, wiewohl das Organ mehr den Eindruck eines rüdimentaren Uterus macht, wie auch sonst bei beiden Geschlechtern hermaphroditisch das Abführsystem der andern Sexe noch einigermassen zurückzufinden ist. Wie im weiblichen Organismus beide Eileiter hinter der Harnblase zu einem Uterus zusammenfliessen, so liegt auch beim Mann die Prostata gerade da wo an die Hinterwand der Urethra die beiden Samenkanale zusammenkommen. Ubrigens ist die Prostata nur berüchtigt wegen Vergrösserungen, Neubildungen, Drüsensteüichen (ebenso wie Galle-und Nierensteinchen), *) Dass diese Ausmündungen der beiden Samenkanale so haarfein sind, ist nicht ohne Bedeutung : auch diejenigen Spermazellen die vielleicht nicht erst in einem Samenblaschen aufgenommen wurden, erfahren dann doch, wenn sie mit dem gemischten Inhalt der Samenblaschen zusammen ausgespritzt werden, den namlichen elastischen Widerstand, als von einem Sphinkter. 70 und chronischen Entzündungen, wodurch bei alteren Mannern nur zu oft der Harnkanal verengt wird, und eingreifende Operationen nicht selten notwendig werden. Sofort unterhalb der Prostata muss die mannliche Urethra um nach aussen abfliessen zu können, die Perinealmuskelschicht durchbohren. Es ist aber diese Muskelschicht nicht so nachgiebig wie die vordere Bauchmuskulatur in der Leistengegehd, damals als die Testikel hinunterrutschten. Uberdies wird diese Muskelschicht beim Mann, nicht sowie beim Weib einfach auf kürzestem Wege gerade nach unten durchbohrt, sondern schrag nach vorne, wodurch diese Muskelschicht beim Mann umso kraftiger einwirken kann. Einmal aus dem Beckenboden hervorgetreten, biegt sich der Kanal sogar aufwarts, der Aussenseite (in aufrechter Körperstellung: Unterseite) des Schambeins entlang, mit dem er mittels Bindegewebe fest verbunden ist, und tritt also schliesslich an die Vorderseite des Körpers hervor, wo er noch mehr als fingerlang niederhangt, gerade vor dem Skrotum, das dadurch einigermassen verdeckt wird. Der mannliche Genitalkanal beschreibt also von rechts gesehen und in nicht geschwollenem Zustande, _ von der Harnblase an einen doppelten Bogen, etwa wie f f j eine liegende Buchstabe wobei dann das Schambein im ' ersten Bogen liegt. Es ist diese aüssere Verlangerung die, wie wir im nachsten Kapitel sehen werden, auch als Paarungsorgan funktionieren muss, und die desshalb Kopulationsorgan, Penis oder das mannliche Organ genannt wird; wie auch beim Weib der untere Abschnitt des Genitalkanals d. h. also Vagina mit Vulva Kopulationsorgan oder das weibliche Organ genannt wird. Weil aber beim Mann dieser letzte Abschnitt des Genitalkanals auch immer noch zur Harnabführ dienen muss, redet man wenn der Kanal selbst gemeint wird, auch nach den Pubertatsjahren, immer noch von der Urethra, als diente er nur zur Harnabführ. Merkwürdig, wahrend der weibliche Genitalkanal sich möglichst erweitert hat, hat sich der mannliche Genitalkanal möglichst verlangert! Erstens sind wegen des Herabrutschens der Testikel 71 die beiden Samenkanale sowohl innerhalb wie ausserhalb der Bauchhöhle riesig verlangert; und schliesslich kommt noch die spezielle Verlangerung beim Heraustreten. Sogar die Samenblaschen sind ja nur stark verlangerte schmale Streifen. Durchaus wunderbar ist es, wie der mannliche Genitalkanal sich zur Bauchhöhle verhalt. In unserm Bewusstsein hat die physiologische Funktion des Sexuallebens ihren Ausgangspunkt in der Bauchhöhle; aber eben die Neubildung der Spermazellen die ja doch das Wesentlichste ist, vollzieht sich ausserhalb der Bauchhöhle ; es ist nur die sekretorische Funktion die aus der Bauchhöhle hervorgeht, und es ist auch nur diese Funktion die zu unserm Bewusstsein kommt. Kein Wunder also, dass bis jetzt das ganze Sexualphanomen als eine Orüsenfunktion betrachtet wurde! Schliesslich müssen wir noch bemerken, wie sonderbar der mannliche Genitalkanal seinen Weg quer durch die Bauchhöhle nimmt. Auf dem Hinweg ist' er paarig und verlauft er oberhalb des Schambeins. Auf dem Rückweg aber ist er unpaarig und verlauft er unterhalb des Schambeins. Das macht also im Ganzen drei lange Kanale, deren Knotenpunkt hinten am Fuss der Harnblase liegt, und die alle drei gleich weit aus dem Körper hervortreten. Und so liegen dann schliesslich die beiden Stellen wo die Spermazellen gebildet werden, und die eine Stelle wo sie ausgeschieden werden, ganz nahe aneinander. Und doch ist es dieser kleine Spermakreislauf, der alle Herzen in Berührung versetzt, und der den Zauber liefert, wodurch die Natur sogar das Treiben der ganzen Welt beherrscht; wie SCHILLKK in Die Welttveisen so bezeichnend sagt: Einstweilen, bis den Lauf der Welt Philosophie zusammenhalt, Erhalt sie ihr Getriebe Durch Hunger und durch Liebe. Wie dieses Mysterium sich vollzieht, werden wir im weiteren dieses Buches herausfinden. 10. Der untere Abschnitt des Genitalkanals als Kopulationsorgan. Hinsichtlich der Frau sahen wir schon im vorigen Kapitel, wie bei ihr der untere Abschnitt ihres Genitalkanals einfach schon durch eine Erweiterung die durch Falten und Abschliessmuskeln reguliert werden kann, zum Kopulationsorgan wird. Die Ausbildung des mannlichen Kopulationsorgans wollen wir in diesem und in den nachstfolgenden Kapitein in allen Details nachspüren. Eine gewisse Verlangerung die dazu erforderlich ist, haben wir schon erwahnt; jetzt erübrigen uns noch die kongestiven Erscheinungen wodurch dieses Organ, sonst das unbedeutendste Organ der Welt, jedesmal, wenn auch nur vorübergehend, befahigt wird, als Kopulationsorgan nutzbar zu sein. Jedes Organ, wenn es kraftig funktioniert, so bekommt es eine erhöhte Blutzufuhr; und auch umgekehrt ist eine erhöhte Blutzufuhr notwendige Bedingung um kraftig funktionieren zu können. Diese Wechselwirkung gilt als biologisches Gesetz wohl in erster Linie für das Sexualleben. Diese impulsivste aller Funktionen erheischt sogar eine übermassige Kongestion. Wir wollen jetzt anatomisch nachspüren, durch welchen Mechanismus der untere Abschnitt des mannlichen Genitalkanals sich so übermassig kongestionieren kann. Dass die Wand der Urethra von Blutgefassen durchsetzt ist, ist selbstverstandlich; es giebt ja keine Organe ohne Blutgefasse. Da wo die Urethra die Perinealmuskelschicht durchbohrt, müssen natürlich auch diese Blutgefasse den Druck dieser Muskelschicht empfinden. Für das nach aussen fhessende Blut in den Arteriën, dünne Gefasse mit resistenter Wand, wird dies nicht schaden; aber für das zurückfliessende Blut in den Venen, weite Gefasse mit schlaffer Wand, muss dieser Druck im höchsten Grad blutstauend wirken. So begreift es sich leicht, dass in der Evolutionsreihe der höheren Tiergattungen hier ein Komplex 73 geschwollener und erweiterter Blutgefasse sich bilden musste, ein Gewebe das unter dem Namen kavernöses Gewebe bekannt ist, und sich als Gefassgeschwulst auch am Kopf vieler hühnerartigen Vögel z. B. im Kamm der Hahne vorfindet. Die Gefasstauung in der Urethralwand fangt dann auch eben da an, wo dieser Kanal jene Muskelschicht durchbohrt. Unterhalb der Prostata liegt erst noch ein ganz kleiner Abschnitt der Urethra bevor sie die Muskelschicht erreicht, und hier giebt es denn auch noch keinerlei kavernöses Gewebe; aber von der Muskelschicht an und abwarts ist die ganze Urethralwand von solchem kavernösem Gewebe gebildet. Es ist eine Verlangerung und Verdickung nicht der Haut, sondern der Urethralwand mit seinem Bindegewebe; nur an der unteren Seite (niederhangend: die hintere Seite) des Gliedes ist der Urethralkanal der ganzen Lange nach, noch deutlich durchzufühlen. Diese örtliche Verlangerung und Verdickung ware an und für sich eine unbedeutende Erscheinung; nur zeigt sie uns das Typische einer Gefassgeschwulst, indem schon von Kind an die Dimensionen des Gliedes im stetigen Wechsel begriffen sind, immer dem lokalen Blutdruck proportional; also in der Kalte und im Fall von Blutverlust verschwindend klein, unter Einfluss von allerhand Blutwallungen und Hautreizen hingegen bedeutend grösser. Aber erst von den Pubertatsjahren an, jedesmal wenn der sexuelle Reiz sich geltend macht, erreicht dieses Phanomen seinen Gipfelpunkt, und wird dadurch auch biologisch von höchster Bedeutung, indem der sexuelle Reiz dadurch nicht nur gesteigert, sondern auch erst recht zu unserm Bewusstsein gebracht wird, im namlichen Sinn wie wir dies oben (Seite 15) vom Descensus Testiculorum bemerkten. In solchen Augenblicken wo der sexuelle Reiz in uns entbrennt, scheint es uns sogar, als hatte all unsere körperliche Energie sich in diesem aüssersten Punkt angehauft, etwa wie eine Leidener Flasche Sich an seinem aüssersten Punkt entladen will. In unserer Vorstellung ist dann diese Erscheinung der eigentliche Ausgangspunkt und der Ursprung unseres Sexuallebens; ware dem aber so, wo müsste dann bei den Amphibien, bei den Fischen und den Vögeln das Sexualleben stecken, und wie unbedeutend müsste dann wohl das weibliche Geschlechtsleben sein 1 74 Welche wichtige Bedeutung aber diesem Phanomen in Wirklichkeit zukommt, können wir erst im Heft II nachforschen. Vorher müssen wir erst hier anatomisch erörtern, wie diese Blutstauung sich gelegentlich so hochgradig steigern kann. Schon die ganze Anlage der Blutgefasse in diesem Organ ist einer Blutanhaufung (Kongestion) besonders günstig. Fast überall sonst in unserm Körper findet man gegen eine zuführende Arterie zwei abführende Venen, was auch selbstverstandlich ist, denn in den Arteriën fliest das Blut sehr schnell und in den Venen nur sehr trage ; aber hier an der Oberseite (niederhangend: die Vorderseite) des Gliedes, hat man gegen zwei Arteriën nur eine Vene. Daher auch, dass schon im zartesten kindlichen Alter dieses Organ zur Kongestion und Schwellung sosehr geneigt ist* Wie oft sah ich ein Kind mit stark geschwollenem Gliede geboren werden, wenn bei nachkommendem Kopf der Körper des Kindes zu sehr eingeklemmt wurde. Im erwachsenen Alter aber wird es noch viel schlimmer! Denn das ursprünglich weiche Bindegewebegerüst dieses kavernösen Gewebes ist dann ein kraftiges Netzwerk von aüssert festen Fasern und Strangen geworden *), umgeben von einer ziemlich festen Bindegewebekapsel, die von einigen Blutgefassen sogar noch quer durchbohrt wird. Wenn dann im mannlichen Alter, infolge einer allzugrossen Spannung in den überfüllten Samenblaschen, oder durch eine sonstige, zuweilen unbedeutende Veranlassung, in diesem Gefassystem Kongestion entsteht d. h. mehr arterielies Blut wie gewöhnlich zufliesst, wodurch dann der lokale Blutdruck gesteigert wird, dann werden dadurch alle diese Bindegewebefasern stark angespannt, und viele der dünnen Venenwande werden dann förmlich abgeschnürt. Je mehr Blut jetzt von den Arteriën unter hohem Druck zugeführt wird, destomehr wird die venöse Abfuhr abgeschnürt! Das ganze Glied wird dann riesig anschwellen, und bis zum Bersten hart werden. Weiter wird dieser Mechanismus noch bedeutend verstarkt und bestandigt durch die Perinealmuskelschicht, die aüssere *) Beim Hund und einigen verwandten Saugetieren sind einige dieser Strange sogar knorpelig. 75 Abschliessmuskelschicht, die ja in der Evolutionsgeschichte wahrscheinlich die ursprüngliche Veranlassung zur Entwicklung dieses kavernösen Gewebes war. Einigermassen hemmt diese Muskelschicht die venöse Abfuhr schon durch ihren normalen Muskeitonus, aber noch viel mehr, sobald diese Muskelschicht sich aktiv zusammenzieht. So lange noch gar keine Kongestion vorliegt und das Gefassystem noch relativ blutleer ist, wird auch diese Muskelschicht nicht im Stande sein, eine Erektion hervorzurufen; sie ist ja keine. eigentliche Kreismuskel (Sphinkter). Ist aber z. B. durch Reizung der Samenblaschen schon einigermassen eine Kongestion gegeben, dann wird diese Muskelschicht erst recht energisch *) eingreifen können. Wenn so die vollstandige mannliche Erektion einmal einge» treten ist, wird man ab und zu mit kleinen Intervallen noch eine andere sehr auffallige Erscheinung beobachten, eine zuckende Bewegung, eine Konvulsion, nicht als Ausdruck des pulsierenden Herzens, dafür ist die Frequenz viel zu gering, sondern jedesmal durch eine konvulsive Kontraktion der Perinealmuskelschicht, denn wenn die Erektion einmal da ist, kann man diese namlichen Konvulsionen auch willkürlich hervorrufen, einfach indem man willkürlich diese Muskelschicht krampfhaft ad maximum kontrahiert. Bei solchen Konvulsionen verspürt man nur noch eine sehr geringe Umfangszunahme, zusammen mit einer geringen Verkürzung des Gliedes; also, technisch ausgedruckt, wirklich eine Annaherung zur Kugelform. Gewöhnlich daTuert der erigierte Zustand nicht sehr lange. Nach einigen Minuten oder langer, legt der Blutdruck sich wieder, und kehrt alles wieder zu seiner ursprünglichen Lage zurück als ware nichts passiert. Würde man in nicht erigiertem Zustand die namliche abrupte Muskelkontraktion willkürlich und mutwillig in Tatigkeit setzen, z. B. in der Absicht dadurch eine Erektion künstlich und mit Vorbedacht hervorzurufen, dann würde dies gewiss ganzlich fehl schlagen, weil ja die „conditio sine qua non", der kongestionierte Zustand sich nicht vorfindet. Und wollte man sogar versuchen, *) Wiesehr jede vollstandige mannliche Erektion mit einer Kontraktion der ausseren Abschliessmuskulatur einhergeht, kann jedermann bei einiger Aufmerksamkeit leicht am eignen Sphinkter Ani verspüren. 76 durch mechanische Kompression eine willkürliche Erektion hervorzurufen, dann würde man es kaum meiden können, zugleich mit den Venen auch die Arteriën zu komprimieren, wodurch dann eher Blitleere eintreten würde; geschweige noch von der hemmenden Wirkung durch den Schmerz. Das Auftauchen einer Erektion liegt also nicht regelrecht in unserer Gewalt; es ist eine Erscheinung von der wir oft an den ungeschicktesten Augenblicken überfallen werden, wahrend sie ebenso oft unterbleibt gerade wenn es nötig ware. Von Impotenz d. h. mannliches Unvermögen darf man aber erst dann reden, wenn bei einem erwachsenen Mann niemals Erektionen auftreten. Praktisch handelt es sich also nur um die Frage, wie wir diesen ersten kongestiven Reizzustand bewusst beherrschen können, und zwar sowohl im positiven wie im negativen Sinn. Hierüber können wir aber erst im Heft II und im Heft III Auskunft geben. Dass, wie gesagt, die aüssere, willkürliche Abschliessmuskulatur weil sie keinen eigentlichen Sphinkter darstellt, nicht im Stande ist, die venöse Abfuhr ganzlich abzuschliessen, sondern nur ein Ubermass aufstauen kann, hat aber auch seine gute Seite. Denn, wenn es je möglich ware die venöse Blutbahn ganzlich abzuschnüren, dann würde alsbald Gangran eintreten, denn alles Leben ware dann im vom Blutkreislauf abgeschnittenem Gewebe auf einmal unmöglich geworden ; was dann sekundar auch das Leben des Individuums auf ausserste gefahrden würde. Wie weit aber diese Abschnürung wohl gehen kann und wie gross die Spannung, erhellt wohl am besten daraus, dass man bei Obduktion wohl Narben gefunden hat, die nur dadurch zu deuten waren, dass im Leben dieses kavernöse Gewebe wie ein Stab Siegellack, wahrscheinlich durch Fallen oder Stossen, innerlich entzwei gebrochen sein musste. Das Volumen des mannlichen Gliedes im erigierten Zustande betragt im Mittel etwa das 4 bis 5 fache des ursprünglichen Volumens. Bei maximaler Spannung betragt die Lange des Gliedes vom Schambein an etwa 1H Fingerlange, anstatt für gewöhnlich nur eine Fingerlange; und die Breite wird dann etwa 2 Fingerbreiten, anstatt für gewöhnlich 1% Fingerbreit. Es erregt ein solcher Zustand von Erektion und von Konvulsionen in uns ein warmes Gefühl von Glühen und Pulsieren. 77 Doch bleibt die Haut des Gliedes überall wo diese verschieblich ist, die gewöhnliche gelbrote Hautfarbe Leibehalten ; es handelt sich ja nicht um eine Hautkongestion, sondern um eine Blutstauung in der Urethralwand. Nur an der Eichel, wo wie wir bald sehen werden, die Haut durchsichtig ist und eng anliegt, wechselt die Farbe je nach dem Blutdruck, von blassrot oder livide bis zum dunkelsten Blau des venösen Blutes; letzteres namentlich am Rande der Eichel. Selbstverstandlich muss eine so riesige Schwellung und Spannungszunahme auch die Haltung des ganzen Organs beeinflüssen. Hatte das Glied nur eine schlafFe Wand, dann würde das ganze Organ bei maximaler Spannung möglichst die Kugelform annehmen, weil dann erst die Spannung überall gleichmassig .verteilt ware. Aber die Wand ist nun einmal röhrenförmig, und kann also, abgesehen von einer beschrankten Dicke und Langezunahme, nur seine Lage wechseln. Im vorigen Kapitel sahen wir schon, dass das ganze Organ sich. an der Aussenseite des Schambeins emporbiegt und daselbst mittels Bindegewebe eng anschliessend befestigt ist. Dieser unter die Haut verdeckte Abschnitt des Gliedes kann also seine Lage nicht wechseln. Um jetzt dem innerlich erhöhten Druck möglichst nachzugeben, kann der frei niederhangende ausserlich sichtbare Abschnitt sich nur so stellen, dass er in die Verlangerung des flxierten Abschnittes zu liegen kommt; er wird sich also emporheben müssen, weil erst dann die Spannung sich an allen Punkten möglichst gleichmassig verteilt. Daher der Name Erektion d. h. Emporhebung. Es wird aber auch die Schwerkraft d. h. das Gewicht eines so grossen Blutvolums hierbei sehr wesentlich in Betracht kommen. In jeder Körperstellung wird daher die Erektionsrichtung die Resultante dieser beiden Faktoren sein : des Blutdrucks und der Schwerkraft. Und in jeder Körperstellung wird auch die Wirkung der konvulsiven Perinealmuskelkontraktionen diese sein, dass sie den Einfluss der Schwerkraft kompensieren, oder wegen der Zuckungen sogar überkon pensieren. Im Stehen wird also das Glied bei einer maximalen Erektion sich ziemlich weit aufwarts richten; eliminiert man aber dabei die Wirkung der Schwerkraft, indem man sich auf eine Seite 78 hinlegt, dann wird das Glied sogar die Bauchwand fast berühren. Eine kindliche Erektion hingegen, mit ihrer bescheidenen Blutdruckerhöhung hat wohl schon ihr Maximum erreicht, wenn das kleine Glied mit der Bauchwand einen Winkel von 90 0 ausmacht. Das ist dann aber auch wohl das Aüsserste, wie ich einmal erfuhr, als eine Mutter ihr etwa 5 bis 6 jahriges Söhnchen das fest in seinem Bettchen schlief, wegen einer sonstigen Untersuchung aufnehmen musste. Als dabei die ebengenannte Haltung sichtbar wurde, war die Mutter damit so geniert, dass sie einige Male versuchte das kleine Glied hinunter zu drücken, was natürlich die Erektion nur hatte steigern können; es blieb aber beim alten und es scheint also dies wohl das kindliche Maximum zu sein. Was also im erwachsenen Alter das Minimum ist, ist im kindlichen Alter das Maximum; und auch die innere Spannung und die aussere Umfangszunahme sind im kindlichen Alter nur sehr gering. Oben haben wir schon hypothetisch erörtert, wie in der Evolutionsgeschichte der Gattungen durch die blutstauende Wirkung der Perinealmuskelschicht sich eine Gefassgeschwulst entwickeln musste ; jetzt wollen wir noch weiter nachspüren, wesshalb diese Gefassgeschwulst sich überhaupt dem Schambein entlang nach oben wenden musste ; die tubare Form ist natürlich schon dadurch gegeben, dass es sich um eine Verlangerung der Urethra handelt. In der praktischen Mechanik weiss man, dass wenn ein Rohr von komplizierter Form unter hohem Manometerdruck versetzt wird, es so viel wie möglich diejenige Form annehmen wird, worin es fabriziert wurde, weil jede Abweichung von dieser Norm den Inhalt zwar verkleinern, aber niemals vergrössern kann. So werden auch unsere Gelenke, wenn sie durch Blut-, Eiter- oder Serumerguss unter hohem Druck versetzt werden, die namliche halbgebeugte Stellung annehmen wie sie im uterinen Leben gewachsen sind. Ebenso, meine ich, liegt die Sache auch hier. Im Fötalzustande als wir noch im Uterus zusammengekauert lagen, mit den Beinchen steif zusammengedrückt, da konnte wegen Mangel an Raum die Verlangerung der Urethra nicht nach unten ausweichen, 79 sie konnte nur den Bauchwand entlang wachsen *). In der normalen menschlichen Schwangerschaft, weil dann die ganze Frucht der Schwerkraft entsprechend mit dem Kopf nach unten gekehrt hegt, kann das Glied auch schon desshalb nur kopfwarts schlaff niederhangend wachsen. Erst als das Kind zu gehen anfangt, wird die fusswarts niederhangende Lage des Gliedes die habituelle Lage. Jedesmal wenn dann spater im erwachsenen Leben Blutwallungen eintreten, wird noch immer das röhrenförmige Glied möglichst die namliche ursprüngliche Lage wieder einnehmen müssen; auch wenn es gar nicht durch Bindegewebe mit dem Schambein verbunden ware. Daher dass auch schon beim kleinen Kinde, wiewohl bei ihm die Blutdruckerhöhung noch gar nicht so gross ist, diese namliche Lage sehr leicht, wie aus alter Gewohnheit wieder angenommen wird. Es hat aber so eine kindliche Erektion noch gar nichts sexuelles. Wie die kindlichen Genitaliën ja doch eigentlich nur fötale Ausbildungen einer sonstigen embryonalen Anlage sind, so sind auch die kindlichen Erektionen nicht als antizipierte sexuelle Erektionen zu betrachten, sondern als ein durch Blutdruck wallungen gebotene Rückkehr zu der Fötallage. Wir werden weiter im Heft V sehen, wie auch der kindliche Sexualcharakter sich nicht infolge eines innerlichen sexualen Bedürfnisses entwickelt, sondern nur dadurch dass ein Kind sich in einer sexualen Welt entwickelt; womit aber nicht gesagt sein soll, dass nicht öfters in einer Praepubertatsperiode die Bildung der sexuellen organochemischen Stoffe schon allmahlig' anfangen kann. Erst seit den Pubertatsjahren kommt mit der vollen Reizwirkung der sexuellen organochemischen Stoffe, und damit eng verknüpfter massenhafter Produktion der Fortpflanzungszellen, die krampfhafte Blutdrucksteigerung die wir als die sexuelle Erektion kennen. Wahrend, wie wir oben schon dargetan haben, der *) Bei einigen Tieren wie z. B. beim Stier legt sich das Glied auch im erwachsenen Leben immer noch eine weite Strecke den Bauch entlang, bevor es überhaupt sichtbar hervortritt. Man siehe* auch die Fussnote Seite 13. 80 mannliche Genitalkanal in nicht geschwollenem Zustande die Gestalt eines liegenden CO annimmt, beschreibt dieser Kanal jetzt im erigierten Zustande und von rechts gesehen, die Form der griechischen Buchstabe CX Um den Weg zu verfolgen den die Spermazellen durchwandern müssen, fangen wir diesen letzteren Buchstabe. von unten an, von den Testes zur Bauchhöhle aufsteigend, dann daselbst einen Kreis beschreibend worin auch das Schambein mit inbegriffen 'ist, bis der Kanal zuletzt an der Aussenseite des Schambeins emporsteigt, und sich so nach oben entleert. Diese auffallende Erscheinung, die Erektion mit ihren kongestiven Spannungsgefühlen hat von jeher das Gemütsleben lebhaft erregt, und es wird denn auch dieses Ereigniss wenn es zum ersten Male eintritt, bei allen Naturvölkern freudig begrüsst. Jetzt erst /wird der Jüngling würdig, im Kreis der Erwachsenen aufgenommen zu werden und fortan Jagd und Krieg mit zu machen. Zur Einführung in der Korporation der erwachsenen Marmer muss er dann mannhaftig ohne zu zucken allerhand Marter durchmachen wie: das Tattöwieren oder Einkerben in die Haut, die Circumcision, das Einführen von Ringen in Nase oder Ohren, das Ausschlagen einiger Zahne u. s. w. damit er sich würdig zeige als Stammesgenosse. In unserer Kultur und mit unserer Körperbekleidung ist für die richtige Würdigung dieses Entwicklungsphanomens leider kein Platz mehr Es muss verheimlicht werden, und das ist sehr schade. -Wie diese Verheimlichung unseren Charakter verdirbt, so wird auch wegen unserer eng anschliessenden Bekleidung *) das mannliche Glied durch Schiefstellung zwar nicht ganz untauglich, aber doch weniger tauglich für die Begattung. Warum werden *) Auch die Brustwarzen der Frau werden meistens durch die eng anschliessende Kleider mutwillig für spater fast untauglich gemacht. 81 die Kleider nicht ein wenig geraumiger zugeschnitten, und warum wird auch nicht systematisch jedesmal umgewechselt bei der Einteilung des Gliedes entweder beim rechten oder beim linken Bein? Bei uns, Ghristen, sind jene alt-heidnische Pubertatsfeierlichkeiten geistig sublimiert in der Konfirmation, unsere Weihe um an diesem Wendepunkt des Lebens als würdige Mitglieder der Kirche aufgenommen zu werden. Warum aber dabei das Sexuelle zu verkennen, wenn nicht sogar regelrecht zu verpönen ? Hinsichtlich Charakterfestigkeit und Geschlechtsleben ware für uns noch viel von den Naturvölkern zu lernen.. 11. Eichel und Vorhaut. Aber wir sind noch nicht am Ende. Das ganze mannliche Organ d. h. die Urethfa mit ihrem erektiven Bindegewebe ist nicht nur einfach ein Kanal, etwa wie ein Gummischlauch, aber am Ende findet sich ein Knöpfchen, die Eichel (Glans). Dieser Knopf hat eine konisch zugespitzte Form, aber schief in dem Sinn, dass bloss die Unterseite (niederhangend: die Hinterseite) nicht zugespitzt ist; hier verlauft die Urethra gradaus, und ist also durchzufühlen, wie wir Seite 73 schon bemerkten. Die Basis dieses Knopfes hat einen grosseren Umfang wie sonst das Glied, und wölbt sich also an der Verbindungsrand ringsum erheblich empor, wie ein ringförmigef Wulst, eine Vorkehrung die sehr wichtig ist für die Koïtusbewegung: erstens als Hilfsmittel zur Massage, zweitens in Anbetracht des ausseren 6 82 Schliessmuskels der Vagina, damit man einander nicht zu frühzeitig wieder verliere. Beim Hund und bei einigen verwandten Tiergattungen, ist wegen der knorpeligen BeschafFenheit dieses Randes, ein unzeitiges sich verlieren ganz und gar ausgeschlossen ; bei Anwendung von Gewalt sogar, würde man eher den Scheideneingang des Weibchens zerreissen. Die Eichel ist von einer sehr zarten, durchsichtigen Haut bekleidet, die typisch den Eindruck einer Schleimhaut macht, und unbemerkbar in die Schleimhaut der Urethra hinüber geht. Innerlich besteht die Eichel aus dem namlichen kavernösen Gewebe, wie sonst an der Unterseite (niederhangend: Hinterseite) des Gliedes, wo die Urethra noch einigermassen durchzufühlen ist. Sie ist also, auch wenn geschwollen, nicht so bretthart wie sonst das Glied. Zum Glück! Sonst würde es beim ersten Begattungsversuch wohl noch öfters zu Verletzungen von Urethra und Harnblase, oder zur Perforation der Vaginalwand kommen. In nicht geschwollenem Zustande aber, ist die Eichel wenig auffallend, bescheiden von Umfang, und kaum merkbar vom cylindrischen Teil des Gliedes zu unterscheiden. Es erübrigt uns „ jetzt noch ein Ratsel zu lösen. Dass das mannliche Glied je nachdem der lokale Blutdruck hoch gespannt oder niedrig ist, das einemal riesig gross, das andermal, namentlich bei übermassiger Kalte oder bei Blutverlust, fast ganz verschwunden sein kann, das liegt im Wesen des kavernösen Gewebes. Aber wie verhalt sich dann dabei die Haut? Wird sie das einemal bis zum Zerreissen angespannt, um das andere mal eine Überhaufung belastigendèr Falten zu bilden ? Man denke nur an die umfangreichen Falten eines Blasebalges oder eines D-zugs! Nichts von alledem findet sich hier. Auch hier beschamt die Natur mit ihren einfachen Hilfsmitteln unsere Mechanik. Die Lösung des Ratsels ist sö einfach, dass fast keiner je an diese Schwierigkeit auch nur gedacht hat. Die Haut liegt am Gliede fast immer glatt an; mit dem zeitweiligen Übermass wird an den beiden Enden abgefunden. Die Skrotalhaut kann sich mittels feinster Hautmuskelfasern *) *) Auch beim Weib finden sich in den tiefsten Hautschichten der grosseu Schamlippen diese feinsten Muskelfasern. 83 in feinsten Falten zusammenlegen, so fein wie das feinste crêpe Blumenpapier, und diese feinen Falten werden bei der Erektion mehr oder weniger ausgeglichen. Sobald sich das Glied dann wieder verkleinert, legen die Skrotalfalten sich wieder zusammen; ja, zuweilen bei ganz entspannten Muskeln, kann das Skrotum sogar noch tiefer herunterhangen wie das Glied. Ist aber das Glied aufs ausserste gespannt, dann verschwindet sogar das ganze Skrotum, und liegen dann die beiden Testikel dem Gliede einfach fest angeschmiegt. So kann die namliche Hautpartie abwechselnd für beide Organe benutzt werden! Man erinnere sich nur an den merkwürdigen Ursprung dieser beiden Organe: ist hier ja entwicklungsgeschichtlich sowohl die doppelseitige Testikelhernie wie die Gefassgeschwulst der Urethra nur in eine lose Hautfalte hervorgedrungen; kein Wunder, dass diese Hautpartie auch weiter für beide Organe verschieblich bleibt. Nur am anderen Ende des Gliedes, also an der Eichel, hat die Haut seine Verschieblichkeit eingebüsst. Aber wie zur Entschadigung findet sich hier, gerade an der Grenze der Eichel, genau hinter dem hervorspringenden Rand der Eichel, eine einzelne grosse Falte; diese ist dann aber auch so riesig gross, dass die ganze Eichel sich darin verstecken kann. Ist dies der Fall, dann umschliesst diese Falte die Ekhel doppelt, d. h. mit einer Umschlagfalte am ausseren Ende; die Harnabsonderung tritt dann nicht sofort wenn sie die ganze Urethra durchlaufen hat, an die Eichelspitze zu Tage, sondern erst nachdem sie überdies auch noch diese ringförmige Hautfalte, die Vorhaut *) (Praputium) bis zu der Umschlagstelle durchlaufen hat. Namentlich bei einem kleinen Kinde gestaltet sich diese Hautfalte wie ein enges schlaffes Rohr, in überlangs liegenden Falten zusammengekrauselt. Beim Kinde ist also die Eichel gar nicht sichtbar. Je mehr aber das erwachsene Alter herannaht, destomehr tritt die Eichel hervor. Desshalb ist auch der Name „Eichel" ) Wenn bei der Beschneidung (Circumcision) diese Hautfalte abgetragen wird, wird es erst recht ersichtlich, dass das abgeschnittene Stückchen der Vorhaut (die Umschlagfalte) ringförmig ist. Die Lage der ganzen Falte kann man sich leicht vergegenwartigen, wenn beim Ausziehen eines Handschuhfingers die Fingerspitze des Handschuhs zufalligerweise verklebt bleibt, oder voraussichtlich mittels eines Fadens umschnürt ist. 84 so treffend gewahlt, weil auch die Frucht der Eiche im jugendlichen Alter ganz verdeckt ist, wahrend spater die grosse, glatte Eichel weit hervorsticht. Namentlich im erigierten Zustande entblösst sich beim Mann die Eichel, und verschwindet dann die Hautfalte fast ganz; in sehr erschlafftem Zustande aber, wie durch Kalte, Blutverlust oder vor Alter, da legt sich die Hautfalte wieder ganz um die Eichel herum, wie zum Schutz. Wie das mannliche Glied, so ist auch die weibliche Klitoris von einer Vorhaut bekleidet. Das kaum bemerkbare Zapfchendas man Klitoris nennt, wird aber nicht ganz davon verdeckt, sondern hier ist die Vorhaut bloss eine aüsserst feine Schleimhautfalte, die das Zapfchen kaum zur Halfte, und zwar an der Vorderseite (in liegender Körperstellung : Oberseite) verdeckt, wahrend rechts und links diese Falte allmahlich in die beiden kleinen Schleimhautfalten, die kleinen Schamlippen, übergeht. Schliesslich aber wird alles von den beiden grossen Schamlippen überwölbt, die sich nach hinten bei den Gesassfalten anschliessen ; als waren sie davon nur eine, im erwachsenen Zustande behaarte, Verlangerung nach vorne. Wenn wir zum Schluss noch einmal die beiden Geschlechter in dieser Hinsicht vergleichen, dann sehen wir dass die weibliche Körpergestalt in ihrer Entwicklung ohne Auswüchse, dem ursprünglich beiden Geschlechtern gemeinsamen Typus mehr treu geblieben ist, wie der Mann. Doch finden sich zuweilen auch beim Weib Auswüchse, namentlich die Verlangerung einer oder beider der soeben genannten kleinen Schamlippen. Sogar die weibliche Urethra kann sich in seltenen Ausnahmefallen verlangern; einmal fand ich den weiblichen Harnkanal ektopisch sosehr hervorragend, dass er einer riesig verlangerten Klitoris ganz ahnlich aussah. Auch eine starke Vergrösserung der Klitoris scheint in einigen Gegenden haufig zu sein *), eine Konkurrenz aber, die dem Manne nicht immer willkommen ist; man findet desshalb bei vielen *) Sollte sich bei weiblichen Personen wirklich ein kleiner Penis bilden, dann müsste nicht nur die Klitoris, sondern auch die Urethra riesig ausgewachsen sein, und überdiess müssten dann diese beiden Organe noch mit einander zusammengewachsen sein. Das ware dann bei Madchen das richtige Gegenstück, den hermaphroditischen Missbildungen der Knaben gegenüber. 85 Völkerschaften die Sitte, die vergrösserte Klitoris operativ einzukürzen, oder einfach die ganze Klitoris so weit möglich wegzuschneiden ! Es giebt dementgegen auch Völkerstamme die durch Saugen oder durch Insektenbisse die Klitoris möglichst zu verlangern suchen; wie man auch hie und da bestrebt ist die kleinen Schamlippen durch Zerrung oder durch das Anhangen von Gewichtchen künstlich zu verlangern, und zwar nicht ohne Erfolg; man denke nur an die bei den Hottentotten dadurch errungene Schürze ! Im Allgemeinen aber sind Verlangerungen, wie gesagt, dem mannlichen Geschlecht vorbehalten. Bei ihm ist durch natürliche Zuchtwahl die Schwellung und die Verlangerung seines Genitalkanals, wegen des ausgesprochenen Vorteils im Kampf ums Dasein ebenso die Regel geworden, wie sie beim weiblichen Geschlecht eine seltene Ausnahme sind. Die mannliche Vergrösserung des Kopulationsorgans hat sich im Laufe der Zeiten der weiblichen Erweiterung angepasst; wie letztere gegenseitig sich dem mannlichen Organe angepasst hat. Es sind also nicht nur die Charaktereigentümlichkeiten von Mann und Weib die sich an einander, und auch dies oft gegensatzlich, angepasst haben, sondern ebenso die körperformen. Weil aber der Stöff trager ist wie der Geist, hat sich auch die körperliche Anpassung in vorhistorischen Zeiten gewiss umsoviel langsamer vollzogen. 12. Die Beschneidung. Diese Operation is bei mannlichen Personen namentlich im kindlichen Alter öfters notwendig, wegen einer so hochgradigen Verengerung der obengenannten Umschlagfalte, dass der Harnabfluss gar zusehr erschwert wird. Ungenügende Hygiëne ist meistens die erste Veranlassung. Das Sekretionsprodukt der Talgdrüsen in der Haut der Eichel und des Praputiums ist, namentlich im kindlichen Alter, wegen seiner versteckten Lage zwischen Eichel und Praputium schwer weg zu waschen. Diese fettigen Bestandteile werden also leicht ranzig und verfaulen, umsomehr weil hier beim kleinen Kinde der Harn doch auch schon durch Zersetzung einen Reiz hervorruft. Schadigungen der Haut durch kleine, oft kaum bemerkbare Erosionen und Excoriationen können also fast nicht ausbleiben. Heilen solche Schrunde und Risse mit Narbenkontraktion, dann wird die Harnausmündung d. h. diese Umschagfalte immer mehr verengt, anstatt mit dem Körperwachstum sich immermehr zu erweitern, bis zuletzt der Harn nicht mehr abfliessen kann, und eine Operation notwendig wird. Die Verengerung kann ja so hochgradig werden, dass bei jedem Versuch den Harn zu entleeren, das ganze Praputium vom Harn ballonförmig empor getrieben wird; natürlich unter den heftigsten Schmerzen. Solange die Verengerung noch nicht allzuweit fortgeschritten ist, kann man immerhin bevor man zur Operation schreitet, noch versuchen, den beinahe verschlossenen Raum zwischen Praputium und Eichel gründlich zu reinigen, zu desinficieren und zu genesen, indem man jedwelche Flüssigkeit in diese Höhle hineinspritzt. Man wahlt dazu reizlose, am liebsten adstringierende (zusammenziehende) antiseptische Lösungen z. B. Bleiwasser (Eau de Goulard) oder eine 1 pc. Alaunlösung (ein Esslöffelvoli Alaunpulver auf einen Liter oder Weinflasche Wasser), und macht die Einspritzung am besten mittels einer kleinen Ballonspritze mit einer Kanüle die an ihrer Ausmündung ein wenig verdickt ist. Wenn man eine 87 solche Kanüle zwischen Praputium und Eichel einführt, und die Hautfalten ringsum mit der Hand abschliesst, dann kann man zur aktiven Spülüng immer wieder mit der namlichen Flüssigkeit das Praputium aufblasen, und jedesmal die Flüssigkeit wieder in die Spritze zurückfliessen lassen; wobei man dann durch aussere Massage die Spülung noch unterstützen kann. Auf diese Weise kann man alles so gründlich reinigen wie man es nur wünscht; nur darf man dabei keine neue Erosionen machen! Diese örtliche Reinigung ist umso wichtiger, weil der angehaufte Schmutz Brennen und Jucken hervorruft, was wohl eine der haufigsten Ursachen der Masturbation im zarten Jugendalter ist. Wenn aber das Libel einmal zu tief eingefressen hat, dann ist oft zuletzt eine Operation nicht mehr zu umgehen. Diese Operation der Beschneidung wird vom Arzt gewöhnlich als wirkliche Circumcision (kreisförmiges Abtragen), etwa wie die rituelle Beschneidung bei den Israëliten, gemacht; denn, wird mit der Scheere der Praputialring bloss der Lange nach gespalten, dann bekommt man zwar auch sofort die gewünschte Erweiterung, bald aber verwachst alles wieder, ohne dass man dies verhindern kann. Wie die Beschneidung als chirurgischer Eingriff in pathologischen Fallen grossen Wert hat, so hat sie auch ethnographisch eine weite Verbreitung als religiöse Ceremonie einzelner Völker oder Stamme, öfters aber auch ohne alle religiöse Nebenbedeutung, bloss als Mittel zur Verschönerung oder zur Vervollkommnung der Natur, wie wir oben (Seite 80) schon allerlei Pubertatsceremonien erwahnten. In Australien giebt es eingeborene Stamme die sogar noch viel weiter gehen, ich meine die Pubertatsoperation die von ihnen Mica genannt wird. Sie spalten die ganze Urethra an der Unterseite (niederhangend: die Hinterseite) wo der Kanal durchzufühlen ist, mit einem Feuersteinsplitter oder mit einer Muschelschale, und legen wahrend der Genesung ein Stückchen Baumrinde, Holz oder Elfenbein ein, damit nicht der ganze Schnitt wieder ausheilt. Das Glied ist nun fortan doppelt so breit; Harn 88 und Sperma kommen unmittelbar am Skrotum zum Ausfluss *), und jede Begattung ist also unfruchtbar. Für gewöhnlich werden diese operierten Manner zur Heirat vorgezogen; es wird aber wohl dafür gesorgt, dass immer auch noch einige rüstige Manner nicht operiert werden, zur Zeugung einer günstig veranlagten Nachkommenschaft, wo diese gewünscht erscheint. Es giebt daselbst aber auch Stamme die nur die Eichel spalten, damit diese doppel so breit sei. Die gewöhnliche Knabenbeschneidung als Pubertatsmassnahme ist nicht naturwidrig, weil ja die Natur selbst auch schon, je mehr die Pubertat herannaht, die Eichel entblösst; es kann also ursprünglich bloss ein Kniff gewesen sein, der Natur in diesem Bestreben ein bischen nachzuhelfen. Jedenfalls galt eine völlig entblösste Eichel als ein Merkmal von Fruchtbarkeit, und 1 Mose XVII wird dann auch mit der rituellen Circumcision die Verheissung einer zahlreichen Nachkommenschaft verknüpft. Weil aber von altersher jeder Stamm oder Völkerschaft ihre Eigentümlichen Brauche hatte, wurden solche traditionellen Ceremoniën mit der Zeit zu heiligen Merkmalen der Stammesverwandtschaft, und waren schliesslich solche Kennzeichen für jeden Stammesgenossen ebenso unentbehrlich zur Begründung seiner Rechte, wie bei uns die Eintragung in die Register des Standesamtes. Es kann uns also auch kein Wunder nehmen, dass einige dieser Ceremoniën auch schon bald nach der Geburt vollzogen wurden, wie z. B. bei den Israëliten die Beschneidung schon am 3ten Tag nach der Geburt vorgenommen wurde, als feierliche Einverleibung im Stammverband. Auch die christliche Taufe wurde anfangs nur bei Erwachsenen, spater auch schon bald nach der Geburt, als feierliche Einverleibung in die christliche Gemeinde vollzogen. Diese rituelle Beschneidung, das blutige Opfer eines der intimsten Körperteile, erinnert uns an das in der menschlichen *) Ihnen kann es dann auch nicht passieren, dass gerade im Augenblick des Samenausflusses, durch zufallige oder absichtliche Kompression der Urethra, das Sperma anstatt nach Aussen ausgespritzt zu werden, rückwarts in die Harnblase gelangt. Das Wollustgefühl wird dadurch zwar nicht gestort, aber wie leicht kann es da geschehen, dass in der Harnblase solche Spermabestandteile ebenso wie öfters Blut- und Eitergerinsel den Kern zur Blasensteinbiidung liefernl 89 Evolution noch viel weiter zurückliegende Menschenopfer. Das Bündnis mit Abraham umfasste dann auch einerseits das Verbot des Menschenopfers (1 Mose XXII), anderseits die Verpflichtung alle neugeborenen Söhne zu beschneiden (1 Mose XVII); fortan wurden also alle mannliche Stammesgenossen symbolisch geopfert. Die tiefere Verwandtschaft zwischen der Beschneidung und einem wirklichen Menschenopfer, erhellt sich uns noch besser, wenn wir uns vergegenwartigen, dass auch beim gewöhnlichen Brandopfer immer nur ein Teil, und zwar der wichtigste Teil *) durch Verbrennung dem Urvater oder Stammesgott dargebracht wurde, wahrend dieser dabei als ware er anwesend, angerufen wurde ; alles Andere wurde dann weiter von den andern, wirklich anwesenden Gasten, als Blutsverwandten dieses gemeinsamen Lïrvaters verschmaust. Erst spater zogen die Priester als Urheber der blutigen Ceremonie den Löwenanteil an sich. Das Opfer der Beschneidung wurde dann auch, ebenso wie früher das Menschenopfer, betrachtet als ein erlösendes fiündniss mit der Gottheit; und zwar unsprünglich nicht sosehr als rettend für den Beschnittenen, sondern wie jedes andere Opfer als rettend für die Blutsverwandten, die Teilgenossen der blutigen Ceremonie waren. Sehr treffend ist uns der letztere Standpunkt noch überliefert in 2 Mose IV: 24-26, wo wir lesen wie nach der Knechtschaft in Egypten das alte Bündniss Jahwe's mit Mose wieder erneuert wurde, ich meine die bis jetzt immer so wenig verstandene Geschichte von Zippora, wo die Beschneidung ein blutiges Opfer ist zur Söhnung des Gotteszornes; wurde ja durch diese etwas brusk inscenierte Opferceremonie Jahwe als Teilgenosse der Opferceremonie zum Blutsbruder Mose's, und eben dadurch (siehe über die Gruppenehe unten Kap. 45) auch zum Mit-Brautigam, in casu Blut-Braütigam, seiner Gattin Zippora. Diese Geschichte von Zippora, dieser mystische Übergang der tiefsten Todesangst zur intimsten Gemeinschaft, ist auch noch für spater der schlagendste Prototypus der christlichen ErlösungsIehre geworden. Als Eckstein der alt-kirchlichen Dogmatik wurde die blutige Ceremonie der Beschneidung, diese Überrest des Menschenopfers, dann weiter in dem Sinn sublimiert, dass fortan *) Offenbar gilt hier das Genitalorgan als das intimste Lebensorgan und Verbindungsglied mit dem Urvater. 90 nur ein einziges und zwar ein göttliches Wesen als Opfer gefallen sei zur Erlösung aller jetzt lebenden und spater lebenden Glaubensgenossen die im heiligen Abendmahl alle zusammen das blutige Bündnis, das Opfermahl symbolisch feierten; ein mystisches Sakrament das in der Neuzeit mehr eine Geistesgemeinschaft geworden ist, ursprünglich aber eine Gemeinschaft des Blutes war. Die traditionelle Beschneidung wurde desshalb als Gemeinschaftsweihe von der Christengemeinde verlassen, und als Eintrittsweihe durch die Taufe ersetzt. Um die rituelle Beschneidung lege artis zu veranstalten, bringt der Rabbi, Gebete und Formeln mürmelnd, das kleine Glied in möglichst starker Erektion, weil er sonst nicht beurteilen könnte, wo die Eichel anfang t; und wurde aus Versehen davon ein Teil mit abgetragen, dann ware der Tod durch Verblutung kaum zu meiden. Jetzt zieht er die Vorhaut ein wenig an und schneidet sie ab, ohne die Eichel zu schadigen. Letzteres meidet er indem er die Vorhaut möglichst nahe an der Eichel in eine Klemme fasst und langst dieser Klemme abschneidet. Dann wird die Eichel weiter enthüllt und alles aseptisch, oder noch besser antiseptisch z.B. mit Jodoformgase verbunden. In wenigen Tagen ist dieser Hautschnitt genesen. Keine lose Falte wird künftig je die Eichel mehr umhüllen. Für die erwachsene Erektion wird aber immer noch Haut genug vorhanden sein; ist ja nur der aussere Teil der Vorhaut weggenommen, der über die Eichel hervorragte; was noch übrig geblieben ist, legt sich in Falten hinter den Eichelrand. Diese allen Knaben schon so bald nach der Geburt aufgenötigte Erektion, und die bleibende Entblössung der Eichel wodurch letztere fortan weit mehr wie sonst der Berührung, Reibung und Reizung ausgesetzt ist, wird gewiss, zusammen mit einer frugalen und hauslichen Lebensführung sehr viel dazu beigetragen haben, dass die Israëliten sich sosehr vermehrt und verbreitet haben. Damals, als eine hohe Geburtenzahl Existenzbedingung war zur Kriegsführung und zur Kompensation der damaligen grossen Kindersterblichkeit, haben sie dadurch gesiegt im Kampf ums Dasein. Die mit der Beschneidung verbundenen Verheissungen haben sich also bewahrt. 91 Bringt ja die Beschneidung auch weiter noch hygiënische Vorteile mit sich, die für den Kampf ums Dasein sehr wichtig sind Nach dieser Operation ist die Anhaufung von Schmutz in der Praputialhöhle vollends ausgeschlossen, denn diese existiert ja nicht mehr; es kann also dieser Schlüpfwinkel niemals der Sitz venerischer oder anderer Krankheiten werden, die die Fortexistenz der Rasse immer sosehr bedrohen. Im Gegenteil, die Haut der Eichel wird jetzt immer trocken sein, wodurch eine genügende Resistenz allen schadlichen Einflüssen gegenüber, am besten verbürgt wird. Dies sei für alle Unbeschnittenen eine Warnung, durch Reinheit zu erringen, was ihnen bei Mangel an dieser Operation vorenthalten ist. Um einmal recht zu zeigen, wie wichtig für die Aufrechterhaltung der Rasse dieser Punkt ist, will ich als praktischer Arzt noch ein rein hygienisches Kapitel hinzufügen. 13. Hygiënische Pflege der ausseren Organe. Zum Abschluss dieser Serie von Kapitein die von der Anatomie des Genitalkanals handeln, will ich jetzt noch einige Bemerkungen zum Besten geben, die sich mehr speziell auf die aussere Ausmündung des Kopulationsorgans beziehen, und zwar in An betracht der daselbst sich einnistenden Mikro-organismen. Bakteriologisch ist es ja eine bekannte Tatsache, dass jedes Drüsensekret zwar anfangs steril ist, spater aber, sobald es in die Aussenwelt ausmündet, von einer Invasion von Mikro-organismen 92 aller Art befallen wird, unter denen auch Faulnissbakterien sich geltend machen können, die wenn nicht abgeholfen wird, immer weiter um sich greifen, und sich schon von Ferne durch einen üblen Geruch verraten Wir würden also schon bald in einer giftigen Atmosphare leben, und tatsachlich würde unser Körper bevor wir noch gestorben sind, schon zu verfaulen anfangen, wenn wir nicht durch eine pünktliche Reinlichkeit dem entgegen treten, so weit dies überhaupt möglich ist; wahrend dabei auch die Natur von innen her energisch behülflich ist, dadurch dass immer wieder neu gebildetes steriles Sekret nachkommt*) wodurch dann das altere, schon in Zersetzung begriffene Sekret immermehr hinausbefördert wird. Dieses letztere Prinzip, die Selbstreinigung durch die „Vis-atergo" macht es uns auch aufeinmal klar, wesshalb Individuen mit einer aktiven Stoffwechselenergie soviel gesunder und lebensfroher sind ; wahrend trage, faule, torpide Konstitutionen vulnerabel, siechlich und wenn krank, schwer zu heilen sind. Wie schwer krank kann z.B. bei Hemmung des Harnabflusses, namentlich bei Blasenlahmung, die mit der Zeit eintretende Harnzersetzung unsere Patiënten machen, weil der Harn stagniert! Das namliche gilt auch von der Darmsekretion, ein Gemisch von allerhand anfangs sterilen Drüsensekretionen mit den gar nicht sterilen Abfallstoffen unserer Nahrungsaufnahme. Hier herrscht schon in unserm Innern der Bakterium coli vor, der unsere Wunden so regelmassig infiziert, weil er wie experimentell nachgewiesen worden ist, fast immer an die Türgriffe u.s.w. des Aborts haftet, und so überall hin verschleppt wird. Am wenigsten gilt die Gefahr der Autointoxikation wegen ungenügender Vis-a-tergo bei der Spermasekretion, weil die Urethra mehrmals taglich durch eine Harnabsonderung gründlichst gereinigt wird; womit aber nicht gesagt sein soll, dass eine richtige und regelmassige Funktionierung wie es verheirateten Leuten geziemt, nicht auch in dieser Hinsicht ein hygienisches Desideratum sei; man denke nur an die oben (Seite 69) gemachte Bemerkung, dass der Inhalt der Samenblaschen immer noch geruch' los ist, dass er aber seit er die Prostata passiert, einen üblen Ge- *) Gerade wie wir es Seite 50 auch fttr die Spermazellen gesehen haben. 93 ruch verrat. Im weiblichen Genitalkanal bildet normaliter der Uterushals die Grenze der Selbstreinigung. Wenn aber auch die Selbstreinigung aufs Ausserste ihre Schuldigkeit tut, so bleibt es dennoch weiter unsere Pflicht, von aussen her die Sekretionsstoffe mittels gründlicher Reinigung weiter weg zu schaffen. Dies gilt für unsere ganze Hautoberflache, mit ihren zahllosen mikroskopischen Talgdrüsen und Schweissdrüsen; und wenn man die Waschung nicht regelmassig jeden Tag vornimmt, dann wird es bald recht schwer das Versaumniss spater nachzuholen. Die gründliche Reinigung einer vernachlassigten Hautoberflache ist ja gar nicht so leicht. Erstens liegt auf der Haut eine Luftschicht geklebt, die bei einfachem Untertauchen ihre Anwesenheit durch eine Unmasse kleiner Luftblasen verrat. Zweitens ist die Haut von aus den Talgdrüsen stammenden Fett impregniert, das immer sehr schwer zu beseitigen ist; am besten noch mittels Seifenwasser, heissem Wasser, Lysolwasser (z.B. in 0.5 pc. Lösung d.h. lh Esslöffel auf eine Weinflasche Wasser) oder durch Alkohol. Auch soll man immer darauf bedacht sein. sogar die letzten Spuren der Seife auch immer gründlichst wieder zu entfernen, was noch am besten mit einem Ubermass von reinem Wasser oder mittels einer Spur von Alkohol *) gelingt; ÜP$k. jede Art von Seife namentlich an empfindlichen Stellen verderblich wegen ihrer atzenden Wirkung. Schliesslich ist es schwer die Haut, wenn einmal nass, wieder zu trocknen, weil ja unsere Haut, man denke nur an den Haarhygrometer, hygroskopisch ist. Wird die Haut nicht gründlich getrocknet, dann leistet man mit allen seinen Waschungen nur der Zersetzung und Verfaulung Vorschub, namentlich in den Körperfalten und Beugefalten. Denn wo zwei Hautpartien eng aneinander anliegen, da werden sie bei Körpertemperatur und normaler Hautausdünstung nachher immer noch nasser, aber taicht trockner; man kann sich im Sommer leicht davon überzeugen, wenn man sich einige Augenblicke mit dem Antlitz auf die Rückseite der Hand oder auf den Arm zu schlafen legt, wie feucht beide Ober- *) So schadlich wie Alkohol innerlich wirkt, jso grossen Wert hat er ausserlich zu hygienischen Zwecken, auch bei Entzündung, wobei man Ja die weissen Blutkörperchen zurückschrecken will, namentlich bei nassenden Hautausschlagen. 94 flachen dann werden! Eigentlich sollte man sich nach dem Bade nicht kleiden, bevor alle Falten wieder recht trocken sind. Mitunter könnte man mit ein bischen Puder nachhelfen, weil dann die Körperoberflachen nicht hermetisch aneinander liegen können; aber in den meisten Fallen genügt dazu der Staub der von den Handtüchern und von den Kleidern herstammt; ein Trost also wenn wir das Abnutzen unserer Wasche bedauern. Da aber im Gegensatz zu der Haut, die Schleimhaute feucht bleiben sollen, muss man mit Vorbedacht diese feinen Staubteilchen von unsern Luftwegen fern halten; namentlich Abends wenn wir schlafen gehen, sollen wir nicht den Staub unserer Kleider aufwirbeln, damit wir ihn nicht wahrend der ganzen Nacht einatmen. Wie oft habe ich Hebammen sofort nach der Geburt die Lungen der Neugeborene gründlichst verderben sehen, mit ihrem Puderquast in der Leistengegend ! Solange es nur noch das Sekret ist, das in Zersetzung begriffen ist, kann tüchtiges Waschen noch genügen; mit der Zeit aber greift die Zersetzung weiter um sich, und befallt auch die umliegende Haut, namentlich an feuchten Hautstellen. Man denke z. B. an die Füsse, wo von den Falten zwischen den Zehen her immer weiter die Haut verfaulen kann, sodass zuletzt der Arzt die ganze Fusssohle mazeriert und verfault findet, mit einem aashaften Geruch. Und so geht es schliesslich an allen Körperfalten. Da hilft kein Waschen mehr, und muss vor allen Dingen die Haut gründlichst desinficiert werden am besten mit der soeben genannten Lysollösung die nicht sehr giftig ist; für kleinere Hautpartien kann man auch das giftige Sublimat nehmen, z. B. 1 Pastille von 1 Gramm in einem Waschbecken mit 2 Liter Wasser ; oder wenn der Geruch stark hervortritt, wahle man Formalin, z. B. 10 Gramm (1 Esslöffel) gelost in }■« Liter oder in 3g Weinflasche Wasser. Letzte Lösung ist aber schmerzlich sobald die Haut wund ist, oder auch nur die kleinsten Excoriationen oder Risse hat. Für Einspritzungen verwende man noch viel verdünntere Lösungen. Alles hier gesagte gilt für unsere ganze Hautoberflache; ganz besonders aber am unteren Pol unseres Körpers, wo neben sonstigen kleineren Haut-und Schleimhautdrüsen, auch noch die 95 grossen sekretorischen Organe ausmünden. Hier ist die am meisten bevorzugte Stelle für scharfe Gerüche, man denke nur in der Tierwelt an: Moschus, Castoreum, Hyraceum, Amber, Zibethum. Es fehlen dergleiche übelriechenden Stoffe auch nicht an unsern mannlichen und weiblichen Genitaliën; namentlich trifft man sie da wo kleine Unebenheiten am leichtesten eine Stagnierung der Sekrete hervorrufen, also in der Vulva, in der Prostata und last not least in der Praputialhöhle. Der Prostata ist schwer bei zu kommen, und es rührt gewiss wohl daher, das hier so oft im höheren Alter zu Operationen geschritten werden muss. Für Vulva und Vagina bedarf es der Einspritzungen von Wasser, event. von schwach adstringierenden oder desinfizierenden Lösungen; namentlich nach jeder Menstruation, auch schon beim jungen Madchen. Dadurch wird wohl am besten nicht nur alle Auto-intoxikation, sondern auch für spater alle von aussen herkommende Infektion vorgebeugt. Hinsichtlfch der Praputialhöhle aber, muss ich hier jetzt noch einmal das anatomische Bild ins Gedachtniss zurückrufen. Nur zu leicht ist man geneigt, diese Höhle als mit Schleimhaut bekleidet zu betrachten. Wir haben aber damals schon dargetan, dass die Eichel mit Haut bekleidet, und dass auch die Vorhaut eine richtige Hautfalte ist, wie es allerdings auch der Name schon besagt. Im Gegensatz zu den Schleimhauten sollen diese beiden Oberflachen also möglichst trocken gehalten werden, auch im erwachsenen Alter; was umso wichtiger ist, weil dadurch die Gefahr für ansteckende Krankheiten aller Art sehr betrachtlich verringert wird, indem die Haut möglichst resistent und festsich gestaltet, je trockner sie gehalten wird. Wie leicht kann es ja geschehen, dass man in eine Lage kommt, wo Ansteckungsgefahr vorliegt! Leben wir ja alle in einer menschlichen Gesellschaft, wo Ansteckungsgefahr uns von allen Seiten bedroht: auf Reisen, in Hotels, in fremden Betten, in fremden W.C.'s! Braucht man sich dazu noch nicht einmal von seiner Familie zu entfernen. Wie mancher Saugling wird von dem Dienstmadchen, wenn nicht schon von der Hebamme angesteckt, oder umgekehrt; Eltern durch Ki nder u. s. w. Auch bei den strengsten Sitten und in der heiligsten Ehe soll Reinlichkeit und Sexualhygiene eifrigst innegehalten werden; 96 damit nicht zu unserm Schaden auch von uns gesagt sein könnte, dass die Kinder der Finstern ss vernünftiger sind wie die Kinder des Lichts. Ja, es könnte sonst zuletzt so weit kommen, dass bei ausserehelichen Verhaltnissen die Hygiëne besser verbürgt ware wie in der keuschen Ehe ! Findet man ja die venerischen Krankheiten nicht nur bei der Prostitution und beim Trunkenboldleben wo sie immer einheimisch sind. Wir Arzte sehen leider nur zu viel hinter den Koulissen, wie oft venerische Krankheiten als Mitgift in die Ehe mitgenommen, oder spater vom Mann oder von der Gattin hineingeschleppt werden! Das Übel hat schon so oft die Mauern der alten Festung, die Ehe, überschritten wo man sich sicher wahnte. Und wenn dann einer der Ehegatten krank ist, oder beide, dann ware gewiss sexuelle Abstinenz Pflicht, aber wie lange? Sogar der erfahrenste Arzt bleibt hier die Antwort schuldig; und dann ist es seine Pflicht seinen Patiënten gegenüber und ihrer Nachkommenschaft gegenüber, alles zu verordneri was inzwischen weiterer Verzweiflung vorzubeugen vermag. In allen sokhen zweifelhaften Fallen wird der Arzt um gegenüber sich selbst verantwortlich zu sein, nicht nur bis auf naheres Preservatifs als Schutz im Notfall verordnen, weil diese noch besser schützen wie das Praputium das die Natur uns verschenkte, sondern er wird auch die beiden Ehegatten hinsichtlich der Anwendung antiseptischer Reinigungsmittel als eine heilige Pflicht belehren. Jeder Mensch soll von Kind an hygiënisch erzogen werden, dann wird er schon von sich heraus das Unreine meiden; und wenn er dann dennoch einmal in Gefahr kommen möchte, dann wird er doch gewiss nicht sofort so rettungslos untergehen. Ja, es ist eine sorgfaltige, gewissenhafte Erziehung in den Kinderjahren schon die erste Vorstufe zur Selbstbeherrschung von der wir im Heft II und III, und zur idealen Liebe von der wir im Heft IV und V handeln wollen. Wie es auf dem Zürichberg am Waldhüsli im einsamen Wald so treffend geschrieben steht, die Warnung : Rein d'raussen, Rein d'rinn, Rein die Rede, Rein der Sinn.