heraus. Es ist eben eine groBe Ungleichheit und die Andern sind klüger als wir." „Die Ungleichheit ist sehr groB," ergriff der Verteidiger jetzt das Wort, seinen steifen Hat ins Genick schiebend. „Zwischen einem Mann mit einem Holzbein und einem Mann ohne Beine, der blind ist, ist ein riesiger Unterschied, der sich auch finanziell auswirkt, lieber Fewkoombey." Der Richter horchte sehr nach dem Verteidiger hin, er interessierte sich für jedes Wort von ihm, das sah man genau. Und der Richter wuBte, daB man es sah. „Laden Sie doch Beery, meinen Geschaftsführer!" forderte der Verteidiger höhnisch, „der ist der Sohn eines Arbeiters aus den Kohiengruben." Der Richter überlegte. Dann schellte er und Beery trat auf. Er bestatigte, ohne gefragt zu sein, daB er ein Guthaben auf der Bank habe. „Aber mir fallt auch etwas ein," prahlte er, „die Abtritte mit der schragen Rückenwand sind meine Idee gewesen." Der Verteidiger pflichtete ihm bei: „Er versteht es eben, aus den Leuten etwas herauszuholen, das ist es." Die Belastungszeugen murrten. „Schweigen Sie!" wies ihn der Oberste Richter zurecht. Das Auge des Richters fiel auf die Dinge, die auf dem Tisch lagen, das Messer und den Brief. Er stand auf, ging auf die andere Seite des Tisches, blieb vor dem Tisch stehen wie ein Zeuge und sagte, wie ein solcher nach oben: „Ich bekam dieses Messer als Pfund." Er stapfte hastig zurück zu seinem Stuhl und sagte streng: „Das ist wieder ein Hauptpunkt. Mary, was bekamst Du?" Und er zeigte ihr den Brief, um ihre Aussage zu beeinflussen. „Ich bekam den Brief als Pfund," sagte sie, ihn verstenend, und damit half sie ihm ein Stück weiter. „In dem Brief steht, daB Du etwas auf Deinen Brotgeber weifit, das ihn ins Zuchthaus bringen kann. Es ist eine Er- pressung, nicht wahr?" „Freilich," sagte sie. „Ja, das ist unser Pfund, so sieht unser Pfund aus," murmelte er abwesend, „aber was ist das ihre?" Er saB und hatte den Kopf in die Hand gestützt, zergrübelte sich und schien ganz verzweifelt. „Es wird nicht klar," jammerte er. „Diese B.-Laden, diese Kriegsschiffe! Gewinne über Gewinne! Woher kommen sie wirklich? Solche riesigen Geschafte, solche Kriege, solche Ungleichheit! Wie machen sie das?" Aber da sah er Beery stehen und da Bel ihm etwas ein. Er wandte sich an seinen Schreiber, der einmal sein Brotgeber gewesen war. „Smithy," fragte er ihn, „wenn Du mich damals hattest behalten dürfen, warest Du da auf einen grünen Zwelg gekommen?" „Warum nicht?" antwortete Smithy. „Aber dann ist es ja ganz klar," sagte der Richter und seine Stimme zitterte vor Erregung, „dann ist es ja erwiesen, was Euer Pfund ist! Steh auf, Mary, tritt vor, Kind, steil Dich zu ihnen, Smithy!" Und er wandte sich triumphierend an die Verwandten des Angeklagten: „Das ist Euer Pfund! Wir sind es! Der Mensch des Menschen Pfund! Wer keinen hat, ihn auszubeuten, beutet sich selbst aus! Es ist heraus! Ihr habt es verheimlicht! Da ist die Hauserwand — wo ist der Maurer? Ist er etwa ausgezahlt? Und dieses Papier! Das hat doch einer machen müssen! Hat er etwa genug dafür bekommen? Und der Tisch hier! Der das Holz dazu hobelte, ist man ihm wirklich nichts mehr schuldig? Die Wasche am Strick! Der Strick! Und sogar der Baum, der sich nicht selber hier gepflanzt hat! Das Messer hier! Ist alles bezahlt? Voll? Natttrlich nicht! Man mufi ein Zirkular schicken: es werden ersucht sich zu melden, die nicht voll ausbezahlt wurden! Die Geschichtsbücher und Biographien genügen nicht! Wo sind die Lohnlisten?" Und in dem er sich dem Angeklagten zuwandte, mit lautester Stimme: „Du bist überführt! Alles falsch beschrieben! Die Unwahrheit verbreitet! Da verurteile ich Dich! Wegen Beihilfe! Weil Du Deinen Leuten dieses Gleichnis in die Hand gegeben hast, das auch ein Pfund ist! Mit dem gewuchert wird! Und alle, die es weitergeben, die es wagen, so etwas zu erzahlen, die verurteile ich! Zum Tode! Und dann gehe ich weiter: wer es sich erzahlen lafit und es wagt, nicht dagegen sofort elnzuschreiten, den verurteile ich ebenfails! Und da auch ich diesem Gleichnis zugehört und geschwiegen habe, da verurteile ich auch mich zum Tode!" • Und er setzte sich nieder, schweiBbedeckt. Wenige Tage darauf wurde der Soldat Fewkoombey verhaf te t. Es wurde ihm der ProzeB gemacht, zu seinem Erstaunen wegen Ermordung der Mary Swayer. Er wurde zum Tode verurteilt und aufgehangt, in Anwesenheit und unter dem Beifall einer groBen Menge von Kleingewerbetreibenden, Nahmadchen, invaliden Soldaten und Bettlern. INH ALTS VER ZEICHNIS. DIE BLEIBE 5 ERSTES BUCH: LIEBE UND HEIRAT DER POLLY PEACHUM. I. Bettlers Freund 21 Pfirsichblüte 24 n. Ein Wunsch der Regierung Ihrer Majestat . . 36 Sorgen von denen sich der AUtagsmensch nichts traumen laBt 43 Alles für das Kind 49 III. Die B.-Laden 56 Die Bombe 65 IV. Ernste Besprechungen 74 15 Pfund 79 V. Ein kleines aber gut fundiertes Unternehmen. 101 VI. Schwitzbader 127 ZWEITES BUCH: DIE ERMORDUNG DER KLEINGEWERBETREIBENDEN MARY SWAYER VII. Herr Macheath 153 VIII. Napoleonische Plane 185 IX. Kampfe ringsum 204 Ausverkauf 217 Eine historische Sitzung 229 Liebesgaben 234 Herr X 238 X. Noch einmal der 20. September 244 Herr Peachum sieht einen Ausweg 257 Herr Macheath wttnscht London nicht zu verlassen .. . . . 259 XI. Die Blatter werden geib 283 Der Gedanke ist frei 287 Chrestons Werbewoche . . 306 XII. Hat Herr Macheath Mary Swayer auf dem Gewissen 312 DRITTES BUCH: NUR WER IM WOHLSTAND LEBT, LEBT ANGENEHM! XIII. Schwerwiegende Entscheidungen 340 Der kranke Mann stirbt .- 373 XIV. Der starke Mann richt 383 Die Schlacht bei den Westlndiadocks .... 395 Eine nationale Katastrophe 405 Sauberungsaktion 411 Unruhige Tage 418 XV. Das Alibi 435 Ein Sieg der Vernunft 446 Nebel „ 449 DAS PFUND DER ARMEN. Traum des Soldaten Fewkoombey . .. . ... . 476 Bitte beachlen Sie umliegende Seite. SOEBEN ERSCHIEN ALFBED NEUMANN NEUER CAESAR Historischer Roman 7.—12. Tausend. Kart. holl.Gld. 4.1S Leinen holLGld. 4.90 Magisch pacht den Later die ErregtheivJerlebc ich die geschichtliche Sturzflut, die mitreifit, voerde ich wie in einem Wachtraum durch langst Geschehenes geführt, das so und nicht anders sich vollziehen mufite, oder bannt mich eine Dichtung mit übentiqgiger und doch zwingend logischer Phantasie? Beide Spannkrafte wirken im Gleichmafi zusammen, und ihr bleibender Erfolg, der dem Buch seinen Geistes und Kulturwert verleiht, besteht in der dichterischen Echtheil, die in vertieftem Sinne geschichtliche Wahrheit bekennt und kiindet. (Bemer Bund). BERTOLT BRECHT DREIGROSCHENROMAN 1934 VERLAG ALLERT DE LANGE AMSTERDAM Das Bild auf dem Schutzumschlag stellt Garola Neher als Polly Peachum dar. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten. Copyright 1933 by Verlag Allert de Lange, Amsterdam, gedruckt bel L. E. Bosch & Zn. Utrecht (Holland) Printed in Holland Dem Roman liegt das Theaterstück „Die Drelgroschenoper" and John Gays „Beggars Opera" zu grande. DIE BLEIBE Und er nahm, was sle gaben, denn hart ist die Not Doch er sprach (denn er war kein Tor): „Warum gebtlhr mir Obdach? Warum gebtIhr mir Brot? Weh! Was habt Ihr mit mir vor?!" (Aus „Herrn Aigihns Untergang" Alte irische Ballade) Ein Soldat namens George Fewkoombey wurde im Burenkrieg ins Beln geschossen, sodafi ihm in einem Hospltal In Kaptown der Unterschenkel amputiert werden muQte. Er kehrte nach London zurück und bekam 75 Pfund ausbezahlt, dafür unterzeichnete er ein Papier, worauf stand, daB er keinerlei Ansprüche mehr an den Staat habe. Die 75 Pfund steckte er in eine kleine Kneipe in Newgate, die in letzter Zeit, wie er sich aus den Büchern, kleinen, mit Bleistlft geführten, blerfleckigen Kladden, überzeugen konnte, ihre reichlich 40 Schilling abwarf. Als er In das winzige Hinterzimmer eingezogen war und den Schankbetrieb zusammen mit einem alten Weib ein paar Wochen geführt natte, wufite er, dafi sein Bein sich nicht besonders rentiert harte: die Einnahmen blleben erhebllch unter 40 Schillingen, obgleich es der Soldat an Höfllchkeit seinen Gasten gegenüber nicht fehlen liefi. Er erfuhr, daB die letzte Zeit durch lm Viertel gebaut worden war, sodafi die Maurer für Betrleb in der Kneipe gesorgt harten. Der Bau war aber jetzt fertig und damlt war es mit der vielen Kundschaft aus. Der neue Kaufer harte das, wie man ihm sagte, aus den Büchern leicht erkennen können, da die Einnahmen an den Wochentagen entgegen allen Erfahrungen des Gastwirtsgewerbes höher gewesen waren als an den Feiertagen; jedoch war der Mann bisher nur Gast solcher Lokale gewesen und nicht Wirt. Er konnte das Lokal knapp vier Monate halten, umsomehr, als er zuviel Zeit damlt verschwendete, den Wohnort des früheren Besitzers ausfindig zu machen, und lag dann mittellos auf der Strafie. Eine zeitlang fand er Unterkunft bei einer jungen Kriegerfrau, deren Kindern er, wahrend sie Ihren kleinen Laden versorgte, vom Kriege erzahlte. Dann schrleb Ihr Mann, er komme auf Urlaub, und sie wollte den Soldaten, mit dem sie inzwischen, wie das in engen Wohnungen eben geht, geschlafen hatte, möglichst rasch aus der Wohnung haben. Er vertrödelte noch ein paar Tage, muBte dennoch heraus, besuchte sie noch einige Male, als der Mann schon zurück war, bekam auch etwas zu essen vorgesetzt, kam aber doch immer mehr herunter und versank in dem endlosen Zug der Elenden, die der Hunger Tag und Nacht durch die StraBe der Hauptstadt der Welt spttlt. Eines Morgens stand er auf einer der Themsebrücken. Er hatte seit zwei Tagen nichts Richtiges gegessen, denn die Leute, an die er sich in seiner alten Soldatenmontur in dén Kneipen herangemacht hatte, bezahlten ihm wohl einige Getranke, aber kein Essen. Ohne die Montur harten sie ihm auch keine Getranke bëzahlt, er hatte sie deshalb eigens angezogen gehabt. Jetzt ging er wieder in seinen Zivilkleldern, die er als Wirt getragen hatte. Denn er hatte vor zu betteln und schamte sich. Er schamte sich nicht, daB er eine Kugel ins Bein be- kommen und eine unrentable Wirtschaft gekauft hatte, sondern daB er darauf angewiesen war, wildfremden Leuten Geld abzuverlangen. Seiner Meinung nach schuldete Kelner Keinem etwas. Das Betteln wurde ihm schwer. Das war der Beruf fttr diejenigen, die nichts gelernt natten; nur wollte auch dieser Beruf anscheinend gelernt sein. Er sprach mehrere Leute hintereinander an, aber mit einem hochmütigen Gesichtsausdruck und besorgt, sich den Angesprochenen nicht in den Weg zu stellen, damlt sie sich nicht belastigt fühlen sollten. Auch wahlte er verhaltnismaBig lange Satze, die erst zu Ende kamen, wenn die Angeredeten schon vorttber waren; auch hielt er die Hand nicht hin. So hatte, als er sich schon an die fiinf Mal gedemütigt hatte, wohl kaum einer gemerkt, daB er angebettelt worden war. Wohl aber hatte es jemand anderes gemerkt; denn plötzlich hörte er von hinten eine helsere Stimme sagen: „Wirst Du Dich wohl hier wegschwingen, Du Hund!" SchuldbewuBt wie er war.sah er sich gar nicht urn. Er ging einfach weiter, die Schultern eingezogen. Erst nach einigen Hundert Schriften wagte er sich umzubllcken und sah zwel zerlumpte StraBenbettler niederster Sorte beieinander stehen und ihm nachschauen. Sie folgten ihm auch, als er forthinkte. Erst einige StraBen weiter sah er sie nicht mehr hinter sich. Am nachsten Tage, als er in der Gegend der Docks herumlungerte, immer noch ab und zu Personen der nlederen Klasse durch seine Versuche, sie anzusprechen, in Erstaunen versetzend, wurde er plötzlich in den Rücken geschlagen. Gleichzeitig steckte ihm der Schlager etwas in die Tasche. Er sah niemand mehr, als er sich umblickte, aber aus der Tasche zog er eine steife Karte, vielfach eingebogen und unsaglich verdreckt, auf der eine Firma gedruckt stand: J. J. Peachum, Old OakstraBe 7, und darunter, mit Bleistlft geschmlert: „Wen dir deine Gnochen was Wehrt sinn, dann adresse wie obig!" Es war zweimal unterstrichen. Langsam ging es Fewkoombey auf, daB die Überfalle mit seiner Bettelei zusammenhangen mttfiten. Er verspürte jedoch keine besondere Lust, in die Old OakstraBe zu genen. Nachmittags, vor einer Stehbierhalle, wurde er von einem Bettler angesprocben, den er als einen der zwei vom vorigen Tage erkannte. Er schien heute vertraglicher. Er war noch ein junger Mann und sah nicht eigentlich schlimm aus. Er f afite Fewkoombey am Rockarmel und zog ihn mit sich. „Du verdammter Dreckhund," begann er mit freundllcher Stimme und ganz ruhig, „zeig Deine Nummer I" „Was fttr eine Nummer?" fragte der Soldat. Neben ihm herschlendernd, weiter freundlich, aber ihn keinen Augenblick loslassend, erklarte ihm der junge Mann In der Sprache dieser Schichten, daB sein neues Gewerbe ebenso geordnet sei wie jedes andere, vieUeicht noch besser; daB er sich namlich in kelner wilden, von zivilisierten Menschen verlassenen Gegend befinde, sondern in einer groBen und geordneten Stadt, der Hauptstadt der Welt. Fttr die Ausübung seines neuen Handwerks brauche er also eine Nummer, eine Art Erlaubnlsmarke, die er da und da bekommen könne — nicht umsonst, es gab da eine Gesellschaft mit dem Sitz in der Old OakstraBe, der er rechtmaBig angehören müsse. Fewkoombey hörte, ohne eine einzige Frage zu stellen, zu. Dann erwiderte er, ebenso freundlich — sie gingen durch eine menschenreiche StraBe — er freue sich, daB es eine solche Gesellschaft gebe, genau wie bei den Maurern und den Friseuren, er zöge aber fttr seinen Teil vor, zu (run was ihm beliebe, da ihm in seinem Leben schon eher zuviel Vor- schriften gemacht worden seien als zu wenige, was sein Holzbein beweise. Damlt relchte er seinem Begleiter, der ihm mit einer Miene zugehört hatte, als höre er eine ihn auBerordentlich Interessierende Ausführung elnes erfahrenen Mannes, der er nur nicht ganz beistimmen könne, die Hand zum Abschied, und der schlug ihm lachend wie einem alten Bekannten auf die Schutter und ging über die StraBe. Fewkoombey gefiel sein Lachen nicht. In den nachsten Tagen ging es ihm Immer schlechter. Es steilte sich heraus, daB man, um einigermaBen regelmSBig Almosen zu bekommen, an einer bestimmten Stelle sitzen muBte (und da gab es dann noch gute und schlechte), und das konnte er nicht. Er wurde immer vertrieben. Er wuBte nicht, wie es die Andern machten. Irgendwie sahen sie alle elender aus als er. Ihre Kleider waren richtige Lumpen, durch die man die Knochen sehen konnte (spater erfuhr er, daB in gewissen Kreisen ein Anzug ohne solche Einblicke auf Fleischpartien als ein Auslagefenster galt, das mit Papier verklebt ist). Auch ihr körperliches Aussehen war schlimmer; sie harten mehr und argere Gebrechen. Viele saBen ohne Unterlagen auf dem katten Boden, sodaB der Passant wirkllch die Sicherheit hatte, daB sich der Mensch eine Krankheit holen muBte. Fewkoombey hatte sich gern auf den kalten Boden gesetzt, wenn es Ihm nur erlaubt worden ware. Der entsetzllche und erbarmungswürdige Sitz war aber anscheinend nicht Allgemeingut. Pollzisten und Bettler storten ihn Immerfort auf. Durch das, was er durchmachte, hotte er sich eine Erkaltung, die sich auf die Brust schlug, sodaB er mit Stichen in der Brust in hohem Fieber herumlief. Eines Abends begegnete er wieder dem jungen Bettler, der ihm sogleich folgte. Zwei Strafien weiter hatte sich diesem noch ein anderer Bettler zugesellt. Er fing an zu laufen, sie liefen auch. Er bog in einige kleinere Gassen ein, um sie los zu werden. Er meinte schon, dies sei ihm gelungen, da standen sie bei einer StraBenecke plötzlich vor ihm, und bevor er sie noch genauer sah, schlugen sie mit Stöcken nach ihm. Einer warf sich sogar auf das Pflaster und zog ihn an seinem Holzbein, sodaB er hinterrücks auf den Hinterkopf fiel. In diesem Augenblick lieBen sie aber von Ihm ab und liefen weg; um die Ecke war ein Schutzmann gekommen. Fewkoombey glaubte schon, der Schutzmann könnte ihn hochnehmen, da rollte aus einer Hausernische unmittelbar neben ihm auf einem kleinen Karren ein dritter Bettler hervor und deutete aufgeregt auf die Entlaufenden, wobei er mit gurgelnder Stimme etwas dem Schutzmann zu erklaren suchte. Als Fewkoombey, von dem Schutzmann hochgerissen und mit einem Tritt vorwartsgestoBen, weitertrabte, blieb der Bettler dicht hinter ihm, mit beiden Armen seinen eisernen Karren rudernd. Ihm schlenen die Beine zu fehlen. An einer weiteren StraBenecke grif f der Beinlose Fewkoomby an die Hose. Sie befanden sich lm schmutzigsten Viertel, die Gassen waren nicht breiter als eine Mannslange, neben ihnen gahnte ein niedriger Durchgang in einen dunklen Hof. „Hier herein!" befahl der Krüppel gurgelnd. Da er zugleich mit seinem Gefahrt, das einen stahlernen Hebei an der Seite hatte, an Fewkoombeys Schienbein fuhr und dieser vom Hungern geschwacht war, brachte er ihn wirklich In den kaum drel Meter im Geviert messenden Hof. Und bevor der Überraschte um sich blieken konnte, kletterte der Krüppel, ein alterer Mensen mit riesiger Kinnlade, affenartig aus seinem Karren, besaB plötzlich wieder seine beiden gesunden Beine und stürzte sich auf ihn. Er ttberragte Fewkoombey um gut eine Hauptes lange und seine Arme waren wie die eines Orang Utans. „Jacke aus!" rief er. „Zeige in offenem, ehrUchem Kampf, ob Du fahiger bist ais tch, eine'sich gut rentierende Stellung zu besitzen, die wir beide erstreben. ,Freie Bahn dem Tüchtigen!' und ,Wehe dem Besiegten!' ist mem Wahlspruch. Auf diese Art ist der ganzen Menschheit gedient, denn nur die Tüchtigen kommen so in die Höhe und in den Besitz des Schonen auf Erden. Wende aber ketne unfatren Mittel an, schlage nicht unter den Gürtel und ins Genick und lafl die Knie aus dem Spiell Der Kampf mufl, soU er Geltung haben, nach den Regeln des Brltischen Faustkampferverbandes ausgefochten werden!" Der Kampf war kurz. Seelisch und körperlich zerbrochen schlich Fewkoombey hinter dem Alten her. Von der Old OakstraBe war nicht mehr die Rede. Eine Woche lang blieb er unter der Fuchtel des Alten, der ihn an einer bestimmten Ecke aufstellte, übrigens wieder in Soldatenuniform, und der ihn auch, wenn abends abgerechnet worden war, abftttterte. Seine Einnahmen blieben immer unter einer sehr niederen Grenze. Er mufite sie an den Alten abliefern, wuBte also oft nicht einmal, ob die paar Groschen die Bratheringe und die Tasse Schnaps niederster Sorte deckten, die seine Hauptmahlzeit bildeten. Der Alte, dessen Gebrechen schlimmer schien und in Wlrklichkeit überhaupt nicht vorhanden war, hatte einen ganz anderen Zulauf als er. Mit der Zeit kam der Soldat zu der Überzeugung, daB sein Chef nur den Platz auf der Brücke, sich selber gegenüber, besetzt haben wollte. Die Haupteinnahmequelle waren die Leute, die regelmaBig an der Stelle vorbeikamen, jeden Vormlttag oder, wenn sie ins Geschaft gingen am Morgen und abends, wenn sie heimgingen. Sie gaben nur einmal und sie benutzten zwar im allgemeinen immer dieselbe StraBenseite, aber manchmal nach langeren Zeitlaufen wechselten sie doch. Vollstandig konnte man sich auf sie keinesfalls verlassen. Fewkoombey fühlte, dlese Stellung war ein Fortschritt, aber sie war noch nicht das Richtige. Nach Ablauf der Woche bekam der Alte anschelnend seinetwegen Anstande bei der geheimnisvollen Gesellschaft In der Old OakstraBe. Drei, vier Bettler überfielen die Beiden, als sie frtthmorgens eben ihren Unterschlupf in einem Schif fsschuppen verlassen wollten und schleppten sie mehrere StraBen lang in ein Haus mit einem kleinen, unsaglich verdreckten Laden, auf dessen Schild „Instrumente" stand. Hinter einem wurmstichigen Ladentisch standen zwei Manner. Der eine, klein und dttrr, von gemeinem Gesichtsausdruck, mit einer ehemals schwarzen Hose und einer ebensolchen Weste bekleidet, stand in Hemdsarmeln und einen zerbeulten steifen Hut auf dem Hinterkopf, die Hande in den Hosentaschen, am Schaufenster und blickte in den trüben Morgen hlnaus. Er wandte sich nicht um und gab kein Zeichen von Interesse von sich. Der andere war dlck und krebsrot im Gesicht und sah womöglich noch gemeiner aus. „Guten Morgen, Herr Smithy," begrüBte er den Alten, höhnisch, wie es schien und ging ihm voraus durch eine blechbeschlagene Tür Ins Nebenzimmer. Der Alte blickte unsicher um sich, bevor er ihm zusammen mit den Mannern, die ihn geholt natten, folgte. Sein Gesicht war grau geworden. Fewkoombey blieb, wie übersehen, in dem kleinen Laden- ■ raum stenen. An der Wand hingen ein paar Musikiristrumente, alte, zerbeulte Trompeten, Geigen ohne Saiten, einige zerschrammte Drehorgelkasten. Das Geschaft schien nicht sehr gut zu gehen, die Instrumente waren von dickem Staub bedeckt. Fewkoombey sollte noch erfahren, daB die sieben oder acht Musikklamotten kelne besondere Rolle in dem Geschaft spielten, in das er getreten war. Auch die schmale, nur zweifenstrige Front des Hauses deutete höchst unvollkommen den Umfang der von ihr vertretenen Baulichkeiten an. Auch der Ladentisch mit der wackligen Kassenschublade bekannte nicht Farbe. In dem alten Fachbau, der drei ganz geraumige Hauser mit zwei Höfen umfaBte, waren eine Schnelderei mit einem halben Dutzend Madchen und eine Schuhmacherwerkstatt mit nicht weniger Fachleuten erster Ordnung etabllert. Und vor allem gab es irgendwo hier eine Kartothek, ln der gut 6000 Namen geführt wurden, die Mannern und Frauen gehörten, die alle die Ehre natten, fttr dieses Haus zu arbeiten. Der Soldat begriff noch keineswegs, wie dieser eigentümliche und anrttchige Betrieb funktionieren mochte; dazu brauchte er noch wochenlang. Aber er war zu zermürbt, um nicht einzusehen, daB es ein Glttck fttr ihn ware, hier einzutreten, ln eine groBe, geheimnisvolle und machtige Organisation. Herr Smithy, Fewkoombeys erster Brotgeber, kam an diesem Vormittag nicht mehr zum Vorschein und Fewkoombey sah ihn spater höchstens zwei oder drei Mal wieder und nur von fern. Der Dicke rief nach einiger Zeit, die Blechtür einen Spalt weit öffnend, in den Laden hereln: „Hat echtes Holzbein." 13 Der Kleine, der aber der Herr zu sein schien, ging auf Fewkoombey zu und hob ihm mit einem schneüen Griff die Hose hoch, um das Holzbein zu sehen. Dann ging er, die Hande wieder in den Hosentaschen, zu dem blinden Fenster zurück, sah hinaus und sagte leise: „Was können Sie?" „Nichts." sagte der Soldat ebenso leise. „Ich bettle." „Das móchtejeder," sagte der kleine Mann höhnisch und nicht einmal hersehend. „Sie haben ein Holzbein. Und weil Sie ein Holzbein haben, wollen Sie betteln f Ach! Aber Sie haben dieset Ihr Bein im Dienst des Vaterlandes verloren T Umso schlimmer! Das kann Jedem passieren T Sicherlich! (Aufier er ist Kriegsminister.) Da ist Je der auf den Andern angewiesen, wenn das Bein weg ist? Unbestrettbar! Aber ebenso unbestreitbar, dafi keiner gern etwas hergibt! Kriege, das sind Ausnahmefalle. Wenn ein Erdbeben stattfindet, dafür kann kelner was. Als ob man nicht das Schindluder kennte, das mit dem Patriottsmus der Patrioten getrieben wird! Zuerst melden sie sich alle freiwillig und dann, wenn das Bein weg ist, will es keiner gewesen sein! Gans abgesehen von den unzahllgen Tallen, wo ein Bierkutscher, dem beim gewöhnlichen Gelderwerb, eben dem Bierfahren, das Bein abhanden kam, von der Schlacht bei Dingsda daherfaselt! Und noch etwas, die Hauptsache: darum gut es doch als so verdienstvoll, für das Vaterland ln den Krieg zu ziehen, darum überhauft man doch eben diese Braven so mit Ehren und Beifall, weil dann das Bein weg Ist! Wenn nicht dieses kleine Risiko dabei ware, also gut, dieses grofle Risiko, wozu dann die tiefe Dankbarkeit der ganzen Nation t lm Grunde sind Sie ein Antlkriegsdemonstrant, leugnen Sie schon erst gar nicht! Sie wollen, indem Sie so herumstehen und sich gar keine Mühe geben, Ihren Stumpf zu verbergen, zum Ausdruck bringen: ach, was sind Kriege für furchtbare Dinge, man verliert sein Bein da- bei! Schamen Sie sich, Hert! Kriege sind so notwendig, wie sie furchtbar sind. Solt uns alles weggenommen werden t Sollen auf dieser britischen Inseli'remde Leute herumwirtschqften, Feinde ? Wünschen Sie etwa, inmitten von Feinden zu leben ? Sehen Sie', Sie wünschen es nicht! Kurx Sie sollen nicht mit Ihrem Elend hausieren gehen, Mann. Sie haben das Zeug nicht dazu . . ." Als er ausgesprochen hatte, ging er, ohne den Soldaten anzusehen, an ihm vorbei in das Kontor hinter der Blechtür. Aber der Dicke kam heraus und führte ihn, des Beines wegen, wie er sagte, durch einen Hof in einen zweiten Hof, wo er ihm einen Hundezwinger übergab. In der Folge trieb sich der Soldat zu jeder Tages- und Nachtzeit auf dem einen Hofe herum und kontrollierte die Blindenhunde. Davon gab es eine ganze Anzahl; sie waren nicht nach der Eignung, blinde Leute zu ftthren, ausgesucht (es gab hier keine fünf solcher Bedauernswerten), sondern nach anderen Gesichtspunkten, namlich danach, ob sie genug Mitleid hervorriefen, d.h. billig genug aussahen, was zum Teil allerdings auch von der Ftttterung abhangt. Sie sahen sehr billig aus. Ware Fewkoombey von einem Volkszahlungsbeamten gefragt worden, was fttr einen Beruf er ausübe, ware er in Verlegenheit gewesen, ganz abgesehen von allen Bedenken, vielleicht der Polizei aufzufallen. Kaum hatte er sich einen Bettler genannt. Er war Angestellter in einem Unternehmen, das Utensillen fttr StraBenbettel verkaufte. Es wurden keinerlei Versuche mehr angestellt, aus ihm einen einigermaBen leistungsfahigen Bettler zu machen. Die Fachleute hier natten auf den ersten Bliek erkannt, daB er es so weit niemals bringen wurde. Er hatte Glttck gehabt. Er besaB keine von den Eigenschaften, die einen Bettler ausmachen, aber er besaB, was nicht Jeder hier von sich sagen konnte, ein echtes Holzbein und das genügte, ihm ein Engagement zu verschaffen. Ab und zu wurde er in den Laden gerufen und mufite einem Beamten der nachsten Polizeistation sein Holzbein vorzeigen. Zu diesem Zweck hatte es gar nicht so echt zu sein brauchen, wie es leider war. Der Mann sah kaum hin. Es war da fast immer zufallig Fraulein Polly Peachum, die Tochter des Chefs, im Laden, die mit Beamten umzugehen wufite. Im groBen und ganzen aber lebte der frühere Soldat das halbe Jahr, das ihm noch vergönnt war, unter den Hunden. Dann sollte er auf eine eigentümliche Art dieses sparlich gewordene Leben verlieren, einen Strick um den Hals, unter dem Beifall einer groBen Volksmenge. Der kleine Mann, den er am ersten Morgen seiner Anwesenheit in diesem interessanten Hause am Schaufenster hatte stehen sehen, war Herr Jonathan Jeremlah Peachum gewesen. ERSTES BUCH LIEBE UND HEIRAT DER POLLY PEACHUM Dreigroschen roman 2 Elnst glaubte ich, als Ich noch unschuldlg war — und das war Ich elnst grad so wie du — Vlellelcht kommt auch zu mir elnmal einer Und dann muB ich wissen, was ich tu. Und wenn er Geld hat Und wenn er nett ist Und sein Kragen Ist auch werktags rein Und wenn er weiB, was sich bei einer Dame schickt Dann sage ich ihm „Neln". Da behalt man seinen Kopf oben Und man bleibt ganz allgemein. Slcher scheint der Mond die ganze Nacht Sicher wlrd das Boot am Ufer festgemacht Aber weiter kann nichts sein. Ja, da kann man sich doch nicht nur hinlegen! Ja, da muB man kalt und herzlos sein. Ja, da könnte so viel geschehen! Ach, da gibts überhaupt nur: Neln. Der Erste, der kam, war ein Mann aus Kent Der war, wie ein Mann sein soll. Der Zweite hatte drei Schlffe im Hafen Und der Dritte war nach mir toll. Und als sie Geld natten Und als sie nett waren Und Ihr Kragen war auch werktags rein Und als sie wuBten, was sich bei einer Dame schickt Da sagte Ich innen: „Neln". Da behielt Ich meinen Kopf oben Und Ich blieb ganz allgemein. Sicher schien der Mond die ganze Nacht Sicher war das Boot am Ufer festgemacht Aber weiter konnte nichts sein. . Ja, da kann man sich doch nicht nur hinlegen! Ja, da muBt' ich kalt und herzlos sein. Ja, da könnte doch viel geschehen t Aber da gibts überhaupt nur: Neln. Jedoch eines Tages, und der Tag war blau Kam einer, der mlch nicht bat Und?eh^RetSei"e^HUtSïlden Na*el to memer Kammer Und ich wufite nicht mehr, was ich tat. Und als er kein Geld hatte Und als er nicht nett war Und sein Kragen war auch am Sonntag nicht rein Und als er nicht wuBte, was sich bei einer Dame schickt Zu ihm sagte ich nicht neln. Da behielt ich meinen Kopf nicht oben Und Ich blieb nicht allgemein. Ach, es schlen der Mond die ganze Nacht Und es ward das Boot am Ufer losgemacht Und es konnte gar nicht anders sein! Ja, da muS man sich doch einfach hinlegen! Ja, da kann man doch nicht kalt und herzlos sein. Ach, da muute so viel geschehen! Ja, da gabs Überhaupt keln Neln. (Lied der Polly Peachum). I Bettlers Freund Um der zunehmenden Verhartung der Menschen zu begegnen, hatte der Geschaftsmann J. J. Peachum einen Laden eröffnet, in dem die Elendsten der Elenden sich jenes Aussehen erwerben konnten, das zu den immer verstockteren Herzen sprach. Zuerst nur mit dem Verkauf gebrauchter Musikinstrumente beschaftigt, die von Bettlern und Hofsangern gekauft oder entliehen wurden, dann sich auch als Armenpfleger des Sprengels betatigend, da die Einnahmen nicht ausreichten, hatte er Gelegenheit gehabt, die Lage der Armsten zu studieren. Die Verwendung seiner Instrumente durch die Bettler war das Erste, was ihm zu denken gegeben hatte. Man weifi, daB die Menschen diese Instrumente benutzen, um die Herzen zu rühren, was ja nicht ganz leicht ist. Je besser situiert jemand ist, desto schwerer wird es ihm für gewöhnlich, Rührung zu empfinden. Er ist bereit, die höchsten Preise für Konzerte zu bezahlen, von denen er sich die so ersehnte seellsche Bewegung verspricht. Aber auch der weniger gut Gestellte hat immer einen Groschen übrig, um sein von den Existenzkampfen verhartetes Herz durch die eine oder andere kleine Melodie erschüttern zu lassen. Immer wieder erlebte Jonathan Jeremiah Peachum jedoch, wie seine Kunden bei ihm mit der Miete für die alten Orgehi In Rückstand gerieten. Es gibt, wie gesagt, einige wenige Dinge, die den Menschen unserer Zeit erschüttern, einige wenige, aber das Schlimme ist, daB sie, mehrmals angewendet, schon nicht mehr wirken, denn der Mensch hat die furchtbare Fahigkeit, sich gleichsam nach eigenem Belieben gefühllos zu machen, wenn er die für ihn schadlichen Folgen seiner Gefühlsseligkeit entdeckt. So kam es zum Beispiel, daB ein Mann, der einen andern Mann mit einem Armstumpf an der StraBenecke stehen sah, ihm wohl in seinem ersten Schrecken das erste Mal ein Zweipencestück zu geben bereit war, aber das zweite Mal nur mehr einen halben Penny und sah er ihn das dritte Mal, übergab er ihn womöglich kaltblütig der Polizei. Peachum hatte ganz klein angefangen. Er unterstützte eine zeitlang einige wenige Bettler mit seinem Rat, Einarmige, Blinde, sehr alt Aussehende. Er suchte innen Arbeitsplatze aus, Orte, wo gegeben wurde; denn es wurde nicht überall gegeben und nicht zu jeder Zeit. Besser als Musik zu machen war es zum Beispiel im Juni, in Anlagen nachts Paare auf Banken aufzustöbern, sie zahlten bereitwilliger. Den Bettlern, die sich Peachum anvertrauten, gelang es bald besser, Einnahmen zu erzielen. Sie willigten ein, ihm für seine Mühe etwas von ihrem Verdienst abzulassen. Er setzte seine Studiën, sicherer gemacht, fort. VerhaltnismaBig bald erkannte er, daB das elende Aussehen, welches von der Natur hervorgebracht wurde, weit weniger wirkte, als ein durch einige Kunstgriffe berichtigtes Aussehen. Jene Leute, die nur einen Arm haften, besafien nicht immer auch die Gabe, unglücklich zu wirken. Andererseits fehlte den Begabteren oft der Stumpf. Hier mufite man eingreifen. Peachum steilte einige künstliche Miflbildungen her, offenkundig zerquetschte GliedmaBen zum Beispiel, das heiBt Arme und Beine, denen man die Anwendung von Gewalt deutlich ansah. Dies hatte verblüffenden Erfolg. Nach kurzer Zeit konnte er ein kleines Atelier fttr die Fabrikation solcher GliedmaBen einrichten. Bestimmte Ladeninhaber, vor allem Delikatessenhandler und Inhaber von Putzsalons, aber auch gewöhnliche Fleischer zahlten gern dem Bettler, der mit so ekelerregenden Gliedern vor dem Geschaft saB, einen kleinen Zoll, daB er weitergehe. Von hier war es nur ein kleiner Schritt bis zu schon höheren Abgaben, welche dafttr bezahlt wurden, daB sich die Bettler zu Konkurrenten schicken lleBen. Der Kleinhandel kampfte schwer um seine Existenz. Als die Kartothek Peachums, des „Bettlerfreundes", wie er sich nannte, anwuchs, war es möglich, gewisse Dlstrikte fttr bestimmte Bettler zu monopolisieren. Eindringlinge wurden, unter Umstanden mit Gewalt, ferngehalten. Dies verschaftte Peachums Unternehmen erst den eigentllchen Aufschwung. Trotzdem ruhte er nicht auf diesen Lorbeeren aus. Unermüdlich war er bestrebt, seine Leute zu qualifizieren. In einigen Raumen seines nun schon bedeutend vergröBerten Geschaftshauses wurden die Bettler, die sich immer mehr in Angestellte verwandelten, nach strenger Eignungsprttfung in fachgemaBem Zittern, Blindgehen usw. unterrichtet. Peachum duldete keinen Stillstand. Es wurden Grundtypen des menschlichen Elends ausgebildet: Opfer des Fortschritts, Opfer der Kriegskunst, Opfer des industriellen Aufschwungs. Sie lernten die Herzen zu rtthren, zur Nachdenklichkeit anzuregen, lastig zu fallen. Die Menschen sind selbstverstandlich nicht dazu zu bringen, elntragliche Unternehmungen aufzugeben, aber haufig schwach genug, die Folgen vertuschen zu wollen. Nach etwa 25 Jahren aufreibender Tatigkeit besaB Peachum drei Hauser und ein blühendes Geschaft. Pf irslchblüte Die Hauser, ln denen Herr Jonathan Jeremlah Peachum seine eigenartige Fabrik unterhielt, hatten viele Raume. Darunter war auch ein kleines, rosa getünchtes Zimmer fttr Fraulein Polly Peachum. Zwei von den vier winzigen Zlmmern gingen nach vorn auf die StraBe, die andern beiden auf einen der Höfe hinaus, aber vor diesen lief, an der Aufienwand des Hauses, ein Gang aus Holzfachwerk, sodafi diese Fenster Leinenvorhange haben mufiten, sonst hatte man hineingesehen. Sie waren nur in den helfiesten Nachten, der Saison, geöffnet, damlt der Luftzug durchziehen konnte, denn das Zimmer war dann schwül. Es lag lm zweiten Stockwerk, dicht unter dem Dach. Fraulein Peachum hlefi in dem ganzen Viertel allgemein der „Pfirsich". Sie hatte eine sehr httbsche Haut. Als sie vierzehn Jahre alt war, richtete man ihr das Zimmer oben im zweiten Stockwerk ein; wie die Leute sagten, damlt sie ihre Mutter nicht soviel zu Gesicht bekame, die eine Vorliebe fttr Spirituosen nicht bezwingen konnte. Von diesem Alter an wurde sie auch Fraulein genannt und erschien zu bestimmten Zeiten im vorderen Laden, besonders wenn Mitchgins vom Polizeirevier da war. Sie war anfangs vielleicht etwas zu jung fttr diese Verwendung, aber wie gesagt sehr hübsch. In die anderen Raume, die Schneiderei und die Sattlerei, kam sie sehr selten. Ihr Vater hielt sie eher zum Besuch der Kirche an, als zu dem seiner Werkstatten. Immerhin kannte sie diese und fand nichts dabei. Der Instrumentenladen blühte damals gerade machtig auf und allgemein sagte man, daB der dicke Mltchgins ohne Polly viel mehr Interesse fttr dieses Geschaft gezeigt hatte. Es gingen kolossal viele Menschen aus und ein, der paar Instrumente wegen. Jonathan Jeremiah Peachum war allerdings auch ehrenamtlicher Armenpfleger von insgesamt drei Sprengeln, aber die Armen gingen nicht gern zu ihm, sie waren wirklich zu arm dazu. Peachum hielt nichts von Betteln, auBer wenn es unter seiner Leitung und f achgemaB betrieben wurde. Es war ttbrigens nur selbstverstandlich, daB der Pfirsich sich einige Mtthe gab, gegen den dicken Mltchgins nett zu sein, denn alles geschah schlieBlich nur ihretwegen. Sie hörte ihren Vater oft genug sagen: „Wenn ich das Kind nicht hfttte, wurde ich keine Minute langer dieses Hundeleben ftthren, fttr Dich jedenfalls nicht, Emma. Damlt Du Dich unter den Boden saufen kannst, nicht, Emma!" Emma war Frau Peachum, und wenn ihr Mann so seine MiBbilligung ihrer kleinen Gewohnheiten ausdrückte, sagte sie gern: „Hatte ich gewisse andere Annehmllchkeiten in unserer Ehe gehabt, ware nie ein Tropfen ttber me ine Lippen gekommen. Heute noch könnte ich damlt aufhören." Solche Satze hören Kinder haufig, und sie machen innen einen gewissen Eindruck. Man denke, nebenbei gesagt, nicht etwa, der Pfirsich ware im Hinblick auf die (wie gesagt winzigen) Gefalligkeiten gegen Mitchgins oder irgendjemand anderen erzogenworden. Im Gegenteil! Sie konnte sich an keine Zeit ihres jungen Lebens erinnern, wo sie in dem Badezuber der Waschküche (die Fenster wurden jedesmal verhangt) ohne ihr Nachthemd gebadet hatte. Herr Peachum hielt nichts davon, daB sie ihre nette Haut zu Gesicht bekam. Herr Peachum hatte auch niemals daran gedacht, ihr nur fttr fttnf Minuten freie Zeit auBerhalb des elterllchen Hauses zu gönnen. Sie ging in die Schule wie alle andern Kinder. Sie wurde jedoch immer von Sam abgeholt. „Deine Tochter ist ein Haufen Sinnlichkeit, nichts sonst!" sagte Herr Peachum seiner Gemahlin, als er Polly einmal dabei ttberraschte, wie sie die Fotografie elnes Schauspielers, die sie aus der Zeitung ausgeschnitten hatte, an die Wand ihres Zimmers hangte. Dies blieb seine Meinung ttber sie jahrelang. Frau Peachum hatte andere Ansichten ttber Sinnlichkeit, hauptsachlich waren sie bitter. Als ihre Tochter die achtzehn überschritten hatte, nahm sie sie an Sonntagnachmittagen mit in den „Tintenfisch". Das war ein Gasthaus ehrbarer Art, das hinten dran einen kleinen Garten mit drei verkrüppelten Kastanienbaumen hatte. Dortspielte an Sonntagnachmittagen und -abenden eine Blechkapelle. Es wurde getanzt, selbstverstandlich höchst ehrbar, die Mtttter saBen mit dem Strickzeug den Gartenzaun entlang. Hier konnte ein Madchen wie die Peachum nicht lange unbeachtet bleiben. Es gab viele Bewerber, zwei davon konnten in Betracht gezogen werden. Von diesen war Herr Beckett zuerst da und Herr Smiles angenehmer. Dennoch begannen Herrn Becketts Aussichten gerade durch und erst mit Herrn Smiles' Auftauchen zu steigen. Herr Beckett war ein untersetzter, stammiger Vierziger mit einem Kopf wie ein Rettich. Er trug geknöpfte Gamaschen auf den Schuhen und einen sonderbar dicken Stock, den er kaum aus den groBen Handen liefl. Sein Teint war nicht der gesündeste; mit Smiles, der viel jttnger war und die gesunde Hautfarbe junger Leute zeigte, die auf der Themse rudern, war er überhaupt nicht zu vergleichen. Aber er war Geschaftsmann und Smiles war Schreiber in einem Anwaltsbüro, und insofern flöBte Herr Beckett Frau Peachum ein ganz anderes Vertrauen ein. Solche jungen Leute wie Smiles kennen kein Verantwortungsgefühl; im groBen ganzen leben sie in den Tag hinein, ihren Trieben hingegeben. Wie könnte es sich für solche Habenichtse rentieren, sich irgend einen Zwang aufzuerlegen, um Ihren Ruf zu befestigen; was soll innen ein Ruf? Der Pfirsich besuchte in diesem Frühjahr eine abendliche Haushaltungsschule. Auf dem Rttckwege tauchte mitunter Herr Smiles auf. Er drangte das Madchen in Hausernischen und sprach mit ihr, beide Arme rechts und links von ihr ausgestreckt, die Handflachen an der Mauer. Im Grund verliefi er sich darauf, daB er nach einlgen Essenzen roch und tat selbst nicht allzu viel hinzu. Seit Frau Peachum etwas witterte, durchsuchte sie die Wasche ihrer Tochter einmal im Monat gründlicher und bevorzugte auf jede Weise Herrn Beckett. Herr Beckett war Holzhandler, ein Herr mit sollden Grundsatzen. Von Frau Peachum energisch begönnert, spielte er sich in den Vordergrund, nicht nur auBerlich. Der Anziehungskraft des hübschen Mannes setzte er die nicht geringe Verftthrungskraft des gut situierten Mannes entgegen. Sein Griff um die Hüfte beim Tanzen war immerhin erstaunlich für einen Holzhandler. Gerade dies gesicherte, von der Mutter anerkannte Glttck schien lustige Untiefen zu haben. Dennoch kam Herr Beckett über solche öffentliche Vertraulichkeiten lange nicht hinaus. Sein Nachteil Herrn Smiles gegenüber bestand vor allem darm, daB er als vielbeschaftigter Geschaftsmann nicht soviel Zeit hatte wie dieser. Er konnte nicht immer abkommen. Trotzdem merkte er bald, daB die Peachums gesonnen waren, mit ihm Ernst zu machen. Glttcklicherweise hatte er weniger als jeder Andere gegen eine wirkliche Heirat elnzuwenden. Er lud Frau Peachum und ihre Tochter zu einem kleinen Picknick auf der Themse ein, das an einem Sonntagvormittag stattfand. Es ware beinahe ins Wasser getallen, da Herr Peachum Samstag nachmittag gegen fttnf Uhr in sehr leidendem Zustand nach Hause kam, mit erbarmungswürdlger Stimme Kamillentee verlangte, sofort das Bett aufsuchte und sich von seiner Frau einen in feuchte, heiBe Tttcher gewickelten Backstein auf den Bauch legen lieB. Er war seit einiger Zeit in ein Geschaft verwickelt, das aufierhalb seines sonstigen Tatigkeitsbereiches lag: es handelte sich um irgendwelche Transportschiffe. Die Angelegenheit schien sich nicht gunstig zu entwickeln und Aufregungen schlugen sich bei ihm auf den Magen. Aber Sonntag früh ging er, wenn auch noch sehr anfallig, mit Frau und Tochter doch in die Kirche und dann sofort zu einer Besprechung. Die Frauen harten Glück: er schien in ernstliche Schwierigkeiten geraten zu sein. Fttr den Ausflug hatte Herr Beckett, der ln einem weiBen Anzug erschien, eine Bregg gemietet. Es war ein luftiges Gefahrt auf zwei hohen Radern mit nur zwei Sitzen. Der Kutscher saB auf einem Bock hinten obenT* Der Holzhandler hatte nicht ohne Mühe ein Gefahrt mit so engem Sitz aufgestöbert. Bei der Ausfahrt quetschte sich Frau Peachum zwischen Beckett und Polly, aber im Grunen wurden aus dem Korb, der vor den FüBen der Drei auch noch hatte Plat»- finden müssen, auBer Eiern, Scblnkenbroten und Htthnchen auch drei Flaschen Likör ausgepackt und so kam Herr Beckett auf der Rückfahrt glücklich neben das Madchen zu sitzen. Es regnete ein wenig; die Wolldecke, in die man sich wickelte, reichte nicht ganz, und Frau Peachum trieb mit ihrer BaBstimme den Kutscher an, da es schon auf zwei Uhr ging. Der Abschied der beiden Damen vor dem Tintenfisch war kurz und es wurde keine weitere Vereinbarung getroffen. Der Holzhandler stand bei der Trennung, wenn man davon absieht, daB es ihm auf den platten Kopf regnete, ln der gleichen Haltung vor seiner Bregg wie zu Beginn der kleinen Fahrt; aber er war nicht mehr der gleiche Mann. In der f olgenden Woche safi er, ein Mann, dessen Zeit Geld war, j eden Abend, mit Ausnahme des Donnerstag, im Tintenfisch; eines Abends kam er sogar zweimal. Allein Frau Peachum sah ihn dreimal zu verschiedenen Tageszeiten in der Old OakstraBe stehen auf seinen schweren Stock gestützt, den er mit beiden Handen in den Rücken stemmte. In Wirklichkeit sah er viel öfter auf das Schild, auf dem „Instrumente" stand. Er studierte das Haus. Wahrend er auf den Pfirsich wartete, beobachtete er genau den Betrieb dieses sonderbaren Instrumentengeschaftes. Er sah normale Gestalten in dieTttr treten und andere auf niederen Krüppelkarren herausrudern. Er sah bald, daB es Überhaupt keine andern waren. Sie waren in Wracks verwandelt worden. Die Natur des Geschaftes ging ihm aUmahlich auf. Er begriff, daB es eine Goldgrube sein muBte. Frau Peachum, die ihn hinter der Fensterscheibe im ersten Stockwerk betrachtete, machte sich ihre Gedanken ttber den zahen Liebhaber. Er schien auf etwas von Seiten des Pfirsichs zu warten, was nicht eintraf. Seine Ansicht, daB auf dem Ausflug etwas vorgefallen sei, was bestimmte Folgen haben muBte, wurde anscheinend von einer bestimmten Person nicht geteilt. Fraulein Peachum benutzte, wenn sie von ihrem Haushaltungskursus helmkam, einen Eingang, der in einer anderen StraBe lag. Nicht selten eilte sie weg, Smiles zu treffen. Es war lustig, mit ihm durch die Anlagen zu flanieren, abends, wenn die Banke von Paaren besetzt waren. Er sagte ihr nette Sachen und kümmerte sich sozusagen um ihr Aussehen. Eine bestimmte Stelle an ihrem Hals wollte er sehen können, sonst war das Kleid „ungünstig". Er sagte, sie mache ihn verrückt. Er kam immer sehr pünktlich zu dem Rendezvous und ziemlich schnell. Dadurch entstand der Eindruck, daB er allerhand Verpflichtungen habe. Der Pfirsich blühte in diesen Tagen erst richtig auf. Es war Frühling. Polly ging in einem leichten, blauen Kleid mit weiBen Tupfen durch die Schneiderei, wo in Kleidungsstücke Stearinkerzenwachs hineingebügelt wurde, damlt sie fleckig aussahen, und hob, wenn die verkümmerten Madchen in dem schmalen, krummen Zimmer mit den nur zwei hoch gelegenen Fenstern unehrenbietige Bemerkungen machten, die Röcke, einen kleinen, weiBen Hintern zeigend. Sie balgte sich mit den Hunden im Hof und gab ihnen, schrecklich lachend, komische Namen. Einen von ihnen, einen Foxterrier, nannte sie Smiles. Den armseligen Pflaumenbaum im Hof fand sie plötzlich hübsch. Sie sang, Wenn sie sich wusch am Morgen und war verliebt, ohne einen Bestimmten zu melnen. Ihr Vollmondgesicht auf die Ellenbogen gestützt, lag sie abends im Kreuzstock und las Romane. „Ach," seufzte sie, „wie erschütternd ist doch der Kampf Elviras, dieses reuten, schonen Madchens mit ihren sündigen Ge- danken! Sie Hebt ihren Geliebten, diëten hochgemuten, sportgestahlten Mann; sie Hebt ihn aus tiefstem Herzen, mit den louter sten und edelst en Gefühlen, und doch gibt es Wünsche tiefin ihrem Innem, dunkle, triebhafte, schwüle Wünsche, die von sündigen Leidenschaften nicht allzu verschieden sind! ,Wie wird mir angesichts dieses geliebten Mannes f' seufzt sie oft. ,Und wo wird mir so f' Und mein FaU Ut, mit dem Elviras verglichen, sogar noch schUmmer. Denn ich liebe nicht und hege jene Wünsche doch! Kann ich vorgeben, dafi mein Geliebter sie in mir weckt f Ich kann es nicht vorgeben. Ich werde doch nicht von der Schönheit überwaltigt — von Schönheit kann man bei Herrn Beckett wohl kaum sprechen, noch von hochgemut bei Herrn Smiles — ich stehe sozusagen in der Frühe auf aus meinen Federn und beun Waschen, einer gewifi unschuldigen Beschaftigung, kommen mir solche Wünsche, die leider ganz allgemein gerichtet sind, belnahe auf jeden Mann, und die Herrn Beckett und Herrn Smiles in meinen Au gen erst zu Schönheiten machen! Was sott ich von mir denken T Wenn das so weiter geht, dafi ich in dteser weUabgeschiedenen Kommer mit den unschuldig rosa getünchten Wanden, das Leintuch bis zum Kinn hoch gezogen, mir solche Bllder ausmale — von meinen Trimmen will ich schon gar nicht reden mufi ich noch fürchten, meute fleischUchen Begierden führen mich in den Rinnstein, wo manch Andere endete, wie ich höre. Noch einige solcher Nachte und ich losse mich mit dem einbeinigen George auf dem Hundehof ein! Was mufi ich nur tun, dafi ich Herrn Beckett, der doch nach allem eine gute Portie sein mufi, weiterhin so kurz halten kann, wie er es von seiner Zukünftigen erwartet? Wie ihm mit jenem of f enen, klaren Auge gegenübertreten, das ihm mögliche eigene ntedere Wünsche, die vor der Heirat nie und nimmer erfüllt werden durf en, vergehen angesichts dieter offenkundigen, vertrauenden Unschuld?" Der EntschluB des Pfirsichs, den Holzhandler zu heiraten, hatte sich ohne besonderes Zutun desselben in ihr gefestigt. Der durchaus praktische Sinn der Tochter des Herrn Peachum hatte fttr den Gesetzteren und VerlaBlicheren unter ihren belden Bewerbern entschleden. Immerhin gelang es dem lustigen Smiles, Fraulein Peachum wieder und wieder zu treffen. Er vermochte sie sogar dazu zu bewegen, mit ihm sein möbliertes Zimmer aufzusuchen, wo sie endgültig den Eindruck gewann, er sei wirtschaftllch überhaupt nicht imstande, eine Frau zu unterhalten. Als sie zum zweiten Male kam und mit ihm aus dem Haus trat, wurde sie von Herrn Beckett gesehen. Frau Peachum öffnete einen interessanten Brief von ihm, ln dem er Polly beschwor, ihm eine Zusammenkunft zu gewahren und sie unverhohlen an ein gewisses Vorkornmnls beim Picknick erinnerte. Es war ein sehr unangenehm wirkender Brief. Frau Peachum richtete es ein, daB Herr Beckett ihre Tochter am nachsten Sonntag wieder im Tintenfisch treffen konnte. Sie wufite nichts Genaues von Smiles, hatte die Wahrheit darüber nlemandem geglaubt und besann sich nur immer, wie sie ihre Tochter in schicklicher Form davor warnen könnte, sich zu frtth mit dem Holzhandler einzulassen, den sie zu ihrem Schwiegersohn ausersehen hatte. Sie steilte sich, nachts und besonders gegen Morgen zu, im Bert neben ihrem kleinen Mann liegend, schon immerzu mit Vergnügen die ehelichen Umarmungen zwischen ihrer Tochter und Jimmy, wie sie den Holzhandler nannte.vor. Ihre Sorge war unnötig. An den runden, elsernen Tischen unter den Kastanien saBen die Gaste dicht gedrangt, aufier wenn getanzt wurde, und dann tanzten Polly und Herr Beckett auch. Die Unter- haltung war dadurch erschwert. Dennoch gelang es Herrn Beckett, die beiden Damen zu fesseln. Der Holzhandler bestelite sich eine Portion Hammelleber, dazu Esslg und Öl. Wahrend er sie sich fachkundig anrichtete, brachte er das Gesprach auf den Raubmörder Stanford Sills, den die Zeitungen wieder einmal fttr einige Morde in der Gegend der Westindiadocks verantwortlich machten. Die beiden Damen kannten den Namen und tauschten mit Herrn Beckett Mutmafiungen aus über die Person, die sich hinter dem seit Jahren gesuchten Mörder verbergen mochte. Herr Beckett erzfthlte recht anschaulich von diesem Herrn, fttr dessen Morde die Pollzei allerdings niemals richtige Motive fand und vor dem ln der Unterwelt, wie es hiefi, eine geradezu aberglaubische Furcht herrschte. Es war vorgekommen, dafi von der Polizei gesuchte Einbrecher freiwillig nach Scotland Yard gekommen waren, da sie sich vor dem „Messer", wie Stanford Sills von der Hefe der Docks genannt wurde, verfolgt ftthlten. Polly wufite genau, wie er aussah und beschrieb ihn dem Holzhandler. Er war blond und schlank wie eine Wespe und so elegant, dafi man ihn auch in den Anzügen der Dockarbeiter fttr einen' verkleideten Gentleman hielt. Er hatte grttnliche Augen. Zu Frauen war er gütig. Polly unterhielt sich ausgezeichnet. Herr Beckett hatte entschieden Elndruck auf sie gemacht. Die Beiden tanzten eifrig, und Frau Peachum hörte nur Teile der Unterhaltung des Paares. Zu ihrem Erstaunen sprach ihre Tochter ausschliefilich von Herrn Smiles, und wie lustig er sei. Sie sah fórmlich, wie „Jimmy" seinen Kragen durchschwitzte. Dreigroschenroraan 3 Polly schien ihn nicht schlecht am Wickel zu haben. Am n&chsten Vormittag stand er schon wieder auf der StraBenseite, die dem Laden gegenüber lag. Am Nachmittag statte te er Frau Peachum einen Besuch ab; zu ihr er Verzweiflung, denn sie hatte Angst vor Peachum, der nichts ahnte und dem die Sache erst vorsichtig auseinandergesetzt werden muBte. Herr Beckett saB auf der Kante des mit rotem Samt gepolsterten Stuhles lm Salon und warnte Frau Peachum vor Smiles, der ein ttbler, junger Mensen sei, ziemlich verlebt und hinter den Weibern her. Er fragte, ob Smiles Polly nicht mit Briefen verfolge und hatte anscheinend am liebsten den Kachelofen nach Briefresten durchstöbert. Beim Weggehen begegnete er Polly auf der Treppe und begleitete sie in den Kursus. Sie plauderte von ihrem Elternhaus, den vielen Leuten, die Immer aus- und eingingen, den jungen Herren in den Garderoberaumen, bei denen sie eine groBe Nummer habe, weil sie nie ekelhaft zu ihnen sei. Dem Holzhandler schien es, als habe sie blaue Ringe um die Augen. Es drückte ihn sehr nieder. Tats&chlich sah er sie nun vor seinem geistigen Auge ln einem groBen Haus wie in einem Taubenschlag, mit unzahligen Türen, aus denen immerfort junge Herren traten, also ln einer für ein junges Madchen ziemlich ungünstigen Behausung. In seinem Hinterkopf saB der Gedanke an den Vorfall bei dem Picknick, genauer gesagt auf der Rückfahrt vom Picknick. Es war dies ein Vorfall, von dem er weder jetet noch spater sprach, als ihn eine Relhe schwerer und aufeinander folgender Schicksalsschlage an langeren Unterhaltungen mit seiner Frau hinderten, der ihn aber sehr mitgenommen hatte. Er hatte ihm mit dem Zweifel an ihrer Unschuld ein eigentttmUches Interesse an derselben eingeimpft. Er war selten ln elnweibUches Wesen so verschossen gewesen wie in den Pfirsich. Mehrere Umstande wirkten hier glückllch zusammen. ist ganz fatsen," sagte er sich mitunter, wenn er seine Gefühle überprüfte, „rfch su fragen, ob man ein Madchen ihres Geldes wegen oder ihrer selbst wegen heiratet. DasfSllt oft zusammen. Es gibt wenig Dinge an einem Madchen, die einen Mann sinnUch so reizen wie ein Vermögen. Ich warde sie natürUch auch so begehren, aber vielleicht nicht mit dieser Leidenschaft ?" Der Holzhandler war keln Neuling in Damensachen. Er hatte schon einige, übrigens gleichzeitige, Ehen hinter sich. Für Abenteuer hatte er wenig Zeit, denn er war in höchst gefahrliche Geschafte verwickelt und hatte schwere Sorgen. Aber es war für ihn zwelfellos notwendig, eine neue Ehe einzugehen: seine Laden standen nicht zum Besten. Gleichzeitig hatte er in der Brusttasche mehrere Zeitungsausschnitte mit einem Interview, das der Polizeiprasident den Journalisten über den Raubmörder Stanford Sills gegeben hatte, den man „das Messer" nannte. Diese Ausschnitte waren ihm anonym zugeschickt worden, und er war davon sehr beunruhigt. Deshalb liefi er auch die Worte, die er auf den Lippen hatte, ungesprochen. Etwa eine Woche spater kam der Geschaftsmann Jonathan Jeremiah Peachum durch die Machenschaften eines Herrn Coax in auBerste Bedrangnis und lenkte sein Auge auf seine erblühende Tochter. Und sie zogen hinein in den Krieg Und sie muBten Patronen haben Und es fanden sich allerhand nette Leute Die ihnen Patronen gaben. „Ohne Munition kein Krieg." „Die solist du haben, mein Sohnt Ihr zieht fttr uns ins Feld Wlr machen fttr euch Munition." Und sie machten einen Haufen Munition Und dann fehlte ihnen noch ein Krieg Und es fanden sich allerhand nette Leute Die sorgten dafttr, dafi er stieg. „Auf, auf, mein Sohn, ins Feld! Das Vaterland ist in Gefahr! Auf, auf fttr Mütter und Schwestern Für Thron und für Altar!" (Kriegslied) Ein Wunsch der Regierung Ihrer Majest&t William Goax war von Beruf Makier. Seiner Visitenkarte nach hatte er irgendwo in der City ein Büro; jedoch gab es kaum jemand, der je dorthin gekommen ware, nicht einmal er selber suchte es auf. Es hatte auch gar keinen Zweck gehabt, denn es saB dort nur ein blasses, abgeharmtes Madchen mit einer alten Schreibmaschine, deren Lettern in Unordnung waren, was nichts machte, da sie nicht zum Schreiben da war. Das Madchen saB auch nur da, um die Post abzuwarten, und die kam hierher, damlt Herr Goax niemanden seine Wohnung bekanntgeben muBte. Denn er empfing niemanden in seiner Wohnung, sondern machte alle Geschafte im Restaurant ab. Er pflegte zu sagen: „Ich brauche keinen Apparat. Ich mache nur groBe Geschafte!" Er fafite auch nichts Schmutziges an; er trug immer Handschuhe. Aufierdem trug er auffallende hellgraue Anzüge von der Stange, dazu violette Socken und grellrote Krawatten. Seiner Meinung nach hatte er die Figur für Normalanzüge, obwohl er lang und dünn war. Er glaubte, man vermute in ihm allgemein einen Militar in Zivil; er hielt sich also sehr aufrecht. Wenn er auch keine teuren Angestellten hatte, so war er doch darum nicht ohne jede Hilfe. In gewissen Ministerien safien Leute, die ihm mlndestens so nützlich waren, wie ein paar unverschamte und faule Buchhalter. Einen solchen Mann hatte er zum Beispiel im Marineministerium. Von dem erfuhr er eines Tages, dafi die Regierung Ihrer Majestat einen Wunsch hatte. Sie wünschte Transportschiffe für die Truppentransporte nach Kapstadt. Coax beschlofi, den Versuch zu machen, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Da es sich um eine maritime Angelegenheit handelte, fragte er in einer Kneipe, ln der Seeleute minderer Qualitat — Seeleute von der Stange — verkehrten, herum nach ein paar möglichst alten S c h i f f e n. Er erfuhr auch von einigen. Sie gehörten der Reederfirma Brookley & Brookley, einer Art Reederei von der Stange. Zu dieser Zeit gab es in London viele Leute, die es bel Ansuchen, die die Regierung an die Gesch&ftswelt um Unterstützung ln dem Krieg gegen SUdafrika richtete, nicht allzu genau nahmen. Sie waren durchaus bereit, der Regierung Marmelade zu verkaufen; sie selber zu essen waren sie nicht bereit gewesen. Zu diesen Leuten gehorte Herr Coax nicht. Er wttnschte nicht, sich am Unglück seines Landes zu berelchern und in harmlose, aber langwierige und Büros und Schreibmaschinen erfordernde Untersuchungen verwickelt zu werden. Jeder Andere hatte der Regierung auf Grund seiner Beziehungen die Schiffe angeboten, von denen Herr Coax in der bewuBten Kneipe erfuhr. Sie waren geraumig und, wie eine vorsichtige Nachtrage bei Brookley & Brookley ergab, auch billig. In der kurzen Unterredung, die der Makier mit Brookley & Brookley wegen der zum Kaufe ausstehenden Schiffe hatte, wurde von anderem als dem Tonnenraum und dem Preis nicht gesprochen. Weder steilte Herr Coax eine weitere Frage, noch brachten die Reeder die Sprache auf den Zustand der Schiffe. Alle drei Herren natten dies jederzeit und vor jedem Gericht beschwören können. Für Herrn Coax kamen die Schiffe der Herren Brookley & Brookley ln keiner Weise in Betracht, trotz ihres Laderaums und ihrer Billigkeit. Er wuBte eine Menge Leute in London, die bereit waren, Frachtschlffe für einen guten Preis zu erwerben. Die Frachtsatze waren sehr hoch, des Krieges wegen. Schiffe standen sehr wenige zum Verkauf, und diese wenigen waren sehr teuer. Aber natürlich hatte sich niemand, der anstandige Schiffe brauchte, an eine Reederei wie Brookley & Brookley gewandt. Herr Coax suchte sehr angelegentlich nach anstandigen Schiften, wenn auch nicht für die Regierung, sondern im Auftrage von Privatfirmen. Der Wunsch der Regierung nach Laderaum war für ihn eine ganz und gar nebensachliche Angelegenheit und nur im Zusammenhang mit seinen 38 Prlvatgeschaften von einlgem Interesse. Er verwendete eine ganze Woche auf die weitere Suche. Er ermittelte auch drei andere, zu Transporten geeignete Boote, die neuer und in jeder Hinsicht zuverlassig waren. Er muBte zu diesem Zweck mehrere Fahrten, eine bis nach Southampton, machen, und als er die Boote ausfindig gemacht hatte, gehörten sie verschiedenen Eigentttmern und waren auch gar nicht billig, sahen aber einigermaBen Schiften ahnlich. Herr Coax merkte sich diese Schiffe vor und fuhr zurück nach London. Dort nahm er die Befriedigung des Wunsches der Regierung wieder in Angriff. Aber wie man sehen wird, vernachlassigte er dadurch seine eigenen Interessen nicht. Sie waren und blieben eindeutig auf die möglichst billige Erwerbung einiger anstandiger Frachtboote vom Typ der Southamptoner gerichtet. Über die Angelegenheit der Regierung sprach Herr Coax in London mit einigen zu diesem Zweck zusammenberufenen anderen Geschaftsleuten. Es war nicht schwer, solche ausfindig zu machen. London brodelte vor Tatenlust. Die City brannte darauf, dem Land bei seinem Kampf mit den Buren beizustehen. Die Regierung war eine geradezu ideale Kundin. Herr Peachum kam zur Kenntnis des Wunsches der Regierung Ihrer Majestat zusammen mit vier, fttnf anderen Herren, die ebenso begierig waren wie er, in einem Wunsch der Regierung einen Befehl zu sehen. Sie trafen sich alle in einem gut bürgerllchen Restaurant in Kensington. Sie fanden, daB sie unter sich einen echten Baronet, einen Buchmacher, den Direktor einer Textilfabrik ln Südwales, einen Restaurateur, einen mehrfachen Haus- besitzer, einen Schafzüchter und den Inhaber eines groBen Geschafts für gebrauchte Musikinstrumente haften. Sie bestellten jeder für sich und Herr William Goax hielt eine kleine Rede. „Die Lage unseres Landes" führte er aus, „ist ernst. Wie Sie wissen, begann der Krieg in Südqfrika dadurch, dafi friedliche engtische B ü r g e r aus heiterem Himmel überJ'alten wurden. Die Truppen Ihrer Majesteit, die zu ihrem Schut ze den Vormarsch begonnen, sind überall in der h elmtückischsten Weis e angegriffen und bei dem Versuch, britisches Eigentum zu schützen, immerfort btutig insultlert worden. Sie alle haben von den Angriffen gelesen, denen sich unsere Regierung wegen ihrer über triebenen L an gmut und schon nicht mehr verstandlichen Frtedensliebe ausgesetzt hot. Heute, wenige Monate nach dem Beginn des Krieges, ringt England gegen einige toll gewordene Farmer um nicht weniger als den Bestand atl seiner überseeischen Besitzungen. In der Stadt Mafeking sind engtische Truppen von einem machtigen Burenheer eingeschlossen und kampf en um ihr Leben. Wer von Ihnen an der Börse zu tun hat, weifi, was so etwas für Folgen hat. Meine Herren, es handelt sich um die Entsetzung und Befreiung der Stadt Mafeking! (Klatschen.) Meine Herren, die Stunde erfordert auch von der britischen Geschaftswelt Kaltblütigkett, Mut und Initiative. Wenn sie es daran ermangeln lafit, wird der Heldenmut unserer Jugend ohne Früchte bietben. Denn: wer führt die Kriege ? Der Soldat und der Geschaftsmann! Jeder an seinem Platz! Die Regierung verstekt nichts von Geschaft en. Die sind unsere Sache. Die Regierung sagt: wir brauchen Transportschtffe. Wir sagen: bitte, hier sind Transportschtffe. Die Regierung fragt uns: ihr seid Sachverstandtge, was kosten Transportschtffe t — Das können wir in Erfahrung bringen, sagen wir; bitte, Transportschtffe kosten soundsoviel. Die Regierung handelt nicht; sie weifi, dafi das Geld im Lande bletbt. Unter Brüdem wir d nicht g e h a n d e 11. Es ist gleich, ob das Geld der eine hat oder der andere. Die Regierung und ihre Geschaftsleute, das ist eine Familie. Sie haben Ver t r au en zueinander und sind auf ein ander angewiesen. Du kannst das nicht, sagt der eine zum andern, lafi das mich machen. Wenn ich einmal etwas nicht kann, dann machst dus. So entsteht Vertrauen, so entstehen gleiche Interessen. Siehst du, BUly, sagt der Staatssekretar Soundos zu mir bei einer Zigarette, meine Frau kann da mit ihren 12 Zimmern nicht mehr zur echt kommen, was tun T — Kümmere dich nicht um solche Kleinigkeiten, sage ich, denke an dein Amtl Und ich regie die Sache. Dann erfahren Sie aus der Zeitung, dafi der Staatssekretar die und die grofie Rede im Interesse des Landes gehalten hat, die uns wieder ein Stück vorwarts bracht» in der Welt, und in Afrika oder in Indien oder wo weifi ich passiert Irgend eine grofie Sache, die unter Land und seine Interessen betrifft, die wirküch grofizügig sind. Du muflt den Kopf frei haben, Charles, sage ich, in unserm Interesse. Keinen Kleinkrams, keine Geldsorgenl Ich bin ein ganz schUchter, einfacher Geschaftsmann, ich will nicht in die Zeitung, ich will keine öffentliche Anerkennung, ich ermögliche dhr still und ungenannt deine grofie Arbeit im Interesse des Landes, ich helfe mit. Und so wie ich, meine Herren, handeln Tausende von Geschaftsleuten, still und ohne Ruhm, möchte ich sagen, aber zah und findig. Der Geschaftsmann besorgt das Schiff, der Soldat besteigt es. Der Geschaftsmann ist findig, der Soldat ist tapfer. Meine Herren, grimden wir ohne gr ofi e Worte eine Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen!" Herrn Coax' Rede hatte vollen Erfolg. Der Restaurateur dankte ihm im Namen der anderen Herren und im Namen Englands fttr den Fingerzeig, und nach elnigen Erörterungen vom geschaftlichen Standpunkt aus wurde ein Vorvertrag auf gesetzt. Der Kellner brachte Feder und Tinte, der Buchmacher schrieb. Die von Herrn Goax benannten drei Schiffe sollten von der Firma Brookley & Brookley möglichst rasch kauflich erworben und instand gesetzt werden. Die Kaufsumme sollte in 8 (acht) Teile gehen und war beim Kauf bar auf den Tisch zu legen. Als man so weit war, entstand eine grofie Stille am Tisch. Es handelte sich jetzt um die Gewinnanteile, hauptsachlich um den Anteil Coax', der das Geschaft gebracht hatte. Die Herren bestellten neu, Zigarren und Porter. Dann sagte der Textilfabrikant leichthin, dem blauen Rauch seiner Importe nachblickend: „Die Verteilung des Reingewinns denke ich mir so, dafi durch 8 getellt wird, nicht wahr, 8 sind wir doch? Und unser Freund Coax erhalt zuerst eine Vermittlungsprovision von' sagen wir— 10 Prozent des von der Regierung bezahlten Preises extra." Die Herren sahen auf Coax, übrigens nicht alle. Coax lehnte sich mitsamt seinem Stuhl zurück und sagte lachelnd: „Das ist ein Witz." Seine Ansprüche waren, wie es sich zum Erstaunen der Herren herausstellte, ziemlich hoch. Sie zu besprechen dauerte ttber zwei Stunden. Dann waren sie nicht wesentlich heruntergebracht, aber alle hatten den Eindruck, sie würden es auch ln zwei Jahren nicht sein. Die Provision sollte 25 Prozent betragen. Als die Herren achzend und mit Mienen, als unterschrieben sie das Todesurteil fttr ihre llebsten Anverwandten, Ihre Namen auf das Papier gesetzt hatten, gingen sie schnell auseinander, ein jeglicher in seine Stadt. Peachum hatte von der ganzen Sache, besonders von der Zahigkeit des Herrn Coax bei der Verteilung des Reingewinns, einen ausgezeichneten Eindruck gewonnen. So feilscht man nur, wenn das Geschaft solid ist. Sorgén, von denen sich der Alltagsmensch nichts triamen l&fit An einem nebligen Vormittag tand in einem der zahllosen kleinen, kahlen, gelbmöbligen Büros der City eine Unterredung zwischen fünf Herren start. Auf der Milchglastür, durch die man ins Bttro trat, stand in Goldbuchstaben „Brookley & Brookley, Reeder." Zwei von den unterhandelnden Herren waren Brookley und Brookley, farblose, ln ihrem Auftreten unschlUssige Herren, die eine vielleicht übertriebene Angst zeigten, die Verantwortung für irgendeinen EntschluB zu übernehmen, der sie beide betrat. Sie hatten ausschlieBlich das gegenseitige Wohl lm Auge und waren anscheinend durchdrungen von der Überzeugung, daB sie zu schwach seien, diese gegenseitige Verantwortung zu tragen. Wer sich in der City auskannte, behandelte diese beiden Brüder wie rohe Eier. Herr Coax kannte sich in der City aus. Es wurde ein Vertrag aufgesetzt, wonach die Frachtschiffe „Schone Anna", „Junger Schiffersmann" und „Optimist" für insgesamt 8200 (achttausendzwelhundert) Pfund in den Besitz der neuen Gesellschaft übergehen sollten. Die Besichtigung wurde auf einen Donnerstag angesetzt. Unmittelbar nach ihr sollte der Vertrag unterschrieben und die Kaufsumme ausbezahlt werden. „Ich sehe Sie alle sehr gern," sagte der eine Herr Brookley, „aber es darf nicht dieser Schiffe wegen nötig sein." Es war alles fest ausgemacht. Brookley und Brookley wunderten sich, als am nachsten Morgen Herr Goax noch einmal allein im Büro vorsprach und auf eigene Faust, nach Zusicherung strengster Diskretion, ein neues Angebot auf die Schiffe machte für den Fall, daB das gestern besprochene Geschaft nicht zustandekommen sollte. Die Brüder gerieten sogar in einige Aufregung. Mittwoch nachmittag sprach der eine Herr Brookley bei Eastman, dem mehrfachen Hausbesitzer, vor, weil ihm dessen Adresse bekannt war und erkundigte sich gedrückt, ob die Sache nicht rückgangig zu machen sei; sie hatten ein neues Angebot, und er könne es seinem Bruder gegenüber nicht verantworten, zum alten Preis abzuschlieBen. Eastman bedauerte im Namen der Gesellschaft, und Brookley murmelte etwas von Donnerstag abend 6 Uhr, wo er seine Handlungsfreiheit wieder habe, wenn nicht alles klappe. Eastman verstandigte sofort die Andern und ermahnte sie, pünktlich zu sein. Aber Donnerstag vormlttag bat Herr Goax Eastman in ein Restaurant und eröffnete ihm, daB er das Geld erst Samstag früh auf bringen könne. Infolgedessen fand mittags zwei Uhr, kurz vor der Besichtlgung, eine erregte Sitzung in einem andern Restaurant statt, in der der Textilfabrikant von Goax energisch die Beibringung seines Anteils oder eine völlige Neuregelung forderte. Er bot sich gleichzeitig an, Goaxens Verpflichtung und Gewinnanteil zu übernehmen. Eastman unterschied bei seiner Beurteilung dieser Auslassung zwei Teile; dem einen, der Forderung, schlofi er sich an, den zweiten, das Angebot, lehnte er ab. Er erklarte sich selbst bereit, den Goaxschen Anteil zu übernehmen. Dazu waren von den Sieben noch mehrere bereit. Dafi Goax seinen Anteil verlieren sollte, wenn er sein Achtel nicht beisteuerte und zwar sofort beisteuerte, war allen klar, ausgenommen Goax. Der aufierte einige Zweifel, auerdings schwache. Schliefilich einigte man sich darauf, dafi das Geschaft einfach in sieben statt in acht Teile gehen und Coax nurmehr seine Provision verbleiben sollte. Coax traf dies anscheinend so, dafi er krank wurde und helm ging, um sich ins Bett zu legen. Er erklarte, auch die Besichtigung nicht mehr mitmachen zu können. Für die Besichtigung hatte Eastman einen früheren Schiffsingenieur bestellt, einen groBen, hageren Mann namens Bile, der sich um alle seine Stellungen getrunken natte. Sie trafen ihn in der Nahe der Docks und gingen auf Rat Eastmans mit ihm gleich noch mehrere Drinks nehmen, damlt er in Stimmung kame und die alten Kasten tüchtig madig mache. Die Brüder Brookley und Brookley trafen sie in deren Kontor, und zu den Schiften war es von da nicht weit. Es waren grofie, düstere Kasten aus den Tagen Nelsons. Es gibt immer Leute, die alte Dinge aufheben, Hüte, Zigarrenschachteln, Kinderwiegen, aus reiner Pietat oder einfachem Stumpfsinn. Solche Leute mufiten diese Boote in ihr Herz geschlossen haben. Jedenfalls lagen sie noch in dem trttben Wasser und trotzten der Ansicht, dafi alles einmal vergehe. Anscheinend hatte man sie jahrelang oder jahrzehntelang in Ruhe gelassen. Aber jetzt warteten irgendwo in Transvaal einige Tausend Tommies auf Entsatz und da mufite man sie noch einmal bemühen. Nun, ihnen konnte es recht sein. Der „ Junge Schlffersmann" lag am nachsten7 und ihn bestieg die Kommlssion. Die Laufplanke war aus Holz, da war kein Zweifel. Das Deck sah nicht sehr einladend aus, aber der Boden war ebenfalls aus Holz, wie bei- einem richtigen Schift. Es war kein Seemann unter den Besuchern. Einen solchen hatte man nicht die Treppe herunter gebracht. Er hatte Angst gehabt, sich den Kragen zu brechen. Im Schiffsrumpf liefen die Ratten herum wie die Lammer auf den Wiesen von Wales, grofie, dlcke Tiere, die trotz hohen Alters niemals Menschen gesehen hatten und also deren Gefahrlichkeit nicht einmal ahnten. Ingenieur Bile hatte vorgehabt, samtliche Tricks, mit denen gewissenlose Reeder einen schwimmenden Sarg als anhelmelnde Luxusjacht zu verkleiden verstenen, mit zynischem Freimut zu entlarven. „Und was ist das, meine Herren?" hatte er sich vorgenommen zu sagen und hatte dabei diese oder jene Atrappe herunterrelfien wollen. Jetzt stand er hilflos und mttde herum und machte den Mund nicht auf. Ein Kind konnte sehen, was hier los war. Das, was der „Junge Schiffersmann" hatte, konnte man mit bestem Willen keine Krankheit mehr nennen. Von den zehn Mannern entfernte sich keiner einen Schrift von der eisernen Treppe. Keiner hatte auch nur gewagt, sich an die Schiffswand zu stützen, wenn er über einen der verfaulten Gegenstande gestolpert ware, die überall herumlagen. Es war zu befürchten, dafi die Hand einfach durch die Wand durchging. Eastman sagte plötzlich laut und fröhlich: „Ja, ja." Es hallte wie in einem uralten Speicher. Und da sagte der eine Herr Brookley ganz ruhig; „Schliefilich kommt es nicht auf das Aufiere an. Die Haupt- sache ist, ob ein Schiff seetüchtig ist und etwas aus- hait." Es gibt Leute, die die Fahigkeit besitzen, sich in andere überhaupt nicht einfühlen zu können, die von Tatsachen völlig unberührt bleiben und ihre Gedanken ganz und gar ungeniert, ohne jede Rücksicht auf die Umgebung und den Zeitpunkt, aussprechen. Solche Manner sind zu Führern geboren. Die „Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen" ging wie in einem bösen Traum zurück ans Land. Sie warf kaum noch einen Bliek auf die „Schone Anna" und den „Optimisten", der von den Dreien vielleicht der allerherimtergekommenste war. Als alle wieder im Büro von Brookley & Brookley saöen, hielt der eine Herr Brookley eine kleine Ansprache. „Meine Herren," sagte er, dabei zum Fenster hinaussehend, „ich habe den Eindruck, daB Sie sich ursprünglich mehr erwarteten, obgleich Ihnen der Preis bekannt war, daB Sie irgendwie enttauscht sind und sich bei dem Geschaft nicht ganz wohl fühlen." Er warf einen flüchtigen Bliek in die Runde, und da ihm niemand erwiderte fuhr er fort: „Wenn dem so ware, würde ich Ihnen den Rat geben, unter keinen Umstanden der inneren Stimme entgegen zu handeln, welche Ihnen sagt: heraus aus diesem Geschaft! Wenn Sie beeilt sind, werden Sie sich schwer tun, andere Boote im Augenblick in England aufzutreiben, besonders in dieser Preislage. Aber wenn Sie Zeit zum Suchen haben und es Ihnen auf ein paar Monate nicht ankommt, können Sie sicher etwas für Sie Passendes finden. „Brookley & Brookley" kann die Schiffe durch einen Zufall ohne weiteres an den Mann bringen; wie ich gestern Herrn Eastman schon sagte, haben wir ein Angebot und wurden Ihren Rücktritt gar nicht ungera sehen. Sogar ttber eine kleine Abstandssumme lieBe sich unter Umstanden reden. Es ist halb sechs Uhr und um sechs ein Viertel haben mein Bruder und ich eine andere Konferenz. Wir können und mussen also rasch zurande kommen." „Die Boote sind im Höchstfall 200 Pfund wert und überhaupt nicht seetüchtig," sagte Bile ruhig. Herr Brookley sah auf die Uhr. „Sie hören, was Ihr Gewahrsmann sagt. Wir haben keinen Grund, dem zu widersprechen. Wir denken nicht daran, Ihnen die Schiffe aufzudrangen. Wir sind gar nicht ln der Lage, irgendeine Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht ist es vom fachmannischen Standpunkt aus überhaupt das Beste, sie als Kleinholz zu verkaufen. In diesem Falie waren die 200 Pfund, von denen Ihr Sachberater spricht, ungefahr richtig bemessen. Also überlegen Sie es sich, meine Herren!" Und er verlieB mit seinem Bruder das Zimmer. Als sie drauBen waren, sagte Eastman halblaut: „Diese Boote sind die einzigen, die zu haben sind. Das dttrfen wir nicht vergessen. Ich würde dennoch zurttckzucken, wenn ich nicht ttberzeugt ware, daB das andere Angebot von niemand anderem als unserm Freund Goax stammt. Wir haben ihn zu sehr gedrttckt. Er will das Geschaft mit anderen Partnern machen. Dümmeren." Einigen Leuten im Zimmer gingen die Augen auf. Fttnf Minuten spater standen sie, den Federhalter ln der Hand, ttber dem Vertrag. Auf dem Nachhauseweg sagte Eastman zu dem Ingenieur: „Als Laie kann man sich gar nicht vorstellen, daB man in einem solchen Kasten auf das Meer hinausfahren kann. Man meint unwillkürlich, das morsche Zeug müsse sich einfach wie Papier lm Wasser auflösen. Diese moderne Technlk ist gr oBartig. Sie macht noch etwas aus dem Nichts. Wetten, wenn die erst die Dinger angestrienen und ein wenig hergerichtet haben, werden sie noch ganz schmuck sein und ihren Dienst ebenso machen wie jedes andere Schift! Der Laie hat ja keine Ahnung, was die Technlk alles leisten kann!" Und einige stumme Schritte weiter fuhr er bedrttckt fort: „Es ist ungeheuerlich, wie die Konkurrenz hinter einem her ist. Es gibt kein Geschaft, das so gemein ware, dafi nicht sofort ein Anderer es macht, wenn man darauf verzichtet. Man mufi ungeheuer schlucken können. Wenn man sich auch nur eine Sekunde auf menschliche Regungen einlaöt, ist man glatt erschossen. Da hllft nur eiserne Disziplin und Selbstkontrolle. Andererseits kann man ja fttr nichts auch nichts verlangen. Wenn man das bleiben will, was man so im Volksmund anstandig nennt, muB man eben Dreck schaufeln oder auf dem Bau arbeiten. Ja, man hat, sobald man einmal ttber das MittelmaB hinaus ist, Sorgen, von denen sich der besitzlose Alltagsmensch nichts traumen tafit!" Alles fttr das Kind Herr Peachum machte sich Sorgen wegen Herrn Goax' Fernbleiben von der Besichtigung. Er konnte nicht elnschlafen und verbrachte eine ttble Nacht. Er war beteiligt am Kauf dreier unbrauchbarer Schiffe, sein Anteil betrug etwa ein halbes Schift, und nur bei Herrn Goax lag es, ob das Geld hinausgeworfen war oder nicht. Fttr einen Charakter wie Peachum bedeutete aber „in eines Dreigroschenroman 4 Mannes Hand sein" das Gleiche was es für ein Kaninchen bedeutet, in der Hut eines Python zu sein. Die Frage war: würde Herr Coax die Schiffe weiter verkaufen? Warum war er nicht zur Besichtigung oder wenigstens zum VertragsabschluB gekommen? Man hatte ihn aus dem Geschaft gedrangt: er war nicht mehr Mitbesitzer, sondern nurmehr Makier. Einmal stand Herr Peachum auf, um zu sehen, ob alles Licht ausgedreht war, hauptsachlich jedoch aus Innerer Unruhe. Er war nicht in der Lage, den geringsten Geldverlust zu verschmerzen. Es war das Schlimmste bei Verlusten selbst kleinerer Summen, daB er sofort alles Zutrauen zu sich selbst verlor. Er traute niemandem, warum sollte er sich selbst trauen? Das Licht war überall abgedreht, aber das Fenster von Poüys Zimmer nach der AuBenveranda zu stand auf. Er konnte sie dunkel im Bett liegen sehen. Argerlich zog er das Fenster von auBen zu. „Warum tue ich das alles?" fragte er sich, als er wieder ins Bett stieg. „Einzig fttr das Kind. Ich mufi noch zwei dieser Weibsbilder in der Schneiderei hinauswerfen. Die Schneiderei stinkt ja förmlich vor Faulheit. Ich kann doch nicht alle diese Leute mit durchfttttern. Das n&ht und naht, ob die Lumpen dann abgenommen werden oder nicht. Sie haben gar kein Risiko. Polly könnte auch endlich etwas arbeiten. Was glaubt sie eigentlich? Diesem Coax dart man nicht ttber den Weg trauen. Nie und nimmer hatte man ihn so hochnehmen dttrfen! Das ist ein ttbler Patron, der nlmmt so etwas zum Vorwand und lüBt einen hangen. Dann drehe ich ihm den Hals ab, aber was bilft das?" Er fuhr schwelfibedeckt aus den Decken hoch: „Oh ich verdammter Dummkopf! Ich bringe mich noch unter die Brückenbögen! Wie konnte ich mit einem Menschen ein Geschaft machen, dem ich nicht den Hals abdrehen kann t" Am nachsten Morgen ging Peachum zu Eastmann und mit diesem in Coaxens Kontor in der City. Tats&chlich gab das bleichsüchtige Madchen vor, dafi Coax verreist sei! Und das Kontor, in dem Peachum bisher noch nicht gewesen war, machte einen niederdrückenden Eindruck auf ihn. Das war das Bttro eines Schwindiers! Der Rest des Vormittags war furchtbar für Peachum. Er war in das Geschaft eingestiegen, weil die Regierung betrogen werden sollte. Das hatte ihm ein blindes Vertrauen eingeflöfit. Geschafte dieser Art waren für gewöhnlich sicher. Andere Leute zu betrügen, das konnte wirklich die ehrliche Absicht eines Geschaftsmannes sein. Nur war die Welt èben immer noch schlechter, als man es sich denken konnte. In der Schlechtigkeit gab es ja überhaupt keine Grenze. Das war Peachums tiefste Überzeugung, eigentlich seine einzige. Aber nach dem Essen kam Eastman mit dem Bescheid, es sei alles in bester Ordnung, Coax sei schon wieder zurück oder gar nicht weggewesen, nachmittags wolle er mit seinem Freund aus dem Marineamt die Schiffe beslchtigen, die Herren sollten in einem Restaurant auf ihn warten. Die Schiffe besichtigten! Das war eine neue Hiobsbotschaft. Die sieben Manner, die im Restaurant warteten, sahen nicht anders aus, als müfiten sie sich auf dem „Optimisten" einschiffen. Und um halb sechs Uhr kam Coax mit einer neuen, geradezu flammenden Krawatte, so unsolide und hochstaplerisch wie nur möglich aussehend, in die Gaststube und holte aus der Brusttasche einen unterschriebenen und gestempelten Vertrag mit dem Marineamt und einen Scheck auf 51 5000 (fünftausend) Pfund, zahlbar sofort an die „Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen m.b.H." Der Staatssekretar hatte keine Zeit gehabt zur Besichtigung. „Bei dem Vertrauensverhaltnis, in dem wir stehen, spielen derglelchen Formalitaten gar keine Rolle," auBerte Goax leichthln. „Ich habe übrigens für Sie 2000 Pfund ausgelegt. Ich habe sie Hale für seinen Witwen- und Waisenfond mittlerer Beamter zur Verfügung gestellt. Er tand tausend genug, aber ich dachte, eine gut geölte Maschine l&uft besser." Er zelgte blendende Laune. Er war an diesem Tage wieder in southampton gewesen und hatte sich eine Option auf die dortigen Frachtschiffe ausstellen lassen. Es ging alles wie am Schnttrchen. Herr Coax hatte vor, den Gentlemen von der „Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen" eine moralische Lehre zu erteilen. Die Southamptoner Schiffe sah er mit vollen, geblahten Segeln auf sich zuschwimmen. Die Abwicklung, erklftrte Herr Coax den Herren, seiso gedacht: die Schiffe sollten so bald wie möglich offiziell an die Regierung ttbergeben werden; der Umbau konnte nach dieser Übergabe weitergehen. Die Restzahlung der Regierung sollte aber erst nach absoluter Fertigstellung fftllig sein. Man war gern einverstanden. Es wurde beschlossen, sofort zur Instandsetzung der Schiffe „Schone Anna", „Junger Schiffersmann" und „Optimist" zu schrelten. Eine kleine Überholung, Anstrich und so weiter, war unumganglich. „SchlieBlich mussen die Dinger fttr eine Reise von einigen tausend Seemeilen halten," sagte Coax ernst. Die Sache wurde Eastman ttbergeben. Sie soUte ein paar 52 hundert Pfund kosten, oder auch ein paar tausend. Man war, wie es sich herausstellte, allgemein etwas besorgt gewesen und darum jetzt zu einer gewissen GroBzügigkeit geneigt, sogar Peachum. Soweit stand alles gut, so gut, dafi Peachum erstaunt war, als der Schafzüchter ihn einige Tage spater aufsuchte und ihm gestand, er könne die Sache nicht mehr durchhalten, da er alles nur irgend auftreibbare Geld für Heereslieferungen benötige. Peachum nahm ihm nach langem Feilschen seinen Anteil ab, sodafi er also jetzt mit zwei Siebentel aller Anteile im Geschaft stand. Das war ein unvermuteter Glücksfall. Aber dann kamen beunruhlgende Meldungen aus dem Marineamt. Der Überbringer war wieder Eastman, der Goax in einem Restaurant gesprochen hatte. Danach sollten dem Staatssekretar nachtraglich doch noch Schwierigkeiten wegen des Vertrags erwachsen sein. Von gewisser Seite sei ihm nahegelegt worden, eine Ingenleurkommission mit der Begutachtung der gekauften Schiffe zu beauftragen. Der Staatssekretar habe bisher diesem Ansuchen Widerstand entgegengesetzt, wolle aber jetzt die Objekte wenigstens selber in Augenschein nehmen. Es kam alles darauf an, daB dies erst geschah, wenn die Instandsetzung weit genug gediehen war. Diese Nachricht war der Grund, dafi Peachum vor dem Picknick mit allen Zeichen körperlicher Hinfalligkeit nach Hause kam, um sich mit einem Warmekissen und Kamillentee zu Bett zu legen. Eine Woche verging mit atemraubenden Verhandlungen. Sie waren sehr erschwert dadurch, dafi Goax keine Adresse angab. Gefragt danach, gab er an, er sei gerade im Umzug begriffen. 53 Samtliche Mitglieder der Gesellschaft jagten ln einem fort zwischen ihren Behausungen und den Docks hin und her. Die Renovierungsarbeiten gingen nur langsam vonstatten. Im Bauch der „Schonen Anna" wurden Entdeckungen gemacht, die den Zimmerleuten die Haare zu Berge stenen liefien. Und der „Junge Schlffersmann'' enthttllte ein Inneres, das schaudern machte. Der Zustand des „Optimisten" war so, dafi die Ingenleure überhaupt noch zu keinem Entschlufi gekommen waren, ob man ohne Gefahr fttr die Arbeiter eine Leiter an die Wande legen könnte. Dazu kamen die Reedereien und Geruchte in der Gegend der Docks! Die Schiffszimmerleute machten kein Hehl aus ihren Entdeckungen, wenn sie beim Essen safien; Hlnweise Eastmans darauf, dafi sie sich des Landesverrats schuldig machten, losten nur Gelachter aus. Die Zimmerleute waren alle durch und durch sozialistisch verseucht. Es war schon klar, dafi die Reparaturen sich auf gut fttnf bis sechs Tausend Pfund stellen wurden. Wahrend dieser Woche bekam Peachum Goax bei Eastman zu Gesicht. Er lud ihn ein zu einem Abendessen im hauslichen Kreise. Es kam jetzt alles mehr denn je auf Coax an. Coax trug übrigens eine im ganzen zuversichtliche Miene zur Schau. Bei diesem Abendessen, dem auch Eastman beiwohnte, lernte Coax Polly kennen. Der Pfirsich machte Eindruck auf ihn. Er war ein Unterrocksjager schlimmster Sorte und zwar einer von denen, die sich das selber ttbelnehmen. Peachum hatte nach und nach allerhand ttber seine Af fairen gehort, die sich alle in den niedersten Kreisen abspielten und immer dicht an gerichtlichen Ermittlungen vorbeiwitschten. Auch das hatte Peachum, wenn er es rechtzeitig erfahren hatte, davon abgehalten, mit Coax in ein Geschaft 54 einzusteigen. Geschaftsleute, die den Kopf nicht nur beim Geschaft hatten, waren verloren. Immerhin konnte man nun nach Lage der Dinge Coax nur gewahren lassen. Polly zeigt sich von der besten Seite. Sie unterhielt Coax wie eine Dame. Nach dem Kaffee setzte sie sich sogar ans Piano und sang mit ihrer httbschen, ein wenig blechernen Stimme ein patriotisches Lied. Im AnschluB an das Abendessen wollte Coax nicht nach Hause gehen und bewog Eastman und sogar Peachum, mit Ihm noch elpen Bummel durch ein paar Lokale zu machen. Er setzte den grauen Velourhut schiet auf und auf seinen hageren, grauen Wangen stand eine ungesunde Röte. Herr Peachum ging neben ihm her wie zu einem Begrabnis. Er ware lieber noch einmal auf die Docks gegangen, wo jetzt unter erheblichen Mehrkosten auch nachts gearbeitet wurde. In den Nachtlokalen benahm sich Coax wie ein Wüstling und nicht wie ein Geschaftsmann. Er bezahlte auch alles. Am nachsten Tage brachte er die Nachricht, Hale vom Marineamt habe die Schiffe „Schone Anna", „Junger Schiffersmann" und "Optimist" nun offiziell abgenommen und zwar ohne vorherige Besichtigung gegen eine Zahlung der TSV von 3000 Pfund. m Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich Den Menschen peinlgt, auszieht, anf allt, abwürgt und friBt! Nur dadurch lebt der Mensch, daB er so gründlich Vergessen kann, daB er ein Mensch doch Ist. Ihr Hérren, bildet euch nur da nichts ein: Der Mensch lebt nur von Missetat alleint ( Dreigroschenfinale) Die B.-Laden Es gab eine ganze Anzahl von Laden gleicher Auf machung in London, wo die Waren billiger als anderswo waren. Sie hiefien B.-L&den. Das sollte Billigkeitsl&den heiBen; einige Leute, vornehmlich Ladenbesitzer, lasen es jedoch als Betrugsladen. Man konnte von Rasierklingen bis zu Wohnungseiniichtungsgegenstanden alles ungewöhnlich billig bekommen und im groBen und ganzen war die Geschaftsführung reell. Die armere Bevölkerung kaufte gern in diesen Laden, aber die Besitzer anderer Laden und die kleinen Handwerker waren über sie sehr aufgebracht. Diese Laden gehörten Herrn Macheath. Er hatte noch einige andere Namen. Als Besitzer der B.-L&den nannte er sich ausschlieBend Macheath. Anfangs waren es nur wenige Filialen, zwei oder drei in der Gegend der Waterloobrücke, ein halbes Dutzend weiter östlich. Sie gingen sehr gut, da sie wirklich konkurrenzlos billig waren. So billige Waren sind nicht so leicht aufzu- treiben und Herr Macheath muBte erst schwierige und gefahrvolle Organisationsarbeit leisten, bevor er daran denken konnte, sich zu vergröBern. Diese Arbeit mufite auBerdem sehr diskret geleistet werden. Niemand wuBte, woher Herr Macheath seine Laden versorgte und wie er so billige Waren auftrieb. Leuten, die sich darttber den Kopf zerbrachen, konnte er leicht nachweisen, dafi in London und auch anderwarts standig kleine Laden bankerott gingen, die gute Waren zu ortsüblichen Preisen erstanden hatten und am Tage ihres Untergangs froh waren, wenn sie ihnen zu irgend einem Preise abgenommen wurden. „Do* Leben Ut hort," sagte Herr Macheath dann, „wir dürfen nicht weien sein." Er hatte eine Vorliebe fttr grofie Worte. Aber er hatte nicht fttr alle seine Waren gleich gute Belege. Auch reichen solche Gelegenheitskaufe schwerlich ganz aus, nahezu ein Dutzend Laden standig und mit so erstaunlich billigen Gegenst&nden zu f tillen. Im Geschaftsviertel gab es auch noch einen anderen Laden, der nicht nach dem B.- System eingerichtet war; dort konnte man Antiquitaten, Schmucksachen oder Bttcher mit Antiquitatswert zu höheren Preisen kaufen, wenn auch Immer noch preiswert und von diesem Laden hleB es, er gehore ebenfalls Herrn Macheath und aus seinem Reingewinn finanziere er die B.-Laden. Das war allerdings wenig wahrscheinlich und dann blieb Immer noch die Frage, wie er d i e s e n Laden mit Waren versah. Im Sommer 19... geriet denn auch Herr Macheath zur Genugtuung der anderen Ladeninhaber in ernstliche Schwierigkeiten und muBte eine Bank, die National Depo8 i t Bank, um ihre Hilfe angehen. Eine Prttfung durch die Bank ergab jedoch, dafi die Firma Macheath gesund war. Gesund war besonders das System, nach dem die einzelnen Laden alle auf eigenen Beinen standen und nur bedingt Elgentum des Herrn Macheath genannt werden konnten. Macheath hatte erkannt, daB es vielen kleinen Leuten hauptsachlich um die Selbstfindigk e i t zu tun war. Sie hatten eine Abneigung dagegen, ihre Arbeitskraft in Bausch und Bogen zu vennieten wie gewöhnliche Arbeiter oder Angestellte, sondern wollten auf eigene Tüchtigkeit gestellt sein. Sie wollten keine 5de Gleichmacherei. Sie waren bereit, mehr zu arbeiten als andere, wollten dafür aber auch mehr verdienen können. AuBerdem wünschten sie, daB niemand das Recht haben sollte, ihnen Befehle zu erteilen oder sie dumm anzureden. Herr Macheath hatte in einigen Zeitungsinterviews sich über diese seine entscheidende Entdeckung des menschllchen Selbstandigkeitstriebes geaufiert. Er nannte diesen Trieb einen Urtrieb der menschllchen Natur, gab jedoch der Vermutung Ausdruck, dafi besonders der moderne Mensch, der Mensch des technischen Zeitalters, begeistert von dem allgemeinen, beispiellosen Triumph der Menschheitüber die Natur, in einer Art sportlichen Geistes sich und andern seine überragende Tüchtigkeit zubeweisen wünsche. Diesen Ehrgeiz hielt Herr Macheath fttr hochgradig sittlich, da er ln Form der alles verbilligenden Konkurrenz allen Menschen gleichermafien zugute komme. An dem Konkurrenzkampf der GroBen wünsche der Kleine nunmehr teilzunehmen. Es kam also fttr die Geschaftswelt darauf an, sich diesem Zuge der Zeit zu fttgen und ihn sich nutzbar zu machen. Nicht gegen die menschliche Natur mttssen wir handeln, riet Herr Macheath in seinen Aufsehen erregenden Artikeln aus, sondern mit ihr. Die B.-Laden waren Ihrer Organisafdon nach eine Frucht dieser Erkenntnis. Anstatt Angestellten, bloBen Verkftufern, stand die Firma Macheath in ihren Verkaufsorganisationen selbstandigen Ladenbesitzern gegenüber. Diesen — sorgfaltig ausgewahlten — Geschaftsleuten hatte die Firma zunachst ermöglicht, einen B.-Laden aufzumachen. Sie hatte ihnen die Laden eingerichtet und einen Kredit für die Waren eingeraumt. AUwöchentlich bekamen sie einen Posten Waren geliefert, den sie abzusetzen hatten. Sie konnten vollstandig frei schalten und walten. Solange sie ihre Zinsen und die Waren bezahlten, hatte ihnen niemand in ihre Buchftthrung drein zu reden. Sie waren nur verpflichtet, den Verkaufspreis niedrig zu halten. Das System sollte ganz undgardemkleinen Mann zugutekommen. Meistens verzichteten die Ladeninhaber auf das Engagement teurer Arbeitskrafte. Die ganze Familie war im Laden beschaftigt. Diese Leute knauserten weder mit Arbeitsstunden, noch zeigten sie Jene typische Gleichgültigkeit uninteressierter Angestellter am Gewinn - galt es doch ihrer eigenen Sache! „Auf diese Weise» schrieb Herr Macheath in einem anderen Artikel, „wird auch der so verhangnisvollen und von allen Menschenfreunden beklagten Zerrüttung der Famil i e gesteuert. Die ganze Familie nimmt am Arbeitsprozefl teil. Da sie ein und dasselbe Interesse hat, ist sie wieder ein Herz und eine Seele. Die in mancher Hinsicht gefdhrliche Trennung von Arbeit und PHvatleben, die das Familienmitglied bei der Arbeit die Familie und in der Familie die Arbeit vergessen Idfit, verschwmdet. Auch in dieser Hinsicht sind die B.Laden vorbildlich." Es war Herrn Macheath ein Leichtes, die Bank davon zu überzeugen, daB seine Schwierigkeiten im Grande gar keine 59 Schwierigkeiten waren. Das Geld, das er brauchte, brauchte er zur VergröBerung selnes Betriebes. Trotzdem zögerte die Bank noch, da sie sich über die Person des Herrn Macheath selber nicht ganz im Klaren war. Um die Wahrheit zu sagen: es gab in der City einige üble Geruchte um diesen Herrn, die sich nie zu Anklagen verdichteten und doch berttcksichtigt werden muBten. Es handelte sich dabei weniger um die Methoden selnes Einkaufs, obgleich auch diese eine Rolle spielten. Er war zwei- oder dreimal in Skandalaffaren verwickelt worden. Jedesmal hatte er seine Unschuld ohne weiteres nachweisen können. Zu gerichtlichen Verfahren war es in keinem der Falie gekommen. Dennoch gab es immerfort Leute in der City, die weder Laden harten, noch mit Ladenbesitzern verschwistert oder verschwagert waren und die, wenn auch nicht gerade öffentlich, behaupteten, Herr Macheath sei kein Gentleman. Einige hatten start gewisser auBergerichtlicher Vergleiche lieber Prozesse gesehen, anderen waren einfach Herrn Macheath' Anwalte zu gut. Die Verhandlungen mit der National Deposit Bank zogen sich langer hin, als Macheath geglaubt hatte. Er fing schon an, zu bereuen, die Bank angegangenzu haben, denn nun muBte ein Scheitern den alten, schon erledigten Gerüchten um Ihn neue Nahrung zuftthren. Er hatte am liebsten abgebrochen. Er benutzte aus bestimmten Gründen mehrere Rechtsanwalte des Temple. Von einem solchen erfuhr er eines Tages, daB zu den geachtetsten Kunden der National Deposit Bank ein Herr Jonathan Jeremiah Peachum gehore, der eine unverheiratete Tochter habe. Es gelang Macheath, deren Bekanntschaft zu machen. Als sich ihm Aussichten eröffneten, widmete er sich ganz seiner Bewerbung um Polly Peachum, soviel Zeit und Nerven sie auch kostete. DaB er den beiden Damen gegenüber als Jimmy Beckett aufgetreten war, hatte seinen Grund nur in seiner Vorsichtigkeit. Er vergewisserte sich noch einmal über den Stand des Peachumschen Geschaftes. Es war eine weitverzweigte Organisation von Bettlern, und die Methoden schienen schlau ausgedacht und sorgfaltig durchprobiert. Ein Mann, der Peachum kannte, erzahlte, warum die Peachumschen Bettler zum Beispiel nicht einfach Bilder ausstellten, die sie mitbrachten, sondern ihre Landschaften oder Portraits beliebter Persönlichkeiten mit bunten Kreiden auf die Trottoirs malten. Bei mitgebrachten Kunstwerken wuBte das Publikum niemals, ob man in dem Bettler selber den Künstler vor sich hatte; auBerdem waren die Trottoirbilder verganglich, die Schritte der Passanten beschadigten sie, der Regen wischte sie weg und es regnete ja jeden Tag! Jeden Tag muBten die Bilder neu gemalt werden, man muBte sie heute bezahlen! Solche Praktiken zeugten von groBer Menschenkenntnis. Das Bettlergeschaft muBte, so geführt grofie Einnahmen bringen. Mltte Juni beschlofi Macheath, sich über einige Bedenken untergeordneter Natur hinwegzusetzen und seine Bewerbung zu forcieren. Er muBte völlig solide an die Verehelichung herangehen und seine bürgerllche Existenz nachweisen. Er fragte bei Frau Peachum brieflich an, wann sie ihn empfangen könne. Er hatte ihre Nervositat bei seinem er sten Besuch richtig gedeutet. Sie bestelite Ihn in den Tintenfisch, „um sich mit ihm auszusprechen". Die Andeutungen, die sie dort über die Unberechenbarkeit der modernen Jugend machte, fielen Herrn Macheath, alias Beckett, sehr auf die Nerven. „Die jungen Leute heutzutage," beschwerte sich Frau Pea- chum, den Schaum ihr es Porters von den Lippen wischend, „wissen überhaupt nicht, was sie wollen. Sie sind wie Kinder. Ich kenne meine Polly doch wirklich wie meinen Nahbeutel, aber wo ihr Herz steht, davon habe ich keine Ahnung. Vielleicht ist sie einfach noch zu jung. Sie hat ja gar keine Erfahrung mit Herren. Sie kermt vielleicht gerade den Unterschied zwischen einem Mannchen und einem Weibchen bei den Hunden, weil sie mit Hunden in Berührung kommt, und den wird sie nicht so ganz genau kennen. An solche Sachen denkt sie überhaupt nicht. Sie müssen bedenken, dafi sie nie anders als lm Hemd gebadet hat! Wenn da so ein junger Schnösel ein wenig mit dem Spazierstöckchen wirbelt, meint sie womöglich Wunder was sie für ihn fühlt. Sie sind ja so romantisch! Was das Madchen Romane verschlingt, davon machen Sie sich keine Vorstellung! Jetzt heifit es Herr Smiles hinten und Herr Smiles vorn. Dabei weifi ich buchstablich, dafi sie an Ihnen hangt. Eine Mutter weifi das. Ach, Herr Beckett!" Und sie sah ihm tiet in die Augen, nachdem sie festgestellt hatte, dafi ln ihrem Bierkrug nichts mehr war und der Wirtsgarten sonst keine Gaste hatte. Als ihr Herr Beckett in aller Form mitteilte, dafi er nicht Beckett, sondern Macheath heifie, der Besitzer der bekannten B.-Laden sei und durchaus ehrbare Absichten habe, nahm sie davon anscheinend gar keine besondere Notiz, als habe sie von ihm allerhand erwartet und streifte ihn nur mit einem abwesend nachdenklichen Bliek, der eher ausweichend war. „Ach ja," seufzte sie zerstreut, „dafi nur umgotteswillen mein Mann nichts erfahrt; der hat ja wieder seine eigenen Absichten mit dem Madchen. Das können Si» sich ja denken. Er sagt immer: alles fürs Kind, und das meint er auch. Vor- gestern brlngt er plötzlich einen Herrn Coax angeschleppt. Er soll sehr gut situlert sein. Kennen Sie Herrn Coax?" Macheath kannte Herrn Coax. Er war eine Nummer in der City. Persönlich hatte Macheath nichts sehr Günstiges über Herrn Coax gehort. Er war ein schlimmer Unter rocksj ager. Was immer Macheath, dem der Kopf ja von geschattlichen Ungelegenheiten voll war, an Absichten materielier Art haben mochte, bei der Nennung des Namen Coax ging ihm ein Stich durchs Herz. Er war bei dem Pfirsich noch mehr engagiert, als er sich selber zugestand. „Was kann man da machen?" fragte er heiser. „Ja, das möchte ich auch wissen," sagte Frau Peachum in Gedanken und musterte ihn mit einem so kühlen Bliek, dafi ihm kalt wurde. „Die jungen Madchen von heutzutage sind recht unberechenbar. Sie haben den Kopf voUer romantischer Ideen." Dann aber legte sie ihre kleine, fette Hand auf die seine und riet den Kellner, um zu zahlen. Auf dem kurzen Weg zwischen den Eisentischen hindurch erfuhr Herr Macheath nur noch, dafi jedenfalls alles strengstens diskret, ohne Wissen Peachums vor sich gehen müfite. Noch am gleichen Abend traf er den Pfirsich selber und bekam die Erlaubnis, ein Stück mitzugehen. Merkwürdlgerweise ging sie die Old OakstraBe nach den Anlagen von Meath Gardens hinunter, obwohl sie eigentlich Haushaltungskursus hatte. Macheath dachte schon, sie hatte dort ein Rendezvous und würde ihn abschütteln, wenn sie dort waren. Sie sah ein paar Mal um sich die Wege hinunter, traf aber keine Anstalten, ihn zu verabschieden, sondern setzte sich sogar mit ihm auf eine Bank in den Büschen. Sie sah sehr httbsch aus in ihrem leichten Kleid und vollkommen ruhig. Übrigens war sie keineswegs ein Püppchen, sondern ein grofies, gut gebautes Madchen. Sie war eine ganze, keine halbe Portion. Von Smiles und Coax wollte sie nicht reden. „Dazu ist der Abend zu hübsch," sagte sie. DaB er von Herrn Coax wuBte, schien sie zu belustigen; sie lachte. Als sie wieder den Weg zurückglngen, hatte er nichts erfahren, aber es war allerhand vorgefallen. Trotzdem war er nicht glücklich, denn sie hatte die Hauptsache nicht gestattet und unter dem Kleid tast nichts angehabt. Das war Herrn Macheath keineswegs recht und auch der Urnstand, daB sie so ohne weiteres den Haushaltungskursus schwanzte, erzeugte in ihm finstere Gedanken. Man prttfte also dortüberhaupt nicht die Anwesenheit der Schülerlnnen! Er wufite ebenso wie damals auf der Heimfahrt vom Picknick nicht recht, ob er wirklich einen Schritt vorwftrts gekommen war und das peinlgte ihn ungemein. So etwas mufi te doch etwas fttr sie bedeuten! An ihrer Unschuld konnte er nicht zweifeln. Auch Herr Peachum betrachtete an diesem Abend seine Tochter mit prttfendem Bliek. Die Angelegenheiten der „Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen" standen nachgerade verzweifelt. Am Tag zuvor war die Bombe geplatzt. Die Bombe Peachum hatte im Hof Arger mit Fewkoombey gehabt. Der Soldat hatte im Anfang, froh, eine Unterkunft zu haben, seine Pflichten pünktlich erfüllt und die Blindenhunde auf dem richtigen Stand gehalten. Ihre Ftttterung war nicht ganz einfach; sie muBten so elend wie möglich aussehen, waren also immer am Rand des Krepierens zu halten. Ein Blinder mit einem fetten Hund hatte sehr wenig Aussicht auf wirkliches Mltleid. Das Publikum handelt natürlich ganz instinktiv. Kaum einer sieht nach solch einem Hund; wenn er aber zufallig wohlgenahrt ist, warnt irgend eine innere Stimme den Geber davor, sein Geld zum Fenster hinauszuschmeiBen. Man muB wissen, dafi diese Leute im Unterbewufitsein immer einen Grand suchen, ihr Geld behalten zu können. Ein guter Hund mufite sich vor Schwache kaum auf den Beinen halten können. Die Hunde wurden daher standig auf ihr Gewicht kontrolliert. Wenn sie ihr Gewicht nicht hielten, war Fewkoombey schuld. Peachum war mitten in der Untersuchung und wollte eben fes tortellen, ob der Einbeinige so weit gegangen war, bei der Eintragung der Gewichte in die Kladde Falschungen vorzunehmen, nur um sein eigenes Brot nicht zu verlieren, als der Restaurateur vorsprach. Er brachte die Nachricht, Coax sei plötzlich an Bord der „Schönen Anna" erschienen und tobe. Die beiden Herren gingen sogleich zu den Docks. Tatsachlich stand hier Coax zwischen Leitern und Anstreichern. Bei ihm stand bleich Eastman, mit starrem Bliek auf die riesigen, dunklen Wande des Schiffslnnern glotzend. Er wagte es Dreigroschenroman 5 anscheinend nicht, den frlsch Ankommenden ins Auge zu sehen. Der kalte Bliek, mit dem Coax ihn empfing, ging Peachum durch und durch. „Ist das etwa eines der Schiffe, die Sie der Brltischen Regierung verkauft haben?" Peachum sah mit einem Male um Jahre gealtert aus. Er kam sich nicht etwa aus den Wolken getallen vor. Irgendwie hatte er immer geahnt, daB etwas in dem Unternehmen nicht ganz stimmte. Was Coax betraf, hatte er sich keinen IUusionen hingegeben. Allerdings hatte er nicht gleich so etwas erwartet. Coax tand die „Schöne Anna" nicht in Ordnung ! Peachum ftthlte, daB es gar keinen Sinn hatte, hier lange Reden zu halten. Etwa darttber, daB schliefllich Herr Coax es gewesen war, der ihnen die Schiffe empfohlen hatte. Peachum wuBte, ohne langes Herumreden, daB ihm Coax einfach sagen würde, er, Coax, habe die Schiffe ja nie zu Gesicht bekommen. Alle andern aber hatten sie besichtigt, sogar vor Zeugen! Eine dunkle Ahnung ging in ihm auf, in welcher Richtung sich das Coaxsche Geschaft (er hatte immer ein Separatgeschaft vermutet) bewegte. Nicht gegen den Staat, auf die „Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen" zu bewegte sich dieses Geschaft Coaxens wie eine grauenvolle Dampfwalze! Die Einzelheiten waren natürlich noch nicht zu überblicken. Herr Coax hielt es noch nicht an der Zeit, seine Karten aufzulegen. Es gab nicht einmal einen Wortwechsel. Herr Coax drehte sich auf dem Absatz um und ging schweigend mit Hef verachtungsvoUem Bliek weg. Sein Anzug, von hinten gesehen, sah mehr denn je nach der Stange gekauf t aus. Peachum hatte auch gar kein Bedürfnis, sich mit seinen Leidensgenossen über das, was jetzt kommen wttrde, zu unterhalten. Er hörte noch undeutlich, wie Eastman davon sprach, man müsse schleunigst den Fabrikanten in Südwales und den Schafzttchter brieflich herbeirufen. Den Schafzüchter! Ohne ein weiteres Wort ging auch Peachum weg. Am Abend hatte er hohes Fieber und legte sich mit einem Wickel zu Bett. Diese Nacht stand er nicht auf. Mochte das Licht brennen I Die Gasrechnung wttrde nie mehr bezahlt werden! Am nachsten Vormittag ging er wie ein Schwerkranker zu den Docks hinunter. Er fand keinen Ar beiter mehr vor. Die Arbeiten an der „Schonen Anna" waren abgebrochen worden, wohl auf Anordnung Eastmans. Daraus war zu erkennen, wie dieser die Sachlage beurteilte. Als er,mittags heimkehrend (nicht um zu essen!),hörte,zwei Herren hatten sich nach ihm erkundlgt, vermutete er schon, die Kriminalpolizei fahnde nach ihm. Die Gesellschaft hatte immerhin die erste Rate der Regierung angenommen. Es waren aber nur Eastman und der herbeigeeilte Fabrikant gewesen, wie sich bei naherer Befragung heraussteUte. Peachum war froh, daB sie ihn nicht angetroffen hatten. In das Kontor Coaxens zu gehen, hatte keinen Sinn. Das bleichsüchtige Madchen war stumm wie ein Fisch, was die Adresse des Makiers betraf. Da begegnete Peachum, nachmittags von einem vergeblichen Versuch, Eastman doch noch zu sprechen, zurückkehrend, Herrn Coax in Gesellschaft seiner Tochter in der Old OakstraBe. Coax hatte Polly unterwegs getroffen und war mit ihr gegangen, obwohl sie ihn nicht sonderüch ermutigte. Er hatte ihr irgendetwas von Interessanten Bildern erz&hlt, die er ihr gern gezeigt hatte. Sie hatte es nicht richtig verstanden. Er war ihr nicht sympathisch. Als Peachum hinzutrat, tat Coax, als habe es zwischen ihm und Peachum nie die leiseste Enttremdnng gegeben. Er reichte ihm die behandschuhte Hand, klopfte ihn mit der anderen kameradschafülch auf die Schutter und verabschledete sich schnell. Wahrend des Abendessens ging Herrn Peachum ein Mtthlrad im Kopf herum. Nach dem Abendessen schickte er seine maulende Frau hinaus und verhörte den Pfirsich. Er tat sich gar keinen Zwang an und erfuhr, dafi Herr Coax seiner Tochter gesagt hatte, was er den Geschaftsfreunden verschwieg, seine Adresse. Er htttete sich wohl, danach zu fragen, wozu. Er ging in das dunkle, kleine Kontor und schaute einige Zeit geistesabwesend durch das blinde Schaufenster. Dann kehrte er, nachdem er hastig einen Brief geschrieben hatte, in das Wohnzimmer zurück und gab Polly den Auftrag, sofort den Brief bei Herrn Coax abzugeben. PoUy war sehr erstaunt. Es war schon einhalb zehn Uhr. Sie setzte aber den Hut auf und ging zu Herrn Coax. Herr Coax war zu Hause. Als ihm ein junges Madchen gemeldet wurde, das in einem der zahlrelchen Zimmer mit einem Brief ihres Vaters auf Antwort warte, legte er verlegen die Serviette auf den Tisch und ging schnell hinaus. Er wohnte mit seiner Schwester zusammen, einer sehr heftigen, kleinen Person, die ihren Bruder bei weitem nicht so schatzte, wie er das gewünscht hatte und die aus ihren Vermutungen über seine moralischen Qualit&ten auch gar kein Hehl zu machen pflegte. Sie hatte viel mit ihm auszustehen. 68 Er verfügte über grofie kommerzielle Fahigkeiten und auch seine Prinzipien, sauberes Privatleben betreffend, waren durchaus die in seinen Kreisen übliche. Nach seiner, ttbrigens von vielen geteilten, Ansicht bestand zwischen geschaftlichem und privatem Leben ein ungeheurer Unterschied. Im Geschaftsleben hatte man geradezu die Pflicht, Jede Gewinnchance rücksichtslos auszunützen, genau so wie man kein Stück Brot wegwerfen durf te, weil es eine Gottesgabe ist; lm Privatleben hatte man nicht das Recht, jemanden zu nahe zu treten. Soweit waren seine Ansichten streng korrekt. Leider besaB er nicht immer die Kraft, seinen Prinzipien entsprechend zu leben. Zwischen seinen Ansichten über die Pflichten eines Gentleman dem weiblichen Geschlecht gegenüber und denen seiner Schwester bestand nicht der geringste Unterschied; genau wie seine Schwester, im Grund mit den gleichen Worten, verurteilte er selber seine, leider standigen, Verfehlungen auf diesem Geblete. Er pflegte oft nachdenklich zu sagen; „Ich bin nicht Herr über mich selbst." Es war sozusagen so, dafi weder seine Schwester noch er selber sich auch nur einen Augenblick allein lassen konnte. Dabei irrten seine Wünsche auch noch, gesellschaftlich betrachtet, der Tiefe zu. Die allergemeinsten Weiber zogen ihn am heftigsten an. Aber auch Dienstmadchen konnte er nicht widerstehen. Mit seinen Anzügen war es genau so. Sein Geschmack war furchtbar. Seine Kleidung erregte seiner Schwester körperliche Übelkeit. Er konnte sie ebenso wenig lassen wie das Dienstpersonal. Seine Schwester beschenkte ihn zu allen nur denkbaren Festen mit geschmackvollen Krawatten. Er zog sie auch an. Auf dem Flur dann steckte er sich, wie von einem Damon getrieben, noch eine andere in die Brusttasche. Auf der Treppe hing sie ihm rot und frech um den Hals. Dies waren krankhafte Erscheinungen bei ihm. Er selber schob sie auf ein Darmleiden. Es waren Anfalle unbeherrschbarer Sinnlichkeit, die von Verstopfung herrtthrten. Seine Schwester stand ihm in seinem tragischen Kampf gegen sich selber nach Kratten bei. Manchmal j edoch vergafi er sich soweit, daB er, einmal auf seiner „Tour", ihre Hilfe wie eine Einmischung zu empflnden schien und sie heftig ablehnte. Seine Schwester konnte daher, als ein Fraulein Peachum gemeldet wurde, nicht sehr viel mehr tun, als sich neben dem Zimmer, in dem die Begegnung stattfand, zu schaffen zu machen und möglichst laut zu husten. An diesem Abend stand es mit Coax gerade sehr schlimm. Seine Leidenschaften hatten ihm schon den ganzen Tag zu schaffen gemacht. Es blieb ihm in diesem Zustand nichts ttbrig, als dem Pfirsich seine Fotografiensammlung zu zeigen, die aus allerhand Nudltaten bestand. Er tat es unter dem Vorwand, es sei eine frische Sendung, die eben eingelaufen sei. Der Pfirsich sah kaum hin und bekam einen feuerroten Kopf. Es waren entsetzliche Schweinereien. Coax las inzwischen den Brief, der nur eine Bitte um ein Gesprach unter vier Augen enthielt. Auf dem Schreibtisch, der mit einer Glasplatte bedeckt war, lag eine grofie, goldene Brosche. Sie stammte von Coaxens verstorbener Mutter. Es war viel Gold daran; die Hauptsache bildeten drei grofie, hellblaue Steine von geringem Wert. Im groBen und ganzen schien Coax seinen Geschmack von seiner Mutter geerbt zu haben. Als er mit dem Brief zu Ende war oder viellelcht auch nur den Eindruck hatte, die Peachum habe genug von den Fotos gesehen, langte er nach der Brosche und hielt sie ihr hin mit der Frage, wie sie ihr gefalle. „Ganz gut," sagte sie mit etwas erstickter Stimme. „Die können Sie sich mal holen," sagte Coax und sah in die Ecke des Zimmers. Sie antwortete natürlich nicht. Sie saB wieder ganz ruhlg da und lachelte ihn sogar höflich an, als habe er einen Scherz gemacht. Er mufite sich sehr zusammennehmen. Er dachte schon daran, daB er sie heimbegleiten könne, aber seiner Schwester war es jetzt doch zu still nebenan geworden; sie kam herein und fing ein Gesprach mit Polly an. Coax hatte einige Sorgen wegen der Fotograflen, die vor ihr auf dem Tischchen lagen, aber die drehte sie wie in Gedanken um beim Sprechen. Sie verstand sehr gut, mit Herren umzugehen, und auf Herrn Coax machte dieser kleine Zug einen ausgezeichneten Eindruck. Polly konnte gleich darauf weggehen und ihrem Vater mitteilen, Herr Coax werde am nachsten Tage vorsprechen. Sie hatte fttr diesen Herrn nichts übrig. Sie vergaB aber die Brosche nicht, die ihr einen tiefen Eindruck gemacht hatte. Sie erzahlte am nachsten Morgen, als sie ihm sein Glas Milch brachte, dem Einbeinigen George, sie habe eine groBe Brosche von einem alteren Herrn verehrt bekommen und werde sie ihm nachstens zeigen. Auch spaterhin noch dachte sie daran, besonders abends, vor dem Einschlafen. Coax kam tatsachlich am nachsten Vormittag. Er weigerte sich, aus dem halbdunklen Instrumentenladen in das Kontor zu treten. Er trug einen schreiend gelben Radmantel und sprach sehr ernst, mit leiser Stimme. Er gab zu, er habe beim Anblick des Transportschiffes „Schone Anna" die Nerven verloren. Der Kasten sei ganz unmöglich. Es sei richtig, dafi er selber die Firma Brookley & Brookley erwahnt habe, nur sei das doch ohne jedeKenntnis ihrer Boote geschehen. Seinem Freund, dem Staatssekretar, könne er diese schwimmenden Sarge nicht einmal zeigen. Das Schlimmste scheine ihm, dafi die erste Rate schon bezahlt sei und die Admiralitat mit den Schiften rechne. Der Gesellschaft, der er ja, er müsse jetzt sagen, Gottseidank, nicht angehöre, könne geradezu der Vorwurf des Betruges gemacht werden, da die Besichtigung der Schiffe durch sie bekannt geworden sei, ebenso das ablehnende Gutachten eines Fachmannes namens Bile. Goax deutete an, er könne sich eine Salvierung nur in der Richtung vorstellen, dafi man sofort zum Ankauf anderer, wirklich anstandiger Schiffe schreite. Die Entfernung der Namen „Schone Anna", „Junger Schlffersmann" und „Optimist" und ihre Ersetzung durch andere könne er allenfalls auf sich nehmen. Jedenfalls dürfe sein Freund diese Schiffe niemals gekauft haben. Peachum sah heute weniger hinfallig aus als gestern. Er wufite natürllch, dafi er für diesen Mann kein ebenbürtiger Gegner sein könnte. Das Gebiet, auf dem er grofi, ja furchtbar war, war ein anderes. Er hatte es verlassen. Erfafit von der patriotischen Welle, die durch das Land flutete, hatte es etwas Neues begonnen. Jetzt war er harmlos wie ein Krokodil auf dem Trafalgarplatz. Dennoch gab ihm die nunmehrige Gewifiheit, es lediglich mit der menschlichen Gemeinheit zu tun zu haben, merkwürdigerweise eine Art Sicherheit und Hoffnung zurück. Er befand sich jedenfalls wieder unter Menschen. Er betrachtete den schwatzenden Goax ruhig, tast kalt. Dann erwahnte er nur, seines Wissens gabe es überhaupt keine anderen Schiffe. Doch, sagte Coax langsam, in Southampton zum Beispiel sei eines. Peachum nlckte. „Was kostet es, wenn Sie mich herauslassen?" f rag te er trocken. Coax schien ihn nicht zu verstehen und Peachum wiederholte seine Frage nicht mehr. Er wuBte jetzt, dafi es ein sehr grofies Unternehmen des Herrn Coax war. Nach einer kurzen Pause, in der er im Laden herumschlenderte und die verstaubten Musikinstrumente betrachte te, sagte Herr Coax noch, es sei unbedingt nötig, die Reparaturarbeiten in den Docks mit gesteigerter Energie fortzuführen. Die Besichtigung bei der offizlellen Übernahme werde wohl nur eine oberflachliche sein, es müsse also wenigstens die Oberflache halbwegs ausschauen. Unter der Tür wart er noch hln, er habe Mittwoch nachster Woche zufallig in Southampton zu tun. IV Ach, jeder Mensch war lieber gut als roh Doch die Verhaltnisse, sie sind nicht so! (Dreigroschenfinale: Über die Unsicherheit menschlicher Verhaltnisse) Ernste Besprechungen Wie nicht jeder weifi, führen Kriege aufier zu seelischem Aufschwung auch zu einer nicht unbetrachtlichen Belebung der Geschafte. Sie haben viel Unheil im Gefolge, aber die Geschaftsleute haben sich gemeinhln nicht zu beklagen. Peachum hatte gehofft, sich an den Gewinnen beteiligen zu können, als er in die Transportschiffeverwertungsgesellschaft eintrat. Eine gewisse Rolle spielte dabei, dafi seine Tochter in heiratsfahiges Alter gekommen war, sodafi Mehrverdienst erwünscht schien. Der ungünstige Verlauf seiner geschaftlichen Operation auf ihm ungewohntem Boden veranlafite Peachum zu einer Reihe sehr eraster Besprechungen mit seinem Geschaftsftthrer Beery. Wiederholt safien sie im Bttro, in das man durch die eisenbeschlagene Tür aus dem Laden trat, Peachum den unvermeidlichen Hut auf dem Kopf am Schreibtisch mit Aufbau, der an die Wand geschoben war und zwar gerade unter das hochliegende winzige Fensterchen, der vierschrötige Beery in der Ecke auf dem wackligen Eisenstuhl. Peachum legte, in schmutzigen Hemdsarmeln dasitzend, die Arme auf den Schreibtisch und sah Beery nicht an, der standig an einem Zigarrenstumpen kaute, den er wohl vor Jahren einmal aus einem Rinnstein gefischt hatte. „Beery," sagte Peachum in diesen Tagen immer wieder, „ich bin mit Ihnen nicht zufrieden. Einerseits sind Sie zu roh, andererseits wirtschaften Sie aus den Leuten nicht genug heraus. Auf der einen Seite höre ich Klagen, dafi Sie die Leute nicht höflich genug behandeln, auf der andern Seite wird nicht verdient. Die Madchen in der Schneiderei zum Beispiel behaupten, sie mttfiten Überstunden machen, dabei kommen sie nicht vom Fleck mit den Soldatenmonturen und sind zu 14 statt höchstens zu 9! Sie wissen, dafi es bei mir keine Überstunden geben dart und ebenso wenig darf es überzahliges teures Personal geben. Die Zeiten sind ernst, sehr ernst, England steht in einem schweren Kampf, das Geschaft vertragt nicht die geringste Belastung und Sie wirtschaften aus dem Vollen! Wenn der Karren umkippt, so liegt jeder, der in diesem Betrieb und durch ihn sein Brot erwirbt, auf der Strafie. Und das kann jeden Tag geschehen. Ich erwarte Vorschlage von Ihnen." „Dann sagen Sie wieder, ich schinde das Personal, wenn ich Ersparungen mache," sagte Beery verstockt. „Das tun Sie auch. Den Neuen neulich konnte man drei Hauser weit brullen hören, das geht nicht." „Wenn wir ihm ein Sofakissen vor das Maul halten, erstickt er, und das Theater dann, das Sie machen! Sie wissen doch selber, dafi sie nicht die Gebühr herausrücken, wenn wir ihnen 'ne Zigarre zustecken mit .wiegehtsimmeralterjunge?'. Und den haben wir nur wegen der andern abgerieben. Das junge Gemüse zahlt überhaupt nicht mehr regelmaBig. Wir habens ihm auch gesagt, daB es wegen der andern ist und waren dann ganz* menschlich zu ihm, gleich wie Sie draus waren." „Jedenfalls, ich verwarne Sie nicht mehr oft, Beery. Ich dulde sowas nicht. Und die Einnahmen von den „Soldaten" gehen auch zurück. Wir gehen vor die Hunde, Beery, ich muB den Laden zumachen." „Ja, die Soldaten ziehen nicht, das ist richtig, Herr Peachum. Ich habs genau nachgeprüft, das Publikum geht da nicht mit, da ist nichts zu machen. Ich hab Ihnen gesagt, wir dürfen keine Politik machen!" Peachum überlegte. Er sah starr in die Ecke des verstaubten Schreibtisches und sein Dutzendgesicht hatte alle Unbedeutenheit verloren. „Es fangt damlt an," sagte er, „daB Ihre Leute nicht im Bilde sind. Setzen Sie ein paar gutgeschriebene Artikel über Militarleben und Südafrika in den „ölzweig" und Ihre Soldaten wissen wenigstens halbwegs Bescheid!" In einem der Kellerrfiume wurde eine eigene Zeitung, der „ölzweig", gedruckt, die wöchentllch erschien und für alle Sprengel personelle Nachrichten enthielt, Trauerfalle, Hochzeiten, Kindstaufen. Dies war fttr den Hausbettel wichtig. Das Blatt brachte viele kleine Geschichten rührender Art Bibelsprüche und in jeder Nummer eine Denkaufgabe. „AuBerdem," fuhr Peachum fort, „machen wir selber lauter Dummheiten. Wir dürfen die Leute nicht hinausschicken, wenn man langere Zeit nichts von der Front hort. Das ist ganz falsch. Jetzt ist dieses Mafeking eingeschlossen und der ganze Krieg rührt sich nicht vom Fleck, das spricht nicht fttr das Milit&r. Mit vollem Recht sagt man sich, wozu vertieren sie ihre Arme und Beine, wenn sie damlt nichts erreichen! Die Unfahigkeit wird nie unterstUtzt! Und vor allem wird niemand gern an den Krieg erinnert, wenn er kein Erfolg ist. Ganz abgesehen davon, daB man sich sagt: die können ja noch froh sein, daB sie wenigstens zu Hause sind, die andern haben es schlimmer. Es war ein richtiger Gedanke, einen Teil unserer jüngeren Leute einzukleiden, aber man durfte sie nicht jederzeit auf die Strafie schicken, nicht, wenn drauBen keine Erfolge da sind. Holen Sie überhaupt mal die Leute hereint" Beery holte sie, wenigstens die, die da waren. Sie steckten in abgenutzten Uniformen und sahen mürrlsch drein. Sie verdienten nichts. Peachum musterte sie stumm. Dabei war sein Bliek abwesend und blieb an keinem Detail hangen. Langjahrige Übung hatte ihn'diesen Bliek gelehrt. „Das ist auch nichts!" sagte er plötzlich grob, wahrend Beery wie ein treuer Hund an seinen Lippen hing, denn er kannte die Unfehlbarkeit seines Herrn. „Was haben Sie denn da ausgesucht? Das sind doch keine englischen Soldaten! Das sind Bergarbeiter! Schauen Sie sich doch den da einmal an, Mensch!" Und er deutete mit einer Kopfbewegung auf einen langen, alteren Menschen mit gramlichem Aussehen. „Das ist ein Miesmacher, ein Kommunlst! .Sowas stirbt doch nicht für England! Und wenn, mit Ach und Krach und nachdem er um die Löhnung gefeilscht hat! Soldaten sind junge, nette Leute, die auch im Unglück noch frisch und gut gelaunt aussehen. Und diese greulichen Verstümmelungen! Wollen Sie sowas sehen? Da genügt doch ein Arm in der Binde. Und die Monturen müssen sauber sein. Es muB heifien: er hat nichts mehr als seine Montur, aber die halt er in Ehren! Das zieht, das versöhnt! Ich brauche Gentlemen! Einen diskreten und höflichen, aber nicht unterwürfigen Ton. SchlieBlich Ist so eine Verwundung ehrenvoll. Der dort kann angehen, die Übrigen sollen die Monturen wieder abgeben." Die „Soldaten" gingen hinaus. Weder der Lange noch ein anderer hatte mit der Wimper gezuckt, es handelte sich ums Geschaft. „Also, Beery, erstens nur nette, gut gewachsene junge Leute, bei denen es einen Sinn hat, wenn man sie ins Feld schickt und mit denen man mitfühlen kann, wenn ihnen was passiert ist. Zweitens keine grausamen Veratümmelungen. Drittens blitzblanke Monturen. Viertens diese httbschen Tommies nur, wenn in den amtlichen Bulletins irgendwelche Fortschritte des Krieges gemeldet werden — Siege oder Niederlagen, aber Fortschritte! Das bedeutet natürlich für Sie, dafi Sie Zeitungen lesen. Ich kann von meinem Personal verlangen, dafi es auf der Höhe ist und weifi, was in der Welt vorgeht. Wenn die Arbeitsstunden zu Ende sind, lauft der Dienst weiter. Sie lassen nach, Beery, ich sage es Ihnen immer wieder!" Beery ging mit hochrotem Kopf hinaus und grif f die nachsten Tage durch. In den Ateliers gab es Entlassungen und im Bttro wurde geprügelt. Aber Herr Peachum wufite, dafi an seinem Betrieb nicht mehr viel zu rationalisieren war. Er war rationalisiert. Die Verluste, die aus dem Transportschiffegeschaft drohten, waren aus dem Betrieb nicht mehr herauszuwirtschaften. Peachum versuchte, sich den Bliek ins Gedachtnis zurückzurufen, mit dem er Coax seine Tochter hatte messen sehen. 15 Pfund Fraulein Polly Peachum ging es nicht gut. Sie war gezwungen, ihre Wasche selbst ln die Küche zu bringen und mufite froh sein, dafi ihre Mutter sich wegen der zunehmenden Anfalligkeit Peachums nicht um die Wasche kümmern konnte. Sie war mehrmals zu Herrn Smiles gelaufen, um dort Rat zu holen. Aber der Jüngling war selten zu Hause. Als sie ihn doch einmal antraf, sagte er ihr: „Wir werden schon irgendetwas finden. Aber dann mussen wir uns besser ln acht nehmen. Wozu gibt es Verhütungs- mittel, wenn man sie nicht anwendet?" Dann sprach er nurmehr von Herrn Beckett und zwar in ganz verletzender Weise. Dabei ging Herrn Beckett diese Sache wirklich nichts an! Im Hause wohnte ein altes Dientsmadchen. PoUy wandte sich in ihrer Not an sie. Sie schleppten zu zweit die alte, kupferne Sitzbadewanne ln das kleine Zimmer und PoUy verbrtthte sich stundenlang, indem sie stöhnend aus groBen Kannen beinahe kochendes Wasser über ihre Lenden gofi. Auch brachte das alte Madchen Töpfe voU brauner und grüner Tees, die aUe getrunken werden mufiten. Ab und zu steckte sie den Kopf, der dem einer Henne gUch, zur Türe herein und fragte, ob es schon wirke. Es wirkte aber nicht. Der Einbeinige George hatte sich in sein Leben mit den Hunden ziemlich eingefunden. In seiner freien Zeit lag er in einem kleinen Blechschuppen lm zweiten Hof, wo er sich zwischen allerhand Werkzeugen und Abfalltonnen ein Feldbett aufgeschlagen hatte. Zu seiner Unterhaltung las er in einem alten, vergriffenen Band der Britischen Enzyklopadie, den er auf dem Abort gefunden hatte. Es war nur etwa die Halfte des Bandes und es war nicht der erste Band. Immerhin konnte man eine ganze Menge daraus erfahren, wenn es auch nicht zu einer kompletten Bildung reichte. Aber wer hat die schon? Eines Tages überraschte der Pfirsich ihn bei der Lektüre und versprach, Herrn Peachum nichts davon zu verraten. Herr Peachum war nach Ansicht des Soldaten nicht der Mann, der seine Angestellten dafttr ernahrte, daB sie sich bildeten. Einmal war der Einbeinige gerade nicht in seinem Schuppen, und Polly nahm sich das Buch ln ihr Zimmer, um daraus womöglich etwas über sich zu erfahren. Sie kannte aber nicht die betreffenden Wörter, unter denen wohl stand, was sie brauchte.und viellelcht war dieser Teil des menschllchen Wissens auch in einem andern Band enthalten. Sie tand jedenfalls nichts. George war sehr entsetzt, als er sein Buch nicht mehr vorfand. Er lag mehrere Tage trübsinnig auf dem Bett und war sogar zu den Hunden unfreundlich. Es war ein schwerer Fehler des Pftrsichs, daB sie das Buch nicht mehr an seinen Platz zurückbrachte, nachdem sie damlt fertig war. Wenn die Leute den geringsten Kummer haben, werden sie noch gleichgültiger gegen andere als sie es fttr gewöhnlich sind. Wenige Tage darauf spr ach sie mit George wegen der Hunde. Sie half ihm die kranke Pfote eines Spitzes verbinden. Plötzlich fragte sie ihn, ohne aufzusehen, was Madchen machten, wenn sie glaubten, es sei etwas bei ihnen nicht ln Ordnung. Sie trage das, weil eine Freundin im Haushaltungskurs sie daraufhin angesprochen habe. George wickelte erst schweigend den Taschentuchfetzen um die Pfote des jammernden Koters und gab dann eine ebenso weisheitsvolle wie allgemein gehaltene Sentenz zum besten. Aber am Abend zog er seine Zlvükleidung an, um einen Gang zu machen und am nachsten Vormittag winkte er Polly an den Zwinger. Er sagte ihr, wenn sie wolle, könne sie am Nachmlttag zu einem Arzt in Kensington gehen, der eine grofie Frauenpraxls habe und nicht dumm sei. Seine Freundin, dieselbe, bei der er' wahrend der Abwesenheit ihres Mannes im Feld gewohnt hatte und bei dereram Abend vorher gewesen war, hatte ihm die Adresse gegeben Eigentlich waren es zwei Adressen gewesen, die des Arztes und die einer Hebamme. Die letztere war mehr fttr arme Madchen. Fewkoombey dachte, daB fttr den Pfirsich die des Arz^jn Frage komme, der viel weniger schmutzig Der Pfirsich wollte nicht allein gehen, also ging der Soldat ZZJt™ beWOhnte 6me Wohnunë ln einer der groBen Mletskasernen, die von Elend und Schmutz ttberquellen. Man muBte eine enge Treppe zwei Stockwerice hochsteigen an lauter Wohnungen vorbei, deren Tttren offenstanden. als seien die Zimmer nicht imstande, das ganze Elend zu tassen. Dann war man erstaunt, daB die Wohnung selber sehr komfortabel aussah. Schon der Vorraum war pracht- 2 d.r r Ü^T m ne8igen TöP,en Blattpflanzen, an der Wand hingen Teppiche, anscheinend aus fremden Landern. Umso schfibiger sahen die überröcke und Schirme der Patiënten aus, die an eisernen Kleiderrechen hingen. Im W^artezimmer safien sieben bis acht Frauen, alle aus rlZ ZTd- ^ ^ Am dto TÜr Ordinatior raum öffnete, um die nachste Patientin einzulassen, Dreigroschenroman 6 winkte er dem Pfirsich auBer der Reihe, da sie besser gekleidet war als die ttbrigen Kunden. Sie folgte ihm bedrückt; der Soldat blieb im Wartezimmer sitzen. Der Arzt war das, was Frauen einen schönen Mann nennen, mit gepflegtem, weichem Bart und hoher Stirn. An der Art, wie er seine Hande faltete, sah man, daB er auf sie besonders eingebildet war. Sein Gesicht war allerdings etwas verlebt und auch in seinen Augen lag allerhand Unangenehmes. Seine Stimme war ein wenig ölig. Wahrend er, zu PoUys heimlichen Erschrecken, ihren Namen und die Adresse in sein Buch eintrug, sah sie sich im Zimmer um. An den Wanden hingen allerlei Watten, wie Negerspeere, Bögen, Köcher und kurze Messer, aber auch altertümliche Pistolen. In einer Ecke im Glasschrank lagen einige chirurgische Instrumente, die weit gef ahrlicher aussahen. Auf dem Schreibtisch lag ziemlich hoch Staub. „Ja," begann der Arzt, sich zurücklehnend und seine weiBen Hande faltend, ohne daB PoUy irgend etwas geauBert hatte auBer ihrem Namen, „was Sie von mir wollen, ist gans unmögUch, liebes Fraulein. Haben Sie sich denn überhaupt überlegt, wasfüreinAnsinnenSiean mich stellen f Alles Leben Ut heilig, gang abgesehen davon, dafi es polixeiUche Vorschrtften gibt. Ein Arzt, der das machen würde, was SU haben wollen, warde seine Praxis verlieren und aufierdem ins GeföngnU wandem. Sie werden sagen — wir Arxte horen das so ojt in unseren Sprechstunden — diese Vorschriften seten mitteküterUch. Nun, mein liebes Fraulein, ich habe diese Vorschriften nicht gemacht. AUo gehen Sie hübsch ruhlg nach Hause und betchten SU Ihrer Frau Mutter. Sie Ut eine Frau wie SU und wird es an Verstandnis nicht fehlen lassen. Sie hatten ja wahrscheinlich nicht einmal das Geld für eine solche Operation. Aufierdem würde mein GewUsen es gar nicht gulassen, dafi ich mich xu so etwasjtergebe. Kern Arzt kann für die lumpigen 10 oder 20 Pfund seine ganze Existenz au/s Spiel setzen. Wir sind nicht unempfindlichfür die Nöte unserer Mitmenschen. Als Arzt tun «Wr manchen tiejen Bliek in das soziale Elend. Wenn es irgend geht, wenn Sie irgend eine Indikation hatten, Schwindsucht xusnindert, würde ich sagen, wir machen die Sache, in fünf Minuten ist siefertig, nachherige Schwierigkeiten gibt es nicht Aber Sie sehen ganz und gar nicht nach Schwindsucht aus. Da müssen Sie schon dran glauben. AU SU sich in jugendlichem Leichtsinn das Vergnügen verschaf/ten, hotten SU eben an dU Folgen denken müssen. Man sieht sich vor, man überlafit sich nicht emfach seinen Gejühlen, sie mogen so angenehm sein uHe sie wollen. Bemach rennt man dann zum Onkel Doktor und da gibt es ach und weh, Herr Doktor hut und Herr Doktor her und machen He mich nicht unghtcklichl Ob der behandel», de Arzt, der das gröfite RUiko Wuft, sich unglücklich macht, wenn er aus menschlichem Mitgefühl dann seine Hilfe nicht versagen zu können glaubt, bekümmert einen notürlich weniger Oh EgoUmusl Schliefilich Ut es ein unerlaubter Eingriff, und *>enn man auch auf Narkose im Interesse der Patientin verzichtet, sind es immer noch 15 Pfund, die die Sache kostet und xwar vor her, hinterher helfit es sonst plötzlich, was, SU wolten mir einen Eingriff gemocht haben ? Und der Arzt, der auch leben mufi, hat das Nachsehen. Er kann in so einem Poll auch nicht Bücherführen und Rechnungen verschUken, schon ft» Interesse der Patientin. Wenn er gescheidt Ut, lafit er das Ganze überhaupt bleiben. Er ruiniert sich nur. Das keimende Leben, mem liebes fraulein. Ut so heilig wie das sonsHge Leben. Die Religiën hat ihre schwer wiegenden Bedenken nicht ™*ontt. Samstag nachmittag habe ich Sprechstunde, aber überUgen SU es sich noch einmal gründüch, ob SU diese schwere V e r an t w o r t u n g auf sich nehmen wollen sonst lassen Sie es lleber bleiben. Und bringen Sie das Geld mit, sonst brauchen Sie gar nicht erst xu kommen. Hier hinaus geht es, liebes Kind!" Der Pfirsich ging sehr niedergeschlagen weg. Wie sollten die 15 Pfund aufgebracht werden? Das Madchen und der Soldat trotteten verdrossen nebeneinander her. „Es gabe noch eine andere Adresse," sagte der Soldat nach einer Weile. Sie beschlossen, hinzugehen. Es war eine alte, dicke Frau und man verhandelte in der guten Stube. Polly saB auf einem roten Plüschsofa. „Es kostet ein Pfund," fing die Frau miBtrauisCh an. „Billiger kann ich es nicht machen. Dann verbluten einem die Schwei- ne das Sofa und man hat noch Auslagen. Und wenn Sie schreien, höre ich sofort auf und Sie können wieder weggehen. Haben Sie das Geld dabei? Dann sind Sie in einer halben Stunde fertig." Polly stand auf. „Ich habe es nicht mit. Ich komme morgen wieder." Zu Fewkoombey sagte sie, als sie die Treppe hinuntergingen: „Ich habe herumgeschaut. Es ist zu dreckig." „Es Ist mehr für Dienstmadchen," sagte der Soldat. Sie gingen heim. Die Gedanken des Pfirsichs beschafügten sich mit der Ladenkasse. Sie hatte einen ziemlichen Abscheuvor Stehlen; er war ihr seit frühester Kindheit mit dem Stehlen zusammen anerzogen worden. Sie bekam wenige Pfennige (fttr türkischen Honig) und viele gute Ratschiage. Wenn sie den kleinen Finger in den Marmeladetopf steCkte, hatte sie schreckUche Gewissensqualen auszuhalten. Der Geschmack der 84 Marmelade war süB, der Gedanke an das Verbot bitter. Gott, wurde ihr gesagt, sah ttberaU hin und lag Tag und Nacht auf der Lauer. Er sah angeblich alles, was sie tat. Bei manchem zuzusehen, war aber undelikat. Als er ihrer Ansicht nach genügend gesehen hatte, was er sicher nicht billigen konnte, hatte er bereits zuviel gesehen, um sich durch anst&ndiges, aber anstrengendes Betragen noch zugunsten des Verbrechers umstimmen zu lassen. Das Strafregister war schon voU, neue Verbrechen harten sicher keinen Platz mehr darauf, konnten also billig begangen werden. PoUy war eine Verlorene und konnte sich jetzt jede Schandtat erlauben. SchUeBUch war es nur Faulheit von den Erwachsenen, daB sie Gott zum Aufpassen über die Marmeladetöpfe und Ladenkassen hielten wie einen Hofhund. Aber zwischen dem Diebstahl von einigen Pence und dem von 15 Pfund war ein groBer Unterschied. Über die technischen Schwierigkeiten eines Diebstahls tauschte sich der Pfirsich, als sie sie für groB hielt. Sie hatte ihren Vater verhaltnismaBig leicht bestehlen können. Die Ladenkasse war gut gesichert, aber Herr Peachum trug viel Geld in der Hosentasche mit sich herum. Er nahm es den Elendsten unerbittUch pennyweise ab, wechselte es in SUbergeld und steckte es nachlassig in die Hosentasche: seiner Ansicht nach konnte er auf die Dauer weder durch dieses Geld, noch durch anderes gerettet werden. Es war Gewissenhaftigkeit von ihm und bewies seine aUgemeine Hoffnungslosigkeit, daB er es nicht einfach wegwarf: er durfte nicht das Geringste wegwerfen. Über eine Million SchUUngé hfitte er nicht anders gedacht. Nach seiner Meinung reichte weder sein Geld (auch nicht alles Geld der Welt) noch sein Kopf aus (und auch aUe Köpfe der Welt reichten nicht aus). Dies war auch der Grund, warum er nicht arbeitete, sondern mit einem Hut auf dem Kopf und die Hande in den Hosentaschen durch sein Geschaft lief, lediglich kontrollierend, dafi nichts unterblieb. Seine Tochter hatte ihm ruhig innerhalb einer Woche die 15 Pfund aus der Tasche nehmen können, etwa nachts, im Schlafzimmer, selbst wenn er sie ertappt hatte, ware es nicht so schlimm gewesen, wie sie es sich vielleicht vorstellte. Ware er zum Beispiel aufgewacht, ware sein Auge auf seine Tochter getallen, die eben seine Taschen geleert hatte, hatte sicher kein Lid seiner Augen gezuckt, hatten sich für ihn wohl nur seine Traume fortgesetzt. Seine Tochter ware bestraft worden, aber sie ware kaum in seiner Achtung getallen. Es gab niemand, der in seiner Achtung fallen konnte. Leider kennen sich die Menschen zu wenig und so glaubte Polly, aus ihrem Vater die so notwendigen 15 Pfund nicht herausholen zu können. Der Soldat machte, als sie ihm die Summe nannte, noch auf dem Hof das Angebot, den betreffenden Herrn zu Klump zu schlagen. Es gibt Sparkassen, die man zerschlagen mufi, um das Geld herauszuholen. Nur, Herr Smiles war keine Sparkasse. Pollys Gedanken beschaftigten sich also wieder starker mit Herrn Beckett. Der Soldat aber legte sich, zurückgekehrt, nachdem er nach seinen Hunden gesehen hatte, wieder auf sein Feldbett. Hatte er sich Gedanken gemacht, waren ungefahr dies seine Gedanken gewesen: „Wieder einmal fehlen IS Pfund. Waren sie da, ware es wieder einmal unerklarlich, wenn ein Mensch geboren würde. Warum sollte ein Weib so entmenscht sein, ein Kind in eine solche Welt zu setten, wenn sie die IS Pfund hatte, die genügen, es ungeboren sein zu lassen f Wie sollte es eine solche ungeheure Menge von Menschen geben, die sich gegenseitig wegen ein paar Lungenxügen Luft, eines Daches, durch das es manchmal nicht regnet, einigen Bissen schlecht schmeckender Nahrung zerfleischen, wenn jedesmal 15 Pfund da waren, He dbzutreiben ? Mit wem sollte man die überflüssigen Kriege filhren und für wen waren sie nötig? Wen könnte man ausbeuten, wenn man nicht schon seine Mutter so ausgebeutet hotte, dafi sie die 15 Pfund nicht hatte f An. den Eigentumsverhöltnissen Ut nichts zu andern, dos sagen alle Professoren. Die Eigentümer kann man nicht abschaffen, warum wenigstens nicht die Nicht eigentümer T Das Gesetz verbietet die Abtreibung und die Vnglücklichen waren angeblich schon glücklich, wenn He abtrelben dürften. SU bekSmpfen also das Gesetz. Sie wünschen, dafi man mit Messern in ihren Einge weiden herumwühlt und die Frucht der Liebe herausschnehUt und in die Latrinen wirft. Nun, ihr Wunsch kann ihnen nUht erfüUt werden. Er Ut auch zu unverschamt! Hat nUht die Kirche das Leben für heilig erklartt Wie können dUse Weiber es aUo geführden, tndern He Hch weigern, Kinder in diese überfüllten, stinkenden, vom GebrüU der Hungemden erfüllten Steinhaufen zu setzen f Sie müssen Hch zusammennehmen statt Hch so gehen zu lassen, SU sollen einen Schluck WhUky nehmen, die Zahne zusammen beifien und eben geböhren. Da könnte fede daherkommen und nUht gebaren wollen! NatürlUh Ut jeder das Hemd naher aU der Rock und das eigene Kind zu schade für diese Welt. Mit ihrem Kind soll natürlich eine Ausnahme gemacht werden! Verdammter Egoismus! Es Ut nur gut, dafi das Abtreiben Geld kostet! Da gabe es ja kein Aufhalten mehr . . ." So ungefahr hatte der Soldat wohl gedacht, wenn er gedacht hatte. Aber er dachte nicht: er war zur Diszlplln erzogen. Immerhln stand er kurz darauf auf und ging nach oben, um dem Pfirsich noch etwas zu sagen, was ihm eingefallen war, als er lag. Er muBte Polly zu seiner Freundin bringen. Die wufite sicher noch einen Ausweg. Als er in das kleine, rosa getilnchte Zimmer trat, lag der Pfirsich auf dem Bett, riicklings, die Hande brav an der Seite, mit dem Bliek zur Decke. Fewkoombey wollte eben zu sprechen anfangen, da f iel sein Auge auf ein zergriffenes Buch, das auf einem Rohrstuhl lag. Es war der Band der Britischen Enzyklopadie, oder vielmehr ein Teil desselben, Fewkoombey vertraut geworden in vielen Stunden. Einige Seiten davon konnte er schon auswendig, aber wie viele noch nicht! Die Tatsache, daB das Buch, das er so sehr vermifit hatte, hier herumlag, erschütterte den Soldaten. Es freute ihn nicht, daB er es wieder haben konnte. Es erschütterte ihn, dafi es weggekommen war. Es hatte in seinen Augen, mufi man wissen, einen ungeheuren Wert. In einem Trödlerladen hatte selbst er es erstehen können — wenn es zufallig dagelegen ware, aber warum sollte gerade dieser Band dallegen? Das konnte höchstens alle Jahrzehnte einmal vorkommen. Für den Pfirsich hatte er, wie wir wissen, gar keinen Wert. Fewkoombey hatte vielleicht nichts angeben können, gegen was er ihn sich hatte abtauschen lassen, ausgenommen den vollstandigen Band. Trotzdem konnte er nicht darauf zugehen und ausrufen: ah, da ist ja mein Buch; wie ist das hier her gekommen? Ein solches Benehmen hatte die Sache in höchst unstatthafter Weise vertuscht. Der An bliek des Buches in diesem Zimmer anderte Fewkoombeys Ansichten über Fraulein Peachum völlig. Als sie ihn daher fragte, was er wolle, murmelte er etwas von „wissenwollenwieeslhnengeht" und ging aus dem Zimmer heraus, ohne noch einen Bliek auf sie oder das Buch zu werfen. Sie war zu niedergeschlagen, um das EigentumUche selnes Verhaltens zu bemerken. Mit ihm ging ein freundlicher Mensch aus ihrem Zimmer unentbehrlich in solcher Welt, durch nichts zu ersetzen' und ein Rat, der in ihr Leben vielleicht eingegriffen hatte. PoUy ging in diesen Tagen wieder zu Smües. Da seine Ver- TO^J*™1 VerdaCbt Ée8ChÖpft ^"^ achten sie den Stadtpark auf. PoUy woUte sich auf eine Bank setzen, aber SmUes bestand auf einem Platz im Gebüsch. Sie empfand das als Erpressung. Er erzahlte ihr, den Arm um ihre Hüfte, daB er groBe Anstrengungen gemacht hatte, etwas in Erfahrung zu bringen „Du muflt nicht glauben, daB ich nicht Tag und Nacht an die Sache denke» sagte er, die Wange an ihre Wange lehnend. „Sie ist mir verdammt unangenehm. Du bist auch so reizbar TÜ^^ °U *** 8ltet» ■** —« Beispiel, wo es so hübsch ist unter den Strauchern, sieh doch wirkUch mal ^n, ÏT. ^ 80 ^ 6r mCht Ünmer' Lleb' aber Du -W»t ja nicht richtig hin, ich sage ja, statt daB Du Dich ein wenig ablenken laBt, was Dir nur gut tate, fangst Du immer fttr mich? Macht es Dir keinen SpaB mehr, wenn ich meine Hand bierher auf die Brust lege ? Du hast gar kein Vertrauen zu mir. Das ist doch meine Sache, Dich aus einer Lage herauszuhauen, in die ich Dich gebracht habe, wenn Du auch mitgemacht hast, das muBt Du zugeben, Lieb. Also, schau, ich habe ja jetzt was, ich weiB genau, wie es gemacht wird es ist verhaltnismaBig einfach, Du kannst es aUein Znwi?bel»k08ten 68 ^ niChtS- Man „Die Zwiebel, eine einfache Zwiebel, wie man sie in der Küche hat, setzt man ein und wartet, bis sie ausschiagt. Sie fafit namUch überall Wurzel. Es sind ganz feine Wttrzelchen, weiBt Du. Wenn sie Wurzel gefaBt hat, das dauert vielleicht zwei bis drei Tage, dann zieht man sie heraus und da geht alles dann mit. Einfach, was?" PoUy stand argeriich auf. Sie zupfte ein wenig Moos von ihrem Rock und richtete ihren Hut, ohne etwas zu sagen. Als er beleidigt war, sagte sie kurz: „Da würde doch kein Mensch 15 Pfund zahlen, wenn das mit einer Zwiebel ginge! Da verblutet man doch!" Sie gingen ziemlich rasch aus dem Park. Er UeB beim Abschied deutUch erkennen, daB er das Gefühl hatte, das Seine getan zu haben. PoUy wuBte Becketts anderen Namen Macheath und auch von seinen B.-Laden. Er hatte ihr das alles erzahlt. Da er auch mit Holz handelte, war er berechtigt, sich nach BeUeben einen Holzhandler zu nennen. PoUy traf Um mehrmals, und einmal erzühlte sie ihm probeweise von ihrem Gesprach mit dem Makier Coax. Sie sagte nichts davon, daB sie ihn in seiner Wohnung aufgesucht hatte, auch nichts von dem Brief ihres Vaters, aber elniges von interessanten Fotografien, die er ihr zu zeigen versprochen habe. Sie fttgte hinzu, dafi sie Coax n&chstens besuchen werde. da seine Schwester eine sehr nette Frau sein soUe. Herr Beckett hörte ihr düster zu und machte den ElndrucK. als ob er vor gröBeren Entschlüssen stehe. Am spüten Nachmlttag ging PoUy ihrer Mutter nach in das kleine KeUergelaB, in dem auf BrettersteUagen die Apfel aufbewahrt wurden. Sie wuBte, Frau Peachum Uebte es nicht, wenn man ihr hlerher folgte. Aber PoUy versprach sich etwas davon, sie gerade hier und nirgends anders zu sprechen. Als sie die Tür aufmachte, stand ihre Mutter erschrocken zwischen den Stellagen, ein Glas Whisky in der Hand. Die Flasche stand auf demTisch. Es war Frau Peachum schmerzHch genug, daB ihr Mann sie zwang, sich in eine so unwürdige Situation ihrem Kinde gegenüber zu begeben, eines gt legentlichen Glases Whisky wegen. Sie war 46 Jahre alt und krankte sich über ihre Unfreiheit. Polly aber sprach am Uebsten mit ihr, wenn sie schuldbewufit war, denn im anderen Fall konnte sie sehr ekelhaft sein. PoUy teute ihr mit, daB sie Herrn Beckett heiraten wolle. 'fLïf10* ja **** emmal Becke«." ^gte Frau Peachum unwillig. „Ja, er heifit Macheath, oder vielmehr: vieUeicht heiBt er so.» sagte der Pfirsich ruhig. „Und Peachum? Was soU Peachum sagen zu einem Mann, der vieUeicht so, vieUeicht aber auch so heiBt?» fragte Frau Peachum, das Glas mit einem Ruck auf die nüchste Stellage steUend. „Das ist kein Mann, der Dir Gewahr bietet. Ich habe auch Augen im Kopf und kann sehen, wie er tanzt. wenn er glaubt, ich sehe nicht hin. Und dann meinter,ich bto von vier, fünf Glüsern von dem Zeug im Tintenfisch schon htaüber. So faBt kein Mann ein junges Madchen um die TaiUe, der ein anstandiges Geschaft hat. Mach mir da n chts vor! Liebe PoUy, es sind keine vernünftigen Gründe, die Du fttr einen solchen Mann geltend machen kannst, es ist etwas anderes, von dem ich Ueber nicht reden wUl Er hat Dir den Kopf verdreht, das ist es.» „Ja, er gefaUt mir.". „Eben, ich sage es ja» rief Frau Peachum triumphierend. „Du hast keinen klaren Kopf mehr! Du bist vernarrt in ihn ünd kannst nicht mehr sehen, wieviel zwel mal zwei ist!" Polly argerte sich. „Rede doch nicht so viel," sagte sie würdig, „sage es Papa und dann soll er mit ihm sprechen." Und sie drehte sich um und ging wieder auf ihr Zimmer. Frau Peachum seufzte und leerte unwirsch das Glas. Nachts sprach sie mit ihrem Mann. Sie kannte PoUy. Am Nachmittag hatte Peachum einen furchtbaren Auftritt mit Coax erlebt. Der Makier hatte im Hinterzimmer eines Weinrestaurants offen den Ankauf neuer Schiffe verlangt. Das hatte hr die „Gesellschaft zur Verwertung der alten" wie ein Blitz eingeschlagen. Eastman, der wohl schon seit Tagen vieles geahnt hatte, war einfach auf seinem Stuhl zusammengesunken, aber der Buchmacher war aufgesprungen, hatte gebrüUt wie ein Ochse und war dann weinend zusammengebrochen. Es hatte alles nichts gentttzt. Nach Coax gab es bereits erste Schritte einer Untersuchung des Kaufvertrages durch eine parliamentarische Kommission. Man hatte also Peachum, der zwei AnteUe vertrat, beauftragt, Coax Ende der Woche nach Southampton zu begleiten. Er soUte dort wegen „einwandfreien" Transportschiffen Verhandlungen einleiten. Trotzdem war man zur of fizieUen Übergabe der alten Schiffe an die Regierungskommission in die Docks gegangen. Schon um kein Aufsehen zu erregen, muBte man sie abUefern, spater konnten sie ausgetauscht werden. Die Überholung war noch nicht beendet, die Arbeiten gingen unter dem Regime der TSV wieder weiter. Die Kommission war nur durch zwei Beamte in Zivil vertreten, die rasch die FörmUchkeitenerledigten.Manwar eine knappe Viertelstunde auf einer zugigen Kalmauer gestanden. Es regnete und man f ror. Als Frau Peachum ihrem Mann abends vor dem Einschlafen den Namen Macheath im Zusammenhang mit ihrer Tochter nannte, erlitt Peachum einen Wutanfall. „W e r hat sich Euch vorgestellt?" schrie er. „Dieser B.Ladenschwindler? Was heiBt das: vorgestellt? Wo treibt Ihr Euch rum, daB sich Euch fremde Herren vorstellen? Das ist ein ln der ganzen City bekannter Schwindler! So paBt Du auf Deine Tochter auf! Ich arbeite Tag und Nacht fttr sie und Du bringst sie mit stadtbekannten Wttstlingen zusammen, die ln den Vorzlmmern der Banken herumsitzen, um Ihre Betrugsladen sanieren zu lassen! Was ist das überhaupt mit Deiner Tochter? Das ist ein Kapitel, in das ich bald Ordnung bringen werde! Mit diesem Coax hat sie unter den Augen ihrer Eltern Blicke gewechselt, die... Woher hat sie diese Sinnlichkeit?" „Von Dir nicht," sagte Frau Peachum trocken, die Decke unterm Klnn. „Allerdings nicht von mir," sagte Herr Peachum wütend im Dunkeln. „Ich kann mir sie nicht leisten. Weil ich meinen klaren Kopf brauche, um nicht einfach von diesen Hyanen zerrissen zu werden!" Er brach kurz ab: „Ich will nichts mehr hören. PollysHjmgang bestlmme Ich." Sein Entschlufi war gefaBt, Polly betreffend. Am nachsten Morgen nahm er sich seine Tochter im Büro vor. Er fragte sie rücksichtslos über ihren Besuch bei Herrn Coax aus und erfuhr von der Weinenden sogar von den Bildern. Es waren nackte Fraulein darauf gewesen. *ïach dem Verhör sagte ihr Peachum, er halte das meiste, was sie ihm gestanden habe, für Lügen. Herr Coax sei ein hochanstandiger Geschaftsmann und sie könne froh sein, wenn er für sie Interesse zeige und nichts von ihrem Umgang gehort habe. Er lieB es bei dieser Andeutung. Als sie sich mit Herrn Macheath traf, sagte sie Ihm, dafi ihr Vater niemals in eine Heirat mit ihm elnwilligen würde, dafi aber Herr Coax sie für Ende der Woche zu einem Picknick eingeladen habe. Das Erste war wahr, das Zweite erlogen. Als Herr Macheath den Bescheid des Pfirsichs bekam, daB Herr Coax der Erw&hlte ihrer Eltern sei, war es für ihn klar, daB er gegen diesen Coax etwas tun müsse. Nach einigem Nachdenken entschied er sich und fuhr in einem Pferdeomnibus in eine der schmlerigen zweizimmerigen Zeitungsredaktionen, die für gewöhnlich von nicht ganz gut gewaschenen, wiBbegierigen Herren mit salbungsvoller Sprechweise bewohnt werden. Es wurden einige fleckige, tast zerfallene Bande alter Zeitungen geholt und durchgeblattert. Dann bestieg Herr Macheath einen zweiten Pferdeomnibus zum Unteren Blacksmithsquare, wo er in einem Hinterhaus einem übel aussehenden, dicken Mann in Hemdsarmeln einen Auftrag gab. Dann fuhr er, obwohl es erst Nachmittag war, in einem dritten Omnibus nach Hause. Er hatte ein kleines Einfamilienhaus in einer südlichen Vorstadt. Es lag hinter einem winzigen Gartchen in einer Reihe mit ganz gleich aussehenden anderen Hausern. Er natte es noch nicht lange; es war kaum eingerichtet. In einem der kahlen Zimmer standen ein paar Möbel, darunter ein neues Sofa, auf dem er schlief, und in der Küche gab es einen Gasherd und einen groBen Eisschrank. Es war übrigens kein neues Haus. Macheath hatte es von einem seiner Ge- schaftsfreunde übernommen, der bankerott gegangen war. Auf den nledrigen Steintreppe stehend, holte er einen ziemlich reichhaltigen Schlüsselbund aus der Tasche, probierte erst einige Schlüssel aus, bevor er den richtigen gefunden hatte und trat pfeifend in den völlig leeren Vorraum, wo nicht einmal ein Haken für den Hut eingeschlagen war. In seinem Zimmer im ersten Stock, in dem übrigens eine musterhafte Ordnung herrschte, zog er seine Stiefel aus, legte sich auf das Sofa und blieb so liegen, bis es dunkel wurde. Gegen zehn Uhr abends lautete es unten. Er ging hinunter und lieü einen dicken Mann ein, nahm ihm aber schon im Flur ab, was er brachte und schob ihn, ohne ein Wort zu aufiern, wieder hinaus. Der Mann ging brummend weg. Anscheinend kannte er die Gegend. Nachdem Macheath, der hier allerdings unter dem Namen Milburn wohnte, das Bündel Briefe und Papiere, das in Packpapier verschnürt war, auf seinen Waschtisch geleert und bei einer Petroleumlampe etwa eine halbe Stunde lang studiert hatte, machte er sich mit ein paar aus dem Schrank geholten Decken ein Bett zurecht und lag bald im Schlaf. Am andern Vormittag hatte er lm Polizeiprasidium eine Unterredung mit dem Ghefinspektor. Die beiden Herren studierten, über den leeren Diplomatenschreibtisch gebeugt, den Inhalt des Konvoluts in Packpapier und besonders ein liniertes Schulheft in rotem Umschlag, das Tagebuch des Herrn Coax. Das Tagebuch enthielt nur das Privatleben des Makiers betreffende Daten. Seiner Durchsicht durch den Inspektor war die Versicherung des Herrn Macheath vorausgegangen, daB sich in dem Heft keinerlei geschaftliche Notizen be- fanden. Herr Brown ware in diesem Falie nicht in der Lage gewesen, Einsicht zu nehmen. Der Inhalt des Heftes war im allgemeinen moralischer Natur. Es fehlten nicht Hinweise auf gewisse Besuche und andere F akten, aber hauptsachlich waren es moralische Betrachtungen, freimütige Selbstbildnisse, Zeugnisse eines unablassigen Kampfes gegen eine übermaBige Sinnlichkeit. Im Grimde standen diese Betrachtungen über dem geistigen Niveau der beiden Leser, für die sie allerdings auch nicht bestimmt waren. Es gab auch Namen. Sie waren durch Anfangsbuchstaben angedeutet. Beinahe an jedem zweiten oder driften Tag (es war kein einziger Tag ausgelassen, das Tagebuch war mit aufierster Sorgfalt geführt, auch war kaum ein Wort durchgestrichen!) standen, mit roter Tusche geschrieben und mit dem Lineal sauber unterstrichen, Zahlen, etwa: „2 mal" oder „4 mal". „4 mal" war ttbrigens selten, und eine höhere Zahl als „5 mal" kam nicht vor. Manchmal hieB es „1 mal", dann war es nicht unterstrichen, sondern mit einem kiemen Kreis eingerahmt. Zwei voneinander verschiedene Zeichen kamen auch noch vor. Was sie bedeuteten, war einer Eintragung auf der inneren Seite des Umschlags zu entnehmen: Stuhlgang und Elnnahme von Stuhbnitteln. Auch diese Zeichen sahen wie gemalt aus. Herr Goax besaB eine schmissige, des Schwungs nicht entbehrende Handschrift. Der sonstige Inhalt des Paketes bestand aus sehr fragwürdigen Fotografien. Sie wiesen einen hohen Grad von Benutzung auf. Nach kurzer schweigender Lektüre drückte Brown auf einen Knopf und gab einem eintretenden Beamten einen Zettel, auf den er einige Worte geworfen hatte. Als dér Beamte zurückkehrte, hatte er gleichfalls ein Konvolut auf den Tisch zu legen. Es enthielt Akten und Recherchen der Londoner Polizei. Brown entnahm dem Bundel ein amtliches Schriftstück und verglich etwas daraus mit einer Eintragung in Coaxens Tagebuch. Den dicken Zeigefinger auf dieser Stelle liegen lassend, sagte er in seiner langsamen, gründlichen Art: „Lieber Mac, den Burschen können wir hier nicht tassen. Was er für Geschafte macht, wissen wir nicht; wir schnüffeln grundsatzlich nicht in den geschftftlichen Unternehmungen anstandiger Leute herum; wo kamen wir da hin? Der Mann bezahlt seine Steuern, gut. Wir verstenen auch gar nichts von Geschaften. Mit dem Privatleben von Gentlemen befassen wir uns ebenfalls nicht, und Einbrttche hat er nicht gemacht. Das Einzige ware hier eine Anzeige von vor zwei Jahren, wo der Herr bei einer Razzia in einem Stundenhotel mit der Gattin eines Staatssekretftrs im Marineamt angetroffen wurde. Aber das gibst Du besser einem von den Zeitungsleuten in die Hand. Ich werde Dir ein paar solche Burschen sagen, die so was aufmachen können." Er drückte wieder auf einen Knopf und bekam eine neue Mappe, ziemlich dick, auf der „Erpressungen" stand. Er sah sie sorgfaltig, wie es seine Art war, durch und entschied: „Nimm Gawn. Das ist einer der Bestent" Macheath nahm die Anzeige, steckte sie zu seinem eigenen Material, klopfte seinen Freund auf den Rttcken und sagte Ieichthin: „Wenn ich in der nachsten Zeit heiraten sollte, offizieU, Du verstehst, wttrdest Du zur Hochzeit kommen können? Es lagemirwegenderBankleutèdaran.Sieziehennichtrecht." Dreigroschtnroman 7 „Wenn es sich machen laBt," sagte Brown unlustig, „aber es dart wirklich nicht mehr oft sein." Macheath ging nachdenklich weg. Brown war nicht mehr ganz der Alte, was sein Verhalten zu alten Freunden betrat. Er war natürlich treu wie Gold, aber es lag anscheinend eine ganze Masse Verantwortung neuerdings auf ihm... Mit der Bank kam Macheath auch nicht zu Rande. Sie machte immer neue Vorbehalte. Seine eigenen Leute machten schon Schwierigkeiten. Sie wollten Geld sehen. Es kam ihm drückend zum BewuBtsein, daB auf ihm die Sorge für nahezu 120 Menschen, teilweise mit Familie, lastete. Er nahm das nicht leicht. Es muBte etwas geschehen, da war kein Zweifel. Wenn er das Geld des altem Peachum in die Hande bekam, konnte er aufatmen. .... Er fuhr in einen seiner Laden an der Waterloobrücke. Es war kein B.-Laden, sondern ein anstandiges Geschaft mit Antiquitaten und wurde von einer Frau geführt, Fanny Crysler, einer Person, die etwas von Kunstgegenstanden verstand. Hierhin pflegte er zu gehen, wenn er etwas durchdenken muBte. Er saB dann im Kontor und biatterte das eine oder das andere Buch durch. Fanny war leider nicht anwesend. Sie besuchte irgendeine Auktion. Mac legte Wert darauf, daB einige der Gegenstande, die hier verkauft wurden, einen richtigen Geburtsschein hatten. Die Bücher, die im Kontor aufgeschichtet lagen und aus der Bibliothek des Pfarrers von Kingshall stammten, wie auf dem Kistendeckel mit Blaustift stand, enthielten üuBerst obszöne Kupferstiche. Mac konnte so was nicht leiden. Er war in jeder Beziehung gegen Kunst. Angewidert legte er die kostbaren Bande weg. Dabei dachte er an Polly. Wenn er in der letzten Zeit an sie dachte, befiel ihn immer eine unbeschreibliche Unruhe. Sie war viel zu sinnlich. Er stand auf und ging in die Old OakstraBe. Als er zweimal am Haus vorbeigegangen war, kam Polly herunter. Sie ging mit ihm ein paar Mal um das Hauser- viertel. Sie war sehr weich und schien irgendwelche Sorgen zu haben. Sie war auch bleicher als gewöhnlich. Macheath fielen die Schatten unter ihren Augen auf. Beim Auseinandergehen sah sie ihm nicht in die Augen. Sie hatte noch beilaufig erwahnt, dafi sie für einige Zeit nicht mehr in den Haushaltskursus gehen wttrde, ihn also nicht mehr treffen könnte. Und am Sonntag sollte das Picknick mit Coax stattfinden. Macheath ging in schlechter Laune nach Tunnbridge. Er hatte sich erinnert, dafi sein Donnerstag war. Er hatte die Gewohnheit, jeden Donnerstag abend in einem bestimmten Haus in Tunnbridge zuzubringen. Er nahm dort bei den Madchen eine Tasse Kaffee und unterhielt sich mit Jenny. Da er niedergedrückt war.lieB er sich von ihr die Karten legen. Sie brachte aber nichts gescheidtes heraus. Die Mftdchen langweilten ihn wie gewöhnlich. Er verkehrte hier seit ttber fttnf Jahren. Am nachsten Tage suchte er Gawn auf, der fttr verschiedene, nicht sehr gut beleumundete Zeitung en schrieb und ttbergab ihm Material gegen William Coax. Sehr kurz danach streute Mlller von der National Deposit in eine geschaftliche Unterhaltung eine Bemerkung ein, die es Herrn Macheath geraten erscheinen lleB, unter Hintansetzung aller Bedenken raschest einen gut bürgerlichen Hausstand zu gründen, was auch Fraulein PoUy Peachums Wünschen entsprach. Die Bekampfung des Herrn Coax wurde für Macheath dadurch überflüssig und die Übergabe des belastenden Materials geriet bei ihm in Vergessenheit. V Sie „kamen sich naher" zwischen Wild und Fisch Und „gingen vereint durchs Leben" Sie hatten kein Bett und sie hatten keinen Tisch Und sie hatten selber nicht Wild noch Fisch Und keinen Namen fttr die Kinder. Doch ob Schneewind pfeift, ob Regen rinnt Ersöff auch die Savann Es bleibt die Hanna Cash, mein Kind Bei ihrem lieben Mann. Der Sheriff sagt, daB es 'n Schurke sei Und die Milchfrau sagt: er geht krumm. Sie aber sagt: was ist dabei? Es ist mein Mann. Und sie war so frei Und blieb bei ihm. Darum. Und wenn er hinkt und wenn er spinnt Und wenn er ihr Schlage gibt; Es fragt die Hanna Cash, mein Kind Doch nur: ob sie ihn Hebt. (Ballade von der Hanna Cash) Ein kleines aber gut fundiertes Untern e h m e n Die National Deposit Bank war ein kleines, aber gut fundiertes Unternehmen, das sich ln der Hauptsache mit dem Grundbesitz befafite. Es gehorte einem siebenjahrigen Madchen und wurde von einem alten Prokuristen geleitet, Herrn Mlller, der sich des Rates eines ebenfalls schon recht betagten Anwalts namens Hawthorne bedientë; Hawthorne war der Vormund der kleinen Besitzerin. 101 Macheath hatte es bei seinen Verhandlungen mit der Bank nicht nur mit Herrn Miller, sondern auch mit Herrn Hawthorne zu tun. Sie waren zusammen ttber 150 Jahre alt, und wenn man es mit ihnen zu tun hatte, hatte man es eben mit anderthalb Jahrhunderten zu tun. Macheath hatte sich gerade an sie gewandt und damlt eine unbeschreibliche Geduldsprobe auf sich genommen, weil er die Geruchte um seine B.-L&den ein für allemai zum Verstummen bringen wollte. Tatsachlich ware in der City kein Mensch auf den Gedanken gekommen, ein Unternehmen, an dem die ND-Bank beteiligt war, fttr ein n a c h 1780 gegrttndete8 Unternehmen zu halten. Und so alte Firmen sind wirklich solide. Aber gerade dieses Umstandes wegen kam er nicht vorwarts. Die Bank machte Ausflttchte ttber Ausflüchte. Sie wollte alles wissen, von den Ladenmieten angefangen bis zu den Lebenslaufen der Ladenbesltzer. Trotzdem schien sie merkwttrdigerweise interessiert. Macheath wuBte, warum: das Grundstttckgeschaft, besonders das, was Herr Miller darunter verstand, war nicht mehr, was es.dereinst gewesen war. Neue Einlagen wurden sparlich und die alten Objekte hatten vielfach schreckllche Umwertungen erfahren. Herr Hawthorne sah mit einiger Besorgnls in die Zukunft. Er war nicht vollkommen zufrieden mit dem Prokuristen, Herrn Miller: obwohl er alter war als dieser, schien ihm Miller mitunter zu alt für die Leitung der Bank. Fttr so manches entgangene Geschaft machte er in seiner umstandlichen Weise Millers Umstandllchkeit verantwortlich. Im geheimen dachte er manchmal sogar daran, ihn durch eine jttngere, zttgigere Kraft zu ersetzen, und Herr Miller ftthlte das. 102 In Wirklichkeit hatten beide schon selt geraumer Zeit in ihrer Auffassung der neueren Zeit zu schwanken begonnen. VieUeicht war es eben doch nicht geraten, es so pedantisch genau zu nehmen. Andere Firmen nahmen es nicht so genau, machten Geschafte und galten als verl&fittch. Eine gewisse Grofizügigkeit lag vieUeicht einf ach im Charakter der Zeit. Als ihnen die Verbindung mit den neuartigen B.-Laden angetragen wurde, waren sie daher nicht so abgeneigt, wie man hatte denken soUen. Alles an der Sache war ein wenig ungewohnt und liederlich, aber das war eben das Neue daran, das Moderne. NatürUch konnten sie gerade von ihrem Standpunkt aus die Unterschlede zwischen den neuen Unternehmungen nicht so gut erfassen wie den zwischen den neuen und den alten. Ihre Fragerei war eher Gewohnheit. Im Grand waren sie schon halb entschlossen, die Sache zu machen. Besonders Hawthorne war entschlossen. MiUer hatte schon Macheath gegenüber Andeutungen faUen lassen, die nur so verstanden werden konnten, dafi er für den Fall einer Elnladung nicht aUzu sehr zögern wttrde, ihn in seiner Hauslichkeit aufzusuchen — was viel bedeutete. Leider hatte Macheath keine Hauslichkeit gehabt. Als er jetzt in aller Form Herrn MUler zu seiner bevorstehenden Hochzeit einlud, sagte dieser rasch zu, auch fttr Herrn Hawthorne. Macheath hatte das Gefühl, diese Elnladung könne mehr für das Zustandekommen der Geschaftsverbindung bedeuten als alle Belege der Welt. Er hatte recht damlt. Von der Bank aus begab er sich gutgelaunt in die Gegend der Waterloobrttcke. Er hatte in dem hinteren Bttro eine Unterredung mit Fanny Grysler und nahm sie mit sich weg. 103 Zusammen gingen sie durch einige vorzügliche Antiquitatenladen des Viertels und wahlten Möbel aus. Es muBten ausgesucht schone Stücke sein; die Preise spielten keine Rolle. Als sie aber in einer Teestube den Lunch nahmen, versank Fanny in ein kurzes Schweigen und sagte dann plötzlich, mit dem Löffelchen auf die Untertasse klopfend: „Das ist ja alles Unsinn. Wozu willst Du eigentlich die Möbel? Fttr Dich? Natürlich nicht! Du könntest zur Not darln wohnen, obgleich Du mir nichts vormachen muBt: einige richtiggehende fabrikneue 40-Pfundzimmer sind auch fttr Dich gemütlicher als das, was ich eben aussuchte. Du hast den Geschmack eines Möbelpackers, gib es zu, es schandet Dich nicht. Aber die Möbel sind ja gar nicht für Dich bestimmt, Mac Sie sind für die Herren Miller und Hawthorne bestimmt, und was sollen die mit dem Zeug anfangen? Es mufi eine moderne Wohnung sein und sie mufi teuer sein. Es mufi die Wohnung eines Mannes sein, der mit der Zeit geht. Dazwischen können ein paar alte Dinger stehen, die Du von Deiner Mutter geerbt hast. Ein Lehnstuhl mit Nahtisch und so. Ich werde das besorgen. Überlafi das mir. Es wird so sein, dafi die Anderthalb Jahrhunderte um ihr Geld unbesorgt sein können, das sie Dir anvertrauen." Macheath lachte; sie gingen den Weg durch die Laden wieder zurück und machten alles rückgangig. Fanny besorgte allein andere Möbel. Polly hatte gelogen, als sie von einem Picknick gesprochen hatte, zu dem Herr Coax sie eingeladen habe. Sie hatte Herrn Coax überhaupt nicht mehr gesehen. Ein paar Mal hatte sie daran gedacht, ihn wegen der Brosche aufzusuchen. Die Brosche hatte in einemJuweliergeschaft, wahrscheinlich sogar in jeder Pfandleihe, ihrer Meinung nach 15 Pfund gebracht. Aber sie stand sehr gut mit Mac. Er gefiel Ihr immer besser. Und sie hatte gemerkt, dafi er ihr aufpafite. Es lungerten fortwahrend ein paar Leute um den Instrumentenladen herum, die ihr folgten, wenn sie ausging. Zuerst hatte es sie geargert, dann schmeichelte es ihr nur noch. Sie hatte ein Geftthl der Geborgenheit bei Mac. Das war kein junger Schnösel wie Smiles, der überhaupt keine Verantwortung kannte. Als Mac von heimlicher Heirat sprach, steilte sie sich vergnügt das Gesicht ihres Vaters vor, wenn er die Sache erfahren würde. Sie war überzeugt, dafi die Erwahnung des Picknicks es gewesen war, die Mac zum Entschlufi getrieben hatte. Er steilte sich unter Picknicks etwas sehr Wildes vor. Sie lachte, wenn sie daran dachte. Freitag nachmittag packte Frau Peachum ihrem Mann ein Hemd und einige Kragen in eine Hand tasche und Herr Peachum ging damlt zum Bahnhof. Eine halbe Stunde spater packte auch Polly ln ihrem kleinen rosa Zimmer. Sie hatte sich heimlich eine seidene Hemdhose gekauft und ein lila Korsett und zwar in einem B.-Laden, um Mac zu überraschen. Das tat sie in die alte, schwarze Handtasche, dazu ein langes hochgeschlossenes Nachthemd, das einzige nicht geflickte. An der StraBenecke kam eine geschlossene Kutsche auf sie zu, in der Macheath saB. Macheath war in keiner sehr guten Laune, da er seit dem frtthen Morgen auf den Beinen und um seinen gewohnten Mittagsschlaf gekommen war. Sie fuhren zuerst beim Polizeiprasidium vorbei. Macheath liefi halten und ging auf einen Sprung zu Brown hinauf. Er fand auch Brown nervös.Er war schon zweimal bei ihm gewesen, um ihm das Kommen einzuscharfen. Da die Suche nach einem passenden Haus bisher ergebnislos gewesen war, muBte er ihm mittags noch eine andere Adresse angeben, was Browns Laune nicht verbesserte. Er zeigte auch jetzt noch wenig wirkliche Lust zum Kommen, versprach es aber. Tatsachlich hing der Erfolg der ganzen Hochzeit von seinem Erscheinen ab. Es handelte sich dabei nicht nur um Hawthorne und Miller, sondern auch noch um einige andere Gaste, denen der AnbUck des Polizeigewaltigen etwas sagen würde. In der Nfthe von Coventgarden setzte Mac Polly in einem Teehaus ab und fuhr selbst weiter nach Kensington. Seine Leute richteten dort die Wohnung für die Hochzeit ein, nachdem es vormlttags in einem anderen Haus einen unangenehmen Zwischenfall gegeben hatte. Macs eigene Wohnung in Südlondon kam für die Festlichkeit nicht ln Frage, weil zu klein. Mac traf noch alles in gröBter Unordnung an. Die Möbel fttr die untere Etage waren vor denen der oberen eingetroffen und hinderten jetzt. Die Leute waren keine gelernten Möbelpacker; auBerdem hatten sie getrunken. O'Hara, der die Equipierung leitete, entschuldigte sich damit, daB es zuviel Profeste gegeben habe. Das Haus war das kleine Stadthaus des Herzogs von Somersetchire. Das groBe Stadthaus ware auch frei gewesen, der Herzog selber weilte an der Riviera, aber das grofie Haus ware zu protzig gewesen, war aufierdem möbliert, wahrend das kleine bis auf die Butlerwohnung leerstand. Der Butler war Macheath verpflichtet. Macheath konnte hier nicht sehr viel tun, ging also bald wieder weg und fuhr noch einmal zu Brown. Er traf ihn nicht mehr im Prasidium an. Infolgedessen fuhr er ttber die Waterloobrücke, schickte Fanny zu Polly und suchte Brown 106 in seiner Privatwohnung. Er fand ihn aber auch dort nicht. Fanny erkannte den Pfirsich sofort nach der Beschreibung. Sie machte sich schnell bekannt mit ihr. Der Pfirsich war ein wenig nervös, weil Mac so lange ausblieb. Sie hielt schon bei der driften Portion Tee. Sie hatte auch kein Geld bei sich. Fannys Ein treffen beruhlgte sie anfangs, dann aber machte sie sich Gedanken, in welchem Verhaltnis Fanny wohl zu Mac stand. Fanny war etwas über dreifiig und nicht hüBlich. Sie lachte plötzlich und erzahlte dem Pfirsich, dafi sie für Mac einen Antiquitatenladen an der Waterloobridge führe, aber einen kranken Mann und zwei Kinder habe. Das beruhigte Polly merkwttrdigerwelse sogleich, allerdings nicht für die Dauer. Das Schlimmste war, daB es zu spat wurde, um noch in Geschatte zu gehen, des Hochzeitskleides wegen. Die Angst, womöglich in ihrem gewöhnlichen Kleidchen den Abend zubringen zu müssen, nahm Polly alle Freude an der Hochzeit. Mac hatte ihr gesagt, es wttrde eine Menge feiner Leute da sein. Mac kam ziemlich spat, übrigens ohne Brown aufgetrieben zu haben, und nahm die beiden Frauen in seine Kutsche. Polly duldete nicht, daB Fanny weggeschickt wurde, wie Mac es vorhatte. Ihre Einwendungen, sie habe kein richtiges Kleid an, ttberging Polly mit Stillschweigen. Mac fluchte, als er auf die Uhr sah. Natürlich waren Jetzt alle Laden zu. Er hatte volles Verstandnis dafttr, daB Polly nicht in ihrem Hauskleidchen ihr zukttnftiges Helm betreten wollte, auch nicht durch einen Hintereingang. Ohne daB sie ein Wort sagen brauchte, liefi er die Kutsche im Park einige hundert Meter vom Haus halten und ging voraus, die Kleider zu besorgen. Er beauftragte damlt einen seiner Leute, der Spezialist fttr Konfektion war und genttgend guten Geschmack natte, Abteilungsleiter bei Worth zu werden, nur nicht genügend SoUditat. Bei Worth fehlten am nachsten Tag tttnf Kostttme und die Direktrice bestatigte der Polizei, dafi es einige der besten waren. Bully bekam infolgedessen allerhand Scherereien in den nachsten Wochen, da es eben einen Mann von seinem Geschmack wenigstens in der Unterwelt nicht zum zweitenmal gab. Aber Mac konnte PoUy ln die Kutsche ein erstklassiges Brautkleid bringen. Eines der andern vier zog Fanny an; sie trug daher ebenfaUs ein Brautkleid. Im Haus traf PoUy etwa fünfzig Leute an, die allerdings ganz verschiedenen GeseUschaftsschichten anzugehören schienen. AuBer einem Lord Bloomsbury, einem Oberst, zwei MitgUedern des Unterhauses, zwei bekannten Rechtsanwfilten und dem Pfarrer von St. Margarets (der die Trauung in einem Nebenzimmer voUzog) schüttelte sie einer ganzen Reihe gröBtenteils beleibter kleiner Geschaftsleute von gesetztem Wesen die biedere Rechte, Macs Agenten und Elnkaufern. Sie waren meist mit ihren Frauen erschienen. Auch ein paar B.-Laden-Besitzer waren eingeladen worden, kümmerliche Gestalten in ordentUchen Anzügen mit festUchem Gesichtsausdruck. Sie standen herum, als ob sie ausgesteUt wttrden. Vom Haus konnte PoUy im Trubel nicht viel sehen; sie hörte ihren Mann zu dem Lord sagen, er habe es von seinem Freund, dem Herzog von Somersetchlre, gemietet. Links von der Braut saB der alte Hawthorne. PoUy, die er von Kind auf kannte, da sie oft mit ihrem Vater in die Bank gekommen war und, wahrend die Herren Geschafte be- sprachen, mit Scheckformularen gespielt hatte, erzahlte Ihm, daB Mac und sie sich gestern mit den Eltern zerstritten hitten, weil Mac niemand aus der „Fabrik" bei der Hochzeit dulden wollte. Das war etwas fadenscheinig, aber die Anderthalb Jahrhunderte schienen es zu schlucken. Der Platz rechts vom Brautigam blieb vorerst unbesetzt. Brown war noch immer nicht da. Macheath ging mehrmals mitten im Essen hinaus, um nach ihm zu schicken. Die ganze Hochzeit hatte für ihn keinen Wert ohne Brown. Bezeichnenderweise glaubte er, die Anwesenheit des Polizeibeamten müBte bei den Anderthalb Jahrhunderten einen bleibenden Eindruck hervorrufen. Brown kam erst, als das Geflügel gereicht wurde. Er sah nicht sehr freudig gestimmt aus und trug nicht die Uniform. Mac nahm ihm das insgeheim ttbel. Zu Polly war er reizend. Sie gefiel ihm wirküch. Sie saB ganz aufrecht, mit ein wenig gerötetem Gesicht und reprasentierte. Sie afi von allem nur ganz wenig, so wie es sich für Braute auch gehort. Es macht einen unangenehmen Eindruck, wenn man zarte Wesen ganze Hunner und Fische in sich hineinschlingen sieht. Die Tischordnung war nach Ansicht der meisten Gaste am unteren Tischende nicht ganz gerecht, aber man trug es der Braut nicht nach. Sie sah so strahlend aus, daB sie alle versöhnte. Macheath hatte sich im Stillen Sorgen gemacht wegen des Benehmens seiner Gaste. Die B.-Laden-Leute aBen ganz manier lich, weil sie sich nicht zu Hause fühlten, aber die Einkaufer waren selbstverstandlich weniger gehemmt. Macheath, der sich zum Dessert zu ihnen setzte, hörte mit Unwillen das Gezischel ihrer Frauen, die sich natürlich nicht vertragen und schnappte sogar eine unverhüllte Zote auf, déren Urheber er sich merkte. Im groBen und ganzen war trotzdem die Auswahl, die er unter seinen Leuten getroffen hatte, eine vortreffliche gewesen. Keiner der Anwesenden war in irgendeinem der inoder auslandischen Verbrecheralben abgebildet, ausgenommen Grooch, und den harte ohne Daumenabdruck ganz Scotland Yard nicht wiedererkannt. Den Hauptteil steilten die Ladenbesitzer, die ja tatsachlich nichts auf dem Kerbholz hatten und durch ihr damliches Aussehen unübertrefflich ehrlich wirkten. Jenny einzuladen war eine Frechheit von O'Hara; Prostituierte gehörten nicht in familiare Zirkel, aufierdem mufite zumindest der Oberst sie kennen. Leute wie Ready hingegen, „der Reisende", einer der besten Totschlager und Plauderer des Empires, hoben das gesellige Niveau gewaltig. Eigentlich konnte sich die Gesellschaft ruhig sehen lassen. Nach dem Kaffee zog er sich mit Hawthorne und Miller in ein anliegendes Zimmer zurück, wo noch die Requisieten der Trauung auf Tisch und Stühlen herumlagen. Brown hatte sich, durch Amtsgeschafte entschuldigt, verabschiedet. Die drei Herren besprachen bei einem Glaschen Likör die Beteiligung der ND-Bank an den B.-Laden. Die alten Herren gingen auf Einzelhelten noch nicht ein. Sie erwahnten mit keiner Silbe, dafi sie das Ausbleiben von Pollys Eltern einigermafien betrttbt hatte. Macheath hatte natürlich damlt gerechnet, dafi sie dadurch beunruhigt sein wttrden. Trotzdem gab er keine Erklarungen. Er vertraute darauf, dafi sich Herr Peachum früher oder spater auf den Boden der Tatsachen stellen wttrde und das Schweigen der Anderthalb Jahrhunderte zeigte ihm, dafi sie die Situatlon ttberblickten und sein Vertrauen teilten. Zurückkehrend trafen sie die Gesellschaft belm Tanz. Der Pfirsich tanzte mit O'Hara. Das Jagdzimmer machte einen festllchen Eindruck. Es war im modernsten Jugendstil eingerichtet. Mac setzte sich fttr ein paar Minuten an die verlassene Tafel. Sein dickes Kinn war im stelten Kragen versunken, sein kahler Kopf gerötet, da er schon etwas getrunken hatte. Er versuchte nachzudenken. Es gelang ihm, in verhaltnismaBig kurzer Zeit mehrere Gedanken zu tassen. „Ach," dachte er ungefahr, „wie sind doch die schonsten Standen des Lebens mit Unannehmlichkeiten durchtetzt, wie ein Stück Ochsenfleisch mit Sehnenl Die rührendsten Szenen werden durch Scherereien versaut! Wenn sich der Mensch innerlich am meisten erhebt und nur von reinstem Gefühl erfüUt ist, kommen ihm finanzietle Erw&gungen in die Quere. Ich kann nicht einfach dasitzen und meuten Wein trinken. Wenn ich das tate, wurden meine lieben Gaste, die Schweinekerle, sofort attes Reine hier besudein. Ich mufi also auf patsen und darf die Hose nicht aufmachen, wo sie am Bauch so spannt. Auf mich mufi ich auch auf passen, ich bin auch ein Schweinekerl. Alles könnte so schön sein, wenn diese Dreckhunde Rücksicht ndhmen auf die Empfindungen, die man am schonsten Tag selnes Lebens hat. Ich bin der beste Mensch, aber wenn jetzt Klauede mit Charleys Frau int Nebenzimmer geht, werde ich wild. Ich dulde das namlich nicht, in meinem Hause. Jenny hatte auch wegbleiben können, das stort doch. Ich kann meinet Frau keine solchen Menscher an die Seite setzen, das geht zu weit. PoUy gefallt allgemein. Ich mocht e es auch niemand geraten haben, nicht mit meiner Frau schlafen zu wollen. Schweinet Sie sollen sich mit ihren Ziegen vergnügen. Das heifit, meine ist keine Ziege, das darf ich nicht sagen, das ist gemein, meine darf ich nicht in einem Atem nonnen mit andern. SU steht hitnmelhoch über ihnen, auch über mir. Ich bin leider nicht anstandig, kein wirkUch fetner Mensch. Aber ich schaffe was. Wenn die Banksache unter Doch Ist, da werde ich anstandig sein, dlesmal. Es ist so angenehm, wenn man anstandig Ut, und es schadet einem nicht finanziell. Oder wenig. Oder nützt sogar. Jetzt mufi ich wieder aafstehen. Die schonsten Stunden sind voll Schereret. Das Ut traurlg, sehr traurlg." Macheath stand auf, um die Kutsche vorfahren zu lassen. Als er seine Handtasche holte, ttberraschte er Bully, alias Hakenfingerjakob, mit Sageroberts Frau und muBte Krach schlagen und sich „solche Schweinereien in seinem Hause verbitten". DaB der Pfirsich noch immer mit dem windigen O'Hara tanzte, mlflfiel ihm ebenfalls. Er unterbrach den Tanz ziemlich brttsk. Aber im allgemeinen konnte sich Mac nicht über den Verlauf des Festes beschweren. Als das Brautpaar wegfuhr, um seine Hochzeitsreise anzutreten, standen die Gaste, wie es sich gehort, auf der Treppe und winkten. DaB dann ein Teil der Gaste Fanny als zweite Braut feierte, sah nur Mac, der als alter Menschenkenner durch das Rückfenster der Kutsche schaute. Sie kamen gerade noch recht auf den Zug nach Liverpool. Macheath kam die Hochzeitsreise zeitlich nicht sehr gelegen. An der Peripherie waren zwei Wochen vorher zwei Stanlwarenlftden ausgeraubt worden. In der Wochenschrlft „Der Spiegel", die so hieB, weü die Redaktion der Mitwelt solange den Spiegel vorhielt, bis sie zahlte, war nun vor einigen Tagen angedeutet worden, ein Mitglied der Redaktion habe Rasierklingen aus diesen Geschaften in einem B.-Laden zu kaufen bekommen. O'Hara hatte sofort Verhandlungen eingeleitet, jedoch waren Macheath Zahlungen gerade unr bequem, sodaB er einen Redakteur, der ihm den Spiegel vorhielt, hinauswarf. Seitdem verlangte der „Spiegel" von den B.-Laden die Auflegung der Einkaufordres für Rasierklingen. Natttrlich konnten solche herbeigeschafft werden, aber ebenso natttrlich war die Sache damlt nicht zu Ende. Bei der Beschaffung des Tafelsilbers war ebenfalls etwas passiert; da es zu rasch gehen muBte, hatte es einen TodesfaU gegeben. Man hatte ihn dem Chef vertuschen wollen, um ihm nicht die Festfreude zu trttben, aber Mac hatte doch Wind davon bekommen. Auch hier war wieder die Ebbe in den Kassen der Platte daran schuld, daB schlecht gearbeitet wurde. Macheath hatte, als er von dem Todesfall hörte, am liebsten noch im letzten Moment auf die Hochzeitsreise verzichtet; aber das ging nicht. Er gedachte also die Reise wenigstens mit einigen geschfiftlichen Besorgungen zu vereinen und hatte darum Liverpool gewahlt. Der Pfirsich sah sehr httbsch aus im Eisenbahnabteil. O'Hara war ein Tanzer ttber dem Durchschnittund auf dem kurzen Weg von der Treppe zur Kutsche unter brelten, nachtlichen Kastanlen hatte sie das deutliche Gefühl gehabt, daB es wirklich der schönste Tag ihres Lebens war. Niemals' noch hatten sich so viele Leute um sie gedreht. Sie war glücklich. Mac drttckte ihr, vor den Mitreisenden versteekt die heiBe Hand. In Liverpool hatten sie ein kleines Hotelzimmer besteltt. Bevor sie zu Bett gingen, franken sie noch ln der Halle eine Flasche Burgunder. Das war aber ein Fehler. Die Treppe htoaufsteigend merkte Mac, dafi er ziemlich mttde war. Es war ihm kaum mögllch, die neue Hemdhose gebührend zu bewundern, und lila Korsetts schien er gewohnt zu sein. Es war aber nur Mttdigkeit von ihm. Sie schliefen bald eto, aber mirten in der Nacht rasselte der Dreigroschenroman 8 Wecker herunter, den er vorsorgUch gesteUt hatte, und sie hatten noch eine angenehme Stunde. Mac gestand, ernstlich befragt, einige frühere Liebschaften (n i c h t die mit Fanny und die mit Jenny etwas unvollstandig), und der Pfirsich gestand einen Kufi mit Smiles, allerdings nach endlosem Strauben, sodaB dieses Gestandnis eigentllch den Höhepunkt des Tages bildete und den Grundstein zu seiner lange dauernden Liebe legte. Auch PoUy war glückUch und verzieh Mac seine beruf liche Vergangenheit als Einbrecher, die er ihr bei der Flasche Burgunder in der HaUe mitgeteüt hatte - er UeB sie den StoBdegen ein Stück aus dem dicken Stock ziehen. Sie verzieh ihm sogar seine Liebschaften und, was mehr war, seine etwas befremdenden Gewohnheiten, wie das Sichaufderbrustkratzenuntermhemd: sie merkte daran deutUch, daB sie ihren Mann wirkUch Uebte. Herr Jonathan Peachum hatte von dem Baronet, dem Buchmacher, dem Hausbesitzer, dem Textilmann und dem Restaurateur VoUmacht erhalten. Er traf Coax auf dem Bahnsteig. Die Fahrt nach Southampton verUef, ohne daB die Herren mehr als zehn Worte wechselten. Coax las, den Zwicker auf der dünnen Nase, die Times, und Peachum saB stUl in der Ecke, die Hande aufelnander ln der Gegend seines Nabels. Einmal sah der Makier auf und sagte gleichgültlg: „Mafeking halt sich. Zahe Burschen!" Peachum schwieg. „Schlimm," dachte er in seiner Ecke, ,#nglander wüten gegen EnglSnder. Nicht nur dieser hier, auch die in Mafeking sind gegen mich. Sollen He Hch doch ergeben! Dann brauchen He keinen Entsatz und keine Schiffe, und das Geschaft geht zurück, das mir den Hals kost et! Jetzt sitzen He dort in diesem heifien KUma und watten Tag für Tag auf die Schiffe, die ich ihnen von meinen Sparpfennigen kaufen soll. Haltet durch, sagen He jeden Tag zueinander, wanket noch weichet nicht, efit lleber weniger, stellt euch hinein in den Kugelregen, bis der alte Jonathan Peachum von seinen Spargroschen das Schijf kauft, das uns den Entsatz brmgt. Wenn es nach ihnen ginge, müfite es schnell gehen, wenn es aber nach mir glnge, müfite es langsom gehen mit dem verdammten Schijfskauf'; so haben wir ganz entgegengesetzte Interessen, und dabei kennen wir uns gar nicht." Im Hotel ln Southampton trennten sie sich eilig; sie aBen nicht einmal zusammen zu Abend. Aber mirten in der Nacht gab es einen bösen Krach in Coaxens Zimmer, das neben dem Peachums lag. Peachum zog seine Hose an und ging hinüber. Da lag der Makier, bis zum Kinn zugedeckt, im Bett, und mirten im Zimmer stand nackt bis auf die Strümpfe eine noch ziemlich junge Person und schimpfte aus vollem Halse auf Coax. Ihren Ausführungen konnte man entnehmen, daB sie nicht gewint war, den Anforderungen, die an sie gesteUt worden waren, nachzukommen. Sie wies auf eine langjahrige Praxis mit reichen Erfahrungen hin und betonte ihre absolute Vorurteilslosigkeit; als Zeugen dafür nannte sie allerhand Hafenarbeiter, auch Matrosen, weitgereiste und anspruchsvoUe Herren. Aber nicht einmal eine gewisse bejahrte Gerichtsperson, die als Sau stadtbekannt war, habe es gewagt, für 10 Schillinge derartige Ansprüche zu stellen. Sie verstand es unübertrefflich, Coax herabzusetzen. Ohne 115 Mtttae fand sie fttr ihn Vergleiche, die diesem Buch, wenn sie wiedergegeben werden könnten, durch ihre poëtische Kraft eine fast unbegrenzte Dauer verleihen wttrden. Peachum war kaum eingetreten, als schon an die Tttr geklop ft wurde. Er hatte einige aufgeregte Kellner zurttckzudrangen. Dann begann er, bei der Dame, die jetzt, die plüschene Tischdecke malerisch um die Schultern, sich ihre Schuhe anzog, den Slnn fttr geschaftiiche Unternehmungen zu wecken. Nach einem zahen Kampf ging sie, mit ein paar Geldscheinen im Strumpf und den Worten: „Sie tun gut daran, Ihrem Freund noch rasch zwei oder drei Damen zu besorgen.wenn Sie ihn einigermaflen zu sich bringen wollen, dafi er das Hotel verlassen kann, ohne auf allen Vieren zu kriechen." Als sie weg war, mufiten die beiden Herren packen, da das Hotel keinen Wert mehr auf ihre Anwesenheit legte. Sie zogen in ein anderes um. Inzwischen war es gegen vier Uhr frtth geworden. Sie gingen also nicht mehr zu Bett, sondern verschaftten sich eine Kanne Tee und unterhielten sich. Coax zeigte ein starkes Redebedttrmis. Er verhehlte Herrn Peachum nicht, dafi die Szene in ihm kraftigen Abscheu erweckt habe. Frelmtttig wandte er sich gegen seine eigene Schw&che, mit solchem Abschaum der Bevölkerung zu verkehren. „Diese Leute," sagte er traurlg und erregt, „verlieren, wenn man sie aus ihrem gewohnten Milieu nimmt, Jede Haltung. Sie vertragen keine gentiemanmafiige Behandlung. Man kann es ihnen nicht einmal übelnehmen, sie wissen es nicht besser. Sie werden immer mit Schimpfwörtern gemetaster Sorte um sich werfen. Das dauernde Sichselbstbeschmutzen für Geld bringt sie um jede bessere Regung. Sie wollen nicht ar beiten. Sie wollen auch nicht den Gegenwert für das Geld erlegen, das sie bekommen. Im Grunde wollen sie ein bequemes Leben und sonst nichts. Das ist es auch, was mich am Sozialismus verstimmt. Dieser platte Materialismus ist unertraglich. Das höchste Glück eines solchen Wesensistes.sichderFaulheithinzugeben.DieseMenschheitsverbesserer werden niemals etwas erreichen. Sie rechnen nicht mit der menschlichen Natur, die durch und durch verderbt ist. Ja, wenn die Menschen so waren, wie wir mochten, dann könnte man allerhand mit ihnen anfangen. So scheitert alles. Am Ende bleibt der Katzenjammer übrig." Peachum stand, seiner Gewohnheit folgend, am Fenster und sah auf einen schon ziemlich hellen Platz hinab, der eben von einem Mann in blauer Bluse mit einem Hydranten gesprengt wurde. Die ersten Gemüsekarren ratterten, vom Haten her kommend, vorbei. Als Coax mit seiner Rede ter tig war, sagte er trocken: „Sie sollten heiraten, Coax." Coax grif f nach diesem Rat wie nach einem Strohhalm. „VieUeicht soUte ich das wirkUch," sagte er nachdenkUch, „ich brauche ein Uebendes Wesen um mich. Wollen Sie mir Ihre Tochter geben?" „Ja," sagte Peachum, ohne sich umzudrehen. „Sie wurden sie mir anvertrauen?" „Sicher." Coax atmete hörbar. Wenn sich Peachum umgewandt hatte, batte er bemerkt, daB Coax nicht sehr gut aussah. Die Sache war Ihm auf die Nerven gegangen. „Sie Mtten keinen schlechten Schwiegersohn," sagte er unruhig, „Ich verstehe mein Geschaft. Und ich bin ein Mann von Grundsatzen. Wir müBten wahrhaftig über die Sache sprechen. Sehen Sie, das Geschaft, das ich eben abwickle, ist durch und durch gut; es ist wirklich grofizügig. Sie wissen noch gar nicht, wie gut es ist. Sie sind selber hineinverwickelt und zwar ganz betrachtlich! Ich glaube, Sie ahnen noch gar nicht, was aus der Sache für mich herausspringt, Peachum. Sie sind Zeuge, wie ich ein Ding aufziehe. Ich kann Sie jetzt, wo sich ein solches Verhaltnis zwischen uns anbahnt, ruhig ins Vertrauen ziehen; umsomehr, als im Grund schon alles unter Dach und Fach ist. Sie selbst hangen, soweit ich es überblicken kann, mit mindestens 7.000 Pfund. Sie glauben es wohl nicht? Nun, was glauben Sie, daB die Kahne kosten, die wir heute besichtigen werden? Unter uns: ich weifi es schon. Es sind erstklassige Schiffe. Unter 35.000 Pfund werden wir, oder vielmehr werden Sie sie nicht bekommen können. Ohne die Option, die ich darauf habe, waren sie sogar noch teurer. Im ersten Augenbllck werden Sie sagen, es sei dann immer noch eine Spanne bis zu den 49.000, die die Regierung bezahlt. Aber das sieht nur so aus. Sie kaufen die neuen Schiffe und die alten geben Sie ab, aber zu dem Preis, den Ihnen Ihr Sachverstandiger genannt hat. Mehr sind sie wahrhaftig nicht wert. Wissen Sie ihn noch? 200 Pfund." Peachum hatte sich langst herumgedreht. Jetzt grlff er mit zitternder Hand nach der Gardine neben sich. Er sah Goax an wie eine Riesenschlange. Coax lachte und fuhr fort: „Die Reparaturkosten, die Schmiergelder, meine Provision machten für Sie nicht so viel aus, wenn die Schiffe billig waren und Sie 11.000 Pfund kosteten. Anders ist die Sache aber, wenn sie Sie 35.000 Pfund kosten. Und dazu kommen jetzt für die Umwecbslung der Schiffe neue Schmiergelder, mindestens 7.000 Pfund. Wie denken Sie darüber?" Peachum sah jetzt ln dem blassen Morgenlicht schwerkrank aus. Das Schlimmste war, dafi er es geahnt hatte! Er war einem Verbrecher in die Hande getallen, und er hatte es von allen Anfang an geahnt. Ware er gebildet gewesen, hatte er ausrufen können: „Was ist Ödipus gegen mich f Allgemein und durch Jahrtausende galt er als der Unsellgste der Sterbltchen, das Musterstück der göttlichen Henker, der Heretngefallenste alter vom Welbe Geborenen! Gegen mich ist er ein Glückspilz. Er ging in ein schlechtes Geschaft hinein, ohne es zu ahnen. Zun&chst schien es gut, nein, zunachst war es gut. Es war angenehm, bel dieser Frau zu schlafen, der Unstete fand ein h&usUches Glückjahrelang hatte der Mann keine Existenzsorgen, genqfl er die allgemeine Achtung. Dann zeigte es sich, dafi die eheltche Verbindung, die er eingegangen war, keine dauemde sein konnte, schim, sie müfite gelóst werden, er war wieder ohne eheltche Bindung, das Bett der Frau blieb ihm in Zukunft verwehrt. Dummköpfe und Nelder setzten ihm zu, gut, es waren sehr viele, beinahe alle, unangenehm! Aber es gab mehr Lander als dieses, für Vagabunden wie ihn hat es immer ziemlich viele gegeben. Sich selbst hatte er nichts vorzuwerfen: er hatte nichts Vermeidbares getan. Ich aber habe gewufit um alles, ich bin selber der Dummkopf, also lebensunfühig. Bei mir hat es sich gezeigt, dafi man mir eine Schmeififliege für 1000 (tausend) Pfund andrehen kann. Ich kann nicht mehr über die Strafte gehen, ohne befürchten zu müssen, dafi ich einen Omnibus für ein windverwehtes Blatt halte. Ich gehore zu denen, die die Keulen zu hoch bezahlen, mit denen sie erschlagen werden und die man noch mit den Preisen ihrer Gr&ber hereinlegt!" Inzwischen war Coax der Anbllck des alten Mannes langweilig geworden. „Aus allen diesen Gründen," sagte er ruhig, „bin ich ein geradezu idealer Schwiegersohn." Ihren Morgenkaffee tranken sie schon als Verwandte. Peachum sprach einige vorsichtige Worte ttber sein Instrumentengeschaft; der Makier gedachte flüchtig der hübschen Haut des Pfirsichs. Dann gingen die beiden Herren, Ihre neuen Schiffe zu besichtigen. Es waren zwei zu haben, sehr gut und sehr teuer. Zusammen mit einem dritten, das Goax in Plymouth wuBte, kosteten sie genau 38.500 Pfund; mindestens 8.000 Pfund muBte davon Coaxens Provision betragen. Da Peachum aus der Herde der Schafe in den Stand des Metzgers übergetreten war, machte er keine besonderen Schwierigkeiten mehr. Es eilte ihm hauptsachlich, nach Hause zu kommen. Auf dem Klosett hatte er auf einem kleinen Zettel nachgerechnet, was er ohne Polly verlieren wttrde. Fast schlimmer ware es jedoch, Coaxens Gewinn zu ertragen. Diesen ungefahr ttberschlagend, stöhnte er so, daB ihn ein draufien Vorbeigehender fragte, ob er krank sei. In der Tat beschaftigte von diesem Tage an Peachum weniger der Gedanke an den vernichtenden Verlust, der ihn beinahe betroffen hatte, sondern weit mehr der an die unheimlichen Gewinne, die aus einer Verwandtschaft mit dem Makier für ihn zu ziehen waren. Das Wichtigste war es jetzt, den Pfirsich vorzuschicken. Einen besseren Mann konnte das Madchen überhaupt nicht bekommen. Er war ein Genie. Dabei wuBte Peachum erst einen kleinen Teil dessen, was Coax plante. Einiges von dem, was er zu wissen glaubte, plante Coax keineswegs. Macheath erledigte in Liverpool seine Geschafte. Zum ersten Mal begleitete PoUy Ihn in einen seiner Laden. Aas einem halbdunklen Raum trat ihnen ein grofier, unrasierter Mann entgegen. Der Laden war weifi getüncht. Auf SteUagen aus ungehobelten Brettern lagen sauber geordnet grofie Packen von Stoffen, ganze Bündel gelber Hausschuhe, Schachteln mit Taschenuhren, Zahnbürsten, Feuerzeugen, Haufen von Lampen, Notizbüchern, Tabakspfeifen, im ganzen etwa zwanzig verschiedene Artikel. Als der Mann erfuhr, wen er vor sich hatte, öf fnete er schweigend eine niedere Brettertür nach hinten zu und riet seine Frau in den Laden. Sie kam mit einem SfiugUng auf dem Arm aus einem winzigen, einfenstrigen Gelafi, in dem PoUy durch die offene Tür ein Gewirr von Möbelstücken und Kindern sehen konnte. Die Beiden machten einen ungesunden Eindruck. Sie waren voU Hoffnung. Der Mann meinte, er würde es schon schaffen. Es mache ihm nun einmal Freude, auf eigenen Beinen zu stehen. Was er anpacke, das lasse er nicht so leicht aus seinen Fausten. „Mein Mann ist einer von denen," sagte die Frau, die ziemlich unterernahrt aussah, „die sich nicht unterkriegen Soviel PoUy verstenen konnte, ging es den Leuten trotzdem nicht gut. Die Miete war nicht hoch, wurde aber nicht gestundet. Die Posten, die von Herrn Macheath' Zentrale geUefert warden, kamen unpünktUch herein, auch in ungleichen Mengen, und die unverkauften Restbestande machten den Laden zu einer Trtf delbude. Dabei waren es entweder zu viele Artikel oder zu wenige. Wer Gummischuhe wollte, hatte kein Interesse fttr Taschenuhren, aber einen Regenschirm hütte er unter Umstanden mitgenommen. Die lassen." andern Kettenladen waren eine starke Konkurrenz, trotz der höheren Prelse. Der Mann sagte, es sei sehr schwer, an diesem Monatsende schon abzurechnen. Macheath klarte ihn ruhig und vernünftig darüber auf, daB die Konkurrenz der groBen Kettenladen eine unsittliche sei, da dieselben fremde Arbeitskrafte ausbeuteten und zusammen mit den jttdischen Banken die Warenpreise ruinierten. Er beruhlgte ihn aber über die groBen Geschafte, indem er anführte, daB in den prunkvollen Laden, etwa bei L Aaron, keineswegs alles so glanzend stehe, wie es den Anschein habe. Sie seien innerlich durch und durch verf ault, wenn sie auch auBerlich glanzten. Es handle sich gerade darum, den Kampf mit diesen Aarons und wie sie alle hieBen, mit rücksichtsloser Energie aufzunehmen. Darin dttrfe es keine Schonung geben. Was die Miete anging, versprach er Zuschüsse; aufierdem kleinere und vielfaltigere Posten. Er sagte auch zu, für pünktliche Belieferung sorgen zu wollen. Er verlangte dafür mehr Reklame von Seiten des Ladens. Die Leute könnten ja Handzettel malen, die Kinder konnten sie den Arbeitern am Fabriktor in die Hand drttcken, das Papier werde die Zentrale stellen. Kinder waren genug da. Polly trat für einen Augenblick in das Hinterzimmer. Es war alles ziemlich sauber, allerdings gab es nur Trttmmer von Möbeln. Auf einem baufalligen Sofa mit Einsturzgefahr lag eine alte Frau, die Mutter des Besitzers. Die Kinder glotzten. Die alte Frau sah hartnackig nach der Wand. Sie waren Beide froh, als sie wieder ins Freie traten. Mac fafite seine Metaung in dem Satz zusammen: „Entweder es hat einer einen B.-Laden oder viele Kinder!" Bei dem nachsten B.-Laden (mehr als zwei gab es noch nicht in Liverpool) blieb PoUy drauBen stehen, bis Mac fertig war. Durch das Schaufenster, hinter dem erstaunlich billige und adrette Anzüge hingen, sah sie Mac mit einem jungen, schwindsüchtigen Mann reden, der auf einem rohen Holztisch Anzüge schneiderte. Er hielt wahrend der Unterredung keinen AugenbUck in seiner Arbeit inne. PoUy erfuhr nachher, dafi der Mann die Stofte geUefert bekomme, soundsoviele Meter für soundsoviele Anzüge, deren Prelse festgesetzt waren, sehr niedrig natürUch. „Die Leute, die hier kaufen," sagte Mac, „können nicht viel bezahlen." Wenn der Mann sich nie verschnitt und der Absatz flott war, konnte er auf seine Kosten kommen. Besser würde er sich stehen, wenn er Familie hatte, mehr Arbeitskrafte. Aber das war seine Sache. Nach dem B.-System brauchte er sich keinerlei Vorschriften machen zu lassen. Macheath erzahlte, der Mann habe gegenüber seinem Bügelbrett an die Wand einen Zeitungsausschnitt geheftet. Auf dem stand: „Ohne Fleifi kein Preis!" Nachdem Macheath noch in einem Engr os- Stahl war engeschaft einen Posten Rasierklingen mit vordatierter Rechnung besteUt hatte, war er in Liverpool fertig und sie konnten nach London zurückfahren. Sie hatten den Plan, Herrn Peachum vorerst die Heirat zu verheimUchen, um ihn nicht unnötig vor den Kopf zu stofien. PoUy woUte allein heimkommen, die Mutter zum Schweigen bringen (sie hatte eine Flasche Kognak in der Handtasche) und Mac melden, wenn ihr Vater aus Southampton zurttck war. Aber als PoUy den Laden betrat, war Herr Peachum schon aus Southampton zurück und alles in heller Aufregung wegen ihres Übernachtausbleibens. Noch unter der Tür riB ihre Mutter ihr die Handtasche aus der Hand. Sie förderte daraus eine Flasche Kognak, eine in Liverpool gekaufte Hemdhose und ein Brautkleid ans Licht. Die Wlrkung dieses Anblicks war enorm; aber wer liebt Familienszenen und wer verzlchtet nicht gern zu erfahren, was die alten Leute ihrer Tochter, der Frucht ihrer Leiber, sagten. Es kam alles ans Licht, der „Tintenfisch" sowohl Wie das Liverpooler Hotelzimmer mit zwei Betten. Der Name Macheath, hinfort auch der seiner einzigen Tochter, war für Peachum ein Keulenschlag auf den Kopf. Vor Jonathan Peachum, den Soho und Whitechapel respektvoll den „Bettlerkönig" nannten, lag die Unterwelt der Britischen Insein und ihrer Dominions wie ein aufgeschlagenes Buch. Er wuBte, wer Macheath war. AuBerdem war er nicht nur ein geschandeter, sondern auch ein rulnierter Mann. Weder die drei Hauser, in deren Mauern er den ungeheuerlichen Keulenschlag des Schicksals erhielt, noch der wurmstichige Tisch, auf den er sich dabei stützte, gehörten ihm jetzt noch. Heute morgen hatte er drei Schiffe in Southampton gesehen, von denen mindestens eines er allein zu bezahlen hatte. Und seine Tochter, der letzte Strohhalm, legte sich in ein Hotelbett in Liverpool zu einem dreckigen Elnbrecher! „Ich komtne ins Zuchthaus," wütete er, „meine Tochter bringt mich ins Zuchthaus! Noch heute früh in Southampton bin ich nach einer schlaflosen Nacht gegangen und habe ihr ein Kleid gekauft, im Kontor liegt es, es hat xwei Pfund gekostet! Ich dachte, ich bringe ihr etwas mit, sie soU sehen, dafi für sie gesorgt wird! Andere Kinder mussen von früh auf ihren Unter- halt er wer ben, Ihre Beine sind krumm, weil die Milch gesport wird. Ihre Gemüter sind verpestet, weil sie die Schattenseiten des Lebens zu früh sehen müssen. Meine Tochter tronk Milch literweise, VoUmilchl Sie sah nur Fürsorge und FreundUchkeit. Sie lernte Klavierspielen! Jetzt, ein einziges Mal, ver lange ich etwas von ihr, sie soll einen tüchtigen Geschaftsmann heiraten, einen Mann mit Prinzipien, der sie auf Handen tragen wird! Er wird mich ins Zuchthaus bringen, weil ich ihr et wegen ein Geschaft gemacht habe, von dem Ich nichts verstehe, einzig um ihr eine Mit gift zu verschaffen! Was glaubt dieses verderbte Geschöpf eigentlich? Wenn ich eine meiner Naherinnen mit meinem Geschaftsführer ertappe, f liegt sie, so sehe ich auf Mor al in meinem Hause! Vnd meine Tochter Helt Hch mit einem notoritchen Heiratttchwindler und Mitgiftjager. Jetzt kann ich zusehen, wie ich He schelden losse. Vnd dann ist sie ladlert für ihr Leben. Coax wird et ihr nie verzeihen; er hat einen aus gesproc henen Slnnfür Reinheit der Frau und, wie die Dtnge stehen, ein Recht, wahlerisch xu sein!" Der Pfirsich safi heulend in seinem Rosazimmer und wagte nicht, Mac, der im Tintenfisch, der Wiege allen Übels, auf Bescheid wartete, wann er seinem Schwiegervater den entscheidenden Besuch machen sollte, auch nur eine Botschaft zukommen zu lassen. Macheath wartete den ganzen Abend geduldig oder ungeduldig und am nachsten Vormittag ging er in den Instrumentenladen. Ein groBer, mürrischer Kerl von lebensgefahrlichem Aussehen trat ihm entgegen und als Mac seinen Namen nannte, nahm er ihn ohne ein Wort zu entgegnen bei den Schultern und warf ihn aus der Tür. Zwei Tage spater bekam er einen Zettel vom Pfirsich, er sóUe um Gotteswillen sich nicht sehen lassen und am Abend ïrnm sie dennoch ganz verheult fttr wenige Minuten ans StraBeneck, um ihm zu sagen, ihr Vater bestehe darauf, daB sie in seinem Hause bleibe. Er enterbe sie sonst und zeige Mac auBerdem bei der Polizei an, da er genug über ihn wisse. Mac hörte ziemlich ruhig zu und sagte wenigstens nichts von Fliehen und solchem Unsinn. Er wollte sie nur für fünf Minuten in den Park haben, aber sie ging nicht mit. Ein, zwei Wochen sahen sie sich nur auf Augenblicke. VI Ich begehre, nicht mehr zu leben. LaB ab von mir, denn meine Tage sind eltel. Was ist ein Mensch, daB du ihn groB achtest, und bekümmerst dich um ihn? Du suchest ihn taglich helm, und versuchest ihn alle Stunde. Hab ich gesündigt, was tue ich dir damit, o du Menschenhüter ? Warum machst du mich zum Ziel deiner Anlaufe, daB ich mir selber eine Last bin? Und warum vergibst du mir meine Missetat nicht, und nimmst nicht weg meine Sünde? Denn nun werde ich mich in die Erde legen, und wenn du mich morgen suchest, werde ich nicht da sein. (Das Buch Hlob) Schwitz bade r In Battersea, an der Ecke der Fourney- und der DeanstraBe, lag eine alte Badeanstalt nur für Marnier, wo hauptsachlich fittere Herren verkehrten. Die Einrichtung war ein wenig primitiv. Die Wannen waren aus Holz und schon ziemlich verwittert; die Tische, auf denen massiert wurde, waren etwas wacklig und die Badeleinen löchrig vom vielen Gebrauch. Aber es gab bestimmte medizinische Bader dort, die, aus Krautern hergestellt, nirgends sonst zu bekommen waren. 127 Sie wurden nicht von Arzten empfohlen; ein Besucher empfahl sie dem andern. DieAnstalt hieB „Feathers Wannenbader". Die Preise waren nicht niedrig. Die Bedienung wurde von Madchen ausgeführt. Hier verkehrte William Coax; er kam mindestens einmal die Woche. Die Mitglieder der Transportschiffegesellschaft hatten sich daran gewöhnt, hierher zu kommen, wenn sie ihn sehen wollten. Die Bader wurden in abgeschlossenen Kojen genommen; auch die Massage wurde dort verabreicht. Die Schwitzkasten und Ruhepritschen jedoch standen in einem gemeinsamen Raum. Hier konnte man sich verhaltnismaBig bequem unterhalten, besonders, wenn man alle Kojen belegte. Die Anstalt war darauf eingerlchtet; es wurde dann einfach ein Schild „Belegt" an die Kasse gehangt. Ihr gewöhnlicher Tag war der Montag. Zum Wochenende blieb die Anstalt geschlossen, sodaB das Personal am Begum der neuen Woche nicht zu sehr abgearbeitet war. Coax war groB in solchen Berechnungen. Einige der Mitglieder hatten sich am Anfang gestraubt gegen die Wahl dieses Zusammenkunftsortes. SchlieBlich wollte dann keiner sich ausschlieBen. Besonders als die Angelegenheiten der TSV eine so verhangnisvolle Wendung genommen hatten, wurden die Zusammenkünfte pünktlich eingehalten. Es kam sogar Finney, ein altlicher, vertrockneter Mensch von nörgelndem Wesen, der jede Art von Luxus verabscheute, von seinem Krauterbad allerdlngs behauptete, es verschafte ihm besser als sonst was Erleichterung bei seinem Magenleiden. Er vermutete ein Krebsleiden und unterhielt sich gern über seine Sympthome. Das Bademadchen von Nummer 6 kannte sie schon auswendig. Peachum hatte sich ein für allemal den einzigen Bademeister ausbedungen, einen grofien, dicken Mann, der wegen seiner Massagen gefürchtet war. Die Madchen waren im allgemeinen nicht zudringlich, aber fttr Peachums Geschmack zu leicht bekleidet. Peachum sprach sogleich nach seiner Rückkehr aus Southampton mit Eastman und verstandigte ihn von den Preisen der neuen Schiffe. Er gab ihm zu verstenen, dafi der Ankauf unbedingt so rasch wie möglich erfolgen mttsse. Zu diesem Zweck aufierte er sich ungemein abfallig ttber Coax und nannte ihn einen gewissenlosen Halsabschneider. Er wttrde ganz bestimmt den Versuch der Gesellschaft, der Regierung alte, baufallige Schiffe zu verkaufen, an die grofie Glocke hangen. Das ganze Geschaft sei von allem Anfang an darauf hinausgelaufen, sie zu etwas KrimineUem zu veranlassen !und dann auszupressen. Der ttbUche und verantwortbare Gewinn bei Kriegslieferungen sei 300 Prozent. Der von der Gesellschaft angestrebte von ttber 450 Prozent werde furchtbaren Stunk machen. Eastman stimmte ihm zu, dafi man erst nach Erwerb der neuen Schiffe mit dem Makier abrechnen könne. Sie beschlossen, die Mitglieder noch einige Tage zappeln zu lassen und erst bei der ttblichen Móntagszusammenkunft die sehr hohen Preise zur Sprache zu bringen. Coaxens Anwesenheit müsse sich eher günstig auswirken, da er dann immerhin noch einige Hoffnungen auf eine Erhöhung der Kaufsumme von Seiten der Regierung machen könne. Die Besprechung der sieben Herren in der Badeanstalt am darauffolgenden Montag verlief nicht ohne Spannungen. Moon, der Textilfabrikant, Finney und der Baronet lagen schon auf den Pritschen. Peachum llefi sich noch massieren, und der Restaurateur Crowl, der kein Bad nehmen wollte Dreigrosch cnroman 9 saB in Kleidern auf seinem Stuhl, als Eastman im Schwitzkasten zu berichten begann. Coax machte Freiübungen. Eastman fing an mit der Notwendigkeit, sich den Verkauf der alten Kasten ein für alle Mal aus deni Kopf zu schlagen. Er betonte, der Plan sei verlockend gewesen, habe sich aber als undurchftthrbar herausgesteüt. Für die 5000 Pfund, die man Coaxens Gewahrsmann im Marineamt konzediert habe, könne man eine tatkraftige Unterstützung der Interessen der TSV verlangen, aber kein Augenzudrücken, das an ein Verbrechen grenze. Die Vertuschung des ersten, unsellgen Versuchs der Gesellschaft mit der „Schonen Anna", dem „Jungen Schiffersmann" und dem „Optimisten", die Übertragung dieser Namen auf neue Schiffe werde weitere 7500 Pfund kosten, 4000 sofort und 3500 bei GeschaftsabschluB. Man müsse sie eben als Lehrlingsgeld betrachten. Peachum beobachtete, wahrend er vom Bademeister unsanft massiert wurde, mit Interesse einen stillen, unterirdischen Wettbewerb im Schwitzen zwischen dem dicken Eastman lm Schwitzkasten und Crowl, der vollkommen angekleidet auf seinem Holzstuhl saB und ihm mit unbeschreiblich gierigem Ausdruck zuhörte. Der Restaurateur war das schwüchste Glled in der Kette der TSV nach dem Ausscheiden des Schafzüchters. Er hatte von Anfang an über seine schlechte Geschaftslage geklagt und von einem Schwert gesprochen, das dauernd über ihm hange. Gerade deshalb hatte er immer besonders eifrig das neue, gewinnbringende Geschaft verfolgt. Das zuerst eingezahlte Kapital stammte von seinem Schwiegervater. Jetzt trat er komischerweise mit dem Hausbesitzer in Wettbewerb im Schwitzen. Als Eastman, noch ganz trocken, von der Schwierigkeit, gerade jetzt geeignete Transportschiffe aufzutreiben, be- richtete, fingen ihm schon die Schweifiperlen an über die Stirn zu rinnen. Und ais Eastman zu den eigentlichen Preisen (38.500 Pfund und 7500 Pfund) kam und selber die ersten kleinen SchwelBtropfen hervorbrachte, saB der Restaurateur schon in Schweifi gebadet. „Sosehr," dachte Peachum, „übertrifft die Wirkung seelischer Einflüsse diejenigen rein körperlicher Mafinahmen. Der menschttche Kbrper ist ganz und gar in der Hand der Seele und des Gemütes." Auch die ttbrigen Herren zeigten die furchtbaren Wirkungen seelischer Erregung auf Aussehen und Haltung. Finney, allerdings eine Memme, schlug sich mit der Hand klagend auf den Leib und Moon wimmerte wie ein altes Weib. Waren die Bademadchen zugegen gewesen, sie hatten sich sehr ttber die Schwachlichkeit dieser sonst so herrschsüchtigen Manner gewundert. Allerdings ist die Frau ja, allen medizinischen Forschungen zufolge, ungleich besser geeignet, Schmerzen auszuhalten als der Mann. Peachum selber ftthlte sich sehr elend im Gedanken an den furchtbaren Schlag, der ihn durch die unzeitgemaBe Heirat seiner Tochter getroffen hatte. Als Eastman mit seinem Bericht fertig war und aus dem Kasten heraustrat, sagte als erster der Restaurateur mit merkwttrdig dumpfer Stimme, er sei dann also bankerott und mttsse die Herren bitten, mit ihm nicht mehr zu recbnen. Alles noch zu Besprechende könnte man mit seinem Rechtsanwalt abmachen. Er fügte hinzu, daB sein Schwiegervater 78 Jahre alt sei und das Geld auf seine Altersversicherung aufgenommen habe, ln der Hoffnung, seiner Tochter eine sorgenlose Existenz zu verschaffen. Seine,Crowls, Kinder seien 8 und 12 Jahre alt. Eastman warf, sich die massigen Schenkel abtrocknend, ein, es werde schon nicht so schllmm sein, wurde aber von Moon deswegen angeherrscht. Er krankte sich darüber. Finney wies aut seine schwere (wahrscheinlich lebensgefahrliche) Krankheit hin und bezweifelte, ob er die hier nötigen Summen aufbringen könne. Eastman erwiderte gereizt, daB auch er sich eine angenehmere Verwendung von etwa 3000 (dreitausend) Pfund denken könne. Der Baronet schwieg. Für seine Erziehung war viel Geld ausgegeben worden. Inzwischen war Coax mit seinen Freiübungen fertig und konnte seinen LSmmern den Nackenschlag versetzen. Er trug einen rosa Badeanzug und schwarze Badeschuhe. „Meine Herren," sagte er, „wir sind noch nicht fertig. Sie haben den Preis gehort, zu dem anstandige Schiffe zu haben sind. Sie werden nicht erstaunt sein, zu horen, daB fttr Geld nicht alles feil ist. Diese Schiffe zum Beispiel sind fttr Geld alleln nicht zu haben." In diesem Augenblick begann Crowl zu grinsen. Völllg vernichtet saB er auf seinem Holzstuhl, nickte mit dem fleischigen Kopf und grinste. Ihn ging der zweite Schlag nichts mehr an, da ihn schon der erste niedergestreckt hatte. Coax sah miBtrauisch zu ihm hin und fuhr dann fort: )(Ich kann mir denken, daB Sie das Vertrauen zu sich einigermaBen verloren haben. Aber leider haben nicht nur Sie das Vertrauen zu Hu-er TSV verloren, sondern auch wir. Mein Schulfreund im Marineamt wünscht, daB das weitere Geschaft von mir abgewickelt wird." Die Herren, bis auf den Restaurateur alle nackt, also in jenem ungemütlichem Zustand, in dem sie dem Religionsunterricht zufolge elnst auch vor Gottes Thron zu treten hatten, sanken noch etwas zusammen. Peachum stieB den dicken Badewarter zur Seite und richtete sich auf. Was Coax da sagte, das war auch ihm neu. „Wir denken uns die Erledigung der unangenehmen Geschichte so," sagte Goax. „Ihre Gesellschaft hat zunachst 8200 Pfund ausgezahlt. Davon wurden diese Dinger gekauft, von denen wir nicht reden wollen. Für die Verschönerung Ihres Ankaufs haben Sie, wie mir bekannt ist, über 5000 Pfund zur Verfügung gesteUt. Erhalten haben Sie von der Regierung 5000 Pfund. Zu zahlen haben Sie noch laut Abmachung 25 Prozent von der Zahlung der Regierung als Provision an mich, das sind 12.250 Pfund, und an meinen Freund, der erst 5000 Pfund erhalten hat, noch 7500 Pfund in zwei Raten, wie Innen ja Herr Eastman es nahegelegt hat. Auch kommen noch 38.500 Pfund für die neuen Schiffe hinzu. Wenn Sie diese Summen zusammenrechnen, werden Sie finden, dafi Sie insgesamt etwa 75.000 Pfund Auslagen haben. Die Zahlung der Regierung betragt 49.000 Pfund und die Gegenstande, von denen ich nicht rede, weU ich kein Staatsanwalt bin, erklare ich mich bereit, für Ihre Rechnung um 2000 Pfund zu verkaufen. Wert sind sie, nach dem UrteU Ihres eigenen Sachverstandigen, 200 Pfund. Immerhin haben Sie 5000 Pfund für Reparaturen hineingesteckt und ich bin für korrekte Abwicklung. Wenn Sie abgerechnet haben, werden Sie, vorausgesetzt, meine Rechnung stimmt, als Gesamtverlust nicht mehr als 26.000 Pfund buchen mussen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dafi das etwa 20 Jahre Gefangnis aufwiegt, die Sie insgesamt zu gewartigen hatten. Meine Herren, der letztere Weg steht Ihnen natürUch ebenfaUs noch offen. Wenn Sie ihn zu betreten wünschen, kann ich Ihnen die Schecks über 5000 Pfund, die Sie mir fttr meinen Freund ttbergeben haben, sofort zurückerstatten. Ich habe sie bei mir." Die Findigeren unter den Anwesenden zweifelten daran nicht. Die Sache war .von Coax ausgezeichnet durchdacht. Der Mann im Marineamt würde trotz der Rttckgabe der Schecks und einiger Meineide hereinfallen, da er immerhin unbesictrügte Schiffe gekauft hatte, nur war damlt der Gesellschaft kaum geholfen. Sie hatte Schiffe verkauft, von deren Unwert sie unterrlchtet war. Coax verlangte, die Gesellschaft solle sich einen Bevollmachtigten wahlen, mit dem er dann Zug gegen Zug das Geschaft abwickeln wolle. Bis knapp vor der endgültigen Übergabe der fertigen Schiffe an die Regierung soüte alles durch die Gesellschaft unternommen werden, dann erst wollte er selber in den Regierungsvertrag eintreten, also erst, wenn die neuen Schiffe vorhanden und gegen die alten vertauscht seien. Bis dahin mufiten auch «Ir den Fall plötzlicher Inspektionen die Arbelten an den alten Schiften fortgesetzt werden. So blieb das Schwert ttber der TSV bis ganz zuletzt hangen. Die Gesellschaft tand nicht die Kr aft, Einspruch zu erheben. Als Coax am Ende alle Beteiligten zu einem kleinen Lunch in der Natie aufforderte, hatte memand Lust, ihm zu antworten. Er sagte also noch ln aller Eile, daB er auf die Lleferung der Schiffe auf keinen Fall langer als acht Wochen warren könne und ging vor allen andern weg. Die Herren beschlossen, die genaue Berechnung der noch entstehenden Kosten Eastman und Peachum zu ttberlassen und sich mit ihnen, sobald sie aufgesteUt sei, wieder zu treffen, spatestens am nachsten Montag. Die Angelegenheit war in einem Stadium, wo man nüchterne Bttros scheut und am llebsten so tut, als genttge es vollkommen, sich gelegentlich zu treffen. Peachum war bekümmerter denn je. Er arbeitete nun Goax in die Hand in der TSV. Aber er hatte nicht einmal seine Tochter frei für ihn; was sollte daraus werden? Vormittags ging er zu den Docks. In den Schiften summte es wie in Bienenkörben. Es wurde gehammert, gesagt und gestrichen. Die Arbeiter standen auf schwankenden Leitern und hingen in gebrechlichen Drahtkörben. Peachum stand fröstelnd inmitten all des FleiBes und all der Betriebsamkeit. Es wurde an Material gespart bis zum AuBersten; Holz, Eisen, ja sogar die Farbe, alles war vom Billigsten. Und doch war es ein so ungeheures Verlustgeschaft! Dann hastete Peachum in seine Fabrik zurttck. Auch Hier ging alles seinen Gang. Im Kontor rechneten die Bettler ab. Beery verglich aufmerksam die Betrage mit seinen Listen und nahm miBtrauisch und erfahren die Entschuldigungen für Rttckgange entgegen. Er schlichtete Grenzstreitigkeiten und Aktionen gegen Aufienseiter. In den Werkstatten saBen die Madchen über die langen Tische gebückt. Wenn der Bedarf der Fabrik gedeckt war, arbeiteten sie für Trödler und WeiBwarengeschafte. Der Instrumentenmacher reparierte Pfelfen für Leierkasten. Einige Bettler probierten neue Musikrollen aus und wahlten lange, bevor sie sich entschieden. Im Schulzimmer war Unterricht. Eine vertrocknete Alte, abends Toilettenfrau in einem Restaurant, zeigte einem jungen Madchen, wie man Blumen verkauft. Seufzend stand Peachum herum. Was nützte das alles, wenn man immerfort versucht war, aufzuhorchen, ob nicht Schritte die Stiegen heraufklappten, weil die Polizei im Kontor erschienen war? An allem war seine Tochter schuld. Durch ihre hemmungslose Sinnlichkeit, wohl ein Erbe Ihrer Mutter, sowie in Folge einer straflichen Unerfahrenheit, hatte Polly sich einem mehr als dunklen Individuum in die Arme geworfen. Warum sie ihren Liebhaber auch noch gleich geheiratet hatte, war ihm ein Ratsel. Er vermutete Schreckliches. Seine Ansicht ttber die zwischen Verwandten nötige Distanz erlaubte ihm aber nicht, sich mit ihr ttber Privatangelegenheiten zu unterhalten. AuBerdem war es nur schadlich, ttber Dinge zu sprechen, die unter keinen Umstanden sein durften und deren Bereinigung man verlangen konnte: durch Sprechen zog man sie nur in den Bereich der Möglichkeit und beraubte sich dadurch der Hauptwaffe, der offenkundigen Unfahigkeit, sich vorzustellen, es könnte etwas Unrechtes vorgekommen sein. Mitten in der Nacht oder gegen Morgen stand Peachum fttr gewöhnlich noch einmal auf und lief nach oben, den Fachwerkgang entlang, um zu sehen, ob Polly noch da war. Dann sah er sie, durch das halboffene Fenster undeutlich, im Bett liegen. Sie wohnte ruhig weiter im Hause und schien ihren Mann kaum je zu treffen. Auf jeden Fall muBte ihre Ehe so schnell wie möglich rttckgangig gemacht werden. Peachum brauchte seine Tochter. DaB Coax Polly nach wie vor nehmen wttrde, daran zweif elte Peachum keinen Augenblick. Er hatte dessen blinde Gier in Southampton bemerkt. Dieser Wttstling stand allzu offensichtlich unter der Gewalt seiner flelschlichen Begierden. Und dieser Macheath schien immerhin das weitere Verbleiben seiner Frau unter dem elterlichen Dach hinnehmen zu wollen. Er unternahm nichts Ernstliches, lieB sich ohne GegenmaBnahmen hinauswerfen und verbreitete auch, soweit Peachum es ttberprttfen konnte, vorlaufig noch nirgends, wen er geheiratet hatte. Die Drohung mit der Enterbung 136 schien voll gewirkt zu haben. Er war offenbar sehr gierig auf das Geld. Er brauchte es wohl. Seine B.-L&den waren groBzügig aufgezogen und benutzten sinnreich das ersparte Geld kleiner und kleinster Leute, aber sie waren auch primitiv genug, eigentlich nicht mehr als dunkle, ausgekalkte Löcher mit einigen Haufen roher Waren auf fichtenen Brettern, mit verzweifelten Menschen dahinter. Der Herbeischaffung der sehr billigen Waren konnte man nicht auf den Grund sehen. Peachum versuchte, durch seine Bettler in Verbindung mit Inhabern solcher B.-L&den zu kommen. Er hatte nicht viel Erfolg damit. Die Leute schwiegen verbissen, hafiten Bettler und schienen auch nicht viel über die Herkunft ihrer Waren zi» wissen. Mehr Erfolg hatte seine Nachforschung nach der Vergangenheit dieses Macheath. Sie wies jenes Halbdunkel über ganze Gruppen von Jahren hin auf, das die Biographien unserer groBen Geschaftsleute auf vielen Seiten so stoffarm macht; sie steigen meist plötzlich und überraschend „senkrecht empor" aus dem Dunkel nach so und so vielen Jahren „harter und entbehrungsreicher Arbeit" — wobei fttr gewöhnlich vergessen wird mltzuteilen, welcher Leute. Die kleinen Konkurrenten der B.-Laden behaupteten, Herr Macheath habe sich in seiner nicht allzu weit zurückliegenden Jugend Heiratsschwindeleien zuschulden kommen lassen. Die betreffenden Madchen nannten sie B.-Br&ute, wuBten aber keine Adressen anzugeben. Mit solchen vagen Gerüchten war nichts zu machen. Es war sowieso klar: irgendwle verlief dieses Leben nach rückwarts unten in die Unterwelt. Zu irgend einer nicht allzu fern liegenden Zeit waren die Methoden dieses erfolgreichen Herrn noch nackter, gröber und den Gerlchten greifbarer gewesen. Unter anderem besuchte Peachum den „Spiegel", jenes Blatt, das einmal eine zeitlang behauptet hatte, Material gegen den Besitzer der B.-Laden in Handen zu haben. Die Leute erinnerten sich nur sehr schwach an die Sache und faselten irgend etwas von Mangel an richtigen Unterlagen. Peachum mufite, ohne etwas erfahren zu haben, abziehen, hatte jedoch den Eindruck, sie wüBten dort immer noch etwas, hatten auch Material. Frau Peachum, ln dieser Zeit mehr als sonst sich selber und damlt dem Obstkeüer überlassen, ahnte dumpt die Gefahr, die ttber dem Haus hing und zerbrach sich ihrerseits ebenfalls den Kopf, wie sie Polly von dem „Holzhandler" wieder wegbringen könnte. Sie konnte Goax nicht leiden, weil er ein „Falscher" war, aber bestimmt war er die bessere Partie. • Sie walzte Pl&ne, Macheath bel irgend einer Weibersache zu ertappen. Er mufite unbedingt Weibergeschichten haben; sie hatte seinen Griff um die Httfte Pollys nicht vergessen und jetzt war er die ganze Zeit ohne Frau. Aber dann dachte sie wieder, durch einige Kirschwasser geistig erhellt, dafi solche Geschichten in diesem Stadium mit ihren tranenreichen Versöhnungen unweigerlich zu noch innigeren Bezlehungen führen mufiten. Sie gab also ihre Plane wieder auf. Peachum erwog bereits, dem Mitgiftjager Geld anzubieten, aber dieser unnatürliche Ausweg schien Ihm dann doch zu schwer. Er schickte Beery hinter Macheath her. Der Holzhandler sprach mit ihm in Fanny Cryslers Antiquitatenladen. Beery saB, ein Klumpen rohen Fleisches, auf der vor der sten Kante eines zerbrechlichen Ghippendalestuhles; den stelten Hut liefi er zwischen den dicken Knien baumeln. „Herr Peachum lfifit Ihnen sagen," richtete er aus. „Sie 138 sollen so schnell wie möglich die Polly aus der Sache wieder rauslassen, sonst gehts Ihnen dreckig. Sie hat schon genug von Innen. Und vor allem hat Herr Peachum genug von Ihnen. Wenn Sie denken, Sie haben sich in ein Fettnapfchen gesetzt, so ist das ein gewaltiger Irrtum, Herr. Es gibt keine Mitgift! Wir haben knapp das laufende Bargeld, das wir brauchen. Sollten Sie was anderes gehort haben, dann hat man Innen einen Baren aufgebunden. Wir sind auch schon hinter einigen Weibern her, die sich ebenfalls Frau Macheath nennen konnten, wenn sie wollten und Ihren Aufenthaltsort kennen wurden. Das können Sie sich hinter die Ohren schrelben, das wir allerhand machen werden, um Sie los zu werden. Aber Herr Peachum sagt, er will keinen Krach mit Ihnen haben, sondern alles in Ruhe und Freundlichkeit abmachen, warum ist mir schleierhaft. Ich würde die Sache ganz anders anpacken, wissen Sie!" Macheath lachte. I„Sagen Sie meinem Schwiegervater, wenn er mal in Verlegenheit Ist, kann ich ihm mit kleineren Summen aushelfen," sagte er freundlich. „Wir sind nicht in Verlegenheit," antwortete Beery grob, „aber Sie werden es bald sein. Wir sind in einem Rechtsstaat, Herr! Noch einmal: wir haben nicht die Marie, die Sie sich einreden. Es ist umsonst, Herr. Wir sind bettelarme Leute, aber die soll man nicht treten. Sonst könnte sich der Wurm krümmen, und zwar machtig." „Aber drauBen," forderte ihn Macheath auf, „er mufi sich drauBen krümmen, nicht hier in meinem Geschift!" Beery ging mit einem tückischen Grunzen ab. Peachum seufzte, als er den Bericht erhielt. Er hatte knapp acht Wochen; dann muBte er seine Tochter wieder zur Verfügung haben oder zahlen. 139 ■ Der Restaurateur Crowl hatte nicht gelogen. Es steilte sich heraus, daB er nicht nur nichts zusetzen konnte, sondern sogar auf Gewinne aus dem Transportschiffegeschaft mit der Regierung angewiesen war und zwar auf rasche Gewinne. Er war völlig bankerott. Zudem meldete sich jetzt auch der Baronet, ein noch junger Mann, und gestand seine Zahlungsunfahigkeit. Er besaB verschuldete Landereien in Schottland und stand vor der Entmündigung. Peachum und Eastman sprachen mit ihm wie mit einem kranken Pferd in Peachums Kontor. Er hatte noch die Möglicbkeit, reich zu heiraten. Es gab da eine selbstandige Amerikanerln, die seinen alten Namen und seine Manieren zu kaufen bereit war. Ihr gefielen die Möbel in den englischen Landhausern, besonders die Stühle. Der junge Glive nannte sie eine Ziege und deutete Schauder an, aber Eastman reagierte darauf sehr sauer, machte ein ablehnend ernstes Gesicht und erkundigte sich betont respektvoll nach der Dame. Vergleiche ihrer Beine mit denen von (schlechten) Pferden überhörte er. Die beiden Herren drohten mit dem Skandal, wenn die TSV aufflöge und redeten dem jungen Mann so lange ins Gewissen, bis er versprach, die Amerikanerln anstandig zu behandeln. „Wozu erziehen wir," sagte Eastman auf dem Heimweg zu Peachum, „unseren Hochadel so sorgfaltig in unseren Collidges, trainieren ihn, halten ihm jedes entstellende Wissen peinlich fern und veredein sein Benehmen so sehr, dafi er es mit der besten Diener schaft aufnehmen kann? Gobelins hangt man nicht auf den Speicher. Rassepferde laflt man rennen. Herrenrassen züchtet man doch auch nicht zum Vergnügen. Eine xeltlang war der Markt mit unseren Lords ein wenig überfüttert. Heute ist er wieder durchaus aufnahmefahlg. Diese transatlan- 140 tischen Metzger- und Strumpfwirkertöchter können sich wirkUch nichts Besseres wünschen als unsere Jugend, wenn sie etwas um sich haben wollen, was tatsachlich kunstgerecht zu gahnen verstekt und übrigens die untergeordneten Rassen in Schach halten kann. Sie können in jeder Zeit schrift les en, dafi sich die Blüte unseres Landes drüben ausgezeichnet benimmt und allgemein Anklang findet." Dennoch blieb Clive vorl&ufig ein Loch in der TSV. Der für Montag festgesetzten Sltzung ging eine Unterredung zwischen Peachum und Coax voran. Coax nahm die Nachricht von der endgültigen Zahlungsunfahigkeit Crowls und der vorlaufigen des Baronets ohne Erregung auf. Er auBerte nur, er müsse sich eben an die Transportschiffeverwertungsgesellschaft als Ganzes halten. Er riet, die morschen Zweige vom Stamme der Gesellschaft abzuhacken, aber dafür zu sorgen, daB die abgestoBenen Mitglieder stumm blieben und sprach dann von Polly. Diese gehe ihm, gestand er, nicht mehr aus dem Kopf. Das furchtbare Erlebnis in Southampton habe ihn innerlich verandert. Gewisse gute Adem in ihm seien dadurch sozusagen aufgebrochen. Er spüre einen ihn selbst überraschenden Durst nach Reinheit. Polly sei nun einmal dieses Idol fttr ihn. Sie erscheine ihm wie ein klarer Brunnen. Ein Gesprach mit ihr heilige gewissermaBen seine ganze Arbeitswoche. Alles das sagte er schlicht und Peachum voll in die Augen blickend. Peachum hörte aufmerksam zu und verstand, daB die endgültige Abwicklung des Schiffegeschafts zwischen ihnen keine besondere Schwierigkelt mit sich bringen würde. Coaxens vorsichtige Ausdrucksweise billigte er. Der Makier verstand, kaltes Blut zu bewahren. Peachum ging allein in die Badeanstalt. Die anderen Herren warteten schon auf ihn. Niemand badete. Man saB im Anzug auf den Holzschemeln, obwohl die Luft unertraglich warm und feucht war. Peachum berichtete zunachst über den Zusammenbruch Crowls und des Baronets. Beide blickten vor sicb hin, der Baronet lachelnd. Der Gesamtverlu8t betrage, erklarte Peachum weiter, wie Goax richtig angegeben habe, etwa 26.000 Pfund, sodaB auf jedes Mitglied rund 3800 Pfund trafen. Die TSV sei an einem vollkommen gerauschlosen Verlauf interessiert. Er bot sich an,- dabei die Hilfe seiner eigenen Bank, der National Deposit Bank, zu beschaffen, wenn man ihm die Leitung der Geschafte übergabe. Die Herren nickten schwitzend. Auch Crowl und der Baronet nickten. Peachum sah sinnend auf die Beiden. Dann begann er wieder zu sprechen und verlangte ohne jeden Umschweif von Growl und dem Baronet Schuldscheine auf ihren Anteil am Verlust sowie ihre Unterschrift unter eine genaue Darstellung des gesamten Hergangs. Sie sollten unterschreiben, dafi sie nach Besichtigung der alten Schiffe und dem Anhören eines Fachmannes über deren Unwert sie der Regierung verkauft und deren Anzahlung darauf in Empfang genommen hatten. Diese Unterschrift würde ihnen bei Abzahlung ihrer Verbindlichkeiten zurückgegeben werden, sie sei gegen sie nicht ohne weiteres verwendbar, da ja eine Verwertung die ganze Gesellschaft kompromittieren würde, schütze aber doch die Gesellschaft vor Indiskretionen von ihrer Seite. Der Baronet unterschrieb resigniert. Er verstand nur, daB er die „Ziege" nun ohne Widerrede ehelichen mufite. Der Restaurateur war wie von Sinnen. Er erklarte, dafi er eine solche Schmach seiner Frau und seinem 78-jahrigen Schwiegervater nicht antun könne. Er könne einfach nicht untaugliche Schiffe an die Regierung verkauft haben. Sein Schwiegervater sei Oberst gewesen. Auch seinen Kindern könne er nach der Unterzeichnung eines solchen Dokumentes nicht mehr in die (klaren) Augen schauen, sie dürften keinen Verbrecher zum Vater haben. Er habe immer jeder Versuchung, sich auf unrechte Art zu bereichern, widerstanden, sonst stttnde er jetzt anders da. Seine Ehre gehe ihm noch über Geschaftsverluste. („Sie haben mich ruiniert," sagte er tranenüberströmr, als er unterschrieb, „ich bin im Mark gebrochen." Die Szene fiel allen auf die Nerven. „Dieser Crowl," sagte Eastman auf dem Heimweg zu Moon, I„dieser Crowl kann nicht verlieren. Schlechte Rasse! Das hat gar keine Ehre lm Leib! Sehen Sie den Baronet an! Er unterschrieb wie ein Mann. Er wird eine grauenvolle Person heiraten — wie ein Mann. Er steht ein für das, was er tut. Ein Mensch mit Familie sollte sich eben nicht in den Eadstenzkampf einlassen! Er kann seinen Kindern nicht in die Augen schauen! Aber der „Schonen Anna" konnte er in die Augen schauen! Der „Junge Schiffersmann" ist mindestens ebenso alt wie sein Schwiegervater! Er wollte ihn ohne weiteres wieder in den Kampf schicken. Warum soll sein Schwiegervater nicht mehr in den Kamof ? — Ich bezahle auch nicht gern. Finney hat seinen Matfenkrehs. Mnrr» Wirft er Ihn in die Waösrhalp? p»e>#>h..m * - - - — Beklagt er sich? Diesem Crowl fehlt einfach eine richtige Erziehung. Solche Leute sollte man in der City überhaupt nicht dulden! Vor jedem Geschaft sollte man seine Partner f ragen: Herr, wo sind Sie erzogen? Können Sie nach dem Geschaft Ihren Kindern in die Augen schauen? Ist Ihr Herr Schwiegervater noch rüstig? — Dieser Crowl ist überhaupt kein Englander, jedenfalls nicht für mich. Das will Herrenrasse sein?" Peachum fühlte sich nach dieser Sitzung sehr elend. Der Regierungs vertrag sollte in Coaxens Handettbergehen.sobald die TSV das Geschaft ausfinanziert haben würde. Und er hatte von Coax noch immer keine bindende Verabredung über eine Beteiligung an dessen Riesenverdienst, nicht einmal eine Zusage auf Kassierung seines Verlustes. Nach Lage der Dinge war solch eine Verabredung auch gar nicht zu treffen, bevor zwischen Coax und Polly ein Ehevertrag aufgesetzt werden konnte. Peachum vermied jeden Gedanken daran, was werden würde, wenn er sich mit Coax nicht einigen könnte. Schon jetzt waren es nurmehr drei Leute, Finney, Moon und Eastman, die den Riesenverlust tragen muBten. Wenn sie nicht imstande waren, die neuen Schiffe zu bezahlen, konnte jetzt noch alles zur Katastrophe werden. Mehr denn je benötigte er Coax. Eines Abends sprach er mit Polly ttber ihn und daB sie zu ihm anstandig sein mttsse. Von ihrer Ehe dürfe er nichts erfahren. Dann deutete er ihr an, er sei zusammen mit ihm in ein Geschaft mit irgendwelchen Schiften verwickelt und zwar so, daB man „uns vieUeicht noch das ganze Haus mit dem Laden ttber dem Kopf weg verkauft." Polly blickte erschreckt durch die altgewohnte, freundliche Stube mit den reinlich mit Sand gescheuerten ungestrichenen Fuflbodenbrettern, dem weiBen Kachelofen, den Mahagonnymöbeln und Florgardinen, als sie dies hörte. Sie liebte das alte Haus sehr, besonders die Höfe und Holzveranden, und traumte nachts, da von Schiften die Rede gewesen war, daB dieses Haus, das eigentlich aus drei Hausern bestand, lm Meere unterging, sodaB die Meeresfluten durch die Turen kamen. Am Morgen war sie halb und halb entschlossen, ein Opfer zu brlngen. „SchlieBlich will ich nicht an so etwas schuld sein," dachte sie, „man soll mir hinterher nicht vorwerfen können, ich hatte ein Opfer gescheut! Natttrlich ist es keine Kleinigkeit fttr ein Madchen, sich einem ungeliebten Manne hinzugeben, wenn er so aussleht wie Herr Coax. Aber Familie ist Familie, und Egoismus ist etwas HaBliches. Man kann nicht nur an sich denken!" Noch ein wenig im Bett liegen bleibend, erinnerte sie sich auch an die Brosche, die sie einmal bei Coax gesehen hatte und die in ihrer Vorstellung mit Coax untrennbar verknüpft war. Ursprttnglich hatte sie die haben wollen, um sie für 15 Pfund zu verkaufen, da sie damals dringend 15 Pfund brauchte. Jetzt brauchte sie sie nicht mehr, aber sie hatte immer noch gern die Brosche gehabt. Nach dem Mittagessen ging sie mit einem Brief ihres Vaters zu Coax. Sie machte ein kaltes und ablehnendes Gesicht, als ihr der Brief ttbergeben wurde. Sie glaubte nicht mehr, daB das, was ihr Vater ihr gestern ttber seine drohende Vernichtung gesagt hatte, stimmte, er konnte nur Mac nicht lelden. Auch zu Coax war sie sehr ktthl. Sie warf kaum einen Bliek auf die Brosche, die immer noch auf dem Schreibtisch lag. Dennoch war sie davon beeindruckt. Coax placierte sie ziemlich weit weg vom Schreibtisch in einen Schaukelstuhl und legte ihr ein paar in dickes Leder eingebundene Bttcher mit Bildern vor. Sie blatterte aber nicht darinnen, wfihrend er den Brief las. Er erhob sich also und verliefl das Zimmer. Dreigroschenroraaa 10 Auch jetzt noch schlug sie die Bücher nicht auf. Dennoch war sie rot im Gesicht, als er wieder hereinkam. In Wirklichkeit war sie plötzlich fest entschlossen, die Brosche zu bekommen. „Wenn er sie mir schenkt," dachte sie, „dann dauert ja aUes nur fttnf Minuten, wenn es so lange dauert. Umsonst kann er es nicht verlangen, so, wie er aussleht. Die Brosche ist bestimmt zwanzig Pfund wert und sieht zu einem offenen Kleid ganz gut aus. Natttrlich ist an mehr als einen KuB gar nicht zu denken, höchstens, daB er seinen Arm um mich legt. Das ist nicht zu viel fttr die Brosche. Andere Madchen meines Alters müssen noch ganz andere Dinge machen, um ihre Miete bezahlen zu können. Die Manner sind ja wahnsinnlg, daB sie solche Sachen dafttr hergeben. Aber sie sind nun einmal so!" Und sie seufzte. Als der Makier zurückkam, muBte er denken, sie habe ln die Bücher hineingeschaut und stehe unter ihrer Wirkung. Den frisch geschriebenen Antwortbrief durch die Luft schwenkend, damlt die Tinte trocknen konnte, ging er auf sie zu. Sie stand hastig auf, als sie sein Gesicht sah. Er hatte sich vergewissert,dafi seine Schwester auBer Hause war, legte den Brief auf den Schreibtisch und flel über sie her. Sie wehrte sich wenig, zuerst hatte sie noch ein kleines Bedauern, dafi sie die Brosche nicht bekommen hatte, dann fügte sie sich aber, da er so aufier sich war und des Vergnügens wegen. Dennoch hatte sie wenig von allem, denn mitten drin flel ihr Mac ein, dem es nicht rechtsein wttrde. Als sie sich verabschiedete, war die Tinte auf dem Brief trocken. Sie legte den Brief unten im Büro auf das Stehpult ihres Vaters und ging nach oben, wo sie sofort zu packen anfing. Eine halbe Stunde spater ging sie, ohne besondere VorsichtsmaBregeln zu ergreifen, durch den Instrumentenladen mit dem Koffer weg. Sie hatte auf dem Rückweg gehort, Macheath lebe nun vollends mit einer anderen Frau zusammen, jener Fanny Crysler, die den Antiquitatenladen an der Waterloobridge hatte. Ihr Vater und ihre Mutter warteten die halbe Nacht auf ihre Rückkehr. Herr Peachum stand am Fenster und sagte: „Br hat He also ge holt. Er meint, er kann das. Es gibt für selnes gteichen keine Gesetze. Wenn er etwas will, holt er es sich. Wenn er ein Bedürfnis empfindet, mit meiner Tochter die Nacht zuzubringen, holt er sie sich aus meinem Haus weg und fallt über sie her. Ihre Hout gef&Ut ihm. Ich habe jeden Waschlappen bezahlt, den sie jemals gebraucht hat. Sie hat, soviel an mir liegt, Ihren KSrper niemals selber gesehen. Sie wurde im Nachthemd gebadet. Die Dummheit einer mannstollen Mutter und ihr eigener Leichtsihn, der vom Romanlesen kommt, haben He zu dem gemacht, was ste heute Ist. Aber was rede ich: als ob es um Liebe glngel AU ob solch ein Bursche mit etwas anderem schlUfe als mit einer Mitgift! Er wünscht, mein Geld zu haben und er nimmt es Hch! Was Ut aus der Familie geworden, dem stillen Hort! Wo die Stürme des Lebens weitab vorüberbrausten, hier aber war Ruhe. DU Grausamkeiten des ExUtenzkampfes drongen tucht bis hierher, wo ein stilles Kind lm Schafte der Gerittung still umsorgt aufblühte; dU Erw&gungen des Handels und Feilschens hatten keine Gültlgkrit für diesen umhegten Bezirk. Wenn ein Jüngling Hch der Tochter des Hauses nahte, um He nach erbrachtem NachweU seiner Fahigkeit, He zu erhalten, zu einem Lebensbund aufzufordern, so konnten die betfübten Fltem sicher sein, doft es Liebe war, was die jungen Menschen veretnte, Hnige unglückliche Ausnahmen ausge- „ommen. So sollte es auch bet metner Tochter sein. Aber wie ist es eekommen f Brutaler Raub! Ich erwerbe ein Vermogen durch Fleifi und Umsicht, umgeben von Schurken, ausgenutxt von faulen Arbeltem, denen nicht mehr die Arbeit und nurmehr der Lohn Vergnügen bereitet, und dann taucht dieser spiegelt mir ichweifinichtwas vor und beraubt michl Mein Leben und Vermogen gegen ihn vertetdigend, mufi ich sehen, wie auch meine Tochter mir von einem R&uber entrissen wird! Ich habe mir die letxten Fosem von der Hand gearbeitet ihr etwegen. Warum raufe ich mich herum mit dem Abschaum der Menschheitf Das ist ja ein Halftsch! Wenn ich meine Tochter, die die letzte Htlfsquelle meines Alters ist, wegschenke, dann stürxt mein Haus ein und mein lettier Hund l&ujt weg. Ich würde mich nicht getrauen, das Schwarxe unter dem Nagel wegzuschenken, ohne das Gefühl zu haben, Ich Jordere den Hungertod dlrekt her aus!" PoUy kam aber nicht mehr zurück, weder in dieser Nacht noch überhaupt, bis ihr Mann verhaftet war. Und Herr Peachum erfuhr memals, daB sie die Begierden des Makiers nicht gereizt, sondern befriedigt hatte. In den nachsten Tagen betrank sich Frau Peachum mehr als gewöhnUch und in diesem Zustand besprach sie sich mit dem trüheren Soldaten Fewkoombey, der die Hunde besorgte, fiber ihren Kummer. Er hatte dem Pfirsich die Sache mit dem Buch noch nicht verziehen, wenn er auch das Buch Jetzt wieder hatte. Zuerst hatte er es überhaupt nicht mehr holen woUen, da sein Stol* es ihm verwehrte. Dann war er in inneren Kampten unterlegen und hatte es eines Tages wahrend der Essenszeit sich wieder angeeignet. Sein friedliches Studium, sollte in Folge des Gesprachs mit Frau Peachum nun eine Unterbrechung erfahren. Als ihm die besorgte Mutter gestand, das unglückliche Madchen habe den Kauf mann Macheath geehelicht, erinnerte er sich der schlimmsten Zeit seines Lebens, wo er, aus dem Heeresdienst entlassen und um sein Abstandsgeld betrogen, Unterkunft bei einer Kriegersfrau gefunden hatte. Sie hiefi Mary Swayer und hatte einen dieser B.-Laden besessen. Er lieB unvorsichtigerweise einige Worte darüber tallen. Am Abend hieB ihn Herr Peachum ins Büro kommen und gab ihm einen Auftrag. In den Westindiadocks dokterten noch immer einige Dutzend Handwerker an den drei alten, totmüden Kisten herum, die, einem Gedanken des Herrn William Coax zu Folge, vor ihrem Auseinanderfallen einiges Geld von einem mittleren schottischen Landsitz, einem gut gehenden Wettbttro, einem nicht ganz auf festen Füfien stehenden Restaurant in Harwich, einem Stock Mietskasernen in Kensington, einer Textilfabrik in Südwales und einem groBen Geschift fttr gebrauchte Musikinstrumente in der Old OakstraBe in neue Taschen ziehen sollten. Zumindest die letzte dieser bedrohten Firmen mufite gerettet werden. ZWEITES BUCH DIE ERMORDUNG DER KLEINGEWERBETREIBENDEN MARY SWAYER Und der Haifisch, der hat Zahne Und die tragt er im Gesicht Und Macheath, der hat ein Messer Doch das Messer sieht man nicht. An der Themse grünem Wasser Failen plötzlich Leute um Es ist weder Pest noch Cholera Doch es heiBt: Macheath geht um. Und Schmul Meier bleibt verschwunden Und so mancher reiche Mann Und sein Geld hat Mackie Messer Dem man nichts beweisen kann. Jenny Towler ward gefunden Mit 'nem Messer in der Brust Und am Kal geht Mackie Messer Der von allem nichts gewuBt. Wo ist Al f ons Glite, der Fuhrherr? Kommt das je ans Sonnenlicht? Wer es immer wissen konnte Mackie Messer weifi es nicht. Und das grofie Feuer in Soho Sieben Kinder und ein Greis In der Menge Mackie Messer, den Man nicht fragt und der nichts weifi. Ach, es sind des Haifischs Flossen Rot, wenn dieser Blut vergiefit Mackie Messer tragt 'nen Handschuh Drauf man keine Untat liest. (Die Moritat von Mackie Messer) vn coelum, non animum mutant, qui trans mare currunt. Herr Macheath lm BewuBtseln des durchschnittUchen Londoners spielten Gestalten wie„Jack the Ripper" oder jener unbekannte Raubmörder, genannt„das Messer", keine groBe RoUe. Wenn sie auch ab und zu in den unsolideren Zeitungen auftauchten, so konnten sie es doch mit den Generfilen, die den Transvaalkrieg führten, an Berühmtheit nicht aufnehmen; allerdings bedrohten diese auch unvergleichlich viel mehr Menschen als die allertatigsten Messerhelden. Aber in Limehouse und Whitechapel übertraf „das Messer" bei weitem an Ruhm den General, der die Buren bekampfte. Die Leute in den groBen, steinernen Konservenbüchsen von Whitechapel konnten sehr gut den Unterschied zwischen der Leistung eines Dutzendgenerals und ihrer eigenen Helden beurteilen. Für sie war es entscheidend, daB das „Messer" seine Untaten unter ganz anderer persönllcher Gefahr ausführte als die offlziellen Lesebuchhelden die ihren. Limehouse und Whitechapel haben ihre eigene Geschichte und ihren eigenen Geschicfatsunterricht. Der Unterricht beginnt bei den SSuglingen und er wird von Personen jedes Alters erteilt. Die besten dieser Lehrer sind die Kinder unter ihnen, und sie wissen ausgezeicbnet Bescheid um die hierorts anerkannten Herrscherdynastien. Diese Herrscher verstehen so gut wie die der SchuUesebücher Jene zu bestrafen, die ihnen den Tribut verweigern. Es gibt unter ihnen Gerechte und Ungerechte wie unter jenen, nur weniger Schwachlinge, da gegen sie ja die Polizei eingesetzt wird, was jenen eigentlich me passiért. Natttrlich versuchen sie ebenso in anderem Lichte zu erscheinen wie jene: sie falschen die Geschlchte und sorgen fttr Legenden. Manche ttberragenden Menschen tauchen wie Meteore aus dem Dunkel. Hindernisse, zu deren Überwindung andere, ebenfaUs Begabte, Jahrzèhnte benötigen, ttberspringen sie in Wochen. Ein paar tollkühne Untaten, beim allerersten Mal schon mit der Virtuositat erfahrener Fachleute verttbt, und sie sind oben. Der Mann, den die Slums das „Messer" nannten, konnte sich in Wahrhelt keiner solchen Karrlere rtthmen. Er tat es anscheinend dennoch. Seine n&here Umgebung, die Bande, vertuschte so gut es ging die ruhmlosen Mtthen des Anfangs, die erfolg- und talentlosen Lehriingsjahre. Aber es war nicht sicher, ob der Mann, der die Bande begründete, überhaupt das „Messer" war. Er behauptete zwar seinen Leuten gegenüber steif und fest, der Raubmörder Stanford Sills zu sein und brachte nur daraufhin seine Bande zusammen, Jedoch im Gefangnis zu Dartmoor wurde 1895 ein Mann hingerichtet, von dem zwar nicht er selber, wohl aber die Polizei behauptet hatte, daB er Stanford Sills heifie. Die Taten, die den Ruf des „Messers" begrttndeten, waren ein paar schnell aufelnander folgende Raubmorde auf offener StraBe gewesen. Fttr diese wurde der Mann ln Dartmoor hingerichtet. Bekanntlich glaubt das Volk nicht an den Tod seiner Helden, wie man es noch in den allerletzten Jahren beim Tod der Kitchener und Kreuger beobachten konnte, und so wurden auch noch mehrere Raubmorde im Winter 95 dem „Messer" zugeschrieben, die bestimmt nicht von dem toten Mann auf dem Friedhof von Dartmoor ausgeführt wurden und kaum von dem Mann, der sich seinen Spitznamen angeeignet hatte und so diese Morde zeichnete. Die Grausamkeit, Unerbittiichkeit und Schlauheit, mit der der betreffende Mann fremde Verbrecher zwang, den Ruhm ihrer Taten ihm abzutreten, war vieUeicht betrachtUcher als die jener ihren Opfern gegenüber. Sie stand der, mit welcher unsere Universitatsprofessoren unter die Arbelten ihrer Assistenten ihre Namen setzen, nur wenig nach. Die Morde waren wahrscheinUch aus nacktem Hunger verübt worden, denn es herrschte ein auBerordentUch strenger Winter und die Arbeitslosigkeit war sehr groB. IAber noch eine andere Leidenschaft teUte der Mann, der den Ruhm des „Messers" zur Organisation seiner Bande verwandte, mit Mannern aus Spharen, die uns Bücherkauf ern lm Leben naherstehen: wie die meisten unserer erfolgreichen IndustrieUen, Schriftsteller, Gelehrten, Politiker usw. las er am Uebsten ln der Zeitung, daB er seine Taten ohne eigentUches materieUes Interesse, eher aus einer Art Sport oder Schaffensfreudigkeit verübe, wenn nicht aus einem unerklarUchen damonischenTrieb heraus. Es erschienen immer wieder Artikel in der Skandalpresse, Idie das SportUche in den Verbrechen des „Messers" hervorhoben. Dennoch Ist es wahrscheinUch, daB dieser Damon aufier den Zeitungen ebenso wie unsere anderen berühmten Freunde auch noch sein Bankbuch las. Er hatte jedenfalls frtth- zeitig erkannt, daB die beste Ausbeute immer noch die Mitarbeiter ergeben, und dies ist die Erkenntnis, die allein eine wirkliche Karriere verburgt. Die Bande war zunachst klein, ihr Wlrkungskreis bescheiden. Es waren immer noch Raubttberfalle, nur selten grobe und brutale Elnbrüche. Mehr Originalitat verrieten einige Methoden, das erbeutete Diebesgut an den Mann zu brlngen. Eine davon lief durch die ganze Weltpresse. Zwel energisch aussehende Kleinburger betraten zum Beispiel den Speisesaal eines Luxusrestaurants in Hampstead, blieben einige Augenblicke suchend stehen und schritten dann auf einen ausgezeichnet gekleideten Herrn an einem der Tische zu. „Das ist er", sagte der eine mit lauter Stimme, „da sitzt er und verfriBt mein Geldl Ich heiBe Gooper und er heiBt Hawk. Hier, Herr Gerichtsvollzieher, mein Schuldtitel! Das Urteil ist sofort voUstreckbar. Der Ring am Mittelfinger ist gut und gern seine 200 Pfund wert, und drauBen hat der feine Herr noch eine Chaise stehen, die auch nicht von Pappe ist, wenn man sie versteigert!" Für gewöhnlich muBten die Kellner den Herrn zurückhalten, seinem taktlosen Glaubiger an die Gurgel zu springen. Er beteuerte, daB er seine Schuld nicht bestreite, aber die Form, in der man ihn planden wolle, ablehnen müsse. Das Ende war, daB die Herren und noch einige andere Gaste hinausgingen und die Chaise besichtigten. Die Versteigerung tand dann in einer benachbarten Kneipe statt. Der Herr und die beiden Kleinburger verschwanden und der Erlös, den das „Messer" aus der gestohlenen Chaise und dem geraubten Schmuck auf diese Weise erzielte, war sehr viel gröBer, als er beim Helder gewesen ware. Das waren zweifellos neue Wege. Der Krebs des Diebstahls war der Hebier. Die Schwierigkeit, die Beute zu versilbern, blieb der schwachste Punkt des ganzen Gewerbes. Alle Bemühungen, die Bande hochzubringen, scheiterten an dieser Klippe. Gegen Ende des Jahres 96 verschwand das „Messer" nahezu vóllig aus dem Gesichtsfeld der Unterwelt und ein ruhiger Mann namens Jimmy Beckett machte in Soho ein Geschaft mit Pflastersteinen und einem kleinen angeschlossenen Holzhandel auf. Er kaufte, wenn Hauser eingerissen wurden, alte Pflastersteine und war sehr genau mit den Rechnungsbelegen. Dann kamen in Whitechapel gröfiere Diebstahle von solchen Steinen vor. Eine Anzahl Kleinfuhrwerke holte am hellen Tage wahrend der Essenspause der StraBenarbeiter die aufgestapelten neuen Pflastersteine ab. Kein Mensch dachte daran, sie aufzuhalten. Die Spur führte zu Jimmy Becketts Geschaft. Aber Herr Beckett konnte für seine Steine sehr gute Belege vorweisen. An den Docks wurde eines Tages eine ganze StraBe gestohlen, diesmal aus Holzwürfeln. Einige Ar beiter mit Fuhrwerken erschienen gegen Abend, sperrten in der Uniform der stadtischen Arbeiter die StraBe beim dlchtesten Verkehr ab, rissen sie auf und verluden die Holzwürfel. Der Skandal kam nicht in die Zeitungen, weil im Stadtparlament eben eine Untersuchung gegen eine Firma schwebte, die auf durchaus legalem Wege sich gerade in diesem Viertel auf Grund alterer und vorslchtig zurückgehaltener Vertrage elniger StraBen bemachtigt hatte, die andere, kleinere Firmen gebaut hatten, sodaB sie der gröfieren Firma noch einmal bezahlt werden muBten, obwohl sie ganz und gar fertig waren. Man wollte keine Parallelen ziehen lassen. Zu dieser Zeit kamen wieder einige Falie von Morden oder Totschlagen vor, die man der Messerbande zuschrieb, übrigens die letzten. Sie wurden aber von den Zeitungen kaum beachtet, da sie sich gegen Angehörige der alleruntersten Schichten richteten. Es waren tast nur noch Verbrecher, die bei provozierten Raufhandeln niedergeschossen wurden. Hier ist es weniger zweifelhaft, daB die Morde von der Messerbande ausgingen. In dieser Zeit wandte sich die Bande von den gemeinen Strafienüberfallen vollends ab und ganz dem Einbruch zu. Ihre Spezialit&t wurden Ladendiebstahle gröBeren Ausmafies. Schon um das Jahr 97 zahlte die Messerbande ttber 120 standige Mitarbeiter. Sie war sehr sorgfaltig aufgebaut, höchstens zwei oder drei Mitglieder kannten den „Chef" von Angesichtzu Angesicht. Sie umfafite Schmuggler, Hehler und Rechtsanwalte. Das „Messer", (das heiBt der Mann, der sich so nannte) war ein sehr schlechter Einbrecher gewesen und hatte das angeblich gern selber zugegeben. Hingegen war er ein den Durchschnitt weit überragender Organisator. Man weifi, dafi den letzteren die Palme unserer Zeit gehort. Sie scheinen die Unentbehrlichsten. Tatsachlich gelang es der Messerbande in unglaublich kurzer Zeit, ziemlich alles, was wirklicher Ladeneinbruch war, unter ihre Kontrolle zu bringen. Es war mehr als gefahrlich, für eigene Rechnung etwas auf diesem Gebiet zu unternehmen. Die Bande schamte sich nicht, sogar mit der Polizei darin unter einer Decke zu stecken. Jedermann wufite, daB Herr Beckett Beziehungen im Polizeiprasidium hatte. Auslieferung an die Polizei wurde auch ein Mittel zur Starkung der inneren Disziplln der Bande. Die Mitglieder, die den Gründer noch gekannt hatten, waren zu Beginn des Jahres 98 schon alle, oder beinahe alle von der Pollzei gefaflt und zu langjahrigen Gefangnisstrafen verurteilt. Eines Tages verkaufte Beckett seine Lager an einen Herrn Macheath, der eben einige Laden in der City, die sogenannten B.-Laden, eröffnet hatte, die er mit billigen Artikeln versorgen wollte. Als Jimmy Beckett, der Holzhandler, aus England verschwand — angeblich war er nach Britisch Nordamerika verreist — wurde, wie man in der Unterwelt horen konnte, ein gewisser O'Hara, ein noch junger Mann von groBen Gaben, das offizielle Haupt der Organisation. Herr Beckett empfahl ihn an Herrn Macheath und Herr Macheath schatzte Ihn ziemlich hoch und nahm ihm laufend groBe Posten gangbarer Artikel ab. Das bedeutete die Ausschaltung der Hehlerzunft. Me Organisation hatte einen regelmaBigen Abnehmer gefunden und bltthte machtig auf. Herr Macheath konnte seine Preise niedrig halten, aber er wuBte nie ganz genau, was fttr Artikel er hereinbekommen wttrde. Es steilte sich als gunstig her aus, solche Artikel zu wahlen, die durch Bearbeitung von Seiten der B.-Ladenbesitzer ihr Aussehen veranderten. Die Laden mufiten aus Abnehmern zu Bestellern werden. An diesem Entwicklungspunkt tauchte die Frage der Kapitalbeschaffung auf. Ein weiterer Ausbau der Bande in Richtung auf Laden- und Lagerdiebstahle erforderte gröBere Mittel, als Herrn Macheath verfügbar waren. Sein Unternehmen geriet in jene Schere, die alle unsere Geschaftsleute so fürchten. Baute man die Warenbeschaffungsorganisation weiter aus, dann konnten die vorhandenen Laden das Herbeigeschaffte nicht mehr schlucken, und vergröBerte man den Ladenbetrieb, wurde wieder die erstere Organisation zu klein. Im Augenblick der Umstellung auf PlanmaBigkeit von Beschaffung und Verkauf muBten beide Organisationen zugleich verstarkt werden. Es gab schon andere Kettenladen, grofie Geschafte mit guten Bankverbindungen. Sie lagen miteinander in scharfem Konkurrenzkampf. Es bedurfte gröBerer Mittel als Herrn Macheath zur Verfügung standen, sich gegen sie durchzusetzen. In dieser Lage hatte Herr Macheath Fraulein Polly Peachum geheiratet. Ein Fehlschlag An einem angenehmen Sommerabend fuhr Herr Macheath in einer alten Mietsdroschke in den westlichen Vorort, wo Herr Miller von der National Deposit wohnte. Er trug einen lelchten, grauen Anzug und die Fahrt durch die Vorstadte im offenen Gefahrt war unterhaltend, aber er fühlte sich nicht glücklich. Seine Heirat war ein Fehlschlag gewesen. Seine Frau war hübscher als jede, die er vor ihr gehabt hatte und er war auf seine Art in sie verliebt, aber er war nicht mehr zwanzigjahrig und hatte keiner lei Sinn fttr Romantik. Er mufite manchmal den Gedanken verscheuchen, daB er mehr oder weniger hereingelegt worden war. Herr Miller empfing ihn auf der Treppe selnes Hauschens. Hinter ihm stand seine Frau, eine gutmütige, weitlaufige Person über fünfzig, die Macheath sofort wie einen Sohn behandelte. Man nahm den Tee und Miller piauderte von vergangenen Zeiten. Er erzahlte einige Episoden aus der Geschichte der National Deposit. Der Gründer der Bank war Angestellter bei Rothschild gewesen, als dieses Haus seine ersten groBen Schlachten schlug. Er hiefi Talk. Miller wiederholte eine Geschichte, die der alte Talk oft erzahlt hatte. Die Rothschilds waren schon grofi im Geschaft und gehörten zu den bedeutendsten Firmen des Kontinents, ais der Chef der Londoner Filiale, Nathanael Rothschild, eine neue Idee erprobte. Es herrschten kriegerische Zeiten. Die Unternehmungen bestanden gröBtenteiis in der Finanzierung bestimmter Projekte der Regierungen; es handelte sich dabei nicht nur um Heereslieferungen, aber natürlich auch darum. Die Abrechnungen der Banken mit ihren groBen Kunden waren meist sehr kompliziert; es herrschte eine gewisse GroBzügigkeit. Unvorhergesehene Zwischenfalle in reichlicher Menge verteuerten alles ganz auBerordentlich. Da standen in den Rechnungen hunderte von Provisionen, die meisten gingen an Leute, die nicht genannt sein wollten usw. Der alte Nathanael nun, der damals noch ein junger Mann war, hatte die Idee, man könnte es einmal versuchen, Vertrage abzuschlieBen, die so ausgeführt wurden, wie sie lauteten. Er wollte die Spesen vorher kalkulieren und dann sollte es bei der betreffenden Summe bleiben, gleichgültig, was für Zwischenfalle ein traten. Auf diese Weise wollte er in die Finanzwelt das einführen, was im Privatleben Ehrlichkeit hiefi. Es war ein kühner Gedanke, und die andern Rothschilds, lauter Bankiers, wie man ja weifi, waren von allem Anfang an sehr dagegen. Sie machten dem Haupt der Familie die Dreigroschenroman u Holle heifi. Aber er kümmerte sich um nichts und setzte sogleich ein solch kühnes Geschaft in die Tat um. Miller beschrieb es genau, den Bliek nachdenklich auf die Rododondren des kleinen Gartchens gerichtet; es war ziemlich verwickelt, irgendeine Zinkverwertungsangelegenhelt. Die Familie verwandelte sich beinahe in einen Trümmerhaufen wahrend dieser Spekulation. Die Brüder konsultierten sogar einen Nervenarzt und einmal wollten sie Nathanael aus seinem Kontor heraus mit Gewalt in eine Privatirrenanstalt überführen lassen. Sie hatten es dem Arzt gegenüber ganz einfach. Er hörte die Idee und war im Bilde. Die Idee ersparte ihm jede weitere Diagnose. Der Arzt trat mit zwei W&rtern in das Büro Nathanaels und sagte: „Beunruhigen Sie sich nicht weiter, Herr Rothschild. Ihre Brüder sagen mir, Sie hitten in letzter Zeit sehr interessante Gedanken, seien aber ein wenig überarbeitet und mit den Nerven herunter. Sie kommen jetzt mit mir in ein nettes, stUlgelegenes Haus in Wales, kümmern sich eine zeitlang um nichts und leben nur Ihrer Gesundheit. Wir unterhalten uns ttber Ihre Ideen, die zweifelle* ungemein fruchtbar sind. Sagen Sie nichts, Ich stimme mit Banen vollstandig ttberein und verstehe Sie. Sie haben recht und Ihre Familie hat unrecht, Sie wollen keine Spesen in Ihre Rechnungen setzen, das Ist nur loyal. Können Sie mir zufallig sagen, wieviel 4 mal 13 ausmacht?" Der Arzt muBte abziehen, aber Nathanael kam oft in bedrangte Situationen. Er wurde von jedermann betrogen, das heiBt niemand hielt sich ihm gegenüber an Vertrage, aber er selber mufite es. Das Geschaft wurde dennoch zuguterletzt ein Erfolg, aber die Brüder waren nicht so sehr im Unrecht gewesen, wie hernach alle meinten. Das Schicksal der Fa- milie hing tatsachlich an einem Haar. Und der Erfolg kam nur, weil die Idee eben einzigartig und ganz unerwartet war. Überall gab es Spesen, nur die Rothschilds berechneten keine. In gewissem Sinn war es sogar ein wenig Schmutzkonkurrenz. We Regierungen liefen natürlich dann zu den Rothschilds, wenigstens solange, bis die anderen den Trick ebenfalls heraus hatten. Heute ist absolute Ehrlichkeit bei den Abrechnungen eine Selbstverstandlichkeit, aber einmal mufite einer darauf kommen. Die Menschheit mufi alles, jeden Fortschritt, mühsam erkampfen. Macheath hörte angestrengt zu. Er konnte den Inhalt der Erzahlung des alten Miller nur schwer vers te hen; er kam Ihm sozusagen nicht auf den Grund. „Man sieht daraus", sagte -er schliefllich unsicher, „dafi man im Geschaftsleben alles ausprobieren mufi. Meinen Sie das? Wenn man vorwarts kommen und am Schlufi des Jahres ein anstandiges Plus haben will, mufi man es mit allem versuchen, sogar mit den ausgefallensten Sachen." Wahrend er seinen Tee schlürfte, wobei er seinen plumpen Daumen tiet in der Tasse hatte, dachte er heftig nach. Er hatte den Eindruck, Miller zweifele an seinen Ideen und wolle ihm andeuten, was wirkliche Tricks seien. Er bemtthte sich also, als Miller fertig war, einige seiner Tipps ins richtige Licht zu stellen. Bevor er begann, zog er aus seiner Brusttasche sorgsam zwei zusammengefaltete Zeltungsausschnitte mit seinen Artikeln über die Idee der B.-LSden, Selbstandigkeit der kleinen Besitzer usw. Sie waren mit Rotstift umrandet. Miller kannte sie schon. Macheath nahm sich eineZigarre aus der aufieren Rocktasche, bifi die Spitzeab, warf das Abgebissene mit zwei'dicken Fingern auf den Kiesweg und zündete die Zigarre umstandlich an. Er hatte noch einige Gedanken, die nicht in der Zeitung veröffentlich waren. Seine Haupttatigkeit, ftthrte er aus, sei jetzt gerade das Studium des Kunden. Der Kunde trete dem Ladeninhaber gewöhnlich gegenüber als ein bedürfnisloser, am Geld hangender, ttbelwollender und miBtrauischer Bursche. Er sei ganz eindeutig feindUch eingestellt. Im Verkaufer erbUcke er nicht seinen Freund und Ratgeber, der alles fttr ihn zu tun bereit ist, sondern einen bösen Menschen mit Hintergedanken, der ihn verftthren und betrügen will. Demgegenttber verzweifle der Verkaufer zumeist, von vornherein eingeschttchtert, und gebe jede Bemühung auf, den Kunden wirkUch fttr sich zu gewinnen, ihn zu bessern, menschllch aufzuschlieBen, kurz, ihn zum Kaufer von Format zu machen. Er lege gottergeben seine Waren auf den Tisch und setze seine einzige Hoffnung auf den Mangel und das nackte Elend, das den Kunden hin und wieder einfach zwingt, einen Kauf zu tatigen. In Wlrklichkeit werde der Kunde dadurch aber zutiefst miBverstanden und verkannt. Er sei im Grunde seines Wesens namlich besser, als er aussehe. Nur gewisse tragische Erlebnisse lm SchoBe seiner Familie oder im Erwerbsleben hatten Ihn mifitrauisch und verschlossen gemacht. Im Grunde seines Wesens lebe eine stille Hofmung, als das erkannt zu werden, was er sei: ein ganz groBer Kaufer! Er wolle namlich kaufeni Denn ihm fehle ja so unendlich viel! Und wenn ihm nichts fehle, ftthle er sich unglttcklich! Dann wolle er, daB man ihn ttberzeuge, daB ihm etwas fehle! Er wisse so wenig. „Verkaufer sein," sagte Macheath, mit dem Teelöffel auf den Mahagonnytisch klopfend, „ist: Lehrer sein. Verkaufen heiflt: die Vnwissenheit, die erschüttemde Vnwissen- heit des Pubtikums bekampfen. Wie wenige Menschen wissen, wie schlecht sie leben! Sleschlqfen auf harten und quietschenden Betten, sitzen auf unbequemen und hafillchen Stühlen. Ihr Auge, Ihr Hinterteil ist unaufhörltch beleldlgt, sie fühlen es dutnpf, aber erst, wenn sie anderes sehen, wissen sie es! Man mufi ihnen wie Kindern sagen, was sie brauchen. Sie müssen kaufen, was sie brauchen können, nicht was sie haben müssen. Um das bei ihnen zu erreichen, mufi man ihr Freund sein. Unter allen Umstahden mufi man zu Ihnen freundlich sein, willfahrig. Natürlich kommt einem ein Mensch, der nichts kauft, alt ein gemeines Subjekt vor. Ein Hungerlelder! denkt man unwillkürlich voller Verachtung und Ekel. Aber dat darf man als Verkaufer eben nicht. Da mufi man an das Gute lm Menschen glauben, das nur geweckt zu werden braucht und immer freundlich bleiben, immer freundlich, wenn das Herz auch brlcht." Macheath geriet mehr in Eifer, als er merkte. Dies war eine wunde Stelle bei seinen kleinen Laden. Die Leute waren nicht freundlich genug. Er liefi sie fortwahrend kontrollieren, durch seine „Einkaufer", und bestrafte alle Ladenbesitzer, die unfreundlich waren. Aber es half wenig. Die groBen LSden hatten es da leichter. Das Personal muB die Peitsche lm Rücken fühlen, damit es lachelt. Die kleinen Besitzer dachten immerfort an die unbezahlte Miete, wenn ein Kunde zu lange wahlte. VerlieB er den Laden, ohne etwas gekauft zu haben, machten sie Gesichter, als breche die Welt für sie zusammen. Der Kunde liebte es natttrlich keineswegs, fttr die ganze Misère des Verkaufers verantwortlich gemacht zu werden. Wenn man ihn merken liefi, daB er einem den Todesstofi versetzt hatte, indem er nichts kaufte, wurde er bose. Man mufite lernen, den Tod im Herzen zu lacheln! Ich werde es ihnen schon einbleuen, gutgelaunt auszusehen und wenn ich sie mit Skorpionen züchtigen mufi, dachte Macheath und wischte sich mit einem groBen Taschentuch den Schweifi von der Stirn. Nicht ohne Humor sprach er weiter. Er nannte eine Anzahl von Methoden, die schwachen und unentwickelten Begierden des Publikums zu wecken. Eine gewisse wahllose Anordnung der Artikel tue schon Wunder. Dabei könne der Kunde Entdeckungen machen. Er erspahe Brauchbares. Nach kurzer Zeit scharfe sich sein Bliek ganz ungemein. Das eine suchend, finde er auch das andere. Unter einem Haufen von Stoffen erbllcke sein Falkenauge eine willkommene Selfe usw. Sie hat nichts mit den gewünschten Stoffen für Schttrzen zu tun, aber ist sie deswegen unbrauchbar? Neln. Er slchert sich die Selfe. Er weifi nicht, ob er sie nicht irgendwann braucht! Wenn er einmal soweit ist, ist er Kaufer. Entscheidend seien natttrlich die Preise. Wenn sie zu sehr differierten, ermttdeten sie den Kaufer. Er komme dann ins Rechnen hinein. Dies müsse aber unter allen Umstanden verhindert werden. Macheath wollte einige wenige Prelskategorien schaffen. Nichts erzeuge solch einen Rausch des Selbstbewufitseins im Kaufer, als eine riesige Übersicht darttber, was alles er für eine bestimmte Summe kaufen könne. Wie, dieses grofie Gartenmöbel kostet nur so viel? Und dieser komplizierte Rasierapparat nicht mehr? Die Preise aber müfiten sehr vorsichtig gestuft werden. Das Publikum erschrecke weniger vor hohen Summen, als vor hohen Zahlen. 2 Schillinge seien mancher Frau zu viel, die 1 Schilling elfeinhalb Pence gern zahlen wolle. Miller sah ihn mit seinen Plüschaugen neugierig an. Macheath war in grofier Fahrt und erklarte Miller die Idee der Billigkeitsladen: nur wenige Artikel und nur drei oder vier Preiskategorien. Es schadete dabei nichts, wenn einige Artikel vom Publikum erst zusammengestellt werden muflten. Man konnte Gartensttthle zum Beispiel, die aus Klappsessel, Fufibank und Schirm bestehen, in diese Teile zerlegt verkaufen, sodaB sie zwar zusammen etwas teurer kamen, als die ehern festgehaltenen Höchstprelsè es versprachen, aber doch nicht aus den drei Preiskategorien herausfielen. Die ganz kleinen Laden mit Werkstatten, die Schuhe oder Wasche oder Tabakwaren hersteUten und verkauften, sollten wie bisher geführt werden und nur Kredite bekommen. Aber die gröfieren wollte er mit Waren nur so vollstopfen. Der Einheitspreis sei die Grundidee, die London überwaltigen werde. Er wolle sie in einer groBen Werbewoche starten. Miller winkte seiner Frau. Frau Miller erhob sich diskret und ging hinaus. Miller wiegte bedachtig seinen weiBen Kopf und sah seinen Besuch an, als suche er nach Worten. „Wie steht denn jetzt der alte Peachum zu Ihrer Heirat?" fragte er dann. „Hat er sich darein gefunden?" »Er hat kein Herz von Steln," antwortete Macheath. „Ach?" sagte Miller überrascht. Macheath nahm einen Schluck aus seiner Tasse. Sie schwiegen eine zeitlang. Man hörte ein paar Kinder auf der StraBe brullen. Sie trachten über irgendwas. Miller fuhr mild fort: „Dann ist alles sehr einfach. Sie verstenen, daB wir Ihren Schwiegervater gern mit in der Sache drln hatten. Es ist mehr wegen der Leute, die uns sonst fragen konnten, warum macht der eigene Schwiegervater nicht mit? SchlieBlich ist er tatsachlich der Mann, der am meisten Verstandnis für Ihre Ideen haben muB, da er durch verwandtschafttiche Bande an Sie geknüpft ist. Bringen Sie Herrn Peachum mit und in zehn Minuten ist alles erledigt, Macheath!" „Und wenn," fragte Macheath plötzlich brttsk, „es mir nicht pafit, meinen Schwiegervater um eine Gefalligkeit anzugehen?" „Regen Sie sich nicht auf, Macheath, es gibt nicht den geringsten Grund. Sie müssen doch verstenen, daB wir vorsichtig sein müssen. Die Bank gehort nicht uns, sondern der kleinen Talk, übrigens ein ausnehmend reizendes kleines Madchen! Es ist richtig, Sie haben die Laden, aber eigentlich ist es mehr Ihre Idee, die uns interessiert, Macheath; die Laden kommen erst in zweiter Linie, sie sind ja auch ziemlich einfach, nicht wahr? Der springende Punkt bei der ganzen Sache ist und bleibt Ihre famose Idee, Einheitspreis, Werbewoche und Fruktiflzierung der Selbstandigkeit der kleinen Besitzer." Macheath verabschiedete sich ziemlich rasch. Er ging noch ein Stück Weges zu FuB. Es war schon dunkel. Er schwang seinen dicken Stock und bieb damlt ab und zu ln die Taxushecken der kleinen Vorgarten. Er war tiet unzufrieden. Polly war am Tag vorher nachmittags mit ihm im Park spazieren gewesen. Nach zwei Stunden war sie „nach Hause" gegangen. Er hatte nicht gewagt, sie zurückzuhalten. Wozu hatte er überhaupt geheiratet? Am nachsten Tage kam es zu einer weiteren Aussprache mit Miller und Hawthorne in der Bank. Sie anderte nichts an der Lage. Man bestimmte lediglich einen Termin. Macheath tat alles, um die alten Leute von der Güte seiner Ideen zu überzeugen. Er beschrieb ungemein plastisch ihre Wirkung auf die Konkurrenz. Sie horten wohlwollend und aufmerksam zu und sagten dann, das sei allerdings noch Zukunftsmusik. Er solle seinen Schwiegervater Interessieren und alles sei in bester Ordnung. Wahrend der ganzen Dauer der qualenden Verhandlungen konnte Macheath den Eindruck nicht los werden, daB es der Abend bei Miller gewesen sei, der ihm geschadet hatte. WahrscheinUch waren diesen altmodischen Leuten seine Ideen zu fortschrittUch. Er argerte sich von neuem ttber die damUche RothschUdgeschichte des alten Talk. Auf den naheUegenden Gedanken, dafi die alte grundehrUche National eine Verbindung mit ihm seiner eigenen dunklen Herkunft wegen, die der ebenfaUs sehr düsteren Herkunft seiner Waren entsprach, verzichtet haben könnte, brachte ihn erst viel spater Fanny Grysler. Zu dem vereinbarten Termin hatte Macheath natttrlich nichts Neues mitzuteUen. Er mufite zugeben, dafi er mit Herrn Peachum ganz und gar „auseinander" sei. Miller und Hawthorne machten sofort aufierst betretene Gesichter. Sie warfen ihn nicht hinaus, aber sie steilten jetzt sogar ganz direkt einige unzarte, erstaunte Fragen. Sie waren wirkUch enttfluscht. Sie hatten sich nun einmal mit der Neuerung abgefunden und brannten elgenttich darauf, ihr altes Netz in die neuen Gewasser zu hangen. Wenige Wochen spater erfuhr Macheath, dafi sie mit den Ghrestonschen Kettenladen verhandelten. Das war mehr als bitter. Die Chreston-Kettenlfiden waren es gerade, die Macheath als die zu ttberflttgelnden VorbUder vorgeschwebt hatten, grofie, soUde Raume in guter Lage mit reicher Auswahl von Arttkeln. Vermittels seiner Ideen hatte er sie auf die Kniee zwingen wollen. Start dessen wurde ihm hinterbracht, dafi der Chrestonkonzern nunmehr anlftfiUch einer neuen Kapitalaumahme Neuerungen plane. Er kündigte eine grofie Werbewoche mit aUer- hand Überraschungen fttr das Publlkum an. Es handelte sich ganz offensichtUch um einen gemeinen Diebstahl an seinen Ideen, den Macheath den beiden Alten niemals zugetraut hatte und der ihn tief aufbrachte. „Was," wütete er Fanny gegenüber, „man versucht mich zu betrügen T Ich tue alles, um solide zu werden, ich verxlchte auf jede Gewaltanwendung und halte mich sklavUch oder doch jedenfalls ziemlich genau an die Gesetze, ich verleugne meine Herkunft, zlehe einen Stehkragen an, mUte eine Fünfzimmerwohnung, schUefie eine gutbürgerüche Vemunftehe und das Erste, was ich in dieser höheren Sphare erleben mufi. Ut, dafi man nach bestiehlt! Das soll stttlUh höher stehen, aU was Ich Immer gemacht habe t Das steht nledriger! Diesen Leuten sind wir einfachen Verbrecher nicht gewachsen, Fanny. In zwei mal vterundzwanzig Standen nehmen dU uns nicht nur unsere ganze Beate weg, dU wir im Schweifte unseres Angesichts zusammengekratzt haben, sondern auch unser Haus und unsere Stiefel; und He nehmen das weg, ohne Irgend ein Gesetz zu verUtzen, wahrscheinUch mit dem schonen Gefühl, einfach ihre Pfttcht zu tun!" Er war durch den Betrug, der an ihm verübt war, lm Innersten getroffen und zweifelte an seinen Fahigkeiten. Stundenlang fuhr er auf dem Pferdeomnibus kreuz und quer durch London, seinen trttben Gedanken nachhangend. Das Gewühl der auf- und absteigenden Leute tat ihm wohl, und der Wechsel der Stadtteile mit ihrer Armut und Ihrem Wohlstand belebte ihn. Sein Mangel an Bildung aber, der es einer kleinen Bank und den Chrestonschen Kettenladen erlaubte, sich aus ihm einen guten Tag zu machen, bedrückte ihn unaufhörlich. Nur schwer fand er sein Glelchgewicht wieder. Macheath durchlebte eine der schlimmsten Perioden selnes Lebens. I Eines Freundes Hand In diesen Tagen wurde ihm Fanny Grysler zu einem starken Halt. Sie hatte eine kleine Wohnung in Lambeth mit hübschen alten Möbeln und einem Gastzimmer. Macheath safi viel in ihrem Laden herum und am Abend nahm sie ihn mit nach Hause, weil er nicht helm wollte. Er sagte immer, er bekomme kein Frühstück dort. Einige Schwierigkeiten mit Grooch, mit dem sie ein stan- diges Verhaltnis hatte, überwand sie ohne Larm; sie hielt ihn einfach einige Wochen fern. Von Macheath' Ehe sprach sie niemals, sie wuBte, daB er sie als Fehlschlag betrachtete, Polly auch kaum sah. Desto eifrlger half sie Ihm, Ordnung in die Angelegenheiten der B.-Laden zu bringen, die sich immer miBlicher gestalteten. Die Besitzer rechneten schlecht oder gar nicht ab. Sie bekamen immerfort groBe Posten gleichartiger Waren herein, einmal Uhren und Brillen, ein andermal Tabakwaren und Pfeiten und wuBten nicht, wie sie losbringen. Ein unangenehmes Erlebnis mit einer Frau, der er freundlicherweise einen kleinen Laden abgelassen hatte, zeigte die Lage dieser armseligen Geschafte. Es handelte sich um eine seiner alten Freun cl innen, eine gewisse Mary Swayer. Sie hatte erfahren, dafi er geheiratet hatte. Aus irgendeinem Grunde hielt sie das für ein Unrecht an sich. Sie erhob ein grofies Geschrei und tand Beschützer in Leuten, die sich in den B.-Laden herumtrieben und die Rede der Inhaber auf Herrn Macheath zu bringen suchten. Diese Beschützer safien in der Redaktion der Zeitung „Der Spiegel". Die Redaktion hatte wegen des Hinauswurfs ihres Kollegen grofies Interesse fttr alle Angelegenheiten des Besitzers der B.-Laden. Sie war aberglaublsch genug, zu glauben, daB, wer einen Spiegel zerbr&che, sieben Jahre lang Unglück haben mttsse. Aufierdem hatte sie einen Ruf als soziales Kampfblatt, da sie nur reiche Leute angriff und zwar deshalb, weil andere kein Geld hatten, um sich erpressen zu lassen. Macheath mufite also auf der Hut sein. Wie alle Begüterten mufite er einen ausgezeicbneten moralischen Ruf haben. Er brauchte ihn, damit man ihm gestattete, die Eigentttmer der B.-Laden zu betrügen. Die Verhandlung zwischen ihm und der Swayer fand im Antiqultatenladen der Fanny Crysler und in deren Beisein statt. Die Swayer, eine httbsche, vollbusige Blondine in der zweiten Halfte der zwanzig, erklarte, sie sei am Ende Ihrer Kraft. Mac habe sie aus ihrem ganzen Kreis herausgezogen und mit seiner Eifersucht jahrelang traktiert. Dabei habe sie, ebenfaüs jahrelang, zusehen mussen, wie er selber sozusagen von Blüte zu Blüte flatterte. Jetzt schame er sich nicht, ihr den Tort anzutun, sich vor allen Leuten zu verhelraten. Sie habe ihren Mann, der jetzt im Krieg sei, nur mit Macs Einverstandnis geheiratet und hange nicht an Ihm. Der Laden, den Mac ihr eingerichtet habe, sei Dreck. Djr Mann habe ihr zwei Kinder aufgehangt. Wenn sie nicht wenigstens ein paar Pfund in die Hand bekame, um ein oder zwei Nahm&dchen einzustellen, könne sie ins Wasser gehen. Ihre Nerven streikten. Gewisse Aufierungen, die sie in der Wut ausgestofien habe, seien nur so zu erklaren. Fanny versuchte vor allem, herauszubrlngen, ob die Verbindung mit dem „Spiegel" schon bestande. Sie fragte: „Zu welchen Leuten hast Du Aufierungen ausgestoBen? Das ist wichtig." Aber die Swayer hatte noch genug Nerven, um nicht auf den Leim zu gehen. Sie biieb ungenau und allgemein moralisch. Sie habe Mac die besten Jahre ihres Lebens geschenkt. Als sie mit ihm begonnen habe, sei sie ein blühendes junges Geschopt gewesen; aufier der Vergewaltigung im Alter von zwölf Jahren, die sie sogleich eingestanden habe, sei zwischen iifr und einem Mann me etwas gewesen. Jetzt, wo 'Mac sie auf den Mist schmeifie, sei sie nicht mehr fahig, sich einen zu angeln. Und sie verwies auf die Spuren, die die Jahre und die Sorgen um Mac auf ihrem Gesicht hinterlassen hatten. Als sie gesprochen hatte, sprach Mac. Er betonte, er sei ein Anhanger völliger Freiheit der Frau. Wenn sie sich einem Mann hingebe, so geschehe es auf eigene Verantwortung und eigenes Risiko. Er sei vollkommen dagegen, dafi man ihr irgendwelche Vorschriften mache. Liebe sei keine Altersversicherung. Gewahrte Liebe sei auch genossene Liebe. Mary fing wieder zu schreien an. Was ihr gehabtes Vergnügen mit Mac zu tun habe? Als ob sie es nicht auch bei einem Andern hatte bekommen können, zum Beispiel bei einem anstandigen Menschen, der für eine Frau sorge, die ihm alles geopfert hat. Sie sei Verkauferin gewesen und Mac habe sie aus dieser Stellung genommen, weil er einmal gesehen habe, wie der Chef sie auf die Leiter steigen lieB, damlt sie eine Schachtel vom Regal hole und er ihre Beine sehen konnte. Jetzt wolle memand mehr ihre Beine sehen, " das solle sich Mac gesagt sein lassen. Der junge Mann, der so nett mit ihr über die ganze Schweinerei gesprochen habe, habe ihr das bestatigt. Macheath wollte schart antworten, aber Fanny hielt es für besser, Vorsicht walten zu lassen. Es war klar, dafi die schlechte Geschaftslage an dem Verhalten der etwas gewöhnlichen, sonst nicht ttblen Frau schuld war. „Wie soll ich dieses Gelump verkauf en," sagte Mary zornig, „meine Kunden brauchen doch nicht alle Uhren. Ich habe mich auf Unterwasche eingerichtet. Soll ich, wenn Frau Scrubb einen Unterrock will, sagen: Ich habe keinen, aber vieUeicht nehmen Sie statt dessen eine Uhr? Es ist* ja möglich, daB Ihr Uhren gerade lelchter stehlen könnt, unterbrecht mich nicht, ich denke mir auch mein Teil, wenn ich auch nicht im Pensionat war, wie Macs neue Frau, die Wasche kann ich allein nicht fertig bringen, ich brauche ein, zwei Madchen und das bedeutet, daB ich Geld haben mufl." Die Verhandlung war lang und aufreibend. Mary kampfte wie eine Tigerin. Den Vorschlag Fannys, Mac werde ihr, obwohl er keinerlei Verpflichtungen ihr gegenüber anerkenne, den Ausbau ihres B.-Ladens fttr Trikotagen ermöglichen, wenn sie dafttr ttber ihre Beziehungen Schweigen bewahre, hörte sie vorgebeugt, mit zusammengekniffener Stirnhaut, fiebernd vor Mifitrauen, an. Sie nahm den'Scheck gierig, stopfte ihn abwesend in ihren Seidenbeutel und ging weg, ohne Mac mit einem Bliek zu streifen. ,JEt ist merkwürdig," sagte Macheath, als er mit Fanny abends wieder in Lambeth saB, „diese Laden wollen nicht bleiben, was sie sind. Früher machte man ein Geschaft auf, sagen wir eine Eisenhandlung und dann blieb es eine Etsenhandlung. Heute will es immerfort etwas anderes werden. Was man auch immer macht: so wie es ist, kann es nicht bleiben. Ein Trlkotagenladen mufl eine Nahanstalt werden oder er geht kaputt. Die Nahanstalt will sofort Filialen auf machen. Wenn sie ihre Miete nicht mehr bezahlen kann, will sie Filialen aufmachen. Mit den groften Geschapen ist es nicht anders. Chres- ton hat Kettenladen, riesige Dinger, aber jetzt mufi er meine Ideen stehlen und etwas ganz Neues versuchen. Es ist kein Vormarsch, es ist eine Flucht. Das kommt daher, dafi der Besitz kein Besitz mehr ist. Früher besafi einer einen Laden oder ein Haus und das war eine Einnahmequelle. Heute kann das eine AusgabequeUe sein, der Grund des Ruins. Wie soll sich da ein Charakter bilden f Nehmen wir an, es besitzt einer Mut und Vnternehmungsgeist. Der Mann hatte früher damlt sein Glück gemacht. Heute eröffnet er ein Geschaft und ist verloren. Besitzt er Vorsicht, ist er auch verloren. Mut besteht plötzlich darin, seine Schulden zu bezahlen, Vorsicht darm, Schulden zu machen. Ein Mensch, der drei Jahre lang ein und dleselbe Ansicht hat, zeigt dadurch nur, dafi er telt drei Jahren nicht mehr zum Spiel zugelassen wird." Fanny bereitete Tee und zog ihren Pyjama ttber. Ihre Haut, auch an den Seinen, war braun, ganz anders als die Pollys, dachte Macheath. Sie hatte ihren eigenen Standpunkt, was die B.-Laden betrat. Sie hielt sie fttr erledigt mit dem mifiglückten Versuch, durch die Heirat oder die National Deposit Bank dafttr Geldmittel aufzutreiben. Sie war der Ansicht, Macheath solle sie preisgeben. „Mein Laden ist viel besser," sagte sie, sich in ihren schottischen Stuhl zurücklehnend, mit gekreuzten Beinen, die Tasse auf dem Schofi. „Du solltest Dich darauf konzentrieren. Grooch ist sehr geschickt. Er sagt, wenn er modernes Werkzeug hfitte, könnte er viel machen. Selbst wenn Dir das zu langsam geht, könntest Du so auf einen oder ein paar wenige Streiche einen Haufen Geld verdienen und dann weiter sehen. Aber er macht es nur mit ganz modernem Instrumentarium." „Also wieder Einbruch!" sagte Macheath finster. „Ja, aber mit modernen Werkzeugen!" Sie einigten sich erst gegen Morgen. Fanny rlB, bevor sie ins Geschaft ging, die Bettbezüge im Gastzimmer weg und am Abend saB Grooch bei ihnen und diktierte seine Forderungen. Macheath fühlte sich nicht wohl bei der ganzen Sache. Es bedrückte ihn, daB auch Fanny ihn nicht für den Mann hielt, der dem groBen Spiel mit den Banken gewachsen war. Er hatte das Geftthl, als sei es eine furchtbare Degradierung und dazu eine endgültige. Ein paar Tage spater fuhr en Macheath und Grooch nach Liverpool, wo gerade eine internationale Kriminalausstellung stattfand. Sie sahen wundervolle Sachen. Es gab Einbruchswerkzeuge für jeden Kassenschrank, auch den modernsten. Keine Alarmanlage war der modernen Technik gewachsen. Schlösser, so kompliziert sie immer erdacht waren, bildeten eigentlich nur fttr Leute Hindernisse, die ehrliche Absichten hatten; dem Fachmann hatten sie nichts zu melden. Am Abend im Hotel gerieten sie in Streit, weil Grooch französische Modelle wollte, Macheath aber englische vor zog. „Wir sind in England, Grooch," erinnerte er ihn argerlich. „Englander, verwendet englische Instrumente! Wie wttrde das ausschauen, wenn hier französische Erzeugnisse bevorzugt wttrden! Das ware eine schone Blamage! Du hast überhaupt kein Empfinden fttr das, was eine Nation bedeutet. Diese Instrumenté sind von englischen Köpfen ersonnen, durch englischen FleiB hergestellt und also gut genug für Englander, sollte ich meinen. Ich nehme keine andern." Sie warteten bis zwei Uhr und machten sich dann auf die Socken. 176 In dem Gebaude waren sie rasch und auch den Wachter hatten sie schnell überwaltigt. Aber als dann drauBen Schritte hörbar wurden, versagten Macheath' Nerven vollstandig. SchweiBperlen auf dem Kopf, stand er mit erschrockenen Augen da und konnte den richtigen Dletrich nicht herausflnden. Kopfschttttelnd nahm ihm Grooch den Bund aus der Hand. Der GroBkaufmann war anscheinend dieser Arbeit nicht mehr gewachsen. Grooch muBte ziemlich allein mit allem fertig werden. Er wurde es. Am nachsten Mittag legten sie Fanny die Werkzeuge vor. Grooch hatte in seinen MuBestunden sich schon allerhand Plftne fttr weitere Unternehmungen durch den Kopf gehen lassen. Er hatte mehrere Projekte zur Auswahl. „Das bedeutet einen Haufen Geld," sagte er andachtig. „Es ist sicherer als heiraten." Aber als Macheath zu Brown ans Themseufer fuhr, um sich in einer gewissen Frage Rat zu holen, erlebte er eine schlimme Überraschung. „Grooch war es also?" fuhr ihn Brown an. „Das ist die Höhel Hast Du die Zeitungen gelesen?" Sein Zorn hatte Grimde. Die Presse brachte den Einbruch in die Kriminalausstellung sehr grofi. Sie tand es komisch, daB man der Polizei Elnbruchswerkzeuge durch einen Einbruch weggeholt hatte. Brown war ernstlich verstimmt und wurde sehr energisch. „Ich lasse Dir auch nichts beschlagnahmen," beschwerte er sich, „so viel Rttcksicht auf meine Karrlere kann ich schliefilich von Dir erwarten. Wir haben bisher fair play gespielt. Ich will gern zugeben, dafi ich meine Stellung ohne die Verhaftungen, die Du mir ermöglicht hast, nicht so leicht bekommen batte. Aber mir sind unsere Beziehungen, Dreigroschenroman 12 die noch aus der Zeit stammen, wo Du und ich in Indien standen, mehr als nur geschftftliche. Du setzt Dich jetzt über die primitivste Rücksichtnahme unter alten Freunden hinweg. Ich hange an melner Stellung. Wenn ich meinen Beruf nicht liebte, würde ich ihn nicht ausüben. Ich bin kein Maurer. Auf Grund meiner Fahigkeiten kann ich Polizeiprasident werden. Es sind nicht die Streifen am Kragen, wie Du vieUeicht denkst. Ich kann es nicht ertragen, daB dieser Esel WlUiams die SteUe erhalt, der er nie und nimmer gewachsen ist. Ich mufi die Werkzeuge bis heute abend haben und den Mann, der sie gestohlen hat, dazu." Macheath hörte bestttrzt zu. Er verstand, dafi er Brown auf die Fufizehen getreten hatte. Er konnte ihm nur erklaren, was Ihn zu dem Einbruch bewogen hatte. „Wenn Du Geld haben muflt," sagte Brown ein wenig besanftigt, „dann gibt es doch wohl andere Wege. Warum wUlst Du nicht zu einer Bank gehen? Es gibt mehr Banken, als die National Deposit." Macheath erwiderte, dafi seine Laden und auch die Gesellschaft, die den Einkauf besorgte, nicht ln einem Zustand seien, der Banken anreizen könne, ihn zu finanzieren. Ohne ein anstandiges Büro ln der City könne er gar nichts machen. Hierbei angelangt, zeigte sich Brown von seiner besten Seite. Er versprach ohne viel NachhUfe, selber einiges Geld vorzustrecken. .Warum unrechte Wege gehen?» redete er Macheath Ins Gewissen. „Das soU man nicht. Ein Kaufmann brlcht nicht ein. Ein Kaufmann kauft und verkauft. Damlt erreicht er das Gleiche. Als wir vor Petchawar in diesem Reisfeld lagen, Macky, und das starke Feuer erhielten, bist Du da aufgestanden und auf die Shiks losgegangen mit einem dicken Ast? Das ware nicht fachmannisch gewesen und also unzweckhaft. Du sagst, Deine Geschafte müssen erst in einen Zustand gebracht werden, der für Banken verlockend ist. Schön. Bring sie in diesen Zustand. Warum wendest Du Dich nicht an mich? Wenn es Dir unangenehm Ist, von einem Freund Geld zu nehmen, dann zahle mir doch Zins en! Zahle mir mehr Zins en als einem andern, zwanzig, oder meinetwegen fünfundzwanzig Prozent! Dann ist die Gefailigkeit auf Deiner Seite. Ich weiB, dafi Du solide ar beitest. Ich will nicht, dafi Du auf die schiefe Bahn geratst, wie irgend ein dummer Kleinbürger, der nichts von Geschaften versteht und zu stehlen anfangt. Du mufit auch nicht wieder mit solchen Leuten arbeiten wie diesem Grooch! Arbeite mit den Banken, wie alle andern Geschattsleute! Das ist doch eine andere Sache!" Macheath war Öef erschüttert. Als Marnier, die in den Stürmen des Lebens gestanden hatten, konnten sie ihren Gefühlen nicht leicht Ausdruck verleihen. Ein verlegener Bliek sagte in solchen Situationen vieUeicht mehr als eine Umarmung. „So bist Du, Freddy," sagte Mac mit würgender Stimme. „Es gibt Leute, die einem einen guten Rat geben, schön. Aber Du hilfst auch materieU. Gerade das ist Freundschaft, nur das Ist Freundschaft. Eines Freundes Hand ..." „Nur eines verlange ich," fttgte Brown noch hinzu und sah Macheath durchdringend an, „ich verlange, dafi Du solche Leute wie Grooch und O'Hara f allen lafit. Wenn nicht sofort, dann doch jedenfalls, wenn Du aus dem schlimmsten Schlamassel heraus bist. Das Geschaft, das Du vorhast, soll Dir das ermögUchen. Wenn ich Dir heute unter die Arme greife, so ist es deshalb, weü Ich Dich in Zukunft in anderer Umgebung sehen wiU. Das braucht nicht heute zu sein und auch nicht morgen. Ich weifi, Du brauchst diese Elemente noch, um hochzukommen. Aber einmal mufi es ein Ende haben, das verlange ich." Macheath mekte wortlos, Tranen in den Augen. Er ging beglückt weg. Sie waren noch übereingekommen, Grooch fttrs Erste zu schonen und einen andern Mann als Einbrecher festzunehmen. Die Werkzeuge lieferte Macheath noch nachmlttags ab. Brown hielt ebenfalls Wort. Es war für ihn nicht ganz leicht, Geld aufzutreiben. Er mufite erst eine Razzia in gewissen Klubs anordnen und Macheath konnte die Wlrkungen seiner Bemühungen noch bei Frau Lexer inTunnbridge feststellen, wo er seine Donnerstag abende zu verbringen pflegte. Die Madchen klagten sehr über die Abstriche, die Frau Lexer ihnen machte. Aber eine Woche spater hatte Macheath die Mittel in der Hand, seinen „Einkauf" in die Höhe zu bringen. Er entwarf zusammen mit O'Hara einen genauen Marsch- plan. Zu den vorhandenen Lagerhausern wurden noch einige Schuppen zugemietet. Ebenso wurde für Transportmittel gesorgt, schwere Lastfuhrwerke. Für Unternehmungen in Provinzstadten wurden Geldmittel bereitgestellt und Unterkünfte vorbereitet. O'Hara erwies sich trotz seiner Jugend als sehr brauchbar. Er hatte jene ausgesprochene Abneigung, irgendwo mit Hand anzulegen, welche die Voraussetzung grofier Karrieren ist. Macheath hatte das sogleich herausgefühlt; der junge Mann glich ihm darm. Sein Aufstieg hatte in sehr dunklen Tiefen begonnen. Mit sechzehn Jahren hatte er Ladendiebinnen und Madchen geschwangert, die gewisse Verbrechen auf sich nehmen mufiten und gesegneten Leibes leichter Freisprechung erlangten. An diese Zeit und an diesen Beruf wurde er aber nicht gerne erinnert. Fanny vertrug sich weniger gut mit ihm. Ihr war er zu sehr von Frauen verwöhnt. Sie mifitraute ihm. Auch war er Groochs Konkurrent und die Liverpooler Geschichte hatte Grooch ln Macheath' Schatzung zurückgeworfen. Sie hielten ihre Besprechungen in Lambeth ab. Danach ging Macheath immer mit O'Hara weg. Das bewies ihr, daB er dem Jungen auch nicht allzusehr vertraute. Einmal war O'Hara noch zurückgekornmen, um bei Ihr zu bleiben und sie muBte sehr deutlich werden. Vor allem miBfiel ihr O'Haras skrupelloser Ausbeutungsstandpunkt seinen Kollegen gegenüber. Er war ein wahrer Blutsauger, unerbittlich. Selbst wenn er gar keinen Vorteil davon hatte, trat er fttr ihre Übervorteilung ein. Nachtelang lag er wach, um neue Tricks auszudenken, durch die man mehr Geld aus den Leuten herausholen konnte. Sie widersprach ihm dar in immer. Es schien ihr geschaftlich dumm. Im Verlauf der Liverpooler Geschichte war Sagerobert von der Polizei festgenommen worden. Darüber war es in der Bande beinahe zu einem offenen Aufruhr gegen die Führung gekommen. Man behauptete, Sagerobert sei an die Polizei ausgeliefert worden und erinnerte sich plötzlich an andere Falie. O'Hara berichtete grinsend von den erregten Auseinandersetzungen am Unteren Blacksmithsquare. Fanny fuhr ihm über den Mund. Dies, sagte sie erregt, sei nichts zum Lachen. Wenn es schon vorkommen müsse, sei es eine blutig eraste MaBnahme und eine sehr bedauerliche dazu. „Aber der Chef Ist doch zu Sagerobert eigens in die Zelle gegangen und hat ihm die Hand geschüttelt", sagte O'Hara spöttisch, zu Macheath hinüberschielend. Dieser war wirklich nach der Verhaftung ins Gefangnis gegangen und hatte dem geschnappten Kameraden gesagt, dafi er zu ihm stand. In solchen Klelnlgkeiten zeigte sich seine Führernatur. Fanny Grysler fand das nur zynisch. Es kam zu heftigen Zwistigkeiten in der kleinen Wohnung. Macheath saB schweigend dabei, eine dünne schwarze Zigarre zwischen den Lippen. Der Wor twechsel machte ihm Spafi. Er war Immerfort eifersüchtig, auch wenn er gar nicht verliebt war. Es freute ihn, dafi O'Hara bei Fanny kein Glück hatte. Fanny setzte auseinander, dafi seit der Verhaftung Sageroberts die Aufregung in der Bande sich nicht gelegt hatte und einige Unternehmungen deswegen schief gegangen waren und setzte es nach stundenlangem Gezank mit O'Hara durch, dafi mit den Auslieferungen an die Polizei fürs erste Schlufi gemacht wurde. Sie erreichte sogar bei dem fttr groBzügige Regelungen immer zuganglichen Macheath, dafi eine gute Rechtsanwaltsfirma fttr die Verteidigung gefafiter Bandenmitglieder fest verpflichtet wurde. Mac tat noch mehr. Er führte fes te Löhne ein. „Sie wollen sicher gehen," sagte er nachdenklich, „eine Art Beamtendasein ist ihnen lleber, sie wollen nachts rullig schlafen und nicht Sorgen haben müssen, dafi am Ende des Monats das Geld fttr die Miete nicht im Haus ist. Das ist verstandlich, wenn ich es mir auch ein wenig anders vorgestellt habe. Ich habe mir namlich eigentlich eine Art Schicksals verbundenheit vorgestellt, auf Gedelh und Verderb mit meinen Jungens sozusagen. Der Chef zieht sich den Riemen enger und die Angestellten ziehen ihn sich auch enger, so etwa, weifit Du. Aber sie sollen haben, was sie wollen. Sie werden Gehalter bekommen, da sie, glaube ich, Gehalter wünschen. Klar." Er sah voraus, daB Ihn feste Löhne erheblich billiger kommen wurden, da er jetzt ganz groB elnkaufen muBte, um eine Bank für seine Laden interessieren zu können. Die Bande buchte das neue System der regelmaBigen EntIohnung als Sieg und Fanny hatte fortab eine gute Nummer bei den Leuten am Unteren Blacksmithsquare deshalb, denn Grooch hatte ihren Ruhm laut und schallend gesungen, sehr zum Arger O'Haras. Sie habe den Chef gezwungen, das ganze Risiko zu übernehmen; er habe einwilligen müssen, ob er wollte oder nicht, da er sie brauche und bei guter Laune halten müsse. Nach der Neuorganisation waren die Einbrecher der O'HaraBande keine kleinen Einzelunternehmer mehr, sondern Angestellte eines groBen Unternehmens und nur als solche, also in Zusammenarbeit mit andern ihresgleichen, imstande zu arbeiten. Da gab es Spezialisten, die nur das Geblase anzusetzen hatten; andere, die „Reisenden", hatten die Gelegenheit ausgekundschaftet, wieder andere den Plan ausgearbeitet, ein Mann hatte festgestellt, wo die Ware untergebracht werden konnte, ein anderer hatte für die Alibis gesorgt. So ging der „Einkaufer" bei Ladeneinbrüchen, der die Ware auszuwahlen hatte und ein Fachmann sein muBte, ohne jeden Aufenthalt durch die Schutzmauer mit seinen Packern an die Regale. Das war ein angenehmes und modemes Arbeiten und eine Rückkehr zu primitiveren Methoden war für diese Fachleute tast unmöglich, schon psychisch. Bei der unselbstandigen Art ihrer Arbeit war es natttrlich nötig, daB sie pünktlich und fortdauernd beschaftigt oder zumindest bezahlt wurden. Ob der Absatz der Waren stockte oder nicht, sie mufiten jedenfalls weiter verhalten werden, da das Absatzproblem sie ja nichts anging. „Du hast sie ja jetzt viel besser in der Hand," sagte Fanny zu Macheath, als O'Hara noch in der Nacht an den Blacksmlthsquare gegangen war. „Du benutzt keine Revolver und Messer gegen Sie, aber Du hast ihr Handwerkszeug. Du laBt sie nicht von der Polizei verhaften, aber der Hunger halt sie bei der Arbeit.. Glaube mir, das ist besser. Alle modernen Unternehmer machen es so." Macheath nickte nachdenklich. Mit elnigen Münzen in der Hosentasche klimpernd, sie ab und zu herausnehmend, in die Luft werfend und wieder auffangend, ging er in Hemdsarmeln ttber den blauen chinesischen Teppich, Fannys bestes Stttck. Er hatte sich von dem Genickschlag durch die Anderthalb Jahrhunderte wieder ziemlich erholt und walzte grofie Plane. Sie waren riesenhaft, entstammten aber trotzdem nicht etwa einem Kraftiiberschufi bei ihm. Er hatte sie sehr nötig, um nicht unter die Rader zu kommen. Der Einkauf florierte jetzt. In die Laden drang ein Strom von Waren. Die Bretterregale füllten sich. Die Mary Swayers saBen bis tiet in die Nacht und arbeiteten. Aus Ballen Leder wurden Stiefel. Wolle verwandelte sich unter den Handen ganzer Familien in Jumper. Schreibmaterialien und Lampen, Musikinstrumente und Teppiche stopften die kahlen Löcher voll. Aber Macheath wuBte, daB das Geld, das ihm Brown gepumpt hatte, kaum für sechs Wochen reichte, um den Einkauf O'Har as in Gang zu halten. Aus einer solchen Lage konnten nur Plane von napoleonischem AusmaB retten. vm On 8' engage et puls on volt. (Napoléon) „Aber es regnet drauBen!" „Aber die Hütte brennt über dem Kopf! Lleber als verbrennen Einen nassen Schopf!" (Lied der Pioniers) Napoleonische Plane In einem groBen Gebaude der City mietete ein junger Mann einen ganzen Stock. Er unterschrieb den Kontrakt als Lord Bloomsbury und richtete vier bis fünf Büroraume ein. Er verwendete ziemlich alte, abgenutzte Möbel, die aber den Raumen das Aussehen eines schon betagten, überaus ehrbaren Geschafts verliehen. Eine junge Frau mit goldbraunem Teint half ihm beim Aufstellen der Möbel und belm Engagement des Personals. „Wissen Sie," sagte sie, als die Möbel ankamen und er sie miBbilligend musterte, „altgewordene Geschafte üben einen groBen Zauber aus. Ihr Alter beweist, daB sie sich niemals etwas haben zu Schulden kommen lassen, was wiederum dafür spricht, daB man sie auch in Zukunft kaum erwischen wird." Der gröflteRaum wurde als Sitzungssaal ausgestattet. Auf die Glastüre des Hausflurs kamen groBe Goldbuchstaben: ZEG. Dar unter stand kleiner „Zentrale Einkaufsgesellschaft". Die Gründersitzung der neuen Gesellschaft war kurz. Zwel in der City bekannte Anwalte, ein Herr O'Hara, ein Lord Bloomsbury und eine Frau Crysler wahlten den GrofJhandler Macheath zum Presidenten. Vizeprasident wurde Lord Bloomsbury. Macheath hatte ihn in einem Hause in Tunnbridge kennen gelernt, wo er seine Donnerstag nachmittage verbrachte. Er hatte den bedeutungslosen, aber angenehmen jungen Mann mit leichter Mühe engagieren können, da dieser in standigen Geldschwierigkeiten und ln völliger Abhangigkelt von Jenny Month, Frau Lexers bester Kraft, war. Er war sehr dumm, schwieg aber mit Leidenschaft und hatte ein auBerst überlegenes LScheln, das an kelnerlei Anlasse gebunden war. Er machte den besten Eindruck und lebte davon. Als erste Handlung der Gesellschaft wurden zwei Kontrakte unterfertigt. In dem einen verpflichtete sich Herr O'Hara, der ZEG gröBere Posten billiger Waren zu lief ern. Der andere bewilligte Herrn Macheath fttr seine B.-Laden eine Option auf die von der ZEG besorgten Waren. Dann gab Herr Macheath den offlziellen Vorsitz an seinen Freund Lord Bloomsbury ab und bat die Herren, seine Prasidentschaft, wie berelts ausgemacht, der öffentlichkeit gegenüber bis auf weiteres geheim zu halten. Die Herren gingen befriedigt auseinander und die Büros nahmen unter Leitung der Frau Crysler ihre Tatigkeit auf. Sie bestand in der Korrespondenz mit elnigen Agenten ln englischen Provinzstadten und auf dem Kontinent, die fttr die ZEG die Warenvorrate bankerott gegangener Geschafte einramschten, sowie der Leitung dieser Bestande in ein Lagerhaus in Soho. Die Belege ttber die eingegangenen Waren und die Quittungen ttber ausbezahlte Gelder wurden sorgfaltig, aber in getrennten Ressorts kataloglsiert. Auch die Eingange des Lagerhauses wurden selbstandig gehucht und wieder getrennt von der Auslieferung an die B.-Laden behandelt. Das Büro arbeitete noch keine zwei Wochen, als in den Geschaftsr&umen der Commercial Bank zwei Herren, Herr Macheath und Lord Bloomsbury, erschienen und die leitenden Direktoren der Bank zu sprechen wünschten. Die Commercial Bank war ein Institut mit ausgezeichneten Beziehungen zu den Dominions, ein ziemlich neuer Prachtbaü in der Great Russel Street. Sie finanzierte allerhand Handelsunternehmen, darunter die Aaronschen Kettenladen, B. Chrestons groBen Konkurrenten und noch eine ganze Reihe kleinerer Firmen dieser Art in der Provinz. Die Leute von der Commercial waren sehr ehrenwerte und lm Kleinhandel versierte Herren. Sie empfingen Macheath mehr als reserviert. Wie es sich heraussteUte, kannten sie die Organisation und die Lage der B.-Laden erstaunlich gut. Macheath hatte sich eine ganz bestimmte Haltung zurechtgelegt. „Die alte National hat mir auf meine Lager nichts gegeben, weil sie keinen erstklassigen Stammbaum hatten," sagte er' zu Bloomsbury, bevor sie in die Great Russel Street gingen. „Die Lager haben jetzt einen Stammbaum und auBerdem gibt es jetzt schar ten Konkurrenzkampf; da wird die Neugier nach der Herkunft billiger Artikel bedeutend schwacher. Ich werde sagen müssen, daB die Lager sehr billig sind, sonst glauben sie mir nicht, daB ich ihr Geld, das sie mir leihen sollen, wieder herauswirtschafte. Aber damlt ich den unverschamten ZlnsfuB anbieten kann, den sie verlangen werden, müfite ich die Lager als s o bilüg angeben, daB sie doch nach der Herkunft fragen, oder ich muB als Narr auftreten, der sich riilnlert. Verzweifelte Leute haben sie gern. Sie können mir glauben, Bloomsbury, daB es mir in melner Lage nicht schwer fallt, als Verzwelfelter aufzutreten: ich bin verloren." Macheath trat also nicht als kalter Geschaftsmann, sondern als ruinierter Mensch auf. Mit blassem Gesicht, SchweiB auf der Stirn, gestand er, daB er am Ende seiner Kraft sei. Er habe sich mit einem ausgearbeiteten Projekt vertrauensvoll an die National Deposit Bank gewandt und seine Offenhelt sei schmahUch miflbraucht worden. Diese Leute hatten seine Ideen kaltblütig gestohlen und seien damlt zum Chrestonkonzern gegangen. Jetzt Begeer mit riesigen Lagern test, die abzunehmen er sich verpflichtet habe und fttr die ihm die ZEG jeden Tag unerschwingliche Mietskosten und Zinsen berechnen mttsse. Seine Laden auszubauen und mit Krediten zu versehen, fehle ihm das Geld. Die Lager standen bei der ZEG zur Besichtigung. Die Besichtigung am Unteren Blacksmithsquare fand statt und ergab tatsachUch groBe Bestande. Auch Quittungen und Belege fttr den Einkauf, darunter solche danischer und französischer Firmen, konnten vorgewiesen werden. Die Mienen der Commercial Dlrektorenklarten sich wahrend der Besichtigimg merklich auf. Aber als Macheath und Bloomsbury am Tag danach wiederjin die Bank kamen, saB neben den Herren Henry und Jacques Opper plötzlich ein fetter Herr von sehr jttdischem Aussehen, Herr I. A a r o n, der Besitzer der Aaronschen Kettenladen, mit dem die Herren Opper, wie sie erkl&rten, zusammen arbeiteten. „Herr Aaron," sagte der jttngere Opper verbindllch, „Herr Aaron, den Sie kennen werden, interessiert sich sehr fttr Ihre Ideen, meine Herren." Macheath war einigermaBen verblttfft. I. Aaron besaB mindestens anderthalb Dutzend grofie Geschafte in den besten Gegenden der Stadt und die B.-Laden waren daneben nicht mehr als ein rupplger, verlauster StraBenköter neben einem riesigen, gepflegten Neufundlander. Minutenlang ttberlegte Macheath, ob es nicht besser ware, sofort wieder das Zimmer zu verlassen. Er brauchte nur einen Bliek auf die Herren Opper zu werfen, um zu sehen, daB sie ohne Aaron keinerlei Verbindung mit ihm eingehen wurden. Er hatte das starke Geftthl, wiederum hereingelegt worden zu sein, ein Geftthl, an das er sich spater oft erinnerte. Aber seine Lage gestattete Ihm kein Zurttck mehr. Er brauchte Geld. Macheath wiederholte seine Geschichte und der groBe Aaron sagte heiter, das sei genau das, was er von B. Ghreston erwartet hatte. Nach seiner Ansicht, die er in witzigen Wendungen auseinandersetzte, war Ghreston, ein verhaltnismaBig noch junger Mann, völlig skrupeUos und nur auf Verdienen aus. Er sei trotz seiner Jugend oder wegen ihr ein typischer Vertreter jener Kaufleute schon etwas veralteter Art, die sich alles davon versprachen, das Publikum zu betrügen. Er, Aaron, sei keineswegs ein Moralist, Unmoral belustige ihn sogar, aber er halte nichts von ihr im Geschaftsleben. Sie habe einen zu kurzen Atem. ,Jure Idee mit den Einheitspreisen ist nicht schlecht," sagte er gutgelaunt, Macheath auf das Knie klopfend, „aber Bare Lager" und damlt wandte er sich an Bloomsbury, der die ZEG vertrat, „sind tast noch besser. Wie kamen Sie an Herrn Macheath? Sie hatten gleich zu mir kommen können I Aber Ich verstehe, der Weg geht über Herrn Macheath. Der kleine B.-Ladenbruder soll mltgenommen werden." Macheath hörte ihm mit wenig SpaQ zu. Er tand seine Scherze dürftig. Er verspürte kelnerlei Lust, Aaron an den Lagern zu beteiligen. Nur mit gröfiter Selbstüberwindung spielte er seine RoUe als kleiner Mann, den der groBe Chreston beleidigt hatte, weiter. Aaron schien sich sehr zu amüsieren, aber Macheath sah gut, daB ihm, so oft er den Namen Chreston erwahnte, eine lelchte Röte ttber die Schutten lief. Er hatte etwas gegen Chreston. Tatsachlich war Chreston schon etwas zu sehr im Aufstieg. Auch die Herren von der Commercial Bank machten sich ihre Gedanken darttber. Fttr sie war die National Deposit was für Aaron Chreston war. Diese Anderthalb Jahrhunderte hatten sich mit Grundstücken befaBt, was wollten sie im Kleinhandel? Ein kleines, langweiUges Institut mit ein wenig verschlmmelten Kassenschranken! Die Commercial war zu groB, um Konkurrenzneid zu empfinden, aber sie hatte von ihrer Stellung im Kleinhandel eine sehr hohe Meinung. Sie ftthlte sich durchaus als Schiedsrichter aber alles, was mit dieser Branche zusammenhing. Sie hatte nicht das Geftthl, schneUe und skruppellose Geschafte machen zu müssen. Bare Mission war es, ttber die M o r a 1 im Kleinhandel zu wachen. Man war sich klar, daB Manner vom Schlag des Macheath nur mit der Zange angef aBt werden könnten, aber bier schien wirklich ein etwas zweifelhafter Mann auf zumindest unkorrekte Weise behandelt worden zu sein. Jedermann konnte ihm ansehen, daB seine Nerven streikten. Er machte den Eindruck eines zutiefst Getroffenen. Er UeB deutllch erkennen, daB er von Rachegedanken gegen die NDB und den Ghrestonkonzern besessen war. Es lag Ihm alles daran, diesen Herren einen DenkzetteJ zu er teilen, selbst unter persönlichen Opfern. Er steilte, anscheinend von seiner eigenen Beredsamkelt fortgerissen, I. Aaron seine Lager zu Schleuderpreisen zur VerfUgung, damlt Chreston brutal niederkonkurriert werden könnte und verlangte als Gegenleistung nur, daB auch seine B.-Laden, gegen die er Ja Verpflichtungen habe, in das Geschaft hereinkommen wurden, zumal da es sich um kuiter selbstandige kleine Leute handele, die ihm ihr Vertrauen gescheukt hatten. Die Möglichkeit, den Rachedurst des B.-Ladennapolèons, eine geschaftliche Unvernünftigkelt, die auf seine niedere Herkunft zu deuten schien, auszuntttzen, bestimmte die Herren von der Commercial und Herrn I. Aaron denn auch, dem Projekt naher zu treten. Herr Macheath erhielt von dem Prasidenten der Commercial Bank, Herrn Jaques Opper, eine Elnladung, ihn auf Warborn Castle Ober das Wochenende zu besuchen. Warborn Castle war für das Ladengeschaft, was Downingstreet für die AuBenpolitik und Wallstreet in New York wieder für einen andern Handelszweig ist. Dort liefen die „Faden" zusammen. Macheath kam sehr aufgeregt in das Büro der ZEG und Fanny UeB sofort Bloomsbury holen. Macheath erklarte, er habe keine Ahnung, wie man auf Warborn Castle den Fisch aBe. Sie beratschlagten, wie man es anstellen könnte, daB die Elnladung auf Bloomsbury ausgedehnt würde. Er behauptete allerdings, daB er auch nicht wisse, wie man In Warborn Castle den Fisch aBe. Die Oppers waren noch nicht sehr lange dort. Fanny erledigte die Angelegenheit durch ein offenes Ge- sprach mit Jaques Opper. Sie ging mit einer Mappe voll Details unter dem Arm in die Commercial Bank und zerstörte alle etwaigen lilusionen Oppers von den Manieren ihres Chefs. Sie sagte, Leute, die gewohnt seien, mit ihren Handen Geld zu schaufeln, bentttzten ihre Hande mitunter auch dazu, auf ihre TeUer Fleischgange zu schaufeln. Wenn man Bloomsbury mlteinlüde, würde man jemand haben, der weniger Genie besaB als Macheath. Opper lud Bloomsbury ein. Trotzdem ware an diesem beinahe noch alles gescheitert. Er besaB keine so hohe Meinung von den Oppers wie Macheath, da er eben wenig von Geld verstand und wollte unbedingt Jenny mitnehmen. Das steilte er sich als einen HauptspaB vor. Er wollte sagen, Jenny sei seine Schwester und dann mit ihr einen neueren Modetanz zeigen. Davon versprach er sich etwas. Fanny brachte ihn mit groBer Mühe davon ab. Sie kontroUierte streng Macheath* Kleidung und nahm ihm seinen Degenstock ab. „Du brauchst ihn jetzt nicht mehr," sagte sie. Im letzten Moment kaufte er sich allerdings noch ein paar rindslederne Handschuhe von Naturfarbe mit flngerdicken Nahten, die sie nicht mehr sah. Bloomsbury bemerkte sie mit WohlgefaUen. Auf der Fahrt nach Warborn Castle überzeugte Bloomsbury Macheath davon, daB es unbedingt nötig sei, die gewohnten Manieren beizubehalten; die Oppers wurden sonst Macheath nicht mehr für einen Emporkömmling halten. Die kleine Rede, in der Bloomsbury dies zur Sprache brachte, war sein einziger Beitrag zu dem Geschaft, das durch Macheath' Eindringen in Warborn Castle eingeleitet wurde. Das Weekend wurde viel angenehmer, als Macheath es sich vorgestellt hatte. Sie stapften über wohlgepflegte Rasenflachen und afien Wildpret, zu dem es alten Portwein gab. In der Bibliothek roch es nach altem, teurem Leder und Macheath konnte seine Materialkenntnis verwerten, die ihm Fanny an Hand pornographischer Luxusdrucke eingetrichtert hatte. Der Seniorchef der Bank, Herr Jacques Opper, war unverheiratet und befaBte sich mit schöngeistigen Dingen, vor aUem einer Biographie des Lykurgus. Die treibende Kraft lm Geschaft war Henry Opper. Bloomsbury war ziemlich überflüssig. Das Fischproblem spielte keine RoUe. Macheath wunderte sich, in welcher Weise man auf Warborn Castle über geschaftliche Dinge sprach. Das Geld kam überhaupt nicht vor. Bloomsbury fand heraus, dafi der grofie Aaron nur deswegen nicht eingeladen war, weil er fttr Jacques Oppers Geschmack zu viel von Geld redete. Jacques Opper konnte Geld nicht ausstehen. Er sagte: diese Dinge mussen eben irgendwie geordnet sein, damlt ein einigermafien ertragliches Leben möglich ist. Abends nach einer ausgezeichneten Mahlzeit kam er darauf zurttck. „Gewift, man mufi essen um zu leben. Aber man hat noch nicht gelebt, wenn man gegessen hat. Die elgentliche Triebkraft der Menschheit ist das Bedürfnis. sich au*m**t~t,~, w„„ t..,r,. seine P er t & nll chk e it zu verewigen. Wobei das geschteht und wodurch, das ist völlig nebensachllch. Der geborene Reiter dracht Hch aus, indem er reitet. Ob ihm das Pferd gehort, ist unendlich gleichgültig. Er will reiten. Ein anderer will Tische machen. Er ist glückiich, wenn er das geliebte Holz in der Hand hat und Hch mit seinen Werkzeugen in ein Zimmer Hnschltefien darf. Das Ut das ganze Geheimnis der Wirt schaft. Wer nichts 193 Dreigroschcnroman will, wer alles nur tut, um damlt Geld zu verdienen, der Ut auf leden Fall ein armer Mensch, auch wenn er dieses Geld verdient. Ihm fehlt es am Etgentllchen. Er Ut nichts und will daher auch nichts schaffen." Ohne Henry Opper ware es Macheath schwer gewesen, die Rede auf Kettenladen und Kredite zu bringen. Erst lange nach dem Kaffee konnte er entwickeln, was seine Prinzipien der Selbstandigkeit der kleinen Besitzer bedeuteten. Da er in Schwung kam, erklarte er auch noch glelch, wie er das Prinzip wenigstens teilweise in gröfieren Laden, etwa denen Aarons, anwenden würde. Mit groBer Beharrlichkeit und immer aufs Neue versicherte er Allen, es sei natttrlich ein Aberglaube, daB das Hauptgeschüft aus der Kundschaft herauszuholen ware. Die eigentliche Einnabmequelle sei und bleibe der AngesteUte. , „ _ Die Kundschaft sei eigentlich nur dazu da, es dem Geschaftsmann zu ermöglichen, aus setoen Angestellten und Arbeitern Nutzen zu ziehen. Die Triebfeder des Angestellten aber sei der gemeine Eigennutz. Was kttmmere, rief Macheath aus, den Verkaufer das Wohl und Wehe seiner Firma?! Gleichgttltig sehe er den Kunden htoauslaufen, solange er noch sein Gebult bekomme. Die etozige Rettung sei es, ihn am Geschaft zu beteihgen. Man mttsse Ihm einfach kurz entschlossen etwas in den Rachen werfen. „Denken Sie an Gewinnbeteiligung?" fragte Opper erschrocken. „An nichts anderes." Aber das kommt doch furchtbar teuer," sagte Opper. Da kann ich Ihnen tocht beipflichten," gab Macheath zurttck. „Die Beteiligung wird natttrlich in Gutscheinen auf die Firma gewahrt. Dadurch werden die Verkaufer ais Kunden gewonnen." Henry Opper brummte irgend etwas. Aber Jacques, der Bücherwurm, sah Macheath aufmerksam und forschend an. Alles in allem ging der Abend gut vorüber. Man begab sich verhaltnismaBig früh auf die Zimmer. Mac konnte noch nicht schlafen. Er hielt Bloomsbury eine Rede über die Lahmheit der oberen Schichten. „Diesen Leuten," sagte er, mit hangenden Hosentragern herumlaufend, „fehlt es an Ernst. Wenn man Ihnen zuhört, könnte man glauben, sie verdienten ihr Geld nur um der Aufregungen willen, die damit verbunden sind. Das ist geradeso, wie wenn eine Dogge, die in einen Strudel gerat, behauptet, sie schwimme ans Ufer nur um des Sports willen. Sie meinen, ich weifl nicht, dafi das Eindringen der Anderthalb Jahrhunderte in den Kleinhandel ihnen schlaflose N&chte bereitet. Chreston hat Geld bekommen, das bedeutet, daB Aaron Geld braucht. Sie bestellen mich hierher, als wollten sie meinen Charakter prüfen, aber in Wirklichkeit ist es natttrlich mein Warenlager, auf das es ihnen ankommt. Wenn sie das nicht wissen, ist es umso schlimmer für sie. Ohne mein Warenlager könnte Aaron die Preise fttr seine teuren Waren niemals senken. Und bei allem Gewasch ttber Lykurgus, oder wie der alte Grieche heifien mag, hat auch Jacques sehr genau aufgepaBt, was meine Waren kosten. Wo ich sie hernehme, fragen diese Leute schon gar nicht mehr. Daher ist der alte Satz „Woher nehmen ohne zu stehlen" langst ttberholt, seit das Stehlen sovlel Geld kostet. Ich will sehen, ob ich dieses Geld aus ihnen herauskriege, das sie so verachten." Macheath mifibiUigte Jacques weit mehr als Henry, er nannte ihn vernagelt, aber zur glelchen Zeit, als er seinem Mitarbeiter gegenüber sich ereifêrte, war es Jacques Opper, der dem immer noch zweifelnden Bruder beim Auf knop ten der Hosentrager eine gute Meinung von ihm beibrachte. „Dieser einfache Mann hat Ideen," sagte er, „und was mehr ist: er hat Instinkt. Seine Anschauung vom Wert des Wettkampfes der Verkaufer ist geradezu griechisch. Er sieht nicht bloB simpleAusverkaufe wie Aaron; er sieht imGelst Wagenrennen. Sein Anteilschein Ist eigentlich der Lorbeer, der dem Besseren winkt. Er weifi das alles nicht, aber er ftthlt es. Er verlangt völlig zu recht die voll ausgebüdete harmonische Persönlichkeit beim rechten Verkaufer; Kollokakadla! als er ihn beschrieb, sah ich Alkibiades vor mir. Das ist nicht übel." Der jüngere Opper sah noch vor dem Elnschlafen Aarons Verkaufer die erschlagenen Kunden zur Kassa schleifen, wie Achilles den Hektor. In der Woche, die auf dieses Weekend folgte, kam die Eimgung zwischen der Commercial Bank, dem Aaronschen Kettenladenkonzern und der ZEG unter Dach. Aaron sollte hinfort von der ZEG zu gleichen Preisen Waren bekommen wie die B.-Laden. Die Vertrage, die Bloomsbury für die ZEG unterzeichnen mufite, waren schaudervoll. . Macheath wagte Bloomsbury nicht in die Augen zu schauen. Dann, auf der StraBe, bekam er einen Weinkrampf. Bloomsbury, betreten und nicht wenig erstaunt, brachte ihn in einen nahegelegenen Teeraum. Dort bestellten sie Butterbrote. Nur langsam tand Macheath seine Beherrschung zurück. „Zu diesen'Preisen, wie sie Aaron zahlt," sagte Macheath zu Bloomsbury, als sie den Teeraum verliefien, „können wir die Waren nicht stehlen. Das ist unmögHch lange durchzuhalten. Damit können wir höchstens eine Werbewoche wie Chreston durchführen und das ist es, was die Brüder wollen. Sie wollen möglichst kurze Zeit mit uns zu tun haben. Sie sind zu f ein dazu. Sehen Sie sich dieses Haus an, Bloomsbury! Marmor und Kupfer! Ich habe nie verstanden, warum das Publikum sein Geld zu Gebauden hintragt, die soviel gekostet haben und Immer weiter kosten. Die Leute meinen offenbar, Firmen, die sich Marmor und Kupfer leisten können, brauchen kein Geld mehr, also sei ihr Geld dort sicher!" Die alte kleine National Deposit war mehr nach seinem Geschmack gewesen. Ihre armlichen Büros schienen zu sagen: wir verdienen wenig an unseren Kunden. Er dachte mit Kummer an die National Deposit Bank, dieses verraterische, alte Amphibium. O h n e die National bedeutete g e g e n die National. Die National beherbergte aber die Mitgift seiner Frau. Macheath hatte bittere Gefühle, wenn er daran dachte. Es war ihm klar, dafi sein Kampf Jetzt gegen diese Mitgift ging, die er, so eigenrttmlich war nun seine Lage, mit aller Kraft vernichten mufite, wenn er durchkommen wollte. Der Kampf gestattete keinen Pardon, er wurde nur durch Vernichtung des Gegners gewonnen. Macheath sah eine Zeit harter Arbeit vor sich. Es war teuer gewesen, die ZEG zu einem Lockvogel für die Commercial zu machen, aber hatte er Jetzt seine kümmerlichen B.-Laden ausbauen dürfen, dann waren sie jedenfalls glanzend versorgt worden und hatten eine wunderbare Blütezeit erlebt. Start dessen war das Schlimmste geschehen: er hatte Aaron hereinnehmen müssen, die Konkurrenz und die übermachtige Konkurrenz dazu! Er hatte seine Lager ausgebaut, um sie sich stehlen zu lassen! Er war wieder nicht wirklich vorwarts gekommen. Wenn kein Glückszufall Macheath zu Hilfe kam, blieb er nach wie vor verloren. Er glich einem Mann, der mit blofien FttBen auf einer glühenden Herdplatte steht. Ein solcher Mann wird niemals aufhören, hochzuspringen, um den Platz zu wechseln und sei es auch, einen heifien mit einem ebenso heiBen. Seine gute Zeit besteht in den Augenblicken, wo sein FuB in der Luft ist. Im Augenblick hatte Macheath einiges Kapital fttr seine B.-Laden herausschlagen können. Sie konnten vermehrt und mit neuen Krediten versehen werden. Die rttckstandigen Löhne der „Einkaufer" O'Haras wurden ausbezahlt. Vor den nach Newgate zusammengetrommelten B.-LadenBesitzern hielt Macheath eine prinzipieUe Rede. Zuerst teilte er mit, daB er sich entschlossen habe, seine ungeteilte Arbeitskraft nunmehr ihnen, den B.-L&den, zu schenken. Zu seiner Entlastung habe er sich vom Einkauf so gut wie frei gemacht und diesen einer sehr potenten Gesellschaft, der ZEG, ttbertragen. Diese Gesellschaft biete Posten, die allerdings nur bei Abnahme gröBerer Quantitaten billig seien. Es habe sich auch darum gehandelt, zu verhindern, daB sie anderen L&den so gttnstige Offerten mache. Allein hatten aber die B.-Laden die ZEG niemals voll beschaftigen können. Er fuhr fort: „Wie Sie vieUeicht gehort haben, sind die Vereinigten B.-L&den gestern ln eine enge gesch&ftUche Verbmdung mit den Aaron sehen Kettenladen getreten. Die Zentrale EinkaujsgeseUschaft m.b.H., die Sie, meine Herren, zukünftig beliefert, wird auch den Aaronschen Kettenladenkonzern beliefern. Was bedeutet dieser sensationelle Schrift des machtigen Aaronfconzerns t Meine Herren, er bedeutet einen Sieg, einen überw<igenden Sieg der B.-L&den. Und was wichtiger ist: der B.-L a d e n i d e e. Welche Idee ist das? Meine Herren, es ist die Idee, auch den armen und arms ten Schichten der Bevölkerung die Gaben der modernen Industrie zugute kommen zu lassen. Ein Mensch der M a s s e, ein D ut x en dmensch, das klingt nicht ehrenvoll. Meine Herren, darin liegt ein gut Teil Unwissenheit. Gerade die Masse macht es. Her Geschaftsmann, der den Groschen, den sauer erarbeiteten Groschen des Arbeiters über die Achsel ansicht, begéht einen schweren Fehler. Dieser Groschen ist so gut wie irgend anderes Geld. Und ein Dutxend ist zwölf mal so viel wie einer. Das ist die Idee der B.-L&den. Und diese Idee der B.-L&den, Ihre Idee, hat über den machtigen Aaronkonzern mit seinen Dutxenden von grofien Geschaften einen vollen Sieg davongetragen. Auch der Aaronkonzern wird xukünfttg den Srmeren Schichten seine Tore öjffnen und damit im Dienst der Idee der Bllllgkeit und des soxialen Fortschritts stehen. Manchen Klelnglaublgen unter Ihnen — es gibt ja über all Meckerer und Miesmacher — hbre Ich nun lm Stillen sagen: Warum sollte der müchtige Aaronkonzern mit uns kleinen Geschaftsleuten künftig zusammen arbeiten wollen t Und da müssen wir allerdings sagen: nicht wegen der blau en Augen der Billigkeltsladen! Wohln wir blieken ln der Natur, geschleht nichts ohne materie 11 e Interessen! Wo immer einer zu dem andern sagt: ich meine es gut mit dir, wir wollen zusammen . . . usw., da heifit es aufgepaBt! Denn die Menschen sind eben menschltch und keine Engel und sorgen vor allem erst einmal für sich selber. Aus Menschenfreundllchkett alletn geschleht gar nichts! Der Stürkere bezwingt den Schwacheren, und so wird es auch bei unserer Zusammenarbett mit dem Aaronkonzern heiflen: bei otter Freundschaft, wer ist hier der S tSrkeref Also Kampf? Jawohl, meine Herren, Kampf! Aberf r ie dl ic her Kampf! Kampf im Dienste einer Idee! Der gesund denkende Geschaftsmann scheut den Kampf nicht. Nur der Schwöchttng scheut ihn, über den das Rad der Geschichte hinweggeht! Der Aaronkonxem hat sich uns angeschlossen nicht weil unsere blauen Augen ihm geflelen, sondern weil er mufite, weil er Achtung hat vor der zahen, ausdauemden und o pf er f r e u dl gen Arbeit der B.Laden, und diese gilt et xu verstarken. Unsere Kraft beruht auf unserem Fleifi und auf unserer Genügsamkeit! Von uns weifi man: wir legen selber Hand an! Und darum habe mich ich mich entschlossen, ln Zukunft meine ganze Kraft Ihnen und den B.-L&den xu wtdmen, nicht aus materiellem Interesse heraus, sondern weil ich an die Idee glaube und weil ich weifi: der unabhangige Kleinhandel ist der Nerv des Handels überhaupt und aufierdem eine Gold grub e!" Die Rede wurde von etwa einem halben Hundert Menschen mannlichen und weiblichen Geschlechts und einigen Presseleuten angehört und hinterlieB starke Eindrücke. Es waren nicht wenige schw&chliche oder geschwftcht aussehende Menschen darunter, aber der Appell an die eigene Kraft verhallt, wie man weiB, selten ungehört. Macheath konnte mit seinem Erfolg zufrieden sein, aber er verliefi die Sitzung zusammen mit Fanny Crysler und auf irgend eine Weise erfuhr Polly davon. Er fand sie eines Abends ziemlich spat vor seiner Tür in Nunhead. Sie hatte ln einem B.-Laden seine Adresse erfragt und saB schon ein paar Srunden vor der Gittertür. Sie war ziemlich kleinlaut und sagte glelch, sie habe es ohne ihn nicht mehr ausgehalten. Wahrend er die Haustür aufschloö, bereitete er sie auf die neue Wohnung vor, von der vorlaufig nur ein Zimmer eingerichtet sei. Warum er die groBe Wohnung verlassen hatte, sagte er ihr oben, als sie auf dem einzigen Stuhl saB, ihren Koffer vor den FüBen. Er sagte ihr ernst, die Einstellung ihres Vaters zu ihm habe ihn in allerhand Schwierigkeiten gebracht. Er gestehe offen, dafl er mit der Mitgift oder wenigstens mit einer Verbesserung seines Kredites gerechnet habe. „Ich hoffe," sagte er, „daB Du nicht enttauscht bist, einen Mann zu haben, der mit dem Penny rechnet. Ich habe Zeit meines Lebens schwer gearbeitet; Jetzt, wo ich Land sehe, branche ich ein Stück Geld, um ganz in Ordnung zu kommen! Ein Mann meiner Art darf tocht tos Blinde hinein heiraten. Er muB sich in der Hand haben. Seine Frau mufl ihm eine Hilfe sein können. Als ich meine Gefühle für Dich entdeckte, habe ich dennoch den Kopf oben behalten und mich kühl' gefragt: ist das die richtige Frau fttr Dich? Mein Instinkt sagte mir: Ja und meine Erkundigungen, die ich unter der Hand diskret einzog, bewiesen mir, daB mich mein Instinkt nicht getfiuscht hatte. Schon Kipltog sagt: der kranke Mann stirbt und der starke Mann ficht." Er sehe darum andererseits auch der Jetzt eingetretenen Situation kaltbltttig ins Auge. Er habe also die Wohnung wieder verkauft. Sie wttrden sich hier etorichten, wenn sie es tocht vorzöge, wieder zu ihrem Vater zurttckzukehren, dessen Fetodschaft ihm im Augenblick aus den erwahnten Grttnden nicht angenehm sein würde. Sie weinte ein wenig und sprach dann von den Zudrtoglichkeiten des Herrn Coax, denen sie schutzlos ausgesetzt sei. Dies verstand er sofort und als sie ihm noch mitteilte, sie fühle sich schwanger, ein kleiner Macheath wachse unter ihrem Herzen heran, zeigte er sich von seiner besten Seite. Er gestattete ihr sofort, nunmehr bei ihm zu bleiben. Sein Ton war gegen früher verandert, er behandelt» sie jetzt mit einer gewissen kurz angebundenen Überlegenheit, was ihr sehr gut gefiel. Glücklich gestand sie ihm, daB sie immerzu darauf gewartet habe, daB er nachts zu ihr komme. Es sei nicht schwer, am Balkon hochzukommen. Unangenehm überrascht erwiderte er, er könne doch nicht bei Nacht und Nebel an einem Balkon hochklettern, um bei seiner eigenen Frau einzusteigen. Das scheine ihm durchaus unpassend. Sie sah es ein. Er lag noch lange neben ihr wach, die Hande unter dem Kopf gefaltet, in das ungewisse Licht der Vorhange starrend. „Ich werde ihn Dick netrnen," traumte er, „ich werde ihn in allem belehren, ihm sagen, was ich weifi. Ich weifi viel. Manches, was ich mir noch mühsam geistig erarbeiten mufite, wird er von mir einfach xu hören bekommen, ohne jede Anstrengung. Ich werde ihn an der kleinen Hand nehmen und ihm erxühlen, wie man einen Konzern leitet und aus den Leuten etwas heraushoU, diesen schuftigen, unxuverlasslgen, sich um jede Arbeit drückenden Brüdern. Wenn man dir deinen Brei vom Teller stehlen wilt, dann schlage zu mit deinem Löffel, werde ich ihm sagen; und xwar so oft, bis er es begreift. Wo du eine TÜr einen Spalt ogen stehst, da ktemme gleich deinen Fufi hinein und dann vor wart s mit Wucht in das Gebaude! Nur nicht verzagt herumstehen und auf gebratene Tauben warten! Ich werde ihm das mit aller Geduld, aber auch mit aller Strenge beibringen. Dein Vater war ein ungelehrter Mann, aber kein Professor der Welt geschichte konnte Ihn lehren, wie man den Jungens das Feil über die Ohren xteht! Du kannst studieren, aber vergift nle, wer dir das ermöglicht hat. Das Geld für dem Studium hat dem Vater Penny für Penny aus den Taschen zaher Burschen stehen müssen. Vermehre dieses Kapttall Vermehre dein Wissen, aber vermehre auch die Grundlagel" Er schlief mit einer tiefen Falte auf der Stirn ein, aber sehr zufrieden mit Polly. Vom nachsten Morgen ab holte sie die Milch im Milchgeschaft, lernte, ihm seine Hammelleber gut zuzubereiten, so wie sie ihm mundete und half ihm, die andern Zimmer einzurichten. Sie sprach nicht von Fanny Crysler, weder in dieser ersten Nacht, noch spater. Macheath fürchtete zuerst, Fanny Crysler, zu der sich seine Beziehungen in der letzten Zeit intimer gestaltet hatten, werde Schwierigkeiten machen, aber sie zeigte zu seiner Erleichterung keine Anderung in ihrem Verhalten, als er von nun an nachts wieder nach Hause ging. Er hatte sie ungern verstimmt, da sie ihm in der ZEG eine groBe Hilfe war. Er hatte sie hineingebracht, weil er glaubte, daB sie aus physlschen Grttnden an ihm hinge. Er brauchte sie. In einer Sitzung, die in dem groBen, mit Mahagonnyhölzern getafelten Sitzungssaal der Commercial stattfand, hatte man beschlossen, die Entscheidungsschlacht gegen Chreston drei Wochen nach dessen mit groBem Tam Tam angekündigter Werbewoche in einer schon jetzt anzukündigenden Werbewoche der Aaron- und B.-Laden zu schlagen. IX Der Mensch lebt durch den Kopf Der Kopf reicht Ihm nicht aus Versuch es nur, von deinem Kopf Lebt höchstens eine Laus. Denn für dieses Leben Ist der Mensch nicht schlau genug Niemals merkt er eben Allen Lug und Trug. Ja, mach nur einen Plan Sei nur ein grofies Licht! Und mach dann noch 'nen zweiten Plan Gehn tun sie beide nicht. Denn fttr dieses Leben Ist der Mensch nicht schlecht genug Doch sein höhres Streben Ist ein schoner Zug. Ja, renn nur nach dem Glück Doch renne nicht zu sehr! Denn alle rennen nach dem Glück Das Glück rennt hinterher. Denn fttr dieses Leben Ist der Mensch nicht anspruchslos Drum ist all sein Streben [genug Nur ein Selbstbetrug. (Lied von der Unzulanglichkeit menschlichen Strebens) Kampte ringsum Auch Herr Peachum stand in schweren Kampfen. Er mtthte sich Tag und Nacht, sich das Schiffegeschaft vom Hals zu schaffen. Mit aller Macht strebte er wieder zurück zu seinem eigentlichen Fach, dem GroBbettel. Seine Sorgen, unter den Brückenbögen zu landen, sein Geftthl, betrogen worden zu sein von einem Schlaueren, Rücksichtsloseren, Lebensfahigeren, all das setzte sich in ihm um in den Gedanken, sein Bettelgeschaft auszubauen, das ja nur aus Bedrückung und Betrug erwuchs. Er war gewohnt, auch seinen Kummer zu verwerten. Manchmal blieb er bei Fewkoombey lm Hof am Zwinger stehen und redete mit ihm, als sei er sein Kompagnon. Der Einbelnlge wunderte sich darttber, bis er merkte, daB Herr Peachum vieUeicht ebenso sehr zu den Hunden redete, denn er sah ihn überhaupt nicht an. „Ich lese Ut den Zeitungen," sagte er z. B., „dafi ln letzter Zeit zuviel gebettelt werde. Dabei sieht man nur alle paar Kilometer einen Bettelnden und immer denselben. Wenn man nach der Zahl der Bettler ginge, könnte man glauben, es gabe kein Elend. Ich habe mich oft gefragt: wosind elgentllch die Elenden ? Die Antwort lautet: überall. Sie verbergen sich hinter ihrer Massenhaftigkeit. Es gibt aufierdem ganse Riesenstadte, die nur von ihnen bewohnt werden, aber sie verstecken sich gleichsam in ihnen. Sie lassen sich nicht blieken, wo es hübsch Ist. Sie meiden die angenehmen Straften. Meistens arbeiten sie. Das verbirgt sie am besten. Dafi sie nichts kaufen können, was Ihren Hunger stiUt, bemerkt man nicht, weil sie nicht in den Leiden erscheinen, um nichts xu kaufen. Et sind ganze Völker, die in Hinterhausern dahinsiechen. Die zettgemafie Form ihrer Vernlchtung ist eine Jast unmerkllche (abgesehen davon, dafi es eine anonyme Ist!). Sie werden vemichtet, aber die Vemlchtung dauert Jahre. Verfalschte Lebensmtttel und davon noch zu wenig, ver pest et e Wohnungen, Beschneidung aller Lebensfunktionen, das alles braucht lange, bis es den Mann unten hat. Der Mensch ist unglaublich haltbar. Er stirbt nur ganz langsam ab, stückweise. Lange noch sieht er wie ein Mensch aus. Erst ganz zuletzt bekennt er Farbe und geht voUends ein. Diese eigentümliche Art unterzugehen macht es schwierig, den so massenhqften, unermefilichen Vntergang wahrzunehmen. Ich habe oft darüber nach gedacht, wie man dieses Elend, das wahre Elend, zu irgendeiner Wirkung bringen könnte. Es müfite ein unglaubliches Geschaft seint Aber es ist unmögltch. Wie soll man den ah sich gewifl erschütternden Bliek einer Mutter verwenden, mit dem sie, ihr krankes Kind lm Arm, das Wasset die Wand ihrer Kommer hlnablaufen sieht T Man hotte sotcher Mütter hunderttausende, aber wat soll man mit Ihnen anstellen ? Man kann doch nicht Führungen durch die Armenviertel veranstalten wie über die Schlachtfelder! Auch der AnbUck eines vier zigjahri gen Mannes, dem es zu Bewufitsem kommt, dafi er aus dem Konkurrenzkampf ausschaltet, weil er verbraucht ist «— nicht er, sondern die Umwelt hat mit seinen Kraften nicht haus gehalten— dieser AnbUck ist an die Nieren greifend, gewifl, aber der Mann gew&hrt ihn nicht der öffentllchkeit. GeschaftHch betrachtet ist er also nutzlos. Das sind zwei Beispiele von tausenden." Herr Peachum verlor plötzlich anscheinend die Lust am Sprechen. Mit einer abwesenden Bewegung wies er Fewkoombey an seine Arbeit und ging weg, mit einem sorgenvollen, unruhigen Gesichtsausdruck. Oder er sagte: „Es ist etwas Eigentümltches um das Bettelgeschaft. Gerade für mich war es lm Anfang schwer, an dieses Geschaft zu glauben. Ich merkte aber dann, dafi die Leute aus der gleichen Angst, aus der sie nehmen, auch zu geben bereit sind. Es fehlt ja auch nicht an Mit leid, nur kann man mit Mit leid nicht ebenso gut eine warme Mahlzelt verdienen wie ohne Mitleld. Es ist mir auch Mar, warum die Leute die Gebrechen der Bettler nicht scharfer nachprüfen, bevor sie geben. Sie sind ja überzeugt, dafi da Wunden sind, wo sie hlngeschlagen haben! Sollen keine Ruinierten weggehen, wo sie Geschafte gemacht haben f Wenn sie für ihre Familie sorgten, sollten da nicht Familien unter die Brückenbögen geraten seint Alle sind von vomherein überzeugt, dafi angestchts ihrer eigenen Lebensweise allüberall tödlich Verwundete und unsaglich Htlfsbedürfttge herum kriechen müssen. Wozu sich da die Mühe machen zu prüfen ? Für die paar Pence, die man zu geben bereit ist!" Ein andermal sagte er nur: „Glauben Sie nicht, dafiichmeineBlindenhunde aus Schlechttgkeit nicht dick füttere: es beeintrachtlgt nur das Geschaft, wenn sie feu aus sehen.'" Und eines Tages rügte er Fewkoombeys ruhige Miene mit den Worten: „Sie sehen viel zu zuf rieden aus. Ich sage allen meinen Leuten, sie müssen wie Emiedrigte und Beleidigte aussehen: um diesem hassenswerten AnbUck zu entgehen, zahlt man gern." Er ware sicher zutiefst erschrocken, wenn ihm zu Bewuiïtsein gekommen ware, daB solche Redereien vor Angestellten auf eine schwere seelische Erkrankung hindeuteten; denn er wufite, dafi kranke Leute auf keine Schonung rechnen konnten. Das Herbeischaffen der Gelder fttr den Kauf der Southamptoner Schiffe Coaxens erwies sich als recht schwierig. Miller von der Deposit Bank wehrte die Zumutung, 50.000 Pfund zu kreditieren, mit aufgehobenen Handen ab. Er wollte seinen Kunden nicht vor den Kopf stofien und berief sich auf seine Verantwortung gegenüber der siebenjahrigen Inhaberin der Bank. Er stecke bis über den Hals in Geschaften mit groBen Konzernen, im Vertrauen gesagt, dem Chrestonkonzern. Über Peachums Kapitalmangel schien er sehr erschrocken und war es noch mehr als er schien. Peachum hatte etwa 10.000 Pfund Depotgelder bei der National Deposit Bank stehen. Aber die wollte er unter keinen Umstanden anreiBen. AuBerdem hatten sie nicht ausgereicht. Finney behauptete, nun endlich die Operation nötig zu haben und drohte fortgesetzt damlt, er gehe morgen in die Klinik. Nur Eastman kampfte, aber er konnte nicht viele Erfolge buchen. Da ereilte sie auch noch die Nachricht, Hale vom Marineamt werde von einem Skandal bedroht. Goax kam eigens zu Peachum und wartete in dessen kleinem Büro hinter der Eisentttr, bis Eastman geholt war. . Er berlchtete folgendes: Hale erhielt seit einigen Tagen erpresserische Brlefe. Seine Frau war vor zwei Jahren bei einer Polizeirazzla in einem Stundenhotel mit einem seiner Freunde überrascht worden. Der Erpresser behauptete, das Tagebuch dieses Freundes zu besitzen, aus dem hervorgehe, daB Hale von der Sache erfahren habe — ohne Konsequenzen zu ziehen. Er stehe sogar mit diesem Freund jetzt noch in Geschaftsverbindung ... Der Makier sah Eastman, zu dem er hauptsachlich sprach, scharf und lange in die Augen. Dieser wandte sein gequaltes Gesicht Peachum zu. Peachum sah wieder schwer krank aus. „Was kostet das Tagebuch?" fragte er mühsam, Coax dabei mit dem Bliek ausweichend. „Tausend", sagte Coax leichthin. „Die hat er. Die TSV hat ihm 9000 gezahlt." Das sagte Eastman. Und Coax sagte geduldig: „Er hat gar nichts. Seine Frau hat Toiletten. Sonst bekame sie keine Freunde, auch nicht für Stundenhotels. Den Rest der Gelder, die er von der TSV bezog, mufl er zur Niederschlagung der Untersuchung verwenden. Der Fall dieses Mannes ist tragisch.» „Was geschieht, wenn er nicht zahlt?" fragte Peachum „Dann mufl er gehen. Es ist furchtbar, dafi die Leute, mit denen man gesebaftlich zu ton hat, auch noch Privatangelegenheiten haben. Hale wandte sich in setoer Not sofort an mich, da ich sein bester Freund bin. Von einer Hilfe 7?? C^ Wl88en- DaS tet deto Beamtendünkel, sagte ich ihm. Deine Schwierigkeit ist meine Schwierigkeit. Meine ^ÏT' 7? mÜ8SCn Rat 8Chaffen- Eta Mann wie Hale darf nicht solcher LappaUen wegen über Bord gehen. Das ist menschlich nicht verantwortbar. Aber auch schon aus ganz tind gar egoistischen Erwagungen heraus müssen wir Hale sttttzen, meine Herren," A^t2tT ^ Lad6n —-chiedete, zögerte er einen ,4^ulein PoUyistwohl Immer noch nicht zurück aus Chamonix? fragte er, setoen Borsaltoo in Form brtogend, eine kecke, unternehmende Form übrigens. „Neln," sagte Peachum heiser. Ma" CoaX vorgelogen, PoUy sei in der Schweiz, um tore Bildung zu vervoUstandigen. Peachum hatte schon, Z,fi , VoU8tfindl6er zu machen, überlegt, ob er some Ah h AnSlcht8karten «"» Chamotox besorgen lassen soUte. Aber das war nicht ratsam. Früher oder spater muflte Dreigroschenroman 14 man Goax ja doch die ganze üble Geschichte beichten, namlich wenn sie geordnet war. Da durften dann die Lügen nicht allzu dick gewesen sein. Coax vergaB niemals, sich nach PoUy zu erkundigen. Peachum soUte sich am nachsten Montag mit Hale und Coax im Wannenbad treffen. Coax wickelte seine Geschafte mit der TSV grunds&tzlich in „Feathers Wannenbadern" und immer am Montag ab, glelchgültig, wleviel Zeit dadurch verloren ging. Ein halbe Stunde, bevor Peachum besteUt war, trafen sich Coax und Hale dort. Sie zogen sich langsam aus, ohne Madchen. Hale, ein dicker Vierziger, sprach. , J.ch war immer gegen Deine Seitensprünge mit Evelyn, das weiBt Du, William! Du hast sie dadurch nur Ranch entfremdet. Ich weifi, daB sie Deinetwegen die schUmmsten Szenen mit Ranch hatte, ich kann ein Lied davon stagen. Jede psychische MiBheUigkeit wir ft sie fttr Tage um. Und ich ftthle mich nun einmal nicht wohl, wenn ihr etwas fehlt. Ich schatze sie eben. Und dann: Stundenhotel! Das ist ja krankhaft bei Dir! Ich wundere mich, daB sie kein Nesselfieber bekam! In einem Stundenhotel, wo aUe zwel Stunden die Wasche gewechselt wird und also kategorisch feucht sein muB! Und vor allem die VorsteUung Stundenhotel! Evelyn ist das empftadUchste Geschöpf, das ich kenne. Es muB direkt ein perverser Reiz fttr sie gewesen sein, diese Wasche! Und sonst ist sie so natttrUch. Das ist das Schönste an ihr. Diese Sache verzeihe ich Dir niemals, und es stad bei Gott nicht die Folgen, aus denen ich mir nichts mache, so bin ich nicht. Aber jetzt kann ich mich htasteUen und diese Kramer um 1000 Pfund anschnorren! Ich tue das furchtbar ungern. Was gehen die meine Privatangelegenheiten an? Sie können mit Recht sagen: Herr, wir machen mit Ihnen Geschafte, wir bezahlen Ihnen nicht die Badekurtlch ginge am liebsten jetzt noch weg. SchlieBlich bin ich Beamter.» Goax sah ihn an und sagte: »Ja, schliefilich bist Du Beamter." "Ich mochte wissen, woher dieser Gawn Deta Tagebuch hat," brummte Hale, die Socken auf einem Schemel ordnend. Sie stiegen in die Holzzuber. Hale nahm ein Moorbad, Coax hatte bestimmte belebende Krauter in seinem Bottich. bedenke," fuhr Hale betrübt fort, als er lag, „wie peinlich wir im Amt am Ehrenstandpunkt festhalten! Wir können kleinere Geschafte machen. Ich will nicht von unseren bisherige» im Marineamt reden, ich will Grofibritanien aus dem Spiel lassen, ich weifi nichts darüber, will auch als Englander gar nichts darüber wissen. Aber bedenke, was Herr von Blsmarck drübenjür Geschafte machtl Das Ut ein ganz grafiet Mann! Er erwirbt Hch ein schönes Vermogen und sein Land idhrt gut dabei. Man beurteüt uns Staatsmanner nicht immer gerecht. Man sieht nur diese Aktion oder jene und beurteilt He Aber was weifi man von ihnen! Man sagt: die und die diplomatische Aktion war faUch, aber nur, weil man von Ihren öufieren Erfolgen ousgeht. Eine ganz grobe BetrachtungsweUe! Wrifi man denn, was He Hgentlich bezweckt hat f AU der deutsche KaUer an den Prdridenten Krüger tele gr aflette, welche Aktten stiegen da und welche flelen ? Natürltch f ragen das nur dU KommunUten. Aber unter uns, doch nicht nur sie: dU Diplomaten auch. Es Ut freiltch plump gedacht, aber der Wtrklichkeit Ut dieses Denken sehr nahe. Die Hauptsache Ut, plump denken Urnen. Plumpes Denken, das Ut das Denken der Grofien. PottHk Ut die Fortführung der Geschafte mit anderen Mittetn. Gerade deshalb müssen wtr sehen, dafi kern Schatten auf unsere persönUche Ehre Jallt. Wenn die Sache mit dem Stundenhotel aufkommt, werde Ich mit Schimpf und Schande aus dem Mmisterium gejagt. Gegen einen solchen Verdacht helfen heinerlei Verdienste. Aber schUefiUch habe ich Ehrgefühl im Leibe und mit dem ist es unvereinbar, dafi ich mich mit diesen Koofmlchs herumschlage." An dieser Stelle unterbrach ihn Peachums Elntritt. Die drei Herren nahmen gemeinsam ein Schwitzbad. Sie lagen auf den Pritschen, um auszukühlen, im Genick die vom Dampf nassen Tttcher, als Peachum begann. Er sprach leise, wie ein Kranker, der er ja auch war. „Unsere Zusammenarbeit, Herr Hale, war keine besonders vom Glück begünstigte. Entgegen unseren hochgespannten Erwartungen waren Sie, wie wir horen muBten, nicht in der Lage, unsere Schiffe fttr die Regierung zu erwerben, ein grofier, ein riesiger Verlust für uns." Hale brummte etwas. Er lag ausgestreckt und patschte sich mit seinen kleinen, dicken Handen auf die schwammige Brust. Peachum sprach weiter, immer sehr leise und mühsam. „Wir sind lauter ganz kleine Geschaftsleute. Unser Geld ist sauer verdient. Ich hoffe, Sie haben alles versucht?" Peachum drehte das Gesicht auf die Seite und sah nach dem Staatssekretar. Dieser schwieg jetzt. Er sah nicht besonders imposant aus. Es war ein Fehler von Coax gewesen, ihn ohne Kleider zu prasentieren. So sah er wie ein teister, unintelligenter Mensch aus, nicht wie ein hoher Beamter. Und irgend etwas an ihm fiel dem Freund der Bettler auf. Eine kaum merkliche, aber eben doch in Erschelnung tretende Anderung ging in Peachums Sprechen vor sich. „Wir hören von Herrn Coax, Sie haben Privatsorgen, die Sie in Ihrer Arbeit behindern? Wir bedauern das. Wttrde es Ihrer Arbeit dienlich sein, wenn wir Sie Ihrer Sorgen enthöben?" Hale brurnmte wieder etwas. Er hatte gern Coax angesehen. Die Unterhaltung lief nicht wie erwartet. „Sie wissen," fuhr Peachum fort, „dafi wir bei der Beschaffung der Transportschiffe Unglück hatten. Sie steilten sich nachtraglich als nicht so gut heraus, wie sie uns gesclüldert worden waren. Wir horten auch, Sie hatten ihretwegen Unannehmlichkeiten zu befürchten. Wir können uns denken, daB Privatsorgen es Ihnen noch erschweren, diesen Unannehmlichkeiten die Stirn zu bieten. Ich muB hier etwas ebenfalls Privates einschalten: ich sehe in Herrn Coax meinen zukünftigen Schwiegersohn." Coax drehte sich faul um. Leicht erstaunt sah er auf Peachum. Er erinnerte sich plötzlich an einen Augenblick in Peachums Laden, wo dieser an ihn die Frage gesteUt hatte, fttr wieviel er ihn herauslasse aus dem Scbiffegeschaft. Damals hatte er einen merkwttrdigen Eindruck von ihm gewonnen, den er dann wieder vergessen hatte. Inzwischen sprach Peachum weiter. „Wir soUten," sagte er ganz rullig, „versuchen, d o c h die ursprttngUchen Schiffe zu verwenden." Die beiden anderen Herren verhielten sich schweigeud. Peachum wuBte also jetzt, was er in Southampton noch nicht gewufit hatte: die Herren dachten immer noch daran, die alten Schiffe zu benutzenl Coax lachte miBtönend. „Ach so," sagte er, „Sie wollen fttr den lumpigen Tausender jetzt Ihre alten Klamotten der Regierung aufhangen, noch vor TorschluB?" Jetzt schwieg Peachum. „Ist das die Forderung der TSV?" fragte Coax plötzlich brüsk. Peachum wandte ihm liegend den Kopf zu. „Nein," sagte er, „die meine." Ein paar Minuten darauf begann Hale sich über den Londoner Nebel zu beklagen. Peachum stimmte ihm zu. Sie gingen in die Kabinen. Danach verabredeten sie sich vor der Badeanstalt. Coax hatte kein Wort mehr gesagt. Jonathan Jeremiah Peachum sah jetzt, nach Monaten dunklen Tappens und wilder Befürchtungen, endlich klar. Er hatte, als er seine Unterredung mit dem Staatssekretar begann, natürlich keine Sekunde gedacht, er könne um die Bewilligung ungerechtfertigter Ansprüche herumkommen oder den geringsten Gegendienst dafür erlangen. Nur aus alter Gewohnhelt, als Geschaftsmann, in dessen Gehirn es nicht hinein will, daB er etwas geben soU, ohne etwas zu empfangen, hatte er, wemgstens um der Form zu genügen, nach etwas gesucht, was er verlangen könnte. Die Demütigung schien ihm einfach nicht tragbar, ganz offen Geld zu geben für nichts. So versucht der halbwegs tüchtige Geschaftsmann von seinem ruinierten Bruder, dessen Ruin er aus gesellschaftlichen Gründen abwenden mufi, wenigstens noch, sich dessen Lebensversicherung abtreten zu lassen; oder er befiehlt einem Bettler, für die alte Brotkruste wenigstens ein Loch im Garten auszuheben, das er von dem nachsten wieder zuschütten lafit. Hales Verstummen hatte Peachum dann ungeheuer erregt. Er s a h plötzlich. Er sah nur, um zu lelden. Nicht die neuen Southamptoner Schiffe, die ihm den Ruin brachten, wurden an die Regierung geliefert werden, sondern die alten, seeuntüchtigen. Goax und dieser elende Hale prefiten aus der schwachen, kranken, gutmütigen Transportschiffegeseilschaft rücksichtslos heraus, was irgend noch drinnen steckte: die neuen Schiffe wttrden sie kaufen oder nicht kaufen, das hatte mit dem Regierungsgeschaft gar nichts zu tun; die TSV hatte sie jedenfalls zu bezahlen. Und das alles war von allem Anfang an geplant gewesen t DaB Coax ihn nicht in den Plan eingeweiht hatte, erschreckte Ihn tiet. Coax behandelte ihn sonst durchaus als zukünftigen Schwiegervater. Gleichzeitig fürchtete Peachum in dieser Zeit nichts mehr, als daB Goax wegen Polly ungeduldig werden könnte. Aber Goax zeigte keine Ungeduld. Als Peachum im Auftrag der TSV Coax das für Hale bestimmte Geld überbrachte, lenkte er angstvoll die Rede auf seine Tochter. Coax blieb erst stumm, dann versicherte er, daB er nicht gesonnen sei, Polly zu drangen. Er wolle seiner selbst wegen geliebt werden. Auch Peachum solle sich keine Sorgen machen. Wie immer Fraulein Polly sich ihm gegenüber stelle, er, Peachum, bleibe für ihn immer ihr Vater. Es sei ihm eine Freude, einmal ln seinem Leben, das viele haBliche Seiten aufweise, einer tieferen und reineren Neigung Opfer zu bringen. Herr Coax gehorte zu der verbreiteten Gattung der Allesüberdielippenbringer. Peachum hörte mit unbewegtem Gesicht zu und beschloB zum tausendsten Male, die Ehe zwischen Coax und seiner Tochter zustande zu bringen. Ihm schienen Coax' Reden zu atherisch und seine Motive zu schön, um von Bestand zu sein. Immerhin hatte Coax schon in dem Transportschiffe- geschaft zum Ausdruck gebracht, dafi er Herrn Peachums Geld nicht verse hmahen würde. Nach einer eingehenden Unterredung beschlofi man in der Old OakstraBe, noch einen Versuch zu machen. VieUeicht konnte man Herrn Macheath geschaftliche Schwierigkeiten bereiten. Eines Tages, mitten in der groBen Verkaufskampagne, wurde Macheath gemeldet, dafi sich ln und vor den Laden plötzlich eine grofie Anzahl von Bettlern ansammelten. Sie durchwühlten die Artikel und sparten nicht mit Kritik. Laut schimpfend warfen sie alles durcheinander. Zu zweien und dreien steilten sie sich vor die Ladentür und unterhielten sich miteinander über den Schund, der hier verkauft wurde. Da das Publikum sich zwischen ihnen durchzwangen mufite, um in die Laden zu gelangen und da sie ungemein schmutzig waren, kehrten viele Kaufer einfach wieder auf der StraBe um. Macheath sah sich die Sendboten seines Schwiegervaters vor verschiedenen Laden an. Er dachte zunachst daran, die Polizei zu ersuchen, Ordnung zu schaffen. Aber dann besann er sich eines Besseren und llefi von den Ladenbesitzern an einem Freitag, wo der Verkehr am starksten war, handgemalte Schilder über den Schaufenstern anbringen, auf denen stand: HIER KÖNNEN SOGAR BETTLER GUTE WARE KAUFEN. Die Sache gelangte in die Zeitungen und die B.-Laden wurden popularer denn je. Herr Peachum hatte noch einmal den Kürzeren gezogen. Aber wenn sein Schwiegersohn auch noch viele Schwierigkeiten vor sich sah, so sah er doch eine zu wenig. Herrn Peachums so kostspielige Begegnung mit einem hohen Beamten des Marmeministeriums in Feathers Wannen- badern sollte in Herrn Macheath' hochstrebende Plane noch tJef eingreifen. Unauslöschllch sah Herr Peachum von nun an drei alte, baufallige Kasten voll von Soldaten auf hoher See schwimmen, ein horrendes Geschaft 1 Ausverkauf Macheath tellte seine Zeit zwischen O'Hara und Fanny Crysler. Er traf den ersteren für gewöhnlich in einem Rasiersalon, zusammen mit noch zwel anderen Leuten vom Blacksmlthsquare, Father und Grooch, alten Einbrechern. In irgend einer Kneipe entwarfen sie die wichtigeren der Einbrüche. Macheath hatte Immer noch gute ElnfaUe und war als Organisator unübertrefflich, aber die Sitzungen mit Fanny lm Büro der ZEG brachten ihm weit mehr innere Befriedigung. Das Auskaufen verkrachter Laden erforderte nicht wemger List und war alles in allem zeitgemaBer Er hatte sich wie der Fisch im Wasser bei diesem Geschaft gefuhlt, wenn er nicht den Kontrakt mit Aaron auf dem Hals gehabt hatte. Einige intlme Besprechungen in den RSumen der ZEG zwischen Macheath, Fanny Crysler und O'Hara endigten in dusterem Schweigen. Man hatte vorsichtig begonnen, ln die Aaronladen Artikel der ZEG zuleiten. Die auf Löhne ges teilten Einkaufer wurden von O'Hara in fieberhafte Tatigkeit versetzt. Aber schon jetzt zeigte es sich, daB die ZEG zwar für die B.-Laden eine nahezu unerschöpfliche Quelle gewesen ware, jedoch für die Lleferungen ungeheuren AusmaBes, wie die Werbe- woche zusammen mit den nunmehr hinzugetretenen, selber beinahe doppelt so starken Aarongeschaften sie verlangte, bel weitem nicht potent genug war. Schon nach kurzer Zeit schrumpften die Vorrate sofort absetzbarer Artikel zusammen. Macheath ging einige Tage niedergedrückter denn je herum. Er verspttrte eine entsetzliche Furcht davor, den Herren Aaron und Opper einzugestehen, daB die immerfort besprochene Entscheidungsschlacht gegen Chreston überhaupt nicht stattflnden konnte. Dann setzte sich langsam in seinem Kopf ein ganz ungewöhnlich gefahrllcher Plan durch. In den Nachten an Pollys Seite überlegte er durch viele Stunden seine gefahrdete Lage. Er sah schSrfer und dachte leichter, wenn er ihren ruhigen, vertrauensvollen Atem hörte. Seine kühnsten Entschlüsse kamen so zustande. Eines Morgens ging er, ohne Fanny und O'Hara verstandigt zu haben, zu Aaron und sagte ihm folgendes: Wir dürfen nicht alles auf die Werbewoche setzen. Wir müssen dafür sorgen, daB Chreston die Luft schon vor seiner eigenen Werbewoche ausgeht. Am besten, wir tangen bereits jetzt mit dem Senken der Preise an. Die ZEG kann jetzt so gut liefern wie spater. Aber Chrestons billige Artikel sind noch nicht fertig." Aaron sah ihn traumerisch an. Irgend etwas an Macheath geüel Ihm nicht. Für einen Rauber war er ziemlich gut bürgerlich, aber fttr einen Bttrger war er ziemlich rauberisch. Er hatte auch zu wenig Haare auf seinem Rettichkopf. Aaron gab etwas auf solche Beobachtungen. Aber dann stimmte er doch zu. Seine Frau ging ln letzter Zeit mit Frau Macheath eirikaufen und erzfihlte nur Gutes von dem Ehepaar Macheath. Sie schrankten sich Jetzt sehr ein, erfuhr Aaron auf diesem Wege. Macheath rechnete abends das Haushaltungsbuch nach. Er stand auf dém Standpunkt, am Ende mache es der Penny. AuBerdem fand Macheath eine Sttttze in dem alteren der beiden Oppers. Dieser hatte sich persönlich an der Umgestaltung der Personalpolitik in den Aaronschen Hausern beteiligt. Er war besessen von dem Gedanken des griechischen Wettkampfes, als dessen Urheber er selbstlos Macheath rühmte. Die Verkaufer wurden am Umsatz beteiligt und waren nunmehr genau so am Geschaft interessiert wie Besitzer von Laden. Der Wettkampf blühte. Die Reklame vervielfachte sich. Die Laden wurden auBerst relchllch beliefert, die Zahl der Artikel erhöht. Auch die kleinen Gelasse der B.-Laden railten sich bis obenhin. Das Publikum kaufte das eine und sah dabei das andere. Es schleppte weg, was es tragen konnte, durch die biiligen Preise verführt. Grofie Inschriften, mit Buntstift auf Packpapier, klarten das Publikum darüber auf, dafi dies die . einzige und nie wiederkehrende Gelegenheit sei, ttberflttssige Dinge zu kaufen. Die Leute gingen wie Diebe aus den Liden, von geheimer Furcht erfüllt, der Ladenbesitzer werde doch noch plötzlich merken, dafi er start Schillingen Pence verlangt hatte. Macheath war sehr fleiBig. Er ging persönlich von einem Laden in den andern und unterstützte die Besitzer mit Ratschiagen, auch mit Bons auf Waren. Vor allem schaftte er riesige Mengen billigster Artikel her, teilwelse bis aus Danemark, Holland und Frankreich. Seine Zentrale Einkaufsgesellschaft unter O'Hara arbeitete Tag und Nacht. Einige Posten wurden als aus Einbrüchen herrlihrend festgestellt. Die Anzeige traf einen B.-Laden in der Mulberry- StraBe, dessen Besitzerin Mary Swayer hieB. Die Artikel waren von Bettlern denunziert worden. Macheath zog die Artikel zurück, steilte sie der Pollzei auch aus anderen Laden zu und JieB sogar ein paar kleinere Einbrecher hochgehen. Dennoch blieb Macheath eine zeitlang beunruhigt. Er ahnte, daB sein Schwiegervater sein letztes Wort noch nicht gesprochen hatte. Es fehlte ihm bisher wohl nur die Gelegenheit. „Der HaB Deines Vaters," sagte Macheath zu Polly, „Ist nicht natttrlich. Seine Abhangigkeit von diesem Coax muB wieder gröBer geworden sein. Er hört nicht auf, mir nachzustellen. Ich habe ein unangenehmes Geftthl, wenn ich an ihn denke. Ich dachte, er wttrde sich eines Tages auf den Boden der Tatsachen stellen. SchlleBllch zimmere ich mir und Dir doch nur eine Exlstenz." In der stttrmischen Entwicklung, die seine Geschafte bald dar auf nahmen, vergaB er allerdings wieder völlig diese Sorge. Die Laden des Aaronkonzerns und die B.-Laden veröffentllchten in den groBen Zeitungen, sie gaben Rabatt fttr Angehörige von Kriegsteilnehmern und wollten auch Kriegerwitwen bei der Bewerbung um neue Laden besonders berücksichtigen. Dieser Schrift fand viel BeifaU. Die Preise wurden mit allen Mitteln heruntergeschraubt. Die Chrestonschen Kettenladen begannen die wahnsinnige Konkurrenz bald zu spttren und sahen sich gezwungen, auch mit ihren Preisen herunterzugehen. Die National Deposit Bank strengte sich erstaunlich an. Miller und Hawthorne saBen nachtelang mit Chreston ttber den Büchern. Die Kampagne verschlang Unsummen. Die Anderthalb Jahrhunderte wagten sich kaum mehr in die Augen zu schauen. Sie fühlten sehr stark ihre Verantwortung. Um sie zum Aufiersten anzuspornen, lieB Macheath mit ihnen durch Mittelsleute wieder Beziehungen aufnehmen. Sie sollten daraus den Schlufi ziehen, der Commerciai Bank hinter den Aaron- und B.-Laden gehe langsam der Atem aus, die Brüder Opper suchten unauffailige Wege zu I. Chreston. Sie zogen auch diesen SchluB und senkten von neuem die Preise für die kiemen Artikel. Auch Aaron und Macheath muBten also mit den Preisen noch einmal herunter. Dabei standen die groBen Werbewochen der beiden Konzerne unmittelbar vor der Tür! Das Publikum hatte langst begriften, daB es sich um eine Entscheidungsschlacht zwischen Aaron und Chreston handelte. Es begriff auch, daB es jetzt billig kaufen könne. Es kaufte tapfer, doch warteten viele Hausfrauen auch auf noch niedrigere Preise. Sie strichen gierig durch die Verkaufsraume und verglichen die Warenpreise. Aaron nahm bereits die Vorarbeiten fttr die neue Staffelung der Artikelpreise in Angriff. Dabei lernte er seinen neuen Kompagnon schatzen. Wenn er semen Rettichkopf sah, grübelte er Immer darüber nach, ob dieser Mann woM einen kurzen Brief ortographisch schreiben könnte; aber Kopfrechnen konnte er zweifeUos. Es sollte sich zeigen, daB er mehr konnte. Von der ZEG ware Jetzt die grofie Werbewoche vorzuberelten gewesen, die alles Bisherige in den Schatten stellen soUte. Fortgesetzt nahmen Aarons Kettenladen die Artikel der ZEG vergnügt herein, soviel sie beibrachten und sagten kaum dankeschön. Die Profite waren allerdmgs nicht allzu groB, da die Preise schon jetzt unter jeder wirklichen Verdienstgrenze lagen, aber es handelt» sich ja zunachst lediglich um die endgültige Ausschaltung der Konkurrenz. Fttr die grofie Werbewoche verlieB sich Aaron völUg auf die wunderbare ZEG. Sie schien ja unbegrenzt leistungsfahlg. Sie war es durchaus nicht. Als die Lager immer mehr zusammenschrumpften, erlitt Macheath in Fannys Laden einen schweren seelischen Zusammenbruch. Er schrie weinend, man plttndere Ihn aus, er sei unter Wegelagerer getallen. Er tue, was er könne, aber man wolle ihm die Haut ttber den Kopf ziehen. Er halte dieses Leben auf dem Vulkan nicht aus. Man könne von ihm nicht mehr verlangen, als ein einzelner Mensch leisten könne. Der unmittelbare Anlafi zu diesem Anfall war ein Gesprach mit Jacques Opper gewesen, ln dem dieser die grofie Werbewoche als Olympiade geschildert und Henry Opper Inseratkosten in phantastischer Höhe bewilligt hatte. Fanny machte Kompressen und rieb Macs Oberkörper mit Arnica ein. Br welnte die halbe Nacht durch und beschuldigt* sie, auch sie betrachte ihn nur als Preisboxer, der fttr sie Alle seine Gesundheit zu Markt» tragen solle. Wie vielen grofien Mannern graute ihm vor seinen eigenen Entschlttssen, wenn sie ausgeführt werden mufiten. So flel Napoleon ln Ohnmacht im Augenblick des lange geplanten Staatss treiches. Diese Stimmung wechselte mit anderen Stimmungen. Mitunter war er besser gelaunt und lud sie in felne Restaurants in Soho ein, wo er mit ihr ttber die Gesichter lachte, die Aaron und die Oppers vermutlich machen wttrden, wenn sein grofier Plan glückte. Fanny lachte mit ihm, aber sie wufite nicht, was er mit dem groBen Plan meinte. Er verriet seine Absichten lange niemandem, auch ihr nicht. Für gewöhnlich überwogen aber die düsteren Stimmungen. O'Haras Leute begannen die Situation auszunutzen und Forderungen zu stellen. Eines Tages im September wurde Macheath durch einen Boten O'Haras an den Unteren Blacksmithsquare gerufen. Das war ganz und gar auBergewöhnlich. Macheath zelgte sich niemals in den Lagerraumen am Unteren Blacksmithsquare. Von der ganzen O'Hara-Bande kannten ihn nur noch O'Hara, Father und Grooch von früher als Herrn Beckett. Dennoch fuhr Macheath hin. Es muBte sich um etwas Besonderes handeln. Er traf O'Hara in dem Rasiersalon. Sie gingen schweigend zusammen in eine benachbarte Kneipe. O'Hara entschuldigte sich wegen der Bestellung und erzahlte, er habe Macheath ohne Wissen der Crysler sprechen wollen. Es gingen allerhand merkwürdige Dinge in der Bande vor und Fanny spiele eine ziemlich dunkle Rolle. Der Bande passé der neue Betrieb nicht. Die festen Bezüge seien ihnen zu klein. Er, O'Hara, habe sofort schart durchgegriffen, aber Fanny trete ihm entgegen, wo sie nur könne und hintertreibe alle seine MaBnahmen. WahrscheinUch stecke sie mit Grooch zusammen, der ihr jedenfalls bel der Verhetzung der Bande getreulich helfe. Er wohne auch neuerdings wieder bei ihr in Lambeth. Macheath war sehr betroffen. Er hatte Fanny für vöJJig hörig gehalten. Jetzt hatte sie, nach O'Haras Aussage, die Lohnkürzungen, die man seit dem Konkurrenzfeldzug gegen Chreston bei der Bande durchgeführt hatte, durch Provisionen von der ZEG ausgeglichen. Das habe aber der Bande nicht genügt. Seit etwa einer Woche arbeite sie nicht wie gewöhnlich. Es fanden Sabotageakte start und einige Einheiten erschienen überhaupt nicht mehr zur Arbeit. O Hara fragte, ob denn der Rückgang der Lieferungen von Seiten der B.-Laden nicht reklamiert worden sei. Macheath wuBte nichts von Reklamationen. Die B.-LadenLeute waren gerade jetzt im Gegenteil sehr hofmungsvoll gestimmt. „Dann kauft sie die Waren irgendwo anders," sagte O'Hara aufgeregt, „und Ihnen sagt sie also überhaupt nichts von hier unten?" Macheath malte mit dem Finger in einer Bierlache auf dem Tisch und sah O'Hara mit einem schragen Bliek aus seinen wassrigen Augen an. Er bestelite sich ein paar starke Zigarren und schickte den jungen Mann in die Ridegasse, wo die Bande, wie er erzahlte, eben eine Besprechung abhielt. O'Hara wuBte nichts von den regularen Einkaufen der ZEG. Nach Macheath' Ansicht ging es ihn absolut nichts an, wenn sich die ZEG Belege verschaftte. Als O'Hara zurückkam, berichtete er, es sei nichts zu machen. Sie hatten ihm gesagt, die Crysler wisse, was ihre Forderungen seien. Er beschwerte sich zum hundertsten Male, daB Macheath ihm alle Macht genommen habe, als er die Auslieferung der renitenten Mitglieder an die Pollzei aufgegeben habe. Sie fuhren zusammen an die Waterloobrücke, wo aber Fannys Laden schon geschlossen war. Sie trafen sie ln Lambeth. Grooch war bei ihr. Es kam zu einer erregten Auseinandersetzung, bei der Macheath sich wieder schweigend vernielt. Er ging, mit einem schieten Bliek auf Grooch, den er auch sehr ktthl begrüfit natte, Ins Nebenzimmer und kramte aus einem Empireschrankchen eine Zigarrenkiste. Das machte den Eindruck grofier Vertrautheit mit dieser Wohnung und Fanny schien etwas verlegen. Im übrigen steilte es sich tatsachlich heraus, daB Fanny die Forderungen der Bande für gerecht hielt. Sie wollten das Arbeitsverhaltnis noch einmal umgeandert haben. Es sollte wieder so sein, daB die Bande auf eigenes Risiko arbeitete und die Waren bezahlt bekam. „Die Löhne sind zu sehr gedrückt worden," schloB Fanny, „sie wollen nicht mehr." „Das ist doch nur für kurze Zeit," bequemte sich Macheath zu einer Antwort, „die Waren mussen jetzt billig sein. Wenn Ghreston niederkonkurrlert ist, können wir mit den Preisen und also auch mit den Löhnen wieder hochgehen." O'Hara schlug mit der Faust auf den Tisch. „Sie nutzen nur die Konjunktur aus! Das ist es!" „Die Aktionen gegen Ghreston kann man Ihnen nicht klar machen," beharrte Fanny, „sie gehen sie auch nichts an. Sie wissen nicht, wozu sie dienen und erfahren nicht, wann sie beendet sind. Sie wollen ihr Geld haben." „Es ist nicht nett," sagte Macheath, wie es schien, abwesend, „erst wollten sie feste Bezüge wie Beamte, jetzt wollen sie wieder selbstandiges Einkommen. Das ist keine Schicksalsverbundenhelt von Ftthrer und Geftthrten. Immerfort w&lzen sie sich von einer Seite auf die andere. Einmal wollen sie da hinaus, einmal dort. Gestern feste Löhne, heute Beteiligung. Das führt zu nichts Gutem. Es ist kein Zusammenstehen auf Gedeih und Verderb." „Rede nicht immer von Verbundenheit auf Gedeih und Verderb, Mac!" sagte Fanny gereizt. „Das könnte zu lelcht Dein Gedeih und ihr Verderb sein." Dreigroschenroman 15 „Es können aber schlechte Zeiten kommen," beharrte Macheath, „wer tragt dann die Verantwortung?" „Sie werden sie schon selber tragen. Sei da nicht zu feinfühlig!" „Schön," sagte Macheath plötzlich kurz. „Sie sollen haben, was sie wollen. Sag ihnen, sie können sich bei Dir bedanken, Fanny." Und er stand auf. Fanny sah ihn aufmerksam an. „Sie sollen also wieder frei liefern können?" „Ja. Aber ich bestelle." Er nahm die Hüte O'Haras und Groochs vom Klelderrechen in der Flurgarderobe und gab sie ihnen mit abwesendem Bliek. Grooch schien etwas erstaunt. „Ich habe mit Dir noch etwas zu besprechen!" sagte Macheath nachlfissig zu Fanny und die beiden Manner gingen verdrossen weg. Fanny brachte sie hinunter. Als sie wieder nach oben kam, stand Macheath mit unbestimmtem Gesichtsausdruck am Fenster. Er hatte den Vorhang zurückgeschoben und sah auf die StraBe hinunter. VieUeicht kommt Grooch noch einmal zurttck," sagte er ruhlg, „und sieht nach, ob noch Licht ist. Wir gehen also besser ins Sclüafzimmer." Er ging soglelch voran. Das Schlafzimmer lag neben dem Wohnzimmer und wie dieses nach der StraBe hinaus. Macheath wartete, bis Fanny herinnen war und löschte dann das Licht lm Wohnzimmer aus. „Das Licht lm Wohnzimmer genügt," sagte er, „Du muBt sparen. Die Provisionen an die Bande gehen von Deinem Konto ab." Er setzte sich auf das Bett und zeigte auf einen geblümten LehnstuhI. Fanny setzte sich gekrankt und beunruhigt. Er pflegte sonst seine Besitzerrechte nicht so hervorzukehren. „Bist Du eifersüchtig?" fragte er plötzlich. Sie sah ihn verstan dnislos an. Dann lachte sie. „Das wollte ich Dich fragen, Mac. Du bist komisch." „Dann sag, was Du von dem ganzen Plan weiBt," brummte er argerlich, „alles." Sie war ziemlich erstaunt, denn sie wuBte gar nichts von seinem Plan. Sie war einfach dafttr gewesen, daB man die Leute anstandig behandelte. Sie wollte keine Krache haben und stand auf dem Standpunkt leben und leben lassen. VieUeicht nahm sie den Standpunkt auch ein, weU Grooch zu der Bande gehorte. Als er ihr nun seinen Plan auseinandersetzte, war sie nur erstaunt. Er glaubte ihr, dafi sie nichts davon geahnt hatte, war aber jetzt im Zug und trug ihr die Sache vor. Sie konnte besser zuhören als irgend sonst jemand. Es gab allerhand schwache Punkte in der Stellung Chrestons und der National Deposit Bank. Hier sah er noch gewaltige EntwicklungsmögUchkeiten. Immerhin war einer der Hauptkunden der Anderthalb Jahrhunderte Herr Peachum und Immerhin war Herr Peachum sein Schwiegervater. Aber zuerst woUte er mit seinen Verbündeten, mit Aaron und der Commercial Bank, „ins Reine kommen." „Ich kann nicht mit ihm so rückhaltlos und ohne Hintergedanken Seite an Seite kampten, wie ich es möchte, so lange ich das Gefühl habe, dafi er mich betrogen hat. Das steht zwischen uns. Wenn ich ihm gezeigt habe, was eine Harke ist, dann können wir viel leichter in ein anstandiges Verhaltnis zueinander kommen." Er hatte vor, die Lieferungen an die Aaron- und auch an seine eigenen Laden in nacbster Zeit abzustoppen. Durch dieses Manöver wollte er Aaron und die Commercial BankLeute.kurz bevor sie Chreston niedergezwungen natten, den Bissen sozusagen halb lm Maul," in eine verzweifelte Situation bringen, in der sie zur Austragung des Endkampfes keine Waren mehr hatten, sodaB sie merkten, wie sie auf ihn angewiesen waren. Die ZEG konnte dann die Kontrakte erneuern und andere Preise diktieren. Mitten im Konkurrenzkampf, knapp vor der groBen Werbewoche, wttrde Aaron nicht mit leeren Lagern dastehen wollen. Zahlte Aaron aber andere, angemessenere Preise, dann konnte die bisherige fragwiirdlge Form des Einkaufs lallen gelassen werden. Deshalb war fttr Macheath die neue Abmachung mit den O'Hara-Leuten von heute abend ein ganz unverhoffter Glficksfall. Ihn veriangte es nach geordneten Verhaltnissen. Tch muB einen Hausstand grimden," sagte er schUcht. '„Ich komme ln die Jahre, wo man ein Bankkonto haben muB." Wahrend des Redens wurde er fröhlich und stapfte unternehmend durch das Zimmer, seine Zigarre gut in Brand haltend. , _ Er hatte tets&chlich ttber der Mtthe, die es ihn kostete, sich ihr verstandlich zu machen, seinen Arger wegen Grooch vergessen. Er hatte auch gedacht, sie müsse etwas vonseinem Plan erraten haben, als sie die Freiheitsbestrebungen der Bande so förderte. Jetzt war sieso begeistert, daB er Mtthe batte, wegzukommen. Erst auf dem Heimweg nach Nunhead flel Ihm Grooch ein und daB er wieder bei Fanny wohnte. Er beschloB, Fanny trotz allem ein wenig kalt zu stellen. Sie wurde ihm auch zu selbstandig. Eine historische Sitzung Ein paar Tage spater tand lm Beisein von Macheath eine Sitzung der ZEG start • Macheath eröffhete sie mit der Aufforderung, die Herren mochten sich mitZigarren versorgen; esstünde auch Whisky und Soda bereit, denn die Besprechung würde voraussichtlich anstrengend sein. Dann legte er, die frische Zigarre im Mund rollend, nicht ohne Genufi vor sich auf den grün überzogenen Tisch die AufsteUungen, die er zusammen mit dem groBen Aaron in betreft der Werbewoche gemacht hatte. Sie waren sehr umfangreich und gingen bis ins letzte Detail. „Wir haben daran vier Tage gearbeitet Letzten Sonntag habe ich sie in Warborn Castle vorgelegt. Jacques Opper sagte, das gabe eine Olympiade, an die man sich in Londoner Geschaftskrelsen noch Jahrelang erinnern wttrde." Macheath sprach langsam und gedehnt. Er lehnte sich in seinen Wacfastucfastuhl zurttck und befragte Fanny, ob die ZEG die erforderlichen Warenmengen rechtzeitig beschaffen konne. Die Zahlen, die er anftthrte, waren ungeheuerlich. Fanny ktchelte und sagte, an Bloomsbury gewandt, der nichts verstand und verlegen auf die beiden Anwalte blickte„Ausgeschlossen. Wir sind am Ende. Wir könnten höchstens ein Drittel liefern. Die Kampagne ist viel zu früh begonnen worden." „Das ist böse," sagte Macheath und blickte zur Decke. „Das Drittel könnten wir immerhin liefern," schlug Fanny tapfer vor. „Das Ist kein Vorschlag auf einen gigantischen Plan wie den da, von dem Jacques Opper sagt, so etwas hatten höchstens die alten Griechen im Wettkampf geleistet," erwiderte Macheath unergründlich. „Ein Drittel! Ich stehe auf dem Standpunkt, man erfüllt Verpfllchtungen entweder ganz oder gar nicht. Sind es eigentlich Verpfllchtungen im juristischen Sinn, ich meine, nicht nur moralische, die wir natttrlich haben, Freunden gegenüber?" „Wir haben alles abgearbeitet," sagte Fanny kurz. „Schlimm," sagte Macheath und blickte zur Decke. '^Machen Sie ein Ende," sagte der eine Anwalt, Rigger, dem die Komedie nicht so viel SpaQ bereltete wie Macheath, Sie wollen also Aaron hangen lassen?" „Was heiBt, ich will? Ich mufi! SchlieBlich trifft es auch meine B.-Laden mit," sagte Macheath mlBbilligend, „sie sind davon schwerst betroffen. Ich kann für sie keine Ausnahme machen. Chreston wird seine Werbewoche zustande bringen und wir nicht, das ist schlimm genug. Aber wir haben nichts mehr. Ich habe Ihnen nicht umsonst geraten, sich mit Whisky zu versorgen, wir sind am Ende und können von Glück sagen, wenn die ZEG die Krise übersteht. Machen wir uns an die Arbeit, ich möchte eine brttske Erkl&rung Aaron gegenüber vermeiden. Der WarenzufluB mufi ganz allmahlich abnehmen. Das will organisiert sein. Wenn wir schon tocht den Zustrom sorgfaltig organisieren können, woUen wir wenigstens die Stockung orgamsieren. Und nun noch etwas, meine Herren, vergessen Sie memals: der kranke Mann stirbt und der starke Mann ficht! So ist eS im Leben." „Erledigen wir das Nötigste!" schloB Rigger kurz ab. Er hatte nichts zu sagen, aber die Sache geflel ihm nicht sehr. Macheath war noch nicht fertig. „Es ist eine schwere Prüfung für unsere Freunde von den B.-Laden," fuhr er langsam fort, die Zlgarre in die linke Hand nehmend, um mit der rechten einen Bleistift ergrelfen zu können, „es steht leider nicht in unserer Macht, sie zu erleichtern. Viele von ihnen sind mit den Zinsen und Abrechnungen im Rückstand und wir brauchen jetzt, wo die Zeiten anfangen, hart zu werden, jeden Penny unseres verborsten Geldes selber. Sie müssen ans Zurückzahlen denken. Wir haben ihnen geholfen, als wir ihnen Kredite gaben, jetzt müssen sie uns helfen, indem sie sie zurückzahlen; das ist nur billig. Wir brauchen Reserven, um über die knappe Zeit hinwegzukommen. Man muB auch lm Auge behalten, daB sie alle kaputt waren, wenn wir Helen". Nun erschrak sogar Fanny. Sie hatte nicht gedacht, daB das nötig sein würde. Wofttr wollte Mac die Reserven? Kam er denn weiter, wenn seine Laden zusammenkrachten? Aaron wttrde wanken, aber ttberstehen, Chreston, der Feind, wttrde mit Glanz siegen, wenn auch nur fürs Erste, wie Mac hoffte, aber die kleinen Laden wttrden wie die Eintagsfliegen wegsterben. Macheath war schon mirten in der Arbeit. Er schmlerte alle errelchbaren Zettel voll. O'Hara war in seinem Element, Die Fttnf legten genau test, wie man den Strom der Waren ln die Laden versiegen lassen konnte und Macheath beharrte darauf, daB die B.-Laden genau so wie die Aaronschen knapp gehalten wttrden. Er konnte keine begründeten Klagen Aarons und damit der Commercial Bank brauchen. Die Durchführung dieses Beschlusses wurde sofort in Angriff genommen. Mltten in der Verkaufskampagne begannen die Warenzuflüsse zu stocken. In blindem Vertrauen auf die Unerschöpflichkeit der ZEG hatte Aaron mit ihr neue feste Kontrakte mit Konventionalstrafen fttr den Fall der Nichtlieferung nicht eigens und ausdrücklich abgeschlossen. Aaron und seine Bank gerieten in Verwirrung und erkundigten sich zu allererst, ob die 231 B.-Laden besser beUefert wurden. Sie erfuhren, daB sie ebenso nach Waren dürsteten wie sie selber. In der Tat stürmten die B.-Laden-Besitzer das ZEG-Büro in der City, wo Frau Crysler sie, stets freundlich bleibend, von einem Tag auf den andern vertröstete. Nach Hause zurückgekebrt, fanden sie Briete von Herrn Macheath vor, in denen sie gebeten wurden, die rückstandigen Kredite in Ordnung zu bringen. Macheath, von den Herren der Commercial Bank in ihr Büro gebeten, gab sich als ratlos und schmerzlich überrascht. Eine Zigarre aus seinem Etui nehmend und sie dann kopfschüttelnd wieder zurücksteckend, als sei ihm in diesen Tagen selbst das Rauchen verleidet, sagte er: „Ich bin vor allem menschllch enttauscht. Meine Laden sind ln schlimmster Verfassung. Die armen Leute haben sich groBe Kosten gemacht für die Vorreklame. Sie haben die Schilder gröBtenteils selber gemalt und jetzt sind die Laden leer wie Mauselöcher. Voll von Leuten und leer von Waren! Kurz vor dem ersten Oktober, wo die Mieten fallig sind! AuBerdem haben sie Hilfskrafte für den Ausverkauf eingesteUt. Aber ich will gar nicht davon sprechen. SchUeBUch sind dasnurmaterielle Verluste. Viel scbllmmer trif ft mich die menschUche Seite der Sache. Bloomsbury ist ein persönUcher Freund von mir gewesen. Er batte mir das nie und nimmer antun dürfen. Ich betrachte es nicht als eine geschaftliche, sondern als eine menschUche Unfairness." Diese Haltung führte Macheath folgerichtig und entschlossen durch. Er verkroch sich keineswegs vor seinen Freunden in den B.-Laden, sondern erschien nach wie vor bei ihnen. Mit ernster Miene begründete er, warum er sein Geld zusammenhalten müsse, saB ohne Standesdünkel ln den Hlnterstuben, setzte sich die Kinder auf die Knie und bemühte sich in jeder Weise, etwas von seiner Zuversicht und Trotzalledemstimmung unter den verzweifelten Ladenbesitzern zu verbreiten. Er sprach mit den Frauen ihre Nöte durch und zeigte ihnen, wie es immer noch neue Möglichkeiten zu sparen gab, die sie übersehen hatten. Die Manner nahm er sich einzeln vor. „Ich trage schwer an der Sache, aber ich lasse es mir nicht merken," drangte er. „Sie müssen Ihrer Frau in diesen schweren Zeiten ein Halt sein." So zeigte er sich als geborener Führer und bewies, daB man alles sagen kann, wenn man nur einen unerschütterlichen Willen besitzt. Er kannte diese kleinen Leute. Ihre anfanglich finsteren Mienen schreckten ihn nicht. Sie mufiten jetzt durchhalten und stark sein. „Nur die Starken bleiben übrig," sagte er, ihnen forschend in die unslcheren Augen spahend. Diesen Bliek vergaBen die Betroffenen lange nicht mehr. Wie die Geschichte zeigt, haben gerade diese Schichten eine Schwache für Weltanschauungen, die es gutheiBen, wenn der Starke über den Schwachen triumphiert. Übrigens sprach Macheath .in diesen Tagen auch mit PoUy nur in diesem Ton. Er verlangte von ihr auBerste Sparsamkeit. Er wollte mit seinen Leuten durchhungern, sagte er ihr ernst. Er kantte sich schlechtere Zigarren und rauchte weniger. Er besteUte sogar eine Zeitung ab. „Treue um Treue," sagte er. „Ich verlange viel von ihnen, das AuBerste. Wie jene spartanische Mutter zu ihrem Sohne sagte, der in die Schlacht zog: Entweder mit dem Schild oder auf dem Schild, so sage auch ich meinen Freunden von den B.-Laden: Entweder mit dem LadenschUd oder auf dem LadenschUd I Da muB ich aber dann auch ihnen die Treue halten in schweren Srunden. Du siehst jetzt den Grund, warum ich Dein Wlrtschaftsgeld kürze!" Mit Jacques Opper versuchte er sich 'auszusprechen. Aber Opper war merkwürdigerweise recht kurz angebunden. Er sagte trocken, fttr ihn schelde derjenige, der kein Glttck habe, genau so aus wie derjenige, der keinen Verstand habe. Mitleld mit Gescheiterten sei Schwache. Macheath fand die griechische Philosophie etwas zu grau- sam. Liebesgaben Macheath hatte noch grofie Lagerbestande von Lelnwand und Wolle. Kurz vor dem Beschlufi der ZEG, den Warenzustrom in die Laden abzustoppen, hatte er aus einem Einbruch in eine Textilfabrik in Wales bedeutende Posten Lelnwand hereinbekommen. Er wufite nicht, wohin damlt. In den Zeitungen stand wieder viel ttber den Krieg in Sttdafrika. Nicht nur in London fanden erbitterte Kampte statt, sondern auch in Südafrika, und nicht nur durch die Interessenstreitigkeiten in London wurden die unbemittelteren Schichten besonders in Mitleidenschaft gezogen — man denke an die Tom Smiths und Mary Swayers der B.-Laden, die in diesen Tagen verzweifelt nach Waren ausspahten — sondern auch durch die Interessenstreitigkeiten in Sttdafrika. Hier mufite geholfen werden. Es blldeten sich Hilfskomitees. Die Damen der besseren Gesellschaft sprangen in die Bresche. Alt und Jung wetteiferte. In vornehmen Hausern und in Schulen wurden fttr die Verwundeten von schonen Handen Leinwandfetzen zu Charpie zerzupft. Auch wurden Hemden für die tap f eren Krieger gênant und Strümpfe gestrickt. Das Wort Opfer gewann einen neuen Klang. Macheath schickte Polly in einige der Komitees. Er erzielte gute Abschlüsse für seine Lelnwand, auch für Wolle. Polly verbrachte die Nachmittage in improvosierten Nahstuben, wo die Damen bei einer Tasse Tee Mannerhemden nahten. Sie hatten alle ernsthafte Gesichter und die Gesprache standen unter dem Zeichen des Opfers. „Sie werden sich f reuen, solche schone, weifie Hemden zu bekommen," sagten die Damen. Mit dem Daumennagel die Saume glatt stretchend, plauderte man von Englands Grofie. Je alter die Damen waren, desto blutdürstiger waren sie. „Man macht viel zu viel Federlesen mit diesen Banditen, die unsere braven Tommies aus dem Hinterhalt niederknallen," sagte eine alte, vornehme Dame neben Polly, „man müfite sie einfach aufgreifen und erschiefien, damlt sie merken, was es heiBt, mit England anzubinden! Das sind überhaupt keine Menschen! Das sind wilde Tiere! Haben Sie gehort, dafi sie die Brunnen vergiften? Nur unsere Leute sind immer fair, aber das sollten sie nicht, wenn es sich um solches Gesindel handelt! Finden Sie nicht, meine Liebe?" „Unsere Leute," seufzte eine noch Altere mit einer groBen Brille, „sollen so unerhört mutig ins Feuer gehen. Im gröfiten Kugelregen gehen sie vor wie auf dem Exerzierplatz. Es ist ihnen ganz gleichgültig, ob sie fallen oder nicht. Ein Zeitungskorrespondent hat Umfragen veranstaltet. Sie sagten alle dasselbe: auf uns kommt es nicht an, wenn nur England mit Stolz auf uns schauen kann." „Sie tun nur ihre Pflicht," sagte die Erste streng, „tun wir die unsere!" Und sie nahten eifriger. Zwei junge Madchen begannen zu kichern. Sie bekamen feuerrote Gesichter und bemühten sich, einander nicht anzuschauen, da sie sonst losprusten muBten. Die Mtttter wiesen sie argerlich zur Ruhe. Eine etwa Zwanzigjahrige sagte ruhig: „Wenn man in der Zeitung liest, wie es drauBen zugeht und dann an die hübschen jungen Leute in Soldatenuniform denkt, freut es einen gar nicht mehr." Die beiden jungen Madchen prusteten los. Sie gaben den Kampf gegen ihre unernste Natur keinen Augenblick auf, sondern schluckten wie Verzweifelte, zogen, wahrend sich ihre Körper schttttelten vor Gelachter, tlefernste Grimassen und krümmten sich ganz zusammen vor Anstrengung, ernst zu bleiben. Eine junge Frau kam ihnen zu Hilfe. „Ich weiB nicht," begann sie ein neues Gesprach, „wenn ich unsere braven Tommies sehe in ihren verschwitzten, durch- gewetzten Uniformröcken und an die Schlachten und Stra- pazen denke, die sie durchgemacht haben, dann könnte ich sie direkt kussen, ohne Bad, so verschwitzt und blutig sie eben sind. Wirklich!" PoUy warf ihr einen flüchtigen BUck zu. „Wie recht hat mein Vater," dachte sie, wahrend sie ihr rundes Gesicht tiefer über die Naharbeit beugte, „nach den Siegen muB man abgerissene, armUche und verwundete Soldaten auf den Bettel schicken, aber nach Niederlagen hübsche, die vor Sauberkeit glanzen. Das ist die ganze Kunst." Das Gesprach wandte sich den Liebesgaben zu. Die Damen sandten kleine Pakete mit Rauchwaren, Schokolade und Briefchen ins Feld, alles in nette lila- und rosafarbene Schleifchen gebunden. „Bei Aaron in der Millerstreet bekommt man am meisten Tabak für einen Schilling," erzahlte eines der Madchen eifrig. „Er ist vieUeicht nicht ganz so gut, aber sie wollen ja Heber mehr als guten, das sagen alle." e Die Soldaten bedankten sich durch Briefe, die die Madchen herumzeigten. Sie enthielten entzückende ortographische Fehler und waren sehr ideal gehalten. „Schade, dafi man nicht auch die Hemden und Socken selber mit Briefchen hinausschicken darf," sagte das Madchen, das in der MUlerstrafie kaufte, „das wttrde viel mehr SpaB machen." Plötzlich wandte sich die Alte mit der Brille an Polly und sagte mit wutzitternder Stimme: „Wenn ich daran denke, dafi dieses saubere englische Linnen sich vieUeicht bald mit dem Blut eines britischen Jungen •f&rbt, könnte ich mit eigener Hand solch einen Mörder niederschlagen." PoUy sah erschreckt nach der alten Dame, deren vertrock- nete Hand mit der Nadel in der Luft zitterte und deren Kinn- lade kraftlos herabgefaUen war. Es wurde ihr schlecht und sie mufite hinausgehen. Die Damen kümmerten sich um sie unter Ach- und Weh- rufen. „Sie ist in gesegneten Umstanden," flttsterte eine von Urnen den Andern zu. Als PoUy wieder, noch ein wenig blafi, in die Stube kam und sich stlU zu dem Chor der nahenden Blutsauferinnen setzte, sagte eine mit groBen, sanften Kuhaugen: „HoffentUch wird es ein Junge! England braucht Marmer!" Dann wandte sich das Gesprach einer anderen Frage zu. Eine dicke Frau in einem geblümten Seidenkleid, deren Gatte, wie alle wuBten, Admiral war, erzahlte: „Die Haltung der unteren Klassen ist bewunderungswürdig. Ich bin noch in einem anderen Komitee, wo wir Charpie zupfen. Sie sollten auch mal hinsehen. Es ist ein sehr netter Krek?. Da kam am letzten Dienstag eine einfache Frau, man sah ihr ordentlich an, daB bei ihr zu Hause Schmalhans Küchenmeister ist, und gab ein sauber gewaschenes, immer wieder gestopftes Hemd ab. Mein Mann hat noch zwei, sagte sie, ich habe gelesen, daB es drauBen so furchtbare Verwundungen gibt. Als ich es meinem Mann erzahlte, sagte er: das ist eine britische Mutter! Von der könnte manche Herzogin noch zulernen!" Sie blickte stolz in die Runde. „Jeder an seinem Platz und Jeder nach seinem Vermogen!" sagte die vornehme Greisin neben Polly abweisend. Polly konnte ihrem Mann berichten, daB sie eine ganze Reihe Einladungen in vornehme Hauser erhalten hatte. Er war sehr zufrleden, daB er seine Bestande so gut los geworden war und ermunterte sie, weiterhin eifrig an der groBen Hilfsaktion fttr die Britischen Krieger teilzunehmen. Herr X Macheath beklagte sich, so oft er die Herren Aaron und Opper zu Gesicht bekam, über die Treulosigkeit seines einstigen Freundes Bloomsbury, aber er hatte doch das Gefühl, daB er seine eigene Abhangigkeit von der Zentralen Einkaufsgesellschaft in diesem Moment noch mehr be- tonen mufite. Besonders das Mifitrauen der Commercial Bank war nicht leicht zu besanftigen. Sie geriet durch das Manöver der plötzlichen Warenzufuhrstockung ganz und gar in die Hande der ZEG und diese Hande durften keinesfalls als die des Herrn Macheath erkannt werden. Er berief also eine zweite, streng vertrauliche Sitzung der ZEG ein. Er wurde lm Protokoll als Herr X geführt. Er Jiefi sich den Entwurf eines höflich gehaltenen, juristisch abgefafiten Briefes an Herrn Macheath, Nunhead, genehmigen, in dem die ZEG höflich und bestimmt darauf hin wies, dafi die seinerzeitigen Abmachungen Preise enthalten hatten, die als blofie Reklamepreise gedacht gewesen seien. Die Lager der ZEG seien im Augenblick etwas erschöpft, sie würde aber sobald wie möglich die Lleferungen wieder in gröfieren Mengen aufnehmen. Allerdings auf der Grundlage neuer Preise. Zur allgemeinen Verblüffung stand, als schon alles erledigt war, gegen neun Uhr Bloomsbury auf und fragte stotternd, ob nicht durch diese Mafinahme die Besitzer der B.-Laden geschadigt würden. Der Einwand Bloomsburys kam wirklich überraschend. Es war ein stiller Abend, man saB friedUch um den schweren Tisch. Die Fenster waren geöffnet, da es warm war und man konnte das Grün der Kastanien von gegenüber im Licht der Gaslaternen sehen. Macheath legte sogleich seine Zigarre weg und hielt eine kleine, vornehmllch an seinen Freund Bloomsbury gerichtete Rede, in der er betonte, für die B.-Laden-Besitzer bedeute dies eine kurze Zeit der Entbehrung, aber geschaftliche und überhaupt menschUche Erfolge seien an die Fahigkeit geknttpft, zu gelegener Zeit Opfer zu bringen. Der kranke Mann sterbe und der starke Mann f echte. So sei es immer gewesen und werde es immer sein. Die B.-Laden- Besitzer müBtènjetztzeigen,was in ihnen stecke.Erempfahl übrigens Fanny Crysler, genauestens darauf zu achten, wer jetzt versage und wer durchhalte. Auch an O'Haras Eink&ufer sei diese Schicksalsfrage herangetreten. Er seinerseits übernehme die voUe Verantwortung. Jeden B.-Laden-Besitzer, den Fanny Crysler auf die StraBe setze, habe er auf die StraBe gesetzt. Wer nicht an ihn glaube, könne nicht mit Ihm arbeiten. Aber dann stand Fanny, ohne Macheath anzuschauen, auf und berichtete trocken Elnzelheiten über die Notlage der B.-Laden-Besitzer. Was mit ihnen geschehe, sei nichts anderes als eine kalte Abwürgung. Die meisten könnten sich keinen Monat langer halten. Sie trage sich und die andern, ob es für die Gesellschaft tragbar sei, wenn die B.-Laden kaputt gingen. Sie schloB mit den Worten: „Wenn wir nicht noch heute hier Hilfsaktionen beschlieBen, Ist eine Katastrophe nicht mehr aufzuhalten." Macheath sagte ktthl und wie es schien verwundert: erstens gingen höchstens die B.-Laden-Besitzer kaputt und nicht die B.-Laden, was ein groBer Unterschied sei, und zweitens sei die Gesellschaft nicht in einer Lage, ln der sie den Witwen und Walsen unter die Arme greifen könnte. AuBerdem stehe er auf dem Standpunkt: laB tallen, was f&llt bezw. was ffillt, mufi man noch stofien. Damlt war die Sitzung beendet. Es war ein Samstagabend. Man schrieb den 20. September. O'Hara argerte sich noch beim Weggenen über die Schlufirede, wie er sich immer über Macs Hang zur Pose argerte. Warum sollte man sich dieses Bloomsbury wegen So benehmen, als glaube man selber an seine eigenen Worte? Aber Mac UeB ja nicht einmal, wenn sie unter vier Augen sprachen, diese Maske tallen. Er haBte zynische Redereien und sprach von den zwelfelhaftesten Dingen lm biedersten Geschaftston. O'Hara fühlte sich dadurch regelmafiig in seinem Schamgefühl verletzt. Er ftthrte aber alles pünktllch aus, wie es verabredet war und stand wie ein Mann gegen die Einkaufer, die schon wieder einige Wochen feiern sollten, und zwar nunmehr auf ihre eigene Rechnung. Der Warenzustrom versickerte nun ganz. Und der Eindruck des Briefes der ZEG, den Macheath der Commercial Bank schweigend ttberreichte, war auBerordentlich stark. Die kleinen Besitzer der B.-Laden gerleten innerhalb weniger Tage in die auBerste Verwirrung. Sie hatten alle persönliche Verpfllchtungen gegenüber den Hausbesitzern, dazu überall Wechsel laufen, teils für den Betrieb, teils noch für die Einrichtung. Innerhalb kürzester Zeit waren ein halbes Dutzend neue B.-Laden aufgemacht worden, die alle noch kaum richtig in Schufi waren. Sie muBten Jetzt natürlich glauben, sie seien an die groBen Kettenladen verraten worden. Ihre Verzweiflung war vollkommen. Von diesem Zeitpunkt an fischten Herrn Peachums AngesteUte mitunter Inhaber von B.-L&den oder Angehörige von ihnen in den StraBen auf, die zu betteln versuchten. Da sie von den Agenten des Herrn Macheath an die Luft gesetzt worden waren, war ihre Selbstandigkeit noch gestiegen. Ihre Unabhangigkeit hatte ein schier unertragliches MaB erreicht, sie waren nicht einmal mehr an feste Wohnungen gebunden. Durch eigeneTüchtigkeit waren sie bis zu Körpergewichten von 100 Pfund abgemagert. Peachum konnte sie samt und sonders nicht brauchen, da Dreigroschcnroman 16 sie noch mindestens zwei Monate benötigten, bis ihr S t o 1 z vergangen war. Aaron und die Oppers standen vor einem Ratsel. Ihr Ton gegen Bloomsbury war zuerst sehr heftig, wurde aber dann ungewöhnlich mild kurz vor der Werbewoche. Aarons Hauser waren jetzt an die billigen Artikel der ZEG gewöhnt wie an Kokain. Sie muBten davon haben. Macheath war nicht in der Commercial, als Bloomsbury dort vorsprach. Er hielt Aaron gegenüber die Behauptung aufrecht, er habe mit Bloomsbury völlig gebrochen und die R&umUchkeiten der ZEG seit Wochen nicht mehr betreten. Aaron und die beiden Oppers, die ttbrigens mit Aaron nicht mehr so herzlich zu stehen schienen wie vor einiger Zeit, bemühten sich sehr um den Lord, der, eine dicke Importe in seinem kleinen Maulchen, an Jenny dachte und versprach, alles zu tun, daB die „Differenzen" beigelegt wttrden. Man beschlofi, die GroBe Werbewoche vorerst nicht abzusagen. Bloomsbury steilte in Aussicht, die ZEG werde bald wieder flott sein und liefern. S&mtliche Herren schieden mit allgemeinem herzUchem Handeschütteln. Man hatte allseitig das Geftthl, sich menschlich nahe gekommen zu sein. Es war auch bereits von höheren Preisen gesprochen worden. Übrigens lud Jacques Opper Macheath sogar fttr das Wochenende zu sich nach Warborn Castle ein. Diesmal nahm Macheath PoUy mit. Fanny mufite aUe ihre Überredungskttnste aufwenden, um PoUys Toüetten auf mittlerer Höhe zu halten. Macheath wollte sie wie eine Herzogin ausstaftieren; das ware schhmmer gewesen als vor Wochen der Plan Bloomsburys, Jenny mitzunehmen. Frau Opper nahm Polly sehr freundlich auf. Polly sprach weder zu viel noch zu wenig und wunderte sich nur, dafi die Oppers beim Essen so laut schmatzten. Bei dem Seniorchef der Bank, Herrn Jacques Opper, hatte sie wieder Ihren Sondererfolg, den sie immer bei Herren gesetzteren Alters hatte. Als Jacques Opper und Macheath im Park herumgingen deutete der Bankier auf die uralten, knorrigen Eichen.' zwischen denen frisches Gras sprofite und sagte: „Sehen Sie, Ueber Macheath, sie stehen alle einzeln, in weltem Abstand vonelnander. Sie haben es gut, nicht wahr? Wissen Sie, ich halte es mit Leuten, die Glück haben. Diese BSume haben Glück. Man sage doch nicht, sie können nichts dafür, dafi die Gartner sie sorgsam gepflanzt haben: sie sehen prachtig aus." Macheath ging stumm neben ihm her und nahm sich vor, Glück zu haben. Leider kam in diese so harmonische Entwicklung ein Miflton: Macheath erhielt die Mitteilung des Chefinspektors Brown, er könne sich hinfort einer Verhaftung selnes Freundes nicht mehr widersetzen. Auf die, übrigens piötzUch sehr schwierig gewordene, Nachtrage, warum, wurde Macheath die Antwort zuteü, wegen des Verdachts der Ermordung der Kleingewerbetreibenden Mary Swayer. X Meine Herren, heute sehen Sie mich Glaser abwaschen. Und ich mache das Bett für jeden. Und Sie geben mir einen Penny und ich bedanke mich schnell Und Sie sehen meine Lumpen und dies lumpige Hotel Und Sie wissen nicht, mit wem Sie reden. Aber eines Abends wird ein Geschrei sein am Hafen Und man fragt, was ist das für ein Geschrei? Und man wird mich lacheln sehn bei meinen Gl&sern Und man sagt, was lachelt die dabei? Und ein Schiff mit acht Segeln Und mit fünfzig Kanonen Wird liegen am Kai. Man sagt, geh, wisch deine Glaser, mein Kind! Und man reicht mir den Penny hin Und der Penny wird genommen Und das Bett wird gemacht: Es wird keiner mehr drin schlafen ln dieser Nacht Und sie wissen Immer noch nicht, wer ich bin. Aber eines Abends wird ein Getös sein am Hafen Und man fragt: was ist das für ein Getös? Und man wird mich stehen sehen hinterm Fenster Und man sagt: was lachelt die so bös? Und das Schiff mit acht Segeln Und mit fünfzig Kanonen Wird beschiefien die Stadt. Meine Herren, da wird wohl Ihr Lachen aufhören Denn die Mauern werden faUen hin Und die Stadt wird gemacht dem Erdboden gleich Nur ein lumpiges Hotel wird verschont von Jedem Streich Und man fragt: wer wohnt Besonderer darin? Und in dieser Nacht wird ein Geschrei um das Hotel sein Und man fragt: warum wird das Hotel verschont? Und man wird mich sehen treten aus der Tttr gen Morgen Und man sagt: die hat darin gewohnt? Und das Schiff mit acht Segeln Und mit fünfzig Kanonen Wird beflaggen den Mast. Und es werden kommen Hundert gen Mittag an Land Und werden in den Schatten treten Und fangen einen jeglichen aus jeglicher Tttr Und ihn legen in Ketten und ihn bringen zu mir Und mich f ragen: welchen sollen wir töten? Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen Wenn man fragt, wer wohl sterben muB. Und dann werden sie mich sagen hören: Alle! Und wenn dann der Kopf fallt, sage ich: Hopplal Und das Schiff mit acht Segeln Und mit fünfzig Kanonen Wird entschwlnden mit mir. (Traume eines Kttchenmadchens) Noch einmal der 20. September Mary Swayers Laden für Trikotagen lag in der MulberrystraBe, nahe der Waterloobrücke. Als Fewkoombey sie beslichte, fand er sie mit ihren zwei Kindern in einem kleinen Loch hinter dem Ladenraum hausen, wie die meisten B.Laden-Besitzer. Der Ladenraum war etwas gröfier als die Raume für gewóhnlich waren und durch einen Mittelvorhang in zwei Teile geteilt. Vorn der StraBe zu stand der Verkaufstisch; dahinter arbeiteten zwei halbwüchsige Nahmadchen bei Gaslicht. Die Wohnkammer erhielt ihr Licht vom Hof her durch ein winziges Fenster. Es reichte für den Nahraum nicht aus, obwohl die Tttr zwischen ihm und der Kammer schon der Heizung wegen immer offen stand. Mary ging es nicht gut. Hu* Mann in Mafeking schickte ihr fast nichts. Er war vor seiner Ehe mit ihr schon einmal verheiratet gewesen, sodaB, da er ihretwegen geschieden worden war, seine Löhnung in zwei Teile ging. Auf dem Laden lagen erhebliche Schulden. Macs Scheck hatte nicht lange vorgehalten. Sie war auch ein wenig schlampig und verstand das Geschaft nicht sehr gut. Den Nahmadchen zahlte sie tast nichts, aber der Ertrag ihrer Arbeit war auch nicht viel wert und Mary war zu gefallsüchtig und gab ihnen immer zu essen, wenn sie ihre mageren Margarinestullen herauszogen, die sie stundenlang neben ihrer Arbeit kauten. Mary wollte immer allen Leuten getallen und wegen ihrer GroBzügigkeit bewundert werden. Sie borgte sogar Geld aus. Quer über ihr Ladenfenster war ein Papier geklebt; darauf stand: DIESER LADEN WIRD VON EINER KRIEGERFRAU GEFÜHRT. Sie erzahlte auch den Kunden gern von ihrem Mann in Mafeking oder zeigte aus der Times geschnittene strategische Skizzen, aus denen die Lage dieser belagerten Stadt zu sehen war. Sie sah hübsch aus hinter ihrem Ladentisch und das Unglück war nur, daB gerade ihre Waren im allgemeinen von Frauen und nicht von Mannern gekauft wurden. Sonst hatte sie vieUeicht ein besseres Geschaft gemacht. Aber auch dann hatte sie nicht aus Versehen oder Gleichgültigkeit start einer Unterhose zwei einpacken dürfen. Solche Dinge untergraben das Vertrauen der Kundschaft. Fewkoombey kam einige Male abends nach der Geschaftszeit in den Laden und saB bei ihr, wenn sie ausraumte, nachdem die Kinder zu Bett gebracht waren. Sie erzahlte ihm, daB das Schild aus dem Auslagefenster ihr viele UnbequemUchkeiten mache. Die Geschafte aus der Nachbarschaft beschwerten sich über unlauteren Wettbewerb. Sie sagten, daB ihr Mann Soldat sei, habe nichts mit Ihren schon sowieso zu billigen Strumpfwaren zu tun* Auch aus patriotischen Erwagungen seien solche Schilder anfechtbar. Es sahe nicht gut aus, wenn die Frauen englischer Soldaten die Barmherzigkeit des Publikums anrufen müfiten. Das letztere tand auch Fewkoombey. Über Mac sprach sie nicht viel. Nach Polly erkundigte sie sich kaum. SchlieBlich hatte sie ihn seit Jahren nicht mehr richtig gesehen. Seit sie die Nahmadchen hatte, ging es ihr etwas besser. Das Geschaft belebte sich. Aber dann kamen die Tage, wo die Warenzufuhr stockte. Sie war schon von der Versammlung, auf der Macheath die Vereinigung der B.-Laden mit den Aaronschen Kettenladen verkündigte, recht verstört nach Hause gekommen. Das bedeutete doch wieder nur, dafi alle Preise noch weiter heruntergingen und man die Waren auch nicht mehr billiger als die groBen Aaronladen bekam. Sie hatte kein Interesse fttr die notleidende Londoner Bevölkerung. Fttr sie war Macs Redekunst ungefahr dasselbe, wie die Schneikunst der Wolken im Winter, das, was die Zerschmetterkunst der Sturmwogen fttr das Schiff ist. Alle Laden gingen jetzt immerzu mit den Preisen herunter. Auch die Chreston-Geschafte verschleuderten ihre Waren. Und jetzt ging ihr, wo die Leute bei ihr Wolle und Garn gekauft hatten, lm Herbst die Wolle und das Garn aus! Sie bekam einen gedruckten Zettel ins Haus geschickt, sie solle die Warenvorrate strecken, es kamen sobald keine neuen mehr nach. Sie verlor gleich zu Beginn vöilig den Kopf. Sie war nicht mehr widerstandsfahig. Sorgen und ungesundes Leben hatten sie heruntergebracht. Sie war auch zu frühzeitig ins Erwerbsleben eingetreten. Die haufigen Unterbrechungen der Schwangerschaft, mangelhaft ausge- führt, hatten ihr geschadet. Von Natur halten die Menschen zu Beginn ihres drltten Jahrzehntes vor ihrer besten Zeit, aber sie dürfen nicht einen B.-Laden in Soho besitz en. Es gab viele Frauen und Manner wie sie ln London und anderwarts. Sie versuchte zuerst, Mac zu erreichen. Natttrlich kam sie nicht an ihn heran. Fanny Crysler vertröstete sie von Mal zu Mal. SchUefilich drohte sie, zu den Leuten vom „Spiegel" zu gehen, wenn er nicht mit ihr wenigstens sprache. Er lieB sich auch dann nicht sprechen, und so ging sie eines Abends zur Redaktion des „Spiegels" mit Fewkoombey. Die Leute dort waren nett zu ihr. Sie versprachen ihr Geld fttr Material gegen den B.-Ladennapoleon. Sie wollten etwas ttber die Herkunft der Waren wissen. Aber darüber wufite sie nichts. Sie kamen eben von der Zentralen Einkaufsgesellschaft. Dafttr erzahlte sie, Macheath sei das „Messer". Die Leute sahen sie mit offenen Mündern an und brachen in ein homerisches Gelachter aus. Als sie verwirrt sagte, er habe Eddy Black umgelegt, schlugen sie ihr gutmtttig scherzend auf den Rttcken und luden sie zu einem Abendessen ein. Sie ging verzweifelt weg. Fewkoombey berichtete alles Peachum. Es war das erste, was er berichten konnte. Peachum stand in seinem kleinen, finsteren Kontor, den steifen Hut auf dem Kopf, und sah ihn sinnend an. Er hatte den dicken Zerberus binausgeschickt. Dieser Macheath war immerhin sein Schwiegersohn. Die Sache war völlig unbrauchbar. Das Gerede, Macheath sei das „Messer", hatten ihm schon seine Bettler hin terbracht. Er war natttrlich nicht so unklug gewesen, damlt auf das Polizeiprasidium zu gehen. Man hatte einfach gelacht dort. DaB dieser Mensch aus den Tieten der Gesellschaft aufgestiegen war, stimmte sicher. Dafi er gleich das „Messer" war, das ging selbst Peachum zu weit. Aber auch wenn er es gewesen ware: solcherlei war ganzlich uninteressant. Damlt konnten andere ihre Zeit verschwenden, Wahrheiten nachzuforschen, die unwahrscheinlich waren! Die Wahrheit war nichts, die Wahrscheinlichkeit alles! „Jedermann weifi," sagte Peachum oft, „dafi die Verbrechen der Betitzenden durch nichts so geschützt sind, wie durch ihre Unwahrschein lichkeit. Die Politiker können überhaupt nur deshalb Geld nehmen, weit man sich ihre Korruptheit allgemein f einer und geisttger vorsteUt, als sie es ist. Würde sie einer so schil dem, wie sie ist, namlich ganz plump, dann würde jedermann ausrufen: was für ein phunper Patron! und damlt den Schilder er meinen. Dabei wir kt nur das Phimpe, eben schon deswegen, weil e» unwahrscheinlich ist! Herr Gladstone könnte m aller Seelenruhe Westminster anzünden und behaupten, die Konservativen haben es gemacht. Niemand würde das natur Uch von diesen glauben, denn sie haben nach Ansicht aller Welt viel feinere Mtttel, um zu bekommen was sie wollen, aber niemand würde die Schuld auch jemals auf Herrn Gladstone schieben. Ein Minister lauft doch nicht mit Petroleumkannen herum! Natürlich, sagen die kleinen heute, nehmen die Betitzenden den andem das Geld nicht einfach aus der Tasche! Tatsachlich besteht ja auch ein Unterschied zwischen der Art und Wette, wie Rothschild eine Bank an sich bringt und einem ordinéren Bankeinbruch. Das weifi man docht Ich aber weifi: jene, die Ihre Verbrechen hn Grofien ausfuhren, sind so ziemlich die Einztgen, die auch kleine begehen können, ohne gefafit int werden, sie machen ausgiebigen Gebrauch davon." Fewkoombey sollte aber weiter mit der Swayer verkehren und versuchen, Besseres aus ihr herauszuholen. Der Soldat saB also viel bei Ihr ln diesen Tagen. Ganze Abende verbrachte er im Gesprach mit ihr. Sie hatte das dunkle Geftthl, dafi ttber ihr in höheren Regionen irgendetwas vorgegangen war, was sie ruinieren mufite. Macheath hatte sie dazu verleekt, Ihr bifichen Geld in den Laden zu stecken und jetzt half er ihr nicht weiter. Alles hatte doch zunachst nach Hilfe ausgesehen. DaB sie keine Waren mehr hereinbekam, schien ihr nicht so wichtig. Es waren eben keine da. Aber dann mufite Macheath eben herten, wenn sie die Miete nicht mehr bezahlen konnte. „Dieser Mensch hat mich auf dem Gewissen," sagte sie, „man kann ja nichts gegen sein Schicksal, Fewkoombey. Mein Schicksal heiBt Herr Macheath und wohnt in Nunhead. Manchmal denke ich, ich möchte auf ihn einschlagen mit meinen beiden Fausten, immerfort ln sein Gesicht. Das ware sooo nötig fttr mich. Wenigstens traumen möchte ich es, wie ich ihn bestrate fttr seine Gemeinheit. Ich will immer, dafi ich gerade das traume, aber Ich traume es nie. Ich bin nachts zu mttde." Ein ander es Mal klagte sie: „Ich rechne doch mit jedem Pfennig. Die Leute sagen, ich gebe zuviel Kredit. Ich sei zü gutmütig. Aber das ist doch eine ganz falsche Beschuldigung. Wenn ich keinen Kredit gebe, dann bleiben die Kunden aus. Ich habe nur die ganz kleinen Leute. Die andern gehen in die groBen Geschafte, wo es mehr Auswahl gibt. Das Schlimmste ist, dafi er ln der ClithestraBe einen neuen B.-Laden hat aufmachen lassen. Damit hat er mir das Rttckgrat gebrochen. Das Ist zuviel." Auf diesen neuen Laden kam sie immerfort zurück. Sie sah ihn Tag und Nacht vor sich. Immer haufiger redete sie vom Inswassergehen. Fewkoombey saB bei ihr, wenn sie die Kartons einraumte und auf die Stellagen schob, wobei sie sich immer ein wenig strecken muBte. Er saB auf der Kante eines Stuhles mit löchrigem Strohgeflecht und nur drei Beinen und zwischen seinem Rücken und der Lehne klemmten sich noch einige Pappschachteln. Aber er rauchte aus seiner Stummelpfeite, die er von dort hatte retten können, wo er sein Bein hatte lassen müssen, und hielt weise Reden. „Du hast kein Talent," sagte er langsam, „Du hast nichts su verkaufen. Das bifichen Brust und die frische Hout war schnell ausverkauft. Vnd Du hast es su niedrig ab gegeben, aber vieUeicht war auch nicht mehr dafür su bekommen. Es wird eben allerhand verlangt. Da gibt et Leute, die kommen an, bepackt über und über mit louter Talenten, alles gut verkaufttch, sie können das Zeug kaum schleppen, man braucht nur ein paar Wande um sie su stellen und der Kaufladen ist fertig. Zu denen gehörst Du nicht und gehore ich nicht. Leute wie Du und ich bieten am Meeresstrand Salswasser feil. Wir haben keine Talente, weniger, als ein Huhn Zahne im Mund hat. Ich habe dennoch eine Bleibe gefunden, aber da kann Ich auch nicht ewig bleiben. Es ist mehr ein ZufaU. Ich weifi wtrkllch immer noch nicht genau, woraufhtn man mich dort durchfüttert. Ich suche immer nach etwas, wodurch ich mich unentbehrllch machen könnte. Es müfite vieUeicht etwas mit den Hunden sein, dachte ich schon. Aber die kann ja jeder andere auch pflegen. Es müfite etwas sein, dafi es heifit: wo ist denn Fewkoombey t Er mufi sofort kommen, es geht nicht ohne ihn. Der ganse Laden steht ja stiU, Gottseidank, da ist er! Ich habe lange nach etwas getucht, aber Ich habe nichts gefunden. Wenn man keine Talente hat, dann mufi man ein übriges tun. Dann heifit es, sich doppelt und dreifach nützlich machen!" Wenn er soweit gekommen war, wurde er unruhig auf seinem Stuhl und fing wieder an, ihr zuzusetzen und sie auszufragen nach diesem Macheath, über den er etwas Genaueres in Erfahrung bringen mufite, wenn er nicht entlassen werden wollte. Aber er machte sie nur rnifitrauisch und sie sagte ihm nichts. Sie sprach tast immer ganz allgemein. Einmal ging sie zusammen mit einer alten Frau, die ebenfalla einen B.-Laden besaB und die sie auf der Sitzung, in der Macheath über die Vereinigung mit dem Aaronkonzern sprach, kennen gelernt hatte, zu einer Wahrsagerin. Sie erzahlte Fewkoombey mehrmals den Hergang dort. Es war keine von den teuren Wahrsagerinnen. „Wahrscheinlich," sagte Mary, „war sie also auch nicht so gut wie eine teure." Sie wohnte im fünften Stock eines Hinterhauses und legte die Karten ln der Küche. Sie setzte sich nicht einmal dazu. Sehr rasch „und wie auswendig gelernt" sagte sie einen Spruch herunter, „die Karten waren kaum richtig getallen," aber vieUeicht machte sie es auch nur aus der Hand. „Sie sind ein in den Stttrmen des Lebens gefestigter Charakter," sagte sie zu der alten Frau, die die Sorge um ihren Laden hergebracht hatte, „Sie sind es gewohnt, Ihrer Umgebung Ihren Willen aufzuzwingen, Sie sind ein Steinbock. Sie nehmen Hu- Leben energisch und sicher in die Hand und müssen auch am Ende triumphieren. Allerdings müssen Sie sich vor zwei Leidenschaften in acht nehmen, die in Ihnen toben und dürfen einer Dame, deren Name mit B angeht, nicht aUzusehr trauen. Sie könnte Ihrem Glück im Wege stehen. Im Juni des nachsten Jahres müssen Sie vorsichtig sein, da tritt der Slrius in das Zeichen der Waage, das ist fttr Sie ungünstig. Aber eigentUch ist das das einzig Gefahrliche fttr Sie, das ich sehen kann. Es kostet einen Schilling, die Dame." Mary konnte es auswendig, sie lachte sogar ein wenig darüber. Aber sie hfitte sich doch auchwahrsagen lassen, wenn es der alten Frau nicht schlecht geworden ware, weil sie nichts rechte» im Magen hatte. „Man möchte doch ganz gern wissen," sagte sie, „und wo kann man schon was erfahren?" Nach ihrem gescheiterten Versuch beim „Spiegel" lief Mary an einem Freitag vormittag wieder in Fanny Cryslers Altladen. Fanny war entsetzt über ihr Aussehen und bebielt sie den ganzen Vormittag bei sich, da sie giaubte, Mac komme vorbei. Aber Mac kam nicht, und so gingen die beiden Frauen mittags hinaus zu Macs Haus nach Nunhead, obwohl Fanny wuflte, wie unangenehm dies Mac sein würde. Poüy empfing sie nicht unfreundlich. Sie bat sie in die gute Stabe und lief in die Kttche, Tee zu machen. Vorher band sie eine Schürze um, alles mit der betulichen Geschaftigkeit junger Hausfrauen, bei denen die Hantierung mit den Kochtöpfen noch etwas Sexuelles hat. Fanny harte Mary ausdrttcklich untersagt, von Geschaften zu sprechen. Man wollte lediglich auf Mac warten. Aber schon als der Pfirsich den Tee hereintrug, brach Mary ln Tranen aus. Sie konnte auf nicht mehr viel warten. Sie erzahlte ziemlich alles, was zu erzahlen war, natürlich nichts von den sinnlosen Beschuldigungen, über die schon der „Spiegel" vor Lachen fast geborsten war, aber doch alles, woraus Macs Verpflichtung ihr gegenüber hervorging PoUy sah neugierig auf sie hin. Sie war noch nicht einmal zum Sitzen gekommen; das Teegeschirr hielt sie die ganze Zeit über in den Handen. Der Tatbestand wurde vöUig klar: Macheath hatte die Frau 253 in einen seiner BilUgkeitsladen hineingelockt und UeB sie jetzt dort verenden. Es ware von ihm groBherziger gewesen, sie mit einer Fleischerkeule totzuschlagen, als er ihrer überdrüssig geworden war. Das Teegeschirr zitterte etwas in PoUys Hand, als sie Mary erwiderte. Sie sagte ungefahr folgendes: Das mit den Geschaften könne sie nicht übersehen. DaB ihr Mann (mein Mann) Mary in einen B.-Laden „hineingelockt" haben könnte, schiene ihr nicht ganz glaubhaft. WahrscheinUch werde er ihn ihr gescheukt haben. DaB er sie dort verenden lasse, sei doch eine lacherUche Beschuldigung, gegen die sie Mac ln Schutz nehmen mttsse als seine Frau. Es hatte doch nicht nur sie einen B.-Laden. Und diese vielen Leute, die auch einen hatten, würde doch wohl Mac nicht aUe „verenden" lassen wollen. Es sei schon etwas unwahrscheinlich, das. Zu dem andern aber müsse sie, von Frau zu Frau, sagen: was Mac vor der Ehe getan und gelassen (getan und gelassen) habe, gehe sie ihrer Meinung nach nichts an. Sie müsse aber auch da sagen, und zwar als Frau: wenn eine Frau sich mit einem Mann einlasse, so wisse sie im aUgemeinen, warum. Sie tue es auf ihr eigenes Risiko. Sie könne von dem betreffenden Mann dann auch nicht verlangen, daB er sie ihr ganzes Leben lang verhalte. Da würde ja sonst ein Mann ein halbes Dutzend FamUien haben, bevor er dreiBig Jahre alt sei. Es seien eben nicht immer die andern schuld, wenn jemand unter die Rader komme. Als sie dies vorgebracht hatte, steUte sie das Geschirr ziemUch heftig auf den Tisch und es entstand eine StUle. Die Swayer hatte mit Welnen aufgehört und sah die junge Frau vor ihr mit leerem Gesichtsausdruck an. Auch Fanny war erstaunt. Sie stand mit einem Ruck auf. Mary richtete sich aus ihrer zusammengedrückten Haltung auf und erhob sich ebenfails, wenn auch langsamer. Sie suchte umstandlich und mit unsicheren Handen ihren Beutel auf dem Tisch zusammen. Inzwischen nahm PoUy die Teekanne wieder auf und begann mit dem Einschenken der Tassen. Sie hatte die Kanne noch in der Hand, als die beiden Frauen gingen. Fanny woUte Mary wieder mit sich nehmen. Aber die schüttelte den Kopf und stieg in eine vorüberfahrende Strafienbahn. Sie hatte einen abwesenden Ausdruck und die Bahn fuhr, wie Fanny gleich darauf merkte, nicht in Richtung ihres Ladens in der Mulberrystrafie. Ihr Denken war nicht mehr genau genug. Hu- waren nurmehr 27 (siebenundzwanzig) Stunden zu leben gegeben. Fanny fahndete den Rest des Tages nach Macheath. Sie erreichte ihn erst am nachsten Vormittag, wo er rasch bei ihr im Geschaft vorsprach, beunruhigt und empört über die Erzahlung seiner Frau vom Besuch der Beiden. Er fuhr Fanny an und woUte wissen, was geschehen war. Fanny erzahlte alles mit unbewegter Miene. Ihr hatte PoUys Verhalten mehr miBfaUen, als sie sagen konnte. Sie hatte plötzlich gefühlt, daB auch sie nur AngesteUte war. Macs Verhalten miBfiel ihr ebenfails. Sie brachte den neuen Laden in der CUthestraBe zur Sprache und daB die Swayer am Rand ihrer Krafte sei. Sie spreche standig vom Inswassergehen. Er sah sie nur wütend an, als sie ihm sagte, Mary warte auf ihn in der Mulberrystrafie. Dann stürzte er fort. Es war der Tag der zweiten Aufsichtsratssitzung der ZEG. Er mufite vorher noch eine Menge erledigen. Ein paar Stunden spater schickte er einen Boten mit einem Zettel, die Swayer soUte gegen sieben Uhr in einer Kneipe 255 bei den Westlndiadocks auf ihn warten. Es war ihm wohl eingefallen, dafi sie allerhand wufite. Als Fanny gegen fünf Uhr in die Mulberrystrafie kam, fand sie den Laden zu ihrer Erleichterung noch geöffnet. Mary saB hinter dem Ladentisch und nickte, als ihr die Botschaft ausgerichtet wurde. Im Laden war noch ein Mann mit einem Holzbein. Pünktlich um sechs Uhr schlofi Mary den Laden, schickte die Nahmadchen nach Hause und brachte kurz darauf die Kinder zu Bett. Dann ging sie'mit Fewkoombey zu den Westlndiadocks. So war in ihren letzten Stunden eigentlich immer noch jemand um sie. Der Soldat versuchte auf dem Weg, sie zum Sprechen zu bringen. Aber sie blieb einsilbig. Vor der Kneipe schickte sie Ihn weg. Er hatte sie umsonst begleitet. Und sie hatte ihm doch so leicht, wie er glaubte, etwas mitteilen können, was ihm ln seiner Stellung bei Herrn Peachum vorwarta geholfen hatte. Die Swayer wartete etwa zwei Stunden, wie spater durch die Aussage des Wirtes festgestellt wurde, ln der zu dieser Tageszeit leeren Gaststube. Dann ging sie, als Macheath nicht gekommen war, In der Richtung der Docks weg. Sie wollte, wie sie dem Wirt sagte, dem Herrn, den sie treffen sollte, entgegen gehen. Aber sie ging niemanden und nichts mehr entgegen. Sie wurde schon wenige Stunden danach von einem Polizisten und zwei Hafenarbeitern aus dem Wasser gefischt. Herr Peachum sieht einen Ausweg Da die Swayer Fewkoombey ersucht hatte, auf dem Rückweg noch nach den Kindern zu sehen und ihm auch den Schlüssel mitgegeben hatte, war er die Nacht fiber dort geblieben. Sie hatte sonst nicht hereingekonnfc Am Morgen brachte man sie. Es sammelten sich im Laden gleich allerhand Leute aus der Nachbarschaft, sodaB der Soldat nicht auffiel und wegkonnte. Die Leiche hatten sie auf den Ladentisch gelegt, da auf dem Bett in der Kammer Schachteln für Trikotagen lagen. Durch Fewkoombey erfuhr Peachum sehr zeiüg von Mary SwayersTod und er konnte sofort seine MaBnahmen treffen. Das erste war, daB er die wirkkchen Tatsachen feststellte. Er schickte nicht weniger als dreiBig seiner Bettler aus, die bei den Westlndiadocks sowohl als auch in der MulberrystraBe, im Altgeschaft der Fanny Crysler und in Nunhead die Ermittlungen aufnahmen. Schon bei der ersten Nachforschung in der MulberrystraBe durch die Polizei waren Leute Peachums dabei. Er erfuhr, daB Schauerleute bei den Docks gegen neun Uhr eine Frauensperson gesehen hatten, die schnell nach dem Wasser zu ging. Fewkoombey brachte nachmittags, als er in die MulberrystraBe ging, um die Kinder von dort zu Fanny Crysler zu bringen, den Zettel mit zurück, auf dem die Bestellung Macs geschrieben stand. Eines der Kinder hatte ihn angekaut Schon am Nachmittag stand es für Peachum fest, daB es sich um einen Selbstmord handelte. Um ganz sicher zu gehen, verwandte er zwei weitere Tage auf Feststellungen Macheath betreffend. Es war zwar nicht herauszubringen, wo er sich zur fragUchen Zeit aufgehalten hatte, aber es stand fest, daB er Mary Swayer an diesem Dreigroschenromsn 17 Abend nicht mehr getroffen hatte. Das genügte zur Not, um eine Anklage zu erheben. Unumstöfiliche Gewifiheit, daB Macheath wirklich nichts mit dem Tod der Swayer zu schaffen hatte, war nötig, weil er sonst naturlich ein ausgezeichnetes Alibi gehabt hatte. Er konnte auch so eines haben, aber darauf mufite man es ankommen lassen. Auf keinen Fall hatte er eines vorbereitet. Und ein natürliches war ja immer weniger glaubhaft und schlüssig. Peachum nahm also einen guten Rechtsanwalt, der als Nebenklager fttr die verwaisten Kinder der Swayer fungieren sollte und der Staatsanwaltschaft das Material überreichte. Peachum konnte das, da er Armenpfleger war. Der Anwalt, Walley, stimmte Herrn Peachum, was das Alibi des Herrn Macheath betraf, vollkommen bei. Er sagte: „Auch ich halte es nach allem, was wir wissen, für ausgeschlossen, dafi Ihr Herr Schwiegersohn irgend etwas mit dem Tod der Swayer zu tun hatte. Infolgedessen ist es höchst unwahrscheinlich, dafi er ein Alibi hat. Er wird irgendetwas daherfaseln von „Restaurantgesessen" oder ^Theaterbesuchthaben" oder gar „Kanndiedamenichtkompromittieren". Das Letztere ware Ihnen wohl, wie die Verhaltnisse liegen, besonders willkommen? Ein richtiges AUbi mufi gemacht sein, und gemacht wird es nur, wenn man ein Verbrechen vor hat. Es ist ein Teil, und zwar ein Hauptteil, der verbrecherischen Handlung selber. Denken Sie doch an die Politik! Wenn zum Beispiel Kriege unternommen werden, da gibt es immer Alibïs! Von Staatsstreichen nicht . zu reden! Gewesen ist es immer der ÜberfaUene. Der Überfaller hat ein Alibi!" 258 1 Das Material bestand aus dem handschriftlichen Zettel Macheath', der Aussage des ehemaligen Soldaten George Fewkoombey und der Aussage zweier StraiJenbettler, die beeiden wollten, den Macheath ln der Gesellschaft der von ihnen in Augenschein genommenen Swayer am Samstag abend gegen neun Uhr in der Gegend der Westlndiadocks gesehen zu haben. Herr Macheath wünscht London nicht zu verlassen Macheath wurde erst am darauffolgenden Donnerstag verhaftet. Als er die Mitteilung Browns erhalten hatte, beorderte er seine Frau in ein Hotel im Osten der Stadt. O'Hara holte sie ab und sie aBen zu Dritt zu Abend. O'Hara war der Sache nachgegangen, hatte aber zu spat von der Angelegenheit erfahren. Merkwürdigerweise hatte Fanny Crysler geschwiegen; sie muBte eigentlich vom Tod der Swayer gehort haben. O'Hara war auch selber bei Brown gewesen. Brown'hatte die Angelegenheit ebenfails zu spat als eine Macheath betreffende erkannt. Die erste Untersuchung hatte Beecher von Scotland Yard geftthrt, ein verrückter Spürhund, der, einmal auf einer Fahrte, sich nicht mehr zurückhalten konnte. Beecher hatte zunachst Selbstmord angenommen, auch die Recherchen bei anderen B.-Laden-Besitzern lm Verein mit ^ewissen Artikeln, die im „Spiegel" über die letzten Unternehmungen Macheath', durch welche die B.L&den in eine bedrangte Lage geraten seien, hatten genug natürliche Motive für einen Selbstmord ergeben. Aber nach der dezidierten Anzeige Peachums durch den Rechts- anwalt Walley hatte Beecher einen halbfertig geschriebenen Brief der Swayer vorgelegt, den man bei der Toten gefunden hatte. In diesem Brief bekannte sich Mary dazu, gewisse Zeitungsausschnitte, das „Messer" betreffend, anonym abgescbickt zu haben und fragte an, ob der Adressat nicht lieber doch „etwas anstandiger" zu ihr sein wolle. Der Brief war mit „Lieber Mac" überschrieben! O'Hara wuBte auch die genaue Zeit, zu der Mary gestorben sein mufite: es war gegen neun Uhr abends. Als er dies berichtete, sah ihm Macheath mit einem schnellen Bliek in die Augen. Neun Uhr war eine sehr ungUnstige Zeit. Um neun Uhr hatte Macheath auf der Vorstandsitzung der ZEG gesessen. Der Inhalt dieser Unterredung, aber auch schon Macheath' Anwesenheit im Gebaude der ZEG, durften unter keinen Umstanden öffentlich besprochen werden, sonst waren alle Unternehmungen der letzten Zeit voUstandig erledlgt. Bloomsbury war ein gutmütiger, junger Hund, aber er würde bestimmt nicht lügen vor Gericht und etwa aussagen, die Herren hatten Bridge gespielt. Macheath mufite also unbedingt verschwinden und sich wenigstens so lange, bis Brown die Untersuchung niedergeschlagen hatte oder das Geschaft mit der Commercial Bank abgeschlossen war, lm Ausland verborgen halten. O'Hara war dafttr, dafi Macheath jetzt mit Grooch und Fanny zusammen nach Schweden reiste, um gleichzeitig den dortigen „Einkauf' zu organisieren. Was die Geschafte betraf, wollte O'Hara eine Vollmacht, aber Macheath wollte sie lieber PoUy geben. Sie stritten noch ein wenig, dann ging O'Hara. PoUy hatte blelch zugehört, ohne irgend etwas zu f ragen. Sie begriff, dafi das Ganze nur eine Aktion Ihres Vaters gegen Macheath war. Von der Swayer war sie überzeugt, daB diese nur, um sich an ihm zurachen, ins Wasser gegangen sei. Sie wollte aber vor allem unter keinen Umstanden zulassen, daB Mac mit Fanny Crysler nach Schweden reiste. Sie gingen nach dem Essen schweigend nach Hause. Als sie schon beim Auskleiden zornlg von der Reise mit Fanny sprach, lachte Mac und versprach ohne weiteres, die Crysler In London zu lassen. Er behauptete, sie habe etwas mit Grooch. Polly war jedoch mlBtrauisch. Sie glaubte Mac alles, nur nichts, was mit Frauen zusammenhing. Spat nachts erwachte er, weil er sie schluchzen hörte. Sie redete etwas hin und her, und dann machte sie ihm, nachdem sie vereinbart hatten, er wurde nicht böse werden, das Gestandnis, sie habe etwas Dummes getraumt, und zwar etwa vor einer Woche. Sie habe getraumt, mit O'Hara geschlafen zu haben. Schluchzend fragte sie, ob das sehr schlimm sei, wahrend Mac wie zu Eis erstarrt neben ihr lag. „Siehst Du", sagte sie, „jetzt bist Du böse. Ich hatte Dir nichts sagen sollen, man soll nie etwas sagen. Ich kann doch nicht dafür, wenn ich traume. Es war auch nur ganz kurz und gar nicht so klar, daB es O'Hara war. VieUeicht war er es nicht. Es schien mir nur beim Aufwachen so, und dann bin ich erscnrocken. Ich wUl doch mit niemanden schlafen als mit Dir. Aber für meine Traume kann ich nichts. Ich dachte gleich: was soU ich da machen? Ich sage es Mac, dann ist es gut. Aber dann dachte ich, Du würdest es nicht verstenen und vieUeicht glauben, ich machte mir etwas aus O'Hara, und das ist gewiB nicht wahr. Er gefaUt mir gar nicht. Sage doch, daB es nichts macht, Mac! Ich bin so unglückUch, daB ich das getraumt habe. Wenn Du jetzt nicht fort müBtest, hatte ich überhaupt nichts gesagt. Ich habe auch seither nichts mehr so Dummes getraumt, nicht die Spur! Oder nur von Dir!" Mac lag eine ganze Zeit, ohne zu antworten. Dann fragte er sie, ohne auf ihre Versuche, sich an ihn zu schmiegen, zu achten, stocksteif daliegend, in kurzen, heiseren Satzen aus. Wie es gewesen sei, als das geschah, genau. Ob es im Bett gewesen sei. Ob sie eigens ins Bett gegangen seien dazu. Ob er sie einfach umarmt habe, oder ob noch sonst etwas vor sich gegangen sei, Ob sie selber mitgemacht habe. Ob sie gleich gewufit habe, daB es O'Hara war. Warum sie nicht, als Ihr das, wie sie sage, ganz am Ende aufgegangen set, aufgehört habe. Ob sie Vergnügen dabei empfunden habe? Warum sie, wenn sie kein besonderes Vergnügen empfunden habe, nicht gleich aufgehört habe, als sie O'Hara erkannte? Was sie unter „keinem besonderen Vergnügen" verstehe? Und dergleichen mehr, bis PoUy unter lauter Weinen so müde war, daB sie einschUef. Am SchluB fanden sie sich natürUch wieder und Macheath freute sich nun, dafi sie von neuem stürmisch ein Versprechen von ihm verlangte, nicht mit Fanny Crysler zu relsen. Er redete ihr auch zu, zu ihren eigenen Eltern zurückzukehren. Er begründete es damlt, dafi sie ihm dort am besten helfen könnte. Sie konnte ihm mitteUen, was ihr Vater aUes gegen ihn plane. Sie schliefen getröstet ein. Sie nahmen schon am nachsten Morgen Abschied voneinander. Als Macheath wegging, trug er wieder die Rindslederhandschuhe, aber auch seinen alten Degenstock. Sein Zug ging erst am spaten Abend, aber er hatte noch viel zu tun. Die O'Hara-Leute waren wohl nicht in der besten Laune und Aaron oder einer der beiden Oppers muBten noch aufgesucht werden. Aber zuerst ging Macheath zu Gawn, dem er seinerzeit das Material gegen den Makier Coax, Peachums Compagnon, übergeben hatte. Es war immer noch nirgends er- schienen. Gawn war nicht zu Hause. Es hielJ, er sei im „Correspondent". Dort saBen einige Zeitungsleute um ihn herum und wollten Renntips aus ihm herausholen. Als Macheath eintrat, entstand eine eigentümliche Stille. „Oho," sagte einer der Jungen, nicht unfreundlich, „Macheath! Sie wollen wohl bei uns gegen Ihre Festnahme protestieren? Soll die hier vor sich gehen? Das ist anstandig von Ihnen 1" Gawn, der, ein halbes Pfund Gummi kauend, lachelnd in ihrer Mirte saB, erkannte zuerst, daB Macheath von nichts wufite, und zog eine Zeitung aus der Brusttasche. Macheath wurde schon gesucht. Sein Bild und Name stand in den Morgenausgaben. Beecher hatte ein Interview gegeben und von dem halben Brief der Ermordeten erzahlt. Gawn nahm Macheath unter den Arm und führte ihn weg. Sie suchten eine Kneipe auf. Das Material gegen Coax, führte Gawn aus, sei eigentlich ein Material gegen Hale vom Marineamt, denn um dessen Frau handele es sich. Die Kampagne werde in den allernachsten Tagen losgehen. Er verschwieg, daB er das ihm anvertraute Material lediglich zu einer saftigen Erpressung ausgenutzt hatte. Herrn Peachum kostete das eine Menge Geld. PoUys Mitgift wurde dadurch nicht gröBer. Macheath entwickelte ihm noch einmal, daB er keinen offenen Skandal brauche, sondern eine gehorige Einschüchterung der ganzen GeseUschaft, die um diesen Coax herum sei. Gawn versprach, sein Bestes tun zu woUen und bat nur um ein Interview. Sie steUten eines zusammen. Es erschien schon in der Abendausgabe. Der GroBhandler Macheath zeigte sich ttber die Beschuldigungen der Polizei sehr erstaunt. „Ich bin Kaufmann," hiefi es, „und kein Verbrecher. Ich habe einige Feinde. Der beispiellose Erfolg und Aufschwung meiner B.-Laden hat sie auf den Plan gerufen. Aber ich pflege sie nicht mit dem Messer in der Hand anzufallen. Ich versuche, sie durch unermüdliche Arbeit im Dienst meiner Kunden zu besiegen. Alle Verdachtigungen gegen mich werden in ein paar Tagen nur auf die Köpfe derer zurückfallen, die sie ausstreuen. Ich hoffe, dafi niemand von meinen Geschaftsfreunden aus den Kreisen des Kleinhandels, dessen Wohlergehen mir am Herzen liegt, an mir zweifelt. Diese Swayer ist mir persönlich nur wenig bekannt. Sie hatte, soviel ich weifi, einen der kleinen B.-Laden in der Gegend der MulberrystraBe. Ich hatte mit Ihr nicht mehr zu tun, als mit einigen Dutzend anderen Ladeninhabern. Sie schelnt sich selbst das Leben genommen zu haben. Ich finde das ebenso traurlg, wie jeder andere anstandige Geschaftsmann. Grund zur Depression ist gegenwartlg genug vorhanden, das weifi niemand besser als die Geschaftsleute. Die Verhaltnisse der Frau Swayer scheinen besonders mifiliche gewesen zu sein." Nach diesem Interview fuhr Macheath zur Commercial Bank. Er traf Henry Opper an. Die Morgenblatter hatten schon in grofier Aufmachung seinen Namen gebracht und Opper schien sehr bestürzt zu sein. Er hörte Macheath schweigend an und sagte dann: „Sie dürfen unter keinen Umstanden ins Gefangnis gehen! Schuldig oder unschuldig: man war nicht im Gefangnis. Gehen Sie ins Ausland! Sie können Ihre Geschafte von dort abwickeln. In der ZEG sitzen ja Freunde von Ihnen, auch wir werden nach dem Rechten sehen, wenn Sie es wünschen. Aber fahren Sie auf der Stelle! Aaron war auch schon da. Er ist auBer sich." Macheath ging sehr nachdenklich weg. Oppers Eifer, ihn zum Wegreisen zu veranlassen.gefiel ihm nicht. Er fuhr an den Unteren Blacksmithsquare, wo er in einen schmierigen Rasiersalon eintrat. In dem niederen, nach kaltem Rauch stinkenden Raum herrschte ein grofier Verkehr. Hier trieb sich die halbe Londoner Unterwelt herum. An keinem anderen Ort konnte man mehr hören als hier. Die Rasierstühle waren besetzt. Macheath setzte sich auf die Bank unter die Wartenden. Vor ihnen stand auf dem Boden eine groBe Messingschale, in die sie die Zigarettenstummel und Kaugummi spucken konnten. Macheath sah kein bekanntes Gesicht. Ein kleiner, verdrückter Mensch erzahlte ziemlich laut über die Zollschikanen in einem danischen Hafen. „Sie wollen nichts Billiges hereinbekommen," beschwerte er sich, „der kleine Mann soU sich keine Brillanten kaufen können. Das ist eine Gemeinheitt Kohlen und Kartoffeln m u B der Mensch haben, aber wenn man ihm bei Bruianten auch noch solche Knuppel zwischen die Beine wir ft, dann sagt er eben am Schlufi: na, denn nicht, liebe Tante!" Macheath merkte sich den Mann vor: er gefiel ihm. Der Friseur, ein unförmiger KoloB mit winzigem Kopf, auf dem aber eine Friseurkunstausstellung stattfand, hatte Macheath mit einem kleinen, schlauen Bliek gestreift, als er sich setzte. Er hatte eine Verabredung mit Macheath, die Rede bei seinem Erscheinen auf ihn zu bringen und tat dies jetzt. Der Laden begann vom Sway ermor d zu sprechen. Die aUgemeine Ansicht war, daB der GroBhandler mit dem Tod der Swayer nichts zu tun haben könne. „So'n Mann macht das nicht!" sagte der Schmuggler ttber- 265 legen. „Der hat anderes zu tun. Habt Dir 'ne Ahnung, was so'n Mann in einem Arbeitstag alles zu verrichten hat! Sie soll ihm gedroht haben! Was kann die ihm schon drohen? Was die sagt, das ftthrt doch nur zu ihrer sofortigen Verhaftung wegen Majestatsbeleidigung und polizeiwidriger Dummheit!" „Und kein Alibi soll er haben! Er hat wohl jedem 'ne Belohnung von zehn Pfund ausgesetzt, der aussagt, daB er ihn in der fraglichen Zeit nicht gesehen hat? Nee, der will höchstens mal 'ne zeitlang mit dem Operngucker beobachten, wer da laut lacht, wenn er sich verhaften lafit, so ist das!" Viel mehr kam nicht heraus. Macheath wartete nicht ab, bis die Reihe an ihn kam. Er ging, seinen dicken Stock unter die Achsel geklemmt, zu FuB durch zwei, drei Gassen, bis er vor einem baufalligen, einstöckigen Haus stand, in dem eine Kohlenhandlung etabliert war. Auf einer schwarzen Tafel hatte der Kohlenhandler mit Kreide die Kohlenpreise aufgezeichnet. Macheath las für Antrazit die Zahl 23 und ging weiter. In ein Haus mit der Nummer 23 trat er ein, nachdem er mit dem Stock an die Tttr geschlagen hatte. Manchmal kostete der Antrazit 23, manchmal auch 27 oder gar 29, je nachdem, wo die Bande gerade ihr Hauptquartier hatte. Die wirklichen Kohlenpreise, hatte Macheath einmal O'Hara gesagt, hingen auch von einer ganzen Menge von Umstanden ab, die mit Kohle eigentlich nichts zu tun hatten. Und der Kohlenmann verkaufte auch gar keinen Antrazit. Macheath ging mit hallenden Schriften durch zwei Höfe, die durch Lagerschuppen gebildet wurden und bog im driften in ein erleuchtetes Büro zu ebener Erde ein. Grooch und Father saBen auf Mahagonnytischen, Bierflaschen neben sich, und Grooch diktierte einer flott an- gezogenen, jungen Person Briefe. In den Nebenraumen wurden Kisten verpackt. Grooch stand beim Eintreten des Chefs auf, Father blieb sitzen. „Gut, daB Sie mal einen Bliek hierherwerfen, Chef!" sagte Father mürrisch. „Hier ist kein Zug mehr drin. Nichts als Aufsassigkeit und Widerwillen." Macheath nahm schweigend von einer roh gezimmerten Stellage an der Wand einen dicken Folianten und setzte sich mit ihm auf die Lehne eines Empiresessels, der besser e Tage und feinere Gesellschaft gesehen hatte. Die ZEG hatte ihre offiziellen Büros in der City. Hier war der Lagerplatz. Zwischen den beiden Stellen gab es keinen Verkehr, aufier auf groBen Umwegen. So lange Father auf dem Tisch saB, wollte Macheath nicht reden. Infolgedessen berichtete Grooch. Die Untatigkeit wirkte sich sehr ungünstig aus. Die Schuppen waren zum Teil noch voU von Waren. O'Hara hatte es den Leuten frei gestellt, auf eigene Faust zu arbeiten, bis man wieder neue Bestande brauchen konnte. Aber er hatte die Handwerkszeuge nicht herausgegeben. Sie waren im Besitz der Gesellschaft. Mit den alten, prlmitiven Werkzeugen wollten oder konnten aber die Fachleute O'Haras nicht mehr arbeiten. Selbst für die Ladeneinbrüche waren zumindest Lastwagen nötig. Und vor allem: genaue Plane für die Zusammenarbeit. Die Leute waren also aufgeschmissen. Sie safien herum und fraBen einander an. Macheath lachte. „Ich dachte, sie waren sich zu gut fttr ein Beamtendasein mit gesicherten Bezügen. Sie wollten doch wieder aufs weite Meer hinaus, ungebunden und frei!" sagte er nachlassig. „Immerfort machen sie Bewegung und nie wundern 267 sie sich, wenn sie durchsetzen, was sie wollen. Wenn ich mit meinen Forderungen durchkomme, dann fttrchte ich immer das Schlimmste." „Sie kamen schon durch, wenn sie die Werkzeuge hatten," sagte Father grob. „Ja, wenn," erwiderte Macheath gelangweilt. Father griff noch einmal an: „Quite will uns den neuen Bohrer abkaufen. Er sagt, er hat das Geld beisammen, und aufier ihm kann keiner damit umgehen.'' „Ich verkaufe kein Handwerkszeug," sagte Macheath verdrossen. „Übrigens sind auch meine Tischplatten nicht zum Draufsitzen da." Er nahm den Lagerplan, der sauber auf einen Karton aufgezogen war, zur Hand und schickte das Madchen mit einer Kopfbewegung hinaus. „Warum sind die Schuppen noch voll? Es ist beschlossen, alles zu raumen bis auf 23." Grooch sah Father an, der brummend aufgestanden war. „Davon hat O'Hara nichts verlauten lassen," sagte er und nahm den Bliek nicht von Father. Macheath lieB sich seine Überraschung nicht anmerken. Er blatterte einen der Kataloge durch, um Zeit zu gewinnen. Dann fuhr er ruhig fort: „Die Schuppen von 29 müssen geraumt werden. Es ist möglich, dafi O'Hara in der nachsten Zeit zeigen mufi, dafi die Lager leer sind." „Wohin sollen die Sachen? Es ist hauptsachlich Tabak und Rasierzeug. Man mufi sie aber unbedingt noch lagern lassen, sie sind viel zu frisch. Die Birminghamer Sachen sind darunter. Darüber schreiben die Zeitungen immer noch kilometerlange Artikel. Und dann ist Leder und Wolle da, das können die B.-Laden gut brauchen." „Es mufl ganz weg. Es darf nichts davon zum Verkauf kommen. Ihr macht am besten ein Feuer an damit! Die Schuppen sind ja versichert." Grooch war ehrlich erschrocken. ..Aber können es nicht die Jungens selber verwenden? Das macht doch verdammt Doses Blut, wenn sie das wegschaufeln sollen. Sie haben es schlieBlich zusammengeholt." Macheath langweilte sich. ,J.ch denke, dafür sind sie bezahlt worden. Und für das Weg schaffen zahle ich ebenfails Stundenlohn. Ich will nicht, daB das Zeug herumkommt. AuBerdem sollen sie ihren Tabak kaufen, zum Beispiel in den B.-Laden. Noch was: die Papiere für hier zeichnet meine Frau und nicht O'Hara. Fertig?" Er stand auf und zog die Handschuhe an. Grooch hielt ihn noch auf. ..Honneymaker lauft uns die Bude ein. Er will jede Beschaftigung übernehmen. Die Sache mit dem SicherheitsschloB ist schief gegangen.** „War es nicht sicher oder zu sicher?** „Alles in Ordnung. Aber die Fabrik hat ihn hereingelegt mit dem Patent." Macheath lachte wieder. Honnymaker war ein führender Mann der Branche gewesen zu seiner Zeit, ein erstklassiger Einbrecher. Als es mit ihm körperlich bergab ging — damals trieb man noch nicht Sport — verlegte er sich aufs Erfinden und erfand ein SicherheitsschloB. Er verwandte alle seine Erfahrungen dabei, die Erfahrungen eines tatigen Lebens, voll von Studium und Unternehmungslust. Jetzt hatte er in der bekannten Schlösserfabrik, der er seine Sache angeboten hatte, seinen Meister gefunden. „Er kann einen B.-Laden haben," sagte Macheath und ging grinsend weg. 269 Aber es war ihm nicht lustig zu Mute. Die Beschlüsse wurden nicht ausgeführt. Jeden Tag konnte Aaron auf den Gedanken verfallen, sich die Lager zeigen zu lassen. Fanny, überzeugt, daB sie geraumt waren wie verabredet, würde keinen AnlaB sehen, sie ihm nicht zu zeigen, und dann waren sie noch ganz vollgestopft. Wieder auf der StraBe stehend, überlegte Macheath einen Augenblick, ob er gleich zu Fanny Crysler gehen sollte oder zu Frau Lexer nach Tunnbridge. Es war sein Donnerstag. Er tand heraus, daB er Fanny noch auf dem Bahnhof abfangen konnte, wo sie auf ihn warten würde und dafi er in Tunnbridge wahrscheinlich Brown finden könnte. Brown war wie er jeden Donnerstag dort. Sie spielten hier gewöhnlich eine Partie Dame. Macheath' Verkehr mit den Damen von Tunnbridge im Haus der Frau Lexer bedurfte seiner eigenen Ansicht nach einer Entschuldigung, jedoch reichte dazu die besondere Art seines Geschaftes aus. Er erfuhr hier besser als anderswo alles über die privaten Verhaltnisse der Bande. Den rein geschaftlichen Verkehr hatte er gelegentlich zu Zwecken der Erheiterung ausgenutzt, wozu er als Jungegeselle in gemaBigtem Umfang berechtigt gewesen war; was jedoch diese intime Seite betrat, so schatzte er, wie er oft sagte, seine regelmaBigen und mit pedantischer Pünktlichkeit eingehaltenen Besuche in ein und demselben Tunnbridger Kaffeehaus hauptsachlich, weil sie Gewohnheiten waren, die zu pflegen und nahren beinahe das Hauptziel eines eben bürgerlichen Lebens darstellt. Seinen eigentlichen geschlechtlichen Bedarf deckte Macheath nach einigen jugendlichen Verwirrungen am Uebsten da, wo er damlt gewisse Annehmlichkeiten hauslicher oder geschaftlicher Art vereinen konnte, also bei Frauen, die nicht ganz unver- 270 mogend waren, oder mit ihm in Geschaftsbeziehungen standen wie Fanny. Macheath wufite genau, dafi seine Ehe ihm geschadet hatte in den Bezirken, wo sein Einkauf verankert war. Der Tod der Mary Swayer gefiel gewiss en Leuten bestimmt nicht. Sie safien jetzt wohl beisammen und sagten: Mac wird fett. Er glaubt wohl, er ist schon oben. Es gab kaum jemanden, der ehrlich beschwören konnte, daB er immer Macheath geheifien habe, aber es gab auch niemanden, der ihm nachweisen konnte, dafi er unter dem und dem Namen da und da zur Schule gegangen, da und da Schauermann oder Kontorist, da und da Zimmerherr gewesen sei. Immerhin konnte jeden Tag das Gerucht verbreitet werden, er sei ein ganz gewöhnlicher Spiefibürger und dann hatte es eines sehr kostspieligen und gefahrlichen Blutbades gröfieren Ausmafies bedurft, damit das Halbdammer, in dem man fett werden konnte. wieder hergestellt worden ware. Und er war wirklich schon etwas beleibt und nur mehr für geistige Arbeiten geeignet. Er ging also nach Tunnbridge, um etwas zu erfahren und um Brown zu treffen. Er ging nicht ln die unteren Raume, sondern kletterte eine baufallige Stiege hoch in die Küche. Ein paar Madchen saBen herum und tranken Kaffee. Ein dickes Weib in Unterhosen plattete Wasche. Am Fenster wurde Mühle gespielt. Ein dunnes, sartelnasiges Madchen stopfte einen Berg Strümpfe. Alle waren leicht bekleidet, nur eine hatte einen gebtümten Schlafrock an. Als Macheath eintrat, gab es ein Hallo. Die Frauen hatten die Zeitungen gelesen, auch das Interview mit Gawn lag auf dem Bügelbrett. Dafi Macheath dennoch kam wie jeden Donnerstag, imponierte allen. 271 Brown war noch nicht da. Macheath bekam seinen Kaffee vorgesetzt und langte, ohne die Handschuhe auszuziehen, nachlassig nach der Zeitung. „Heute abend verreise ich," sagte er lesend, „ich dachte gleich: dumm, dafi heute mein Donnerstag ist. Es ist schrecklich, wenn man ein solcher Gewohnheitsmensch ist! Aber ich kann mich doch von diesen Polypen nicht von meinen altesten Gewohnheiten abbringen lassen. Sonst ware ich mittags gefahren. Wo bleibt eigentlich Brown?" Eine Klingel auf einem der Zimmer ging. Das dicke Weib legte das BUgeleisen auf einen kleinen Gufieisenstander, warf einen Kattunüberhang um und ging hinaus, einen Gast zufrieden zu stellen. Nach fttnf Minuten kam sie zurück, prüfte das Eisen mit dem abgeleckten Finger, ob es noch warm war und bügelte weiter. „Das Ding mit der Swayer hast D u doch nicht gedreht," sagte sie, wie ihm schien, verachtlich. „Sb," sagte er und sah sie aufmerksam an. „Na, wir dachten, Du bist zu fein geworden zu sowas." „Wer dachte das?" fragte Macheath interessiert. Das dicke Weib beruhigte ihn: „Immer ruhig, Mac. Gequatscht wird ttber jeden." Mac hatte ein feines Gehör. Die Luft war nicht rein. Eine Art Widerwillen überkam ihn plötzlich. Wahrend er schweigend in der schmutzigen Küche safi und dem plattenden Weib zusah, dachte er gründlicher ttber seine Lage nach, als er es seit langem hatte tun können. Der Boden, auf dem er immer gestanden war und gekampft hatte, fing an, unter seinen Fttfien nachzugeben. Dieses Gesindel, das ihm seine Einkaufe zu besorgen batte, wollte sich einer geistigen Führung auf die Dauer nicht beugen. Eine Menge kleiner Zttge fielen ihm plötzlich ein, die er in den vergangenen Wochen kaum beachtet hatte. Da und dort waren strikte und wohl durchdachte Befehle nicht mehr ganz exakt durchgeführt worden; nachher wurden die Nachlassigkeiten durch die Spitzen der Organisation vor ihm verschleiert. Besonders seit dem groBen Abstoppen der „Einkaufe" hatte er zum Beispiel durch Grooch allerhand von der „Unzufriedenheit" unten gehort. Dieses Gesindel konnte groB angelegte Operationen nicht durchhalten. Und jetzt hatte er entdecken müssen, daB O'Hara wichtigste Befehle einfach ignorierte! An O'Haras Haltung war seit langem nicht alles wie früher. Heute hatte er die Vollmacht haben wollen. Als sie dann PoUy bekam, hatte er nicht sehr lange widersprochen. Warum wohl nicht? Ganz plötzlich überUef Macheath eine heiBe WeUe des MiBtrauens. PoUy, dachte er. Was war eigenfüch mit PoUy und O'Hara los? Jetzt hatte sie die Vollmacht. Was würde sie damit machen? Und mit einem Male wuflte er, warum ihn von Anfang an das Vorkommnis auf der Heimfahrt von dem Picknick an der Themse so gequalt hatte. „Eine Frau, die das duldet, und zwar bei so oberflachlicher Bekanntschaft," sagte er sich erbittert, ,jkann doch überhaupt keine Gewahr geben, einem Mann eine wirkliche Lebens gefahrt in xu sein. Sie ist Ja viel xu sinnlich. Vnd das ist doch nicht nur eine erotische Angelegenheit, sondern vor allem, wie es sich neigt, eine geschaftltche! Was wird sie anfangen mit einer Vollmacht Ihres angetrauten Mannes in der Hand, wenn sie ihrer eigenen Beine nicht sicher ist? Da hat doch die Treue der Frau erst den tieferen Sinn!" Wie rasch waren die Beiden mit seiner Abreise einverstanden gewesen! Da gab es kein „Aber Duwirstmir dochfehlen". Da- D reigroschenroman 18 zu war man zu vernünftig. Vielen Dank für diese Art Vernunftl Macheath stand voller Bitterkeit auf und schlenderte in die Buroraume hinüber. Es waren ziemlich geraumige Zimmer mit kahlen Kontormöbeln, kleinen Tischchen mit Schreibmappen und gewöhnlichen Sofas. Man konnte auch Zimmer ohne Sofas bekommen, dann benutzte man die Tische mit dem grünen Löschpapier. Es war die besondere Annehrnlichkeit des Hauses, daB man hier gleichzeitig seine Korrespondenz erledigen konnte. Die Madchen waren alle geübte Kurzschriftschreiberinnen. Das Haus wurde meist von Geschaftsleuten besucht. Macheath hatte gern ein paar Briefe diktiert; aber nur Jenny war mit seiner Korrespondenz vertraut und kannte seine Gewohnheiten. Sie konnte sich zur Not mit einigen Notizen für einen Brief behelfen. Und Jenny war nicht da. Sie war mit Bloomsbury an der See. Ihr nahm anscheinend niemand ihren Aufstieg übel. Macheath öffnete stehend eine Klappe in der Tapete und hörte sich ein Diktat nebenan an. „... und können wir also Ihren Standpunkt nicht begreifen. Entweder Sie liefern den Santos zu 85V5 frei Antwerpen, o d e r Sie reduzieren den an sich horrenden Preis, horrenden unterstrichen, dann ist der Zoll unsere Sache." Macheath ging miBmutig wieder in die Küche zurttck, wo er sich verdrossen niedersetzte. Er wartete immer noch auf Brown. Von der Unterredung mit ihm wollte er es abhangig machen, ob er London verUeB oder nicht. Vorbereitet für seine Flucht war alles. Grooch würde auf dem Bahnhof warten, hoffentlich mit Fanny. Aber eine halbe Stunde verging, es wurde dunkel, sodaB das Gaslicht angezündet werden muBte. Der Betrieb kam langsam in Schwung und Brown erschien nicht. Um Macheath kümmerte sich niemand mehr. Er saB finster in der Stube und döste. Unter diesen Umstanden konnte er nicht wegfahren. Er mufite die ZEG wieder ganz in die Hand bekommen und damt auflösen. Was war das fttr eine Existenzbasis, bei der man nicht einmal ruhig wegfahren konnte, wenn die Polizei hinter einem her war! Und auch die groBen, geschaftlichen Transaktionen mit der Commercial Bank konnte er, nur von Unzuverlassigen und Gaunern umgeben, wie er war, immer noch besser vom Gefangnis aus abwickeln, als vom Ausland aus. Ein wahrer Durst nach Soliditat befiel ihn. Ein gewisses MaB von Ehrlichkeit und Vertragstreue, einfach von menschUcher VerlaBUchkeit, war eben doch unentbehrlich, wenn es sich um gröBere Geschafte handelte! Warum ware sonst Ehrlichkeit, fragte er sich, überhaupt so geschatzt, wenn es auch ohne sie ginge? Das ganze Bürgertum war ja doch darauf schlieBlich begründet. Man mufite aus seinen Angesteilten herausholen, was irgend ging, und dann muBte man ehrlich und anstandig Geschafte machen. Wenn man nicht einmal seinem Kompagnon trauen konnte, wie sollte man sich da auf das Geschaft konzentrieren können? Endlich gegen sieben Uhr kam Brown. Hier war immer der beste Ort für sie gewesen, sich au treffen. In diesem Etablissement spttrte man Brown nicht nach. Es htttte fttr unfein gegolten, einem Beamten von Scotland Yard nierher nachzuschnüffeln. SchlieBlich mufite das Privatleben aus dem Spiel bleiben! Brown überschüttete ihn sofort mit Vorwürfen. „Wie kannst Du noch hier sein!" schrie er, das Zimmer wie ein gefangener Tlger durchlaufend. „Ich habe Dir doch sagen lassen, daB Deine Sache übel steht! Die Untersuchung ffihrt Beecher, und das ist der unzuverlassigste Beamte, den ich habe. Wenn der eine Spur wittert, ist er nicht mehr zu halten und vergiBt jede Disziplin. Er würde seinen eigenen Skatbruder verhaften. Heute nachmittag war die gerichtliche Leichenschau. Es wurde auf Tod durch Mord erkannt, nachdem Beecher gesprochen hatte. Der Hauptverdacht liegt auf Dir. Das Schlimmste ist dieser Erpressungsbrief der Swayer, in dem droht sie Dir ja direkt damlt, über das „Messer" Mitteilungen zu machen. Was wufite sie da?" „Nichts," sagte Macheath, auf dem Sofa sitzend, die Abendpresse vor sich, „sie hatte Vermutungen." „Und dieser Fewkoombey?" „Der Hausdiener meines Schwiegervaters, ein abgedankter Soldat. Er hat sich in der letzten Zeit anscheinend an die Swayer herangemacht." Brown notierte sich etwas auf seiner Manschette. „O'Hara sagte, Ihr hattet ein Alibi, könnt es aber nicht nennen?" „Ja. Das Protokoll einer Aufsichtsratssitzung, die nicht stattgefunden haben darf." „Das einzige Gute ist, daB die paar Schauerlaute, die der Swayer begegnet sind, keinen Begleiter gesehen haben. Aber Dein Zettel, auf dem Du sie für den Abend bestellst, ist furchtbar und der liegt bei den Akten." Brown fing wieder an zu schreien. Macheath müsse sofort weg, auf der Stelle. Macheath sah ihn vorwurfsvoll an. „Ich habe etwas anderes von Dir erwartet," sagte er sentimental, „ich habe erwartet, daB Du mir anders entgegen- trittst, wenn ich in solcher Lage, gehetzt und von Allen verraten, mich vertrauensvoll an Dich wende, Freddy. Auf Grund unserer Beziehungen durfte ich annehmen, Du würdest mir sagen: hier, Mac, lat ein Zufluchtsort für dich. Hier lafl dich nieder! Wenn du schon die Ehre verloren hast, solist du wenigstens eine Gelegenheit haben, dein Vermogen zu retten." „Was heiBt das?" fuhr Brown auf. Macheath sah ihn trübe an. ,Jch kann doch vom Ausland aus nicht meine Geschafte weiterfuhren. Wie denkst Du Dir das? Opper sagt mir, mein Ruf sei hin, wenn ich ins Gefangnis gehe; aber ich habe herausgehört, daB sie mich ausraubern werden, wenn ich auBer Landes gehe. Ich mufl auf meinem Posten bleiben. Ich mufl zu Dir ins Gefangnis und meine Arbeit wieder aufnehmen. Ich bin ein Pferd, das in den Sielen stdrbt, Freddy 1** „Das ist ausgeschlossen," brummte Brown, aber er schien unschlüssig geworden. ..Bedenke," erinnerte ihn Macheath mit gedampfter Stimme, „daB mir eine Menge kleiner Leute ihr Schicksal anvertraut haben. Auch Du bist darunter. Dein Geld lat ebenfails weg, wenn ich London verlasse. Nun, Du karmst es verschmerzen; aber es gibt Andere, die erledigt warenP" Brown brummte wieder. „Es ist mein Schwiegervater," klagte Macheath, „er kann mich nicht leiden. Ich habe mich niemals recht um seine Feindseligkeiten gekümmert. Es war immer so wie mit einem Zahn, der zu klopfen anfangt. Man übersieht es. Man denkt, vielleicht hört es wieder auf. Man will nicht daran denken. Und eines Morgens ist die Backe hochgegangen wie Pfannkuchenteig." Sie saBen über eine Stunde zusammen und Brown erzahlte sorgenvoU, was er von Herrn Peachum wuBte, dem Urheber allen Übels. Herr J. J. Peachum war nicht der erste beste, der Pollzei nicht unbekannt. Sein Instrumentenladen hatte schon mehrmals lm Mlttelpunkt bekümmerter Gesprache lm Prasidium gestanden. Zum ersten Mal vor etwa zwölf Jahren. Damals hatte man ihm seinen Betrieb unterblnden wollen, war aber nicht damlt durchgedrungen. Brown erzahlte Mac die Geschichte: „Wir waren ganz im Bilde mit seinem Instrumentenladen und er wufite, daB wir zum Schlage gegen ihn ausholten. Er kam aufs Prasidium. Er hielt eine hinterhaltige und unverschamte Rede über das Recht der Armut, zu stinken und all sowas. Wir warten ihn natttrlich hinaus und setzten die Aktion fort. Wir merkten bald, daB an ihm etwas dran war. Es wurde damals gerade in Whitechapel mirten in den argsten Vierteln ein Denkmal für irgend einen Philantropen enthüllt, der in der Gegend allerhand Dummheiten gegen AlkoholmiBbrauch getrieben hatte, ich glaube, er schenkte Llmonaden aus mit Hilfe junger Madchen, die ebenfails irgendwie gerettet waren. Zu der Einweihung des Denkmals, eines groBen, weiBen Dings, soUte die Königin kommen. Wir richteten die Gegend ein wenig her. So, wie sie war und wie sie die Bewohner zum AlkoholmiBbrauch angeregt hatte, konnte die Königin sie nicht betreten. Mehrere Hektoliter Tttnche taten Wunder. Wir verwandelten den Schandfleck ln eine Art GartenstraBe. Aus Schuttablagerungsplfttzen wurden Kindersplelplfttze, halb eingestürzte Mietshauser bekamen ein trauliches Aussehen, die schlimmsten Stellen wurden mit Guirlanden zugedeckt. Aus Löchern, in denen zwölf bis fttnfzehn Menschen hausten, hingen achtmeterlange Fahnen; ich erinnere mich noch, wie sich die Bewohner darüber beschwerten, weil ihnen die Fahnenstange zu viel Platz wegnahm; diese Leute schamen sich ja nicht einmal der Löcher, in denen sie unterkriechen! Aus einem öffentlichen Haus trieben wir die Insassinnen heraus und setzten eine Tafel „HEIM FÜR GEFALLENE MADCHEN", was es ja auch war. Kurz, wir taten unser Bestes, einen hübschen und menschenwürdigen und beruhigenden AnbUck zu schaffen. Bei der Vorbesichtigung durch den Premier selber kam es dann zum Eclat. Zwischen den neuen Blumenstöcken der frisch getünchten Hauser tauchten die bekannten, ekelhaften Visagen von Berufsbettlern des Herrn Peachum auf. Es waren Hunderte und Aberhunderte. Und als der Premier unten entlang fuhr, sangen sie die Nationalhymne her unter! Wir hatten gar nicht erst versucht, die Kinder dieses Vlertels irgendwie zu drapieren; hier ist ja jeder Tauschungsversuch aussichtslos: die dunnen GUedraaCen der Rachitis verbirgt kein Sammetanzug. Und was nützt es, Polizistenkinder zu verwenden, wenn plötzlich dann doch ein echtes Kind unter die importierten geschmuggelt ist und auf die Frage des dicken, rosigen Premiers nach seinem Alter start fünf Jahre, wie man seiner GröBe nach annehmen müBte, sechzehn Jahre angibt? Dicht am Denkmal standen Halbwüchsige, denen man alle Laster der Welt aus den Augenhöhlen grinsen sah. Sie kamen in kleinen Trupps mit LuftbaUons und Lutschbonbons aus dem Puff. Nun, die Besichtigung endete mit einem schriUen MiBklang and wir steilten Herrn Peachum seine Konzession aus. Wir woUten mit ihm nichts zu tun haben. Und der Mann ist Dein Schwiegervater! Das ist keine Kleinigkeit, Mac!" Brown war ehrlich besorgt. Er machte sich auf einen schwe- 379 ren Kampf gefafit. Er besaB viele schlechte Eigenschaften, aber er war ein guter Kamerad. Er und Mac hatten zusammen in Indien gedient. Mac konnte auf seine Treue bauen. „Treue," sagte der Polizeiprasident, der alte Soldat, oft in engstem Kreise, „Treue findet man nur bei Soldaten. Woher mag das kommen? Die Antwort lautet einfach: der Soldat ist auf Treue angewiesen. Von einem, der treu ist, heiBt es: mit dem kann man Pferde stehlen. Das Ist es. Der Soldat mufl mit seinem Kameraden Pferde stehlen können. Wo keine Pferde gestohlen werden, da ist keine Treue. Ist das klar ? Wenn man mit dem Bajonett vor mufl, meist doch ohne rechten Grund, wenn man um sich hauen und stechen und wurgen mufl, dann mufl man neben sich wahre Kameradschaft wissen, ein Bajonett, das für einen sticht, hout und würgt. Nur in solchen Lagen entwickeln sich Tugenden dieser höchsten Art. Für den Soldaten ist die Treue überhaupt mit dem Beruf gegeben. Er ist nicht nur einem bestimmten Freund treu, er kann sich seine Korporalschaft nicht aussuchen. Darum mufl er schlechthin treu sein. Der Ztvtlitiker verstekt das nicht. Er versteht nicht, wie ein General zum Beispiel seinem Monarchen treu sein kann und dann der RepubUk, wie zum Beispiel der MarschaU Mac Mahon. Mac Mahon wird immer Treue bewahren. Wenn die RepubUk" f allen sollte, wird er wieder dem Köntg Treue halten. Vnd so fort in alle Vnendltchkettl Nur das ist Treue!" Als Macheath ihn verlieB, war Brown ziemlich ausgesöhnt mit dem Entschlufi seines Freundes, ins Gefangnis zu gehen. Erleichtert beeilte er sich, noch einen Brief an den Gefangnisdirektor zu diktieren. Sie hatten verabredet, daB Macheath sich beim Prasidium melden sollte. Aber beim Einsteigen in den Bus gingen ihm Gedanken, Polly betreffend, durch den Kopf, die ihm seit Stunden heirrdich zu schaffen machten. Er anderte seine Absicht und fuhr nach Nunhead. Er kam gegen acht Uhr dort an. Erstaunt sah er oben in Pollys Zimmer Licht Sie hatte schon langst bei ihren Eltern sein sollen. Vor dem Gartchen gingen ein paar Kriminalbeamte auf und ab, ganz offen. Nun wurde ein zweites Fenster heli. Polly hantJerte wohl in der Küche herum. Sie gedachte also die Nacht noch hier zuzubringen. Macheath ging entschlossen auf die Haustür zu. An der Gartentür wurde er angehalten. Er nickte, als man ihm die Hand von hinten auf die Schulter legte. Die Beamten waren einverstanden, daB er mit seiner Frau sprach. Polly stand wirklich am Kochherd. Sie begriff sofort, wer die Marmer bei Mac waren, aber sie war erstaunt, daB er in London geblieben war. „Bist Du noch nicht heimgegangen?** fragte er böse, unter der Küchentür stehend. „Nein," sagte sie ruhig, „ich war bei Fanny Crysler.** „Und?" fragte er. „Sie reist nach Schweden," sagte sie. „Aber ich nicht," sagte er finster, „pack mir etwas Wasche ein." Er ging sehr beunruhigt ins Gefangnis, und zwar wegen Polly beunruhigt. Am andern Morgen besuchte ihn Walley im Auftrage Herrn Peachums. Er sprach ihm von Scheidung und IieB dabei durchblicken, daB es in diesem Falie vieUeicht entlastendes Material für ihn gabe. „Wozu haben Sie diesen ProzeB nötig?" fragte der Anwalt. 281 „Ihre Geschafte florleren. Lassen Sie sich scheiden, und es gibt keinen Prozefi. Das entscheidende Material ist in unseren Handen. Herr Peachum will seine Tochter zurückhaben, das ist alles." Macheath wies ihn schrot f ab. Er betonte, seine Ehe sei eine Neigungsehe. XI Ach, sie sind die besten Leute Wenn man sie nicht gradestört Bei dem Kampfe um die Beute Welche ihnen nicht gehort. (Lied des Polizeichefs) Die Blatter werden gelb An einem frühen Morgen kam PoUy Peachum, jetzt Frau Macheath, wieder nach Hause. Sie hatte trotz der morgendUchen Stunde einen Einspanner aufgetrieben. Am Stadtpark vorbeifahrend sah sie, daB die Eichen schon gelbe Blatter hatten. Unten im Laden flel ihr die groBe Unruhe auf. Dire Mutter stand inmitten übernachtiger Nfiherinnen und zankte sich mit Beery. Den Pfirsich beachtete sie kaum. Irgend jemand brachte das Gepack nach oben und nach einige Zeit den Morgenkaffee. Man erwartete eine polizeiüche Hausdurchsuchung ïm^f raumte schon seit sieben Stunden allerhand bei Seite. Krücken, die von Einbeinigen nicht verwendet werden konnten, bestimmte Wagen mit verborgenen Fachern für die Beine, vor aUem die Soldatenmonturen wurden abtransportiert. Die Kartotheken kamen in schwer zugangUche KeUerraume. Seit Mitternacht waren Boten unterwegs, die die Bettler abhalten sollten, am Morgen an Ihre Arbeitsstatte zu kommen. Den Frisiersalon konnte man eben noch in das Nachbarhaus schaffen, als gegen Mittag die Kriminalpolizei das Haus betrat. Sie fahndete hauptsachlich nach dem Soldaten Fewkoombey, der sich in der Frtthe nicht, wie ihm nahegelegt war, auf der Polizei gemeldet hatte. Aber der Soldat wurde nicht gefunden. Er sei, gab Herr Peachum an, wegen renltenten Benehmens am Vorabend entlassen worden. Das Haus oder vielmehr die drei Hauser sahen wie ein Fuchsbau aus, berichtete Beecher, es enthalte eine Tischlerwerkstatt und eine Schneiderei, alles für Bettler und alles in erstaunlichem Ausmafie. Fewkoombey war in der Tat für ein paar Tage in ein kleines Hafenhotel gezogen. Er durfte sein Zimmer nicht verlassen, aber er hatte seinen Band der Britischen Enzyklop&die dabei. Seiner Hunde nahm sich der Pfirsich an, froh, eine Beschaftigung zu haben. Ihren Vater sah sie erst am nachsten Mittag wieder. Er tat, als sei sie nie weg gewesen. Aber nach dem Essen kam Coax, um mit Herrn Peachum zu sprechen und als er danach aus dem Kontor trat und PoUy gerade im Flur den Hut aufsetzte, um wegzugehen, begrüBte er sie mit tiefer Bewegung. „Wahrhaftig," sagte er emphatisch, „der Pfirsich ist erblüht! Das macht der Süden!" Er ergriff Ihre beiden Hande und verlangte ein Klavierstück. Hinter ihm stand vor der Blechtür Herr Peachum und PoUy bemerkte an ihm einen so flehenden Bliek, daB sie wortlos mit dem Makier nach oben ging und die „Klosterglocken" spielte. Als der Makier weg war und Polly ebenfails wegging, sah sie ihren Vater im Wohnzimmer des ersten Stockes sitzen. Er saB ganz still und sah nach dem blinden Fenster. Coax batte ihm mitgeteilt, dafi das Schiffegeschaft in zwei Wochen abgeschlossen sein müsse. Zum ersten Male hatte er angedeutet, wie er sich die Abwicklung dachte. Peachum sollte die vollen Summen zunfichst bereitstellen; der dann in Angriff zu nehmende Ehekontrakt sollte die Angelegenheit zwischen Peachum und Coax nachtraglich regeln. Auf diese Weise würde Peachum seine Verluste wieder zurückerstattet bekommen und Coax sich mit dem Gewinn als Mitgift Pollys begnügen. Zunachst die Summen voll bereitstellen! Das war f urchtbar 1 Als Frau Peachum nach Hause kam, mufite sie ihren Mann zu Bett bringen. Er konnte kaum noch reden und kam fast nicht die Treppe hoch. In der Nacht vermeinte er zu sterben. Seine Frau mufite ihm eine halbe Flasche Arnica über die Herzgegend schutten. Er erwog sogar die Hinzuziehung eines Arztes! Am andern Vormittag ging er schlapp durch die Höfe, in denen jeder Stein von ihm bezahlt war und die er jetzt für dieses schwammige, verfaulte Holz weggeben sollte, das in den Docks auf seine Kosten betrügerisch angestrichen wurde. Ein Riesengeschaft für die, die es machten I Aus einer Entfernung von fünf Schriften sah er, Hande in den Hosentaschen, Hut im Genick, abwesend auf seine Tochter, die zwischen zwei verkrüppelten Baumchen, die schon ganz gelbes Laub hatten, die Hunde versorgte. Sollte er wirklich nicht aus ihr doch noch das grofie Geschaft herauswirtschaften können, den groBen Ruin vermeiden? Wenn er sie nur für diesen Coax wieder frei bekam! Auf keine andere Weise als durch die festesten Familien- bande verknüpft, würde dieser verkommene, verbrecherische, schmutzlge UnheUsmakler Ihn in das Geschaft hereinnehmen. Nur seine verabscheuungswürdige Lusternheit konnte ihn vieUeicht dazu verleiten. VieUeicht! Und dieser Macheath ging lieber ins Gefangnis und nahm einen bösen ProzeB auf sich, als daB er seine Beute frei gab. Er zermarterte sich den Kopf, wie er ihn zu einer Scheidung bewegen könnte. Wenn er zum Beispiel selber hinglnge und ihm sagte: „Wissen Sie, dafi Sie Ihren Raub an einem armen Mann begangen haben? Sie denken wohl: ein armer Mann, umso besser! Mit ihm kann man machen, was man wUl. Aber das ist ein Irrtum, Herr! Unterscha tzen Sie nicht die Macht der Armen! Sie wissen vieUeicht nicht, dafi ihnen in unserem Staate die gleichen Rechte zustehen wie den Reichen? Dafi dér Schwachere geschützt werden mufi, weil er sonst unter die Rader gerat? Bedenken Sie doch: er hat nichts sonst, als diese gleichen Rechte I" Stundenlang entwarf er Reden dieser Art. Aber er fand nichts Zwingendes. Er begriff, dafi es nichts, schlechterdlngs nichts gab, was einen halbwegs vernünftigen Menschen hatte veranlassen können, etwas, was er hatte, herauszugeben, aufier tatsachlicher Gewalt. Den ganzen Vormittag kampfte Peachum mit sich. Dann rang sich aus Qual und Schwache der Gedanke in ihm durch, das AuBerste zu tun, dem Schwiegersohn Geld anzubieten. Ein kleiner, schmieriger Herr, ein Winkeladvokat aus dem Osten, sprach in seinem Namen bei Macheath vor. Er steilte ihm schon im zweiten seiner Satze brüsk Geld in Aussicht für den FaU, dafi Herr Macheath in eine Scheidung einwUUge. „Wieviel Geld?" fragte Macheath, unglaubig lachelnd. Der Advokat murmelte etwas von einigen hundert Pfund. „Sagen Sie meinem Schwiegervater,** erklarte Herr Macheath, ihn wie ein interessantes Reptil anblickend, „der Vater meiner Frau stehe in meiner Achtung doch zu hoch, als daB ich ihm solch ein Angebot erastlich zutrauen könnte. Ich kann nicht annehmen, daB mein Schwiegervater glaubt, seine Tochter schenke einem Mann ihr Herz, der bereit ware, es für 500 Pfund zu verkaufen." Der Advokat verbeugte sich vei win t und ging. Ein paar Tage spater sah sich Herr Macheath in einer Lage, in der er Angeboten dieser Art, vorausgesetzt, sie konnten verdoppelt werden, mit mehr Respekt entgegengetreten ware. Aber der kleine, schmierige Herr kam nicht wieder. Solche Angebote werden im Leben selten wiederholt. Der Gedanke ist frei Macheath bewohnte eine Zelle, die in einem sonst unbewohnten Trakt lag. Sie hatte früher als Krankenzimmer für mehrere Patiënten gedient und war hoch und geraumig. Sie war auch heil genug, da sie zwei richtige Fenster hatte. Brown hatte einen dicken, roten Teppich hineinschaffen lassen. An der Wand hing sogar ein Bild der Königin Viktoria. Macheath konnte auch Zeitungen halten, er las sie aber nicht gern; sie waren voll von rührseligen Beschreibungen der Swayer, die dem Leser immer wieder als sehr hübsch geschildert wurde. Noch schadlicher waren die Reportagen über den Laden und die kümmerliche Wohnung, in der sie ihr letztes halbes Jahr verbracht hatte. Von ihm selber stand nur in den unseriösen Blattern etwas, direkte Beschuldigungen waren vermieden. Die dunklen Andeutungen herrschten vor. Bücher hatte Macheath haben können, soviel er wollte, aufier pornographischen. Die wurden nicht geduldet, weil der Gefangnisgeistliche ab und zu kam. Die Bibel wurde aber geliefert. Besuche kamen wenige, aber nicht, weil die Gefangnisverwaltung sie verhindert hatte. O'Hara hatte eine tiefe Abneigung, sich in diesem Haus zu zeigen. Er haBte es, Bekannten zu begegnen. Er sollte spater noch Jahre in einem ahnlichen Haus zubringen. Auch Fanny Crysler lieB sich selten blieken. Was die Tatigkeit der Bande und die Zustande in den B.Laden anlangte, war Macheath auf die Berichte PoUys angewiesen. Sie arbeitete mit O'Hara zusammen und zwar melst nachmittags in Macs Arbeitszimmer in Nunhead. Die Haft steilte sich doch als schwere Fessel heraus. Am meisten bedrückt war Macheath, daB Aaron nichts von sich horen UeB. SchUeBUch war er sein Kompagnon. Er zerbrach sich den Kopf, was der gr oBe Aaron gegen ihn haben könnte. Die blofie Tatsache der Untersuchungshaft konnte es nicht sein. Das Geschaftsleben kannte Schlimmeres. AUmahUch wurde er sich darüber klar, daB er von Aaron und den Oppers groBe Schwierigkeiten zu erwarten hatte. Der Prozefi, den ihm sein Schwiegervater angehangt hatte, bedeutete womöglich das Ende seiner Geschaftsverbindung mit ihnen. MuBte er sein Alibi preisgeben, dann stand er vor seinen Kompagnons nackt und bloB als der Hauptmacher der „neutralen" ZEG da! In den stillen Nachten in seiner Zelle grübelte er ttber neue Wege nach. Seine Gedanken sammelten sich immer mehr um Chreston. Konnte er nicht Chreston in die Hand bekommen oder sich wenigstens mit ihm' Mieren ? „Mein Kompagnon Aaron," dachte er, „findet es nicht für der Mühe wert, mich zu besuchen, wenn Ich soviel durchmache. Ich habe ihn als meinen Freund betrachtet — gewisse kleine Unstimmlgkeiten zwischen uns hatten sich sicher mit der Zeit geklart — und Chreston war mein Feind. Nun ist es eine alte Weisheit, daB man, wenn sich eine Freundschaft abkühlt, rechtzeitig losschlagen mufi, damlt man der Erste ist. Man soll im Kampf nie starr daran festhalten, wer der Verbündete und wer der Gegner ist. Das ist verharignisvoll, wie jede vorgefafite Meinung. VieUeicht ist mein wirkUcher naturgegebener Verbündeter Chreston und mein Feind Aaron? Das kann sich sozusagen im Verlauf der Geschafte jeden Augenblick heraussteUen I Es ist natürUch furchtbar, wenn man sich standig vor Entscheidungen von solcher Tragweite gesteUt sieht!" Mit Bitterkeit dachte er daran, dafi nur das Fehlen der Mitgift PoUys ihn auf den Weg getrieben hatte, den er dann mit so viel Sorgen gegangen war. In Gedanken betrachtete er eine imaginare PoUy im Eek der Zelle. SoUte er nicht aus ihr doch noch das grofie Geschaft herausholen können? Langsam begann sich in ihm ein neuer Plan zu formen. PoUy begleitete ihn mi tun ter, wenn er zum Untersuchungsrichter fuhr. „Das SchUmmste ist es," sagte er bei einer solchen Fahrt zu ihr, wahrend sie in dem wackUgen Zweispanner, zwei Polizisten im Nebencoupee, durch die nebUgen Strafien holperten, „dafi O'Hara nicht mehr richtig zieht. Er raumt Dreigroschenroman 19 trotz ausdrücklichen Befehls die Lager nicht. WeiBt Du, was er hat?" „Neln," sagte sie, ein wenig erschreckt. „Könntest Du ihn nicht ausholen?" fragte er, im Schein der mitunter hereinfallenden Lichtstreifen ihr Gesicht suchend. Jene andere Wagenfahrt mit ihr fiel ihm wieder ein. Der Gedanke war ihm unangenehm, da er an O'Hara dachte. Es war ihm auch unangenehm, daB sie auf seine Frage einfach nicht antwortete. Macheath hatte seine Zweifel an ihrer Treue. Er sagte sich nur immer wieder: „Sie ist ganz bestimmt treu, schon weil sie schwanger ist. So etwas würde sie nicht tun. Es ware zu hafittch und vor allem unklug. Ich home je bestimmt dahlnter und was könnte sie dann machen f Sie wird es also auch aus Klughelt nicht tun. Sie weifi, dafi ich sie zerschmettem, ja zerschmettem würde, wenn da das Allergeringste vorkome. Ich würde so welt gehen, sie eine Hure zu nennen. Was, würde ich sagen, ich sitze hier und du kannst keine drei Wochen warten ? Du bist eine Hure, nichts weiter! Sie müfite zusammenbrechen. Sage das nicht, würde sie heulen, das kann doch nicht sein, dafi ich so bin. Eine Hure bist du, würde ich sagen. Ein Kind unter dem Herzen und damit huren f Das ist das Letzte! Das macht keine Hafenhure! Mich schüttelt ja der physische Ekel, wenn ich an dich denke. Das alles müfite ste sich sagen lassen. Sowas rlsktert keine Frau. Es Ist ja wahr: Ich könnte es mir ja tatsachllch ganz im Ernst nicht gef allen lassen, wenn sie sich mit anderen Kerls elnllefie. Sie Ist als Weib doch wie Wachs in der Hand eines Mannes. Solch ein Akt, das ist doch ein Hef er Eindruck in die gesamte Psyche. Ste ware total unbrauchbar für mich nach sowas. Irgend ein Kerl könnte alles von ihr verlangen. Ste würde mich glatt ans Messer liefern. Und ich mufi mich doch auf sie verlassen können, gerade jetxt. Da ist es gut, dafi ich sie geschwangert habe. So kann sie nicht herumlaufen wie sie will. Sie kann es einfach nicht. Sie braucht mich körperltch. In diesem Zustand lafit das Weib keinen andern Mann an sich heran, schon aus biologischen Gründen. Die biologischen Grunde sind immer die besten!" Tatsachlich war sie in diesen Wochen sehr weich zu ihm und sprach nicht mehr von Fanny Crysler und der schwedischen Reise. Er liefi sie durch Father standig bewachen und bekampfte alle qualenden Gedanken, dafi der mit O'Hara, den er hauptsachlich verdachtigte, zusammenstecken könnte, da er Polly und O'Hara brauchte. Denn jetzt begann der Endkampf. Und er mufite seine Hauptschlage vom Gefangnis aus tun. Er war in mifilicher Lage, ohne Zweifel. Es war ihm ganz klar, dafi er alles Private ausschalten mufite, bis seine Geschafte geordnet waren. Er mufite Polly dazu verwenden, die National Deposit Bank vom Chreston-Konzern zu trennen. Knapp vor dem Gefangnis entwickelte er ihr rasch, was sie zu tun hatte. Sie sollte in die National Deposit Bank zu Miller gehen, einen Grufi von ihrem Vater ausrichten, dann etwas herumdrücken, als wolle sie mit der Sprache nicht heraus, dann in Tranen ausbrechen und den alten Mann fragen, was sie tun solle: ihr Mann wolle in der nachsten Zeit das Konto ihres Vaters, ihre Mitgift, bei der Bank abheben und es ganz und gar in sein Kleinladengeschaft stecken. Ihr Vater werde schon in den nachsten Tagen der Bank seinen Besuch abstatten. Man werde ihr voraussichtlich nahe legen, sie solle doch einfach ihren Vater beschwören, die Mitgift nicht herauszugeben. Darauf solle sie antworten, Ihr Vater sei in ihren Mann völlig vernarrt und weinend weggehen. Sie war sofort bereit, sodaB ér ihr, ein wenig gertthrt, sogar den Grund dieser MaBnahmen angab. Er entwickelte ihr, daB sich die Bank in diesem Falie wahrscheinUch sogleich mit ihm ins Benehmen setzen wttrde. Dann konnte er verlangen, dafi sie sich von Chreston etwas distanziere. Auf die Weise wttrde dann vermutUch Chreston gekrochen kommen. Der mufite durch den heftigen Konkurrenzkampf ohnedies schon ganz herunten sein. Die Art, wie Mac von seinen Geschaften sprach, machte PoUy einen tiefen Eindruck. Sie erkannte deutUch, dafi er dabei war, ihrer Beider Existenz aufzubauen. „Ich bin ihm keine gute Frau," dachte sie. ,JEr katnpft für mich, und ich treibe mich herum. Wenn es auch nur oberflachlich ist und nichts mit meinen tieferen Gefühlen zu tun hat, daB ich ab und zu mit anderen Mannern schlafe, weil ich nicht aushalten kann, wenn man mich in die Hand küfit und ich ihm auch nichts wegnehme, denn er flndet mich nachher ebenso reizend, und wenn es auch angenehm Ist, besonders mit O'Hara, und es niemanden etwas angeht, so ist es eben doch nicht recht und mit der Zeit wird man es mir noch ansehen, dafi ich sobm, das gibt dann diese schar/en Falten." Sie ging ergriffen weg und nahm sich selbst das Versprechen ab, sogleich mit O'Hara, an den sie ja schUeBUch nur sinnUche Bande knüpften, zu brechen, umso mehr, als er tatsachlich ln der letzten Zeit von Mac so schlecht gesprochen und Plane angedeutet hatte, sich selbstandig zu machen. Sie sagte es ihm am namlichen Abend in einem Restaurant, wo sie sich fttr gewöhnUch trafen. Er lachte und schlug vor, die geschaftlichen Sachen in seiner Wohnung zu erledigen; sie hatte wieder einige Unterschriften unter Kündigungen zu setzen. „Gut," sagte er, „machen wir SchluQ. Du bist völlig frei in Deinen Entschlüssen. Niemand kann Dich zu etwas zwingen, was Du nicht willst. Ich bin der Letzte, der eine Frau zur Liebe zwingt, davon verspreche ich mir nichts. Wenn das Geringste auftaucht, was dagegen spricht, unterlafit man es am besten sofort. Aber deswegen kannst Du doch mitkommen und die notwendige Arbeit erledigen. Was hat das mit unserem Ver haltnis zu tun? Können nicht zwei erwachsene Menschen in einem Raum sein, ohne übereinander herzufallen? Psychische und ethische Gründe sprechen dagegen, dafi wir sexuell verkehren, also werden wir nicht sexuell verkehren. Das ist ganz einfach. Soliten diese SpieBer mit ihrem trttben MiBtrauen und ihrem schmutzigen Verdacht etwa recht behalten? Wir sind zwei freie Menschen." Er konnte sehr gut reden und hatte ein Gymnasium besucht. Sie ging mit ihm und sie machten die Arbeit fertig. Dann schliefen sie zusammen, da zwar psychische und ethische Grunde dagegen, aber sexuelle Gründe dafür sprachen. Dennoch war es für lange Zeit ihr letzter Verkehr. Am nachsten Morgen ging der Pfirsich zu Miller in die National Deposit Bank. Sie sah frisch und ausgeruht aus und war in bester Verfassung. Sie hatte nach dem Sündenfall niemals Gewissensbisse, sondern immer nur vorher. Miller empfing sie in seinem Privatkontor. Sie bestelite einen Grufi von ihrem Vater, drückte etwas herum, als wolle sie mit der Sprache nicht heraus, brach dann in Tranen aus und sagte alles, was Mac ihr eingetrichtert hatte. „Mac," schluchzte sie, „ist so ehrgeizig. Er will immer der Oberste sein. Und da braucht er natürlich Geld und wieder Geld. Er unterstützt soviel Leute. Diese Swayer hat er auch unterstützt. Es war nur Gemelnheit von ihr, dafi sie ihn so verleumdete. Ich kann ihm auch gar nicht in den Arm f allen, wenn er nach meiner Mitgift greift, er ist so grofizügig." Miller war erschrockener, als sie erwartet hatte. Der alte Mann wurde ganz grauim Gesicht als er hörte, dafi Peachums Konto eingefordert werden sollte. Er stotterte etwas von Hawthorne und ging ins Nebenzimmer. Nach einer Viertelstunde ging sie weg, da er nicht zurückkam. Schon am Nachmittag safien die Anderthalb Jahrhunderte in Macs Zelle. Er trug seinen gewöhnlichen Anzug, liefi fttr sie Sttthle holen und bot ihnen Zigarren an. Die Zelle war kein ttbler Verhandlungsort. Der rote Teppich war allerdings nicht mehr da. Eine Zeitung hatte von dem Komfort berlchtet, den Grofikaufleute in Gefangnissen genossen. Darauf hatten zwei Polizisten den Teppich aufgerollt und fortgetragen. Aber das Bild der Königin war noch da. Brown blieb so entgegenkommend wie möglich. Er hatte seine Provision von Macheath stets pünktlich bekommen und war von Natur aus dankbar. Er war kein Politiker: er pflegte sich an Abmachungen zu halten. ,,Af on kann auch in Kerkermauern frei sein," sagte Macheath deshalb zu Hawthorne, sich befrledigt umschauend, „Freiheit ist etwas Geistiges. Wer sie hat, dem kann sie nie und nimmer genommen werden. Wie singt doch der Dichter t In Keften frei! Es gibt Leute, die sind es aufierhaib der Gefangnisse nicht. Man kann den Kor per in Fesseln legen, den Geist nicht. Der Gedanke ist frei!" „Meine Herren," begann Macheath schlieBlich die Unterredung, in seiner Zelle auf und ab gehend. „Sie sehen mich durch Ihren Besuch überrascht. Die Zufalle des Lebens, sein ewiges Auf und Ab, haben uns vor nicht zu langer Zeit auseinander gebracht. Wir trennten uns wie Gefahrten, die sich sagen: bis hierher sind wir zusammen gewandert, hier gehen unsere Wege ausein ander. Trauern wir nicht. Sagen wir frohgemut auf Wiedersehen! Sie gingen, wie ich hörte, zu Ghreston, ich wandte mich Aaron zu. Jeder von uns ging seinen Ge schaften nach, die dar in bestanden, dem Publikum immer dankenswertere Dienste zu erweisen. Habe ich recht?" Miller rausperte sich und Hawthorne, verfallen aussehend, griff den Faden auf. „Herr Macheath," sagte er leise, „Ihre Auffassung der Vorgange ehrt Sie. Manch einer hatte uns damals miBverstenen können. als wir nach reiflicher Erwagung uns für Chreston entschieden. Die National Deposit Bank gehort einem Kind. Wir sind seine Sachverwalter und können nicht der Stimme unserer Sympathien folgen, wie andere, selbstandigere Leute. Wir horen, Sie wollen gewisse Gelder, die Ihr Herr Schwiegervater unserem Ins tl tut anvertraut hat, abheben ?" „Ganz richtig." erwiderte Macheath, „ich benötige dieses Geld, um gewisse geschaftüche Operationen dxirchzuführen, die der Konkurrenz kampf meinen Laden aufzwingt." Hawthorne und Miller sahen sich an. „Ist es der Chreston-Konzern, der Urnen solche Operationen zur Pflicht macht?" fragte Hawthorne beinahe murmelnd. „VieUeicht," sagte Macheath. ..Das tut uns aber leid," sagte Hawthorne und Miller nickte. „Ich glaube es Ihnen," rimnte Macheath ein. Hawthorne war etwas betroffen. „Von einer höheren Warte aus, Herr Macheath," sagte er, „ist es fast natürlich, daB die leistungsfahigeren Unternehmungen die schwacheren auffressen. So ist es auch in der Natur. Ich brauche es Innen nicht zu sagen." „Nein," sagte Macheath. „Als Sie vor einiger Zeit wieder Verbindungen mit uns aufnahmen, glaubten wir den Augenblick gekommen, wo wir Ihnen unsere Hilfe anbieten konnten." Macheath freute sich. „Ich weiB. Sie verdoppelten Ihre Anstrengungen. Sie steckten schnell noch alles Geld hinein in Chreston, was da war und auch — was nicht da war." Macheath hielt inne. Er hatte den letzten Satz ganz lelcht hin gesagt, ohne nachzudenken. immerhin erwartete er jetzt einen Protest und plötzlich sah er zu seinem gröflten Erstaunen diesen Protest ausbleiben. Ein Bliek auf die Anderthalb Jahrhunderte und er wuBte alles. Sie hatten die Depotgelder angegriffen! In Macheath' Rede war kaum eine Stockung eingetreten, als er frohgemut wei ter fuhr: „Sie verkauften sozusagen Ihr letztes Hemd und leider auch das anderer Leute; ist es nicht so?" Hawthorne hatte den Kopf sinken lassen. Miller sah blind nach oben zum Guckloch ln der Zelle hinauf. „Was verlangen Sie?" brachte Hawthorne heiser hervor. „Alles," sagte Macheath vergnttgt. „Fast alles; also nicht viel. Ich mufi die Sache von ziemlich niederer Warte aus betrachten. Warten Sie, wir wollen sehen, was dabei herauskommt!" Er wahlte sich sorgfaltig eine der dicken, groBen Importen aus der Kiste, bifi die Spitze ab, blies durch, rollte das handliche dicke Ding zwischen den dicken Lippen und zündete es an. Es war ein schöner, gesegneter Augenblick seines Lebens, der viele weniger schone gutmachte. Eine blaue Wolke von Rauch kam aus seinem Munde. 196 „Warten Sie," sagte er, „Sie haben die Gelder meines Schwiegervaters veruntreut. Sie sind mit Ihren hundertfünfzig Jahren in den Tresor eingebrochen. Mit diesem Geld hat dann Ghreston es ausgehalten, seine Waren unter dem Preis zu verschleudern. Das sollte Aaron und meine B.-Laden kaputt machen. Also erst Raub und dann Mord. Auf der Landstrafie ist es umgekehrt. Da kommt zuerst der Mord. Allerdings wenn wir kaputt gewesen waren, hattet Ihr uns aufgefressen! Pful! Wirklich, Hawthorne, das ist zuviel Natur t" „Was verlangen Sie?" wiederholte Hawthorne und sah jetzt mit blauen, unerschrockenen Augen zu seinem Gegner auf. Das sind die ersten ehrlichen Leute, dachte Macheath, die ich je gesehen habe. Die einzigen. „Sehen Sie," sagte er langsam, „ich könnte ja viel verlangen, aber ich habe mich entschlossen, viel zu bieten. So bin ich. Ich werde Sie nicht vernichten, sondern unterstützen. Zu diesem Zwecke trete ich am besten in Ihre Bank ein, sagen wir als Geschaftsführender Direktor, und noch vorher machen wir folgendes: wir ziehen uns erst einmal von Ghreston zurück, da er, von höherer Warte aus betrachtet, der von Natur Schwachere ist. Das unsinnige und unsittliche Verschleudern mühsam erworbenen Gutes hört auf. Unser Geld verlangen wir zurück, sodafi er seine Schwache richtig fühlt. WahrscheinUch wird er dann Sehnsucht nach einer starken Führung bekommen. Ist das ein Vorschlag?" MUler war aufgestanden, Hawthorne betrachtete ihn von unten her. Miller warf einen kurzen und verwunderten BUck auf ihn, aber er bUeb nach wie vor sitzen. Das anderte viel für MiUer. Er begann zu altera. Sein Rücken krümmte sich, seine Zahne fielen aus, sein Haar wurde schutter, seine Weisheit nahm zu. „Es ist fttr die Firma," murmel te er, „wenn ich verzichte." „So ist es," sagte Macheath. Die Anderthalb Jahrhunderte gingen traurlg weg. Sie hatten versprochen, die Papiere vorzubereiten, die man zum Eintritt des Grofikaufmanns Macheath in die National Deposit Bank benötigte. AuBerdem wollten sie Chreston die Kredite kündigen. Einige Tage wartete Macheath auf Chreston, der unbedingt gekroenen kommen mufite, da er doch seine unmittelbar vor der Tttr stehende Werbewoche nicht ohne die Unterstützung seiner Bank durchführen konnte. Nach dem verscharften Konkurrenzkampf der letzten Wochen muBten seine Lager erschöpft sein. Aber Chreston meldete sich nicht bel Macheath. Start dessen spielten sich in der ZEG dunkle und undurch- sichtige Dinge ab. Nur wenige und ungenaue Berichte kamen vom Unteren Blacksmithsquare ins Untersuchungsgefangnis. O'Hara lieB sich immer noch nicht sehen. Macheath' Befehle wurden anscheinend überhaupt nicht beachtet. Auch PoUy konnte ihm nichts Genaues sagen. Sie ging immer wieder hin, wurde aber immer wieder hingehalten. O'Hara behauptete, Inventur zu machen. Sie wurde nur nie fertig. Als PoUy, nun selber recht beunruhigt, wieder einmal hingekommen war, sah sie, wie eben Kisten mit Waren auf Lastwagen fortgeschafft wurden; die Gftule überfuhren sie belnahe in dem dunklen, engen Hausgang. O'Hara war nicht anwesend und Grooch war sehr verlegen. Er konnte nicht sagen, wo die Kisten hinkamen. Polly ging aufgeregt helm. Sie war mit O'Hara schon langst vöilig zerstritten, da sie nicht dulden konnte, daB er Macs Interessen schadigte. Am nachsten Tag schimpfte sie über O'Hara bei Ihrem Mann los und schrie, er sei unehrlich, stehle die Waren, um sie heimlich zu verkaufen und habe auch schon versucht, von Ihr die Schlüssel herauszubekommen für die Einbruchswerkzeuge, er wolle anscheinend mit einem Teil der Jungens auf eigene Faust weiterarbeiten. Macheath beruhigte sie. Er bat sie, zu Miller zu gehen. Es schmeichelte Ihr sehr, dafi er sie so in seine Geschafte hereinzog. Sie kam in die Bank, als mache sie nur einen kleinen Abstecher von einem Spaziergang und schlenderte, wahrend Miller Bericht erstattete, die Hande mit dem Ridicul auf dem RUcken, im Zimmer umher und betrachtete die Stahlstiche an den Wanden. Sie erfuhr, Ghreston sei anfangs über die Kreditsperrung sehr erschrocken gewesen, nunmehr hoffe er aber, ohne weitere Kredite auszukommen. Er habe kürzlich gröfiere Posten zu erstaunlich niederen Preisen hereinbekommen und erwarte sich von seiner Werbewoche ein ansehnliches Geschaft. Macheath gefiel diese Nachricht nicht. In seinem Auftrag verlangte PoUy bei einem zweiten Besuch in der Bank, Miller soUe sich die so biUigen Lager persönlich ansehen, bevor er die Wechsel prolongiere. Auf diesem Rundgang wurde Miller von Fanny Crysler begleitet, die wieder naher heranzuziehen Macheath beschlossen hatte. Sie steilte fest, dafi die neuen Posten zu erstaunlich niederen Preisen, mit denen Chreston seine Werbewoche bestreiten wollte, aus den Bestanden des Unteren Blacksmlthsquare herrührten. Als sie Macheath in seiner ZeUe gegenüber saB, wagte sie kaum, es ihm zu sagen. Sie sprach so lange von anderen Dingen, bis er sie anschrie. Er begriff alles, bevor ihr erster Satz zu Ende gesprochen war. O'Hara hatte eine lukrative Art gefunden, die Lager zu raumen. Er hatte die Konkurrenz damit gefüttert. Macheath geriet in rasende Wut, „Das ist Verrat am Vorabend der Schlacht!" schtie er. „Und das, wahrend ich hier sitze, an Handen und FüBen gefesselti Und warum sitze ich hier? Warum dulde ich diesen schmutzigen Verdacht? Ein Wort von mir und ich könnte frei hier hinaus spazieren. Warum spreche ich es nicht aus? Weil Ich in mir eine Verpflichtung ftthle, dieses Geschaft durchzustehen und die Fahne nicht an den Feind auszuliefernt Weil ich an die Existenzen denke, die vernichtet wttrden, wenn ich sprache! Weil ich sage: Treue um Treue! Und dann behandelt man mich so! Was soll ich jetzt dem kleinen Mann der B.-Laden sagen, wenn er mich fragt, wohin ich ihn ftthre? Er steht in halbleeren Löchern, fttr welche die Miete fallig ist, ohne Waren, am Schaufenster noch die Ankündigung billiger Ausverkaufe, hinter sich eine hungernde Familie, ohne Rohmaterial in den Handen! Er steht trotzdem autrecht, unermüdlich im Kampf, voll von Hofmungen, vertrauend auf mich, begeistert fttr die grofie, gemeinsame Idee! Und solch ein Lump fallt uns in den Rttcken! Ich werde ihn zu Hackfleisch verarbeiten!" Er lief in seiner Zelle viele Kilometer ab. Aber am nachsten Morgen ergriff er dennoch keine MaBnahmen gegen O'Hara. „Es ist seine alte Unentschlossenhelt," sagte Fanny zu Grooch. „Schlimm, dafi er solch ein Stimmungsmensch ist. Wenn er menschlich enttauscht ist, ist er zu jeder klaren SteUungnahme woehenlang unfahig. Er gibt sich ganz seinem Weltschmerz hin. Erst dann richtet er sich wieder langsam an seiner Idee auf." „Hat er überhaupt eine Idee?" fragte Grooch zweifelnd. „Ich meine, wirkliche Plane, nicht nur Einfalle! Manchmal fürchte ich, wenn ihm einmal nichts Ausgefallenes mehr ein fall t, ist er einfach erledigt." „Man mufi an ihn glauben," sagte Fanny ruhlg. Die Transporte aus der Ridegasse gingen immer weiter. Macheath tat nichts, sie abzustoppen. Statt dessen setzte er eine Besprechung mit den beiden Anwalten im Aufsichtsrat der ZEG und Fanny an und bestand auf der energischen Ausführung der Beschlüsse vom 20. September, wonach die Schulden der B.-Laden an die ZEG sofort eingetrieben werden sollten. Anscheinend hatte er einen neuen Plan ausgedacht. Er bemühte sich, soviel bares Geld in die Hand zu bekommen, wie es irgend ging. Fanny Crysler half ihm dabei im Büro der ZEG. Sie hatte soziale Neigungen und die Verwandlung der B.-Laden-Organisation in einen Trümmerhaufen ging ihr sehr gegen den Strich. Aber sie wufite, dafi es jetzt um Sein oder Nichtsein ging. Sie prefite aus den kleinen Ladenbesitzern heraus, was sie konnte. Sie bemerkte erst sehr spat, was sie damit machte. Eines Abends kam sie müde von der Büroarbeit in der ZEG auf einen Sprung in ihren Antiquitatenladen. Obwohl es schon nach Geschaftsschlufi war, sah sie ihn heli erleuchtet. Im Laden standen einige Herren, darunter der Anwalt Rigger, herum. Ihre Vertretung legte eben die Bücher vor. Rigger teilte ihr trocken mit, dafi Herr Macheath den Laden zu verkauf en wünsche. Er schien erstaunt,- dafi ihr davon nichts bekannt war. Sie bekam einen Weinkrampf. Macheath hatte ln der Tat vergessen, es ihr mitzuteilen. Er war ihrer so sicher, daB es ihm nichts ausgemacht hatte, ihr nebenbei zu sagen, er benötige jetzt das Geld, das in dem Geschaft steckte. Es war eine seiner ergiebigsten Reserven. Leider hatte er noch am Nachmittag, wo sie bei ihm war, nicht ein Wort davon erwahnt. Sie ging vöüig verstört nach Haus. Als sie einige Tage lang nicht kam, auch auf Bestellungen nicht, schrieb ihr Macheath einen groben Brief. Er konnte sich natttrlich denken, was sie hatte, aber auch jetzt noch entschuldigte er sich nicht. Er hatte andere Sorgen. Es war ganz gut, wenn sie bei solchen Anlassen merkte, daB sie immer noch eine Angestellte war. Macheath begann eine groB angelegte Tatigkeit zu entfalten. Seine Haft hatte zwar wieder eine Verscharfung erfahren. Einige Tage lang meideten sich bei ihm allerhand Leute, die, wenn sie die Besuchserlaubnis erbielten, davon keinen Gebrauch machten und wieder im Wartezimmer umkehrten. Im „Spiegel" stand dann sensatJonell aufgemacht, wie viele Leute die Erlaubnis bekommen hatten. Brown mufite also die Besuche einschranken. Auf diese Weise gab Herr Peachum ab und zu ein Lebenszeichen von sich. Aber Macheath' geschaftüehe Operationen duldeten keine Schranken. Er bekam Zahnschmerzen und Brown erlaubte ihm, einen Zahnarzt aufzusuchen. Das Orómationszimmer hatte zwel Eingange. Wahrend die Polizisten auf dem Flur und im Wartezimmer wachten, empfing Macheath nicht wenige Leute, mit denen er dringend zu reden hatte. Auf dem Operationsstuhl sitzend, die Serviette um den Hals gehangt für den Fall, dafi ein Polizist hereinkam, unterhandelte er mit zahlreichen grinsenden Frauen und Madchen. Polly war ebenfails ln Behandlung. Sie saB an dem Schreibtisch des Zahnarztes, der inzwischen sein Frühstück verzehrte. In ein Bttchlein schrieb sie die Namen der Besucherinnen und den Geldbetrag, den Macheath ihnen überwies. Sie nahm das Geld aus einer kleinen Tasche, die sie mitgebracht hatte. Es war die Ausbeute aus den B.-Laden. Einige Gerichtsvollzieher hatten mitgesammelt. Die Frauen unterschrieben ihr eine kleine Quittung, bevor sie gingen. Sie lachten alle, auch Polly lachte. Die Sache war sehr lustig. Im „Spiegel" erschien dann allerdings wieder eine Schlagzeile: DIE HAIFISCHE DER CTTY LASSEN SICH IHRE ZAHNE REPARIEREN. Aber da war schon alles erledigt, was erledigt werden mufite. Macheath war sehr aufgeraumt. Er liefi Grooch vom Unteren Blacksmithsquare kommen und fragte ihn bei einer Zigarre — ttbrigens ebenfails beim Zahnarzt — aus, wieviele von den ZEG-Leuten seiner Schatzung nach ihr Gewerbe sart hatten. Er habe vor, ihnen eine Chance zu geben. Er brauche noch soundsoviele Leute, möglichst auch Frauen darunter, die an einem bestimmten Tag für ihn allerhand einkauften. Nahreres wurden sie noch erfahren. Wer sich dabei bewahre, könne darauf rechnen, einen B.-Laden zu besonders günstigen Bedingungen zu bekommen. Die ZEG werde ln absehbarer Zeit kaum noch Auftrage erteilen oder Artikel nicht ganz ehrlicher Herkunft abnehmen. In den Laden, denen ein grofier Aufstieg bevorstehe, könnten sie ein neues Leben beginnen, er wttrde sich freuen, so einige tüchtige Leute (andere interessierten ihn nicht) einer sozial wertvolleren Tatigkeit zuführen zu können. Dann hielt er dem aufhorchenden, verblüfften Grooch eine Rede: „Grooch," sagte er, „Sie sind ein alter Einbrecher. Ihr Beruf ist Etnbrechen. Ich denke nicht daran, zu sagen, dafi er seinem inner en Wesen nach veraltet ware. Das ware zu weit gegangen. / Nur der Form nach, Grooch, ist er zurückgeblieben. Sie sind kleiner Handwerker, damlt ist alles gesagt. Das ist ein unterge hender Stand, das werden Sie mir nicht bestreiten. Was Ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank ? Was, mein lieber Grooch ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes T Sehen Sie, noch vor ein paar Jahren haben wir eine ganze Strafte gestohlen, sie bestand aus Holzwürfeln, wir haben sie ausgestochen, auf geladen und weggeführt. Wir meinten wunder, was wir gelelstet hatten. In Wirklichkeit hatten wir uns unnötige Arbeit gemacht und uns ln Gefahr begeben. Kurz darauf hörte ich, dafi man sich nur als Stadtrat etwas um die Auftragsverteilung kümmern mufi. Dann bekommt man eine solche Strafte in Auftrag und hat mit dem Verdienst dabei, für eine zeitlang ausgesorgt, ohne etwas rlskiert zu haben. Ein anderes Mal verkaufte Ich ein Haus, das mir nicht gehorte; es stand gerade leer. Ich brachte ein Schild an: ,&u verkauf en, Erkundigungen bel XX". Das war ich. Klnkertttzchenl Wlrkttche Unmoral, namlich unnötige Bevorzugung ungesetzllcher Wege und Mittell Man braucht doch nur mit Irgendwelchem Geld eine Serie baufalliger EmfamiUenhauser aufzurichten, sie auf Abzahlung zu verkauf en und zu warten, bis den Kaufern das Geld aus geht! Dann haf man die Hauser doch auch, und das kann man mehrere Male machen. Vnd ohne dafi es die Pollzei etwas angeht! Nehmen Sie jetzt unser Geschaft: wir brechen bel Nacht und Nebel ein und holen uns aus den Laden die Waren, die wir verkauf en wollen. Wozu f Wenn die Laden verkrachen, weil ste su teuer arbeiten, können wir doch dut Ware auch so haben durch einfachen, gesetzlichen Kauf su einem Preis, der noch unter den Spesen eines Binbruchs liegt! Und wir haben, wenn Sie darauf Wert legen soUten, dann ebenso gestohlen, wie bel einem Einbruch; denn Was in den verkrachten Léden an Waren lagerte, war ja auch schon den Leuten weggenommen, die sie gemocht hotten und denen man gesagt hotte: Arbettskraft oder Leben! Man mufi legal arbeiten. Es ist ebenso guter Sport! Ich bin auch ebt paar Mal, von Belgien herüber, an ein paar Herren mit weichen Basen vorbei Ober die Laufplanken gegangen mit einer Lupusbinde quer aber die Nase geklebt — es verandert ja nichts so sehr die Physiognomle — aber was Ist das gegen das Spiel mit der ZEG T Eine Kinderei! Man benutst heute frtedltchere Methoden. Die grobe Gewalt hat ausgesplelt. Man schickt, wie gesagt, keine Mörder mehr aus, wenn man den Gerlchtsvollzleher schicken kann. Wir müssen aufbauen, nicht nlederreifien, das heifit, wir müssen beim Aufbauen den Schnitt machen." Mit zusammengekniffenen Augen maB er Grooch. Er hoffte, Fanny wieder zu versöhnen, wenn er ihn heranzog. „Ich habe daran gedacht," fuhr er fort, „die ganze Einkaufsgesellschaft aufzulösen und die Leute samt und sonders zu entlassen, auch Sie. Aber vieUeicht wird sich das Letztere umgehen lassen. Und, was die Andern betrifft, wieviele glauben Sie könnten soviel Kapital aufnehmen, um den einen oder den anderen der nun ja in gröBerem Umfang frei werdenden B.-Laden erwerben zu können? Machen Sie mir eine Liste! Ich denke, ich kann auf die Weise aus den Jungens auch noch etwas herausholen. Man braucht sie ja nicht gleich auf die StraBe zu werfen. Sie können übrigens Fanny fragen, wen sie fttr zuverlassig halt, sie hat ja ein Herz fttr die Jungens. Verstenen Sie, Grooch, ich will Dreigroschenroman 20 mich auf die andere Seite legen. Ich habe Sie kommen lassen, weil Sie anstellig sind; es gibt namlich auch Leute, die die Zeichen der Zeit nicht verstenen und über die das Rad der Geschichte füglich hinweggehen wird." Grooch hörte geduldig zu und bemühte sich sichtbar, die Zeichen der Zeit zu verstehen. Er murmelte dann auch etwas über O'Hara. „O'Hara?" sagte Macheath bedauernd. „Er hat immer den Kopf voll mit Welbergescbichten! Ich bin sicher, seine Belege fttr die Herkunft der Waren sind nicht so in Ordnung, wie sie sein sollten. Eines schönen Tages fragt ihn die Polizei danach und was dann?" Er wurde einig mit Grooch. In den folgenden Jahren verwaltete Grooch den Einkauf fttr die Laden im sttdlichen London mit Vorsicht und Ehrlichkeit. Chrestons Werbewoche An einem heiteren Herbsttag eröffnete Chreston seine Werbewoche mit Einheitspreisen. Schon früh sieben Uhr, zwei Stunden vor Beginn, lagerte vor den eisernen Schutzgittern der einzelnen Geschafte eine Menge von Kaufern. Nichts an ihnen war auf fallig, höchstens die verhaltnismaBig groBe Anzahl von Mannern. Zur Eröffnung waren die Herren Hawthorne und Miller von der National Deposit Bank erschienen. Sie warteten zusammen mit Chreston, einem dttrren, drahtigen, langen Mann, im Büro des Hauptgeschattes. Die alten Leute waren hochgradig nervös. Chreston bewahrte völlige Ruhe. Seine Vorbereitungen waren sehr sorgfaltig gewesen. Die Ange- steilten hatten bis spat in die Nacht hinein gearbeitet, um die Umstellung auf vier Preiskategorien zu bewerkstelligen. Schlag neun Uhr wurden die Türen geöffnet und das Publikum drang ein. Von allem Anfang an kam es in allen Chreston- Geschaften gleichzeitig zu höchst merkwürdigen und unliebsamen Vorfallen. Das Publikum benahm sich ungewöhnlich. Kaum hereingelassen, begann es, wie rasend zu kaufen. Niemand wahlte. Das Kaufen begann an den nachstgelegenen Tischen und pflanzte sich auf die weitergelegenen fort. Die Leute rafften, ohne viel auszusuchen, grofie Mengen von ArtJkeln glelcher Art an sich, verstouten sie in Handtaschen oder gar Sacken, bezahlten mit ziemlich hohen Geldscheinen und entfernten sich eilig, um schon nach wenigen Minuten wiederzukommen. Chreston bemerkte sehr bald, was vor sich ging. Das waren keine naturlichen Kaufer, nicht jene mifitrauischen, wahlerlschen, feindiichen Mitmenschen, die lange wantten, bevor sie sich ewig banden. Sie gebrauchten rücksichtslos die Ellbögen, verdrangten wahlerische Kaufer brutol von den Tischen und ttbten ein wahres Schreckensregiment aus. Die Verkaufer, an diesem Tage beteiligt an den Umsatzen, was eine Neuerung bedeutete, bemühten sich schweifitriefend, der Nachtrage zu genügen. Die Artikel wurden ihnen mit Flüchen aus den Handen gerissen. Nur an den Kassen war dieses Publikum genau. Es bestand auf gestempelten Zetteln, die den Artikelpreis quittierten. Chreston liefi die Polizei holen. Sie kam und ttberzeugte sich von der aufierst regen Nachfrage des Publikums, steilte auch eine Reihe ihr bekannter, anrüchiger Elemente fest, konnte aber auf Grund des Tatbestandes nicht einschreiten. Das Publikum konnte nicht mit dem Gummiknuppel ab- gehalten werden, in einem Laden gegen Bargeld Kaufe zu tatigen. Vorübergehend schlofi Chreston, der inzwischen auch in seine anderen Laden gefahren war und dort das gleiche Bild gesehen hatte, die Turen fttr ein paar Stunden. Als ihn aber die Reporter der Zeitungen deshalb zur Rede steilten, machte er wieder auf. Vormittags und nachmittags bis gegen Abend buchten PoUy und Grooch in einer kiemen Schankwirtschaft die Notes der emgekauften Bestande. Sie waren sehr betrachtlich. Chreston las am Abend in der Presse, dafi seine Werbewoche ein stttrmischer Erfolg gewesen sei und daB das PubUkum die umfangreichen Lager an einem einzigen Tage ausgekauft habe. Tats&chüch sah es in seinen Raumen wie nach einer wttsten Schlacht aus. Ein riesiger Holzmttckenschwarm schien aUes ratzekahl gefressen zu haben. Er konnte sich diesen Streich der Konkurrenz nicht erklaren. Gegen Abend, wahrend auf Handkarren und Lastfuhrwerken die gekauften Artikel einigen der Schuppen am Unteren Blacksmithsquare zuroUten, empfing Macheath O'Hara bei sich in der ZeUe. „Ich Uebe Selbstandigkelt und Initiative," sagte er ihm rubig. „Es war eine ausgezeichnete Idee von Dir, das schwer verkaufbare Zeug Chreston anzubieten. Wir hatten es niemals losgekriegt so ganz ohne Belege. Jetzt haben wir die Belege. Ich habe es namUch wieder retourkaufen lassen. Wo ist das Geld?" O'Hara war ttberrascht. Er machte nicht viele Ausflüchte. Er hatte von Chreston Wechsel bekommen, die lieferte er an Macheath ab. Belege ttber die Herkunft der Waren hatte Chreston weder empfangen noch verlangt. O'Hara machte keinerlei Versuche, die Angelegenheit weiter zu klaren, als Macheath' kleine Rede sie geklart hatte. Er war abhangig von Macheath und dieser war abhangig von ihm. ZufaUig hatte Macheath angefangen, von der Sache zu reden, vieUeicht ware sonst O'Hara darauf zu reden gekommen. Niemand konnte das GegenteU beweisen. Es ware hafilich gewesen, etwas anderes zu vermuten. Wirkiich, es ware sehr hafilich gewesen. Als O'Hara gegangen war — er bUeb aber noch etwas sitzen, allerdings schweigend — Uefi Macheath Brown zu sich bitten. Sie tranken Grog und rauchten. Macheath saB zusammengekauert auf seiner Pritsche und hob mit der. Fufispitze den Teppich hoch, den Brown wieder hatte hereinschaffen lassen. Er tand schwer einen Anfang. Dann holte er weit aus. „Erinnerst Du Dich noch an das, was Du mir diesen Sommer sagtest, als wir ttber die Liverpooler Werkzeuge sprachen? Du wiesest mir einen Weg. Seitdem habe ich Dich immer besser begriffen. Ich mufi mich von den Resten meiner Vergangenheit frei machen; das wird mir immer klarer. Wenn ich nachts ohne Schlaf Uege, denke ich an Deine Worte und kampfe gegen mein schlechteres Selbst." Er machte eine stimmungsvolle Pause. Brown sah ziemUcL erschrocken aus. „Vergifi nicht, dafi ich Dir auch mit einigem Geld ausgeholfen habe, das noch nicht herinnen ist," sagte er unruhig. „Ich wollte," antwortete Macheath schmerzUch berührt, „wir redeten jetzt nicht ttber Geld, Brown. Es ist dir sicher, so wahr ich Macheath heifie." „Und ich wollte, Du Uefiest diese Scherze, Mac!" argerte sich Brown. Macheath fuhr ungerührt fort: „Ich eirinnere mich an Deine damaiigen Worte, als hattest Du sie gestern gesprochen. Du mufit dich dieses O'Hara entledigen, sagtest Dü. Du mufit in andere Umgebung kommen. Du Uefiest mir Zeit dazu. Nun, ich bin so weit." Er sah Brown streng und ernst an. „In meiner Einkaufsgesellschaft sind UnregelmaBigkeiten vorgekommen. Der Verdacht richtet sich gegen meinen Mann O'Hara, Du kennst ihn." „Hat man Dich hoch genommen?" „Nein, nicht direkt. Aber die Waren, die an meine Laden und zuletzt auch an den Aaronkonzern geliefert wurden, sind anscheinend recht dunkier Herkunft. Es fehlen eine ganze Reihe von Belegen. Ich mufi die Sache untersuchen lassen, sonst führt Aaron die Untersuchung und dann richtet sie sich gegen mich. Verstehst Du?" „Ich verstehe. Aber dieser O'Hara ist ein ttbler Kunde. Er wird Dich kaum aus der Sache lassen." „VieUeicht doch," sagte Macheath traumerisch, „vieUeicht lafit er mich doch aus dem Spiel. Für einige Sachen hat er ja Belege. Nur nicht fttr alle. Und die er hat, sind in der ZEG aufgehoben. Dort bat sie Fanny unter sich." „Ach so," murmelte Brown. „Ja," sagte Macheath befriedigt. „Und was soU ich bei der Angelegenheit?" fragte Brown beruhigter. „VieUeicht findest Du noch was anderes heraus ttber ihn. Es müfite etwas sein, was man aufnehmen und auch tallen lassen kann, je nachdem er Vermin ft zeigt oder nicht." „Das ginge natttrUch," sagte Brown, „ich mag Verrater auch nicht." „Auch sein Lebenswandel Ist so ekelerregend," fügte Macheath noch hinzu. „Ich habe lange zugesehen, wie er es mit den Weibern trieb. Immer wieder habe ich ihm seine Verdienste zu gut gehalten. Ich konnte nie in seinem Hause verkehren. Aber jetzt ist meine Geduld erschöpft." Sie saBen noch eine Weile und rauchten. Dann ging Brown. Macheath ging langsam schlafen. Er hatte Sorgen. XII Wo ein Fohlen ersoffen ist, da war Wasser. (Altes Sprichwort) Hat Herr Macheath Mary Swayer ani dem Gewissen Die Swayergeschichte fing an, Macheath mehr und mehr Kopfzerbrechen zu machen. Peachums Anwalt WaUey hatte eine Versammlung aller B.-Laden-Besitzer zusammengetrommelt. Sie waren in dem Hinterraum eines Restaurants vierter Güte zusammengehockt und hatten Unheil gebrütet. Der ProzeB hatte die Zustande in den B.-Laden vor aller öffentlichkeit aufgedeckt. Der dicke WaUey rief zur Grttndung eines Vereins geschaoigter Klelngewerbetreibender auf. Er berichtete, der des Mordes verdachtige GroBhandler wohne in einem fttrstUchen Raum des Untersuchungsgefangnisses mit Perserteppichen. Ein langer, schwindsüchtiger Schuster wies auf die sonderbare „Freundschaft" des GroBhandlers mit der Ermordeten hin und forderte empört eine Untersuchung der Beziehungen zwischen Arbeitgeber und weiblichen AngesteUten. Hier, rief er aus, werden Machtstellungen mlBbraucht! Einige Besonnenere mahnten zur MaBigung. Eine alte Frau schlug vor, alle Abrechnungen mit Herrn Macheath bis zum Urteil aufzuschieben und zu versuchen, die Oktobermieten auf ihn abzuwalzen. Sie land nur einen einzigen Anhanger, der die MaBnahme für gut befand, weil sie „Herrn Macheath zeigen würde, daB wir das Vertrauen zu ihm verloren haben.** Die Vertreter der besonneneren Richtung ge wannen aber rasch die Oberhand. Man faBte den EntschluB, wirtschaftliche Dinge aus dem Spiel zu lassen, da sie mit der Sache nichts zu tun hatten und nur die hohen, sittlichen Standpunkte der Anwesenden schadigten. Der EntschluB wurde eimtirnmig gefaBt. Auch die alte Frau stimmte ihm zu. Es wurde also von WTrtschaftlichen Dingen nicht mehr gesprochen. Die kleinen Leute lieben es sehr, ihren Zusammenbruch von hoher Warte aus zu betrachten. Man beschloB einzig und allein, zu protestieren gegen die Schutzlosigkeit der Kleingewerbetreibenden und rücksichtslos es Eingreifen gegen den Mörder zu fordern „gleichgülrjg, welchem Stande er angehöre." Trotzdem war die Wirkung dieser Versammlung für Macheath ungünstjg. Die Stimmung gegen ihn wuchs allgemein. In den Zeitungen wurden Bilder von den hinterbliebenen Kindern verö f fentlicht. Auf einem der Fotos sah man die Schaufensteraufschrift „Dieser Laden wird von einer Kriegersfrau geführt." Das Tollste leistete sich Peachum, indem er vor eine Reihe von B.-Laden Bettler aufstellte, verhungerte Individuen, die Schilder um den Hals trugen mit der Aufschrift: „Wenn Sie hier kaufen, kaufen Sie in meinem Laden." Die Besitzer der Laden taten nichts dagegen und die Zeitungen fotografierten auch das. Sie steilten im Sperrdruck die Frage auf: HAT MACHEATH DIE SWAYER UMS LEBEN GEBRACHT? Dabei mufite Macheath erreichen, dafi das Verfahren niedergeschlagen wurde, ohne dafi er sein Alibi preiszugeben brauchte. Es hing alles davon ab, dafi ein Selbstmord der Swayer glaubhaft gemacht werden konnte. Er hatte die Anderthalb Jahrhunderte auf die Kniee gezwungen und er hatte Material gegen Ghreston. Aber die Formalitaten für seinen Eintritt in die Bank brauchten Zeit und das Material gegen Ghreston konnte er erst voll auswerten, wenn er im Dlrektorium der Bank safi. Die Preisgabe des AUbis aber konnte nur noch vermieden werden, wenn ein Selbstmord der Swayer glaubhaft gemacht werden konnte. Andererseits warf ein Selbstmord ein sehr düsteres Licht auf die Laden. In der Nacht vor der Untersuchung durch die Grand Jury kam Brown und teilte Macheath niedergeschlagen mit, dafi die Schauerleute, die Mary kurz vor ihrem Tod am Wasser alle in gesehen hatten, wie vom Erdboden verschluckt seien. Brown hatte alles aufgeboten, sie ausfindig zu machen. Irgend jemand mufite sie entfernt haben. WaUey hatte dem PoUzeichef grinsend gesagt, die Beiden hatten eben vor der PoUzei falsch ausgesagt und fürchteten jetzt, schwören zu müssen. Macheath konnte sich also ausrechnen, wer die Zeugen weggeschafft hatte. WahrscheinUch wohnten sie im gleichen Hotel wie Fewkoombey. „Ach," sagte er zu Brown, der ihm unglückUch zuhörte, „was nützt Deine Treue, wo et doch ouft Können onkommtt Du erinnerst mich an den tuten, alten Skilier, der auch immer den betten Willen hatte und doch seiner Lebtag keinen Menschen umlegte, weil ihm eben die Fahigkeiten fehlten. Er war bereit, jedem Feind die Knochen im Leib einseln xu Brei xu xerschlagen, nur erkannte er seine Feinde niemals, bevor es xu spat war; und ihn schreckten nicht vier Banknachtwachter, aber er liefi leider die Einbruchswerkzeuge zu Hause liegen! Du bist much so; Du zögerst im Gedenken an unsere gemeinsame Soldatenzeit keine Minute, meine belastenden Akten in einem Of en xu ver heizen. Aber ich bin leider nicht sicher, ob Du nicht ein paar Seiten vergifit! Das sind grofie Schwachen, Freddy! Ihr Beamte seid dem Staat und auf die es bn Staat ankommt, sicher er geben, aber es ist ein Vnglück, dafi sich zum Staatsdienst gewöhnlich nur drangt, wer nicht ganz die Fahigkeiten hat, auf dem off enen Arbeitsmarkt seinen Posten xu verteidigen! Dadurch bekommt man alle diese Richter xum Beispiel herein, die von der besten Gesinnung beseelt sind, denen es aber ein wenig an Verstand fehlt. Sie sind durchaus bereit, die Gesetze mit der grbfiten Strenge gegen die Habenichtse und Kommunisten anzuwenden, aber es gelingt ihnen nur seiten, sie richtig hereinzulegen, ihnen ordentlich das Wort abzuschneiden, kurz, ihnen einen Strick xu drehen! Ander erseits sehen sie sehr wohl, dafi der und jener Angeklagte xu ihren Kr eis en gehort, sympathiseer en auch mit ihm, aber aus reiner Vnfahigkeit, das Gesetz richtig anzuwenden und so auszulegen, wie es gemeint ist, oft nur aus pedantischem, denkfaulem Buchstabenglouben, sind sie ganz aufierstande, den Mann herauszuhauen oder, wenn sie ihn heraushauen, dann sieht danach durch ihr Ungeschick unsere Gerichtsmaschinerie ganz und gar verbogen und beschadigt aus. Dabei ist diese Maschine ausgezeichnet, absohit zweckdienlich und mufi nur verstandig und logisch in Betrieb gesetzt werden, dann krümmt sie keinem von uns ein Haar. Um uns er einen unbelastigt zu lassen, braucht es keine Rechtsbeugung, die Rechtsanwendung genügt dazu vollkommen! Oh Freddy, Du bist hochanstandig zu mir, ich weifi es, aber Du bist nicht sehr fahig!" Sie safien lange auf in dieser Nacht und frischten manche schone Erinnerung an gemeinsame Taten auf. Erst bevor er wegging, getraute sich Brown seinem Freund zu gestehen, daB sogar seine AngesteUte Fanny Crysler ihn vor dem Richter belasten werde. Sie hatte in der Voruntersuchung die Unterredung zwischen Macheath und Mary in ihrem Laden zugegeben. Die Sitzung der Grand Jury fand in einem freundlichen, hellen Raum statt. Der Richter war ein kleiner, dürrer Herr mit groBen, blauen Augen, der sehr gut zu dem hellen, sonnigen Zimmer mit den weiBen Gardinen und gekalkten Wanden paBte. Die Aussagen des Gerichtsarztes und der Kriminalbeamten nahmen nicht viel Zeit ln Anspruch. Die Verhandlung wandte sich rasch Macheath zu, der unter dem dringenden Verdacht stand, die Kleingewerbetreibende Swayer ermordet zu haben. WaUey, von Peachum bezahlt, vertrat als Nebenklager die Kinder der Swayer. Macheath wurde von Rigger und Withe verteldigt. Als seinen Beruf gab er GroBkaufmann an. Macheath machte einen kleinen Fehler, als er nach seinen Vorstrafen gefragt wurde. Er hatte nicht das Geftthl, daB er irgendje bestraft worden sei, und sagte: „Keine." WaUey hakte sofort ein. „Sind Sie nicht vor drei Jahren mit einer BuBe von einem Pfund belegt worden, Angeklagter?" „Ich kann mich nicht erinnern," sagte Macheath, unangenehm bertthrt. „So. Sie können sich nicht erinnern. Sie können sich nicht erinnern, daB Sie die PoUzeistunde ttbertreten haben? Sie haben sie ttbertreten, aber Sie können sich nicht erinnern. Lassen Sie also mich Ihnen sagen: Sie sind vorbestraft," Rigger lachte bissig auf. „Also vorbestraft wegen Übertretung der Polizeistunde! Das wird auch die einzige Strafe sein, die Sie je bekommen werden, Macheath P* Walley stand schon wieder: „Es handelt sich nicht um die Art des Yergehens sondern um die merkwürdige Tatsache, dafi der Angeklagte dasselbe und die Strafe dafür zu verbergen versucht. Gerade die Geringfügigkeit der ganzen Sache beweist, dafi dem Macheath das Verbergen solcher Dinge, die ihn vor der öffentlichkeit blofistellen können, zur zweiten Natur geworden ist. Die Verhandlung wird dazu noch manches liefern.'* Rigger verwahrte sich gegen diese Beeinflussung des Gerichtshofes, aber Withe zog ihn am Armel zurück. Er war ein dicker Mann und hatte seine eigene Theorie über die Verteidigung, über die er sich mit Rigger nicht hatte einigen können. Er wollte auf Selbstmord der Swayer pladieren, Rigger auf Mord durch unbekannte Tater. Mit dem Alibi wollte man auf keinen Fall herausrücken. Leider schien Walley, wie schon der Auftakt zeigte, den Auftrag zu haben, den Prozefi mit aller Scharfe zu führen. Die beiden Schauerleute, die eine Frauensperson allein gegen neun Uhr abends dem Kai zu hatten gehen sehen, fehlten selbstverstandlich, aber die Bettler, die den Angeklagten diesen Weg mit der Toten hatten gehen sehen, waren zur Stelle. Einer von ihnen, ein alter Kerl namens Stone, sagte folgendermaflen aus: „Ich erinnere mich ganz genau an den Mann, der in Begleitung des Madchens war. Es ist schon der, der da drüben sitzt. Wir schauen uns unsere Leute an. Der da gehort zu denen, die sich die Taschen dreimal umdrehen, bevor sie einen Penny herausrücken. Sie tuns überhaupt nur, 317 wenn Damen dabei sind. Er suchte so lange herum nach 'ner Münze, die klein genug war, daB ich ihm sagte: vieUeicht fahren Sie lieber erst nach Hause und drehen da alles von unten nach oben. Ist doch möglich, daB d a wo ein halber Penny, der falsch ist, hintern Diwan gerutscht ist, Herr! Ich erinnere mich noch wie an gestern, daB ich das gesagt habe, er schien nur ganz dicke Marie in der Tasche zu haben, der Herr. Dann wurde es aber doch noch ein Penny." Der Saai lachte. Rigger zog ein Zeitungsblatt aus seiner Aktentasche und gab es den Geschworenen hinüber. Es war die Fotografie der Schaufensterscheibe mit der Aufschrift, der zufolge Angehörigen von Kriegsteilnehmern in den B.-Laden Rabatt gewahrt wurde. „Diese Fotografie ist von unseren Gegnern veröffentlicht," sagte Rigger argerlich, „ich frage Sie: handelt so ein Mann, dem soziales Geftthl abgeht?" Walley behlelt sich vor, das soziale Gefühl des Herrn Macheath spater noch zu beleuchten und steilte zur Sache nur fest, daB Herr Stone jedenfalls an dem erwahnten kleinen Zug den Angeklagten wieder erkenne. Selbstverstandllch sei dieser juridisch berechtigt, als MiUionar Bettlern auch Hosenknöpfe zu schenken, gleichgültig sei vieUeicht nur nicht, wo er sie hernahme. - Das war der erste Schlag gegen Macheath' Geschaftsme- thoden und dieser wurde sehr unruhig. Er sagte scharf: Knópfe wttrden in Fabriken hergestellt. Die Frage, sagte Walley abwinkend, sei, ob die Hersteller auch den vollen Preis dafttr erhielten. Jetzt sprang Rigger auf und fragte, ob der Gerichtshof kommunistische Propaganda dulden woUe. Der Richter beruhigte die Parteien. Wesentlich von der Aussage des Zeugen sei nur, daB er den Angeklagten als den Herrn wieder erkenne, der am Mordabend am Kai die Swayer begleitete. Rigger versprach, auf den Zeugen zurückzukommen und erinnerte, seiner Aussage stehe die der Schauerleute entgegen. Er rief den Krimmalkommissar auf, der die beiden abwesenden Schauerleute verhort hatte. Sie hatten tatsachlich von einer Frau allein gesprochen. „Welcher Frau?" wollte Walley wissen. Der Kommissar gestand: eine Fotografie der Ermordeten war den Schauerleuten nicht gezeigt worden. Walley erhob sich triumphierend. „Famose Zeugen!" krab te er. „Sie haben irgendeine Frau in den Docks allein gehen sehen! Als ob es da nicht mehr als eine gabe!" Aus dem Zeugenzimmer trat auf seinen Wink eine Person, die deutlich den untersten Standen angehörte. Sie sagte aus, sie sei Prostituierte, ihre Gegend seien die Docks. An jenem Samstagabend sei sie an den Kais auf den Strich gegangen. Sie habe keinen Freier gefunden. Es sei keine gute Gegend. Sie selbst arbeite dort nur, weil die Hafenanlagen scbiecht beleuchtet seien und sie eine Gesichtsrose habe. Rigger fragte sie, ob die Gegend nicht sehr unsicher sei fttr einzelne Frauen der dort haufigen schlechten Elemente wegen. Sie sagte: „Für uns nicht." „Die Frauen dort," erklarte Walley, „tragen keine Reichtümer mit sich." Es gabe auch Lustmörder, beharrte Rigger. „Die gibt es fttr uns überalL" sagte die Zeugin unberührt. Wie es mit dem Konkurrenzkampf der Prostituierten sei, wollte Rigger wissen. Ob nicht ein groBer HaB der Madchen gegeneinander der Freier wegen bestehe? SchlieBlich seien doch die Manner dort, was für dunkle Absichten sie immer hatten, für die M&dchen Geschaftsobjekte. „Wir haben unsere Reviere," sagte die Zeugin. „AuBerdem haben Sie doch auch Beschützer?'' „Ich nicht." „Warum nicht?" „Weil ich zu wenig bringe." „Ach was, Kleinvieh gibt auch Mist. Reden Sie uns doch nichts vor hier. Und die Beschützer sind nicht nur gegen die Kunden da, sondern auch gegen die andern Prostituierten, die ln f remden „Revier" tischen, oder ist es nicht so?" „VieUeicht," sagte die Zeugin. „Ich steUe das fest," erklarte Rigger geschwoUen den Geschworenen, „weil ich es für mögUch halte, daB die Swayer auf eine Art ums Leben kam, wie sie aus den Aussagen der Zeugin herausgelesen werden kann." Withe flel ihm in den Rücken: „Wir wissen doch," murmelte er über seinen Akten, „wie die Swayer ums Leben kam. Lassen Sie das doch!" Die Zeugin wurde entlassen. Jedermann muBte zugeben, dafi sie ganz gut „die Frau allein" sein konnte, die von den Schauerleuten gesehen worden war. Und dann konnte die Swayer von Macheath begleitet worden sein, wie es die Bettler gesehen haben wollten. Unter lebhafter Erregung der Presseleute wurde von WaUey Fewkoombey aufgerufen, der seit seiner ersten Aussage verschwunden gewesen war. Rigger fragte ihn sogleich, wo er gesteckt habe. WaUey antwortete für ihn: „Er war unter besonderer Obhut. Wir wollten nicht, daB ihm etwas geschieht. Immerhin ist ja auch Frau Swayer etwas geschehen." Fewkoombey sagte in ruhigem Ton ttber seine Erlebnisse mit der Toten aus. Macheath hatte sie bestellt, sie hatte ihn erwartet, als er, Fewkoombey, von ihr wegging. Sie wollte ihn wohl veranlassen, ihr finanziell auszuhelfen; wahrscheinUch wollte sie ihm auch drohen, da sie wohl etwas von ihm wufite. Rigger stand auf. „Fürchtete Frau Swayer den Angeklagten?" „Was heifit das?" „Ob sie fürchtete, es könne ihr etwas von ihm passieren, zum Beispiel ein Stofi ins Wasser?" „Doch wohl kaum, sonst hatte sie sich nicht mit ihm dort unten getroffen." „Sehr richtig, Fewkoombey. Sonst hatte sie sich nicht mit ihm getroffen. Sie sagte also nichts von Furcht?" „Neln." Jetzt erhob sich der dicke Withe. Mit seiner hohen Kopfstimme fragte er, ob Frau Swayer denn gar nichts fürchtete von Herrn Macheath? Ob sie nicht zum Beispiel gewisse geschaftliche Mafinahmen gegen sich von ihm fürchtete ? Der ehemaUge Soldat zögerte mit der Antwort. Dann sagte er ruhig: „Sie meinte allerdings, er würde geschaftlich auf sie keine besondere Rücksicht nehmen. Insofern fürchtete sie ihn." „Ganz richtig," sagte Withe und setzte sich mit Aplomb. Walley hatte feixend zugehört. Jetzt sagte er: „Nicht wahr, es gibt noch ein Drittes. Ihr Wunsch, geldUche Unterstützung zu bekommen, ihre Bedürftigkeit kann noch gröfier gewesen sein als ihre Furcht, dabei körperUch etwas zu riskieren! Sie haben ja vorhin gehort, wie wenig zum Dreigroschenroman 21 Beispiel die StraBenmadchen auf ihre eigene Furcht vor Anschlagen schlimmster Art Rücksicht nehmen können! Ich stehe hier als Beauftragter zweier Walsen, meine Herren. Wir wollen Herrn Fewkoombeys Aussage entnehmen, daB diese Mutter keine Furcht verriet, als es galt, ihren Kindern Nahrung zu verschaffen." Dann bestatigte Macheath auf Befragen, daB der Zettel, auf dem er die Swayer bestelite, von ihm herrühre. Die Schrift der Swayer zu kennen, leugnete er. Er kannte sie wirklich nicht; sonst hatte er die Schreiberin jenes Briefes ttber das „Messer", den er so lange mit sich herumgetragen hatte, rechtzeitig erkannt. Der Vorsitzende machte eine Mittagspause. Polly ging zu ihrem Mann in ein Zimmer, wo aufier ihm nur noch die Anwalte waren. Sie stritten in einer Ecke ttber die Methode der Verteidigung. Mac und PoUy afien ein Sandwich. Er war ttber das Verfabren sehr niedergeschlagen. Er fragte unter anderen, was WaUey mit der dummen Bemerkung gemeint hatte: die Frage sei, ob die Hersteller auch den vollen Preis erhielten. „Das ist doch unglaubUch unverschamt," sagte Mac, „er meinte natttrlich damlt, daB meine Waren gestohlen sind. Angenommen, ich verkaufe Knöpfe. Angenommen, ich kaufe sie zuvor, zum Beispiel von verkrachten Kleinfirmen. Im Effekt ist es das gleiche, wie wenn ich sie stehlen wttrde; es wird eben nicht der voUe Preis gezahlt. Und wenn ich den Kleinfirmen den vollen Preis bezahle! Die Hersteller sind sie auch nicht. Den HersteUern, das heiBt den Knopfmachern, sind die Knöpfe gestohlen, auch wenn sie für ihre Arbeit bezahlt wurden. Sie bekommen natttrlich nicht den vollen Preis. Wo soUte da der Profit herkommen? Ich muB sagen, ich drehe die Hand nicht herum zwischen Stehlen und „Kaufen". Das wird mir dieser Walley bezahlen; das ist eine Schadigung!" Polly gab ihm recht. Sie war in der Zwischenzeit noch hübscher geworden. Sie hatte den ganzen Sommer ttber viel geschwommen und im Sonnenbad gelegen, natttrlich an geschützten Stellen, ihres Zustandes wegen. Ihre Arme waren noch lelcht gebraunt, aber ttber den Ellbögen weiB, das sah man, wenn die losen, kurzen Armel ihrer Bluse zurückfielen. Es wirkte sehr reizvoll; sie wufite es. Die Verhandlung wurde auf Wunsch Walleys mit der Vernehmung der Fanny Crysler fortgesetzt. Sie hatte Schatten unter den Augen und war nervös. Der Verlust ihres Antiquitatenladens hatte ihr sehr zugesetzt. Sie sagte nur aus, daB die Verstorbene Herrn Macheath um ein Darlehn angegangen habe auf Grund von früheren freundschaftlichen Beziehungen. „Sie drohte aber doch damlt, daB sie etwas ttber den Angeklagten wisse?" „Sie meinte wohl, die Umstande ihrer Verheiratung," antwortete die Zeugin schnell, „dabei hatte Herr Macheath eine Rolle gespielt, an die er vieUeicht nicht öffentUch erinnert sein wollte." „Was wissen Sie ttber das „Messer"?" fragte WaUey plötzlich. Sie erbleichte sichtUch unter ihrem Schieter. „Nichts," sagte sie mühsam. „Nur, was in den Zeitungen steht." „Sie hat aber dem Angeklagten gedroht mit Enthüllungen und dabei vom „Messer" gesprochen." Fanny hatte sich wieder gefafit. Sie sagte gleichgültig: „Das weifi ich nicht mehr. Sie hat viel Unsinn geredet, da sie sehr aufgeregt war und sich für zurttckgesetzt hielt. Sicher war ihm nur unangenehm, daB sie überhaupt von ihren Beziehungen zu ihm öffentlich reden wollte." Withe wollte plötzlich wissen, wie die wirtschaftiiche Lage der Toten gewesen sei. „Sie war nicht gut, aber nicht schlechter als die anderer Ladenbesitzer. Die Laden gehen zur Zeit alle schlecht." „Sind Sie Angestellte des Angeklagten?" fragte Walley breit. „Ja." „VieUeicht bringt die Verteidigung Ueber eigene Zeugen über die Geschaftsgebahrung des Macheath bel'" sagte Walley ironisch, „Leute, die nicht bei ihm angesteUt sind." Withe argerte sich. „Der Kollege," sagte er gewichtig, „scheint zu glauben, dafi es keine Leute in England mehr gibt, die die Wahrheit sagen, ohne RUcksicht auf wirtschaftliche Interessen zu nehmen. Ich muB sagen, daB ich das traurlg flnde." „Was finden Sie traurlg?" fragte WaUey nicht ohne Behagen, „daB es keine solche Menschen mehr gibt oder daB ich das glaube?" Aber der Richter winkte ab. WaUey vernahm nun einen Redakteur des „Spiegels". Als dieser ohne Umschweif erzahlte, die Verstorbene habe Herrn Macheath als den berüchtigten Verbrecher das „Messer" bezeichnet, hatte Rigger es leicht. „Das zeigt doch jedem Einsichtigen, das heiBt jedem, der keine Zeitung nest, auf welch jammerlich schwachen Beinen die Anklage steht!" rief er aus. „Herr Macheath soU das „Messer" sein! Unsere GroBkaufleute sollen mit Blendlaternen herumlaufen und Geldschranke knacken! Meine Herren, wir wissen, wessen der Neid f&big ist. Aber alles mufi seine Grenzen haben! Die ganze Anklage basiert darauf, dafi Herr Macheath, einer unserer bekanntesten Geschafts- leute, insgeheim gar kein Geschaftsmann, sondern ein Verbrecher ist, ein Mörder! Denn sonst hatte die Anklage ja keinen Sinn. Wenn er kein Mörder ist, sondern der all- bekannte Besitzer der B.-L&den, dann hatte er ja keinen Grand, die „Enthüllungen" einer Person, über deren Moral wir nichts AbfalUges sagen wollen, da sie tot Ist, zu fürchten! Es ist absurd!" Er setzte sich krachend. Walley wandte sich an den Angeklagten: „Herr Macheath, wie erklaren Sie sich die Drohungen der Toten gegen Sie?" Macheath stand langsam auf. Er sah freimütig verlegen aus. „Meine Herren," sagte er zu den Geschworenen, sie der Reihe nach anblickend, „es macht mich etwas verlegen, darüber zu sprechen. Ich kann es nur als Mann zu MSnnern. Als solcher mufi ich gestehen, dafi ich mich nicht frei von Schuld fühle. Sie mögen von sich sagen können, Sie seien in Ihren Beziehungen zu Frauen immer voUkommen k o r r e k t verfahren, hatten nichts versaumt, keine Schmerzen zugefügt, und sei es auch unbewuBt. Ich kann das nicht von niir sagen. Ich hatte keine „Beziehungen", wie man das so nennt, zu dem armen Geschopt, das Mary Swayer hiefi und von der Hand eines Schurken niedergestreckt wurde oder vieUeicht auch von eigener Hand, wie dies mein Verteidiger, Herr Withe, meint. Aber hatte sie vieUeicht Beziehungen zu mir? Ich war ihr Chef, um es trocken auszudrücken, früher mag ich sie ein paar Mal getroffen, vieUeicht auch allerhand Hoffnungen in Ihr erweckt haben. Meine Herren, wer von uns Mannern weifi, was er in dieser Beziehung, ohne es zu wissen, vieUeicht sündigt? Sie wissen sicher so gut wie ich, wie schwer es einem Chef mitunter faUt, zu seinen weibhchen AngesteUten die richtige Distanz zu wahren. Wer könnte es den armen Madchen, die meist schwer arbeiten müssen und wenig von ihrem Leben genieBen, im Ernst verargen, wenn sie sich in ihre Chefs, Angehörige einer höheren Klasse, kultivierter als der gewöhnliche Umgang dieser Armen, ein wenig verlieben? Und von hier bis zu heimlichen Hoffnungen und von diesen wieder zu schlimmen Enttauschungen ist doch nur ein kleiner Schrift! Gestatten Sie mir, daB ich dem nichts mehr hinzufüge." Die Abendbl&tter brachten diese Rede fast alle in Sperrdruck. Die .menschlich anstandige" Haltung des Besitzers der B.-Laden fand allgemeinen Anklang. Nur eine proletarische Zeitung bewarf den B.-Ladennapoleon mit Schmutz. Sie konnte aber nicht ernst genommen werden, da sie dem Gegner, entgegen allem sportUchen Geist, menschUche Anstandigkeit absprach und überhaupt auf die gewaltsame Umanderung der gesamten Gesellschaftsordnung ausging. Die Verhandlung war mit der kleinen Rede Herrn Macheath' nicht zu Ende. „Nach der Aussage der Zeugin Crysler sollen Sie doch selber die Beziehungen so weit ernst genommen haben, daB Sie sogar Geld an die Swayer zantten?" fragte WaUey mit einem zufriedenen BUck auf den Richter. Der Richter war ein kleiner, eingetrockneter Herr und Uebte es, von Reden, die Eindruck machten, ungerilhrt zu erscheinen. Macheath antwortete sofort: „Meine Herren, ich könnte sagen, daB man unter Umstanden auch ohne Drohungen Geld gibt oder sogar trotz Drohungen, wenn einem der BittsteUer in gedrangter Lage erscheint. Ich tue es nicht. Ich sage nur, daB mir daran lag, solche VorfaUe wie den Besuch der Unglücklichen beim „Spiegel", der dann allerdings doch erfolgte, zu verhindern. Als Geschaftsmann mufi man auch jeden Schatten von Verdacht, der auf einen f allen könnte, vermeiden. Wieviel Bedeutung ich der Drohung beimafi, geht daraus hervor, daB ich sie unbeachtet lieB und nicht in den „Bratfisch" ging!" „Aber Sie bestellten die Swayer hin?" „Das geschah aus Mitleid. Ans Mitleid ware ich auch hingegangen, aber geschaftliche Besprechungen hielten mich dann ab. Wenn es mir ernst gewesen ware, hatten mich solche geschaftlichen Gründe natürlich nicht abgehalten." Walley belebte sich. „Was für geschaftliche Unterredungen waren das? Wenn Sie geschaftliche Unterredungen hatten, dann hatten Sie ja ""ctt ein Alibi." Macheath sah nach seinen Anwalten. Dann sagte er: „Ich möchte diese Unterredung aus geschaftlichen Grimden nicht preisgeben, wenn es nicht nötig ist." „Es ist vieUeicht nötig," sagte der Richter trocken. Aber Rigger und Withe schüttelten die Köpfe und UeBen einen Entlastungszeugen aufmarscnieren, den Wirt des „Bratfisch". Er erklarte, dafi die Verstorbene in seinem Lokal allein gesessen sei. lange gewartet habe, immer unruhiger geworden sei und beim Weggehen den Hut nicht aufgesetzt, sondern ihn in der Hand mitgenommen habe. Erkundigt habe sich nach ihr niemand. Walley fragte ihn, ob man in sein Lokal von der StraBe aus hereinsehen könne. Die Antwort war ja. Ob es von seinem Lokal aus noch mehr Möglichkeiten gabe, wegzugehen, als die zu den Kais und die Dephsstrafie zurück, wo sie ein allenfalls Zuspatkommender treffen mufie? 327 Die Antwort war nein. Walley faBte zusammen.: der Angeklagte konnte sein Opfer vor dem „Bratfisch" abgefangen oder es auf dem Rückweg getroffen haben. Die groBen, glasernen Glaskugeln wurden angezündet, denn es wurde schon früh Abend, da der Herbst fortgeschritten war. Walley wartete die Prozedur ab und fuhr fort: „Man hat vorbin mit viel Humor die Frage aufgeworfen, womit diese kleine Ladenbesitzerin dem Groflhandler Macheath gedroht haben könnte. Ich möchte jetzt einen Zeugen dazu vernehmen." Ein sonntaglich angezogener Mensch mit langen, hangenden Armen trat vor. Er war Schuster in einem Haus gegenüber dem Swayerschen Laden und sagte aus, die Verstorbene habe ihm gegenüber einmal geauBert, sie wisse schon, wo die Waren, die sie bekame, herseien. Das habe sie in einem solchen Ton gesagt, daB er, der Zeuge, annehmen muBte, die Herkunft der Waren sei eine recht dunkle, eine, die das Licht zu scheuen hatte. Macheath stand auf. Er wollte sofort antworten. Aber Rigger zog ihn am Armel und flüsterte ihm etwas zu. Macheath setzte sich und Rigger bat den Vorsitzenden um eine kleine Pause. Er wollte seinen Klienten, müde des ganzen uferlosen Geredes, bestimmen, sein Alibi doch preiszugeben. Der Richter stlmmte zu. Aber auf dem Gang sagte ihnen Macheath sehr energisch, daB er noch nicht in der Lage sei, sein Alibi öffentlich bekanntzugeben. Sie sagten ihm beide, daB er dann wohl als in hohem Mafie verdachtig aus der Untersuchung hervorgehen werde und die Klage wegen Mord zu gewartigen habe. Withe woUte Immerhin noch den Versuch machen, dem Gericht einen Selbstmord der Swayer einzureden. Rigger hatte nicht memden Mut, dem zu widersprechen. Die Verhandlung ging nach einviertelstündiger Unterbrechung weiter. Die Anwalte Macheath' teilten dem Gericht mit, dafi ihr Klient leider nicht in der Lage sei, seinen Aufenthaltsort im Augenblick des Todes der Swayer anzugeben. Der Grond seines Schweigens sei ein rein geschaftlicher. Der Richter nahm die Entschuldigung ziemlich sieif entgegen. Dann führte Withe aus, er seinerseits sei überzeugt, dafi die Swayer überhaupt keinem Mord zum Opfer getallen sei, sondern selbst die Hand gegen sich erhoben habe. Er wolle versuchen, dem Gericht dies nachzuweisen. Withe rief seine Zeugen auf und verhörte sie. Es waren Besitzer von B.-Laden. Er bat sie, ihre Lage zu schildern. Sie taten es. Übereinstimmend bekundeten sie, ihre Lage sei verzweifelt. Einer sagte, es sei kein Wunder, wenn sich da einer aufhange. Besonders seit der Warenzustrom plötzlich versiegt sei, habe man nicht mehr aus noch ein gewuBt. Withe dankte ihnen und rief Nachbarsleute der Swayer aus der MulberrystraBe auf. Er fragte sie: „Wissen Sie etwas über das Geschaftsgebahren der verstorbenen Frau Swayer?" „Jawohl, soviel man eben als Nachbar weifi." „War sie sehr geschickt als Geschaftsfrau?" „Sie war fleifiig." „Genau mit dem Gelde?" „Nicht sehr. Wenn man es nicht besonders dick natte, gab sie auch so die Ware ab." „Sie war also nicht tüchtig im ttblichen Sinn?" „Sie gab eben Socken ab, wenn einer ihr seine zerrissenen zeigte. Man brauchte nur bei nassem Wetter zu kommen." „Also nicht, was man eine genaue Geschaftsfrau nennt?" Der Zeuge schwleg. „Meine Herren," sagte Withe, „Sie sehen: wenn der Tod der unglücklichen Frau wirklich, wie wir glauben, ein freiwilliger war, dann würde die vorliegende Zeugenaussage beweisen, wohin Gutmütigkeit und Mildtatigkeit führen." Der Richter lftchelte. Eine alte Frau betrat den Zeugenstand. „Erzahlen Sie uns," wurde sie von Herrn Withe aufge- fordert, „was die Verstorbene über die Art, wie sie zu ihrem Laden kam, Ihnen mitteilte!" Die alte Frau schneuzte sich umstandlich. WahrscheinUch woUte sie ihr rotes Taschentuch zeigen. „Sie hat ihn so gut wie geschenkt bekommen." „Ich dachte, sie habe dazugezahlt?" „Wenig. Viel hatte sie ja nicht. Ihr Mann ist Soldat." „Aber etwas hatte sie doch? Und das hat sie zugezahlt?" „Sie sagte es wenigstens." „Sagte sie, um wie viel es sich gehandelt hat?" „Ich glaube, um 18 oder 19 Pfund. Mehr hatte sie bestimmt nicht. Nie." „Aber das hatte sie. Und das gab sie hinein, nicht wahr ?" „Sie wollte den Wohnraum sauberer haben wegen der Kinder. Es sieht ihr ganz gleich, daB sie in sowas ihr einziges Geld hineinsteckte, so fürs AuBerUche, wie sie war." „Und hatte sie das verloren gehabt, diese 18 oder 19 Pfund, wenn sie herausgemufit hatte wegen nicht gezahlter Miete oder nicht bezahlter Ware?" „Das ist klar. Das können Sie sich doch selber ausrechnen." „Was hatte sie dann noch machen können?" „Wenig." Die alte Frau batte Ihr Schnupftuch immer in der Hand gehalten, als ob sie jeden Augenblick ein Niesen erwartete. Jetzt faltete sie es zusammen. Die Verhandlung ging langsam weiter. Es wurden Details geklart. Besonders Neues kam nicht zur Sprache. Gefragt darüber, was sie von der Ursache des Niederganges ihrer Laden wuBten, auBerten einige Ladenbesitzer übereinstimmend: die Preise seien überall getallen. Auch Chreston verkaufe zu Schleuderpreisen. Gründe für sowas gab es wohl überhaupt nicht. Es sei so wenig zu bestimmen wie das Faktum, ob es in einem Jahr viel oder wenig auf die Acker regne. Schlimm sei, daB die Zufuhr gestockt habe, aber das kame wohl daher, daB eben bilüge Waren nicht mehr auftreibbar gewesen seien. Herr Macheath selber hatte sich sehr bemüht, Ware herein zu bekommen, da ja er es gewesen war, der sie veranlafit hatte, neue Arbeitskrafte einzustellen und besondere Reklame zu machen, sodaB die Vorrate so schnell aufgezehrt wurden. Aber er hatte eben nichts aufgetrieben und seine Einkaufsgesellschaft hatte ihn in Stich gelassen. SchlieBlich faBte Withe — Rigger war merkwürdig stumm geworden — alles zusammen, was einen Selbstmord wahrscheinUch machen konnte. Die Situation des kleinen Geschaftes, in das Frau Swayer ihre Ersparnisse gesteckt hatte, war unhaltbar geworden. Das war schUefiUch ein ausreichendes Motiv für einen Selbstmord. „Mary Swayer, meine Herren," rief der Anwalt aus, „brauchte keinen Mor der. Ihr Tod war Jut den, der die Vmstande konnte, unter denen sie su leben geswungen war, kein unauflösllches Ritsel. Wer dieses Leben, das Leben einer Klein ge werbetrei b e n cl en armlichster Art, kermt, der mufi sugeben: wer ein solches Leben su führen geswungen Ist, dem wird es 331 nicht allzu fern liegen, einmal xu sagen: Schlufi damlt! Es war ein Leben, das wegzuwerfen keinen besonderen Entschlufi kostete. Unterhöhlt von Schulden, beglettet von absoluter Aussichtsloslgkelt, bot diese Existenx wie die so vleier keine besonderen Reize mehr. Sehen Sie sich die Behausung dieser Frau an (ich sage ausdrückltch nicht Wohnung! Auch Sie wurden nicht wagen, dies eine Wohnung xu nennen)! Sehen Sie sich die Kinder dieses Weibes an! Neln, sehen Ste sie nicht an, wiegen Sie sie blofi! Wohnen Sie dem Alltag einer solchen Person bel und denken Sie nicht, dafi es einen Sonntag für ste gabe! Vnd ln diesem Loch ist sie noch bedroht! An diese Tür klopfen noch Glaubiger! Neln, Mary Swayer brauchte nicht ermordet xu werden von Herrn Macheath — Mary Swayer hat selbst Hand an sich gelegt." Wenn man einwandte, daB die Swayer eine sehr lebenslustige Person gewesen sei, so könne man dagegen sagen, dafi ihr diese Lebenslust eben durch schlechten Geschaftsgang, vieUeicht auch durch private Enttauschung über die von Seiten des Herrn Macheath ausbleibende Hilfe genommen worden sei. Dafi sie diesem die Schuld zu geben suchte, wahrscheinUch aus tiefer Überzeugung, sei nicht verwunderUch. Die kleinen Geschaftsleute hatten keine besonders genaue Kenntnis der Gesetze, die den Handel beherrschten. Sie schöben für gewöhnUch einfach den gröfieren Geschaftsleuten die Schuld zu, wenn Krisenzeiten kamen. Dafi diese GroBen auch von ganz bestimmten, gesetzmaBigen, übrigens wenig berechenbaren Prozessen ökonomischer Art abhingen, ahnten die Kleinen nicht. Es sei eben eine Krise ausgebrochen und die kleinen, schwachen Unternehmen gingen zu Grunde. WaUey unterbrach ihn, als er eben schon nichts mehr zu sagen wufite. 332 Er müsse wieder seine Frage von vorhln stellen, nach der Herr Macheath sich vor einer Stunde einen Moment lang geneigt gezeigt habe, sein interessantes Alibi doch noch zu lüften. In der City gingen Gerüchte, wonach die Herkunft der Waren fttr die B.-Laden in ziemliches Dunkel gehüllt sei. Herr Macheath behauptete, soviel er wisse, sie stammten von einer gewissen ZEG (Zentralen Einkaufsgesellschaft), ob Herr Macheath ttber diese Gesellschaft sprechen wolle. ,,Nein," antwortete Rigger nach kurzer Zwiesprache mit Macheath. „Das will Herr Macheath nicht." Jedenfalls sei die ZEG eine ordentlich eingetragene Firma, in deren Vorstand ein Mitglied des Hochadels und zwei Rechtsanwalte saBen. Es sei richtig, sie habe ihre Verpfllchtungen in der letzten Zeit Herrn Macheath gegenüber nicht erfüllt. Jedoch sei das eine Sache zwischen ihm und der Gesellschaft, die nicht vor Gericht gehore. Er gehe auf die ganze Frage nur deswegen ein, damlt nicht der Eindruck entstehe, Herr Macheath sei selber an dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Mary Swayer schuld gewesen. Sein Kollege Withe habe die Lage der B.-Laden als eine sehr ungünstige hingestellt. Sie sei zweifelle* in der letzten Zeit ungünstig gewesen, aber nicht durch die Schuld des Herrn Macheath, sondern eben durch die Schuld der ZEG, die plötzlich nicht mehr geliefert habe. Er bot Zeugen dafür an, daB Herr Macheath in der kritischen Zeit oft selber in den Laden den Rock ausgezogen und mit Hand angelegt habe! Auch Macheath meldete sich noch einmal zu Wort. „Es ist hier gesagt worden," führte er aus, „das Leben der Frau Swayer sei sehr schwer gewesen. Ein Selbstmord erscheine daher nicht ausgeschlossen. Dazu möchte ich bemerken, daB wir in den B.-Laden tatsachUch bis an die Grenze unserer I^tetungsfahigkeit gehen. In dem unaufhörlichen Bestreben, dem Publikum zu dienen, legen wir uns Beschrankungen auf, die nur die Starksten von uns aushalten. Wir sind zu billig. Unsere Gewinne sind so winzlg, daB wir selber darben. Wir sind vieUeicht z u fanaüsch darauf aus, dem kleinen Kaufer gute Ware zu erschwingUchen Preisen zu bieten. Ich gestehe offen ein, daB ich manchmal in den letzten Tagen, wo aUes auf mich einstürmte, mir die Frage vorlegte, ob wir das durchhalten können. VieUeicht müssen wir mit den Preisen doch wieder heraut. Glauben Sie mir rubig, daB mich der Tod meiner Mitarbeiterin tief getroffen hat." Der Richter sah kühl nach den emsig schreibenden Reportera, fragte Macheath noch einmal, ob er sein Alibi nicht doch angeben woUe, erhielt eine verneinende Antwort und UeB die Geschworenen sich zu ihrer Beratung zurückziehen. Knapp zehn Minuten spater kamen sie zurück und verkttndeten das Ergebnis: die Mary Swayer sei nach Ansicht der Jury ermordet worden und der Kaufmann Macheath sei der Tat binreichend verdachtig. Die Zeitungen waren am Abend voU von dem „Fall Macheath". Die fett gedruckten Überschriften lauteten: DAS DUNKEL ÜBER DEM TOD DER MARY SWAYER LICHTET SICH. Und: rN WELCHEM GEHEIMNISVOLLEN KREIS WEILTE DER GROSSHANDLER IN DEN STUNDEN, WO SEINE FRÜHERE FREUNDIN STARB? In der Woche, die dem ProzeB folgte, bekam Macheath auch Nachricht über Aaron. Fanny Crysler kam zum ersten Mal seit seiner Inhaftierung ins Untersuchungsgefangnis, um ihm zu berichten, daB Aaron und die Commercial Bank eine ganz eigentümliche Reserve in ihrem Verkehr mit der ZEG an den Tag legten. Aaron hatte bei einem Besuch etwas von „Zusammenhangen zwischen dieser Ermordung der Soundso und der Ueferungsstockung» gemurmelt. In der Ridegasse hatten sich verdachthj aussehende Individuen, wahrscheinlich AngesteUte eines Detektivbüros, nach den Lagerhausern der ZEG erkundigt. Gestern hatte Jaques Opper, der Prasidentder Commercial Bank, sie ruf en lassen und die schlankweg um die Belege für die letzten Lieferungen an den Aaronkonzern ersucht Macheath blickte sehr finster. Nach einigem Nachdenken trug er ihr auf, fttr neue Belege zu sorgen und zur Vorsicht auch auf Kredit neue Einkaufe in Belgien zu tatigen. Als sie ging, sagte sie: „Wenn Dein Prozefi noch lange dauert, laBt sich die Sache nicht mehr halten; das weifit Du hoffentlich!" Über ihr persönUches Verhalmis sprachen sie nicht. Es war die letzte Oktoberwoche. Die Angelegenheiten der Herren Peachumiund Macheath trieben einer Entscheidung zu. Die „Schdne Anna", der „Junge Schiffersmann" und der „Optimist» warteten geschminkt und korsettiert darauf Ihre alten Lelber dem Weltmeer wieder anzuvertrauen' Der „Optimist» mit dem Geftthl, seine letzten Wochen zu erleben. Peachum sah seine Tochter im Schleier mit dem Makier vor den Traualtar treten. Macheath sah sie in anderer Haltung und Umgebung. Die B.-Laden hatten die Hoffhung aufgegeben und nahmen zu an Weisheit und Kennt- nis der Wirklichkeit. Der Makier Coax sollte nicht mehr allzuviele Tagebuchblatter mit seltsamen Zeichen fOUen. Die Akten gegen den Mörder der Kleingewerbetreibenden Mary Swayer waren umsonst geschrieben und vermehrten sich nicht mehr lange. Und der Soldat Fewkoombey hatte noch etwa 65 Tage zu leben. DRITTES BUCH NUR WER IM WOHLSTAND LEBT, LEBT AX GE XE HM! Die Leute, die nur ihren Pflichten leben Und ihren Sinn auf höh're Ziele richten — Gefühle, die man kennt aus den Gedichten — Die guten Leute treffen sehr daneben. Da brechen sie mit Stolz ihr trocknes Brot Ehrlich verdient: sie sind ganz schweiBbedeckt! Ach, Ober ihrem siebenten Gebot VergaBen sie, daB Fleisch viel besser schmeckt! Ein Sichbescheiden nützt zwar, aber wem? Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm! Das ist gar nicht so schlecht: am Boden kleben Und nur auf seinen niedern Vorteil schauen Und dann ein frisches Bad und einen heben! Und sich vor einem vollen Tisch aufbauen! ter rümpft die Nase? Das sei kein Programm? Euch ist der Mensch erst Mensch, wenn er sich plagt! Ich muB gestehn, dafi mir das nicht behagt Ich bin gottlob nicht von so edlem Stamm. Mir lost sich ganz von selbst das Glücksproblem: Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm! (Ballade vom angenehmen Leben) xm Ultima ratio regis (Inschrift auf preuBischen Kanonen) Schwerwiegende Entscheidungen Mit fünf, sechs anderen Geschaftsleuten zusammen in einem Zimmer ware Herr Peachum kaum aufgefallen. Dadurch, dafi er gezwungen war, mit jedermann, der mit ihm in Bertthrung kam, auf Heller und Pfennig abzurechnen, hatte er für seine nahere TJmgebung ein immerhin deutliches Gesicht, das eines harten und schwer betrügbaren Geschattsmannes. Aber wer alle andern für Betrüger halt, besitzt deswegen noch lange kein Selbstvertrauen. Herr Peachum war keineswegs eine Persönlichkeit von Charakter. Eine starke, vieUeicht übertriebene Furcht vor dem raschen Wechsel aller menschUchen Verhaltnisse, eine ihm tief eingedrückte VorsteUung von der Bösartigkeit und der UnerbittUchkeit der Stadt, ln der er lebte (und aUer anderen Stadte) trieb ihn, sich besonders hastig allen neu auftauchenden Ansprüchen seiner Umwelt anzugleichen. Seine Mitbürger konnten sich ihn nur vorstellen als den Besitzer von „J. J. Peachums Bettlergarderoben", aber er ware zu jeder Stunde bereit gewesen, jedes andere Geschaft zu eröffnen, das elntragUcher, ungefahrUcher oder auch nur, was die Dauer betrifft, sicherer gewesen ware. Er war ein kleiner, 340 dürrer Mann von kümmerlichem Aussehen: selbst das war aber sozusagen nicht endgültig. Bei einer Geschaftslage, die für kleine, dürre Marnier mit kümmerlichem Aussehen keine Aussicht mehr gelassen hatte, hatte man Herrn Peachum sicher in tiefe Gedanken versinken sehen können, wie er sich in einen mittelgroBen, wohlgenahrten und optimistischen Mann verwandein könnte. Seine Kleinheit, Dürrheit und Kümmerlichkeitwar namlich nur ein Vorschlag von ihm, ein unverbindliches Angebot, das jederzeit zurück genommen werden konnte. Darin lag etwas Jammerliches, aber zugleich machte es auch seinen ganzen, nicht unbetrachtlichen, Erfolg aus. Er machte Geschafte mit Jammerlichkeit, auch mit seiner eigenen. Umgekehrt trieben ihn auch Gefahren wie diejenigen, denen er jetzt in seinem Existenzkampf zu begegnen hatte, über sich selbst hinaus. Mit dem Verlust seiner Existenz bedroht, andererseits durch die Aussicht auf groBen Gewinn angespornt, verwandelte er sich ln wenigen Wochen in einen Tiger, auch auBerlich. In den Tagen, wo er für Coax die Angelegenheiten der TSV zum AbschluB brachte, hatte er ein fleischiges und brutales Aussehen. In Hemdsarmeln, die Hande im Hosensack, empfing er Hale, der ihn um 100 Pfund anpumpen kam, die er im Spiel verloren hatte. Peachum gab ihm nicht einen Penny. Die^ Gesellschaft lag in offener Agonie. Peachum hatte sie, nach seiner Unterredung mit Hale, noch einmal einberufen. Sie kamen alle. Der sonst stille Moon protestierte gegen die Abhaltung der Sitzung in den Wannenbadern. Er war vor der Zeit gekommen und hielt die einzelnen vor der Schwelle auf. Er schrie auf der StraBe erregt, er habe diesen Schluderbetrieb satt. So tand die letzte Sitzung der Gesellschaft in einem benachbarten Restaurant start. Peachum berichtete ttber die Erpressungsmanöver Hales, betonte die Notwendigkeit, ihnen nachzugeben und verhehlte nicht, dafi man auch noch auf weitere Anzapfungen dieser Art gefafit sein müsse. Er erklarte, was ihn anlange, so sei seine Geduld erschöpft. Er bitte um die Ermachtigung, nach einer sofort vorzunehmenden Generalabrechnung, durch die festgelegt werden solle, was jeder zu zahlen habe, das Geschaft allein zu Ende führen zu können. Er garantiere fttr glatte Abwicklung, wenn ihm niemand mehr hineinrede. Sein Vorschlag wurde angenommen. Das Hereinbringen der festgesetzten Verlustraten besorgte Peachum mit fiuBerster Harte. Dem Baronet nahm er Wechsel ab, die ihn für immer oder doch wenigstens für Monate in das Bett der Amerikanerln zwangen. Seine letzte Ausrede, er sei homosexuell, nahm Peachum nicht an. Eastman zahlte verhaltnismaBig gutwiUlg; er konnte es: er hatte vor kurzem die Mieten in seinen Hauserblocks lm Norden erhöht, wo hauptsachlich Ar beiter wohnten, denen ein Umzug zu teuer war. Moon brauchte, ehe er zahlte, ttberraschenderweise eine Spezialbehandlung. Er war Buchmacher und erst, als in immer wachsender Menge Bettler in sein Wettbüro eindrangen und vor ihm Aufstellung nahmen, einige mit den Schildern „Wer wettet, der hat — wer hat, kann geben!" und „Hier habe auch ich gewettet" bequemte sich Moon, 800 Pfund in bar und Sicherungen für den Rest beizubringen. Crowl sprang allerdings im letzten Augenblick ab. Er kam eines Vormittags in die Old OakstraBe und verlangte nach Peachum. Sie gingen zusammen seine Lage durch. Crowl erwahnte: „Dann kann ich mir also eine Kugel durch den Kopf schieBen." Peachum gab ihm Coaxens Kontor- adresse. Es schien ihm lehrreich für Coax, zu sehen, wohin seine Drangsalierungen führten. Der Restaurateur drang am selben Nachmittag in das in der City gelegene Büro ein und erklarte der dort anwesenden Schreibkraft, er sei mit dem Makier verabredet und wolle auf ihn warten. Er wartete über zwei Stunden, ohne dafi Coax kam, der übrigens, wie es sich nachher herausstellte, von einer Verabredung nichts wufite. Als das Madchen das Büro schliefien wollte, murmelte er etwas Unverstandliches, drehte sich zur Wand, wo ein Schirmstander stand und schofi sich eine Revolverkugel in den Mund. Zu Hause auf seinem Tisch fand seine Frau einen Brief in verschlossenem Kouvert mit der Aufschrift „As meine Frau, erst um 8 Uhr abends zu öffnen, wenn nicht zurückgekehrt." In diesem Brief stand nur: „Meine Lieben, bin von gewissenlosen Verbrechern ruiniert, verzeiht mir, da das Beste wollte. Albert Crowl, Restaurateur." Am meisten Schwierigkeiten machte zuletzt Finney. Als er von Crowls Selbstmord hörte, beschloB er, sich nunmehr unverzüglich operieren zu lassen. Peachum kam aber noch rechtzeitig d ah in ter. Er stürzte sogleich in Finneys Wohnung. Finney war schon in die Klinik gegangen. Peachum mufite beinahe Brachialgewalt anwenden, um aus der Haushalterin die Adresse der Klinik herauszuholen. Er traf Finney eine halbe Stunde ver der Operation. Seine Wut war grenzenlos, aber auch Finney sah ganz grün aus vor Zorn und beschloB sofort, seine Haushalterin zu entlassen. Peachum schrie so, dafi die Schwestern der ganzen Station zusammenliefen. Er sagte der O berin: „Der Mann wird seinen Spucknapf nicht bezahlen. Er lafit sich überhaupt nur operieren, weil er vor gröfieren Zahlungen steht. Hier in der Brusttasche habe ich eine Zeitung mit der Meldung vom Selbstmord des Restaurateurs Crowl, der auf ganz ahnliche Weise aus dem gleichen Geschaft ausspringen wollte wie dieser famose Herr hier! Die Zeitungen werden sich wundern, wozu Ihr Clhirurg sich hergibt! Mag aber sein, daB er auf diese Weise Zulauf von Selbstmördern bekommt!" Finney war solcher Gemeinheit nicht gewachsen und zahlte, bevor er sich in den Operationssaal schieben liefi. Innerhalb einer knappen Woche hatte Peachum einen ziemlich genauen Überblick über die Summen, die aus der TSV herauszuholen waren. Der Fall Crowl war für Macheath das Alarmsignal. Fanny brachte ihm die Morgenzeitungen mit der MitteUung vom Selbstmord des Restaurateurs im Büro des Makiers Coax. Macheath hatte seit einiger Zeit Fanny auf die Spur Peachums gesetzt. Das Transportschiffegeschaft selnes Schwiegervaters mit dem Makier Coax interessierte ihn in steigendem Mafie. PoUy hatte ihm das Eingestandnis ihres Vaters, daB er durch Coax nahe am Ruin sei, verraten. Der Selbstmord des Crowl verbreitete einiges Licht ttber die Hintergründe dieses Geschaftes. Von PoUy erfuhr Macheath auch, daB an dem betreffenden Abend Coax zu ihrem Vater gekommen sei und daB er im Büro eine halbe Stunde lang herumgeschrien habe. Irgendwie habe er Peachuni beschuldigt, etwas gegen ihn unternommen zu haben. Es war augenscheinUch, daB Peachum und Coax in einem Kampf auf Tod und Leben standen, ob g eg enein ander oder zusammen gegen andere, war nicht festzustellen. Gegen Mittag kam Fanny wieder. Sie war bereits in der Wohnung des Selbstmörders gewesen. Sie hatte allerhand erfahren. Crowls Witwe war eine hafiliche. tranenüberschwemmte Person ohne Selbstbeherrschung. Sie machte innerhalb von fünf Minuten Gott und die Welt verantwortlich für den Tod des ehemaligen Restaurateurs. Fanny berichtete empört, sie habe in Gegenwart ihres alten Vaters geschrien: „Was soll ich jetzt mit diesem Wrack da? Seine Altersversicherung ist auch weg und er macht doch schon unter sich!" Macheath schüttelte den Kopf fiber diese Taktlosigkeit. Aber er war aufs AuBerste beunruhigt. Die TSV, anscheinend jetzt unter der Führung Peachums, sei in einer sehr schwierigen Situation, hatte Fanny herausgebracht. Coax scheine Peachum völlig in der Hand zu haben, „ungefahr so, wie Du Hawthorne", sagte Fanny. In allernachster Zeit benötJge sie gröBere Geldmittel, eigentüch schon seit Wochen. Peachum scheine allerdings irgend etwas geplant zu haben, was diese Ausgabe, die für ihn kaum tragbar sei, überflüssig gemacht hatte. Nor so sei es erklarlich, warum er immer noch nicht sein Geld bel der National Deposit Bank abgehoben habe. Macheath wuBte, daB Peachum gehofft hatte, seine Tochter für den Makier frei zu bekommen. Da dies nicht gelungen war, mufite er nun bestimmt bluten. Mit seinem Besuch in der National Deposit war also stündlich zu rechnen. Macheath selbst safi immer noch nicht in der Leitung der National Deposit Bank. Die Formalitaten standen aber unmittelbar vor der Erledigung. Es hing alles davon ab, daB er Zeit gewann, er mufite sich jetzt an die Mitgift halten und die Frau preisgeben, wenigstens für den Augenblick. PoUy war ihm dann nicht verloren. Immerhin war sie schwanger von ihm, das wttrde sie schon an ihn binden. Er mufite sein Werk voUenden. Noch am selben Abend Uefi er Peachums Anwalt WaUey kommen und wUUgte in die Scheidung ein. Coax verkehrte nach wie vor bei Peachums, ja er brachte sogar seine Schwester in der letzten Zeit immer mit und die Beziehungen der beiden FamUien konnten nicht intimer sein. Fraulein Coax war entzückt von Frau Peachum und ihrer Tochter. Die alteren Damen spielten Whist im Salon und PoUy arbeitete stUl an einer Stickerei, die Lord Nelson bei Trafalgar darsteUte. Abends kam der Makier seine Schwester holen und setzte sich noch für einige Minuten zu den Damen. Er bat den Pfirsich wie gewöbnUch, ihm ein Klavierstück vorzuspielen. Das machte sie sehr gut. Sie hatte auch eine httbsche Stimme und beim Spielen Beien die TüU&rmel zurück, sodafi man die vollen Arme sah. Wenn er ihr beim Klavierspielen zuschaute, verstand er immer noch, dafi er einmal sogar daran gedacht hatte, sie zu eheUchen. Sie hatte grofie Vorzttge. .^olfte," schrieb er in sein Tagebuch, „es wirklich so viel ausmachen, doft man ein Madchen bereits genossen hott Was bedeutet schon diese etste, doch immer recht unvoUkommene Umarmung f Man mufi doch wohl an einen inneren Herrentrieb im Manne denken, der seinen Hauptgenufi darm findet, das Weib Hch su unterwerfen, es su beriegen! Woher sonst diese Gleichgültigkeit nach voUzogener BeHtsnohrneT Sie tritt sogar «ft», wo es sich nicht einmal um den Raub einer Jungfernschaft Handelt! Oder soUten wirklich wirtschaftUche Erwagungen eine solche RoUe im Seelenleben spielen? Sollte es mich tatsachhch mnerttch, seeUsch beeinflussen, dafi die Peachum heute nicht mehr als Portie ernstUch in Betracht kommt, nachdem Ihr Vater so in Verlust gerat en ist? SchUefiUch wurden die Verbiste Ihm von mir selber bei gebracht Aber der Instinkt fragt vieUeicht gar nicht nach Schuld, sondern halt sich an die Tat sache ... Jedenfalls steilte ich an mir ein Gefühl votistandiger Entfremdung fest." Solche Gefühle muBten vor Peachum verborgen werden. Er verbarg sie. Die NelkenstrauBe, die er ins Haus schickte, wurden gröBer. Ende September erfuhr er, daB Herrn Peachums Tochter seit einem halben Jahr mit einem gewiflen Macheath verheiratet sei. Er staunte, schwieg und bewahrte die Kunde in seinem Herzen. Dann kam der Selbstmord Crowls und Coax hatte einen guten, offiziellen Grand, verstimmt zu sein. Tatsachlich waren ihm Schwierigkeiten daraus erwachsen. Er war aus Geschaftsgründen Mitglied in einem bestimmten vornehmen Klub und hatte sich auf die ZeitungsnotJz von dem Vorfall in seinem Kontor hin gezwungen gesehen, dort auszutreten. Unangenebmer noch war es, daB fttr den Fall eines öffentlichen Skandals wegen der Schiffe sein Name jetzt untrennbar mit der Sache verfilzt war. Der Fall Crowl gab Coax die Mögllchkeit, Peachum zu schneiden. Er besuchte aber weiterhin zusammen mit seiner Schwester Frau Peachum und PoUy. Das muBte genügen, Peachum in Bezug auf Coaxens Zukunftsabsichten zu beruhigen. Als dann derStreik der Dockarbedter ausbrach, kamen sich die beiden in gemeinsamer Arbeit menschlich wieder naher. Peachum hatte vermittels allerhand Praktiken die Löhne der Werftarbeiter mebrmals heruntergedrückt. Eines schönen Morgens erschienen nurmehr 5 von etwa 200 an der Arbeitsstelle. Die andern steilten sich vor den Toren auf um zu verhindern, daB andere Ar beiter sich anboten. Dies war unangenehm, ja gefahrlich. Man konnte natttrlich die endgttltige Übergabe der Schiffe mit Hinweis auf den Streik hinausschieben. Aber in der vertraulichen Stimmung, die durch die gemeinsame Schwierigkeiten unter den beiden Kompagnons auch jetzt noch erzeugt wurde, erzahlte Coax, dafi der Wunsch der Regierung, fttr ihre Truppentransporte von der TSV Schiffe zu bekommen, kein besonders heftiger gewesen sei. Sie verfttgte ttber genttgend Frachtraum. Es war Hale gewesen, der festgestellt hatte, dafi man an höherer Stelle aber auch nichts gegen den Erwerb weiteren Frachtraums einwenden wttrde. Als der Vertrag geschlossen war, hatte Hale dann, mehr um unangenehmen Nachfragen zu begegnen, durch Freunde bei der Heeresleitung anregen lassen, einen kleinen Truppentransport auf die neu erworbenen Schiffe zu legen. Diese Truppen konnten natttrlich auch anderswie eingeschifft werden. Aber die Option Coaxens auf die Southamptoner Ersatzkahne, die man doch immerhin bis zum Abschlufi des riskanten Geschafts zur Hand haben mufite, erlosch bald. Hale war ganz und gar haltlos geworden und konnte jeden Tag neue Erpressungen versuchen. Peachum tat alles, die Arbeit wieder in Gang zu bringen. Er steckte sich vor allem hinter die öffentlichen Körperschaften, indem er von „Erpressungen der Ar beiterschaft im Augenblick einer Notlage der Natiën" sprach. Ihm schwebte der Elnsatz von Militar vor. Er 11eB ln seinen Werkstatten mit Hochdruck Uniformen herstellen. Er plante zunachst eine grofie Demonstration gegen die Streikenden durch invalide Soldaten. Es mufite, besonders in den Spalten der Zeitungen, einen tiefen Eindruck hervorrufen, wenn die alten.kriegsverletzten Soldaten das Interesse der gesamten Nation vertraten. In diese Anstrengungen f iel Walleys Meldung von der Bereitschaft Macheath', sich nun doch scheiden zu lassen. Das furchtbare Hemmnis für Peachum, sich Coax' entscheidend zu versichern und so dem unseligen Geschaft, das ihn nun schon über ein Vierteljahr in Atem hielt, doch noch eine glückliche Wendung zu geben, schien jetzt gefallen. Da schrie ihm seine Tochter, die ihre bevorstehende Scheidung aus dem Mund ihres Vaters vernahm, ein „ichbinschwanger" entgegen. Er war aufier sich. „Du wirst dennoch geschieden," schrie er zurück, „Du wirst geschieden und gehst zum Arzt! Meinst Du, ich lasse mich von Dir ruinieren? Ich habe schlieBlich auch Nerven und lasse auf mir nicht so herumtrampeln. Wenn Ihr es zu toll treibt, lege ich mich ins Bett, drehe mich nach der Wand und lasse alles laufen, wie es lauft; dann könnt Ihr ins Spital ziehen, Gesindel!" Er blickte in diesen Tagen weder nach rechts noch nach links. Wie ein Bluthund verfolgte er seine Spur. Er wufite zu wenig. Hatte er geahnt, dafi der Makier von der unseligen Heirat seiner Tochter schon lange unterrichtet war, batte er auch nur gewuBt, was bei dem letzten Besuch seiner Tochter in Herrn Coax' Wohnung vorgefallen war, hatte er anders operiert. PoUy ging noch am selben Abend zu ihrem Mann ins Gefangnis. Er sagte ihr natttrlich sogleich, dafi das alles nur „pro forma" sei. Eine Scheidung dauere soundso lange. SchlieBlich brauche man nur einen nichtstimmenden Scheidungsgrund anzugeben, dann gehe noch im letzten Moment alles zurück. Die Einreichung der Scheidung sei nicht zu umgehen, da ihr Vater ihm allzu sehr zusetze und ihn ganz in der Hand habe. „Er kann mich hangen lassen und er wird es, Du kennst ihn!" Polly sagte sofort, dann müsse sie zum Arzt und das Kind entfernen lassen. Sie habe in der Aufregung gestanden, dafi sie schwanger sei. Macheath erschrak. Damlt hatte er nicht gerechnet. Mit belegter Stimme sagte er, seine Frau nicht anblickend, das gehe natttrlich nicht, sein Kind könne er nicht opfern, wenigstens nicht ohne allerdringendste Not. Tatsachlich beschaftigte ihn diese Sache, nachdem Polly verweint gegangen war, die halbe Nacht in seiner Zelle. Er besaB Familiensinn und hatte sich auf seinen Sohn gefreut. An ihn schmerzlich bewegt denkend, begann er, bevor er elnscbüëf, zu glauben, gerade der Gedanke an seinen kleinen Sohn habe ihn zu seinen geschaftlichen Aküonen veranlafit. „Ach," dachte er, „wozu all diese Plackereten, wenn es mit uns plötzlich aus sein kann und es ist keiner da, der dann olies übernimmt? Wosu sitze ich hier in der Zelle, wenn es nicht für meinen Sohn ware t Woher nahme ich die Kraft, das alles su über winden f Seine kleine Hand ln der meinen werde Ich mit ihm durch die Laden gehen, die einmal die seinen sein werden, und ihm sagen: mein Sohn, das hat Mühe und Fleifi gékostet, vergift das nicht'. Dein Vater hat dafur geblutet, dafi du das hast. Er hat nicht nur für sich gearbeitet; er ver- langt keinen Dank dafür, dat tut er nicht, aber er sagt et dir immerhin, damit du siehtt, dafi ihr, dein Vater und du, durch allerhand verblinden seid. Dein Vater wird sterben, wenn seine Zeit ge kommen ist, dann wirst du weit er arbeit en im Gedenken an ihn, der Jut dich nun, immerhin, der für dich gear- beitet hat. — Das werde ich ihm sagen und er wird es versteken. Ich werde ihn Dick nennen." Er war wirklich beeindruckt. Erst am Mittag des nachsten Tages liefi er Polly sagen, sie solle doch zum Arzt gehen, es sei nötig. Er rechnete damit, sie werde den Besuch so lange wie möglich hinausziehen, mindestens zwei bis drei Tage. Bis danin hoffte er, etwas zustande gebracht zu haben, was die Operation verhinderte. Immerhin mufite sie mit derselben rechnen und durf te ihrem Vater auf keinen Fall Grand zum MiBtrauen geben. Tatsachlich durf te er selber sich die Atempause, die er sich durch seine Einwilligung in die Scheidung verschafft hatte, um den Handstreich auf die National Deposit Bank ausführen zu können, nicht verkürzen lassen. Er trieb Hawthorne und Miller erneut an, die Umwandlung der Bank zu beschleunigen. Sie mufi ten im Wartezimmer erst eine halbe Stunde warten Macheath hatte das so angeordnet. So saBen sie, unsaglich bedrückt, unter den Angehörigen der Gefangnisinsassen, versorgten oder verkommenen oder versorgten und verkommenen Personen beiderlei Geschlechts. Macheath schrie sie an, die Sache dauere ihm zu lange, es sei ihm unverstandlich, wie man ihn so lange darauf warten lassen könne, in ein völlig korruptes Unternehmen hineinzukommen. Dann bearbeitete er mit ihnen die Angelegenheit Chreston. Chreston hatte seinen Aus verkauf durchgeführt, ohne weitere Gelder aufzunehmen. Er war immer noch erstaunt ttber die Konkurrenz, die ihn ausgekauft hatte. Die Preise hatten allerdings weit unter dem Durchschnitt gelegen ... Die groB angekündigte Werbewoche der Aaron- und B.Laden bereitete ihm Sorge, da das Publikum sehr darauf wartete. Von der bevorstehenden Übernahme der Bank durch Macheath wufite er noch nicht. Nun lieB Macheath ihm mitteilen, einige der Posten, die er in seiner Werbewoche verkauft habe, seien verdachtig. Die Beschreibung in Birningham gestohlener Waren treffe auf sie zu. Er bitte um die Kaufbelege. Daraufhin kam Chreston. Er war ein einmeterneunzig grofier, ausgetrockneter Herr, der eine Abneigung gegen Fleischgerichte, den Klerus und I. Aaron hatte. Er war sehr erschrocken. „Herr Chreston," empflng Ihn Macheath sehr reserviert, „ein peinlicher AnlaB ftthrt Sie hierher. Ich muB sagen, ich traute meinen Ohren nicht, als ich hören mufite, dafi in Ihrem Ausverkauf gröfiere Posten von ongewisser Herkunft unter das Publikum gebracht wurden. Ich hoffe, Sie haben Belege?" Herr Chreston hatte keine Belege. Die Posten hatte er gekauft, weü sie billig waren und weü er nach dem scharfen Konkurrenzkampf Waren brauchte. Belege hatte er nicht bekommen. Er sah so ertappt aus, als ob er gegen seine innerste Überzeugung ein frisches Kotelett verspelst hatte. Macheath zeigte sich hart zu ihm. Er sprach mit salbungsvoUer Stimme ttber Fairness beim Konkurrenzkampf und die Weisheit des Gesetzes, das den Hehler und Weiterverkaufer ebenso bestraft wie den Stehler. Wenn er, Macheath, jetzt in seiner Werbewoche die betreffenden Posten verkaufe, führte er aus, so habe er Belege: namlich die Quittungen Chrestons. Aber Chreston habe keine Belege. Dann klarte er ihn kurz und brutal darüber auf, dafi er über kurzem in die Leitung der National Deposit eintrete. Anschliefiend nannte er ihm die Bedingungen, unter denen seine Laden in einen unter Herrn Macheath' Leitung stehenden und von der ZEG belieferten Ring eintreten könnten. Der lange Herr Chreston war wie vor den Kopf geschlagen, als er hörte, die Konkurrenz sei in die Bank eingetreten, die ihn ganz in der Hand hatte. Er erkannte ziemlich rasch seine Lage. Die Herren liefien sich vom Warter Papier bringen und Bleistifte, malten Zahlen und deuteten mit den Zigarren darauf. An die Kerkerwand hatte Macheath einen blaugrünen Plan Londons geheftet; mit fettigem Rotstift umringelte er, fortgesetzt schwere Importen konsumierend, bestimmte Stadtbezirke, unterstrien Platznamen, zog ein kompliziertes Schema von Linien über die ganze Stadt und ihre Vororte. Es war das Verteilungsschema der B-C(BUUgkeits- Chreston) - Laden. Von Chrestons Geschaften muBten einige abgebaut, zusammengelegt, su Geld gemacht werden. Macheath fetzte sie mit seinem Rotstift unbarmherzig zusammen. Seine Bank benötigte ,4hr" Geld. „Vergessen Sie nicht," sagte Macheath zu Chreston, „die Bank gehort einem Kind. Mit diesem Vermogen Ist unverantwortlich geschludert worden. Auch andere Vermogen sind bereits ln Mitleidenschaft gezogen. Das mufi aufhören. Ich mufi imstande sein, der unmündigen Besitzerin gegenüber die Verantwortung zu übernehmen. Ich bin nicht sentimental, aber ich werde mir nicht nachsagen lassen, Dreigroschen roman 23 dafi ich Kinder ausraube. Kinder sind Englands Zukunft, das wollen wir keinen Augenblick vergessen." Die Preise sollten langsam wieder hinaufgesetzt werden. Bei der Reklame mufite man das Wort Qualitat einführen. Macheath schilderte Fanny seine Aussprache mit Chreston und entwarf ein BUd von ihm. tjEt war eine Art stummes Z wie gesprach switchen uns. Ich fragte ihn: stehen Sie ein für aas, was Sie getan haben f Er antwortete mir schnell: nein. — Ach, Sie wünschen nicht Ihre Selbstandigkeit su verteidigen — um jeden Preis t fragte ich ihn weiter. NUht um jeden Preis, antwortete er. — -So wollen SU sich lieber besiegt geben und den Nacken unter meinen Fuji beugen f — Allerdings, war seine Antwort, es kommt billiger. Er Ut nicht das, was man einen grofien Charakter nennt, er Ut gans vernünfttg. Es hat heutsutage nur noch wenig Stnn, sich eine Persönlichkeit suzulegen." Miller und Hawthorne mufite Macheath einen neuen Schmerz bereiten. Er sagte, er müsse von Miller die Unterzeichnung einer Erkl&rung verlangen, dafi er, Miller, auf eigene Verantwortung, auch ohne Wissen Hawthornes, die PeachumschenDepots für Spekulationszwecke angegriffen habe. Die Bank selber müsse rein dastehen. Miller brach ganz und gar zusammen. Er legte den alten Kopt auf die Stuhllehne und weinte. Dann nahm er sich zusammen, stand auf und sagte mit stiller Würde: „Das kann ich nicht, Herr Macheath. Ich kann niemals unterschreiben, dafi ich der Bank anvertraute Gelder xu Spekulationszwecken mifibraucht habe. Wissen Sie, was das ist: a n v e r t r a u t? Sie haben mir Ihr sauer erworbenes Gut in die Hande gelegt. Sie haben gesagt: Herr Miller, hier ist mein Gut, aUes was ich habe, ich überlasse es Ihnen zu treuen Handen, nehmen Sie es und verwalten Sie es mir nach b e s t e m Wiss en nnd Gewiss enüchvertraue Ihnen! Ich bin ein Ehrenmann und Sie sind ein Ehrenmann. Vnd jetzt soll ich sagen: es ist weg. Ich bin noch hier, aber das Geld ist weg. Niemals. Horen Sie, Herr Macheath, das kann ich niemals sagen." „Aber Sie sind doch da. Herr Miller, und das Geld ist doch weg!" „Ja." sagte Herr Miller und setzte sich mit einem Ausdruck, wie ihn erstaunte Kinder haben können. Er ging, irnmerfort den Kopf schüttelnd und irgendetwas Tor sich hin murmelnd. hinaus. nachdem man noch über fünf Minuten gesessen hatte, ohne daB ein weiteres Wort gesprochen wurde. Zwei Stunden spater brachte der alte Hawthorne das Schriftsriick. MillersName stand klar und deutlich. wie von einem Schuljungen geschrieben, darunter. Hawthorne bat Macheath mit bewegter Stimme noch, Miller fürs Erste an seinem Puit in der Bank xu belassen — natur li ch ohne Gehalt — da der alte Mann nicht wisse, was er seiner Frau und seinen Nachbam sagen solle. Macheath willfahrte dieser Bitte. Am selben Tag vollzog Macheath seinen Eintritt in die National Deposit Bank. fine Zentnerlast war ihm damit von der Seele .Jetzt konnten die Aaron und Opper erfahren. daB der President der ZEG Macheath hieB, denn jetzt hieB auch der Direktor der National Deposit Bank Macheath. Und auch der Geschaftsfreund Chrestons hieB Macheath. Polly war nach dem Mittag essen zu Frau Crowl gegangen. Ihr Vater hatte sie gescbickt. Sie nahm ihm seit jeher gewisse Verpflichtungen ab, die er als Armenpfleger hatte. Frau Crowl war sehr gerührt über das EBkörbchen mit der Flasche Apfelwein, das Polly brachte. Sie klagte recht über die TSV, die alle Möbel, die sie nicht „unbedingt" brauchte, hatte beschlagnahmen lassen und über ihren Vater, der trübselig zuhörte. „Was soll ich nur mit Ihm anfangen," jammerte sie, „er ist schlimmer als die Kinder, die sind wenigstens stubenreln. Jetzt hat mein Mann seine Rente verspekuliert und wir haben überhaupt nichts mehr." „Wenn Sie wenigstens noch etwas aufbrachten, Frau Crowl," sagte Polly mitleidig, „dann könnte ich vielleicht meinen Mann dazu bewegen, Ihnen einen seiner kleinen B.-Laden abzulassen. Da waren Sie wenigstens selbstandig und Ihr eigener Herr. Aber das kostet eben auch ein kleines Anfangskapital." Sie war sehr nett zu Frau Crowl. Die trostlose Stube wurde heller, so lange sie dasaB, lachelnd und das leere Körbchen auf dem SchoB. Frau Crowl zögerte. Ihr matter Bliek ging, ohne den alten Mann zu streifen, ttber ihre elenden Möbel weg. Dann sagte sie plötzlich: „Eine Aussicht hatte ich ja noch. Er hat noch eine Schwester, die könnte vieUeicht in so etwas absolut Sicheres eine Klelnigkeit — mehr hat sie nicht — hineinstecken..." Und indem sie sich an den alten Mann wandte: „Was melnst Du dazu?" Der Alte sagte nichts. Er hatte wohl nichts verstanden. Sein Kopf schien nicht mehr ln Ordnung zu sein. Die beiden Frauen besprachen noch einige Minuten die Angelegenheit. Als sich PoUy erhob, hatte sie das feste Ver- sprechen gegeben, ihren Mann um einen Laden für Frau Crowl zu bitten. Sie vergafi es allerdings schon wieder auf der Treppe. Es war eine Leidenschaft von ihr, bei allen Leuten beliebt sein zu wollen. Zurückgekehrt, wurde sie ins Büro ihres Vaters gerufen. Er eröffnete ihr in dürren Worten, daB ihr Mann in die Abtreibung eingewilligt habe. Er habe einen gewissen Grooch geschickt, der die Bestellung direkt an ihn gegeben habe. Für sie selbst liege ein Zettel auf ihrem Zimmer. Polly las den Zettel und war tJef getroffen. So wenig hing Mac an seinem Sohn? Denn für ihn war es doch sein Sohn, da er ja von Smiles nichts wuBte! Es war abscheulich! Sie krankte sich so, daB sie ihrer Mutter sagte, sie wolle noch am namlichen Nachmittag zum Arzt, sie wisse auch einen solchen, es koste fünfzehn Pfund. Frau Peachum wollte es zuerst mit Gbinin versuchen. Man nahm am ersten Tage drei Kapseln, am zweiten vier und so fort bis zu sieben. Über das hinaus durfte man nicht gehen, aber man durfte auch nicht bei Ohrensausen, Herzklopfen und Übelkeit das Zeug ausspucken und aufhören. Frau Peachum erfuhr, daB es nicht mehr im ersten Monat war; so blieb nur noch der Arzt übrig. Sie gingen gleich nach dem Tee. Der Arzt schien den Pfirsich nicht wiederzuerkennen; seine Praxis war wohl zu groB. AuBerdem hatte er diesmal mit der Mutter zu verhandeln und für ihn waren diejenigen, mit denen er das Honorar ausmachte, die Patiënten. Er saB inmitten seiner Waffen, strich seinen schonen, weichen, nicht ganz bakterienfreien Bart und sagte: „Gnadige Frau,ich darf Sie wohl darauf aufmerksam machen, daB das, was Sie vorhaben, nicht mit dem Gesetz in Einklang steht.** 367 Er handhabte seine Stimme so, daB der erwahnte Einklang eine Art Spharenmusik wurde. Aber Frau Peachum unter- brach ihn trocken mit: „Ja, ich weifi, es kostet fünfzehn Pfund." DreiBig Jahre an der Seite ihres Mannes und reichlicher Konsum geistiger Getranke hatten sie die Menschen kennen gelehrt. „Es ist nicht getan mit fünfzehn Pfund, einer Summe, von der ich übrigens nicht weifi, wie Sie darauf kommen, die Operation stellt sich etwas höber," wehrte der Doktor salbungsvoll ab, „es ist eine Gewissensfrage." „Sie sagten, die Operation steilte sich höber? Wie hoch?" fragte Frau Peachum. „Ach, sagen wir, fünfundzwanzig Pfund, gnadige Frau, aber vor allem haben Sie die schwere Entscheidung zu tallen, ob Sie wirklich keimendes Leben vernichten wollen, das heifit ob es wirklich eine unbedingte, gebieterische Notwendigkeit ist, wie etwa bei meinen armen Patiënten, die einfach die Kosten fttr den Unterhalt von Kindern nicht aufbringen können, was zwar den Eingriff als solchen nicht rechtfertigt, aber doch menschlich begreiflich macht, nicht wahr!" Frau Peachum sah ihn aufmerksam an, dann sagte sie: „Gerade um solch eine Notwendigkeit handelt es sich, Herr Doktor." „Dann ist es natttrlich etwas anderes," sagte der Doktor, da Frau Peachum und ihre Tochter aufgestanden waren, „dann bitte ich Sie fttr morgen nachmittag um drei Uhr bierher. Das Honorar wird gleich bezahlt, damit Ihnen keine Rechnungen ins Haus kommen, gnadige Frau, Ich empfehle mich." Die Frauen gingen einen Kuchen essen. Da es zum Nachhausegehen zu früh war, gingen sie noch ins Kino. 358 Ks war eines jener kleinen, armlichen Etablissements, die ununterbrochen liefen. Es hatte die Form eines langen Handtuchs. Die Projektionsflache war winzig. Ein unaufhörlicher Regen ging über die Bilder und die Menschen bewegten sich darauf wie im Veitstanz. Der Film hieB „Matter, dein Kind ruftP* Er begann damit, daB eine vornehme, noch junge Dame Toilette für eine Abendgesellschaft machte. Mit Hilfe ihrer Zofe schnallte sie ein meterlanges Korsett an und hangte sich ein paar Pfund Diamanten an Ohren und Hals. Sie bewunderte sich in einem Wandspiegel und ging dann ins Zimmer ihres Kindes. das im Bettchen lag. Es war ein etwa dreijahriges Töchterchen, im Augenblick krank. Der Arzt, ein ernster, bartiger Mann, stand neben dem Bettchen und hielt ihren Puls. Dann wechselte er einige, wie es schien sehr eraste, Worte mit der jungen Mutter, die aber leichtfertig lachte, das Kind nur flüchtig umarmte und hinausrauschte. In der Mitte des Ganges stand der Erklarer, ein dicker Herr. „Leichtfertigkeit und GenuBsucht," sagte er mit etwas rauher BaGstimme, „verfuhren die junge Mutter dazu, ihr totkrankes Kind zu verlassen, um sich in die Arme rauschender Vergnügungen zu werfen." Jetzt sah man einen ungemein vornehm und prunkvoll ausgestatteten Salon, in dem eine gröBere Gesellschaft sich dem Tanzvergnügen bingab. „Die haute volée in Saus und Braus," erklarte gleichzeitig der BaB. Die junge Mutter trat ein. Ein Diener in Kniehosen meldete sie. Die Herren sprangen auf. Champagner wurde bestellt. Die junge Mutter saB zwischen zwei Kavalieren auf einem schwellenden Sammetsofa. Ab und zu erhob sie sich, um zu tanzen und flog von Arm zu Arm. „Im Fluge entellen die Stunden," informierte der Erklarer das Publikum. Dann sab man wieder das Kinderzimmer zu Hause. Dem Kind schien es erheblich schlechter zu gehen. Es saB aufrecht im Bettchen und streckte die Armchen nach seiner abwesenden Mama aus. Plötzlich fiel es zurück. „Oh," sagte der Bafi, „es stirbt, oh, es sinkt zurück! Es ist vorbei!" Man sah wieder den Ballsaal. Die junge Mutter schlürfte eben hintübergebeugt einen Champagnerkelch. Plötzlich wurde die Hinterwand des Salons durchsichtig; das Kinderzimmer tauchte auf; aus dem Bettchen erhob sich, ebenfails durchsichtig, das kleine gestorbene Madchen, bis es ganz senkrecht stand. Es hatte zwei Flügelchen an den Schultern, da es jetzt ein Engelchen war. Es flog zu seiner jungen, abwesenden Mutter in den Ballsaal, das heiBt es kam von hinten, aus der Salonwand heraus auf den Marmortisch zugeflattert, an dem die junge, pflichtvergessene Frau schwelgend saB, vor dem Tisch senkte es sich auf den Boden und löste sich ln nichts auf. „In einer Vision," dröhnte der BaB, „sieht die Entsetzte ihr Kind bereits verstorben. Als Engel, ach so rührend, scheidet es von ihr auf ewig!" Die junge Mutter fiel in Ohnmacht. Man sah sie noch für Sekunden in der Garderobe, wo sie schnell etwas überwarf. „Oh, daB es nicht zu spat ist! flüstert die Unglückliche, wahrend sie mit fliegenden Pulsen etwas überwirft." Dann kam wieder das Kinderzimmer und sie stürzte herein. Sie warf sich vor dem Bettchen auf die Knie, umarmte das gestorbene Töchterchen und rang die Hande. Alle bemühten sich um sie, aber sie konnten ihren Schmerz und ihre Selbstvorwürfe anscheinend nicht dampfen. Der BaB beschloB mit erstickter Stimme: „Zu spat, zu spat! Vorbei das Glück! Nicht Schmerz noch Reu bringts dir zurück!" Die beiden Frauen saBen wahrend des Filmes erschüttert zwischen dem andern Publikum. Sie hatten sich an der Kasse Schokolade gekauft. Aber schon kurz nach Beginn des Melodramas hatten sie alles heruntergewürgt. Der Film packte sie. Als das kleine Madchen, fern von der leichtsinnigen Mutter, einsam starb, fühlte Polly einen stechenden Schmerz ln der Brust. Sie grif f im Dunkeln nach der Hand ihrer Mutter, die Tranen standen beiden Frauen in den Augen, als das gestorbene kleine Madchen in den Ballsaal geflattert kam, mit seinen ausgestreckten Armchen und den hellen Locken. Sie verUeBen das Kino tief bewegt von diesem Kunstwerk. „Ich bringe Dich nicht dorthin morgen nachmittag!" sagte Frau Peachum gepreBt auf der StraBe. Auch PoUy konnte sich nicht mehr vorstellen, wie sie ihr Kind hatte opfern woUen. War sie nicht wie jene verbrecherisch leichtfertige Mutter im BaUsaal? Erst in der Nacht erholten sich die beiden Frauen von der Wirkung der Kunst. Frau Peachum kam auf Baumwollstrümpfen in PoUys Kammer und sagte, auf dem Rand ihres Bettes sitzend: „Du darfst morgen mittag nichts essen. Sonst spuckst Du nach der Narkose." PoUy sah die ganze Nacht die Waffensammlung des Doktors. Herr Peachum war sehr beschaftigt. Er empfing an diesem Abend den Anwalt Withe und Fanny Crysler. Peachum batte darauf bestanden, dafi sein Schwiegersohn ihm sogleich die Person nenne, die den Ehebruch vor Gericht beschwören würde. Er mufite sicher gehen. Macheath hatte ein Madchen aus dem öffentlichen Haus der Frau Lexer in Tunnbridge vorgeschlagen und der dicke Withe hatte sie in die Old OakstraBe gebracht. Sie hatte sich sehr freimütig geauBert, aber Herr Peachum hatte Anstofi genommen und diese Zeugin abgelehnt. Er sagte, er denke nicht daran, seine Tochter vor aller Welt soweit zu erniedrigen und fürchtete wohl in Wirklichkeit, das Zeugnis der Prostituierten könne vor Gericht angefochten werden. Es hatte einen Wutanfall Macheath' gegeben. „Mit wieviel Weibern soll ich eigentlich nach Ansicht und auf Wunsch meines Schwiegervaters noch geschlechtlich verkehrt haben?" hatte er geschrien. Er hatte dennoch eingewilligt, Fanny Crysler zu nennen. Er saB zwar jetzt in der Leitung der Bank, aber ein Zusammenbruch Peachums war ihm immer noch nicht erwünscht: er betrachtete ihn jetzt als Kunden. Wenn dieser Kunde mit seinem Gegner auf eine Weise fertig werden konnte, die ihn nicht zwang, sein Geld abzuheben, war es für die Bank viel besser. Der Gedanke an eine wirküche Scheidung von PoUy ging in diesen Tagen Macheath mehr ais einmal durch den Kopf. Grooch gegenüber, mit dem er, taktlos wie immer, die AufsteUung Fanny Cryslers als Zeugin durchsprach, aufierte er sich folgendermafien: „Es können Ereignisse eintreten, die mich und meine Frau auseinander bringen. Es könnte dann von meiner Seite aus ein Bruch das Klügste sein. Aber wenn ich jetzt mein Verhaltnis mit Fanny zugestehe, dann braucht dat noch lange nicht den Bruch mit meiner Frau xu bedeuten. Sie Ist immer - hbs schvanger van mir und da kann sie nicht jeder Laune nachgeben und wegen jeder Kleinigkeit weglaufen. Nur die aüertriftigsten Gründe würden eine Frau in diesem Zustand dazu treiben, ihren Mann aufzugeben. Om* ist der Vorteil, wenn sie schwanger sind. Dann merken sie, was sie an einem haben. Die Natur, Grooch, ist schlau. Ste setzt durch, was sie wilt. Vnd warum ? Weil sie gerissen ist!" Grooch hoekte auf der Matraze, rauchte und nlckte bedachtig. ,.Es gibt nur einen Fall, in dem meine frau mir daraus einen Strick drehen könnte," fuhr Macheath nachdenklich fort. „Ow ware, wenn sie sich wirklich von ihrem Kind, das sie tragt, trennen würde. Aber dm* ware eine solche Kaltblütlgkeit von ihr, dafi es dann auch ganz gleich ware, ob es zum Bruch kommt. Ich habe es Ihr onheimgesteUt. Ich habe nicht dajür und nicht dage gen gesprochen. Damit woUte ich tttr su erkennen geben, dafi alles tttr überlassen sein soUte. Dm* ist eine scharfe Prüjungfür sie, eine Prüjung auf Herz und Nieren. Ich kann, of jen gestonden, nicht wissen, wie sie sie bestehen wird. Ich weifi nicht einmal, ob nicht schon alles entschieden ist. In diesem Mament weifi ich nicht, ob sie das Kind noch unter dem Herzen tragt oder nicht. Ich habe mich gehütet. xu f ragen. Ich kümmere mich scheinbar überhaupt nicht darum. Aber es wird die Zeit kommen, wo ich Jragen werde: wo ist dein Kind ? Wie bist du mit ihm umgegangen ? War es dir so viel, dafi du um nichts hs der Welt dich von Ihm trennen woUtest. oder war es etwa anders ? Diese Mirtute wird über alles entscheiden." Grooch hatte von neuem genickt und Macheath glaubte wirklich in diesem Augenblick, was er sagte. Es lag ganz in seiner Art, strikte Anweisungen zu geben und dann unerbittlich diejenigen verantwortlich zu machen, die sie aus- führten. Jetzt brachte Withe Fanny Crysler zu Peachum. Er empfing die Beiden stehend in seinem kleinen Büro. Fanny gab sich sehr natiirUch und sie wirkte, wie immer, als Dame. Sie sagte, sie wolle Herrn Macheath den Getallen erweisen, den er von ihr verlange. Sie sei nach keiner Seite gebunden und mache sich nichts aus dem Gerede der Welt. „Halt!" unterbrach sie Peachum schroff. „Soll ich das so verstehen, dafi Sie einen Meineid leisten wollen, um Herrn Macheath gefallig zu sein? Damit ware tuis in keiner Weise gedient." Fanny sah überrascht den Anwalt an, der betreten in eine Ecke des armlichen Gelasses stierte. „Sie meinen," sagte sie — sie saB als einzige von den dreien und jetzt zündete sie sich eine Zigarette an — „ich soll Ihnen sagen, ob ich wirklich mit Ihrem Schwiegersohn geschlafen habe?" „Allerdings," bestatigte Herr Peachum. Sie lachte, aber nicht unangenehm. Dann wandte sie sich an Withe: „Ich weifi nicht, ob das in Herrn Macheath' Sinn ist, Withe, dafi ich über sowas spreche." Sie liefi absichtlich die Anrede „Herr" weg, um zu zeigen, dafi sie gesellschaftlich aut gleicher Stufe stand, das heifit zu Withes Klienten gehorte. „Ob in Herrn Macheath' Sinn oder nicht," sagte Herr Peachum erbittert, .Jedenfalls mufi ich es wissen. Und meine Frau mufi es auch wissen, wenn Sie nichts dagegen haben. Es soll kein Scherz sein, das Ganze." Und er öf fnete die Blechtür und schrie nach seiner Frau. Sie schien nicht weit weg gewesen zu sein. Sie war sofort da. Neugierig sah sie auf den Besuch, die Hande über dem Bauch gefaltet. Sie war keine Dame. „Das ist Fraulein Crysler," steilte ihr Peachum die Dame vor, die ihre Zigarettenspitze sofort weggelegt batte, aber das Bein ttber dem andern lieB, immer noch unbestimmt lachelnd. „Fraulein Crysler ist gekommen, mir die Mitteilung zu machen, daB sie mit Herrn Macheath bis in die letzte Zeit, also auch noch nach seiner Hochzeit, intim verkehrt hat. So ist es doch?" „Sehr richtig," sagte Fraulein Crysler nunmehr ganz ernst. Und aus Höflichkeit zu der fremden Frau fttgte sie leicht hinzu: „Ich leite ein Geschaft Herrn Macheath' und arbeite standig mit ihm zusammen." Dann stand sie auf, packte ihre Zigarettenspitze in ihren Bentel, nickte mit dem Kopf und ging hinaus. Withe öffnete ihr die Tttr, verlegen lachelnd. Peachum schlief seit Monaten zum ersten Mal ruhig in dieser Nacht. Er woUte am nachsten Morgen die entscheidende Unterredung mit Coax veranstalten.Er woUte ihm PoUys Fehltritt gestehen und zugleich Macheath' Einwilligung in die Scheidung vorlegen. Die Southamptoner Schiffe brauchten nicht gekauft zu werden, das Geld dafür lag, bis auf Peachums AnteU, da. Aber am Morgen, als er sich eben rasierte, um zu Coax zu gehen, drang dieser bei ihm ein und schrie ihn, einen Brief schwenkend, an: „Herr! Was machen Sie mit mir? Sie reden mir ein, ich soUe Ihre Tochter heiraten. Monatelang bringen Sie mich mit ihr zusammen. Auf diese Weise sichern Sie sich eine SondersteUung in unserm Geschaft, halten mich ab, gegen Sie vorzugehen wie gegen die anderen Betrüger, zu denen Sie gehören. Heute frtth erfahre ich, Bare Tochter sei langst ver- heiratet, liege ln Scheidung, und Ihr Mann sei ein Verbrecher, der, wie man mir sagt, im Gefangnis sitzt. Sind Sie wahnsinnig, Herr?" Peachum stand, das Gesicht voll Seifenschaum, den Arm mit dem Messer erhoben, vor dem kleinen Spiegel, den er an den Fenstergriff gehangt hatte. Die Trager seiner Hosen schleiften hinter ihm am Boden. Br stöhnte dumpf. „Ist das Ihre Antwort, Herr?" fuhr Goax eiskalt fort. „Ist es das, was Sie mir zu entgegnen haben? Ein Grunzen? Herr, Sie haben Mut!" Peachum nahm das Messer herunter. Er hatte ein gemeines Gesicht, aber jetzt war der Schmerz darin so groB, daB es fast gut aussah. „Goax," sagte er mit dumpfer Stimme, „aber Coax! Wie können Sie so sprechen!" Und der Ausdruck seines Schmerzes war so echt, daB Coax nur mehr das Nötigste sagte. „Sie werden innerhalb von zwei Stunden, zwei Stunden, Peachum, das Geld fttr die TSV abliefern und zwar bei mir im Büro, und sich nicht mehr blieken lassen danach, sonst sitzen Sie in fünf Stunden im Gefangnis bei Ihrem sauberen Herrn Schwiegersohn!" Er ging aufrecht hinaus, wo er auf PoUy und ihre Mutter stieB, die auf den Larm herbeigeeilt waren. Als er an ihnen vorbeiging, sagte er schneidend: „Guten Tag, Frau Macheath I" Frau Peachum ging sofort ins Kontor. Als sie ihren Mann leichenblafi am Fenster stehen sah, wufite sie Bescheid. „Wir werden noch etwas warten mit dem Arzt, PoUy," sagte sie eine Viertelstunde spater zu ihrer Tochter. Peachum war wie vor den Kopf geschlagen. Er hatte so fest mit den Begierden des Makiers gerechnet. Sie schienen ihm, dem Puritaner, so sicher, weil sie ihm so schmutzig schienen. Er hatte fest damit gerechnet, Goax werde seine materiellen Interessen seiner Wollust opfern und er hatte ihn darum verachtet. Er hatte ihn unterschatzt... Die Angelegenheiten entwickelten sich, auf den Schachzug des Herrn Coax hin, rasend. Peachum ging in seine Bank und hörte, als er sein Depot abheben wollte, allerhand Ausflttchte. Mifitrauisch geworden, verlangte er Miller zu sprechen. Als man ihn warten lieB, drang er bei ihm ein. Eben kam, ln höchster Eile, Hawthorne zur andern Tttr herein. Ein Bliek auf die Anderthalb Jahrhunderte und Peachum wufite alles, oder fast alles. Eine kurze Unterredung schuf völlige Klarheit. Er hatte schon mit Herrn Macheath zu verhandeln, wenn er an sein Geld heranwoUte. Herr Macheath war seit gestern Geschaftsführender Direktor und im übrigen im Gefangnis. Peachum lieB die alten Leute stehen und lief in Coaxens Büro. Es war schon elf Uhr. Coax hörte seinen Bericht schweigend an. Dann sagte er trocken: „Ich lasse Ihnen bis morgen mittag Zeit. Dann haben Sie das Geld oder Sicherungen dafür herbeigescbafft. Wie Sie sagen, ist Ihr Schwiegersohn Bankdirektor. Jetzt sofort geben Sie mir den Regierungsvertrag und das Schriftstück, in dem Crowl und der Baronet ihre Verfehlungen und damit die aller andern eingestanden haben." Peachum ging noch einmal weg und holte die Schriftstücke fttr Coax. Er war wie im Trance. Dann ging er wieder nach 'Hause und schloB sich in seinem Büro ein. Er afi nichts. Gegen zwei Uhr lieB er Fewkoombey aus dem Hotel holen. Der ehemalige Soldat sah wohlgenahrt aus, im Gesicht fast dick. Nur seine Gesichtsfarbe war ungesund. Wahrend Peachum mit ihm sprach, seiner Gewohnheit nach dem blinden Fenster an der Ecke zugewendet, stand der Einbeinige ohne die geringste Bewegung an der Blechtttr, die Mütze zwischen den groBen Handen. Peachum sagte ihm kurz folgendes: Auf seine Fabrik seien einige Anschlage verübt worden. Er müsse den Betrieb daher wesentlich einschranken und einen Teil seiner Leute auf die StraBe setzen. Darunter werde auch Fewkoombey sein. Eine zeitlang sprach Herr Peachum über das furchtbare Problem der Arbeitslosigkeit. „Ich bin mir wohl bewuflt, was es heifit, seine Leute auf die Strafte xu setzen. Besonders furchtbar sind die morallschen Folgen dieser Erscheinung. Der typische Arbeitslose verliert für gewöhnltch nur xu bald jeden sittlichen Halt. Er ist höchst seiten fahlg, gegen die zermürbenden Einflüsse des Hungers und der Kalte seine sittlichen Grundsatxe durchzuhalten. Sein Selbstbewufitsein brlcht zusammen. Er erkennt, dafi er zur Lastfallt. In dieser Verfassung wird er nur zu leicht das Opfer verantwortungsloser Hetzer, die Ihn zum Feind der Ordnung machen wollen. Alles dies weifi ich, aber was soll ich tun f" Es gabe aber eine Möglichkeit, daB er nicht unbedingt und sofort einen Teil seiner Angestellten, darunter Fewkoombey, abbauen müsse. In London laufe ein Herr William Coax herum, der in seiner Brusttasche ein Schriftstück stecken habe, auf das er kein Recht besitze. Dieser Coax müsse erledigt werden und zwar bis morgen früh. Ein Alibi sei für denjenigen, der diese Erledigung besorge, um dadurch die Entlassung soundsovieler Angestellten zu verhindern, vor-» handen. Der Betreffende müsse einfach sogleich nach der Tat da und da hingehen und die Nacht über dort bleiben. „Es ist eine geschaftliche Angelegenheit," schlofi Herr Pea- chum philosophlsch. „E* Ut dut Fortführung eines Geschafte mit anderen Mitteln. Denken Sie an Krieg, Sie sind Soldat: wenn die Geschaftsleute am Rand ihrer Weisheit sind, damt kommt der Soldat dran. Et Ut richtig, wir haben im Geschaftsleben für gewöhnlich andere, frUdUche Methoden. Das heifit aber nur, dafi es heute andere Möglichkeiten gibt, aU ebt griffestes Messer, um das Gewünschte xu erreichen. heuler bleiben Ausnahmen." Der Soldat kannte den Makier Coax. Er natte mitunter einen Brief bei ihm abgegeben. Nach der Unterredung sah ihn Frau Peachum noch im Hof. Es war das letzte Mal, dafi er ihr vor Augen kam und sie erzahlte spater mitunter, dafi er ihr unheimlich vorgekommen sei. Er sei eine ganze zeitlang zwischen der Wasche gestanden, die zum Trocknen aufgehangt war und habe nach den Hunden hingeblickt. Hinübergegangen sei er aber nicht, obwohl sie ihr Fressen noch nicht bekommen hatten und schon danach jaulten. „Gott weifi, was für blutige Gedanken er in seinem Kopf gehabt haben mufl, wie er so dastand," sagte sie seufzend. In Wirkliclikeit hatte er wohl gar keine Gedanken, wenn er sich nicht ausrechnete, wieviel die vor Nasse, nicht vor Kalte geschützte Stelle unter dem mit Dachpappe gedeckten Verschlag, in dem er eine Bleibe gefunden hatte, wert sein mochte. Die Zeit, die er hier hatte verbringen können, war kurz gewesen. Mit dem halben Band der Enzyklopadie war er nicht fertig geworden. *Als er den Instrumentenladen in der Old OakstraBe verliefi, hatte er ein Messer in der rechten hinteren Hosentasche; einen EntschluB hatte er noch nicht. Dreigroschenroman 24 Fast zur gleichen Zeit hatte Frau Polly Macheath eine Unterredung mit Herrn O'Hara. Sie tand in des Letzteren Wohnung statt. Frau Macheath erzahlte mit grofier Heftigkelt, dafi sie eben einen Brief von ihrem Mann in ihrem Zimmer vorgef und en habe, in dem er ihr schrieb, sie brauche sich nicht mehr zu beunruhigen. Es werde nie zu einer Scheidung kommen (nie war unterstrichen), er werde zu gegebener Zeit einfach den Makier Goax des Ehebruchs mit ihr bezichtigen, er habe belastendes Material gegen Goax, das ihn öffentlich als Wüstling enthüile. Das würde Coax, auch wenn er in diesem Fall noch so unschuldig sei, jedes Interesse an einem Scheidungsprozefi nehmen. Sie zeigte den Zettel, er war in aller EUe, mit Bleistift, geschrieben. O'Hara schien nicht sehr betroffen. „Goax soll als Zeuge geladen werden!" wiederholte PoUy aufier'sich. „Nun, und?" fragte O'Hara, sich nicht einmal vom Sofa erhebend, da es nach dem Essen war und er die Times las, und zwar den SportsteU. „Nun und! Ich wünsche es nicht!" „Hast Du mit ihm Ehebruch getrieben?" „Nein, natürUch nicht." „Warum wünschst Du es dann nicht, dafi er aussagt?" „Weil ich es nicht wünsche. Genügt das nicht? Ich wünsche es nicht, also mufi er weg, bevor es zur Verhandlung kommt." „Wenn ich Dich recht verstehe, wünschst Du also, dafi er um die Ecke gebracht wird?" „Nein, das wünsche ich natürUch nicht." Eine Pause trat ein. O'Hara nahm die Zeitung wieder auf. „Nun, und?" fragte Polly. „Tu die Zeitung weg! Wie behandelst Du mich denn? Ich habe Dich etwas gefragt!" „So?" sagte O'Hara. „Richtig. Er soll weg. Was geschieht übrigens, wenn er nicht wegkommt?" „Dann gebe ich selbst einen Zeugen an, mit dem ich die Ehe gebrochen habe," sagte Polly langsam und überlegt. „Ach? Dann gibst Du selbst einen Zeugen an ..."' „Dn brauchst gar nicht so zu grinsen. Du verstehst das nur nicht. Ich werde mich niemals mit einer solchen lacherlichen Figur wie diesem Coax vor einen öffentlichen Gerichtshof hinstellen. Wenn ich schon die Ehe gebrochen habe, dann muB es mit einem einigermaBen passablen Mann gewesen sein. Hast Du diesen Coax einmal gesehen? Das ist ein alter Bock, aber kein Mann, mit dem man eine Ehe bricht! Bei Dir ist auch nichts dahinter, aber Du steilst wenigstens auBerlich etwas vor. Jedenfalls reicht es für das Gericht aus." O'Hara war mehr als unangenehm berührt. Seine ganze, nicht geringe Erfahrung mit Frauen sagte ihm, daB der Grund, den PoUy da für angab, dafi sie lm NotfaU, das heifit im Falie des Nochvorhandenseins des Makiers, ihn, O'Hara, nennen würde, ein für sie sehr trlftiger war. Aber fttr ihn würde das den vorzeitigen Bruch mit seinem Chef Macheath bedeuten, das Scheitern seiner Plane, mögUcherweise noch Schllmmeres. Er kannte Macheath aus der Zeit, wo er noch Beckett geheifien hatte. Er war nicht immer dick und friedfertig gewesen. O'Hara faltete die Zeitung sorgfaltig zusammen und setzte sich auf. „Halt jetzt den Mund," sagte er grob, „Du hast genug geschwatzt. Du kannst jetzt gehen." 371 Er hatte begriffen, daB er nun bezahlen sollte. Polly ging weg, um Ihn nicht zu argern. Sie trug nach der Mode der Zeit einen Hut so grofi wie ein Wagenrad, mit gefarbten Federn, einen Gazeschleier, einen Sonnenschirm und ein Korsett, das den Hintern herausdrückte. Sie hatte sorgfaltig Toilette gemacht und besah sich in jedem Schaufenster. Auf diese Weise sah sie auch, welche Manner ihr nachschauten oder nachliefen. Sie ging zu ihrem Mann ins Gefangnis. Siè war bezaubernd zu Mac. Sie saB kokett auf der Prltsche, das eine Bein ttbergeschlagen und mit dem Schirm Löcher in die Luft bohrend und lobte Mac, daB er Coax nennen wolle, sodaB der ganze ProzeB in die Versenkung f allen mufite. Sie würde vor dem Gerichtshof mit dem Schirm auf den Makier zeigen und sagen: mit diesem Herrn soll ich ins Bett gegangen sein? Und einfach lachen. Sie lachte sehr, als sie diese Szene beschrieb. Mac blieb finster. Miller von der National Deposit Bank war bei ihm gewesen und hatte verstört von Peachums Besuch in der Bank berichtet. Dieser Coax bedeutete eine eraste Gefahr für Peachum und sein Vermogen. Er schien sich mit Polly nicht abspeisen zu lassen. Wenn aber Peachum mit Coax nicht fertig wurde, explodierte die Bank, deren Prasident zu werden soviel Mühe gekostet hatte. Er empfand schmerzlich seine Schlcksalsverbundenheit mit seinem Schwiegervater und fühlte eine gewisse Sehnsucht, mit ihm zu reden, wie andere Schwiegersöhne mit ihren Schwiegervatern redeten, wenn der Wohlstand der Familie in Gefahr war. Er war zu nervös, um PoUy um sich haben zu können und schickte sie bald fort. Sie ging nicht, ohne geküfit worden zu sein. Gleich darauf hatte er eine ernste Unterredung mit seinem Mann Ready, Coax betreffend. Er war sein bester Totschlager. Der kranke Mann stirbt Inzwischen ging Coax die Harrowstralie hinunter, auf die Westlndiadocks zu. Peachum hatte ihm gesagt, daB er seine Leute gegen den Streik demonstrieren lassen wolle. Er hatte sie in Soldatenuniformen gekleidet. Sie sollten den Unwillen der alten Soldaten zum Ausdruck bringen darüber, daB durch die Habgier der Dockarbeiter britische Soldaten nicht auf den Kriegsschauplatz gelangten. In der Old OakstraBe waren Schilder gemalt worden mit den Aufschriften , J.hr haltet unsere Kameraden vom Kampf ab!" und „Seht, was wir geopfert habenP* Der Makier wollte sich den Rummel ansehen. Peachum hatte gemeint, er würde nicht groB werden, aber die Hauptsache sei die Verabredung mit den Zeitungen, etwas daraus xu machen. Am Limehouse Pier traf der Makier Beery, der sehr erhitzt schien und ihm mitteilte, Peachum habe die Demonstration am Vormittag abgeblasen gehabt, dann, nach dem Essen, wieder angesetxt; jedoch habe man nicht alle Teilnehmer rechtzeitig erreichen können, sodaB jetzt wohl eine recht lacherliche Teildemonstration stattfinden werde. Beery lief niedergeschlagen weg, um noch xu retten, was zu retten war. Coax pfiff vor sich hin. Also Peachum hatte gestreikt und arbeitete jetzt schon wieder. Je naher er an die Docks herankam, desto mehr Menschen sah er. Viele standen nur an den StraBenecken herum, aber eine ganze Menge zog auch wie er den Docks zu. Man schien etwas zu erwarten oder gesehen zu haben. Auf Befragen erfuhr er, dafi invalide Soldaten an den Docks demons trierten. Das Gedrange wurde immer dichter. Es war die Stunde "des Schichtwechsels. Die Arbeiter, die noch arbeiteten, mufiten die Docks verlassen. Da es bisher zu keinen Tatlichkeiten gekommen war, hatte man davon abgesehen, die Streikbrecher mit Kannen von der Arbeitsstatte zu entfernen. Sie mufiten also durch die Spaliere der Streikenden durch. Tatsachlich hörte man auch ziemlichen Larm aus der Gegend der Kais. Ein paar Strafienecken weiter begegnete der Makier Beery aufs neue. Er zwangte sich gegen den Strom der zu den'Kais vorstofienden Massen durch. Die belden Manner standen einige Minuten zusammen, eingekeilt. „Es Ut doch eine ganz betrachtltche Demonstration geworden," erzahlte der Geschaftsftthrer aufgeregt. „Von unseren Leuten Ut nur etwa ein Drittel da, aber, man sollte es nicht glauben, es sind wirkllche Invalide gekommen. Die ganzen Straften da vom sind voll von bUssUrten Soldaten und zwar echten. Damlt konnten wir natürUch nicht rechnen. Unsere Leute bekommen die Demonstration bezahlt, da Ut es verst&ndUch, dafi sie demonstrieren. Aufierdem haben sie vom Krieg nichts gesehen. Aber die jetzt mitmachen, sind echte Soldaten. Sie beschuldigen wirklich die Dockarbeiter, dafi sie nicht genug für die Nation opfern wollen! Horen SU nur, wie sie brullen! Das sind nicht die Arbeiter gegen die Streikbrecher, sondern die Soldaten, und zwar die schon zusammengeschossenen, gegen die streikenden Arbeiter! Zuerst wollten wit richtige Invalide engagieren, Herr Peachum memte, sie bekomen so wenig Rente und seien ln solchem Elend, dafi ste für wenige Pennles alles tun würden, auch für den Krieg demonstrieren. Aber dann liefien wir das, weü uns unsere eigenen Leute verlafiücher erschienen. Jets* seigt es sich, wie falsch es gewesen ware, Ihnen etwas su besahlen. Sie tun es umsonstl Man rechnet nie genügend mit der Dummheit der Leute! Diese Leute ohne Arme und Beine und Augen sind immer noch für den Krieg! Dieses Kanonenfütter halt sich wahrhaftig für die Nation! Es ist phantastisch! Mit denen kamt man noch viel machen, glauben Sie mir! Wir haben auch so einen, einen gewissen Fewkoombey, mit nurmehr einem Bern. Aber dafi er so etwas machen würde, hatten wbr nie geglaubt. Der hot allerdings schon den Frteden kennen gelernt, die da vom anscheinend noch nicht! Das Ut sum Kugeln! Aber ich sage immer: man mufi nur Krieg machen, da sind die Geschaftschoncen ungeheuer; da treten Triebe ans Ta geslicht, die man nie erwartet hatte und die man nur aussunütsen braucht, und man kann jedes Geschaft ohne Kapital machen! Das Ist grofiarttg!" Sie wurden ausetaandergerissen. In Achter- und Zehnerreihen, die Gasse ganz aus lullend, das Geröll der Mitgerissenen an den Hauserwanden abstreifend, marschierten die Demonstranten, patriotische Lieder stagend, stur vorwarts. Sie waren alle mehr oder weniger beschadigt. Einige humpelten auf Krucken, noch ungelenk, weü noch nicht lange; ein Hosenbein flatterte leer. Einige trugen den Arm in Schltagen, die Jacken über die Schultern gelegt; in der zunehmenden Dammerung wirkten die schmutzig weiBen Binden wie Fahnen. Es gab sogar Kriegsblinde in diesem tollen Zug, sie wurden geführt von solchen, die zu sehen glaubten. Man zeigte sie sich im Pu- blikum wie Trophaen, die man erbeutet hatte. Andere Opfer roUten in kleinen Karren mit, da sie die Beine auf dem Altar des Vaterlandes gelassen hatten. Die Leute auf den FuBsteigen winkten und warfen ihnen Scherzworte zu, die auf ihre Gebrechen Bezug nahmen; sie lachten zurück. Je zerstörter die Wracks waren, desto mehr begeisterte ihr PatriotJsmus das Publikum. 81e trieben untereinander geradezu Schmutzkonkurrenz; denn wie konnte zum Beispiel ein Einarmiger gegen einen Mann aufkommen, der beide Beine verloren hatte! Das Alles watete singend durch den knietiefen Unrat von Poplar und suchte mit letzten Kratten die entsetzUchen Elendsquartiere von Limehouse zu erreichen, KriegsUeder ausstofiend und die Luft mit Karbol und Hungeratem verpestend. Unter den Uniformierten marschierten, in gleichem Schritt und Tritt, ZivUisten, gröfitenteils junge Herrchen, adrett angezógen, die es sich nicht nehmen UeBen. Aber alle wünschten, dafi die Schiffe baldmögUchst fertig wurden, damit man sie beladen könnte mit frischem Fleisch, unverletzten, zweiarmigen und zweibeinigen Leuten mit gesunden Augen. Diese Beschadigten, Unbrauchbaren, Ausgesonderten wünschten dringend und vor aUem andern, sich zu vermehren. Das Elend zeigt einen enormen Fortpflanzungstrieb. Es hiefi, die Demonstranten zögen jetzt zum Stadtparlament, um ein aktives Eingreifen der Polizei gegen die Streikenden zu fordern. Coax begab sich auf den Rückweg. Es war schon ganz dunkel geworden. Der Herbst machte sich bemerkbar. ÜberaU standen noch Gruppen herum, die die Ereignisse besprachen. Im allgemeinen waren die Bewohner dieser Viertel natürUch tttr die Arbeiter. Sie kamen mit ihren Vermutungen dem wahren Sachverhalt zlemUch nahe. Sie gehörten anscheinend nicht zu dem „Volk Londons", von dem die groBen Zeitungen sprachen. Der Makier ging rascher. Er war etwas beunruhigt wie Immer, wenn er Auflaufen beiwohnte oder davon etwas erfuhr. Er trat in eine der kiemen, schmutzigen Schenken und nahm einen Whisky. Er fand ihn scheuBUch schmeckend und dachte: diese Leute haben einen grauenhaften Geschmack! Als er auf die StraBe trat, stieB er mit einem Mann zusammen, der etwas murmelte und wegUef. Es klapperte, er hatte ein Holzbein. Der ZusammenstoB hatte Coax erschreckt. Es ging ihm durch den Kopf, dafi man ihn anrempeln könnte, seiner zu guten Kleidung wegen. „EigentUch ist es auch unbegreiflich," dachte er. „daB man uns nicht einfach niederschlagt, wo man uns trifft. SchUefilich sind wir gar nicht so viele. Wenn ich darauf angewiesen ware, dafi Peachum mich verteidigt, stttnde es nicht gut um mich. Auch ich wttrde nicht gerade mem Herzblut fttr ihn vergiefien. Das SchUmmste bei dem Gesindel in solchen Vierteln ist es, dafi diese Leute vor einem Menschenleben nicht den geringsten Respekt haben. Sie denken, jedes Leben sei so wenig wert wie ihr eigenes. Dazu kommt noch, dafi sie jeden besser Situierten von vornherein bassen, weil er ihnen geistig überlegen ist." An der nachsten StraBenecke hörte er huiter sich einige Schritte, drehte sich um und bekam einen schweren Schlag ttber den Kopf. Er sank stumm zusammen. Ef flel auf das Pflaster, kroch auf die Hauserwand zu, erhielt einen zweiten Schlag und bUeb Uegen, bis eine PoUzeistreife ihn fand. Die Polizisten hoben ihn auf und trugen Um auf die Wache. Von dort kam er ins Schauhaus, wo er drei Tage spater von seiner Schwester erkannt wurde. Sie lieB ihn auf dem Friedhof von Battersea bestatten, wo dann ein Stein, Nachbildung einer abgebrochenen Saule, die Inschrift „William Goax, 1850—1902" trug. Fewkoombey war den ganzen Nachmittag hinter dem Makier hergegangen. Er hatte ihn nach dem Mittagsschlaf aus seiner Wohnung treten sehen, wie Herr Peachum ihm gesagt hatte. Nach sehr kurzer Zeit hatte er gemerkt, daB noch einige andere Leute dem Makier folgten. Er hatte keine feste Absicht. Der Auftrag behagte ihm ganz und gar nicht. Aber er war eben in Marsch gesetzt und muBte marschieren. Die paar Monate verhaltnismaBig ruhiger Kost in der Old OakstraBe hatten ihn korrumpiert, mehr noch die Tage im Hafenhotel. Er wollte nicht mehr zurück in das kalte Nichts der StraBen, aus dem er aufgestiegen war, zumal jetzt, wo es bald Winter wurde. Mehrmals war er dem Makier in der Menge ganz nahe, aber er hatte keine Lust, ihm schon etwas zu tun. Wahrend der Makier ln der Kneipe stand, verlor er sogar sein Messer. Er hatte an dem Balken des Holzgelanders, an dem er lehnte, herumgeschnitzelt und das Messer war über die Böschung in den Graben gefallen. Er wollte hlnuntersteigen, aber da sah er den Makier nicht mehr am Bartisch und lief ttber die StraBe. Als er mit ihm vor der Kneipe zusammenstieB, erschrak er, als plane jener einen Anschlag auf ihn und nicht umgekehrt. Die Verfolgung begann wieder. Fewkoombey merkte jetzt deutlich, daB sich an ihr noch mindestens zwei Andere beteüigten. Sie gingen in Abstanden voneinander, aber sie tauchten immer wieder alle zwei auf, wenn die Gassen leerer waren. Fewkoombey hatte, nachdem sein Messer weg war, keinerlei Aussicht mehr, den Makier kalt zu machen, dachte aber nicht daran. Er marschierte und begann mit sich zu reden. „Fewkoombey, ich mufi Sie en tl assen," redete er sich an. ,,/ch brauche Sie nicht mehr. Sie werden mich fragen: was soll ich da anfangen f Ich mufi Ihnen sagen: ich weifi es nicht. Ihre Aussichten sind sehr bescheiden. Sie haben, bevor Sie xu mir kamen, versucht, Bettler xu werden. Sie haben sich gesagt: Sie haben Ihren Fufi verloren. Ohne diesen Fufi können Sie kein Gewerbe mehr ausüben, das Sie emahrt. Sie er wart et en, dafi alle die Mörteltrager, Packer, Laufburschen, Fuhrleute und we» weifi ich, eben die Passanten, darüber tief gebeugt sind, dafi Sim nicht mehr Mortel tragen, Möbel pack en, Gaule lenken können und dafi sie, von Ihrem Schicksal ergriffen, das Brot mit Ihnen teilen würden. Ein Irrtum! Wissen Sie, was die Leute sagen würden. wenn sie es für der Mühe wert oder für der Gemeinheit wert hielt en, überhaupt xu Ihrem Fall etwas zu aufiern? Sie würden sagen: er scheidet aus? Einer scheidet aus? Was ist das schon, wenn einer ausscheidet und tausend bleiben! Da wird doch nicht Luft'. Ja, wenn tausend ausschiedenl Wenn unsere Brotgeber erst überall herumfragen mufiten, wo einer ist, der ihnen die Möbel tragt! —Wissen Sie, was alles untemommen wird. Leute aus dem Arbeitsprozefi herauszubringen ? Vieles, Fewkoombey, von dem, was überhaupt unternommen wird! Das ist geradezu die Hauptarbeit der meisten Menschen. Man lebt doch nicht davon, dafi man Möbel schleppen will, sondern davon, dafi man sie nicht schleppen will, also herangelocht, gebeten, besahlt werden mufi. Dazu mufiten wir aber xu wenige sein, unbedingt, Wenn wir genügend viele sind, beginnt der Krawall und die Schweinerei. Du bist jetzt draufien, Freund. Das ist ja richtig, dafi Du damit anfangst, wieder etwas sympathischer xu werden. Aber nicht so sympathisch! —Wir dürfen daher annehmen, Fewkoombey, dafi Sie sich soweit der aUgemetnen Sympathie erf reuen, dafi man Sie nicht direkt verfolgen würde, wenn Sie still halten. Das ist ja auch, wie die Verhaltnisse bel uns liegen, schon sehr viel. Aber Ste meinen, man sollte Ste bemttlelden ? Oh Einfalt! Die heute, die über die Brücke von Battersea gehen, sollen Sie bemttlelden! Diese ausgekochten, abgeharteten, jedes Elend, (darunter auch Ihres) ertragenden heute von Battersea! Was denken Sie, was eine richtig* Auskochung, eine einigermafien ausreichende Abhartung kost et? Sie Ist doch nicht von Natur do, sie mufi doch erworben werden! Der Mensch wird doch nicht als Schlachter geboren! Sehen Ste diese Kauwerkzeuge an! Die Ihrigen, wenn Sie wollen, lm Spiegel! Ich sage Ihnen, ein Viertel von diesen Kiefern würde genügen, die Spelsen xu xerkleinern. Aber vor dem Kauen kommt der Bifi und wieviele von diesen Kauwerkzeugen glauben Ste wohl sind machtig genug für diesen so wichttgen, so ausschlaggebenden Bifi, der das Opfer niederwirft, ausltefert, tötett Wenige, Herr, wenige. Ihnen fehtt der Fufi! Mehr haben Ste nicht xu bieten? Sie haben Hunger! Das ist alles? Unverschamthett! Das ist, wie wenn jemand es versuchen wollte, auf der Strafte die allgemeine Aufmerksamkett auf sich xu lenken dadurch, dafi er es vermag, auf einem Bein xu stehen. Solche gibt es doch Tausende! Da wird doch ganz anderes geboten. Sie sind unglückltch. Nun, Sie leiden unter dem Vnglück der Unglückltcheren. Das macht Sie konkurrenzunfahlg. Die Konkurrenz, mein Herr! Darauf beruht unsere Zivilisatton, wenn Sie es noch nicht wissen sollten! Die Auswahl der Tüchtigsten! Die Auslese der Überragenden! Wie sollen sie überragen, wenn es niemanden gabe, den sie überragen können t Gott sei Dank, dafi es also Sie gibt. Da kann man Ste überragen. Die ganze Entwtcklung aller Lebewesen dieses Planeten können wir uns nur so vorstellen, dafi es Konkurrenz gibt. Woher sonst überhaupt eine Entwicklung ? Woher der Affe, wenn der Sauriër nicht konkurrenzunfahtg war t Da sehen Sie! Ihnen fehlt das Bein. Gut, das können Sie zur Not beweisen (obwohl auch dazu noch der andere gehort, der bereit ist, Ihren Beweis anzunehmen! Aha, das haben Sie nicht bedacht!) Aber da ist doch noch das andere Bein, das haben Sie! Vnd die Arme! Vnd den Kopf! Nein, mein Lieber, so einfach ist das nicht, das gibt keine Auslese! Das ist nichts als BequemUchkelt, Schlechtrasstgkeit und RenltenzJ In Wlrkllchkeit sind Sie ein Schadllng! Ohne dafi es für Sie gut ist, schaden Sie, einfach durch Ihre Existenz, allen Anderen, Leistungsfahlgeren, Elenderen! Was, sagt man, soviele Vnglückliche? Wie soll man da helfent Wo solt man anfangent Das ist klart je mehr Vnglück es gibt, desto weniger braucht man sich damit abzugeben. Es ist ja fast schon allgemein! Der Natur zustand'. Die Welt ist eben unglücklich, so wie der Baum grün ist! Weg mit Ihnen!" Es wurde dunkier. Wahrend des Selbstgesprachs war der Soldat ln Zorn geraten. An einer StraBenecke angekommen, ttberlegte er schon, wie er den Makier anfaüen könnte. Im selben Augenblick beobachtete er von seiner Ecke aus, wie ein schmaler Mensch im Havelock mit ein paar schnellen Schritten hinter dem Makier hereilte und ihm einen Sandsack oder etwas Ahnliches, Schweres, auf den Hlnterkopf schlug. Fewkoombey erschrak, aber jetzt richtete sich der Niedergeknüppelte auf dem Gehsteig plötzlich wieder auf. Auf allen Vieren krie- chend versuchte er, an die Wand des Hauses zu kommen, anscheinend um sich antennen zu können. Der Soldat sah einige Augenblicke lang scharf hinüber. Dann ging er schnell ttber die Gasse, bis er neben dem immer noch Kriechenden stand. Langsam langte er in die Tasche seiner Jacke, dann in die rückwartige seiner Hose. Aber er brachte kein Messer zum Vorschein, wie er wohl geglaubt hatte. Mit einem tast erstaunten Ausdruck sah er in seine leere Hand. Dann begann er, an der Wand lehnend, den Bliek kühl auf den Kriechenden gerichtet, der jetzt eine Wendung gemacht hatte und keuchend nach der Gasse kroch, sein Holzbein abzuschnallen. Es war mit einem Lederriemen befestigt. Endlich hatte er es herunten und wahrend er es dem kriechenden Mann, der sich nicht umsah, ttber Rücken und Kopf schlug, dabei nur auf dem gesunden Bein nebenher hüpfend, stieB er, in Gedanken wohl immer noch bei der Mühe des Abschnaliens, hervor: „Verfluchtes Bein!" XIV Der starke Mann ficht Polly nahte zusammen mit ihrer Mutter an der Kindswasche in ihrem kleinen, rosagetünchten Zimmer, als Beery hereinrief, ihr Vater wolle sie sprechen. Sie lief nach unten, noch mit der Nadel und dem Faden in den Fingern. Herr Peachum hatte seinen Ausgehanzug an und bedeutete ihr kurz, er wolle mit ihr B.-Laden besuchen. Sie gingen die Old OakstraBe entlang dem Zentrum zu. Es war ein sonniger Spatherbsttag. Das Laub der Baume war gelb und auf dem Kanal schwammen Kastanien. Peachum sprach nichts, da er mit seiner Tochter nichts zu reden hatte. Aber sie fafite den Ausgang zu zwelt als ein günstiges Zeichen auf, und da auch die armseligsten Viertel in der dünnen und goldenen Herbstluft freundlich wirkten, war sie sehr aufgeraumt. Sie hatte noch nichts von O'Hara gehort. Herr Coax war in der Old OakstraBe nicht mehr aufgetaucht. Ihr Vater kam ihr viel ruhiger vor. Es schien eine leichte Entspannung eingetreten zu sein. In der BackstraBe traten sie in den ersten Laden. Ein grofies Weib verkaufte Kttchengeschirr und Werkzeuge. Sie kannte PoUy und beantwortete daher Peachums Fragen, wenn auch mürrlsch. Sie erzahlte, daB sie nur noch ganz geringe Posten hereinbekamen. Wenn ihr Mann nicht Spenglerarbeiten machte und Gartengerate und Lampen reparierte, waren sie schon langst verhungert. Man habe ihnen aber jetzt regelmafiige Lieferungen von Spenglerwaren zugesagt. Die Miete bezahlten sie allein, seien allerdings im Rückstand. Sie seien nicht die ersten Besitzer des Ladens; vor ihnen seien andere Leute da gewesen. Sie hatten die Einrichtung zurückgelassen dafür, daB ihre Nachfolger den Mietrückstand bezahlten. „Es ist alles erst im Anfang," erklarte Polly ihrem Vater, als sie weitergingen. „Die Geschafte sind ja alle kaum ein halbes Jahr alt und Macs Festnahme war ein grofies UnglUck für die Leute. Aber es geht immer besser. Die durchhalten, werden auch auf einen grünen Zweig kommen." Peachum antwortete nichts. Sie gingen mehrere Strafien schweigend nebeneinander her. Der nachste Laden, den sie aufsuchten, war mit einer Schusterwerkstatt ver bunden. Es gab ein halbes Dutzend Kinder, die alteren arbeiteten mit. Sie bekamen, wie sie sagten, genug Leder geliefert, auch jetzt noch. Sie hatten sogar wahrend der schlimmsten Zeit, wo die andern Laden einige Wochen lang gar nichts bekommen hatten, Leder in kleineren Quantitaten bezogen. Aber es war viel AusschuB dabei und die Stücke wurden nach der Flache bemessen, sodafi sie den Abfall mitbezahlen mufiten. Der Mann war leider krank geworden. Auch war das Licht in dem Loch, wo sie arbeiteten, recht teuer und es mufite den ganzen Tag brennen. „Besser ist es immer noch," sagte die Frau, „als in der Fabrik. Da kann man sich eben gar nichts zuverdienen." Peachum nickte und fragte, ob die Schuhpreise von der liefernden Firma festgesetzt seien. Die Antwort war: ja; und zu niedrig. Als sie wieder auf der StraBe waren, fragte Peachum seine Tochter: „Rechnen sie denn überhaupt ab?" Polly sagte, sie glaube, die Leute bekamen erst neue Ware, wenn die alte abgerechnet sei. Sie hatte Sorge, daB die Laden ihrem Vater sehr mififielen, da er nichts sagte. Im dritten Laden kamen sie kaum zum Fragen, da der Besitzer sofort anfing, von den Unruhen bei den Docks zu reden. „Diese Kommunisten," sagte er, „mufi man alle auf hangen. Sie schlagen einem die Fenster scheiben ein, ais ob man sie von den Fabrikanten gescheukt bekame'. Sie hassen uns, weil sie nichts haben und wir haben etwas. Weil es ihnen nicht gelingt, hinauf zu kommen, mochten sie, dafi es keinem gelingen soll. Alle Tüchtigkeit soll aufhören und der Bessere soll es nicht anders haben als der Unordentllche. Das sind die wahren Antichristen! Hier im Haus gibt es auch einige von Omen. Trinken tun sie nicht, aber Schllmmeres, wiet Die mochten einem alles wegnehmen, den Schemel unter dem Hlntern, wenn sie dran waren! Als ob wir nicht schon genug zu kampfen hatten! Nur eines hatte Herr Macheath nicht tun sollen: sich mit dem Juden Aaron einlassen! Der wird ihm noch allerhand zu schaffen machent" Wahrend seines Geschwatzes sah sich Peachum im Laden um. In roh gezimmerten Kasten mit Glas lagen billige Uhren aus. Hauptsachlich wurden Wecker verkauft. Es gab aber auch Trikotagen und sogar Tabak. Über der Tür stand: Gemischtwaren. Das Ehepaar, dem der Laden gehorte, machte einen unge- 385 Dreigroschenrornan 25 simden Eindruck. Der Mann war schon der dritte Besitzer dieses Ladens, der Dritte, der den Versuch machte, auf eigenen Beinen zu stehen. Nach seinem und seiner Frau Aussehen zu urteilen, war der Versuch ziemlich anstrengend. Der Mann hate ein unterwürfiges Wesen, das schlecht zu seiner massigen Gestalt paBte. Die Frau vernielt sich schweigend und blickte finster. „So ahnlich smd die Laden alle," sagte Polly ein wenig bedrilckt auf der StraBe. „Willst Du noch andere sehen?" Sie fuhren mit dem Pferdeomnibus ein Stück und gmgen noch in einige Laden. Vor einem derselben blieb Peachum stehen und sah mit verschlossenem Gesichtsausdruck auf das Trottoir. Der Ladeninhaber hatte mit Kreide einen elegant gekleideten Herrn mit Zylinder darauf gemalt, sowie eine Liste seiner Reklamepreise. Diese Technik kannte Peachum. Ein semmelblonder, noch junger Mann hinter einem Ladentisch mit Anzügen sagte ihnen: „Wissen Sie, es w i r d verdient hier t Der Umsatz ist nicht unbedeutend. Wenn wir erst wieder billige Waren hereinbekommen und etwas höhere Preise nehmen dürfen und die Konkurrenz der GroBen vom Leibe haben, dann ist es immerhin eine Existenz. SchlieBlich stehen wir morgens um 5 Uhr auf und zu Bett kommen wir auch nicht vor 10, 11 Uhr abends. Das mufi doch etwas ausmachen auf die Dauer. Meinen Sie nicht?" In einem anderen Laden war eben Umzug, als sie ein traten. Die Leute, die auszogen, hatten bis zur letzten Minute herumgetrödelt. Sie standen noch mit ihren Kindern und Móbeln in dem winzigen, gekalkten Raum, als die neuen Mieter schon ihre Klamotten drauBen vom Fuhrwerk auf den Bürgersteig steilten. Die Kinder heulten und bekamen Schlage von den erbitterten Eltern. Die neuen Mieter kamen herein. groBe, ruhige Menschen mit einem stillen Kind. Die Frau steilte allerlei F ragen nach dem Gaspreis und ob die Kammer wirklich trocken sei. Die Ausziehenden schimp ft en und man konnte deutlich sehen, wie die Neuen sich genierten. Sie hatten einen Fehler gemacht, als sie mit F ragen an fingen und wollten nichts mehr horen. Aber die Familie erzahlte jetzt und packte tuchtig aus. „Was die sagen, ist natürlich nicht ernst zu nehmen," erklarte der neue Besitzer Polly und ihrem Vater mit etwas gerote tem Gesicht. „Sie sind verbittert. Jetzt ist alles schuld an ihrem Unglück, nur nicht sie selber.*" Und die Frau sagte verachtlich: „Es sind Fabrikler. Sie gehen nach Lancashire, in die Spinnereien. Solche Leute sollten gar nicht erst mit selbstandigen Geschaften anfangen. Die Fabrik ist das Richtige für sie." Aber sie sah doch besorgt nach dem groBen, feuchten Fleck, den die andere Frau ihr triumphierend gezeigt hatte. Als sie mieteten, hatte vor ihm ein Kleiderschrank gestanden... Polly und ihr Vater gingen weg, noch bevor der Wirrwarr sich aufgelöst hatte. Sie fuhren zurück. PoUy redete nichts mehr, da sie glaubte, daB es keinen Zweck habe. Aber bevor sie nach Hause kamen, sagte sie doch noch einiges darüber, daB die Leute wenigstens ihre Selbstandigkeit hatten und das auch zu schatzen wüBten. Sie wollten eben niemand über sich haben. Lieber arbeiteten sie die halbe Nacht durch. Sie wuBte nicht, ob ihr Vater ihr überhaupt noch zuhörte. Aber er hörte sehr genau zu. Am nachsten Tag ging Peachum in die National Deposit Bank. Er brachte mehrere Stunden dort zu und arbeitete mit Miller. Über die Verbindung Macheath' mit Aaron konnte dieser wenig aussagen. Aber Peachum hatte langst begrüfen, dafi nur sein Schwiegersohn die Bank noch retten konnte. Die Art, wie er sich in ihren Besitz gesetzt hatte, war nicht ohne. Im allgemelnen hatte Peachum von den B.-Laden einen. guten Eindruck empfangen. Die Organisation war nicht schlecht. Auf diese Weise war aus den Leuten allerhand herauszuholen. PoUy hatte ganz unnötigerweise befürchtet, ihren Vater könne die ArmUchkeit der Laden storen. Er wufite natürUch, dafi Wohlstand nur die andere Seite der Armut war. Was war der Wohlstand der Einen anderes als die Armut der Andern? „Mit den Weltverbesserern kann man mich jagen," pflegte er oft zu sagen. „Ich erinnere mich noch, wie eines Tages ein Riesengeschrei in den Zeitungen erhoben wurde, die Slums seien keine menschenwürdigen Behausungen, sie seien unhygienisch. Man rij} dann ein ganxes Viertel nieder uhd schaffte die Bewohner in hübsche, solide und hygiënische Hauser drüben in Stokton-on-Tyne. Ste führten genaue Statlstlken, fünf Jahre spater verglichen sie ihre Tabellen und steilten fest, dafi die Sterbllchkett in den Slums 2 % betrug, aber m den neuen Hausern betrug sie 2,6%. Sie waren sehr erstaunt. Nun, die neuen Wohnungen kost et en einfach in der Woche 4—8 Schillinge mehr und das mufiten sich die Bewohner vom Munde absparen. Daran hatten unsere Weltverbesserer und Menschheitsbeglücker nicht gedacht!" Das Talent seines Schwiegersohnes machte Eindruck auf Peachum. Er fragte sich, gelegentUch von den Vertragen aufschauend, mit leerem Bliek auf die Ruine Miller, ob ihre Feindschaft nicht doch nur die übliche zwischen den Generationen gewesen war. Er hatte ihn unterschatzt, ihn für einen Verbrecher gehalten. Er war aber ein schwer arbeitender und unbedingt weitblickender Geschaftsmann. Noch am gleichen Abend suchte Peachum seinen Anwalt Walley in dessen Privatwohnung auf. Sie besprachen sich in einem groBen, prachtvollen Raum mit relcher Stukkatur an den Wanden und vielen exotischen Teppichen. In einer Ecke, in der Nahe des riesigen Schreibtisches, standen in grauen Emailletöpfen fettblatterige Pflanzen. „Sie kommen wegen der Scheidungsgeschichte?" fragte WaUey, etwas kühl. „Offen gestanden ist mir nicht ganz wohl bei dem Gedanken an diesen Prozefi. Der Ehebruch des Herrn Macheath steht ja fest und wird zugegeben. Die Nennung des Herrn Coax, wenn ich recht unterrichtet bin, eines Ihrer Geschaftsfreunde, als Zeuge eines Ehebruchs Ihrer Tochter ist natürUch eine Finte, aber es wird auf diese Weise eine Menge schmutziger Wasche gewaschen werden, fürchte ich." „Wer hat denn Herrn Coax als Zeugen genannt?" fragte Peachum erstaunt. „Herr Macheath. Vor einigen Ta gen." „So," sagte Peachum langsam. „Nun, Herr Coax ist seit 2 Tagen abgangig. Er ist vorgestern nicht nach Hause gekommen. Seine Schwester, mit der er zusammenwohnte, scheint recht beunruhigt. Leider hat er gewisse Neigungen, die ihn mit der Hefe der Bevölkerung zusammenbringen, sodafi sein Ausbleiben die schllmmsten Befürchtungen wecken mufi. Ich fürchte, mit anderen Worten, daB wir uns um Coax nicht mehr zu kümmern brauchen.** „Ach," sagte Walley nur. Er sah sein Gegenüber prüfend an, als sei er nicht recht im Bilde. „Ich habe jede Geschaftsverbindung mit Herrn Coax abgebrochen," fuhr Peachum fort. „Ich hatte in Southampton mit ihm ein Erlebnis, das mir die Augen öffnete. Es sei mir erspart, die widerlichen und fast Brechreiz verursachenden Szenen zu schildern, die sich dabei meinen Augen boten. Von diesem Augenblick an war der Mann moralisch für mich erledigt." Dann lieB er das Thema Coax fallen und erklarte mit undurchdringlicher Miene, daB seine Tochter ihm mitgeteilt habe, sie erwarte von ihrem Mann ein Kind. Dadurch sei alles von Grund auf verandert. Eine Scheidung komme nun nicht mehr in Betracht. Der Anwalt schien sehr erleichtert. Peachum sprach trocken weiter. Er erkundigte sich nach dem Stand und vermutlichen Ausgang des Prozesses seines Schwiegersohnes. Er lieB durchblicken, daB er nunmehr an einem günstigen Ausgang interessiert sei. Der Anwalt spielte mit einem Brieföffner in Messerform. „Herr Peachum," sagte er, „und wenn Sie mich hangen: Ihr Schwiegersohn wird frei ausgehen. Nicht ein Schatten von Verdacht wird bleiben, verlassen Sie sich darauf. Er hat doch ein Alibi." „Schön," sagte Peachum und wollte aufstehen. „Nicht schön," sagte Walley empört. „Ohne daB ein Mörder gefunden wird, kann die Freilassung noch geraume Zeit dauern. Das Alibi wird erst nachgeprüft. Nein, Ueber Peachum, wir müssen da schon noch ein wenig nachhelfen." Er legte sich zurück und faltete die Handchen über seinem Bauch. „Lieber Peachum," sagte er breit, „Ihnen liegt und mufi liegen an der völligen Aufklarung der Umstande, die zum Tode der Frau Swayer gefahrt haben. Ich glaube. Withe war es, der in der Verhandlung vor der Grand Jury die These verfochten hat, daB die Swayer in Anbetracht ihrer wirtschaftlichen Lage keinen Mörder brauchte, um aus dem Leben zu scheiden. Es ging ihr tatsachlich schlecht genug." Walley hatte immer langsamer gesprochen. als suche er nach einem Übergang. Er sah an Herrn Peachum vorbei, der mhig dasaB. die kno-chigen Hande zwischen den Knieën. Mit einem deutüchen Ruck sprach er weiter. „Leider." sagte er mit Nachdruck. .JaBt sich diese Lesart angesichts der neu aufgetauchten Tatsachen nicht aufrecht erhalten.** Walley war aufgestanden. Mit groBen Schriften ging er über die dicken Teppiche. die seine Beredsamkeit ihm eingebracht hatte. „Herr Peachum," sagte er dann bedeutungsvoll. immer weitergehend, .in der Gesellschaft der verstorbenen Mary Swayer hielt sich in letzter Zeit ein Mann nf, der vielleicht noch schlechter daran war als sie. ein Soldat namens Fewkoombey. Die Verhandlung vor der Grand Jury sah ihn auf dem Zeugenstand. Er sagte aus, er sei an dem fraglichen Abend mit Frau Swayer zusammen gewesen, er habe sie noch zum Pier begleitet.** Der Anwalt hielt inne. Er blieb vor Peachum brüsk stehen, sah ihn scharf an und sagte ruhig: „Hier sprach der letzte Mensch. der die Tote sah und niemand, der ihm zuhörte, kam auf den Gedanken, der so naheliegt. So sehr verblendete der HaB auf den gesellschaftli ch über ihnen stehenden Mann die Augen der meist den einfachen Schichten e rits tam menden Zeugen! Auch in die Redaktion des „Spiegels" begleitete der Soldat die unglück- liche Swayer, die ihre Selbstandigkeit wohl kaum mehr besessen haben dürfte. Es gibt Beweise, es m u B Beweise geben, Aussagen von Nachbarn,' was welB Ich, über die demonische Herrschaft, die er ttber die Unglückliche austtbte. Er hatte sich in dem behaglichen Nest eingeigelt, wahrend sich der Mann der Swayer, ebenfails ein Soldat, ein Kamerad von ihm also, im Felde befand. Ein Mensch, dem es besonderes Vergnügen bereitete, die Frau seines Kameraden zu verführen, und all dies vollzog sich in einem kleinen Zimmer, vor den Augen der Kinder! Als er Witterung von der ganz ungewöhnlichen Freundlichkeit und vaterlichen Fttrsorge bekam, die Herr Macheath gegenüber dem Geringsten seiner Mitarbeiter an den Tag legt, muB er der Frau Tag und Nacht zugesetzt haben, die seltene Gelegenheit auszunutzen. In einem Anfall von Scham mag die früher immer anstandige und ordentliche Frau sich geweigert haben, den GroBhandler zu erpressen, es mag auf dem nachtlichen Pier zu einer Szene gekommen sein ... jedenfalls werden wir die Aussage eines Hafenarbeiters haben, der am fraglichen Abend auf einem Spaziergang begriffen gegen neuneinviertel Uhr den Fewkoombey aus der Gegend des auBeren Piers kommen sah. Herr Peachum! (Der Anwalt erhob seine Stimme) Gerade der Gedanke, der es uns verbietet, zu glauben, daB der wohlsituierte Bankier Macheath die Kleingewerbetreibende Swayer ums Leben gebracht haben könnte, legt es uns nahe, dafi es der mittellose verrohte ehemalige Soldat Fewkoombey gewesen sein mufi. Es ist der Gedanke an die Bildungsstufe, auf der sich ein Mann befindet. Das Kriegshandwerk, das den gebildeten, phantasievollen Menschen ttber sich selbst hinaushebt und ihn zu den edelsten Taten anfeuert, weckt im ungebildeten, verrohten Menschen die niedersten Triebe. Ihn lockt der 392 Gewinn. Der Gewinn in jeder Form. Die reine Mordlust treibt ihm zum Mord. Für ihn gibt es nicht den offenen, alle Krafte weckenden Wettbewerb, den Zug nach oben, den nimmer rubenden Ehrgeiz, aus sich das Beste zu machen, der unsere gebildeten Schichten auszeichnet. Das biBchen Schulbildung kann ihn nicht entscheidend beeinflussen, meist ist es ja nur der warme Ofen. der ihn ins Schulzimmer lockt, wenn es nicht die Prügel sind. die zu Hause auf ihn herabregnen. Es gelingt ihm nicht. Geld zu verdienen, dazu ist er zu stumpfsinnig. Verdient er welches, dann kann ers nicht halten. Die Abfindung, die er vom Militar erhalt, rinnt ihm durch die Finger. Bald hat er nichts mehr. Gerade Sie wissen es, Herr Peachum: London ist kein Kinderbewahrungsheim, wenn man nichts in der Tasche hat! Er versucht su betteln. Es miülingt, er ist wohl nicht sympathisch genug. Jetzt ist er in einer Verfassung. in der die leiseste Aussicht, Geld zu machen. ihn aller Hemmungen beraubt. Er m u B toten, wenn er dadurch zu ein paar Schillingen kommen kann ! Die Natur, die ihre Gaben ungleichmaBig verteilt, das Milieu, die Erziehung haben ihren Teil schuld daran, wir wollen es nicht leugnen!" Der Anwalt sah einige AugenbLicke lang nach oben in den Kris tallüster. * . Jch höre Sie einwenden," fuhr er leise fort, „daB die Swayer eine armselige Person war, gerichtsnotorisch mittellos, sie trug wohl kaum mehr als ein paar Pennies bei sich. Ich habe Ihnen auseinandergesetzt. daB ich an eine Szene glaube, einen zu weit gegangenen Versuch, Zwang auf die Handlungsweise der Beklagenswerten auszuüben. Aber es kann sich auch nur um die paar Pennies gehandelt haben! Auch das ist móglich, sogar das! Was. für ein paar Pennies ein Menschenleben? Kann es das geben? Meine Herren! (Der Anwalt, bingerissen von seiner Beredsamkeit, vergafl, dafi er zu Hause war). Ein Bliek auf unsere Stadt enthüllt uns das Entsetzliche, Unglaubliche: es gibt daal Was sind Ihnen, meine Herren, einige Pence? Was sind Innen einige Pfund? Um was müfite es sich handeln, damit Sie... ich will den Gedanken nicht weiterspinnen. Wissen Sie, was eine Nacht unter den Brücken ist? Erlassen Sie mir die Schilderung!" Der Anwalt stand, die ausgestreckten Hande auf die Stuhllehne gestützt, zwei Schritt vor Peachum, sah auf ihn herab und beendete ruhig, nur ein wenig abwesend, als memoriere er im Hinterkopf die Höhepunkte seines aufierordentUchen Extempores für das Plaidoyer: „Ich fasse zusammen: was Mary Swayer ln den Freitod hatte treiben können, die elende materieUe Lage, das hat den Soldaten George Fewkoombey, den noch Elenderen, veranlafit, sie zu töten. Denn ich frage mich, wenn ich zu einer Untat den Tater suchen soll, immer nur: wer hatte sie nötig, die Untat? Wer sie nötig hatte, Euer Ehrwürden und meine Herren, der hat sie vollbracht!" Die erste Autoritat auf dem Gebiet des Elends hörte ihm zustimmend zu. Die Schlacht bei den Westlndiadocks Stürmisch die Nacht und die See geht hoch Tapfer noch kampft das Schiff. Warum die Glocke so schaurig klingt? Dort zeigt sich ein Riff! Brav ist ein jeder an seinem Stand Kampft mit der See fttr das Vaterland Dem Tode nah, dem Tode nah Furchtlos und mutig stehn alle da. Laut halit die Glocke jetzt ttber das Deck Nichts half das Kampf en: das Schiff, es ist leek. Macht euch bereit! Macht euch bereit! Wir segeln jetzt in die Ewigkeit! Gott sei mit uns! Wir gehen schlafen am Grunde des Meeres zur Run. Gott sei mit uns! („Seemannslos") Coax wurde, erst am dritten Tage nach seiner Ermordung von seiner Schwester in einer Leichenhalle in Poplar gefunden. Die Presse behandelte den Tod des Makiers William Coax im Zusammenhang mit dem die öffentlichkeit immer starker beschaftigenden Streik der Dockarbeiter. „Es kann kein Zweifel darüber bestehen," schrieben die Zeitungen, „dafi William Coax für sein Land gefallen Ist. Alle poltzetltchen Untersuchungen lassen es als sicher erscheinen, dafi streikende Arbeiter hier bis zum Mord gegangen sind. Coax hatte in Zusammenarbelt mit der Regierung Frachtraum für Truppentransporte nach Kapstadt beschafft. Wenn die Regierung nicht willens oder imstande Ist, Leute, die mit Ihr für dos Land arbeiten, xu schütxen, wird sich bald kein Geschaftsmann mehr für sie finden. Es Ist tragisch, dafi dieser verdiente Mann in unmittelbarem Zusammenhang mit einer schonen Demonstration invaltder Soldaten umkom. Mehrere Hunden zu Krüppeln geschossene Leute demonstrierten namlich an diesem Dienstag in den Docks gegen den unverantwortllchen Streik der Dockarbetter, durch deren Schuld englische Soldaten, die in Mafeking eingeschlossen auf Entsatz warten, dem Untergang preisgegeben werden. Wie man weifi, geht der Streik um wenige Pence. Keiner der streikenden Arbeiter kann mit ein paar Pence mehr in der Woche auch nur ein paar Stiefel mehr kaufen. Die Notlage des Landes wird also um nichts und wieder nichts hier zu Erpressungen ausgenutzt, die nicht einmal den Erpressern etwas nützen. Die besten Köpfe unserer Industrie sind Tag und Nacht an der Arbeit, die Kosten der Lebenshaltung auf dn Minimum zu senken. Erst dieser Tage gab ein viel Auf sehen erregender Prozefi Gelegenheit ZU studteren, wie unermüdlich die Geschaftswelt darauf bedacht Ist, selbst unter Opfern lebensnot wendige Artikel zu verbllllgen. Unter Einsatz aller Krafte senken die Chrestonschen Kettenladen, senkt der Aaronkonzern, senken Dutzende kleiner, selbstandlger Ladentnhaber und Handwerker, zusammengefafit in dem bekannten B.-Laden-System, die Preise ihrer Artikel. Wie soll dies mögllch sein, wenn ein Teil der Bevölkerung steifnacklg auf seinem Scheut bestehtt Niemand wird bestreiten, dafi die Arbeiter die gleichen Rechte auf angemessene Entschadigung für Uwe Arbeit haben wie jeder andere Stand. Aber die Mlttel, die hier angewendet werden, sind durch nichts zu rechtferttgen, besonders nicht'in einer Zeit, wo das Imperium um seinen Bestand kampft und jeder Opfer tragen mufi. Man darf wohl erwarten, dafi die Regierung jetzt endllch durchgreift. Die Ermordung des Kaufmanns William Goax Ist ein flammendes Zeichen dafür, wie welt es mit England gekommen Ist." Es mufite allerdings noch einiges andere geschehen, bevor die Regierung erkannte, was ihre Pflicht war. Als Prasident der TSV gab Peachum eine Reihe von Interviews. Er brachte die Trauer der Gesellschaft um den unersetzlichen Geschaftsfreund zum Ausdruck und hob die hohen und vaterlandischen Gesichtspunkte des Verstorbenen hervor. bi der Zeit zwischen Coax' Auffindung und seiner Beerdigung widmete sich Peachum der rein geschaftlichen Seite der Schiffeangelegenheit. Er sah für Fraulein Coax die Papiere des Verblichenen durch, steilte ihr die Zahlung der Provision in Höhe von 12.250 Pfund in Aussicht und nahm eine, interne Angelegenheiten der TSV berührende, von zwei Mitgliedern unterzeichnete Urkunde an sich, ebenso die Option auf die Southamptoner Schiffe. Er fand auch die Ankaufs- und Verkaufspapiere über die alten Kahne vor, die er fttr die TSV benötigte. Dann machte er in den Papieren des Verewigten eine grandiose Entdeckung: er fand einen zwei ten Regierungsvertrag. Dieser betraf die neuen Southamptoner Schiffe. Der Verblichene hatte, als er durch die TSV so billig in den Besitz dreier guter Kahne gelangt war, nicht gezögert, sie der Regierung anzubieten. Der Gewinn aus diesem Geschaft mufite über 120.000 Pfund ausmachen! Peachum schwindelte es. Einen Augenblick lang befürchtete er, einem Schlaganfall zum Opfer zu fallen. Im Zimmer nebenan, die Tttr stand halb offen, safl Polly bei Fraulein Coax. Die beiden Frauen nahten an Trauerkleidern. Minutenlang kampfte Peachum mit sich, ob er ein Glas Wasser verlangen sollte. Die Gefahr, dafi Fraulein Coax dann etwas merkte, war groB. Es waren vieUeicht die tragischsten Minuten seines Lebens. Er ging aus ihnen als Sieger hervor. Schwer atmend, die Hand auf das hammernde Herz gepreBt, jeden Augenblick ein Zusammenbrechen befürchtend, entschlofi er sich, auf den Schluck Wasser zu verzichten. Als sein Aussehen wieder normal geworden war — er kontrollierte es im Glas des Bücherschrankes—verabschiedete er sich mit bewegten Worten von Fraulein Coax und fuhr ins Marineamt. Dort zwang er Hale, die beiden Regierungsvertr&ge auf ihn zu übertragen. Dazu genttgte, daB er dem Staatssekretar mit dem Einsenden der Quittung über tausend Pfund Vorschufi, die dieser Coax ausgestellt hatte, bei der Regierung drohte. Hale war sehr gebrochen wegen des Hingangs seines altesten Freundes, den er, wie er sagte, wohl niemals ganz verwinden würde. Der Gewinn aus dem ersten Schiffegeschaft steilte sich für Peachum auf cirka 29.000 Pfund. Seine Endabrechnung mit derTSV sah folgendermaBen aus: Die sieben Teilhaber, von denen einer ausgeschieden war, dessen Anteil Peachum seinerzeit übernommen hatte, buchten als Ausgaben für die drei alten Schiffe, ihre Überholung, die Bestechungsgelder, die Provision für Coax und die drei neuen Schiffe (diese letzteren kosteten 38.500 Pfund) insgesamt 77.450 Pfund. Als Einnahme standen dem gegenüber die 49.000 Pfund, welche die Regierung bezahlte. 2100 Pfund schrieb Peachum ab für die alten Schiffe, die er angeblich durch Brookley & Brookley hatte verkaufen lassen. Crowl hatte von seinem Verlustanteil immerhin schon fast«/« ausgespuckt, als er in die ewigen Jagdgründe einging. Übrigens sollten die Southamptoner Schiffe in Wirklichkeit nur 30.000 Pfund kosten, wie Peachum aus der Option ersah. Auf dem Heimweg von der Einascherung Coaxens, zu Fufi durch die Slums gehend, gab sich Peachum, zum ersten Mal im Wir bel dieser Tage, wieder seinen Gedanken hin. „Merkwürdlg," dachte er, „wie die komplizierten Geschafte oft in ganz einfache, seit urdenklichen Zeiten gebrauchliche Handlungsweisen übergehen! Wirklich, nicht, allzu weit entfernt ist unsere so viel geprlesene Zivilisation von der jener Zeiten, wo der Neanderthaler mit der Keule seinen Feind niederschlagen mufite! Mit Vertragen und Regierungsstempeln flng es an und am Ende war Raubmord nötig! Wie sehr bin gerade ich gegen Mord! Welch eine abscheultche Barbar ei! Aber die Geschafte machen ihn nötig. Man kann ihn nicht ganz entbehren. Es stehen ja Strofen dar auf, aber auf dem Nichtmorden stehen auch Straf en und furchtbarere! Crowl zum Beispiel wurde mit dem Tode bestraft für seine schicksalsergebene Haltung ln diesem schwierigen Transportschiffeverwertungsgeschaft. Ebt Herunterkommen in die Slums, wie es mir mit meiner ganzen Familie drohte, Ist nicht weniger als ein Inszuchthauskommen. Das sind Zuchthauser auf Lebenszeit! Man hebt die Bildung und verfeinert die Ge wissen, unzweifelhaft, das BUd dieses Coax wird mir und besonders seinem Mörder, diesem Fewkoombey, noch oft im Schlaf erscheinen — aber Bildung, Güte, Menschltchkeit allein sind nicht stark genug, reichen nicht entfernt aus, den Mord ln der oder jener Form zu beseitigen, zu grofl sind die Pramien, die auf ihn gesetzt sind und zu schwer die Strofen, die auf sether Vnterlassung stehen! Dieser Coax starb, umgebracht, ei gentttch auf natürUche Weise! Mit ihm ware alles entsetzltch geworden, ohne Ihn geht alles oder beinahe alles gut aus! Frelllch, ein Mord ist das letzte Mlttel, das aller letzte, eben noch anwendbare! Vnd wenn man bedenkt: dafi wir nur Geschafte mit ein ander gemacht haben!" 399 Am nachsten Morgen ging er wieder in die Docks. Es stand schlimm dort. Kaum ein Dutzend Arbeiter waren noch am Werk. Die Feindseligkeit der Arbeiter, die vor den Schiffen wachten, dafi niemand bei ihm Arbeit nahm, erschütterte ihn. „Überail brutale Gewalt!" sagte er bitter zu ein paar Angestellten, die um ihn standen und durch die halbblinden Fenster eines Schuppens auf die Docks hinausspahten. „Gut, sie wollen die Arbeit nicht machen für den Lohn, den ich zahle. Aber warum lassen sie da die nicht arbeiten, die sie machen wollen? Die dieses Geld brauchen, unbedingt, weil die Familie hungert! Warum vergewaltigen sie diese Allerarmsten und lassen sie nicht arbeiten? Jeder müfite doch frei sein, zu tun, was er will." Peachum war ratlos. Da erlebte er eine Überraschung von Seiten seiner Tochter und seines Schwiegersohnes. Die Nachricht von Coaxens Tod hatte in der Familie Peachum eine eigentümliche Stimmung erzeugt. Polly war sehr nervös; sie war froh, Fraulein Coax Trost zusprechen und ihr bei den Besorgungen helfen zu können, welche die Beerdigung des Makiers nötig machte. Diese Tatigkeit Ubte eine sehr beruhigende Wirkung auf sie aus. Die ln den Zeitungen grofi aufgezogenen Berichte über den Streik in den Docks öffneten ihr übrigens die Augen über die Schwierigkeiten, in denen sich ihr Vater befand. Sie liefi ihn durch ihre Mutter fragen, ob er Leute brauche, die die Arbeitswilligen beschützen könnten, ihr Mann würde ihm gern solche Leute zur Verfügung stellen. „Es ist," berichtete Frau Peachum ihrem Mann, „als ob ihr durch das grofie Leid, das sie in diesen Tagen mitan- 400 schauen mufi, die Augen für die Sorgen anderer aufgegangen eind. Sie will wissen, ob sie Dir helfen kann." Peachum brummte. etwas wie: „Der Kerl ist der gróflte Schwindler, den es in dieser Stadt gibt!" Aber dann lieB er seiner Tochter sagen, sie solle mit Beery darüber sprechen. Sie tat es. „Man darf nicht der Stimme des Hasses folgen, wenn Vermögenswerte auf dem Spiel stehen," hatte Macheath gesagt, als sie ihn fragte. „StimmungsgemfiB sind wir gegeneinander' aber die Verhaltnisse verlangen gebieterisch eine Einigung.» ' O'Hara schickte einige Dutzend von seinen Leuten in die Docks. Diese brachten sogleich ein System in die Bekampfung des Streiks. Sie verfuhren mit den streikenden Arbeitern so, daB sogar die Polizisten zusammenschraken. Sie zeigten ausgesprochenen Ordnungssinn, brachen alle Knochen derer sie habhaft werden konnten und schlugen in jedes Gesicht, das hungrig aussah. Der Bauingenieur sagte in Bezug auf sie zu Peachum, in allen diesen sonst so rauhen Gesellen stecke eben doch ein guter Kern; es kame immer mal wieder nur darauf an, für w a s sie eingesetzt würden. Die Streikbrecher fafiten neuen Mut. Dann brachten O'Haras Leute einen Haufen von Gesindel dazu, einige Lebensmittelgeschafte in der Gegend der Docks zu stürmen. * Es entwickelte sich eine förmliche Schlacht, die in die Analen der ZEG-Leute als „Schlacht bei den Westindiadocks" einging und die Niederlage der Dockarbeiter besiegelte. Im Angesicht einer Mauer schweigender Arbeiter schlugen zunachst BuUy und die Seinen ein paar Schaufensterscheiben ein. Als sie ins Innere drangen, fielen ihnen aber die Streikenden in die Arme, denn sie wollten nichts mit Dreigroschenroman 26 Plünderungen zu tun haben. Die ZEG-Leute ergriffen Schinken und andere Fleischstücke und schlugen damit auf die Hungernden ein. Ein schmachtiger Arbeiter wurde mit einer ganzen Ochsenlende niedergeschlagen. Einige bekamen Töpfe mit Sülze in die ausgemergelten Gesichter, sodaB sie nichts mehr sehen konnten und blind der herbeieilenden Polizei in die Hande fielen. Auch mit kleinen Broten wurde geschmissen. Ein paar rachitische Kinder erlitten davon Verletzungen. Brotlaibe wurden zu furchtbaren Watten. Einer alten Frau wurde der Arm, in dem sie die leere Markttasche hielt, mit einem Fünfpfundlaib gebrochen. Der gebrochene Arm zeugte dann vor Gericht gegen sie. Die Zeitungen waren aufier sich ttber die Plünderungen, besonders über die Art, wie „das Volk" mit den Lebensmitteln umging. „Das sind die Schrecken der Anarchie," schrieben sie, „der entfesselten Instinkte. Solche Szenen sollen sich die Herren Sozialisten hinter den Spiegel stecken, wenn sie ihre heuchlerischen Artikel gegen die bestehende Gesellschaftsordnung schmieren!" Von diesem Augenblick an wurde gegen den Streik und die Lohnforderungen der Arbeiter behördlicherseits mit aller Scharfe vorgegangen. Zwei Tage darauf wurde gegen die Streikenden Militar eingesetzt. Die jungen Truppen, die fttr Südafrika bestimmt waren, riegelten die Docks ab und schützten die Streikbrecher. Es gab noch einzelne SchieBereien in den nachsten Tagen, aber die FertigsteUung der Transportschiffe konnte gesichert werden. Der Hauptkampf war kurz und erbittert gewesen. Es waren fast noch Rekruten, die hier zum ersten Mal sich schlugen. Sie waren besser genahrt als die Arbeiter, aber wenn man ihnen Arbeitskittel oder den Arbeitern Uniformröcke angezogen hatte, ware es schwer gewesen, die Kampf enden auseinander zu kennen, so glichen sie sich, da sie der gleichen Klasse angehörten. Wirklich, ohne Uniformen und Waffen hatten die jungen Soldaten sich untereinander blutig geschlagen! Man darf auch schlieBlich nicht vergessen, daB sie die gleiche Sprache sprachen, alle englisch und alle den Klang der niederen Klassen. Die Schimpfwörter, die sie sich zuriefen, waren die namlichen. Wurde einem Soldaten der Gewehrkolben, den er schwang, entrissen, so schwang ihn der Arbeiter mit nicht geringerer Übung, da er Schmiedenammer zu ftthren gewohnt war. Waren auch die Arbeiter weniger geschuif in dieser Art zu kampfen, so hatten doch auch sie mit der Milch ihrer Mutter das Bewufltsein eingesogen, daB sie, wenn sie sich nicht wehrten, keine einzige Kartoffel bekamen. Und auch die Soldaten wuBten, aus derselben QueUe, daB sie ihre Löhnung nicht für Maulaffenfeilhalten bekamen. So bekampften sie einander, einmal aufeinander losgelassen, wie sie alle zusammen die Armut bekampften, den Hunger, seine Krankheiten, all das, was die Stadte ihnen boten und womit das flache Land sie bedrohte. Die Zeitungen berichteten ausführlich ttber die Kampfe. Sie brachten die Beschreibungen mehr oder weniger ttberemstimmend unter der Überschrift: „DIE JUNGEN TRUPPEN, FIEBERND, IHREN KAMERADEN IN MAFEKING ZU HILFE ZU EILEN, MÜSSEN IHRE TRANSPORTSCHTFFE MIT DEM BAJONETT DN DER FAUST EROBERN!" Die FertigsteUung der Schiffe nahm dann nicht mehr viel Zeit in Anspruch. Die Hauptschwierigkeiten bestanden in einer Unmenge dieser Formalitaten, welche dazu bestimmt waren, die Nation vor Übervorteilung zu bewahren. An einem Freitag wurden die Schiffe von der Regierungskommission abgenommen und eine Woche spater liefen sie aus. Es war ein sehr nebliger Tag. Die Reede war, obwohl es sich nur um einen der kleineren, wöchentlichen Truppentransporte handelte, voll von Militar, den Hinterbleibenden der abgehenden Soldaten, Mitgliedern der Regierung und der Presse. Man sah nicht allzuviel von dem Vorgang, man sah seine eigene Hand kaum vor Nebel. „Liebe Freunde," führte der Staatssekretar in seiner Rede aus, „die Zukunft Englands beruht auf dem Opfermut und der Tapferkeit seiner Jugend. Ganz England begrüBt den Augenblick, wo diese 2000 jungen Menschen, die Blüte der Nation, die Schiffe Ihrer Majestat besteigen, um ein Beispiel der Tapferkeit zu geben. Das Walten blindwütiger Elemente umglbt sie, sie sind bedroht von listigen und skrupellosen Feinden, mit ihnen ist nur der Genius Britaniens: sie sind in Gottes Hand, das sagt alles." Grofie, undeutllche Leiber, schoben sich die drei Schiffe in dem alles verhüllenden Nebel unter dem Schallen eines Milit&rmarsches und dem Schluchzen der Mtttter und BrSute vom Kal. Elf Stunden spater ging der „Optimist", noch im Kanal, im Nebel mit Mann und Maus unter. Eine nationale Katastrophe Als nun die stürmische Nacht vorbei Ruht ach so tief das Schiff. Nur die Delphine und satte Hal Ziehn um das einsame Riff. Von allen Menschen so lebensfroh Keiner dem grausigen Tod entfloh. Dort unten auf dem Meeresgrund Schlummern sie friedlich mit bleichem Mund. Still rauscht das Meer sein uraltes Lied Mahnend dringt es uns ins Gemüt: Seemann, gib acht, Seemann, gib acht! Horch, was der Wind und das Meer dir sagt. Schlaft wohl. Schlaft wohl. Unter Korallen in friedlicher Ruh Schlafst dereinst auch du. („Seemannslos") Peachum hörte das gellende Geschrei der Zeitungsjungen, als er vormittags in einem Omnibus die Oxfordstrafie hinunter fuhr. Er stJeg aus und las in einem der Extrablatter, daB der „Optimist" gesunken sei und daB Geruchte in der City umgingen über Anschlage auf die Truppentransporte. Die Transportschiffe hatten den Hafen in einem Zustand verlassen, der nicht als seetüchtig bezeicbnet werden könne. Man hoffe, die Polizei werde die unverantwor111chen Elemente, die bier ihre Hand im Spiel hatten und die Sicherheit Britaniens bèdrohten, zur Rechenschaft ziehen. Er ging sofort nach Hause. Auch in die Old OakstraBe waren die Extrablatter schon gelangt. Beery hatte eines in der Hand, als Peachum eintrat. Er war totenblafi und zitterte. Peachum ging an ihm vorbei, ihm einen schieten und schreckUchen Bliek zuwerfend, aber Beery starrte ihm nach wie einer Erscheinung. Frau Peachum empfing ihn mit der Freundlichkeit, die sie immer zeigte, wenn sie im Keiler gewesen war. Sie hatte noch nichts gehort. Peachum ging in den Raam, wo die Reservekartothek stand und schlofi sich ein. Seine Frau hörte ihn stundenlang rastlos auf und ab gehen. Als sie ihn zum Abendessen holen wollte und an seine Tttr klopfte, erhlelt sie keine Antwort; das Essen, das sie vor die Tttr steilte, rtthrte er nicht an. Er erwartete seine Verhaftung. Gegen elf Uhr abends, also etwa 14 Stunden nach dem Herauskommen des Extrablattes, stieg er ins Büro hinunter und klingelte Beery. Er schickte ihn ln die nachste Kneipe nach Zeitungen, da Beery vorgab, keine gekauft zu haben. In den Zeitungen standen grofie Schlagzeilen wie „EIN NATIONALES UNGLÜCK" und „NEBEL VERURSACHT UNTERGANG DES OPTIMIST" sowie einige Beschreibungen des Unglücks, soweit man solche schon besaB. Andeutungen ttber die Ursache, besonders von der Art, wie sie das Extrablatt gebracht hatte, fehlten ganz. Es hieB nur, daB das Marineamt eine Untersuchung eingeleitet habe. Peachum las alles durch, jede Zeile. Dann handelte er. Er entwarf zusammen mit Beery den genauen Plan einer völligen Umsteüung der Werkstatten. Über die Halfte der Beschaftigten sollte in Uniformen eingekleidet werden und Kriegsverletzungen erhalten. Vom Standpunkt des Bettelgeschaftes aus betrachtet war solch ein nationales Unglück dasselbe wie ein Sieg. Es bestand kein Zweifel, dafi London, die Schilderung des Unglücks vor Augen, bereit sein wttrde, zu opfern. Jeder Mensch in Uniform mit halbwegs erkennbaren Schaden mufite die nachsten Tage auf Handen getragen werden. Peachum arbeitete mehrere Stunden und erhob sich nach kurzem Schlaf. Die Werkstatten, Sattlerei, Schreinerei und Schneiderei, begannen früh um sechs Uhr mit der Her- steUung von Uniformen und Stümpfen. Am Vormittag fuhr Peachum, nach einem Umweg über das Marineamt, wo er Hale für 5 Minuten sprach, ins Polizei- prasidium. Hale hatte ihm einen vorzüglichen Eindruck gemacht. Seine militarische Erziehung setzte den alten Beamten instand, Schicksalsschlage mit Fassung zu tragen. Das Amt war in vollem Betrieb. Hales Anordnungen waren knapp und treffend. Übermorgen sollte die offizielle Trauerfeier stattfinden. Für den zweiten Regierungsvertrag, der den Ankauf der Southamptoner Schiffe sicherte, sah Hale keine Gefahr, so lange nicht über das erste Geschaft ein Skandal losbrach. Der Chefinspektor empfing Peachum mit deutUchem MiBtrauen, das sich erst legte, als er sich als Prasident der Transportschiffegesellschaft vorstellte, damit jeden Zweifel darüber tilgend, er sei wegen des Falies Macheath da, der in diesen Tagen zur Verhandlung kommen sollte. Peachum fragte an, was er der Presse über die vermutliche Ursache des Unglücks mitteUen solle. Brown gab ihm bereitwillig Auskunft. Die Ursache des Untergangs war noch nicht ermittelt, man hatte jedoch Nachricht, daB auch der „Junge Schiffersmann" schwer havariert sei. WahrscheinUch seien die beiden Schiffe im unsichtigen Wetter zusammengestoBen. Peachum ging schneU weg und fuhr zu Eastman. Er benutzte den Rest des Vormittags, mit diesem und Moon — Finney lag operiert in der Klinik — die SchluBabrechnung zu machen. Beide Herren waren nicht in der Stimmung, sich in die Details des Geschafte noch einmal zu vertiefen. Sie 407 hatten auch die Southamptoner Schiffe, die sie unter den Namensschildern der alten Unglückskahne auf Fahrt glaubten, nie zu Gesicht bekommen und fürchteten die Untersuchung. Auf dem Rückweg lieB sich Peachum Zeit. Er ging unschlüssig durch die StraBen, Gesprache aufschnappend. Man sprach allgemein ttber die Katastrophe. Vor einem winzigen, dunklen B.-Laden unterhielt sich der Besitzer mit einigen Passanten. „Mit Wind und Wetter," sagte er, „ist nicht zu spafien. Da hilft kein menschliches Planen. Gegen den Nebel ist der Mensch machtlos. Das sind Naturkrafte, zerstörerische Elemente. Man hat ja so auch seine Sorgen, aber einfach auf den Grand sinken, mirten im Kanal! Das ist ein grofies nationales Unglück! In der Trinitatiskirche soll Frei tag eine Trauerfeier stattfinden. Ich wette, das sind die Kommunistenl" Nachmittags arbeitete Peachum weiter mit Beery. Die Schreibstuben für die Bettelbriefe wurden mit neuen Vorlagen ausgestattet. Mit zittriger Hand baten Kriegerwitwen, deren Manner „im ktthlen Wellengrab ruhten", um Unterstützung zur Eröf fnung eines kleines Geschaftes, wobei übrigens zum ersten Mal ln den. Bettelbriefen der Peachumschen Fabrik B.-Laden genannt wurden. Die Adressen wurden sorgfaltig aus den Kartothekbanden ausgezogen, welche die Namen milcltatiger Menschen nebst ihren besonderen Schwachen enthielten. Die Peachumsche Fabrik zeigte sich dem nationalen Unglück gewachsen. Gegen Abend wurde Peachum zu Brown bestellt. Dieser erwartete ihn mit finsterer Miene. Im Zimmer waren noch zwei höhere Polizeibeamte anwesend. Es war ein groBer Raum. Auf dem Schreibtisch stand auf grünem FlieBblart ein fuBhoher, bronzener Atlas, der im Genick eine laut riekende Uhr schleppte. Auf dem Zifferblatt stand: ultLrna multJa! An der Wand hing ein Bild Wellingtons. „Herr Peachum," eröffnete der Chefinspektor die Unterhaltung, „nach den bisherigen Ermittlungen müssen bei dem Transportschiff „Optimist" schwere innere Schaden vermutet werden. Es liegt zumindest ein Steuerbruch vor. Ich mufi Ihnen mitteilen, dafi der Staatssekretar im Marineamt, Hale, von seiner vorgesetzten Behörde die Anweisung erhalten hat, seine Privatwohnung bis auf weiteres nicht mehr zu verlassen. Allerdings Ist dieser Befehl geheim zu halten. Ich nehme an, Sie haben den Wunsch, sich zu dieser Sache zu auBern." Herr Peachum sah starr vor sich hin. „Ich habe diesen Wunsch,** sagte er. „Ich glaube an ein Verbrechen." Der Chefinspektor musterte ihn durchdringend mit einem jener Behördenblicke, die nicht dazu da sind, wahrzunehmen, sondern wahrgenommen zu werden. Nach einem kurzen, emdrucksvollen Schweigen fuhr Peachum fort: ,-Veine Herren, mms Steuer mufi gebrochen sein: ohne Sturm, ohne Verschulden mes Steuermanns, hei etwas unsichtiger, aber ruhiger See. Es Ist keine Uhtersuchung nötig, sondern nur et mms Nachdenken. Nur etwas Kenntnis unserer Verwaltung und aller Verwaltungen aller zivilisierten Lander. Sur eine kurse Betrachtung der Art, wie wir unsere Beamten, die das Wohl des Staates wahrzunehmen haben, auswahlen, •** wir sla ersiehen und wie sie sich und wosu sie sich der Sation sur Verfügung stellen. Nötig ist dann noch, um su dem Schlufi zu kommen, dafi solche Schiffe unbedingt untergehen müssen, eine flüchtlge Überstcht über den Zweck, zu dem ste gebaat, die Art, wie ste verkauft werden und den Gewinn, den sie bringen müssen. Wenn wir diese Betrachtungen erst einmal anstellen, dann müssen wir — ob wir wollen oder nicht — xu der Überzeugung gelangen, der ich vorhin [Ausdruck gegeben habe, als ich sagte: Ich glaube an ein Verbrechen." Die Herren im Zimmer sahen sich an. Peachum saB, sie standen jetzt, denn sie hatten sich erhoben. Peachum fuhr fort: „Andere Betrachtungen anstellend, meine Herren, komme ich xu anderen Resultaten. Ausgehend von der Vorzüglichkelt unserer Regierung und der Ehrlichkeit unserer Kaujleute und Firmen, der Gerechtigkeit unserer Kriege und der Unelgennützigkeit aller unserer vemünjtlg essenden, anstandig wohnenden und ordentlich gekleideten Mitbürger, komme ich angesichts des Vhtergangs eines unserer Kriegsfahrzeuge bei stiller See ohne jede Untersuchung oder nach jeder Unter suchung xu dem Schlufi, dafi ein Verbrechen ausgeschlossen und ein Unglücksfall wahrscheinUch, ja, sicher ist. Ich sage dann: Ich glaube nicht an ein Verbrechen, sondern an ein Unglück." Herr Peachum sah die einzelnen Herren von unten heraut aufmerksam an, bevor er fortfuhr. „Wenn Sie mir nun gestatten wollen, daB ich unter Ihren Augen von diesen beiden Überzeugungen eine auswahle, die mich befriedigt, so entscheide ich mich für die zweite. Sie ist bei weitem vorzuziehen. In zwei Tagen findet, wie ich höre, eine Trauerfeier für die ertrunkenen Soldaten Ihrer Majestat statt. Würden Sie es für gut und schicklich halten, wenn anïaaUfi» dieser Feier dieselben kriegsverletzten Soldaten, die vor kurzem für das Auslaufen der Schiffe demonstriert haben, nunmehr gegen das Absacken dieser Schiffe demonstrieren würden? Wie ich höre, besteht anlaBlich der Xotdz eines Extrablattes diese Absicht in. der Gegend der Docks." Herr Peachum ging unbelastigt aus dem Gebaude der Polizei. Er sah überall schon Trauerfahnen und Fahnen auf Halbmast. Die Weltstadt trauerte um ihre Söhne. Sauberungsaktion Father war ein groBer, knochiger Mann, einer der drei Leute, die Macheath noch als Beckett gekannt hatten. Er arbeitete unter O'Hara in der Ridegasse und war befreundet mit ihm. Er hatte von Macheath den Auftrag erhalten, seine Frau und O'Hara zu über» achen und hatte seinen Freund sofort verstandigt. Sie raumten zusammen das Lager aus, das sie hatten vernichten sollen und verschoben es auf eigene Rechnung. Father hielt dabei Grooch ab. den dritten von den alten Leuten. AuBerdem wuBte Father ziemlich alles von den Beziehungen O'Haras zu Frau Macheath, denn er hielt es für gut, über möglichst viele Dinge im Bilde zu sein. Er war auch hinter dem Mann hergewesen, der den Makier Coax umgelegt hatte. Sein Freund O'Hara aber wuBte nicht, daB er das wuBte. Eines Morgens koste te der Doppelzentner Antrazit ln der Ridegasse 28 Pence und in die Lagerraume hinter dem Haus Nummer 28 drangen drei Kriminalbeamte ein und 4U holten Father, der dort ein Zimmerchen bewohnte, aus dem Bett. Sie ersuchten ihn in der höflichen Form, die Scotland Yard auszeichnet, ihnen das Lager zu zeigen. Es war nicht mehr viel da, aber einiges lag doch noch herum. Sie nahmen den Bestand auf und verabschiedeten sich ohne viel Redereien. Father zog sich langsam vollends an und ging, da O'Hara vor 11 Uhr nicht zu erwarten war, zu Macheath ins Untersuchungsgefangnis. Macheath trank eben seinen Morgenkaffee. Er schnitt Father glatt das Wort ab. „In den Schuppen 28 ist nichts mehr, da können sie ruhig nachschauen", sagte er gleichgültig. „Woher wissen Sie das?" fragte Father verstimmt und versuch te, sich auf den Tisch zu setzen. „Weü ich angeordnet habe, daB er ausgeraumt werden soll," entgegnete der GroBhandler und tunkte einen Toast ein. „Darum ist er ausgeraumt worden. Vor fttnf Wochen etwa." „Also er war noch halb voll, daB Sie's wissen. Wir wollten ihn morgen leer legen, aber heute war er noch halb voll." Macheath schwieg und aB weiter. Dann sagte er: „So. Dann möchte ich nur wissen, was Ihr in meinem Schuppen aufgestapelt habt. Hoffentlich war es nichts, was das Licht der öffentlichkeit zu scheuen hat und Ihr habt Belege." Father schwieg betroffen. Erst nach einer Welle murmelte er halblaut: „Sie kamen auch gradwegs nach Nummer 28." „Übel," sagte Macheath und sah Father mit seinen wasseri- gen Augen von unten herauf an. Dieser ermannte sich endlich. Er setzte sich mit einem plötzlichen EntschluB auf die Tischkante, den Kalender mit seiner groBen Hand wegfegend, den Macheath vorsorglich hingelegt hatte und sagte lant und grob: „Sie tauschen sich, Beckett, wenn Sie glauben, wir gehen für Sie nach Old Bailey. Wir denken nicht daran. O'Hara ist mein Freund und wir halten zusammen wie Kletten, wenn auch andere Leute allerhand Verratereien im Schilde führen gegen ihre alten Kameraden. Haben Sie verstanden?*' Der GroBhandler lieB sich in seinem Essen nicht storen. „Sprechen Sie sich aus, Father, aber gehen Sie ven meinem Tisch herunter, sonst lasse ich Sie hier herauswerfen, obwohl Sie ein alter Kamerad sind." Father stand ungelenk auf. Er zitterte vor Wut. „Also so lat das? Sie wollen aus mis ten.5 Von allem Anfang an legen Sie ein paar Dutzend gute Leute rein mit Ihrem System, erst zahlen Sie feste Bezüge, weil Sie die Lager voll haben wollen; dann brauchen Sie keine Ware mehr und zahlen Stücklohn, immer grade wie's für Sie gunstig ist und jetzt liefern Sie sie glattwegs der Polizei aus! Aber Sie sind ja Bankier, was? Sie wissen ja von nichts, wie?" Macheath betrachtete ihn aufmerksam. „Ich bin nicht übelnehmerisch," sagte er nicht unfreundlich. „Sie können frisch von der Leber weg mit mir reden. Sie mussen aber bedenken, daB Sie einen Auftrag hatten von mir, den Sie nicht ausgeführt haben. Sie sind allerdings befreundet mit O'Hara, aber das konnte ich nicht wissen. Er ist so ein gemeiner Hund, daB ich es nicht fttr möglich hielt, er könne Freunde haben, die fttr ihn ins Gefangnis gehen wollen." „Ach Sie!" Father stotterte vor Wut. „Lassen Sie Ihre saubere Frau von einem Spitzet beaufsichtigen! Er wird Ihnen allerhand mitteilen können! So ttbel scheinen O'Hara nicht alle Leute zu finden wie Sie, wissen Sief" 413 Er war toll vor Wut, aber er beobachtete seinen Mann doch, wahrend er redete. Es ntttzte ihm nichts, Macheath lieB sich nichts anmerken. Er sagte nur: „Ich sehe, Father, daB Sie nicht ganz so schlecht sind, wie Sie sich machen. Sie haben also doch Ihre Augen offen gehalten." „Ja, allerdings, Beckett, ein wenig." Father senkte tückisch den Schadel. „Ich habe auch gesehen, was Sie mit dem Makier Goax haben machen lassen. Der Sandsack fiel nicht vom Himmel." Macheath legte plötzlich seinen Löffel weg. Er schien ehrlich interesslert. „Father," sagte er mit ganz anderer Stimme, „darüber müssen Sie mir was sagen. Das weifi ich namlich wirklich nicht. Dieser Goax ist ja recht rasch gestorben." Father kampfte einen heftigen Kampt mit sich aus. Er kannte Macheath, sein jetziger Ton war echt. Wenn er aber von der Ermordung des Goax nichts wufite, dann war das eine Privatsache selnes Freundes O'Hara gewesen. Dann hatte er jetzt viel zu viel gesagt. Macheath beobachtete gespannt seine Mimik. „Father," sagte er freundlich, „Sie können nichts mehr retten. Mit Sandsack arbeitet nur Giles. Ich kenne ihn nicht persönlich, das wissen Sie. Er ist O'Haras Mann, nicht? Wir sind jetzt so weit, Father. Sie müssen Ihr Gewissen erleichtern. Und Sie müssen sehen, dafi Sie aus der Ridegasse herauskommen und einen Pafi kriegen und Reisegeld, Mann. Ich bin kein Unmensch. Sie nennen mich immer Beckett, aber ich heiBe Macheath. Ich will auch vergessen, daB Sie auf meiner Tischkante gesessen haben. Was Sie ttber meine Frau gesagt haben, war im Zorn gesagt. Sie können bis elf Uhr noch Ihren Koffer packen und dann in den Rasiersalon gehen, wo inzwischen Bescheid eingetroffen sein wird. Aber wenn Sie O'Hara ein einziges Wort sagen, zum Beispiel „adieu" oder „schönes Sauwetter heute", dann sitzen Sie um halb zwölf Uhr im Kittchen. Bas müssen Sie verstenen." Father kam nicht dazu, noch etwas zu sagen. Macheath wollte nichts mehr hören. Er wollte vor allem nichts mehr über PoUy und O'Hara hören. Er woUte keinen einzigen Gedanken mehr verschwenden an diese dunkle Angelegenheit. Er woUte keinem Mann mehr begegnen, der Lust verspüren konnte, mit ihm darüber zu reden. Das konnte Father nicht wissen, aber es rettete ihn. Er ging verstört in die Ridegasse zurück. Dort packte er seinen Handkoffer und zog seinen besten Anzug an. Es war halb elf Uhr, als er durch den Torbogen ging. O'Hara kam eben durch das vorderste Tor herein, seine Morgenzigarette zwischen den Lippen. Father schwankte, ob er ihm nicht doch etwas sagen soUte. Sie waren alte Freunde. Father hatte O'Haras Mutter gut gekannt. Er stand unentschlossen hinter dem Torflügel, O'Hara hatte ihn noch nicht gesehen. Dann entschloO er sich. Er trat hinter dem Torflügel vor und ging an dem Eintretenden vorbei, stumm, starr vor sich hinblickend, die Lippen wie die Kanten einer Stahlkassette zusammengeprefit. O'Hara blickte ihm erstaunt nach. Als Father um die nachste Ecke herum war, atmete er erleichtert auf. O'Hara mufite doch den Koffer gesehen haben und den guten, grauen Anzug. Aber gegen halb zwölf Uhr wurde O'Hara in seiner Wohnung verhaftet. Er trat im Polizeiprasidium sehr selbstbewuBt auf. Als er erfuhr, daB die Anklage auf Einbruch und Hehlerei lautete, lachte er. Er behauptete, die Waren, die an die ZEG gegangen waren, gekauft zu haben. Die Belege lagen in dem Büro der ZEG in der City. Man sagte ihm, gerade von dort sei die Anzeige gegen ihn erfolgt. , Er verlangte sogleich, mit dem Bankier konfrontiert zu werden. Am Nachmittag geschah es. Anwesend waren in Macheath' Zelle Lord Bloomsbury und Herr Brown von Scotland Yard. Bevor er ein Wort sagen konnte, trat Macheath auf ihn zu und sagte: „Herr, woher haben Sie die Waren, die Sie für meine Laden seit einem halben Jahr geliefert haben?" Erst als er wieder in seiner Zelle saB, konnte er sich von seinem Staunen erholen. Aber da wurde Sandsack- Giles zu ihm hereingestoBen. Father schwamm schon auf hoher See, als ein Satz von ihm seinem Chef Macheath immer noch lm Hinterkopf herumging. Der Satz hatte so ahnlich gelautet wie: passen Sie lieber auf Ihre saubere Frau auf! Es regnete drauBen. Wahrend Macheath in seiner Zelle herumUef, die Hande in den Hosentaschen, horchte er auf den Regen. Manchmal blieb er eigens stehen, senkte den Rettichkopf und horchte besonders aufmerksam. Dann stieB er mit dem Fufi argerlich nach dem dicken Teppich und dachte: „Gut, dafi er jetzt im Moment jedenfalls sitzt. Da weifi ich doch. Man sagt mir, meine Leute beschweren sich über meine Vnentschlossenheit. Aber wenn es darauf ankomtnt, habe ich noch immer meine Entschlufikraft gefunden. Ich weifi besser afs jeder andere: man mufi durch gr eifen, mitunter. Man mufi über alles unter richtet sein, was im Geschaft vorgeht und man mufi alles ausreifen lassen wie eine Eiterbeule. Und eines Tages mufi man durchgreifen, plötzlich, aus heiterm Himmel, wie der Blitz, als Chef. Die ganze Untnoral wird aufgedeckt, schonungslos. Alles erstarrt. Der Chef hat lange zugesehen, aber dann hat er durchgegriffen. Er hat nicht teute altesten Kameraden geschont, als er merkte, dafi da etwas faul war. So ist er, man kann Ihn nicht tauschen." Er ging wieder einige Schritte, blieb noch einmal stehen und verfiel von neuem in Gedanken. „Der Besitz einer Frau," dachte er, ,4*t schwierig geworden. Früher kam man von der Jagd zwel Stunden früher zurück, als man erwartet wurde und scheuchte irgend so einen fleischigen Bengel aus dem Bett seiner Frau auf, was sage ich, aus dem Bett? Et genügte, ste in einem Raum mit einem Mann stehen su sehen und alles war klarl Heute swingt das Geschaft sieben sie, ob sie will oder nicht, ihre Waden den Blieken der Mannerwett auszusetzen und in ge wissen Büros wird gellebt, wie man sich die Hande wascht, hauptsachttch, um uns Untemehmer um die Arbeitszeit su betrügen! An Entdeckung ist nicht mehr su denken, wenn der Ehebruch so wenig auffallt und sa wenig Bedeutung hat wie das Handewaschen." Macheath schüttelte verwundert den Kopf, hörte wieder starker den Herbstregen und ging weiter. Nach einigerZeit setzte er sich an den Schreibtisch und nahm die Akten seines Prozesses vor. Die Verhandlung sollte in ein paar Tagen stattfinden. Dreigroschenrori^n 27 Unruh ige Tage Arbeiten und nicht verzweifeln. (Carlyle) Die kleine Fabrik in der Old OakstraBe arbeitete mit Überstunden und Nachtschicht. In der Schneiderei hing, mit ReiBnageln an die Tapete geheftet, ein Zeitungsausschnitt, der den Heldentod der Putzmacherin Mary Anne Walkley behandelte. Mary Anne Walkley, zwanztgjahrig, beschafttgt ln einer Hofputzmanufaktur, betetllgte sich an der HersteUung der Pr acht Melder adellger Damen für den Huldtgungsball bel der frtsch etngeführten Kronprinzessin. Es war die Höhe der Satton. 26Yz Stunden arbeitete He ohne Unterlafl, xutammen mit 60 anderen Madchen, je dreifiig ln einem Zimmer, dat kaum ebt Drittel der übllchen Kublkzoll lAijt gewahrte, wahrend He Nachts zwel und swei ebt Bett teuten ln einem der SttcMöcher, ln die der Schlafraum durch Bretterwande abgepfercht war. Cherry, Portwein, ein wenig Kaffee fritchten ihre versagende Arbettskrajt auf, die He so unetgennütstg, gegen allergerlngsten Lohn in den Dienst der Königin steilte: He erkrankte am Frettag, nahte weiter und starb am Sonntag, nicht weniger eine Heldin als die Helden von Mafeking. Mehr noch als dieser Anschlag mit seiner anfeuernden Moral beschleunigte Beerys Methode, unwillige oder schwachliche Arbeiteriunen einfach auf die StraBe zu setzen, das Arbeitstempo. „Du bist nicht schuld an Delner Schwindsucht," pflegte er zu sagen, „aber ich auch nicht I" Er hatte eine bauliche Erfindung gemacht: wie er feststeUte, pflegten die Arbeiter und Arbeiterinnen auf dem 418 Klosett gelegentlich eine Zigarette zu rauchen; vom Hof aus hatte er, wenn sie zu lange von der Arbeit wegblieben, den Rauch aus dem winzigen Fensterchen steigen sehen. Er lieB eine schiefe Holzwand bauen, sodaB man nur gebückt sitzen konnte. Als Polly seinerzeit zu ihren Eltern zurückgekehrt war, hatte sie angesichts dieser örtchen mit ihrem Ausblick auf die alten verkrüppelten Baumchen des Hofes stille Rührung ergriffen; das war zu Hause. Die Arbeit ging gut vorwfirts. Aber in den Zeitungen standen, im Zusammenhang mit der Trauerfeier fttr die Opfer des Optimistunterganges, die übrigens auf den gleichen Tag, einen Donnerstag, fiel, wie die Hauptverhandlung gegen den Bankier Macheath, allerhand» reichUch unverschamte Anfragen ttber den Fortgang der Untersuchung, die Schuldigen betreffend. Der Chefinspektor schwieg sich aus. Peachum wufite, daB die Pollzei in den Docks Nachforschungen betrieb. Es wurden auch einige Verhaftungen vorgenommen. Peachum studierte fieberhaft alle Zeitungen, aber sie brachten keinerlei Erklarungen von Seiten des Prasidiums. Dagegen trieben sich um das Haus in der Old OakstraBe allerhand Kriminalbeamte herum. Peachum litt sehr in diesen Tagen. „Es ist klar, dafi es zum Schlimmsten kommt," sagte er sich, besonders, wenn er nachts von den heüerleuchteten, von Arbeit erfüllten Raumen durch dunkle Gange in andere hellerleuchtete Raume ging und auf den Gangen etwas stehen blleb. „Leben Ut: dafi es zum Schlimmsten kommt! Vnd doch ware es denkbar, dafi dieses eine Mal die Polizei nicht eingriff e! Der „Optimist" Ut unter gegangen, ich Uugne es nicht. Soll jetzt auch noch ich unter gehen t NatürUch ist es ein Schade für die HinterbUebenen, unleugbar. Aber Ut 419 ihnen geholfen, wenn es auch fttr mich ein Schade ist t" Dabei verdankte er dem Unglück dieser Tage einen kommerziellen Einfall. Er beruhte auf folgender Überlegung: „Solche Unglücksfalle wie der mit dem „Optimist" sind unvermeldbar. Ste werden Immer wieder vorkommen. Kriege, Seestttrme, Erdbeben, geschaftliche Untemehmungen, Mifiernten sind gans unvermeidttch. Wer die menschUche Natur kermt, weifi, dafi olies Menschenwerk Stttckwerk sein mufi. Der Satz steht schon in der Bibel und es ist eine Befürchtung, die man beachten mufi. In der Tat fürchten ja neun von sehn Menschen mit Recht die Zukunft. (Höchstens einer von tausend fttrchtet sie mit Recht nicht.) Daran müfite man anknüpfen. Das könnte ein ausgezeichnetes Geschaft sein. Nehmen wir Dinge, die alle fürchten: Krankheit, Elend, den Tod. Sagen wir jenen, die sich fürchten, weil sie das Leben und ihre Mitmens c hen kennen : wir versichem euch gegen eine solche unvermeidllche Zukunft. Ihr bezahlt uns laufend (so werdet ihr es gar nicht oder kaum bemerken) eine Kleinigkeit von euren Einkünften in den Ta gen des Glücks und wir zahlen euch aus (oder im Fait euret Todes eure HinterbUebenen), wenn die unvermeidllche Katastrophe eintritt! Ist das ein Vor schlag? Ich bin sicher, dafi dieser Vor schlag begrttfit werden wttrde. Man mufi den Menschen helfenl Hüfe, dat lassen sie sich etwas kosten! Wenn Ich aus dieser Sache jets* herauskomme, wenn dieses eine Mal die Polizei nicht mit Uwen plumpen Handen daswischentappt, werde Ich diesen Gedanken ln die Tat umsetsen, das ist sicher. Denken WU- nur an die Soldaten, die mit dem „Optbnlst" untergingen. Es sind zum grofien Teil Jugendltche, aber es sind auch Famlllenvater darunter. Wie gans anders stünden die Famtllenangehörtgen heute da, wenn die Soldaten sich gegen SchlffsunföUe hatten versichem lassen! Angesichts des Befehls, auf die Schiffe zu gehen, hatten sie gar keine andere Möglichkeit, als sich schleunigst versichem xu lassen. Sie haben sie nicht wahrgenommen. Leute, die in den Zeitungen Beschreibungen von Katastrophen wié der des „Optimist" les en, müssen doch für eine solche Verstcherung zu haben sein. Vnd es gibt so viele Katastrophen! Das Alter ist zum Beispiel eine! Das Alter in den grofien Stadten! Die letzten Lebensjahre der nicht mehr Ausnutzbaren! Vnvermeidliche und doch èntsetzliche Jahre.' Auch die Arbeitslosigkeit ist solch ein Unfall. Da sind zum Beispiel meine Angestellten. Ich profttiere davon, dafi sie nicht wissen, wo sie hin gehen sollen, wenn ich sie auf die Strafte werfe. Ich bedrücke sie so gut ich kann und ziehe meinen Gewinn daraus. Sie müssen, das kann ich annehmen, ebt starkes Bedürfnis nach Hilfe haben. VieUeicht ware also auch noch ebt Gewinn daraus zu zie hen, ihnen su helfen? Man könnte Gebaude, grofie, bauen, bi denen diese Pennies verwaltet werden. So lange diese Krankenkassen nicht in Anspruch genommen werden, könnten sie blühen, werden sie in Anspruch genommen, könnten sie bankerott gehen. Jedenfalls, wenn man sich zwischen diese Leute und ihre Unter nehmer schöbe und für sie ein paar Pennies mehr her ausschlüge, könnte man diese Pennies für die geleistete Hilfe einbehalten. Es ware ein glattes Geschaft. Denn die meisten der Zahlenden sterben doch in den Sielen, oder können Ihre Gebrechen niemals nachweisen usw. usw. Allerdings, solche Dienste nehmen die Arbeiter vieUeicht lieber von ihr es gleichen, also von einstigen Arbeitem, in Empfang . . . Kun, man könnte einige von ihnen hereinsetzen, pro forma. Man könnte für solche Verstcherungen vieUeicht sogar den Staat heranziehen. Man könnte sich Gesetze denken, die es den Arbeitem sur PfUcht machen, Beitrage xu zahlen. Der Staat selber müfite so den Leichtsinn der breiten Mossen bekampfen, Ihren ver- brecherischen, welt/remden Optimismus, es werde schon alles gut aus gehen, wo man doch weifi, was den Arbeitem und Angestellten und allen kleinen Leuten blüht! Man kann den Krieg nicht verhindern, ebenso wenig die Kris en. Man mufi die Burschen auf die Strafte setzen, wenn sich ihre Beschaftlgung nicht mehr ren tiert, man kann die Wohnungen nicht gesünder bauen, als die Mieten es gestatten usw. usw. — also mufi man doch verfügen, dafi sie vorsorgen! Bel dem bodenlosen Leichtsinn dieser unwissenden und denkfouten Leute, mit dem He Soldaten werden, Fabrtkarbelter usw., mufl man einfach xu gesetzltchen Maflnahmen greifen. Man mufi He zwingen, Hch xu versichem. Mehr können ste nicht, aber das müssen ste. Das liegt lm öffentlichen Interesse und das ist auch ein Geschaft! Eine solche Verslcherung zu gründen, würde allerdings etwas Kapital erfordern. Wenn mir die Sache mit den Schiff en jetzt glückt, w&re das Kapital da. Übrtgens, die neuen Schiffe, die Southamptoner, sind absolut seetüchtig! Nur die Polizei darf nicht dazwischen kommen! Dieses eine Mal mufi es klappen!" Als am Mittwoch abend immer noch keine Stellungnahme der Polizei vorlag, neun Tage nach dem Untergang des „Optimist" und am Vorabend der behördlichen Trauerfeier, hielt Peachum die Nervenanspannung nicht langer aus. In einer Art Panik beschloB er, die Polizei unter Druck zu setzen. Er schickte Beery und noch zwei Leute ins Prasidium mit ein paar Transparenten, auf denen Aufschriften gemalt waren wie „WAS WAR MIT DEM „OPTIMIST" LOS?" „WAS HAT DAS MARINEAMT AN BESTECHUNGSGELDERN BEKOMMEN? FRAGE VON 200 INVALIDEN SOLDATEN." und „WARUM ERTRANKEN DIE VOM i,OPTIMIST"?" Eines der handgemalten Plakate trug sogar die Aufschrift „WER IST HERR PEACHUM?" Beery gab auf der Pollzei an, er komme von Herrn Peachum, dem Prasidenten der TSV. Die Plakate seien auf Umwegen, über einige Bettler, die bei ihm ihre Musikinstrumente entliehen, in seine Hande gelangt. Anscheinend sei für den nachsten Vormittag eine Demonstration mit solchen und ahnlichen Transparenten geplant. Eine Stunde spater ging Peachum selber noch einmal hin. Brown fertigte ihn kurz ab. Seine Klage, er sei ruiniert, wenn eine solche Demonstration stattfinde, es könnte ihm dabei nichts nützen, wenn zugleich auch noch hohe Regierungsbeamte mit Schmutz beworfen würden, wurde kaum angehört. Er ging verzwei feit weg. Mit der nachsten Droschke fuhr er zur Redaktion des „Spiegel**. Er verlangte den Chefredakteur und hatte eine sehr ernste Besprechung mit ihm, auf Grand derer der Mann versprach, in der Morgenausgabe zwei Spalten für eine sensationelle Erklarung des Prasidenten der Transportschiffegesellschaft über die Ursachen der Schiffskatastrophe bis früh 8 Uhr frei zu halten. Danach ging Peachum zu Fufi nach Hause, ordnete die Durchführung der geplanten Demonstration für den nachsten Morgen an, riegelte sich in sein Kontor ein und schrieb die ganze Nacht durch. Brown, der es für gut gehalten hatte, ihm die kalte Schutter zu zeigen, fübtte sich dennoch keineswegs wohl in seiner Haut. Er ordnete für den Abend noch einmal eine (die siebente) Razzia an den Docks an, verhörte die ersten zwanzig Arbeiter, die eingeliefert wurden und fuhr niedergedrückt zu Macheath ins Gefangnis. Macheath war allein und las ein Buch. Brown schickte die Warter weg und nahm sich Ale aus einer der Flaschen, die in der Ecke der Zelle standen. Bevor er den Mund aufmachen konnte, um dem Freund sein Herz auszuschtttten, begann dieser nèrvös: „Was ist mit O'Hara? Ich bin verdammt unruhig. Hat er immer noch nicht gestanden?" „Nein," sagte Brown mttde. „Hast Du ihm gesagt, daB wir ihm den Mord nachweisen können, wenn er sein verfluchtes Maul nicht- halt?" „Ja, alles. Er sagt, er will lieber hangen, als Dich herauslassen. Er faBt es, glaube ich, von der menschlichen Seite auf." Macheath lief rastlos in der Zelle auf und ab. Sein ProzeB sollte morgen stattfinden. Wenn er nun schon morgen gestehen muBte, daB er der President der Zentralen Einkaufsgeseilschaft war, dann durfte er nicht auch noch in eine Einbruchsgeschichte verwickelt sein. SchlieBlich setzte er sich aber wieder und wurde ruhiger. „Der Mensch hat doch Vernunft," sagte er, nach den Zigarren greifend. „Er folgt nicht seinen blinden Trieben, sondern Vernunftgründen. Daran glaube ich. Wenn ich nicht mehr daran glauben kann, lasse ich mich aufhangen. Die Stadte, in denen wir leben, diese ganze Zivilisation mit ihren Segnungen sind die Beweise für die Macht der Vernunft. Auch dieser Mensch wird seinen blinden Rachedurst bekampfen und vier Jahre Gefangnis, oder sagen wir drei Jahre, wir können ja noch einige Quittungen herausrücken, dem Tod durch den Strick vorziehen." Brown sagte noch, er habe O'Hara eine Frist bis morgen mittag zwei Uhr gegeben. „Ja, um zwei Uhr spatestens mufi ich die Erklarung haben," sagte Macheath. „Gleich nach dem ProzeB habe ich eine Unterredung mit Chreston in der National Deposit Bank, zu der vieUeicht auch Aaron und die Oppers kommen. Ich möchte das Gestandnis meines Lieferanten vorlegen können, daB er sich Einbrüche hat zu Schulden kommen lassen." Dann durfte Brown endUch auf seine eigenen, nicht geringen Sorgen zu sprechen kommen. Der Fall des „Optimist" sah übel aus. Es bestanden wenig Zweifel daran, daB das Schiff sowie seine zwei Schwesterschiffe in keinem guten Zustand abgeUefert worden waren. Die Gesellschaft, die diese Schiffe verkauft hatte, war in allerletzter Zeit schon einmal von einem „Unglück" betroffen worden. Der in der Gegend der Docks erstochene Makier William Coax hatte zu ihr in naher geschaftUcher Beziehung gestanden. Sein Tod war noch keineswegs aufgeklart. Man hatte ein paar Arbeitslose verhaftet, Leute, die anlaBUch des Streiks entlassen worden waren und ungeschickte AuBerungen getan hatten. Aber es war ihnen nichts Richtiges nachzuweisen gewesen. Der Untergang des „Optimist" drohte gröBere Wellen zu schlagen. Die Drohungen des Herrn Peachum nahm Brown nicht allzu ernst, was die unmittelbare Wirkung der Demonstration betraf. Es war Polizei in genügendem AusmaB aufgeboten worden, die die morgige Trauerfeier durchaus vor Störungen bewahren konnte. Schlimmer war etwas anderes. Der Chefinspektor senkte die Stimme, als er davon sprach. Durch irgend einen KurzschluB im Marineamt war die Ordre, welche die beiden andern Schiffe, von denen doch zumindest das eine, das mit dem „Optimist" zusammengestoBen war, beschadigt sein mufite, zurückrief, nicht zur Versendung gelangt. Die Schiffe befanden sich weiter auf hoher See, mit Kurs auf Kapstadt. Das Marineamt zog überhaupt nicht recht in der Sache. Brown war deshalb sehr unsicher. VieUeicht soUte man die Demonstration doch überhaupt nicht erst herausfordern? Die PoUzei hatte fttr die öffentUche Ordnung zu sorgen. FreiUch lag aUes nicht ganz in der Hand Peachums, den man ja leicht zurückpfeifen konnte. Die Kommunisten planten ebenfails Umzttge gegen die behördüche Trauerfeier. Diese Umzüge konnte man nicht verhindern. „Sie haben doch kein Material ohne Peachum," warf Macheath ein, der sich eine grofie Zigarre angezündet hatte. „Nein, das haben sie kaum," 'sagte Brown, ein wenig beruhigt. „Sie machen sich ja,immer lacherUch mit ihren ewigen Vermutungen, die sie nie beweisen können." „Sie werden wieder etwas zusammenfaseln von Korruption in den Ministerien und womögUch noch andeuten, dafi der Staatssekretar persönUch einige Tausender in die Hand gedrückt bekommen hat. Das ist doch nur lacherUch." „Welfit Du," sagte Brown, nunmehr sich auch eine Zigarre nehmend, ,J-ch kann mich etwa* ar gern über diese Quatsch kopje. Immer hacken sie auf uns herum, weil wir angebllch die Gesetxe nicht streng genug beachten. Als ob die Gesetze zu ihren Gunsten gemacht waren! Sie sind furchtbar darauf aus, dafi alles in gesetzltchen Bannen verlauft. Wenn es ein Gesetz gabe, das Hale anstSndtgerwelse gestalten würde, für die Mühe, die es Ihn kostet, die Augen xuxudrücken, eine Abgabe zu erheben, würden sie Ihm die paar Tausender, die er genommen haben soll, nie vorwerfen. Sie hatten dann nicht das Gefühl, übers Ohr gehauen zu werden. Es Ist geradezu komisch. Es Ist doch wirklich in der grqfien Politik und so ln der Wirtschaft nicht alles ganz stubenrein; da ist doch wirklich manches für den kleinen Steuerzahler, nun, sagen wir unverstandltch. Und das sind doch Gewinne im gröfSten Ausmafi! Das sind doch nicht nur ein paar Tausender! Jede kleine Textilfabrik schaufelt doch da gans anders! Aber dann klammern sich unsere ,^iufkldrer" immerfort an louter Klein kroms, sagen, die Stadtverwaltung set bestechUch, die Polizei sei nicht unpartetisch oder Gott weifi was, was sie über dies nie beweisen können und was auch meist gar nicht stimmt! Solche Schwarzweifimalerei macht alles, was diese Schmutzaufwirbler vorbrlngen, einfach unglaubwürdig." „Wenn jetzt einer mitschriebe, was Du daherredest," sagte Macheath bedachtig, „ware es auch Schwarzweifimalerei." „Unglaubwürdig," grinste Brown, „vollkommen unglaubwürdig !" Sie sprachen eine zeitlang über Politik. „Es gibt eigentlich keine Partei," beschwerte sich Macheath, „dut meine Interessen voll und ganz vertritt. Ich gehe nicht so welt, das Parlament eine Schwatzbude zu nennen, das ist nicht recht, gewifl nicht. Es wird nicht nur geredet im Parlament, es wird dort auch gehandelt. Es wird um alles mögltche dort gehandelt, das mufl jeder zugeben, der nicht rettungslos verhetzt ist. Aber die Frage Ist doch, ob das Parlament im Emstfall ausreicht. Mebter Meinung nach, es ist die Meinung eines ernsthaft arbettenden Geschaftsmannes, haben wir nicht die richtigen Leute an der Spitse des Staat es. Sie gehören alle irgendwelchen Portelen an und Portelen sind selbstsüchtig. Ihr Standpunkt ist einseitig. Wir brauchen Marmer, die über den Portelen stehen, so wie wir Geschaftsleute. Wir verkaufen unsere Ware an Arm und Reich. Wir verkaufen Jedem ohne Ansehen der Person einen Zentner Kar tof jein, installteren ihm eine Lichtleitung, stretchen Ihm sein Haus an. Die Leitung des Staat es ist eine mor alisehe Auf gabe. Es mufi erretcht werden, dafi die Vnternehmer gute Unternehmer, die Angestellten gute Angestellten, kurz: die Reichen gute Reiche und die Armen gute Arme sind. Ich bin überzeugt, dafi die Zeit einer solchen Staatsführung kommen wird. Sie „wird mich zu ihren Anhangern zahlen." Brown seufzte. „Leider haben wir eine solche Partei noch nicht. Was soll ich also jetzt machen?" „Hast Du denn nicht untersucht, was wahrend des Streiks bei der Renovierung vorgegangen sein kann?" „NatürUch. Die ganzen Tage her. Das war doch das Erste. Aber da ist gar nichts vorgegangen." „Wieso? Diese Scluffszimmerleute, die eben erst erfolglos gestreikt haben, hatten doch aUen Grund, da was zu machen in dieser Richtung? Ich habe nie verstanden, wie ein Mensch xu solchen Bedingungen arbeiten kann! Es sind wirkHch Untermenschen." „Aber wenn sie arbeiten, dann arbeiten sie. Sie denken nicht daran, Schiffe kaputt zu machen, wenn sie angefangen haben, sie zu reparieren. Das ist irgend so eine Art Gedankenfaulheit bei ihnen, weiBt Du. Aber sie machen nie so etwas." „Aber Du hattest doch meine Leute dort, kurz nach dem Streik, oder vielmehr Peachum hatte sie." „Du meinst, dafi die ..." „SelbstverstandUch. Sie können doch solche Dinge ohne welteres bezeugen. Ich werde BuUy kommen lassen." „Könntest Du das?" fragte Brown, ein wenig getröstet. „Klar," antwortete Macheath herzUch. „Das mache ich für Dich. Und nebenbei, ohne Dich in Deinen EntschlieBungen beeinflussen zu wollen: Peachum ist immerhin mein Schwiegervater. SchlieBUch steekt die Mitgift meiner Frau in der National Deposit Bank Ich bin dort ;Direktor. Die Depots sind durch den Konkurrenzkampf in eine betrübliche Unordnung geraten, wie ich feststeUen mufite. Peachums Depots sind auch weg — ich kann sie ebenso gut als meine Depots bezeichnen, vom Familienstandpunkt aus.- Dann gibt es noch eine ganze Menge kleiner Sparer, und jetzt nach der Optimist-Ka tas trophe würde der Larm, den sie schlagen würden, wenn ihre Gelder weg sind, die patriotische Bewegung, die durch den Schiffsuntergang langsam in Schwung kommt, wieder schadigen. Mich verbinden keine Gefühlsbande mit meinem Schwiegervater, aber glaube mir, wenn Du ihn da ganz aus dem Spiel lafit, ist es besser." Brown ging halb überzeugt weg und verhörte noch ein paar verhaftete Schiffszimmerleute. Aber in der Nacht schlief er schlecht und gegen Morgen hatte er einen Traum. Er fahrt über eine der Themsebrücken. Plötzlich hört er etwas, ein Gurgeln, er steigt aus und beugt sich über das Gelander. Aber er kann nichts sehen. Er lauft also zurück und versucht, vom Rand aus einen Bliek hinunter zu werfen. Und jetzt sieht er die Brücke auch: er sieht sie von unten. Es Jat da ein kleiner Rest Erde, an dem die Wasser des Flusses reiBend vorbeilaufen. Auf der Brücke wehen Fahnen, schwarze und solche mit den Farben der Nation. Auf dem kleinen Platz unter der mit Fahnen besetzten Brücke bewegt sich etwas Menschlicb.es oder Menschenahnliches, das sich schnell ausbreitet, man weifi nicht woher, es scheint noch ein tieferes Unten hier zu geben; jedenfalls sind es schon ganze Haufen, die sich jetzt nach oben bewegen, die Böschung herauf, über die frisch gestrichenen Gelander hinweg, auf die Brücke selber, geradeswegs unter die Fahnen. Ja, dieser kleine Platz spuckt viele aus, zahllose, unaufhörliche; wenn es einmal begonnen hat, hört es nicht mehr auf. Freilich, es gibt Polizei, dort steht sie, sie wird die Brücke sperren, dort stehen Tanks, sie werden feuern; aufierdem gibt es 429 Militar, es wird — aber da ist das Elend schon, es formiert sich jetzt, es marschiert, seine Reihen sind lückenlos, genau so breit wie die StraBen, das füllt ja alles wie Wasser, das geht durch alles durch wie Wasser, es hat ja keine Substanz. Freilich wir ft sich die Polizei entgegen, freilich wirbeln Gummlknüppel, aber was soll das schon, sie schlagen ja durch die Körper durch: in breiter Welle, quer durch die Polizei durch marschiert das Elend auf die schlummernde Stadt zu, durch rollende Tanks, durch Drahtverhaue durch, lautlos und schweigend durch das Haltbrüllen der Polizei und das Knattern der Maschinengewehre und ergiefit sich wie ein schmutziger FluB in die Hauser. Legiohen von Elenden in lautlosem Marsch, durchsichtig und gesichtslos, unaufhaltbar, marschieren durch die Mauern, ein in die Kasernen, die Restaurants, die Gema 1 dcgalerien, das Parlament, die Gerichtspalaste. Brown qualte sich den Rest der Nacht mit diesem Traum, stand auf und fuhr in aller Frühe ins Amt. Er haBte es, von den linken Zeitungen zu traum en. Aber es war ihm doch der Gedanke gekommen, daB es die Trauerfeier wenig verschönern wttrde, wenn tatsachlich einige Hundert invalider Soldaten randalieren kamen. Er trieb die Scheuerfrauen aus seinem Büro, setzte sich, rttckte die grttne Lampe zurecht und schrieb eigenhandig 'eine Nachricht fttr die Presse. Auch Herr Peachum stand an seinem Schreibtisch. Das Tintenglas vor sich, den Federhalter in der Hand, den Hut im Genick und in Hemdsarmeln hatte er die ganze Nacht vor seinem Stehpult gestanden oder sich in dem kleinen, aus einem eisernen Of en überheizten Kontor herumgetrieben. Er schrieb an einem Zeitungsartikel, In dem er die öffentlichkeit mit den Machenschaften des Makiers Goax und eines hohen Beamten im Marineamt bekanntmachte. Eine strafrechtliche Verfolgung war ihm selber natürlich sicher, wenn die Art des Transportschif fegeschafts auf gedeckt wurde, aber die deutlichen Hinweise auf die MiBstande in der Marineverwaltung reichten aus, um das Interesse der Regierung an einer derartigen strafrechtlichen Verfolgung auf ein Minimum zusammenschrumpfen zu lassen. Allerdings, das neue Geschaft, das eigentliche Geschaft, fiel dann ins Wasser! Ab und zu war Peachum fortgelaufen und hatte nach der Arbeit in den Werkstatten gesehen. Hier gab es sorgfaltig gemalte Schilder, auf denen etwa stand: „WERDEN WIR NUR NACH SÜDAFRIKA GESCHICKT, DAMIT AM TRANSPORT VERDIENT WIRD?" oder „WENN IHR UNS SCHON IN DIE HÖLLE SCHICKT, DANN SORGT WENIG S TENS, DASS WIR DORT ANKOMMEN!" oder „NICHT VERUNGLÜCKT SIND DIE OPFER VOM „OPTIMIST", SONDERN ERMORDET!" Und früh fünf Uhr war er noch herübergekommen und hatte den übernachtigen Malern, die in den Gangen bei Petroleumlampen vor den Transparenten knieten, ein weiteres Schild angegeben: „SCHLIMMER ALS STURM UND NEBEL WÜTET DIE HABSUCHT UNSERER GESCHAFTSLEUTE." Jetzt, am Morgen, lag sein „Bekenntnis" im Briefumschlag auf dem wurmstichigen Schreibtisch Beerys und seine Leute hatten sich, die Schilder auf Handkarren mit sich führend, in die verschiedenen Stadtteile begeben, um die Demonstration in Gang zu bringen. Eine Stamde spater las er in einem Morgenblatt die Notiz, dafi man die Kommunisten verhaftet habe, die den „Optimist" angebohrt hatten. Er schickte Beery sofort an die Sammelpunkte seiner Leute, damit er die Demonstration abblase. Dann setzte er sich aufatmend zum Tee. Die Leute im Polizeiprasidium waren also doch noch zu sich gekommen. DaB es die sozialistisch verhetzten Dockarbeiter waren, die das Schiff seeuntüchtig gemacht hatten, das pafite viel besser zu der nationalen Welle, von der die Zeitungen voU waren, als eine Nachricht ttber die Korruption im Marineamt gepaBt hatte. Frau Peachum kam an das Bett PoUys, als es noch dunkel war. Sie setzte sich auf den Bettrand und überraschte ihre Tochter mit der MitteUung, es sei ihren Bitten gelungen, den Vater mit der eigenmachtigen Heirat auszusöhnen. Sie berichtete gerührt, was sie alles vorgebracht hatte. „Reifie doch nicht," sagte ich immer wieder, „diese zwei jungen Menschen auseinander, die sich in Liebe gefunden haben! Was Gott zusammen gejügt hat, das soll der Mensch nicht schelden. Denke daran, auch wir waren einmal jung und unvemünfttg, wenn auch ln gewissen Grenzen. Kannst Du es verantworten, daB ste sich tn Llebeskummer verzehren und dafi helmendes Leben freventlich vemichtet wird? Sie wollen nichts als einander angehören. Sie haben eine schllmme Zeit zusammen durchlebt; aber Ihre Liebe hat obsiegt, und das ist auch etwas wert. Die Bande einer solchen Liebe kénnen nicht einfach zerrissen werden. Ich weifi. Du wolltest Cornet zum Schwiegersohn haben. Stcherllch, er war eine stattttche Erscheinung und hotte ein etnnehmendes Wesen. Du schatztest ihn eben sehr wegen seiner geschaftlichen Tüchtigkeit. Aber jetzt ist er tot und Du kannst ihn nicht wieder ausgraben! Was hast Du eigentUch noch gegen Macheath? AUe Leute sagen, dafi er ebenfails sehr tuchtig Ist und sehr hinter dem Verdienen her. Die B.-Laden-Besitzer haben nichts zu lachen bei ihm. In seinen Betrieben gibt es keine Faulheit! Er wird Polly glücklich machen. Ich habe mit ihm gesprochen, er wird einen ausgezetchneten Ehemann abgeben. Solche Leute sind die besten Familienvater. Du hast immer das Glück deines Kindes lm Auge gehabt! Wofür rackerst du dich ab früh und spat, wenn nicht für das Kind ? Du hast das immer betont. Macheath hat einen starken Famillensinn bekundet, als er dir trotz eurer gespannten Beziehungen für die Westlndiadocks seine Leute anbot. Er hat damlt zu erkennen gegeben, dafi Htm das Hab und Gut der Familie über alle persönllchen Differenzen hinaus heilig ist. Die Familie ist nun einmal die Grundlage aller Moral, das wird dir jeder sagen. Und die Grundlage der Familie ist die Liebe, das sage ich dtrl Wenn es keine Familien gabe, würde einer den andern auffressen, und es gabe überhaupt kein anstandiges Benehmen von Mensch MM Mensch. Was auch sonst sein mag, man kann ja nicht immer so sein, wie man möchte, auch in religiöser Hinsicht, die Familie mufi man aus dem Spiel lassen. Darum Ist ste der feste Hort und eine Frau kann niemals den ersten Mann, dem sie angehört hat, ver gessen. Es war eine Liebe auf denersten Bliek, das ist den wenigsten beschteden. Tue ein übriges, Peachum! Sie werden es dir nie vergessen! Unsere Polly ist nicht das Madchen, das ohne die Einwilligung der Eltern wahrhaft glücklich werden kann!" Frau Peachum versprach, von ihren Worten sehr bewegt, zur Gerichtsverhandlung mitzukommen. „Du brauchst keine Angst wegen des Prozefiausganges zu haben," sagte sie unter der Tttr noch, „Dein Vater hat vor- gesorgt." Dreigroschenroman 28 Zu derselben Minute war Peachum unten vom Frühstückstisch aufgestanden und ans Fenster getreten. Es war noch dunkel, aber in der StraBe stand dicker, weiBlicher Nebel. Eine Ahnung befiel ihn, als ob es für Beery nicht leicht sein würde, die Demonstranten mit ihren furchtbaren Schildern noch rechtzeitig zu erreichen. XV Und so kommt zum guten Ende Alles unter einen Hot Ist das nötige Geld vorhanden Ist das Ende meistens gut. DaB er nur im Traben fiscbe Hat der Hinz den Kunz bedroht Doch zum Schlufi vereint am Tische Essen sie des Armen Brot. Denn die einen sind im Dunkeln Und die andern sind im Licht Und man siehet die im Lichte Die im Dunkeln sieht man nicht. (Dreigroschenfilm) Das Alibi Gegen 8 Uhr früh fuhr Polly mit ihrer Mutter ins Gefangnis. Ein starker Nebel lag über den StraBen Londons. Als sie in die Zelle traten, wo noch das Gas brannte, hatte Macheath noch nicht gefrühstückt, aber seine Zelle war schon voll von Geschaftsleuten. Chreston war da, Miller und Grooch. Mit dicken Zigarren in den Mundwinkeln besprachen die Herren die letzten Details ihres Schlachtplans gegen die Commercial Bank. Die GerichtsverhandIung muBte schnell erledigt werden, denn schon für zwei Uhr mittags war im Gebaude der National Deposit Bank eine Sitzung anberaumt. Hawthorne hatte an die Herren I. Aaron und Jacques Opper einen Brief geschrieben, in dem er sie in die National Deposit Bank bat. Herr Macheath, hieB es in diesem Brief, sei in die Leitung der National Deposit Bank eingetreten. Er wolle den Herren einige Vorschlage zur Liquidierung des unertraglich gewordenen Konkurrenzkampfes im Kleinhandel unterbreiten. Macheath hatte dem Richter das Protokoll jener Samstagabendsitzung des Vorstandes der Zentralen Einkaufsgesellschaft, in dem er als „Herr X" gefahrt wurde, bereits vorgelegt. Bloomsbury hatte eidesstattlich bezeugt, daB Macheath „Herr X" war. Der Richter hatte Rigger gegenüber durchblicken lassen, dafi er darin ein voUgültiges Alibi erblicke. Nach dem Wahrspruch der Grand Jury mufite die Verhandlung aber stattfinden. Dennoch rechnete Macheath damit, um zwel Uhr in der National Deposit sein zu können. Er hoffte im Stillen, dafi so kurz nach dem ProzeB seine Eigenschaft als Vorsitzender der Zentralen Einkaufsgesellschaft, die er dem Gericht angeben mufite, der Gegenpartei noch nicht bekannt sein wttrde. Die Ankunft der beiden Damen machte der Sitzung ein Ende. PoUy trug ein einfaches, schwarzes Kleid, das sie schon beim Begrabnis des Makiers Goax getragen hatte. Auch ihre Mutter hatte Trauer angelegt. Man wollte nach der Verhandlung zu der Trauerfeier fttr die Opfer der Schiffskatastrophe. Macheath war ttber das Mitkommen seiner Schwiegermutter sichtUch überrascht. Er steilte ihr die Anwesenden vor und es entwickelte sich ein Gesprach über den Londoner Nebel. Macheath zog sich inzwischen mit seiner Frau in die andere Ecke der Zelle zurück, wo sein Frühstück bereit stand. Polly erzahlte ihm sogleich mit gedampfter Stimme den Stimmxmgsumschwung ihres Vaters. Macheath nickte. Er war sich immer noch nicht im Klaren, welche Rolle Polly bel der Ermordung des Makiers Coax gespielt hatte. Er hatte inzwischen auch von Ready erfahren, daB Giles es war, der Coax niedergeschlagen hatte. Was hatte Giles, der nur von O'Hara geschickt sein konnte, mit Coax zu schaffen? War etwa Polly dagegen, daB Coax in dem Ehescheidungsprozefi aussagte? Wenn ja, welche Macht hatte sie über O'Hara? Im Grand hatte Macheath nicht vor, die Angelegenheit mit Polly allzu scharf zu beleuchten. Er fragte auch nichts über die Abtreibung. Polly war es, die darauf zu sprechen kam. Nicht ohne einen glücklichen Ausdruck in ihrem blühenden, leicht geröteten Gesicht, dem das Schwarz ihres Kleides sehr zu statten kam, erzahlte sie, wie ein Besuch im Kino sie und ihre Mutter von der schon festgesetzten Operation abgebracht hatte. Es war der tiefgehende Eindruck eines schlichten Kunstwerkes gewesen, der sie daran gehindert hatte, eine Sünde gegen das keimende Leben zu begehen. Das rührende Aussehen des kleinen Geschöpfes auf der Leinwand hatte sie besiegt. „Niemals," sagte sie, „ware es mir möglich gewesen, danach noch zum Arzt zu gehen. Ich ware mir wie eine Verbrecherin vorgekommen. Das muBt Du verstenen, Mac, ich konnte einfach nicht mehr." Es war Polly unangenehm, daB sie sich Macheath nicht ganz eröffnen konnte. Sie hatte ihm lieber immer die Wahrheit gesagt, aber es ging nicht. „Da ist zum Beispiel diese Sache mit O'Hara. Es ware schrecklich, wenn er einmal darauf kame. Er würde glauben, ich hatte ihn hereingelegt. Nie wttrde er mir glauben, dafi ich seinetwegen geschwiegen habe. Tatsachlich wttrde er, wenn ich ihm alles gestünde, eine ganz falsche Meinung von mir bekommen. Er wttrde meinen, er habe in mir keine zuverlassige Frau. Das ware so falsch wie nur möglich. Er ist viel zu mifitrauisch, als dafi man ihm die Wahrheit sagen könnte. Und er hat eine schlechte Meinung von den Frauen. Es ist sehr schwierig." Macheath versprach, sich den Film bei Gelegenheit anzusehen und machte sich an sein Frühstück. Er beschaftigte sich mit einem Ei. In den Pausen sprach er ttber die Art, ln der er seine Laden in Zukunft ftthren wollte. Er sagte eine Menge weiser Dinge, aber Polly sah hauptsachlich zu, wie er das Ei behandelte. Sie harte viel zu lernen und das meiste von dem, was sie in Zukunft als Geschaftsfrau konnte — und sie konnte etwas — lernte sie in diesen paar Minuten, wo sie zusah, wie ihr Mann das Ei afi. Er sprach von den kleinen Geschaften, den Laden der City, und auch das Ei war klein in seinen dicken Handen. Aber wie zart fafiten sie es an! Es war wachsweich gekocht, vier Minuten und eine halbe. Kürzer gekocht ware es zu schwabbelig geworden, langer gekocht zu hart. Was die kleinen Laden betraf, mufite man ebenfails abwarten können, durfte allerdings auch nicht den Zeltpunkt verpassen. Das Kochen selber war eine Art Nichts tun, das Selbstbeherrschung verlangte. Aber es war auch eine Tatigkeit. Ein geschickter Koch konnte wahrend der viereinhalb Minuten noch nebenbei etwas anderes in Angriff nehmen: schlieBlich ist ein Ei keine Mahlzeit! Macheath erwahnte das El mit keiner Silbe, er afi es nur. Aus der Art, wie er mit dem Löffel an die Schale klopfte, bevor er zum Köpfen schrift und wie er dann in dem Eiwelfi herumsuchte, ging alles hervor. Dann kam der erste prüfende und doch energische Einstich, der zuglelch den Löffel füllte: jetzt lag die Beschaffenheit des ETs klar vor Augen, man hatte darauf zu achten, daB das, was vom Dotter beim Einholen des Löffels nicht auf dem Löffel bleiben wollte, wenigstens wieder in das geöffnete Ei zurückkippte. Den Löffel flink umgedreht und mit dem Griffende des Löffels Salz aus dem Faflchen geholt und sorgfaltig eingestreut! So wird im Innern des Ei*a der Inhalt schmackhaft gemacht. Mit Dotter wird gleichzeitig immer eine Portion des WeiBen mit kühn abschneidendem Löffel von der Schale gelost. Die linke Hand hilft nach: sie dreht das Ei dem Löffel entgegen! So mufi es glücken, so bleibt nichts zurück! Ist das Ei ausgenommen, wird es hochgehoben, etwas wagerecht, und hineingeschaut. Dann bleibt noch das Köpfchen: es ist zn Beginn des Unternehmens sorgfaltig neben das Ei auf den Teller gelegt worden: es ergibt. auf einmal geleert, einen vollen Löffel. Polly sah fasziniert zu; so etwas konnte man nicht überall sehen. Von Anfang an war der Ausdruck auf Macs Gesicht tief verloren, beinahe verkümmert. Es schien, als ob er sich ausschliefilich von diesem Ei ernahren müfite, als sollte er aus diesem einen Ei seine ganzen Körperkrafte aufbauen, wahrhaftig keine kleine Aufgabe! Als schaute er immer noch aufier auf das Ei an seinen ungeschlachten Gliedern hlnab und dann wieder auf das kleine Ei. Dab.er wohl auch der nachdenkliche Bliek auf die geleerte Schale, als alles vorbei war! Er haderte nicht; kein Seufzer entrang sich ihm, aber es war doch eben alles vorbei jetzt, und es blieben nur die Sorgen, ob es auch anschlagen würde ... Und zwei Sekunden spater warf er die Schalen ohne jede Sorgfalt auf den Teller (den Löffel aUerdings legte er als das immer wieder nötige Handwerkszeug langsam und ordentlich zurück!) und wandte sich ohne sichtbares Bedauern, ja ganzlich gleichgültig vom Tisch ab. Er war sehr ruhlg. Die Verhandlungen, die vor ihm lagen, waren reine Formalitaten. Auch O'Haras wegen machte er sich keine Sorgen mehr. Er glaubte an die Vernunft, die den Mann veranlassen würde, die Einbrüche auf sein alleiniges Schuldkonto zu nehmen, um nicht wegen Anstiftung zum Mord angeklagt zu werden. Wie es vorauszusehen gewesen war, hatten ihn seine privaten Angelegenheiten um die geschaftliche Karriere gebracht. Rigger kam. Es war Zeit, zum Gericht zu fahren. Macheath machte sich fertig. Ghreston und Miller gingen weg. Sie wollten in der National Deposit die letzten Vorbereitungen für die Konférenz treffen. Macheath versprach, pünktlich zu sein. Auf der Fahrt zum Gerichtsgebaude erzahlte Rigger einiges über den Richter Laughers, der den ProzeB gegen Macheath führte. Er sei kein Mann wie der Richter Broothley von der Grand Jury, der elf Monate im Jahr betrunken war und nur einen nüchtern, namlich wenn er Ferien machte und in Schottland fischte. Wahrend dieser vier Wochen trank er keinen Tropfen, denn er pflegte zu sagen: Fische lassen sich nicht so leicht fangen; die sind schlau, die glauben nicht an Gerechtigkeit. Laughers brauche nicht zu trinken. Er sei ein ausgezeichneter Jurist und habe eine ungewöhnliche Fahigkeit, seine Gedanken zu konzentrieren. Er wurde infolgedessen niemals nervös, wenn jedermann alles sagte, was er auf dem Herzen hatte; sein geistiges Training setzte ihn ins tand, nicht das Geringste davon zu hören. Wenn er zur Verhandlung kam, war er gründlich vorbereitet. Er wuBte genau, wie der Fall juristisch lag und lieB sich nicht verwirren. „Für den Juristen," erzahlte Rigger, „liegt ja der Fall immer ganz anders als für den Laien. Der Lale steht da und quatscht und behauptet, er sei unschuldig und denkt an Sachen, wie: dafi er Haft nicht aushalten würde oder: was macht inzwischen meine ernahrerlose Familie? Oder: hatte ich nur damals einen Zeugen mit zu meiner Tante genommen! Der Richter beurteilt nur den Fall, hat nur ihn im Kopf und ist darum dem angeklagten Laien immer überlegen." Der Gerichtssaal war ziemlich voll. Die Zeitungsangriffe hatten gewirkt. Weit hinten, aber doch so, daB Rigger ihn gleich sah, saB der groBe Aaron. Er saB auf einem Eckplatz am Mittelgang, hatte den Zylinder neben sich auf den Boden gestellt und putzte nervös seinen Zwicker. Neben sich hatte er seinen Prokuristen, einen Herrn Power. Einen groBen Teil des Raumes nahmen die B.-Laden-Besitzer ein. Seit durch Gerichtsspruch offlzieller Mordverdacht gegen ihn bestand, war Macheath sehr unpopular bei ihnen geworden. Grooch, der unter ihnen saB und den sie nicht kannten, hörte immer wieder folgendes: „Ich habe gehort, er lébe so einfach, rauche nur gans wenig und trinke überhaupt nicht. Irgendwer hat sogar gesagt, dafi er Vegetariër sei. Es hiefi, persönlich könne man ihm nichts vor werf en, er lebe gans sether Idee. Da hat man Ihm natürUch viel durch die Vinger gesehen, was so bn Geschaft pas siert e. Es hiefi Immer: die Leute um ihn herum sind schlecht; er selber weifi von nichts. Seit ich höre, dafi Hun solche Sachen wie die jetst vorgeworfen werden, sehe ich alles mit gans anderen Augen an." Die guten Leute waren sehr aufgeregt. Es war durchgesickert, daB der Gerichtshof es abgelehnt hatte, einen Alibl- nachweis des angeklagten Bankiers auBerhalb der Verhandlung entgegen zu nehmen. Die guten Leute setzten starke Hofmungen auf den dicken WaUey, den sie sich gegenseitig zeigten. Macheath war lm schwarzen GeseUschaf tsanzug erschienen. Auch sonst noch bemerkte man einige Damen und Herren, die von hier aus anscheinend direkt zur Trauerfeier gehen wollten. Die schwarzen Anzüge erweckten den Eindruck, als ob dieser TeU des Publikums sozusagen nur auf einen Sprang hierher gekommen sei. Die Herrschaften sprachen sehr laut ttber das letzte Rennen und die odèr jene Neulgkeit aus der Geschaftswelt. Sie standen alle und riefen sich ttber andere Gruppen weg Scherzworte zu. Die Verhandlung begann mit einiger Verspatung. Richter Laughers hatte noch anderweitig zu tun. Einer seiner Anwalte übergab dem Angeklagten ein Bundel Papiere, die er sofort eifrig durchzustudieren begann. Das Publikum nahm an, es handle sich um den Fall betreffenden Akten, aber es waren nur Papiere, die Miller noch geschickt hatte, letzte Buchauszüge für die Konferenz. WaUey ging unter aUgemeiner Aufmerksamkelt auf Rigger und Withe zu und zeigte ihnen eine Mappe. Withe nahm sie interessiert an sich und blatterte in den Dokumenten. Dann gingen er und Rigger zu ihrem M andanten, um ihm die Dokumente zu zeigen. Aber Macheath winkte ihnen ab, er war in seine Papiere vertieft. Texte ausbessernd, hörte er mit halbem Ohr seinen Anwalten zu, um dann erstaunt den Kopf zu schütteln. EndUch betrat Laughers mit Perücke, Hermelin und Scharlachrobe den Raum. Es wurde still und der Richter eröffnete die Verhandlung. Er behandelte sie deutlich als Formsache. Man hatte den Eindruck, daB er sich nur seiner Gebrechlichkeit wegen gesetzt hatte. Walley rief sogleich den Angeklagten Macheath als Zeugen auf. Dieser beantwortete kurz und lassig seine sparlichen Fragen. Die Verteidigung verzichteteüberhaupt auf Fragen. Als unter anderen Zeugen der Soldat Fewkoombey aufgerufen wurde, steilte es sich heraus, daB er im Gerichtssaal nicht anwesend war. Walley schien sehr argerlich. Nur Fewkoombey interessierte ihn und der war nicht da. Dann stand Withe auf und begann eine langere Rede. „Euer Ehrwürden," führte er aus, „die Anklage gegen Herrn Macheath stützte sich auf seine Weigerung, bekannt zu geben, wo er sich wahrend der Zeit, in der die unglückliche Mary Swayer den Tod fand, auf gehalten hat. Konnte dieses Alibi erbracht werden — Herr Macheath glaubte sich weigern zu müssen, es zu erbringen — dann war die Anklage von voraherein gegenstandslos. Mary Swayer war dann, sei es durch Selbstmord, sei es durch Mord, jedenfalls nicht durch Herrn Macheath ums Leben gekommen. Schon an und fttr sich war die Anklage nicht gerade sehr glaubwürdig. Was sollte dem GroBhandler und Bankier Macheath am Tod einer seiner Angestellten, mehr oder weniger Angestellten, gelegen sein? Es wurde in der Untersuchung vor der Grand Jury von Drohungen gesprochen, die sie gegen ihn ausgestoBen haben soll. Sie stieB diese Drohungen tatsachlich aus und zwar in der Redaktion des „Spiegels". Aber was taten die Redakteure? Sie lachten darüber. Und Herr Macheath soll auch nur einen Finger gerührt haben, um solche Drohungen zu verhindern, über die man nur lacht? Aber ich will mich dabei nicht aufhalten. Herr Macheath besitzt ein ganz und gar unanfechtbares, nicht umzustoflendes Alibi fttr den Abend des 20. Septembers, das seine Teilnahme an einem eventuellen Mord als ganz und gar ausgeschlossen erweist. Hier übergebe ich Euer Ehrwürden das Protokoll der Sitzung der Zentralen Einkaufsgesellschaft m. b. H., an der Herr Macheath, und zwar ais Vorsitzender, teilgenommen hat." Withe gab das Protokoll dem Richter. „Als Zeugen nenne ich die hier anwesenden Herren von der ZEG, die das Protokoll unterzeichnet haben. Sie werden bestatigen, dafi Herr Macheath der hier aus geschaftlichen Grimden als „Herr X" geführte Herr war." Wahrend der Richter die Namen der Unterzeichneten notierte und Bloomsbury, Fanny Crysler, sowie die An- walte Rigger und Withe an den Zeugenstand traten, gab es eine kleine Unruhe im Zuschauerraum. Zwei Herren waren aufgestanden und bahnten sich einen Weg durch die Zu- hörer dem Ausgang zu. „Ich weifi genug," sagte der eine Herr zum andern ziemlich laut. „Das war die Sitzung, in der der Brief geschrieben wurde, nach dem keine Rasierklinge mehr in einen Laden kam. Und Macheath ist der Vorsitzende." Wie alle Zuschauer hatte auch Macheath den Aufbruch bemerkt. Er war ziemlich erschrocken. „Hier steht noch ein Name," murmelte der Richter, „ich glaube, O'Hara heifit das. Ist der Herr hier?" Macheath stand nervös auf und sagte schnell: „Dieser Herr ist auf Grund einer Anzeige wegen Hehlerei, die ich als Prasident der ZEG gegen ihn erstattet habe, ver- haftet worden. Die strafbaren Handlungen geschahen zur Zeit und in Folge meiner Haft." Sich wieder setzend, sah er unruhig nach der Tttr, durch die der groBe Aaron verschwunden war. Fanny Crysler, Bloomsbury und die beiden Anwalte legten den Zeugeneid ab und beschworen, daB der in dem Protokoll erwahnte Herr der Bankier Macheath sei. Dann erhob sich Withe noch einmal. Er hatte die Mappe in den Handen, die ihm zu Beginn der Verhandlung Walley übergeben hatte. „ia» hu* nicht Sache meines Klienten," sagte er lassig, „den wirklichen Mörder dem Gericht namhaft zu machen. Aber da eine restlose Aufklarung des Mordes an einer seiner AngesteUten ihm an Herzen liegt, übergebe ich hier dem Gericht Akten, aus denen der mutmaBliche Mörder ersichtlich ist." Withe warf auf den Richtertisch einen Packen Akten und setzte sich erschöpft. Gerauschvoll erhoben sich die Zuschauer und begannen, ihre Unterhaltungen wieder aufzunehmen. Macheath hatte inzwischen wiederholt auf seine Uhr gesehen. Er war zweifellos sehr nervös. Beinahe sofort, nachdem die Jury sich zurückgezogen hatte, um über seine Freisprechung zu beschlieBen, stand er auf und ging, von einem Polizisten gefolgt, auf den Gang zu den Presseleuten. Er führte sie zu einem leer stehenden kleinen Büro, nachdem er Polly etwas zugeflüstert hatte. Der Polizist war es gewohnt, Verbrecher mit Presseleuten wie mit ihresgleichen sprechen zu sehen und gab nicht sonderlich acht. Als die Herren sich durch die Tür zwang ten, blieb Macheath zurück, schloB die Tür zu und ging den Gang weiter. Niemand achtete auf ihn. Br ging ohne Hut, sich an seinem Spitzkopf den SchweiB abtrocknend, die Treppe hinunter. Vor der Tür unten holte PoUy ihn ein. Er muBte noch ins PoUzeiprasidium und dann zur National Deposit Bank. Als er mit Polly eben in die Kutsche stieg, kam Grooch nachgerannt. Sie fuhren los, in der Richtung zum Polizeiprasidium, kamen aber nur langsam vorwarts, da der Nebel sehr stark war. Ein Sieg der Vernunft Peachum hatte, wahrend er in seinem kleinen Kontor einen neuen Artikel fttr den „Spiegel" schrieb, in dem er seiner Vermutung Ausdruck verlieh, daB subversive E 1 emente an dem Untergang des „Optimist" schuld sein mufiten, den ganzen Vormittag vergeblich versucht, seine Leute in der Stadt zu erreichen. Einige der Boten kamen zurück; sie hatten an den Treffpunkten niemand mehr getroffen. Andere blieben verschollen. Gegen Mittag verlor Peachum die Nerven und fuhr ins Polizeiprasidium. Er traf den Chefinspektor schon im schwarzen Anzug fttr die Feier. Er mufite aber aus einem Verhör geholt werden. Peachum berichtete ihm, dafi die Demonstration mehrerer hundert invalider Soldaten mit furchterlichen Tafeln und Transparenten durch ihn nicht mehr aufhaltbar gewesen sei. ErfahrungsgemaB werde sich dem Zug eine riesige Menge anschliefien. Er bewege sich auf die Trinitatiskirche zu. „Lassen Sie einfach schiefien!" stiefi Peachum hervor. „Es ist nur Gesindel, der Abschaum! Ich kann Ihnen die Listen geben, es sind Vorbestrafte darunter! Sie fragen auf ihren Plakaten, was man mit ihren Kameraden auf dem „Optimist" gemacht hat und wozu der Krieg dient. Lassen Sie unbedingt schieBen! Niemand kann ihre Fragen beantworten, wir müssen schieBen lassen." Brown brach der SchweiB aus. Er notierte sich samtliche Tref fpunkte und ging damit weg. Sorgenvoll begab sich Peachum in das Gebaude der National Deposit. Kurz nach ihm stürzte Macheath ins Amtszimmer Browns. Der Chefinspektor wurde aus einer Konferenz mit den Inspektoren geholt. Inzwischen verhandelte der Bankier mit O'Hara, der, einen Polizisten neben sich, in der Ecke hoekte, den Hut fiber den gefesselten Handen. Sein Verhör durch Brown war durch Peachums Dazwischenkunft unterbrochen worden. O'Hara blickte ruhig, fast heiter. Er sprach auch heiter: „Ich werde jetzt Deine Verbrechen gestehen, Mac," sagte er. „Ich werde Dein Herz dadurch erleichtern. Wenn ich Dir alles von der Seele gesprochen habe, wird es Dir leichter werden." Macheath schickte den Polizisten, der ihn kann te, weg. „Du bist nicht vernünftig, O'Hara. Wir haben noch ein paar Minuten Zeit, um Dich vom Galgen zu retten und Du drechselst Satze. Ich habe meinen Freund Brown gebeten, Giles laufen zu lassen, damit er nicht aussagen kann, wer ihn Coax hat umbringen lassen. Verstehst Du?" „Ganz gut. Ich soll im Gefangnis verschwinden." „Wir suchen Dir an Belegen heraus, was wir können, O. Ich habe nichts gegen Dich, im Gegenteil. Es Ist einfach notwendig, das einer das übernimmt. Ich bin unabkömmlich, sonst bricht alles zusammen. Ich bin selber auch gesessen. Fttr die Sache." „Sechs Jahre Gefangnis für die Sache? Kommt nicht in Frage. Ich will auch meinen SpaB haben. Wenn Ihr alle ln die Luft geht, dann ist Hangen nicht zu viel dafür." „Es geht nicht so viel in die Luft, wie Du meinst. Mir kann nichts nachgewiesen werden, auch von Dir nicht. Nur das Geschaft wird geschadigt, wenn Du nichts gestehst. Und es sind auch keine sechs Jahre fttr Dich. Es sind höchstens vier. Du mufit Hehlerei aus etwa zehn, zwölf Einbrüchen zugeben, nicht mehr. Für alles andere bekommst Du die Belege. Das Citykontor hat recht anstandig gearbeitet. Du sagst, Du bist erst die letzten Monate vom rechten Weg abgeirrt." „Wahrend Du weg warst, was?" „Ja, wahrend ich weg war. Und Du hast es nur aus sozialem Mitgefühl gemacht. Die Laden haben Dich gedauert. Sie haben so sehr nach Waren gejammert. Du hast es nicht mehr mit ansehen können. Du stammst selber aus diesem Milieu. Es haben Existenzen auf dem Spiel gestanden. Es war auch Dein Ehrgeiz als Geschaftsmann, billige Waren zu liefern. Die B.-Laden liefern die billigsten Waren Londons." „Ach, das soll ich auch sagen?" „Es würde nichts schaden. Du mufit Vernunft annehmen und alles geschaftlich sehen. Aber Du mufit Dich jetzt sofort entscheiden, ich mufi weg." Brown kam herein. Die Verhandlung begann von vorn. Sie dauerte über eine Stunde. O'Hara schrie noch einmal. Macheath habe eine der besten Banden Londons und der Welt zugrunde gerichtet. Sie sei in alle Winde zerstreut. Er, O'Hara, werde ihm die Maske vom Gesicht reifien. Aber dann wurde er vernünftiger. Das Gesprach wandte sich endlich der Realitat zu. Er wollte nicht mehr Verkaufe als aus 2 bis 3 Einbrüchen zugeben. Sie einigten sich auf 5. Macheath verpflichtete sich, alle andern Waren mit Quit- tungen zu belegen. Am Schlufi gaben sie sich die Hand. „Wie Du es auch ansehen magst, O," sagte Macheath, „es ist ein Sieg der Vernunft. Du konntest nicht anders entscheiden. Menschlich bedrückt mich diese Lösung. Du wirst heute nacht besser schlafen als ich." Macheath blieb noch einen Augenblick mit Brown allein. Er überreichte ihm ein kleines, versiegeltes Kouvert. „Ich begleiche meine Schulden," sagte er herzlich und er fügte feierlich hinzu: „Aufierdem habe ich mir erlaubt, Dir, lieber Freddy, zur Feler des heutigen Tages eine kleine Gratifikation zu dedizieren." Brown öffnete das Kouvert und umarmte seinen Freund und alten Waffengefahrten gerührt. „Ich nehme das an," sagte er, Ihn mit einem offenen, ehrlichen Bliek ansehend, „ich erhalte es, weil wir Freunde sind. Es ist nicht umgekehrt, ich hotte, das weifit du, Mac!" Mit Grooch und PoUy wieder auf die Strafie hinaustretend konstatierte Macheath, dafi der Nebel noch zugenommen hatte. Nebel lm Sitzungszimmer der National Deposit Bank warteten acht Herren. In einer Ecke standen in einer Gruppe Herr Peachum, Hawthorne, MUler und Ghreston. In der Ecke gegenüber, unter einer Gipsbüste des Prinzregenten, standen die beiden leitenden Herren von der Commercial Bank und Aaron mit seinem Prokuristen. Dreigroschenroman 29 Die Gruppen vermieden es, nacheinander zu blieken und unterhlelten sich mit gedampfter Stimme. Aaron erzahlte den beiden Oppers von der Verhandlung. Als sie Hawthornes Elnladung erhalten hatten, war Aaron ttber Macheath' offenkundiges Doppelspiel am wenigsten erstaunt gewesen. Die Art, wie er die Entdeckung aufnahm, dafi sein Kompagnon Macheath gleichzeitig der Prasident der so feindseligen ZEG war und seit geraumer Zeit mit der Konkurrenz unter einer Decke steckte, zeigte ihn weiterhin als Geschaftsmann von Format. Er war dafttr, dafi man sich aller naheliegenden moraUschen Emotionen enthalte und lediglich ins Auge fasse, wie sich die Situation nunmehr geandert habe. Die Herren von der Commercial Bank teilten allerdings seinen objektiven Standpunkt nicht und zeigten sich eher von dieser Auffassung befremdet. Immerhin gestand auch Aaron, er sei gespannt, wie Macheath es anstellen würde, ihnen heute in die Augen zu blieken. Macheath und Grooch traten ein. Sie blieben an der Tür stehen und verbeugten sich. Die Herren der beidén andern Gruppen verbeugten sich ebenfails. Aus der einen Gruppe löste sich ein kleiner Mann mit gemeinem Gesichtsausdruck und trat auf die beiden Neueingetretenen zu. „Gestatten Sie mir die Frage," sagte er, „welcher von den Herren ist Herr Macheath?" Macheath verbeugte sich noch einmal. Peachum sah einen untersetzten stammigen Vierziger mit einem Kopf wie ein Rettich. Fast gleichzeitig sagten sie: „Wie geht es Ihnen? Freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen." Dann ging Peachum wieder zu der Gruppe an Fenster zurück. Sein Schwiegersohn Macheath und Grooch blieben in der Nahe der Tür. Es schien Macheath nicht ratsam, sich mit Aaron und den eisig blickenden Herren Opper von der Commercial in ein Gesprach einzulassen. So stand er unglücklich neben seinem Prokuristen Grooch. Beide in schwarzen Anzügen wie fast alle andern Herren im Raum und Beide gut sichtbar in dem Gaslicht der Milchglaskugel neben ihnen. „Sie warten nur darauf, Vertrage machen zu können," dachte Macheath angewidert. „Dabei ekelt mich, den einstigen Strafienrauber, dieses Gefeilsche wirklich an! Da sitze ich dann und schlage mich um Prozente herum. Warum nehme ich nicht einfach mem Messer und rentte es Ihnen ln den Leib, wenn sie mir nicht das ablassen wollen, was ich haben will? Was für eine unwürdige Art, so an den Zigarren xu xiehen und . Vertrage aufzusetzen! Satzchen soll ich ethschmuggeln und Andeutungen soll Ich f allen lassen! Warum dann nicht gleich lieber: das Geld her oder Ich schiefie ? Woxu einen Vertrag machen, wenn man mit Holxsplttterunterdiefingernageltretben das Gleiche erreichtt Immer dieses unwürdige Stchverschanzen hinter Richtern und Gerichtsvollziehern! Das erniedrigt einen doch vor sich selber. Freilich Ist mit der einfachen, schlichten und natürltchen Straftenrauberet heute nichts mehr xu machen. Sie verhalt sich xu der Kaufmannspraxis wie die Segelschiffahrt zur Dampfschlfffahrt. Ja, aber die alten Zeiten waren menschlicher. Der alte, ehrttche Grofigrundbesitx! Wie Ist der heruntergekommen! Früher schlug der Groftgrundbesitxer dem Pachter in die Fresse und warf Ihn in den Schuldturm, heute mufi er sich vor ebt Gericht hinstellen und den Sohn eines Pachters, der dort als Richter sitxt, mit dem Gesetzbuch ln der Hand zwingen, ihm einen Zettel Papier votlzuschmieren, mit dem er temen Pachter auf die Strafte jagen kann. Früher hat ein Unter nehmer seine Arbeiter und Angestellten einfach hinaus gewerf en, wenn ihnen der Lohn oder Ihm der Profit nicht ausretchte. Er wirft sie auch heute noch hinaus, natürUch, er macht auch heute noch Profit, vieUeicht macht er sogar mehr Profit heute als früher, ober unter welchen entwürdtgenden Umstanden! Er mufi den Gewerkschaftsführern erst Ztgarren ln die ungewaschenen Mauler stecken und Ihnen etntrlchtern, was sie den Herren Arbeitem sagen sollen, damlt sie gnadigst in seinen Profit einwilligen. Hut ist doch eine hündische Haltung! Einen anstandlgen Menschen würde unter solchen Umstanden sein Profit überhaupt nicht mehr f reuen, und wenn er noch so grofi ware! Er Ist mit einer zu grofien Pretsgabe menschltcher Würde erkauft! Das betrifft sogar die Reglemng. NatürUch werden auch heute die Massen angehalten zu einem arbeitsamen und opferfreudigen Leben, aber unter welch jammerlichen Begleitumstanden! Man schamt sich nicht, sie erst zu bitten, selber mit Sttmmzetteln in der Hand die Polizei zu wei hl en, die sie niederhalten soll. Der allgemeine Mangel an Haltung macht sich auch hier bemerkbar. Diese Leute sollen sich von mir, einem einstmallgen gewöhnltchen Strafienrauber, gesagt teut lassen, dafi Ich mich früher, alt Ich mich noch einen Strafienrauber nennen durfte, zu einer tolch nledrlgen Haltung niemals hergegeben hatte!" Man wartete auf Bloomsbury von der ZEG. Er kam erst eine halbe Stunde nach Macheath und schüttelte ihm beide Hande. „Sie sind frei gesprochen," sagte er herzlich. „Wegen des Weglaufens haben Sie eine Ordnungsstrafe bekommen." Mit ihm war Fanny Crysler gekommen. Sie wartete jetzt mit. PoUy zusammen im Direktionszimmer. Macheath wollte sie seines Schwiegervaters wegen nicht im Sitzungssaal haben. Die Herren nahmen um den groBen runden Tisch Platz, auf dem eine Karaffe mit Wasser, sechs Glaser und eine Zigarrenkiste standen. Hawthorne als Notar und Hausherr eröffnete die Sitzung. Er begrüBte die Anwesenden und gab sofort mit den Worten „Herr Macheath, der Ihnen allen bekannte Begründer der B.-Laden möchte Ihnen, wenn ich seinen Brief recht verstanden habe, einige Vorschlage unterbreiten" Macheath das Wort. Aaron hob die fleischige Hand. „Erlauben Sie, daB ich eine uns sehr dringend erscheinende Sache zuerst klare, wir hatten sonst kaum die Rune, die Aus fuhr ungen des Herrn Macheath anzuhören. Es handelt sich um die Geruchte über UnregelmaBigkeiten in der Zentralen Einkaufsgesellschaft." Macheath stand auf. „Ich weifi darüber Bescheid," sagte er langsam. „Die Geruchte wurden hervorgerufen durch die Verhaftung eines Herrn O'Hara, der meine Laden belieferte. Die Verhaftung erfolgte auf eine Anzeige von mir selber. Die Herkunft einiger Bestande schien mir dunkel. Meine Nachforschungen ergaben, daB sie tatsachlich aus Einbrüchen stammten. O'Hara hat inzwischen vor der Polizei ein volles Gestandnis abgelegt. Das Verfahren gegen ihn wegen Hehlerei ist er hoben worden." Aaron schien nicht sonderlich überrascht Er nickte beistimmend, nicht ohne Hochachtung. Macheath nahm jetzt das Wort zu seinen Vorschlagen. Er hielt sich so kurz wie möglich. Das Ladengeschaft sei in eine starke Krise gekommen. Man habe sich in gegenseitigem Konkurrenzkampf so lange mit den Preisen unterboten, daB zuletzt an einen angemessenen Gewinn nicht mehr zu denken gewesen sei. Das Prinzip der Geschafte mit Einheitspreisen sei der Dienst am Kunden. Um diesen aber auf die Dauer leisten zu können, mttfiten sie gesund sein und Rücklagen machen können. Das bisherige System des mehr oder weniger rücksichtslosen Konkurrenzkampfes habe die Bankinstitute stark belastet. Er mache den Vorschlag, ein den Aaron-, Chreston- und B.-Ladenkomplex zusammenfassendes ABCLaden- Syndikat ins Leben zu ruf en, das die Bedür misse des kaufenden Publikums studieren, eine regionale Gliederung der Laden organisieren, einen festen Verkaufsplan aus arbeiten und so angemessene Preise erzielen könne. Der groBe Aaron sah verlegen auf die Herren von der Commercial Bank und sagte dann langsam, eine Beendigung des Konkurrenzkampfes scheine auch ihm wünschenswert. Es wurde still und der Prasident der Commercial Bank rausperte sich. „Ich stelle die Frage," sagte er steif, „ob in der von Herrn Macheath angedeuteten Richtung bereits Besprechungen stattgefunden haben. Soviel ich weiB, gehort bis zu diesem Augenblick der B.-Ladenkonzern des Herrn Macheath zu unserer Gruppe und ist dadurch an gewisse gemeinsam gefaBte Beschlüsse gebunden." Macheath wahlte jedes Wort sorgfaltig. Durch verwandtschafUiche Beziehungen — er wies mit einer Handbewegung auf den ihm gegenüber sitzenden Herrn Peachum, der aber keine Miene verzog — sei er in die Notwendigkeit versetzt worden, sich mit den Geschaften der National Deposit Bank zu befassen, die mit den Chrestonschen Kettenladen arbeite. Die Erwagungen über das zu- künftige Geschick dieses Konzerns seien sozusagen im SchoB seiner Farnilie angestelit worden. Es hatten dann auch mit Herrn Chreston persönlich gewisse Vorbesprechungen informatorischer Art stattgefunden. „Und was haben diese Vorbesprechungen ergeben?" fragte Aaron, ohne nach seinen Bankleuten zu schauen. „Vollste Übereinstimmung," erwiderte Chreston fttr Macheath. Aaron lachte. „Wurde bei diesen Vorbesprechungen," nahm der Prasident der Commercial wieder ktthl das Wort, „Vorbesprechungen informatorischer Art lm SchoBe der Familie, auch die Rolle der Zentralen Einkaufsgesellschaft bertthrt?" Dabei sah er Bloomsbury an, der unglücklich auf seinem Sessel herumrutschte, da er von nichts etwas verstand. Mit groBer Rune antwortete Macheath fttr ihn. „Sie können diese Frage an mich richten," sagte er. „Ich richte sie an die ZEG," gab Jaques Opper zurück. „Also an mich," bestatjgte Macheath seelenruhig. „Die ZEG, das laBt sich nun nicht mehr langer verschweigen, ist zu mir seit einiger Zeit in nahere Beziehungen getreten." „Verwandtschaftliche Beziehungen?" fragte der jüngere Opper mit eisiger Ironie. „Nein, freundschaftliche," erwiderte Macheath freundlich. „Bloomsbury und ich sind Freunde." „Sehr interessant," sagte Henry Opper und sah Aaron an. Es entstand eine peinliche Stille. Hawthorne schenkte sich ein Glas Wasser ein und bat die Anwesenden höflich, doch jede Scharfe des Tones zu vermeiden. „Also, Macheath," resumierte Aaron nicht unfreundlich und mit einem gewissen Galgenhumor, „Sie sind der Prasident der ZEG und der Direktor der NDB, sehe ich recht?" Macheath nickte ernst. „Also, Opper, das andert eben die Sache," fafite Aaron nun seinerseits zusammen, „Wenn mich nicht alles tauscht —und warum soll mich auch f ernerhin alles tauschen — dann wird jetzt Ghreston bald wieder von der ZEG neue Warenbestande erwarten können. Verwandtschaftliche und geschaftliche Beziehungen, denen sich noch freundschaftliche gesellen, schaffen, ohne jede Scharfe gesagt, eine sehr harmonische Atmosphare auf der Gegenseite. Da fragt es sich eben, ob es weiterhin solche Gegenseiten überhaupt geben kann, Opper. Das können wir uns morgen zu Gemttte ftthren, das können wir uns aber auch schon heute zu Gemüte ftthren. Am besten gleich, meine Herren! Solche Suppen löffelt man am besten gleich aus. Wie denken Sie darüber?" „Die ZEG," warf Macheath ein, „ist eine sehr potente Organisation, wenn sie nicht allzu schlechte Preise erhfilt, was in letzter Zeit leider mehrfach geschehen ist. Der Druck, der durch die Preissenkungen auf die den Konzernen nicht angeschlossenen, freien Laden ausgeübt wurde, hat sich allerdings in letzter Zeit voll ausgewirkt. Es sind eine Reihe von Bankerotten erfolgt, menschlich gewifï eine deprimierende Sache, aber zur Gesundung des Ladengeschafts doch beitragend. Aus den zusammengebrochenen Laden sind betrachtliche Bestande von Waren zu niedrigsten Preisen angefallen. Der kranke Mann stirbt und der starke Mann ficht, meine Herren!" Aaron betrachtete seine Fingernagel. Niemand schien das Bedürfnis zu empfinden, etwas zu sagen. Macheath fuhr also fort: „Eine Ankündigung, mein lieber Aaron, daB unsere Werbewoche nicht stattfinden kann, ware sicher ungünstig. Bedenken Sie, daB das kaufende London unsere Kampte mit- verfolgt hat. Ein Ring der hier vertretenen Firmen könnte sie natürlich sowohl absagen als auch stattfinden lassen." „Ach so," sagte Aaron, „Sie würden Ihre Werbewoche also auf jeden Fall steigen lassen, wenn wir zu keiner Elnigung kamen? Ich dachte, die Lager der ZEG seien im Augenblick erschöpft?" „Sicher," erklarte ihm Macheath bereitwillig, „aber ich habe einige Posten eingekauft — bei Chreston. Sie waren etwas teurer als bei der ZEG, aber nicht so teuer wie auf dem sonstigen Markt." „In einem Ring, wie Sie ihn sich vorstellen," sagte Aaron, „würden Sie, der Sie gleichzeitig die ZEG sind, allerdings eine starke Position haben, Macheath?" „Sagen wir — eine starke Verantwortung!" gab Macheath freundlich zurück. „Was meinen Sie?" fragte Aaron die Herren von der Commercial Bank. Henry Opper sah seinen Bruder an und sagte schart: „Das werde ich Ihnen sagen. Ich für mein Teil ziehe es vor, zu Herrn Macheath ln keine von den drei möglichen Beziehungen zu treten. Aufierdem bitte ich Sie, jetzt mit uns diesen Raum zu verlassen." Er stand auf. Aaron sah ihn unglücklich an. „Aber warum?" sagte er klagend, aber sitzen bleibend. „Hören Sie doch erst zul" Henry Opper blickte ihn einen Moment lang mit kalter Verachtung an. Dann wandte er sich stumm und ging, gefolgt von seinem musischen Bruder, nach einem kurzen Nicken aus dem Zimmer. Aaron schaute jeden der Anwesenden der Reihe nach fest an. „Meine Freunde haben keinen wirklichen Sinn für Humor, 457 das Ist nicht zu bezweifeln. Ich bin hier sitzen geblieben, weil ich Ihnen zeigen will, daB ich Sinn fttr Humor habe und das voneinander zu wissen, ist fttr Geschaftsfreunde gut. Ich kann nicht weggehen, wenn mein Geschaft sitzen bleibt," schloB er argerlich. Da niemand das Wort ergriff, fuhr er fort: „Eine Frage, die akut werden könnte, ist folgende: können wir der finanziellen Hilfe der Commercial Bank entraten?" Zum ersten Mal grift Peachum in die Diskussion ein. „Ich denke," sagte er trocken, „daB mein Schwiegersohn das kann. Die Transportschiffeverwertungsgesellschaft, der ich vorstehe, erleidet glücklicherweise durch die so furchtbare Schlffskatastrophe keinen finanziellen Verlust. So kommen wenigstens zu den Opfern an Menschenleben nicht auch noch finanzielle Opfer. Es ist, im Vertrauen gesagt, sogar eine weitere Zusammenarbeit mit der Regierung vorgesehen. Ich bin also, jedenfalls vorübergehend, bis ich eigene weitgreifende Plane zu verwirklichen beginnen kann, in der Lage, einem aufstrebenden Unternehmen, wie es das ABC-Laden-Syndikat darstellt, meine UnterstUtzung angedeihen zu lassen." Aaron verbeugte sich im Sitzen. Dann sah er, fast traumerlsch, auf Macheath. San ft sagte er: „Ich glaube, ich bin im Bilde, Macheath. Mich und die Commercial Bank haben Sie, mit Ihren phantastisch billigen Waren aus der ZEG in einen scharfen Konkurrenzkampf mit Chreston verwickelt, den Sie dadurch zu Boden rissen. Als er unten war und das Geld der National Deposit ausgegeben hatte, um seine Warenpreise ebenso senken zu können wie wir, haben Sie ihm durch die National die Kredite kündigen lassen. Uns aber, Ihre eigenen Laden mitinbegriffen, haben Sie auf dem Höhepunkt des Kampfes den Waren- zustrom der ZEG abgeriegelt und jetzt trennen Sie mich von der Commercial, wie Sie Chreston von der National getrennt haben! Es ist superb! Wir müssen das mal ganz genau durchsprechen bei einer Flasche Achtundvierziger, wie? Aber jetzt Schlufi mit Geschaften! Soviel ich sehe, sind die meisten von uns darauf aus, an der Trauerfeier bezw. Heldenehrung teilzunehmen. Dann müssen wir aber jetzt weggehen. Die Einzelheiten können wir ja heute doch nicht mehr regeln." Die andern Herren waren einverstanden. Das ABC-LadenSyndikat unter Führung des Herrn Macheath war unter Dach. Polly und Fanny, die im Direktionszimmer warteten, hatten sich gut unterhalten. Fanny hatte ein lustiges Vorkommnis aus dem ProzeB erzahlt. Nach der Freisprechung beteiligten sich, wie sie lachend berichtete, an der Suche nach dem Bankier Macheath auch einige B.-Laden-Besitzer mit ihren Frauen. Fanny ging hinter ihnen her und hörte ihre Reden. Sie wollten ihm unbedingt die Hand schütteln. Sie schimp f ten kraftig auf WaUey, der sie verhetzt habe. „Sicher hat dieser WaUey damit irgendwelche unsauberen Zwecke verfolgt," sagten sie empört. Fanny erzahlte PoUy, daB das Alibi, das sie so befriedigte, weU es Macheath reinwusch, jene Sitzung der ZEG gewesen war, in der die Abriegelung des Warenzustroms beschlossen wurde, also ihr Ruin. PoUy lachte sehr und sie sprachen weiter über die Herbstmoden. Als die Sitzung zu Ende war, hatten sie sich schon gegenseitig eingeladen. PoUy war ein wenig nervös, weil ihr Vater Mac heute zum ersten Mal gesehen hatte. Sie sah ihren Mann zusammen mit ihrem Vater aus dem Sitzungszimmer treten. Sie gingen schweigend nebeneinander. Beide in Gedanken. Man fuhr in vier Kutschen in die Kirche. PoUy saB mit ihrem Mann allein in einer der Kutschen. Sie hielt seine Hand gefaBt. Die Liebe der Beiden hatte also doch noch ttber alle Hinderaisse gesiegt. Der Nebel war wahrend der Sitzung in der NDB womögUch noch starker geworden. Die Kutschen kamen nur langsam vorwarts. An einigen StraBenkreuzungen entstanden Diskussionen der Kutscher ttber die Richtung. In der zweiten Kutsche saBen Peachum, Fanny und Bloomsbury. Der letztere sprach begeistert ttber die GeniaUtat seines Freundes Macheath. „Er ist ein sehr starker Arbeiter," sagt er ehrfurchtsvoll. „Er arbeitet eigentlich immer. An sich denkt er nicht, nur an seine Unternehmungen. Er gönnt sich kaum einen Urlaub, mittags schUngt er ein paar Happen hinunter. Erholen kann er sich eigentüch nur im Gefangnis." Dann sprach Fanny mit Herrn Peachum ttber Ladenmleten in Hampstead. Sie stritten bald und Fanny Crysler sagte lachend und Peachum von der Seite anschauend, er wisse doch, sie sage immer die Wahrheit. Peachum lachelte mtthsam. Er war grau im Gesicht und sah alt aus. Er hatte Furcht. In den Nebel hinaussehend, sah er undeutUche Züge, Menschenklumpen mit schreckUchen Tafeln, auf denen Anklagen standen, von ihm selber verfaBt. „Der Nebel ist noch ein Glück," dachte er, zurückgelehnt. „Er kann jeden AugenbUck weichen. Was dann? Gewifi, ich lebe von Drohungen. Aber ich habe ein wenig zu stark ge- droht dlesmal. Das kann mir den Hals kosten. Nur die Polizei ist meine Zuversicht, aber wird sie tuchtig genug sein? Sie marschiert ebenfails im Nebel. Alle bier sind voller Optimismus. Sie wissen nicht, was über ihnen schwebt, kennen die Tafeln nicht, die -auf sie zuschwanken. Ach." Grooch fuhr mit Chreston und Aaron, der noch seinen Prokuristen dabei hatte. Aaron hatte von Macheath einen starken Eindruck. Er gestand, dafi er, als er vor Gericht gehort hatte, dafi Macheath hinter der ZEG stehe, sogleich entschlossen gewesen sei, ihm eine führende Position im Syndikat einzuraumen. Die Kutscher schienen übrigens nicht ganz sicher zu sein, ob der Weg richtig war. Sie nietten mehrere Male an und besprachen sich laut von ihren Kutschböcken aus. Sie kehrten auch einmal alle um. Dann hielten sie wieder Passanten an, die aber ebenfails nicht wuBten, wo sie waren. Ein Schutzmann gab ihnen eine Erklarung und sie beschleunigten daraufbin die Gangart ihrer Pferde, als wüfiten sie jetzt Bescheid. Macheath schrie mehrmals aus dem Fond: „Trinitatiskir che!" Aber dann stiegen Grooch und Aaron einmal aus, gingen ttber die StraBe und steilten fest, dafi man schon frêles Feld sah, wenigstens auf der einen Seite der StraBe. Die Kutscher berieten. Sie zantten die Gegenden auf, wo auf der einen Seite der StraBe freies Feld war. Da sie nicht übereinkamen, fuhr en sie weiter. Hawthorne sagte zu Miller — die Anderthalb Jahrhunderte fuhren im letzten Wagen — unmutig: „Man weifi überhaupt nicht mehr, wo man bingehört!" Nach einer halbstündigen Fahrt verlor Macheath die Geduld und sagte zu Polly sehr of f: „An der nachsten Ecke steigen wir aus und gehen in das erstbeste Haus. So geht es nicht weiter." Tatsachlich stieg er aus und mit ihm alle andern. Das Haus, an das sie kamen, hatte eine hohe Mauer und schien ziemlich grofi zu sein, wenn man auch im Nebel nichts Deutliches erkennen konnte. Die Mauer zog sich ziemlich lang hin, sie konnten lange nicht das Tor finden. Als sie es fanden, sahen sie, dafi sie vor dem Old Bailey Gefangnis standen. Sie kehrten lachend um und stiegen unter allerlei Scherzen wieder in die Wagen. Es war jetzt klar, daB sie sich ganz und gar verirrt hatten. Es war ein Zufall, daB sie noch einen zweiten Schutzmann trafen, der die Kutschen, als er hörte, dafi die Herren stadtische Einladungen für die Trinitatiskirche hatten, an eine Ecke brachte, von wo die Kutscher geradeaus fahren konnten. Sie kamen um mehr als eine Stunde zu spat. Sie sahen wenig Leute auf dem Platz vor der Kirche, aufier bettelnden invaliden Soldaten. Peachum blickte von seiner Droschke aus unglaubig nach dem Portal. Dutzende seiner Leute standen dort, durchnafit und elend. Er nahm einen von ihnen beiseite und erfuhr, dafi Beery zwar nicht rechtzeitig an den Treffpunkt gekommen sei, der Aufmarsch aber dennoch nicht stattgefunden habe. Es hatte in aller Frtthe eine regelrechte Aufstandsbewegung gegeben. Die Leute hatten die Tafeln weggeworfen und sich geweigert, an einem geschaftlich so bedeutenden Tag sich durch Schildertragen von der Arbeit abhalten zu lassen. „Das Hemd steht uns naher als der Rock," hatten sie gesagt. „Es Ist besser, daB die Polizei nicht auf uns aufmerksam wird. Die Bevölkerung ist bereit, den armen Soldaten heute etwas zukommen zu lassen, damit sie nicht die Lust verlieren, für Englands Grofie und Herrlichkeit ihre Gliedmafien hinzugeben und wir sollen wildfremde Leute in der Regierung beschuldigen, sie steilten uns nach? Wo bleibt da das Geschaft? Morgen zeigt man bettelnde Soldaten wieder den Schutzleuten an, heute feiert man sie. Es ist nicht alle Tage Schiffsuntergang. Wir können gegen die Korruption auch in Zeiten der Flaute demonstrieren." So oder so ahnlich rasonierend waren sie auseinandergelaufen. Sie seien in den angrenzenden Strafien gut verfeilt. Der Nebel hindere aber ihre Arbeit stark. Immer wieder seien sie staft an die Hinterbliebenen der Opfer, die ja reichlich gaben, an die vielen Vertreter der Regierung herangetreten. Peachum ging aufatmend ins Innere der Kirche. Die Kirche war noch halb leer. Die hohen Pfeiler hatte man mit schwarzem Tuch umwickelt. Vor der Kanzei lagen dicke Kranze. Die Trauerfeier hatte noch nicht angefangen. Noch nicht einmal der Militarkordon war eingetroffen. Die Kompagnie tappte sich halbblind durch Chelsea und stiefi endlich an dieThemse. Sie ware beinahe hineingef allen. Fluchend marschierte sie zurück. Sie sollte als Ehrenwache ihre ertrunkenen Kameraden vor den Ausschreifungen des Pöbels beschirmen, nicht vor den Ausschreifungen der Wassermassen. Als sie anlangte, fehlte die Geistlichkeit noch. Sie war im Nebel vom Weg abgekommen und auf die Schlachthöfe gelangt. Der Bischof, der die Rede für die Helden in der Rocktasche hatte, verirrte sich auf der Suche nach dem Portier und lief verzweifelt die schmalen Gassen ent lang, durch die man die zum Schlachten bestimmten Tiere zu treiben pflegte. Er saB in einem leeren Hammelpferch, als ihn einige Warter fanden. Nach dem Eintreffen der Geistlichkeit begann die Trauerfeier für die Opfer nebst anschliefiender Heldenehrung. Die Behörden waren schon da. Macheath sah Brown neben einem hohen Beamten sitzen, dessen Fotografie er ln den Magazinen gesehen hatte. Er freute sich, daB Brown so unerreichbar für jedermann aussah und war stolz auf ihn. Der Herr neben Brown war Hale. Peachum entdeckte ihn sofort. Browns Kutsche war im Nebel auf die Hales gestoBen. Sie waren, da sie hofften, sich zusammen besser orlentieren zu können, gemeinsam hierher gefahren. Die Banke für das Volk waren immer noch halb leer. Von Hinterbliebenen hatte man nicht allzu viele erwartet, aber Hunderte, deren Angehörige im Feld waren, hatten nicht mehr rechtzeitig eintreffen können. Sie irrten, gröBtenteils Frauen und Mütter, in den StraBen der Kapitale umher und fragten an jedem StraBeneck oder auch in den Hausern oder Laden nach, wo die Heldenehrung und die Beweinung der Toten stattfinde. Nach einem einleitenden Musikvortrag, der die Stimmung herstellte, hielt der Bischof, noch immer zitternd von seinem Abenteuer auf dem Viehhof, die Gedenkrede. Er hatte als Motto das Gleichnis des Herrn von den anvertrauten Pfunden. Er verlas zunachst das Gleichnis aus den Evangelium Luca, das mit den Worten beginnt: Ein Edler zog ferne in ein Land, dafi er ein Reich einnahme und dann wiederkame. Der Mann gab seinen Knechten jedem ein Pfund mit dem Bescheid, sie sollten handeln bis daB er wiederkame. Als er wiederkam, hatte der eine Knecht zehn Pfund erhandelt. Der Edle gab ihm die Macht ttber zehn Stad te .| D er'zweite hatte fttnf Pfund erhandelt und bekam die Macht ttber fttnf Stadte. Aber der dritte hatte gar nichts erhandelt. Da nahm ihm der Edle das Pfund ab und gab es dem, der zehn Pfund erhandelt hatte. Wer da hat, dem wird gegeben werden, sagte er, von dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, das er hat. Das war das Gleichnis und der Bischof baute seine Predigt darauf auf. „Meine Freunde," begann er die Rede, „der furchtbare Untergang des Transportschiffes „Optimist" im Kanal nat in unserem Lande eine Wette von Patriotismus ausgelöst. Es ist, als ob unserem Lande das Leid, das Ihm uHderfahren ist, die Augen geöffnet habe über seine Mission, die es fast schon vergessen hotte, als am Morgen des vorlgen Donnerstag der Leser der Morgenzeitungen beun Frühstück neben seinem Teller die furchtbare Kunde vorfand von dem Unglück, das England betroffen hatte. Was verstehe Ich nun darunter, wenn Ich sage: die Augen werden geöffnet t Meine Freunde, es gibt von allen Vor gangen des Lebens, und das Leben besteht aus Vor gangen, ein Vom und ein Hint en. Es gibt die Vorder gründe eines Ereignisses, wie zum Beispiel unserer Schlffskatastrophe, und es gibt die Hinter gründe. Und es gibt Leute, die sehen das Vont, aber ste sehen nicht das Hutten. Die Hinter gründe aber sind recht elgentllch das Wichtigste; nur wer sie kennt, kennt das Leben. Was, meine Lieben, frage ich nun, sind aber diese Hintergründe der Katastrophe, die uns so schwer betroffen hatt" Der Bischof lehnte sich zurück, sodaB er hochaufgerichtet 465 Dreigroschenroman 30 dastand. Mit kühnem, freiem Bliek überflog er das Kirchenschiff unter ihm, die Vertreter der Behörden, die Offiziere des Marineamtes mit Hale an der Spitze, die Geschaftsleute und die Angehörigen von Kriegsteilnehmern. „Meine Freunde," fuhr der Bischof nach dieser Musterung fort, „der Herr ln unserm Gleichnis ist ein strenger Herr. Er verlangt sein Geld mit Zins und Zinseszins zurück. In dieser Sache spaftt er nicht. Den Knecht, der ihm nur sein Pfund wieder geben will, stöflt er aus in die Finstemis, wo da ist Heulen und Zahneklappern. Ja, meute Freunde, Gott, denn der Herr im Gleichnis Ist unser Herr selber, Gott Ist ein strenger Herr und besteht auf seinem Zins. Aber meine Freunde, er ist auch ein gerechter Herr. Er besteht nicht bei jedem seiner Knechte auf dem gleichen Zins. Er nimmt zehn Pfund für das eine und er nimmt auch die fttnf Pfund des andern Knechtes. Er nimmt, was er bekommt. Nur das Garnichts des driften Knechtes, des fouten, umstandlichen, ungetreuen Knecht es, weist er zurück. Der Mann ist bei ihm abgemeldet. Dem soll auch noch genommen werden, was er hat, namlich das Pfund, das alle von Ihm bekommen haben, das Anfangskapital. Der tiefe Sinn dieses Gleichnisses besteht also in dem ttberraschenden Satz: Jedem nach seinem Vermogen. Ich möchte hier ein paar Worte einschalten ttber den Begriff Pfund. Es gibt in der Heiligen Schrift 2 Fassungen des Gleichnisses, von dem wir reden. Das eine Mal wird von Pfunden gesprochen, das andere Mal von Talenten. Talent e, das bedeutet zweierlei: erstens ein grofies Geldstück aus Silber lm alten Grtechenland und zweitens eine geistige Fahigkeit. Ich meine, das Ut ein schoner DoppeUinn. Fahigkeiten sind Geld, LeUtung ist Wohlstand. Aber dies nur nebenbei. Meine Freunde, wir begegnen auf Erden auf Schrift und Trltt der Ungleichheit. Jeder Mensch betritt aU hilfloses kleines Biindel nackt und blofi die Welt. Er unter scheidet sich in diesem Zustand nicht von jedem andern Saugling. Aber nach einiger Zeit telgen sich die Unterschiede. Der Eine bleibt auf nlederer Stufe stehen, der Andere entwickelt sich weiter. Er Ist klüger als sein Mitmensch, fleifiiger, sparsamer, energischer, er überflügelt ihn durch seine Leistung. Er wird auch wohlhabender, machtiger, angesehener als jener. Die Ungleichheit zeigt sich. Wie steht nun Gott dazu ? Schatzt er nun die Menschen nach ihrem verschiedenen Rang auch anders ein? Liebt er den Einen, den mit der gröfieren Leistung mehr ais den Andern, der doch nur so Bescheidenes vorweisen kann t Neut, meine Freunde, das tut Gott nicht. Er teilt der Leistung ihren Preis zu, zehn Stadt e dem einen, fünf dem andern, ganz nach der Leistung, aber darüber hinaus gibt es für ihn dann keinen Unterschied. Darüber hinaus sind ihm seine Knechte gleich Ueb. Und das, meine lieben Freunde, ist die G leichheit vor Gott! Meine Freunde, dieses Gleichnis von den Pfunden zeigt uns, wie wir das Opfer unserer Soldaten vom „Optimist" su betrachten haben. Unser Land hat grofie Manner, deren Leistungen ungeheuer sind. Unsere Staatsmdnner stehen Tag und Nacht auf der Kommandobrücke des Staatsschiffes. Unsere Generale entwerfen die Plane der Feldzüge, über die Karten gebeugt. Wir hier auf den Kanzeln, die Diener Gott es, tragen das Unsere dazu bei, dafi die Herzen gestarkt werden. Und unsere Soldaten besteigen die Schiffe. Und gehen damit unter, wenn es Gottes unerforschttcher Wille ist. Wir geben unser Pfund mit Zinsen zurück, sie das Ihre. Alle zusammen aber helfen wir mit, dafi unser Land auch seinerseits das Pfund, das ihm Gott anvertraute, standig vergröfiert, damlt wir dereinst, wenn wir vor Gott beruf en werden, auf unser Land weisen und sagen können: Du hast uns Staatsmanner, Gener&le, Kaujleute, Soldaten gegeben, slehe, oh Herr, hier Ist, was wir daraus gemacht haben! Wenn wir alles, was geschteht, Gute* wie Böses, aber so aujfassen, meine Freunde, dann bietben wir nicht bel dem Vom eines natlonalen Unglücks wie de* Untergangs des „Optimist" stehen, wie das einige Leute tun, deren ganzes Sinnen eben nur an diese Er de gebunden Ist. Dannjallt es uns wie Schuppen von den Augen und wir sehen die Hinter gründe und wenn wir diese sehen, dann sind unsere Soldaten und Matrosen, obwohl ste den Feind nicht erreicht haben, doch nicht umsonst unter gegangen. Dann hat das Schijf, dat da ln dtckem undurchdringllchem Nebel ln die Tieje tank, doch nicht ganz mit Unrecht den stolzen Namen „Optimist" getragen. Denn sein Optimlsmus, meine Freunde, bestand darm, dafi sein Unter' gang von der Nation richtig aujgejaflt werden würde! Dann haben wir auch durch dieses Schijf, das untergehen mufite, etwas gewonnen: es hat Zint und Ztnsesztns getragen, oh Herr!" Nach der Trauerfeier fttr die Opfer begaben sich Herr Peachum, das Ehepaar Macheath und die Herren von der National Deposit Bank und dem ABC-Laden-Syndikat noch in ein naheliegendes Restaurant, um nach Abwicklung des Geschaftlichen das Private noch in seine Rechte treten zu lassen. Das Ehepaar Macheath stand im Mittelpunkt eines Kreuzfeuers von schmeichelhaften Ansprachen und Gratulationen. Zuerst sprach Aaron. „Gnadige Frau, meine Herren," führte er aus. „in der Geschichte des Kleinhandels England* Ist der heuttge Tag ebt bedeutender Markstem. An die Spitze eines grofien Laden- syndikats tritt ein Mann, den wir alle in den vergangenen Monaten als einen führenden Kopf auf unserem Gebiet erkennen durft en. Von morgen ab wird er seine ungeteilte Kraft, seine famosen Geschaftskenntnisse, seine unbeugsame Energie und Kunst der Menschenbehandlung, die Wir kennen und schotsen lernten, in den Dienst unserer gemeinsamen Sache stellen. Das Publikum wird sich überzeugen von dieser neuen Kraft. Nicht weiter werden wir Kaujleute unsere Krafte durch gegensettlge Kampje serspllttem, sondern wir werden einen gemeinsamen Kampf fuhr en. Wir alte haben erst vorhin die herrlichen Worte unseres Religionsstifters über das Pfund gehort. Unsere neue Leitung mit Herrn Macheath an der Spttze wird aus dem Pfund, das unsere weitverbreltete Organisation darstellt, herausholen, was irgend drinnen ist." Herr J. J. Peachum machte in seiner Tischrede einen bemerkenswerten Vorschlag. „Ich will nicht sagen," sagte er, „dafi ich der Ehe meiner Tochter mit Herrn Macheath su allen Zeiten gleich posMv gegenüber gestanden habe. Wirklich überzeugt, dafi meine Tochter richtig gewahlt hat, war Ich erst, als Ich einen Bliek in die praktische Tatigkett metnes Schwlegersohnes warf. Ich sah, dafi es sein Prinztp war, den unteren Schichten su dienen. Das liefi in mir sogleich eine verwandte Salte erklingen. Man denkt gemeinhin ziemlich gering über die unteren Schichten; das ist aber ein grofies Unrecht. Sie mógen weniger gebildet sein als wir, ihre Umgangsformen mogen gröber, ja roh sein; von der Notwendigkeit, dafi alle Menschen, ob hoch oder niedrig, in Harmonie nebeneinander leben müssen, soll nicht alles ln den tierischen Zustand verstnken, der nur su oft der ihrige Ist, mögen sie eine nur undeutliche Vorstellung haben, das alles andert nichts an der Notwendigkeit, 469 sich ihrer anzunehmen. Ich möchte gleich einen praktischen Vor schlag machen: Sie, meine Herren und Du, mem lieber Schwiegersohn, verkaufen Rasierklingen und Uhren, Haushaltungs ge genstande und was weifi ich, aber der Mensch lebt nicht davon allein. Er Ist noch nicht in Ordnung, wenn er rastert Ist und weifi, wtevtet Uhr es ist. Sie müssen weitergehen. Sie müssen ihm auch Bildung verkaufen, Ich meine Bücher, ich denke an billige Romane, solche Sachen, die das Leben nicht grau in gr au, sondern in tlchteren Farben molen, die dem Alltagsmenschen eine höhere Welt vermittetn, ihn mit den f einer en Sltten der höheren Schichten bekannt machen, der so erstrebenswerten Lebensweise der gesellschaftlich Bevorxugten. Ich rede nicht vom Geschaft, das damlt xu machen Ist — es kann bedeutend sein — Ich rede von der Menschheit, der damit ein Dienst er wies en wird. Kurx, eine kleine Anregung." Nachdem Herr Aaron im Namen des ABC-Laden-Syndikats Herrn Peachum für seine Anregung gedankt hatte, erhob sich der alte Hawthorne und erzahlte scherzhaft ein kleines Detail aus den vergangenen Monaten. „Ich wilt es an dieser Stelle nicht verhehlen," sagte er gut gelaunt, „dafi es ein ganz bestimmtes, rein menschUches Erlebnts war, das uns von der National Deposit dazu gebracht hat, unsererseits alles zu tun, dem mörderlschen Kampf der grofien Kettenladen ein Ende xu beretten. Es war ein Besuch von Frau Macheath, die hier unter uns sitxt, ln der Bank. Ste sprach nicht von Geschdften. Sie sprach nur von rein menschlichen Dingen. Aber Ihre Worte rührten uns so —auch altere Leute haben namlich ein Herz—dafi wir einfach nicht mehr anders konnten und Ihrem vielgeschmahten Mann, der schuldlos im Kerker safl, einen Besuch abstatteten, bei dem dann alles Weitere für ebte Etntgung besprochen wurde. Das war nicht, und nur das wollte ich sagen, so altmodisch es klingen mag, das war nicht Geschaftssinn, der hier einen Aus weg aus einer schlimmen Situation fand, sondern das war — die L i eb e." Auch Polly erhob sich und mehr denn je sah sie wie ein voll erblühter Pfirsich aus, als sie folgende kleine Rede hielt: „Obgleich es nicht bellebt ist, wenn wir Damen eine Rede holten, da man uns nicht gerne so geschaftlich ouftreten sieht, möchte ich etwas sagen über die Freude, die es mir jetzt macht, dafi Ich Immer meinen Gejühlen gejolgt bin und in der Liebe su meinem Mann nie geschwankt habe. Wir Frauen denken ja nicht so nüchtern wie die Herren der Schopf un g, aber man sieht aus meinem Beispiel, dafi die wahre Liebe auch ganz gut aus gehen kann. Sie mufi nur stark genug sein und man darf sich nicht darum kummern, dafi einen die Leute einmal ein wenig schlef ansehen. Die gescheidten Plane, meine Ich, die unsere Manner aushecken, mogen ja gans nützlich sein, aber wir Frauen obsiegen dann eben manchmal doch, eben durch die Liebe, auch wenn sie fast besinnungslos aussieht und mehr als einmal habe Ich erlebt, wie Mac, der halte Geschaftsmann, alles hinwarf, seine ganze Karrlere auf das Spiel setzte, um mich, die er bt seinem Herzen erwahlt hat, nicht su vertieren, nicht wahr, Mac f" Zum Schlufi sprach Macheath: „Liebe Frau, lieber Schwiegervater, meine Freunde! Im grofien ganzen bin ich mit dem Abschlufi, su dem wir heute nach mannigfachen Mifiverstandnissen gekommen sind, suf rieden. Ich mache kern Hehl daraus: Ich stomme von unten. Ich habe nicht Immer an solchen Tischen gesessen und nicht immer mit so ehrenwerten Mannern. Ich habe meine Tatigkeit klein begonnen, in einem anderen Milieu. Sie blteb aber lm grofien und ganzen Immer die gleiche. Man schretbt im allgemeinen 471 den Aufstieg eines Mannes seinem Ehrgeiz oder einem grofien, verwickelten Plan xu. Offen gestonden, hatte ich keinen so grofien Plan. Ich wollte nur Immer dem Armenhaus ent gehen. Mein Wahlspruch war: der kranke Mann stirbt und der starke Mann Jicht. Schliefilich kommen nur Leute wie Ich nach oben, Sollte jemand schon oben sein und diesen Wahlspruch nicht beherxigen, dann wird er andererseits bald unten angelangt sein. Ich bin der Meinung meines Freundes Aaron, dafi die Wirtschajt immer Marmer meines Schlages erjordert hat. Andere Leute können aus dem Pfund, das die Vorsehung in ihre Hand gelegt hat, nicht das^Germgste herausholen. Ich wilt h ein e V o r au s s a g en machen, aber Ich glaube, dafi das Syndlkat seine Schuldigkelt tun wird. Eins Ist klar: so nie der wie sie gegenwörttg sind, können die Warenpreise nicht bielben. Ich schttefie mit dem Spruch: Immer aujwürts! per aspera ad astral Und: Niemals xurückbllckenl" Wahrend der letzten Satze des Herrn Macheath hatte sich der Anwesenden Heler Ernst bemachtigt. Alle fühlten, dafi er bier ein Grundproblem berührt hatte. Nachdenklich leerten sie ihre Glaser. DAS PFUND DER ARMEN Nur die kein Pfündlein haben Was machen denn dann die? Die lassen sich wohl begraben Und es geht ohne sie? Nein nein, wenn die nicht waren Dann gabs ja gar kein Pfund Denn ohne ihr' Schwielen und Schwaren Macht kelner sich gesund. (Kinderlied) Traum des Soldaten Fewkoombey Auch der Soldat Fewkoombey war ln der Trinitatiskirche gewesen. Seit seinem Anschlag auf den Makier Goax hatte er sich nur ein einziges Mal ln der Old OakstraBe sehen lassen. Beery hatte ihn sofort hinausgeworfen. In die Trinitatiskirche war er gegangen, weil er hoffte, dort an Herrn Peachum heranzukommen. Er wuBte, daB dieser irgend etwas mit dem versunkenen Schiff zu tun gehabt hatte. Aber er kam natttrlich nicht an ihn heran. So hörte er in der Kirche, die immerhin geheizt war, die Rede von den Pfunden. In der Folge trieb er sich in der Gegend der Docks herum, ohne Obdach, ohne Freunde, auf der Flucht vor der Polizei. Er verkam immer mehr. Von der Anklage im Fall Mary Swayer erfuhr er nichts, da er keine Zeitungen las. An einem kal ten Novembertag kam es in der Westindiastrafie vor einem Backerladen zu einem Auflauf. Ein kleiner Junge nahm vom Ladentisch des Backers einen Laib Brot und rannte aus der Tttr. Die Backersleute machten ein Geschrei, worauf Passanten die Verfolgung des Diebes aufnahmen. Er rannte sehr, so geschwind ihn seine kleinen Beine trugen, aber er kam nicht weit. An einer StraBenecke steilte ihm ein Mann ein Bein, er fiel aufs Pflaster, wurde ergriffen, in den Laden zurückgebracht und bald darauf von einem Polizisten weggeführt. Die Leute verliefen sich schimpfend. Unter denen, die den Jungen nach seinem Brotdiebstahl verfolgt hatten, war auch ein zerlumpter Mensch unbestimmbaren Alters. Als das Kind den Polizisten übergeben war, ging er den Docks zu. Dort wuBte er eine Stelle, wo er übernachten konnte. Genauer gesagt, war er derjenige gewesen, der das Bein gesteUt hatte, über das der Junge gestürzt war. Er hatte es rein mechanisch getan. Unter seiner Brücke angekommen, zog er etwas Halbverfaultes aus der Tasche, wickelte es aus dem Papier, afi es langsam, zog die Reste von Schuhen aus, die er an den Beinen mit sich schleifte, hob einen bestimmten Stein hoch, holte zwei Zeitungen darunter hervor, setzte sich, breitete die Zeitungen über die Beine, lieB den Oberkörper zurttckfallen, legte den Kopf auf die ausgezegene Jacke und die beiden Hande und roUte sich mögUchst eng zusammen. Er schlief ein und traumte. Nach Jahren des Elends kam der Tag des Triumphes. Die Massen erhoben sich, schüttelten endUch ihre Peiniger ab, entledigten sich in einem einzigen Aufwaschen ihrer Vertröster, vieUeicht der furcbtbarsten Feinde, die sie hatten, gaben aUe Hoffnung endgültig auf und erkampften den Sieg. AUes anderte sich von Grund auf. Die Gemeinheit verlor ihren hohen Ruhm, das NützUche wurde berühmt, die Dummheit verlor ihre Vorrechte, mit der Rohheit machte man keine Geschafte mehr. Nicht das Erste oder Zweite,' aber das Dritte oder Vierte war die Abhaltung eines grofien Gerichts. Jedermann weifi, was damit gemeint ist. Von diesem Ge- richt wurde immerzu gesprochen; seit urdenklichen Zeiten erwartete man es; alle Völker malten es sich sorgfaltig aus. Einige Leute hatten versucht, es an das Ende aller Zeiten zu verlegen, aber dieser Versuch der Verschiebung war verdachtig gewesen, keines falls konnten die Völker so lange damit warten. Keine Rede konnte davon sein, daB dieses Gericht am Ende allen Lebens stehen konnte, da es doch eigentlich erst seinen Beginn einleitete. Bevor dieses Gericht stattgefunden hat, kann von wirklichem Leben natürlich nicht gesprochen werden. Nun fand es statt. Der Traumer war der Vorsitzende. Er wurde dies selbstverstandlich erst nach erbittertem Kampf, da sich eine ungeheure Menge von Bewerbern gemeldet hatte, die brullend und um sich schlagend wie Wahnsinnige um diese Vergünstigung kampften. Weil niemand einen Traumer davon abhalten kann zu siegen, wurde unser Freund Vorsitzender des gröfiten Gerichts aller Zeiten, des einzig wirklich notwendigen, umfassenden und gerechten. Er sollte nicht nur die Lebenden vor seine Schranken ziehen, sondern auch die Toten, Alle, die sich in einer bestimmten Weise gegen die Armen und Wehrlosen vergangen hatten, sei es durch Taten, sei es durch bloBe Worte. Die Arbeit des Soldaten Fewkoombey, der jetzt Oberster Richter war, würde eine ungeheure sein. Er veranschlagte die Dauer des Richtens auf mehrere hundert Jahre. Denn es sollten ja Alle klagen können, die jemals zu Boden getreten worden waren. Nach langem Nachdenken, das allein schon Monate dauerte, beschloB der Oberste Richter, den Anfang mit einem Mann zu machen, der, nach Aussage eines Bischofs in einer Trauerfeier für untergegangene Soldaten, ein Gleichnis erfunden hatte, das zweitausend Jahre lang von allerlei Kanzeln herab angewendet worden war und nach Ansicht des Obersten Pachters ein besonderes Verbrechen darstellte. Die Verhandlung fand in einem Hof start, in dem sonderbarerweise Wasche zum Trocknen hing und in Gegenwart von vierzehn Hunden, die in einem Zwinger saften und zuhörten. Sie waren nicht gefüttert worden und sollten auch kern Fressen bekommen, bis der Urteilsspruch gefallt war. Der Angeklagte wurde von zwei Bettlern vorgeführt. Er war ein Kleingewerbetreibender oder ein Handwerker, man sah es an seiner billigen, aber ordentlichen Kleidung und seinem Gummistehkragen. Auf dem Richtertisch lagen ein Messer und ein mit Tinte geschr ie bener Brief, an dem ein Aktenzeichen angehe ftet war. Die Verhandlung wurde mit der Frage des Obersten Richters an den Angeklagten, ob er sich der Tragweite seines Redens, des Redens überhaupt, bewufit sei, eröffnet. Der Angeklagte erwiderte: ja, er sei als Religionsstifter allgemein bekannt. Seine Antwort wurde, wie alles, was er antwortete, von einem riesigen Bettler, Herrn Smithy, aufgeschrieben, einem Mann, der dem Obersten Richter wegen seiner Genauigkeit im Aufschreiben bekannt war. Er hatte namlich seinerzeit die Einnahmen seines Angestellten Fewkoombey beim StraBenbettel ungemein genau aufgeschrieben: sie wurden von ihm einverlangt. Die zweite Frage des Obersten Richters war, ob sich der Angeklagte schuldig bekenne, in seinem Gleichnis unwahre Darstellungen von Tatbestanden geliefert und in Umlaut gebracht zu haben. Der Angeklagte bestritt aufgeregt eine solche Schuld. Es sei durchaus möglich, aus einen Pfund bei Fleiö und geeigneter Geschaftsführung fttnf oder sogar zehn Pfund zu ziehen. Auf die Frage bel welcher Geschaftsführung, wuBte er allerdings nur zu wiederholen, eben bei geeigneter, landlaufiger Geschaftsführung. Auf weiteres Drangen des Obersten Richters gab er zu, daB er fttr wirtschaftliche Dinge und Details kein Interesse habe. Er wisse infolgedessen wenig darüber. Der Oberste Richter sah ihn starr an, um zu ergründen, ob dies die Wahrheit war, dann schlug er mit der Faust auf den Tisch, daB das rostige Messer und der Brief hochf logen. Aber er sagte nichts. Er fragte weiter: „Sie sollen gesagt haben, daB nicht nur einige Leute, sondern alle Leute, also alle Menschen, die es gibt, ein Pfund mit- bekommen? Ich mache Sie darauf aufmerksam, daB dies der Hauptpunkt ist." Der Angeklagte gab zu, solche Dinge gesagt zu haben. Er schien nur verwundert, daB dies der Hauptpunkt sein sollte. „Dann sagen Sie uns, Angeklagter," fuhr der Oberste Richter ganz ruhig fort, „wo Sie das gehort haben, daB alle Menschen auf Erden solch ein Pfund in die Hand bekommen, das da mehr wird, fttnf Pfund oder gar zehn Pfund." „Das sagten alle," erwiderte der Angeklagte langsam, weil er immer noch darüber nachdachte, warum gerade dies der Hauptpunkt sein sollte. „Wir woüen sie herzitieren und sie fragen, die Ihnen das sagten," schlug der Richter ernst vor. Er schellte mit der Mittagsglocke und hinter der Wasche vor kam eine Anzahl von Leuten, ahnlich gekleidet und ebenso mit Stebkragen aus Gummi wie der Angeklagte, Bekannte von ihm, aus seiner Jugend, Nachbarn, Lehrer und Meister, auch Verwandte. Sie steilten sich vor dem Richtertlsch auf und wurden ausgefragt. Sie gaben an, dafi sie alle ein Pfund empfangen hatten. Als solch ein Pfund betrachteten sie ihren gesunden Menschenverstand, ihre Kenntnisse im Handwerk, ihren Fleifi. „Und hattet Ihr sonst noch etwas?" fragte der Richter. Da gab der eine an, er habe noch eine Schreinerwerkstatt besessen. Das war der Vater des Angeklagten. Ein anderer hatte von seinen Eltern das Geld zum Besuch einer Schule bekommen. Das war der Lehrer des Angeklagten. Ein dritter hatte einen Spezereiwarenladen geerbt. Das war ein Nachbar des Angeklagten. Der Richter nickte bei jeder dieser Aussagen, als hatte er gerade dies und nichts anderes erwartet. Er sah zu den Hunden hinüber, die sich an die Eisenstangen ihres Zwingers drangten und lachte ihnen zu, allerdings lautlos. „Da gehorte doch allerhand zu solch einem Pfund, nicht?" sagte er nur. Und zu den Zeugen sagte er: „Habt Ihr auch tuchtig gewuchert mit Eurem Pfund?" Sie beteuerten alle mit lauter Stimme, dafi sie nach besten Kraften mit ihrem Pfund gewuchert hatten, das Vorhandene instand gehalten, Neues hinzu erworben und dazu noch die Kinder aufgezogen und jedes mit einem Pfund versehen hatten. Der Richter lachte wieder zu den Hunden hinüber. Dann nahm er sich von neuem den Angeklagten vor. Ob er nicht auch noch anderen Leuten begegnet sei, Leuten ohne ein solches Pfund, wie es die Zeugen alle hatten? Der Angeklagte schüttelte den Kopf. Da scheUte der Oberste Richter wieder mit seiner Essens- 481 Dreigroschenroman 31 glocke und hinter der Wasche vor traten andere Leun». Sie waren schlechter angezogen als die vorigen und gingen mühsamer als sie. „Wer seid Ihr?" fragte der Richten „Und warum haltet Ihr Euch abseits voa den Zeugen, die schon hier stehen?" Es steilte «ich heraus, dafi es die Dienstboten, «He Knechte und Magde der Andern waren. Ste wollten nicht so unverschamt sein, zu dacht neben ihre Herrschaften hinzutreten. „Kennt Ihr den Angeklagten?** fragte der Richter sie. Sie kannten ihn. Es war der, der oft zu ihnen gesprochen hatte. Er hatte ihnen unter anderem auch gesagt, dafi ieder ein Pfund erhalten habe von Gott, seine Geistes- und Körperkrafte, die er mehren und gut verwenden müsse. Sie hatten es aus seinem eigenen Munde gehört. „So kannte er Euch also?'* verhörte sie der Richter. „Natürlich," gaben sie zur Antwort und des Angeklagte mufite zugeben, dafi er sie kannte» „Hat Euer Pfund sich vermehrt?" fragte der Oberste Richter streng. Sie erschraken und sagten: „Nein." „Hat er gesehen, dafi es sich nicht vermehrte?" Auf diese Frage wufiten sie nicht gleich, was sie sagen sollten. Nacht einer Zeit des Nachdenkens trat aber eines vor, ei» kleiner Junge, der dem Jungen aufs Haar glich, dem den Soldat Fewkoombey vor einem Backerladen ein Bein gesteUt hatte, das aus Holz war. Er steUte sich mutig vor dem Richter auf und sagte laut: „Er mufi es gesehen haben; denn wip haben gefroren, wenn es kalt war und gehungert vor und nach dem Essen. Sieh selber, ob man es uns ansieht oder nicht." Er steckte zwei Finger in den Mund und pfiff und aus der 482 Wasche heraus, aber nasser als die, trat eine Frauensperson und glich genau der Kleingewerbetreibenden Mary Swayer. Der Oberste Richter beug te sich vor auf seinem Stuhl, um sie besser betrachten zu können. „Ich wuBl* Dich verhoren, ob es kalt ist, da, wo Du herkommst, Mary,** sagte er laut, „aber ich sehe, es ist nicht nötig. Ich sehe, es- ist kalt, da, wo Dn herkommst." Da er sah, daB sie erschöpft war, sagte er i „Setz Dieft, Mary, Du bist zuviel herumgelaufen." Sie sah sich um, wo ein Stuhl war e, aber es war keiner da. Der Richter schellte. Da schneite es aus der Luft, aber nar in einer dünnen Saule, nicht dicker als ein mittlerer Baum Umfang hat, bis eine Bank aus Schnee da war, auf die sie sich setzen konnte. Der Richter wartete so lange und sagte noch eigens: „Sie ist ein wenig kalt, und wenn es warm wird, schmilzt die Bank, dann mufit Du wieder stehen, aber das ist nun einmal nicht anders zu machen."' Und zu den Zeugen sagte er: „Es ist erwiesen. Ihr seid also hinausgeworfen worden, wo da Heulen ist und Zahneklappern?" „Nefn," sagte einer von ihnen, mutig gewordenV „Wir sind nie hereingelassen worden."' Der Richter sah nachdenklich alle an. Er wandte sich wieder an den Angeklagten. „Ihre Sache steht schlecht, lieber Mann. Sie müssen einen Verteidiger haben. Aber er muB zu Ihnen passen." Er schellte und aus dem Hause kam ein kleiner' Mann mit gemeinem Gesichtsausdruck. „Sind Sie der Verteidiger?"' murmelte der Richter. „Dann stellen Sie sich hinter'den Angeklagten." Als sich der kleine Mann hinter den Angeklagten steilte, wurde dieser blaB. Er sah wohl, daB es eine böse Absicht von dem Richter war, ihm diesen Verteidiger zu geben. Der Oberste Richter erklarte nun, wo man hielt. Das Gericht nahm als erwiesen an, daB von den Behauptungen des Angeklagten zwei wahr seien, erstens, daB mit Pfunden gewuchert das heiBt Gewinne erzeugt werden können und zweitens, daB diejenigen, die keine erzeugen, in eine Finsternis geworfen werden, wo da Heulen und Zahneklappern ist. DaB aber alle Menschen ein Pfund mitbekamen, das erklarte das Gericht als nicht erwiesen. „Mary Swayer," fing der Oberste Richter wieder an, „Du hast dem Herrn Macheath einen Vertrag unterschrieben. Stand da etwas davon drinnen, daB keine neuen Laden in der Nachbarschaft des Deinen aufgemacht werden dürften?" Sie besann sich und sagte: „Nein." „Warum hast Du es nicht gemerkt, daB das fehlte?" „Das weiB ich nicht, Few." Der Oberste Richter schellte. Zwischen der Wasche vor kam ein langer Mensch mit einem Rohrstock. Das war der einstige Lehrer der Selbstmörderin. „Du hast Deine Schüler nicht lesen gelehrt," beschuldigte ihn der Richter, „wie kommt das?" Der lange Mensch sah die Sitzende scharf an und erklarte dann: „Sie kann lesen". „Aber nicht Vertrage, nicht Vertrage!" schrie der Richter und war sehr zornig. Der Lehrer machte ein beleidigtes Gesicht. „Meine Schüler in Whitechapel brauchen keine Vertrage lesen zu können," brummte er. „Sie sollen arbeiten lernen, dann brauchen sie keine Vertrage." „Was heifit Association?" fragte der Richter schnelL „Vereinigung," brummte der Lehrer erstaunt, „was soll das hier?" „Richtig," sagte der Oberste Richter befriedigt, „Vereinigung. Und was heifit Attica?" Der Lehrer schwieg versteekt. Der Oberste Richter schien enttauscht, ging aber weiter. „Haben Sie Schulbildung genossen?" wandte er sich an den Angeklagten, der zusammengeduckt das tand, den Kopf auf die Brust gesenkt. Und als der Mensch im Gummikragen nickte: „Was ist Attica?" Aber das wufite er nicht. Allerdings versuchte der Lehrer es ihm einzusagen. Es schien ihm nicht recht zu sein, daB der Angeklagte so wenig wufite. „Ja," sagte der Richter, „Sie wissen wenig." Aber der kleine Mann, der der Verteidiger war, griff ein, als dies zur Sprache kam und rief: Jbr wufite genug. Für uns wufite er genug." „Sicher," mnrmelte der Richter unterwürfig. Er tat dies rein mechanisch. Als er wieder seine Glocke erhob, kam ein schmachtiger Mensch in einem Kelinerkittel an den Richtertisch heran. Das war der Mann, der in der Schankwirtschaft Wirt gewesen war, bevor der Soldat Fewkoombey es wurde. „Karm der Mann schreiben?" Diese Frage richtete der Richter an den Lehrer. Dieser prüfte den Zeugen, erkannte ihn auch als seinen Schüler und nickte mit seinem grofien Kopf. „Aber mir," sagte der Richter zornig zu dem Zeugen, „hast Du nicht in den Vertrag geschrieben, dafi es nur Gaste gab, so lange der Neubau gebaut wurde." „Das konnte ich nicht schreiben," erwiderte der Kellner, „ich hatte nicht genug Geld, als ich die Wirtschaft anfing und war froh, dafi ich durch das Baujahr meine Schulden los wurde und wieder Kellner werden konnte." „Also konnte er nicht schreiben!" schrie der Richter, wieder sehr zoraig. Aber dann beherrschte er sich und machte eine Pause. Als nun alle herumstanden und auf den Fortgang warteten, trat der Richter an den Lehrer heran und fragte ihn mit freundlicher, fast unterwürfiger Stimme, was Attica wirklich heifie. Er sei in seinem Buch nicht so weit gekommen, da man es ihm weggenommen habe. Aber der Lehrer sah ihn nur an und gab keine Antwort. Der Oberste Richter seufzte und eröffnete die Verhandlung ron neuem. Er wufite nur nicht recht, wie fortfahren. Er sah nach der Hauptzeugin Swayer hinüber und sah, dafi , sie wieder nahte. Sie führte die Nadel Stich fttr Stich, wenn sie auch keinen Stoft zu nahen hatte, denn der WarenzufluB stockte ja. Sie nahte also in der Luft und es wurde kein Hemd daraus. „Wenn der Warenzustrom nicht versiegt ware," fragte der Richter nachdenkllch und leise, „und wenn der neue Laden nicht eingerichtet worden ware, hattest Du dann vielleicht auf einen grünen Zweig kommen können, Mary?" „Warum nicht?" sagte sie müde. „Da ich doch die Nahmadchen hatte." „Das ist ein Hauptpunkt," sagte der Oberste Richter schnell. „Aber wir kommen nicht vorwarts. Ich hatte nie gedacht, dafi es so schwer sein wttrde, hier Klarheit su schaffen." Er stand auf und ging zum Zwinger bin. Die Hunde winselten freudlg, da sie glaubten, dafi sie nun Pressen bekommen sollten, aber das Ratsel war noch nicht gelost. Der Oberste Richter schielte hinüber. Da standen die BmV lastungszeugen, die dem Angeklagten Recht gaben, wohlgenahrt, gut gekleidet, mit Aussichten und Erfolgen und ihnen gegenüber die ScMechtgenahrtens Frühalterndeö, die Frau immerfert nühend ohne Stoff, auf der Bank von Schnee, der Junge, den Arm gebogen, als trüge er schwer an einem Brot, aber ohne Brot. Als der Richter zurückging zu seinem Stuhl, stapfend auf «einem Holzbein, kam er am Angeklagten vorüber. Er dachte nach und sagte halblaut, im Vor beigehen: „Begreifst es denn Du nicht?" " V"< Aber der Mensch im Gummikragen zuckte nur die Achseln und konnte nichts sagen. „Dieser Unterschied," seufzte der Richter, „und kein Grund! Und doch mufi etwas schuld sein, aber was?" Sr büeb unentschieden stehen, unschlüssig, ob es überhaupt Sinn hatte, sich wieder a«f den Richterstuhl zu setzen. „Das ist eben meine UmvissenheiV' dachte et\ „ich bih zu ungebildet, um es herauszubringen, bei weitem zu ungebildet. Wenn ich nur wüfite, was ihr Pfund istf" Plötzlich stutzte er. Er erinnerte sich an seine Macht, die