ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE DES „PARADOXON" MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIG UNG CALVINS UND DES NACH-KIERKEGAARDSCHEN „PARADOXON". INAUGURAL-DISSERTATION ZUR ERLANGUNGDER DOKTORWÜRDE DER HOHEN PHILOSOPHISCHEN, FAKULTAT DER FRIEDRICH—ALEXANDER-UNIVERSITAT ERLANGEN - VORGELEGT VON KLAAS SCHILDER AUS ROTTERDAM VERLAG VON J. H. KOK A. G. - KAMPEN - 1933 ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE DES „PARADOXON" ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE DES .PARADOXON" Mit besonderer Berücksichtigung Calvins und des nach-kierkegaardschen „Paradoxon". INAUGURAL-DISSERTATION ZUR ERLANGUNG DER DOKTORWÜRDE DER HOHEN PHILOSOPHISCHEN FAKULTAT DER FRIEDRICH-ALEXANDER- UNIVERSITAT ERLANGEN - VORGELEGT VON KLAAS SCHILDER AUS ROTTERDAM REFERENT: Prof. Dr E. HERRIGEL DEKAN: Prof. Dr O. BRANDT TAG DER MÜNDLICHEN PRÜFUNG: 3. MARZ 1933. VERLAG VON }. H. KOK A. G. — KAMPEN — 1933 INHALT KAPITEL I DIE ALLGEMEIN UEBLICHE BEDEUTUNG DES WORTES „PARADOX". s. § 1. Die allgemein übliche Bedeutung des Wortes „paradox" in den klassischen Sprachen 3 § 2. Die allgemein übliche Bedeutung des Wortes „paradox" im Mittelalter und bis in den Anfang der Neuzeit . . 19 § Die allgemein übliche Bedeutung des Wortes „paradox" in der Neuzeit 30 § 4. Die allgemein übliche Bedeutung des Wortes „paradox" in den kanonischen und apokryphen (Bibel)büchern . . 83 KAPITEL II DIE WENDUNG IN DER BEGRIFFSGESCHICHTE DES WORTES „PARADOX". § 1. Die Kierkegaardsche Wendung §9 § 2. Radikalismus der Kierkegaardschen Wendung . . . . 115 § 3. Die Wendung auf mathematischem Gebiet . . . . . 119 § 4. Anhaltende Unsicherheit auf mathematischem Gebiet . . 148 KAPITEL III DIE WICHTIGSTEN STRUKTUREN EINES PARADOXONS IN DER GEGENWART. § 1. Einleitung 8 2. Rudolf Ottos Anknüpfung an die Kantisch-Fries'sche Reli- i nrt gionsphilosophie § 3. Ottos Weg vom antiparadoxen Fries zum „Paradox . 219 § 4. Die Bedeutung des Paradoxes bei Otto 256 § 5. Die Paradoxie in der östlichen Mystik § 6. Die Anknüpfung der dialektischen Theologie an Kierkegaard 295 § 7. Die Bedeutung des Paradoxes in der „dialektischen Theologie" § 8. Anhang KAPITEL IV DAS NACH-KIERKEGAARDSCHE „PARADOXON" UND DIE LEHRE DER REFORMATOREN, BES. CALVINS. § 1. Berufung auf Calvin 6 2 Calvins Weg von der Transzendenz Gottes zu der „accom- t, 419 modatio" Gottes 8 3. Calvins Rückweg von der accommodatio Gottes zu der 436 Transzendenz Gottes »» 448 8 4. „Todeslinie" und „metae 463 § 5. Sonstiges Lebenslauf KAPITEL I DIE ALLGEMEIN ÜBLICHE BEDEUTUNG DES WORTES „PARADOX" KAPITEL I. DIE ALLGEMEIN ÜBLICHE BEDEUTUNG DES WORTES „PARADOX". § 1. Die allgemein übliche Bedeutung des Wortes „paradox" in den klassichen Sprachen. Das Wort nagado^oQ ist in seiner altesten Gebrauchsform ein adiectivum, zusammengesetzt aus nagd und Só£a. Spater wurde das Neutrum substantivisch gebraucht. Die Praposition naga bedeutet hier: „wider", das Substantivum dó£a: „Meinung" oder „Erwartung". Daraus ergibt sich die allgemein übliche Bedeutung des Adiectivums nagddo^og: „wider Erwarten", „wider die gewöhnliche Meinung oder Ansicht , daher: „unerwartet , „unglaublich", „sonderbar", „wunderbar", angoodoxr/zóg, iïav/uaozóg. In diesem Sinne wird das Wort dann auch gebraucht u.a. von Plato, Xenophon, Demosthenes, Plutarch, Arrian. ') Nun ist óó£a in dem Sinn von „Erwartung" eine vox media und kann sowohl freudigen als traurigen Inhalt haben. Daraus folgt, dass, was naga óó£av ist, auch naga ngoodoxiav 1840 WVPa?,e' GriecJVDeutsches Handwtbch, II. 2e Aufl. Braunschweig, 1849. _ T. Passow, Handwtbch. d. Gr. Spr.. neubearb. v. Rost, Palm, Kreussler Keil u. Peter II, 5e Aufl., I, Leipzig, Vogel, 1852. Belegstellen aus den Klassikem sind dort zu treffen; am vollstandigsten wohl in H otepnani, 1 hesaurus Graecae Linguae (ed. Hase, Dindorflus, G u LI VI Parisiis, Ambr. Firmin Didot, 1842—1847. sein kann, und ebenso naQ èlmöa '). Ilagddo^og in dem Sinn von dnQoadoxrjzóg, fiavfiaozóg kann also sowohl in bonam partem als in malam partem gebraucht werden.2) Stets3) dominiert in 7iagado^og der Gedanke von „das Unerwartete, das Ueberraschende". Anlass zur wissenschaftlichen Fixierung des Wortes nagaóotjog in der zuletzt angeführten Bedeutung haben wohl die Sophisten gegeben. In ihren Reden und Schriften haben sie es oft so verwendet, und einen terminus technicus daraus gemacht. Philostratus z.B. hat gesagt4) von Gorgias: „ÓQ/urjs xs ya.Q xoZg oocpiazaïg rjgt;e xal 7iaQaèoh,oloyiaq xal nvevfiazoq xal zov xa. fiéyaXa fieyalcoq éQ/irjvevsiv, dnooxaoecóv xe xal TiQoofiolcöv, v(p'd>v ó lóyoq rjdiwv éavxov yiyvexai xal oo^agzózegog, jzeQLsfidXXexo óè xal noirjxixa övó/uaxa vjieq xóojuov xal osfivoxr/xog. Wie verblüffend und die Hörer zur Aufmerksamkeit aufstachelnd die Paradoxologie des Gorgias wirken sollte, ') Suidas, ed. Bernhardy (Suidae Lexicon graece et latine), II. Halis et Brunsvigae, sumpt. Schwetschkiorum, 1853. — Infolgedessen bei Pol. 1,21, 11, die Co-ordination von ai/sAsrtrr&ii,' Kxi TrxpxSó^g (Passow, s.v.). Cf. Hesychii Alexandrini Lexicon post Ioannem Albertum recensuit Mauricius Schmidt, Jenae, Sumpt. Fred. Maukii, 1861, vol. III s. v. 2) In bonam partem : 7rxpa.^s^xi y.xi 'Tnpxveti; TcpiJ^v.q; in malam partem: txi; ïï'jTyjiip'ixq ■xpoY.xTZi'h'rtyirrxv, zXwiSx 'éy^svrsg wg 7rxpx Si^xv sTrtSyitrófievsi: angustias occuparant, sperantes fore, ut hostem inopinato invaderent, cf. Suidas 1.1. In dieser Beziehung kann schon verwiesen werden auf die Meinung des Verbums ■KxpxHo'%(x^ in den griechischen Uebersetzungen des Alten Testamentes; das Wort kann dort bezeichnen: inhonoro, dehonesto, infamo, aber auch in contraria signiflcatione: valde honoro. illustro, mirabile reddo, H. Stephani, s. v.; cf. Robert Scott, A Greek English Lexicon, 8e Aufl.; Oxford, Clarendon Press, 1901. s.v. 3) „Stets", — denn wenn Sopater, Rh. Gr. V. 75 èrt-piSs^s braucht da, wo andere tvxpiSs^sg anwenden, ist doch die Rede von den genera und figurae causarum der Rhetoren seiner Zeit. Den von der AnstandigkeitsNorm sich loslösenden Typus der orationes nennt er freilich „heterodox" ; aber man bedenke, dass diese Qualifikation gegeben ist vom seinem Standpunkt aus. Für das die orationes anhörende Publikum kann die Rede und ihr Thema doch sehr wohl „paradox" sein. Cf. Richard Volkmann, Die Rhetorik der Griechen und Römer in syst. Uebersicht, 2e Aufl., Leipzig, B. G. Teubner, 1885, S. 109, 2. 4) Philostratus, V. S., I, 9, 2 cf. H. Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker, Griechisch und Deutsch, 4e Aufl. 2er Band, Berlin, Weidmannsche Buchhdlg., 1922. S. 235 (544 in vorh. Aufl.). zeigt uns Isokrates, wenn er in Beziehung auf Gorgias fragt: ,,Denn wie könnte einer den Gorgias überbieten, der zu behaupten wagte, dass kein Ding existiert (txwq ya.q av xig V7i£QfidXoao roQyiav xov xolfirjoavxa Xéyeiv, cbg ovöèv x&v övxcov eoTiv)" ? Eine solche These (cf. Protagoras, die Sophisten) wird von Isokrates genannt: vtxó&eoiq axonos xai TiaQado^og, eine absurde und paradoxe These. ') „Dass Isokrates.... die Schrift des Gorgias wie eine lediglich zum Zwecke der Epideixis, mit dem vollen Bewusstsein ihrer sachlichen Unwahrheit verfasste Deklamation über ein willkürlich gewahltes, ihm wegen seiner Paradoxie und Absurditat zusagendes Thema behandelt, lasst sich „ — nach H. Gomperz — ' wohl nicht bezweifeln." 2) Und er fügt hinzu: „Der Nahrboden der Gorgianischen Gnomie ist die Paradoxie. ) Und Philostratus sagt von Kritias: óq& xov avÖQa xai pQayyloyovvxa Ixavójg xai deivws xa&anxófievov êv anoloyiai• rj&ei. dzuxLQovxd xe ovx dxgazmg, ovóè êxcpvXcoQ {xo yaQ aneiQÓxalov ^ êv xa axxixi^eiv Pa.Qj3a.qov) uXa wojceq axxivcov avyai xd 'Axxixa övófiaxa diacpalvexai xov lóyov. xai xo dovvöéxcog öè (ymgiov) %a)qi(oi TtQooflakèiv Kqixlov a>Qa, xai xo 7iaQaöó^coQ juèv sv&vfirj&rjvai, mxQaóó^wg S' anayyeüai Kqixlov dyév, xo óè xov lóyov nvevfia èUméoxeQov fièv, rjdv öè xai Mov, wotieq xov ZecpvQov vj avQa.4) So ist es begreiflich, dass spater namentlich die „wunderlichen Satze" auch der Stoiker (z. B. dass alle weisen Menschen reich seien)5) JtaQado^a genannt worden sind; um damit auszusagen, nicht, dass diese Paradoxa gegen die Vernunft seien, sondern nur, dass sie etwas anderes sagen, als man im gewöhnlichen Denken sich vor- ) H. Gomperz, Sophistik und Rhetorik, Das Bildungsideal des & Xkyztv tJZT lof?aMZUr PnhiloSPphie des0V- Jahrhunderts. Leipzig u. Berlinbner, 1912, S. 30. — Paradoxie ist, S. 124, oppositum zu: Gemeinplatze: „In diesem Sinne . . . . waren für die nicht zur Paradoxie neigenden Sophisten ethische Gemeinplatze besonders brauchbare und dankbare Themen " l) Gomperz, S. 30. 3) Gomperz, S. 61. 4) Philostratus V Soph. I, 16, cf. H. Diels, Die Fragmente usw., 4e Aufl. Her Band, S. 309 (608 in vorh. Aufl.). 5) Schillers Lat.-deutsches Lexicon, s. v. — Passow, s. v., citiert Plutarch. zustellen pflegt. Auch Cicero kennt diesen terminus technicus in diesem bestimmten Sinne. Er übersetzt das griechische nagdóo£a durch: mirabilia, admirabilia, contraque opinionem omnium. ') In der dargelegten Bedeutung hat die antike Wissenschaft und Philosophie das Wort nagado^og auch immer stehen lassen. Es hat für unseren Zweck keinen Sinn, hier Plato anzuführen.2) Es genügt zu wissen, dass bei ihm Jiagado^og admirabilis, insolens bedeutet.J) Streng aber hat Aristoteles das Wort nagado^oQ (und ado^oq) einerseits, unterschieden von svöo^o? andererseits. IlaQddo^oQ ist bei ihm oft synonym mit aóo^og4) und ist dann oppositum zu 'évdo^oQ. Was nagddo£;ov ist, findet sein oppositum in dem, was nQOQ xrjv ê/iTiQOöftèv öó^av ist. So sagt er: „yvcójUTj ó'êozi fièv êv xs(pulai(p xai) oXov xa>v TtQayfiatcov öoy- ') Fundorte bei K. E. Georges, Ausführl. Lat.-deutsch Handwtbch. 8e Aufl. II, s. v. Hannover u. Leipzig, Hahnsche Buchhdlg. 1918, und insbesondere Totius Latinitatis Lexicon, cons. et cura Jac. Facciolati opera et st. Aeg. Forcellini lucubr., 3e ed. III, Schneebergae, sumpt. C. Schumann, 1833. Die von Cicero gegebene Qualifikation der stoischen „Paradoxa" als (ad)mirabilia contraque opinionem omnium (Fin. 4, 27, Acad. 2, 44, 136, Parad, prooem. 4) ist wohl ein wenig praziser als die Interpretation von W. Smith, der von den „apparently contradictory doctrines of the Stoics" redet. (William Smitb, A latin-english Dict., based upon the works of Forcellini and Freund, 5th thousand, London, John Murray, 1857). Richtiger interpretiert K. E. Georges das „mirabilia contraque opinionem : auffallende u. der Meinung aller zuwiderlaufende wunderliche Satze, 1.1., s. v. In seiner an Brutus gerichteten Paradoxa interpretiert Cicero 6 paradoxe Behauptungen der Stoiker. „ 2) Denn als terminus technicus ist das „Paradoxon bei Flato, der bekanntlich kein ausgeführtes logisches System gegeben hat, nicht verwendet. Ueber Plato und die paradoxen Themata der Rhetoren usw., das 7rxpxSo^x wroTi$ri tT* r, 7 (ed. Acad. Reg. Bor., Berlin, 1831, II, !> n-' L J ,, ,nltz' Index Aristotelicus, Berlin, G. Reimer, 1870, s. v. .IR|™ Volkmann, Die Rhetorik der Gr. u. Röm., usw. 1885, S. 108/9. Die Ko-ordination von aSo^c, rxpaSo&c, findet sich vor auch bei Minucianus u. Genethlius. Volkmann, 109. ) Aristotelis Organon Graece, edidit Theodorus ^Vaitz, pars posterior Lipsiae, Sumpt. Hahnianis, 1846, p. 261 (Top.<\ 12). bei dem Disputieren beweisen kann, dass der andre Theil etwas Falsches oder Paradoxes sagt". Der betreffende Abschnitt beginnt so '): „Um zu zeigen, dass der Andre etwas Falsches sagt (yevdó/Lievov), oder um seine Behauptungen als ganz unglaublich darzustellen (xöv lóyov elq adol-ov dyayeïv) dazu ist das erste Mittel und das am haufig- sten angewendete das Fragen.... Ferner, um Jemanden im Disputieren paradoxe Satze aussprechen zu machen, muss man darauf achten, aus welcher philosophischen Schule er ist; dann muss man solche paradoxe Satze durch Fragen zum Vorschein bringen, welche die betreffende Schule im Gegensatz gegen die allgemeine Ansicht der Leute aufstellt; jede Schule hat aber solche Satze (nahv tiqÖs xo nagddo^a Mysiv oxoneïv èx, xivog yévovg ó dialeyófievoq, elx êji£QO)xdv ö xotg nolXolc, ovxoi Xéyovai naQado^ov eoxi yaQ êxaaxoiQ xi xoiovxov). Das Hauptmittel um den Gegner dahin zu bringen, dass er Paradoxes (Auffallendes und Unwahrscheinliches) sage (jtMaxog dè xÓtcoq êoxi xov noieïv nagaöo^a Xéyeiv ), be~ steht in der Benützung des Gegensatzes zwischen dem was der Natur gemass ist und dem was das Gesetz befiehlt, nach der Art, wie Kallikles in dem Gorgias redend eingeführt wird. Natur und Geist und Gesetz bezeichnet man gewöhnlich als einander entgegengesetzt; desgleichen sagt man, dass Gerechtigkeit zwar nach dem bestehenden Gesetz etwas sittlich Schönes sei, aber nicht von Natur. Gegen denjenigen nun welcher von den Vorstellungen nach dem Gesetz ausgeht, muss man bei dem Disputieren auftreten mit Vorstellungen über die Sache nach der Natur, und umgekehrt Denjenigen welcher von der Natur ausgeht, muss man durch Einwendungen auf den Standpunkt des Gesetzes zu bringen suchen. Was er dann sagen mag, so ist dieses gegen die Wahrscheinlichkeit und paradox (d[i(poxÉQ(OQ yaQ elvai Xéyeiv TtagdSu^a). Dabei galt den alten ') Uebersetzung von Karl Zeil, Aristoteles' Werke, Organon, 8. Bandchen, (Der Topika Schluss), Stuttgart, J. B. Metzier, 1862, S. 1016 — 1019. Sophisten (avxoïg) das was von Natur ist als wahr, und das was dem Gesetze gemass ist, nur als die Meinung des grossen Haufens (xo xolg nolXolg öoxovv). Auf diese Weise versuchten sie, so wie dies auch die jetzigen Sophisten thun, den Gegner zu widerlegen oder zum Aussprechen paradoxer Satze zu bringen (ij êXéy^ai ij jiapaóoga Xéyeiv xov anoKQLvófievov noieïv)". In diesem wichtigen Abschnitt aus dem Organon hat TiagaSo^og immer noch die ausgesprochene Bedeutung von : „contra opinionem des grossen Haufens (xcov jioXXajv)". Das Moment der Ueberraschung dominiert im Begriff nagaóo^og so stark, dass der paradoxe Satz sogar für die disputierenden Parteien selbst verwirrend wirken kann. üaQdöo^ov ist das, was überhaupt unwahrscheinlich ist. Ein typischer Beweis hierfür ist auch die aristotelische Definition der nQÓxaoiq dialexxixrj ; ê'oxi öè tiqóxoloiq diaXexxixrj êgcóxrjotg ëvöo^og ij naoiv ij xolg jiXeioxoig ij xoïq oocpoig, xai xovxoig ij naoiv ij xolg nXelaxoig ij xolq fidXioxa yvwgtfioig, fir] Tiagddo^oq. ') Es ist bemerkenswert, dass die dargelegte Verwendung des Begriffs des Paradoxon als terminus technicus in seiner wesentlichen Bedeutung geblieben ist bis weit in die Kaiserzeit hinein. Was die Sophisten in ihren Dialexeis angefangen haben, das haben die Stoiker fortgesetzt und weitergeführt. Obwohl man den in Frage stehenden Begriff in ihrer Literatur als beliebtes Thema in mannigfacher Weise verwendet findet, hat er doch seine Grundbedeutung von „contra opinionem plerorumque" beibehalten. Sie haben ihn so einerseits vor atheoretischer Verwasserung, andrerseits vor fachtheoretischer Erstarrung geschützt. Nicht das nagado^ov als solches, sondern nur ) Top. v jiagdöo^a dtrjyrj [iaza, 105 naQaöo^oi (pvoELQ, — und dazu mit einem paradoxographischzoologischen Lehrgedicht des Timotheus von Gaza tzeqi £(ócov ZETQanóöcov ftrjQicov xcöv 7iaQ IvèoiQ y.ai Agaipi xai 1) v. Christ, II. 1044, Philon v. Byzantion über die 7 Weltwunder (7rs.p1 ruyj iirra. Srx>j/u.r/.Tv). 2) 1.1. 3) Erik Peterson, EIS 0EOD, Epigraphische, formgeschichtliche und religionsgeschichtliche Untersuchungen, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht, 1926, S. 190. Atyvnuoig xai oaa XQscpei Aifivrj, xai tieql öqvécov ^évcov re xal aUoxÓTcov xai öipecov, — und einer Abhandlung des Anthenios nsqI nagadógcov firjyavr]fmxa>v. Eine aus dieser Epoche stammende lateinische Schrift „liber de monstris" passt in jeder Hinsicht in den Rahmen der erwahnten paradoxographischen Schriftstellerei, und gibt nach ihrem Titel eine richtige Interpretation des Begriffes nagaóo^og(v) nach der subjektiven Auffassung ihrer damaligen Verwender. ') Unsere skizzenhafte Forschung nach der Urbezeichnung, die das Wort nagado^og in seiner geistigen und sprachlichen Heimat hat, kann für unser jetziges Ziel u. E. auf diesem Punkt sehr wohl abgeschlossen werden. Selbstverstandlich gibt es noch viel mehr Lebens- und Sprachgebiete, die dem Worte seine besondere Auspragung und Geschichte gegeben haben können. Aber alle bis jetzt uns bekannt gewordenen Gebrauchsweisen bestatigen nur das bisher Gefundene.2) Dies ist ja auch der Fall, wenn „Paradoxon" ein Fachterminus wird in der ars rhetorica zur Kennzeichnung einer bestimmten Redefigur: „Paradoxon, sive hypomonè, sustentatio vel inopinatum. Hoe schema suspendit sensum ; deinde subiicit aliquid eo, contra exspectationem auditoris, sive magnum, sive minus; et ideo sustentatio vel inopinatum dicitur".3) Was in dieser Redetechnik das „Paradoxon" bedeutete, wird klar durch die Ausführungen über die communicatio (avaxoivmoig oder xoivoovia), wobei der Redner sich mit einer Frage an die Hörer wendet, ohne in Wirklichkeit eine Antwort abzuwarten — und über die der communicatio verwandte sustentatio. „Nach der eigentlichen communicatio namlich, sagt Quintiliart, fügt man wohl noch ') Namen u. Schriftenverzeichnis v. Christ, 1.1.; daher auch die Qualifikation des „liber de monstris" als „Niederschlag antiker Paradoxographie im mittelalterlichen Westen". 2) \7rcc7rcK(y^xtx k tmu Tlxpxïïo^oypóupbw: Sp. P. Lambros, Catalogue of the Greek Manuscripts on Mount Athos, Cambridae, Univ Press 1895 I. 403 (no. 3816, 88). 3) Rufunian, de flg. sent., 34, cf. Isid. orig. 2, 21, 29. Wilh. Freund Wörterbuch d. lat. Spr., III, Leipzig, Hahn, 1845; K. E. Georges, Ausf! lat.- deutsch Wtbch, 8e Aufl. 1918, s. v. etwas unerwartetes hinzu, sei dieses nun ctwas unerwartet grosses oder kleines. Dies nannte Celsus als besonderes Schema sustentatio. Von dieser Figur aber sprachen andere, auch wenn keine communicatio vorherging.... Es ist dies das nagddotjov, oder die vno[iovr\ . ) „Inopinatum , —' das ist doch eben das schon immer gefundene Merkmal des Paradoxes überhaupt. „Inopinatum", — das ist auch der wortbildende Faktor, wenn die antike Sprachgemeinschaft den Ehrentitel von nagado^ovixr/g oder nagado^og verleiht dem „doppelten Sieger im Kampfspiele , der an einem Tage in der lucta und dem pancratium gesiegt hatte, oder auch in den vier grossen Spielen, den Olympien, Pythien, Nemeen oder Isthmien zusammen2); wer öfter gesieat hatte, hiess nhiazóveixog nagado^og; und ein Flötenspieler, der in den Pythien Sieger war, wurde avXr,zVg nagdöo^og genannt.3) „Inopinatum", — das ist schliesslich auch das bestimmende Erklarungsmoment, wenn man sich fraqt, welchen Sinn es hatte, dass das Ehrenpradikat des olympischen Siegers, „paradoxos", in spaterer Zeit auch von den Vereinen der dionysischen Kunstier fur ïhre Mitalieder angefordert worden ist (wodurch also sein Gebrauchsbezirk noch vergrössert wurde), 4) — oder dass sogar die Rezitatoren und Spieier in den Mimen (eine Art von qriechischen Komödien) paradoxi genannt wurden, und aut dieses Ehrenpradikat stolz waren, obwohl dieser Name 2! Preis^ken Wtbch.' d. gr.' Papyrus-Urkunden mit Einschluss der gr. Inschriften. Ykbï I S KW o:Kü„s«.v. E.sch-G,«b„s ,,;Fu„do«. iïs&aztï; % aenter Graece loquentes, paradoxa pro his, quae sunt bonae op.n.oms accioiunt • unde vulgo etiam Olympionicas et ceteros victores «crotum certa minum paradoxos vocant, magis consuetudine quam ratione deducti (Fre . a W. III nennt als Fundort Princ. rhet. 9, Georges Pr. rh. 17 (ed. Halm.). 4) Alber^Müller.Yehrb. d.' gr. Bühnenalterthümer, J. C. B. Mohr, Freiburg i. B., 1886, S. 413. doch eigentlich in diesem Falie nichts weiter sagen wollte, als dass sie sich fremd gebardeten, dass ihre Mimik und ganze Spielart komisch wirkte, die Lachlust reizte. ') ,,/nopinatum", — das war es, was die lateinischen Sprichwörter2) ausdrücken mochten, so oft ein allzu billiges paradoxales Aroma das Denkspiel herausfordern sollte, um es alsbald.... wieder aufhören zu lassen. Was den alten Sophisten wenigstens eine wissenschaftliche und ernste Sache war oder sein konnte, das war im paradoxalen Sprichwort jetzt popularisiert und vulgarisiert, d.h. die „scheinbaren Unmöglichkeiten und Widersprüche" waren zum Gemeingut geworden; es war ein Modeschmuck des banalen Menschen, eine pikante, wohlfeilpreziöse „Schwierigkeit", ein beliebtes Skandalon, also ein „Ding, das" im Leben niemals „überwunden werden musste", obwohl der Gedanke des überwunden-werden-müssens, für den Begriff des Paradoxons konstitutiv blieb. Ein zum Gemeinplatz herabgesunkenes Paradox, — das ist zugleich das unverkennbare Zeichen einer Dekadenz, über die man sich um so klarer wird, je mehr man sich die alte poetische Technik, etwa des Sophokles, ins Gedachtnis zurückruft. Ist es doch bekannt, dass die sophokleischen Tragödien für ihre Kontrastwirkungen eben nicht der billigen Beihilfe der Paradoxa bedurften, sondern dass das autarke, rein-dramatische Kompositionsvermögen des Dichters die von ihm beabsichtigten kontrastierenden Ef~ fekte spontan aus sich selbst geschaffen hat. „Dem Ruf nach Originaliteit um jeden Preis, wenn er je zu Sophokles' ') Paradoxi et paradoxologi. iidem cum Neanicologis et Aretologis seu scurris, sic dictis quod multa falsa de virtutibus suis praedicantes, risum aliis movere quaererent. Vetus Scholiastes Juvenalis: Siparium velum est, sub quo latent Paradoxi, cum in scenam prodeunt. (Glossarium mediae et infimae latinitatis, conditum a Car. Dufresne domino du Cange cum suppl. integr. monachorum ordinis S. Benedicti D. P. Carpenterii. Tom. V, Parisiis, Firmin Didot Fr., 1845, s. v.; hier wird versucht zu zeigen, dass sie auch ordinarii genannt worden sind). 2) A. Otto, Die Sprichwörter und sprichw. Redensarten d. Römer, Leipzig, Teubner, 1890, S. XXIX. Schilder 2 Zeiten schon erklang, hat der Dichter (Sophokles) nicht nachgegeben; es entspricht mehr einem modernen Bestreben, lieber paradox als unoriginal sein zu wollen." ') Sophokles' künstlerisches Schaffen war stark genug um ohne Effektverlust seine dramatischen Sentenzen eben aus Gemeinplatzen zu wahlen.2) ') Eugen Wolf, Sentenz und Reflexion bei Sophokles, Ein Beitrag zu seiner poetischen Technik, Leipzig, Dieterich, 1910, S. 96; cf. S. 97 über die y-sivxi (gelaufige Ansicht) und nSrpuXri!J.ivxi (Sprichwörter), und S. 148, sqq. Analogie in moderner Zeit der Gegensatz zwischen klassischer Dramatik einerseits und „Paradoxen" und Trivialitaten liebender Kleinbühnkunst andererseits. 2) Am Schluss sei noch bemerkt, dass H. v. Herwerden, Lexicon Graecum suppletorium et dialecticum, 2e Aufl., Leiden, Sijthoff, den hier gegebenen Bedeutungen keine wesentlich anderen hinzufügt. § 2. Die allgemein übliche Bedeutung des Wortcs „Paradox" im Mittelalter und bis in den Anfang der Neuzeit. Aus den klassischen Sprachen ist das Wort „paradox" in die mittelalterliche Literatur übernommen worden, ohne jedoch seine vorher gepragte Bedeutung zu andern. Dies ergibt sich schon aus einer einfachen Durchsicht der Lexika. So gibt E. A. Sophocles, Greek Lexicon of the Roman and Byzantine Periods (from B. C. 146 to A. D. 1100), New York, Leipzig 1888, die schon aus der Klassizitat bekannten Bedeutungen: nagado^d^aj to make wonderful, to render illustrious; JiaQado&a strangeness, marvellousness; Jiagaöo^oeióïjg naQaöo^og; nagado^oloyéu) to teil of marvels; Jiagado^óloyog telling marvellous stores; naQaóo^onoua the working of wonders: miracles. Und Laurentius Diefenbach hat bekanntlich sein Glossarium aus „handschriftlichen und gedruckten lateinisch-deutschen Glossen und Glossarien von der altesten Zeit bis zur Herstellung der Classizitat" zusammengestellt, und sich bemüht, „einestheils in umfassenderem Maasse die Zahl und wechselnde Bedeutung der in jeden Zeitraumen den lateinischen Sprachschatz bildenden Wörter zu verzeichnen, somit auch Urkunden zur Geschichte der Lexikographie zu geben; andrentheils: die lateinischen Neubildungen und Entstellungen (das sog. Mittellatein) darzustellen." ') Aber das Ergebnis seiner Forschungen eröffnet uns keine neuen Gesichtspunkte. Er interpretiert in folgender Weise: „Pa~ ') Glossarium Latino-Germanicum mediae et infimae aetatis. E codicibus manuscriptis et libris impressis concinaavit Laurentius Diefenbach, Francofurti ad Moenum, sumpt. Josephi Baer, 1857. radoxum, -duxum, -daxum hd. nd. wunder, hd. wonder; para-doxa i. vana gloria; -duxa i. iuxta gloriam . Daraus ergibt sich also kein Unterschied von dem bisher Gefundenen. Was die „vana gloria" anlangt, so sei nur erinnert an die schon erwahnten „paradoxi" oder „paradoxologi der Mimen, deren „gloria" bereits als „vana" bezeichnet wurde in der schon erwahnten Aussage: „multa falsa de virtutibus suis praedicantes"; oder an die Kritik, die Augustin übt an dem Ehrenpradikat, das die Olympionicae et ceteri victores verliehen bekamen von ihren Zeitgenossen, die nach seiner Meinung dabei „magis consuetudine quam ratione ducti" waren.') Dass solche Ehrenpradikate als das klassische „Paradoxos jedoch auch noch in der media et infima latinitas möglich waren, zeigt das Beispiel des heiligen Stephanus: „paradoxus appellatur, quia inter- fectoribus suis pepercit, quod admirabile est et incredibile.... ave, martyr paradoxe".2) Kurz, man wird dem kirchenlateinischen Wörterbuch beistimmen müssen, wenn es folgende Paraphrase von paradoxus (Tzapado^og) und pavadoxa (tt-o) gibt: gegen Erwarten, befremdlich, (scheinbar) widersinnig, gegensatzlich; auffallende, sich (scheinbar) widersprechende Satze.3) Das Wort hat also seine Bedeutung nicht wesentlich geandert; und das ist um so mehr verstandlich, weil auch bei den griechischen christlichen Schriftstellern der ersten drei Jahrhunderte (Gelasius, n princ. rhet. (17). 9. Cf. Wilh. Freud, Wtbch. d. lat. Spr. III, 1845, s. v. Cf. was die „vana gloria" anlangt, einen Ausruf des Aristotelikers Alex. Neckam, womit er die Aufzahlung einiger (bei den alten Sophisten paradoxen) Sophistereien schliesst: ecce vanitas inanis glonae . (Orab- mann, Gesch. der schol. Methode, Freiburg i. B. 1911, II, 115.) 2) Paradoxus appellatur S. Stephanus protomartyr, quia interfectonbus suis pepercit. quod admirabile est et incredibile, in vet. hymn. ejusd. sancti tater schedas D. Le Beuf: Ave, senior Stephane, ave, martyr paradoxe etc. Cf. Gloss. med. et taf. lat. Du Cange usw. 1845, s. v., und Euseb. h. Cel g y eC3) B. I. Schmid u. A. Sleumer, Kirchenlateinisches Wtbch. (zum Römischen Missale, Breviarium, Rituale, usw., sowie zur Vulgata und z. Cod. luns can.; desgl. zu den Proprien der Bistümer Deutschl., Oesterr., Ungarns, Luxemb., d. Schweiz. u. zahlr. kirchl. Orden u. Kongregationen), 2e Aufl., 1926, Limburg a. d. Lahn, Gebr. Steffen. Philostorgius, Methodius, Eusebius, Apollinarios v. Laodicea usw.) die Worte nagado^onoua, nagado^onoiö), nadadogog usw. ihre alte, aus § 1 bekannte Bedeutunq beibehalten haben. ') Dass im mittelalterlichen Sprachgebrauch das griechische Wort nagddo^oQ keine bedeutende Rolle in der wissenschaftlichen Literatur spielt, mag wohl vor allem zu verdanken sein der Neigung, die lateinische Sprache als Vehikel der gedanklichen Inhalte zu bevorzugen dem Griechischen gegenüber. Bekanntlich gab es Zeitperioden, in denen die Verwendung, ja sogar das Studium des Griechischen öffentlich abgelehnt wurde. Das Glossarium von du Fresne-du Cange 2) hat das qu. Wort nicht einmal aufgenommen, obwohl es seine Citate zusammenstellt aus den „scriptores mediae et infimae graecitatis". Diese Zurückstellung der griechischen Sprache bzw. Bevorzugung der lateinischen ist — diese Hypothese werde nicht übel genommen — vielleicht die erklarende Ursache der doch wohl einigermassen auffallenden Tatsache, dass unter den unzahligen von F. Ehrle zusammengetragenen Ehrenpradikaten der scholastischen Lehrer des Mittelalters neben den epitheta ornantia des doctor breviloquus, oder difficilis, oder discussivus, oder distinctivus, dulcifluus, expositivus, facilis, imaginativus, ingeniosus, irrefragibilis, irreprehensi- ') Cf. Die Griechischen Christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte, hrsg. v. d. Kirchenvater-Commission d. Kön. pr. Akad. v. Wiss Leipzig, Hinrichs. 1918. Gelasius II, 11. 7 (S. 58. 20); Philostorgius, Vli! 36~88): m' 4 (S- 34, 8); III, 11 (S. 41,14); Methodius (Band 37o, 9 ; 343, 11). Eusebius : fityx'koiipy^u ycxl 7rxpxiïc^07rci(üv Seóg 1. 8); fa'*™) 'vxvS-pu>ircüvTx y.xi irxpxSe&ircioïvTa, ib. 438, I cf. 97, 25; 122, 16; 139^4; 144, 22. Apollinarios v. Laodicea: TrxprSs^x toü Srzc'j crr\fzzi.x ; oder : ,,ó cuv Irpüjc tXr.prjt; rcü 7tv£Ó/uxtoi: xyicu utriatpiQia empfunden, so ist es doch dem pneumatischen Menschen &eov êvva/uig xal êeov ontpla, ein /ucoqöv zov öeov oocpcóxEQov ztöv av&Qcóncov (1. Kor. 1, 22-25). Wer es einmal so anerkannt und im Glauben angenommen hat, dem wird sein Inhalt zum Anstoss und sogar zur materia einer neuen Lehre werden. Das TiaQa-öo^ov ist an sich noch nicht ohne weiteres ein 7iaQa-Xoyov. Es kann sogar Anfang neuer loei communes werden, einen reformatorischen consensus schaffen. Ein Beispiel hat man in Luthers Heidelberger Thesen („Paradoxa ), 1518, und in „Christianissimi VVittenbergensis gymnasij, multarum Disputationum paradoxa 6 plane enigmata in Papistica illa mendacijs confusissima Ecclesia: uulgaria uero uerae Christi Ecclesiae pronunciata. Atque ex his lector iudicabis, quid agatur in uere Christiana schola quaque haeretica sit Lutecia, 6 omnes filiae eius. Auctores sunt, Mar- ') Paradoxorum titulus primus : Omnia reformanda, quae deformata sunt, 6 per quid .... 2. Idcirco Dei Ecclesiam solo eius verbo regi necesse est, ne non recta sit... . Titulus VI, 6 : Omnes utriusque sexus, qui in veritate, non in hypocrisi fldeles sunt, sacerdotii & unctionis Christi facti sunt par- ticipes Titulus XI, 1 : Ministros habet Ecclesia Episcopos & Diaconos; nullos praeterea legimus.... Tit. XIII, 3. Ergo Ecclesia sola, in qua est fides, purgatorium est... . XVI, I: Praeter Hierosolymitanum templum, nullum a Deo legimus alicubi institutum XXI, 4: Orandi igitur non sunt sancti, qui dormiunt.... XXIII, 3: Monachismus ad Ecclesiam Dei nihil pertinet usw. Vgl. hier Kap. I, § 3, A. tinus Lutherus./ Andreas Carolostadius./ Philippus Melanchthon. & c. A. E.: Excusae anno Domini/M.D.XXI mense Septembri." Dieses Büchlein enthalt ganz zeitgemasse „themata" von Luther, oder „sub praesidio Lutheri habita", von Melanchthon, themata circularia, und von einer „disputatio circularis N. A.", oder einer disputatio Dolschi, oder von disputationes And. Carolost., usw. Sie handeln von Fragen der Zeit: opera faciant ad iustificationem ?; de sacramento panis, & eius promissione, de votis, de participibus mensae Domini, de delectu operum usw. So hat das Wort TtaQado^(-v) auch in der Uebergangszeit vom Mittelalter zur Reformationszeit seine eigenartige Mission erfüllt. Aber es hat seine klassische Bedeutung beibehalten. Mutatis mutandis konnte der vorhin genannte Lambert für sich unterschreiben, was Cicero im Prooemium der Paradoxa Stoicorum gesagt hatte: „ego tibi illa ipsa.... conieci in communes locos. Quae quia sunt admirabilia contraque opinionem omnium .... temptare volui, possentne proferri in lucem id est in forum et ita dici, ut probarentur . . . . ; eoque hos locos scripsi libentius, quod mihi ista nagado^a quae appellant maxime videntur esse Socratica (apostolica) „longeque verissima". Das gefundene Resultat und namentlich das Beispiel der angeführten tituli hat insofern für uns seine Bedeutung, als es uns auch die Interpretation der Reformatoren erleichtern kann. Auch sie haben das Wort nngddo^osf-v) benützt. Bei Calvin findet es sich z.B. in folgendem Passus: Longius enim respicere nos oportet: ideo oblationum iniquitatem deleri a sacerdote, quia nulla oblatio quatenus est hominis, prorsus omni vitio caret. Dictu hoe asperum est, et fere naQado^ov, sed tenendum est, nihil esse tam purum, quod non aliquid labis a nobis contrahat. Auch, wenn er schreibt: Scimus enim nihil magis esse praeclive, quam ut sibi caro quovis praetextu indulgeat: deinde calumnias omnes excogitat Satan, quibus gratiae doctrinam infamet, quod ei non ita difficile est. Nam quum humano sensui nagado^dnaxov sit quidquid de Christo praedicatur, nihil novum videri debet, si audita fidei iustificatione caro toties tanquam ad diversos scopulos impingit. ') Weiterhin benützt er das Wort Paradoxen in seiner Exegese zu der Paulinischen Aussage: o öè vvv £a> êv oaQxi, êv marei £a> zfj xov viov xov i'hov (Gal. 2, 20). Da sagt er: „Quod autem nunc vivo in carne. Nulla est hic fere sententia, quae non fuerit lacerata variis expositionibus. Sicuti cavnem hic exponunt quidam pro naturae vitiosae pravitate: Paulus autem simplicius accipit pro vita corporali. Prompta enim alioqui fuisset alia obiectio: Tu vivis tarnen vitam corpoream. Ubi autem corpus hoe corruptibile functiones suas exercet, ubi cibo et potu sustinetur: haec non est coelestis Christi vita. Ergo paradoxum est a vatione abhorrens, quod, quum palam vivas communi hominum more, propriam tibi esse vitam negas. Respondet Paulus, id in fide consistere: quo innuit absconditum esse arcanum ab humano sensu. Vita igitur, quam fide obtinemus, non oculis apparet, sed intus percipitur in conscientia per spiritus efïicaciam. Ideoque non impedit vita corporalis quin fide possideamus coelestem vitam .... Plenus denique est Paulus talibus testimoniis, quibus asserit, ita nos vivere in mundo, ut in coelo tamen etiam vivamus: non modo quia illic est caput nostrum, sed etiam quod iure unionis vitam habemus cum ipso communem: ut loquitur: Joh. 14, 1. s." Besonders die letzte Stelle hat für das richtige Verstandnis des Inhaltes von „paradoxum eine hervorragende Wichtigkeit. Hat doch Peter Brunner 2) in einem verfehlten 3) Versuch, seine Auffassung von der Paradoxalitat des Glaubens an Calvin anzuschliessen, das „paradoxon" in dieser eben genannten Stelle als vernunftwidrig interpretiert. Aus dem Calvinischen ,,paradoxum a ratione abhorrens macht er ,,ein der Vernunft zuwiderlaufendes ') Ioann. Calvini Opera (Corp. Reform.) 24, 433 ; 49, 103. 2) Vom Glauben bei Calvin, Tübingen, Mohr, 1925. P-K' S5]1'ld"- T"ss^e" "Ja" en »Neen", Kampen, J. H. Kok, 1929, , 'n ' j T. ~ Nicht Calvin, sondern Zwingli wird als Theologe der Paradoxalitat bezeichnet von }. Bohatec, Calvins Vorsehungslehre, in • Calvinstudien, Festschrift zum 400. Geburtstage Joh. Calvins, Leipzig, Haupt. 1909, 436 ff. Paradox". ') Und in seiner'spater verleugneten 2) Zustimmung zur Interpretation Peter Brunners hat Th. L. Haitjema diese Calvinstelle wie folgt übersetzt: een paradox, huiveringwekkend voor de rede.3) Nun ist gegen diese „Calvindeutung" zunachst anzuführen, dass, wenn man nur richtig liest, eben nicht Calvin selbst, sondern eine von ihm zurückgewiesene hypothetische obiectio sagt: „Aber das paulinische o £cö êv oagxl êv moiei £a> ist doch paradox. Aber dies sei dahingestellt. Hauptsache ist für uns, dass das (adjektivische oder substantivische) „paradoxum nicht ohne weiteres sagen will: „der Vernunft zuwiderlaufend . Man darf „paradoxum" nicht einfach epexegetisieren mit. ,a ratione abhorrens", denn dies letztere ist hier eine neae Bestimmung, ein nicht jedem Paradox zukommendes Fradikat. Und was „a ratione abhorrens' noch selbst anlangt, so ist das noch nicht gleichzusetzen mit: „der Vernuntt zuwiderlaufend'• ; es will vielmehr nur sagen, dass der „paradoxale" Satz 6 & êv aagxl êv niazei £a> vor einer objektiven logischen Prüfung zurückschaudern zu mussen scheint. Womit noch gar nicht gesagt ist, dass solche Prüfung die logische Absurditat und Illegitimitat der als paradox empfundenen Aussage am Schlusse deflnitiv nachweisen würde. In dieser Hinsicht ist die franzosische Uebersetzung des „a ratione abhorrens" durch: „contraire a toute raison" auch zu stark.4) Abstrahieren wir also das Wort paradoxum von „a ratione abhorrens , so ist es a fortiori - gar nicht „der Vernunft zuwider , sondern nur wie immer „dem ersten Eindruck (Meinung, £ n s 159. Nach Br.'s Auffassung würde Calvin selbst schreiben. „es ist also ein der Vernunft zuwiderlaufendes Paradox usw. Cf. Brun^« Aussage, ebenda : „Das ist das paradoxum a ratione abhorrens, das mit dem Glauben an den Sohn Gottes" gesetzt ist. Cf. passim. " 2) Nieuwe Theol. Studiën, H. Veenman ö Zonen. Wagenmgen, XIII, 4' 3)18ÓnderXEigen 1 Vaandel, III, 57 (Veenman, Wageningen). angef. in SC4h)ildCommentair8e7s de M. Iean Calvin sur toutes les Epistres de lapostre sainct Paul, Lion, Sebastien Honorati, 1613, 297. zuwider". Die Richtigkeit dieser unserer Auffassung wird noch mehr dargetan durch die schon erwahnte französische Uebersetzung des Wortes paradoxum: „c'est donc un propos estrange." ') Noch naher demonstriert wird sie durch Calvins Sermon sur Gal. 2, 20: on trouveraif estrange .... il semble donc que ce propos soit comme une speculation vaine, .... mais .... usw. Nicht umsonst glauben wir dies erwahnt zu haben; denn die richtige Interpretation der qu. Calvinstellen weist u. E. nach, dass sie kein Recht geben dem Reformator eine Theorie zuzumuten, die den Glaubensinhalt oder irgend welchen Denkinhalt als vernunftwidrig und dennoch als akzeptierbar, ja sogar vom Geist der Wahrheit eingegeben oder offenbart angesehen haben möchte.2) Aus den angeführten Stellen kann von der Brunnerschen paradoxalen Struktur des Glaubens bei Calvin nichts herausgelesen werden. Als Resultat unserer bisherigen Untersuchung ergibt sich nur, dass das Wort nagado^og seine klassische, ontologisch-indifferente Bedeutung bewahrt hat. Auch für Calvin und die Reformationszeit ist das Paradox immer „ein Ding, das überwunden werden muss". „Semper a paradoxis abhorrui" sagt Calvin (Corp. Ref. XLII, 230). Eine zweite Bemerkung schliesst sich an das Gesagte an, namlich dass es nicht erlaubt ist, in das Wort nagado^og bei Calvin eine von ihm angenommene Kluft zwischen dem Glauben und der „anschaulichen Gegebenheit" hineinzuinterpretieren, wie es dem Anschein nach Peter Brunner 3) versucht hat. Redet dieser doch davon, dass der Glaube nach Calvin naga óógav sei, eben dadurch, dass er inhaltlich einen scharfen Gegensatz bilde zu dem, „was als anschauliche Gegebenheit aufgewiesen werden kann". „Glaube geht wider den Schein, er ist paradox", dies gilt für P. Brunner als eine Calvinische These. Ilaga óó£av, — ') 1.1. 2) Dies Thema wird spater noch aufgenommen werden. 3) S. 156, sqq. Schilder das würde also nach ihm zu übersetzen sein: wider den (An)schein. ') Aber hier wird u. E. Calvin durch eine Brille vom 20. Jahrhundert angesehen. Wenn nun auch das griechische dó£a die Bedeutung von „Anschein" oder „Schein", o cpaivófievóv êaztv, haben kann, dennoch leuchtet aus dem vorher Gesagten ein, dass in dem Kompositum naQddo^og das Substantiv dó£a nur „Meinung" oder „Erwartung", öug yvcoQ&i, sagen will. Und eben deshalb, weil nagddo^oQ oder (ro) naQdöo^ov kein für Calvin kennzeichnender Terminus geworden ist, darf man die Exegese des Wortes, wenn von ihm gebraucht, nicht von dem allgemein üblichen Inhalt des Wortes loslösen. Weil im scholastischen Zeitalter, wie oben angeführt worden ist, das Wort Tiagado^ov nicht in den streng wissenschaftlichen Apparat aufgenommen worden ist, muss man zur Interpretierung des Wortes, wenn es in der Literatur des Humanismus und der Reformation auftaucht, sich an den allgemein üblichen popularen Sprachgebrauch anschliessen. Dieser kümmert sich gar nicht um die Frage nach der Herkunft oder Dignitat einer bei einem beliebigen Menschen oder bei einer Gruppe von Menschen vorhandenen, auf ein Paradoxon stossenden Meinung. Falls eine vorhandene „IVleinung sich an den Anschein, an „quae ante oculos sunt , geheftet hat, wird in der Tat was „wider die Meinung" ist, auch als „wider den Schein" empfunden werden. Aber dies ist in den Begriff des Paradoxalen keinesfalls mit aufgenommen. Bei der naiven Verwendung des Wortes „paradox" als blosses Gebilde einer atheoretischen Sprachgewandtheit bleibt jede Abgrenzung des Begriffes „Meinung", wie sie z.B. Plato mit seinem Unterschied zwischen <5ó£a einerseits und êmozijfirj oder yvwp7 anderer- i) Brunner schreibt sogar: „Die Forderung, abzusehen von allem, was anschaulich vor Augen liegt, gilt auch im Hinblick auf die Beurteilung des Geschehens in der Welt. Die Aussage, dass Gott ist, hinter allen Dingen steht und alles leitet und regiert steht im Widerspruch zu dem, was man mit Augen sehen kann ; sie ist allein in solchem Widerspruch wider den Augenschein möglich in der Paradoxie des GlaubensS. 156. seits versucht hat, einfach ausser Betracht. „Meinung" ist in der lebendigen Sprache, was ich für wahr halte, ganz abgesehen von meiner theoretischen Begründung. Nicht nur die anschauliche oder empirische (sachliche oder vermeintliche) Gegebenheit kann der Volkssprache nach eine Meinung aufgebaut haben, sondern auch theoretisches Denken oder der Glaube oder Aberglaube. Je nach der vorhandenen Sachlage also kann, was paradox empfunden wird, kampfen gegen anschauliche, empirische, pistische oder aberglaubische Gegebenheiten. Infolgedessen kann nach Calvin das Paradoxon nicht nur gegen den sensus sondern auch gegen die ratio oder sogar gegen die fïdes quae creditur sein. Denn auch der Glaubende hat seine persuasio, die paradoxal erschüttert werden kann. In diesem Falie kann z.B. die persuasio („Meinung") in ihrer Sicherheit zerstört werden durch den Anschein; es muss aber dann das glaubende Subjekt seine ursprüngliche „Meinung" wieder gewinnen, nicht durch ein paradoxales Anstürmen auf die anschauliche Gegebenheit, sondern durch eine zielbewusste Handhabung der schon vorhandenen steten Glaubens„meinung" ex autoritate dei, d.h. im Namen des Deus loquens oder des Deus qui dixit. „II y a doublé sentiment et apprehension en nous: 1'un est de nostre sens naturel, 1'autre de la foy. Or nostre sens naturel quel obiect a-il et quel regard ? Les choses que nous sentons, que nous voyons, et que nous touchons. Quand donc Dieu nous laisse en telle extremité, que nous ne savons que devenir, il semble bien qu'il y ait comme une grosse nuee entre luy et nous, tellement que nous ne soyons plus en sa main ny conduite. Or cèpendant voicy Dieu qui nous promet que quand nous cuiderons qu'il soit es~ logné de nous, il nous est prochain: et quand il nous semblera qu'il a les yeux fermez, il veut que nous regardions, Dieu a-il parlé? Tenons nous hardiment a sa promesse." ') Unsere Ablehnung der Uebersetzung von dó£a durch ') Calv. Op. 34, 538. „Schein" oder „Anschein" ist kein sinnloses Streiten um Worte. Die Brunnersche Auffassung von naga öó£av und die unsrige haben beide ihre Konsequenzen. Die erste lasst die Tür offen für eine Auffassung des Paradoxon als erkenntnistheoretische Methode oder „Form der Offenbarung, oder sogar Kategorie, wie man gesagt hat; ) die zweite jSndet im blossen Wort „paradoxon hierfür noch durchaus keine Berechtigung. Die erste begünstigt ein Reden von paradoxaler Haltung gegenüber dem einfachen Reden von paradoxalen Ereignissen oder Erlebnissen oder Konflikten; die zweite lasst jede paradoxale Empfindung als ein Sondererlebnis des Subjekts an sich bestehen. Die erste schiebt unvermerkt dem Calvin und überhaupt den Reformatoren die Auffassung unter, dass sie im „grossen Moment" der „Entscheidung" des Glaubens das Paradoxon ergreifen, die zweite dagegen halt die Tür offen für die von anderen vertretene und wenigstens den klassischen Sprachgebrauch nicht vergewaltigende Auffassung, dass sie im Moment der paradoxalen Empfindung selbst zu einer Entscheidung nicht hindurchbrechen können; dass die Entscheidung eben in der Uebetwindung des Paradoxons möglich sein wird. Die erste bietet einen Stützpunkt für die Lehre, dass der lebendige Glaube nach Calvin keine standige kontinuierliche „Meinung" vertrage, dass er vielmehr ein endgültiges Interdikt enthalte in Bezug auf das „Sich auf einen Standpunkt stellen", worin ja die „tragische paradoxale Lage" der „wirklichen Gottesmanner" durchaus verkannt sein würde; ) die zweite dagegen lasst noch Raum für die voraussetzungslose Frage, ob nicht für Calvin und die Reformatoren die quies (nicht: Quietismus!) des Glaubens eine standige Meinung ') „Kants Theorie vom radikal Bösen hat nur einen Fehler, dass er nicht aanz bestimmt feststellt. dass das Unerklarliche eine Kategorie ist.... Das Paradox ist nicht eine Konzession, sondern eine Kategorie, eine ontologische Bestimmung, die das Verhaltnis zwischen dem existierenden, erkennenden Geist und der ewigen Wahrheit ausdrückt". S. Kierkegaard, nach Uebers. in Ed. Geismar, Sören Kierkegaard, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1927 s. 310. 2) ' Karl Barth, Römerbrief, München, Chr. Kaiser, 3e Aufl. 1924, S. 33. als donum gratiae geniessen könne, eine Meinung, die von dem xaivög (nvev/uauxos) av&gcojio? geschützt werden muss gegen jede paradoxale Verwicklung, worin der nahaibg (ipv%ixÖQ) av&QamoQ !) sich allzu oft verwirrt, eben mit Berufung auf die „anschauliche Gegebenheit", den sensus naturalis. Alle diese Fragen sind heute an der Tagesordnung, und deshalb ist es nützlich, schon auf diesem Punkt unserer Untersuchung jedem Vorgreifen einer Beantwortung den Weg abzuschneiden durch die einfache Bemerkung, dass Só£a in nagaóo^os noch immer nur „Meinung" ist und nicht „Anschein". — ') Paulus, Eph. 4, 22, 24; Col. 3, 9. 10; 1. Cor. 2, 13. 14. 15. § 3. Die allgemein übliche Bedeutung des Wortes „paradox in der Neuzeit. A. Das widerspruchlose „Pavadoxon . Es kann nicht Wunder nehmen, dass in der Neuzeit das Wort paradox sich öfter vorfindet als im Mittelalter. Die Neuaufnahme des Studiums der griechischen Sprache, der Widerwille gegen Uebersetzungen aus dem Griechischen ins Lateinische, das Wohlgefallen, das der Humanismus an der schonen Form der Sprache und Rede hatte ~~ das alles begünstigte die Wiederbelebung eines so preziösen, unprazisen Wortes für eine so preziöse, unprazise Sache. Falls jemand meinen möchte, es sei etwas zu weit ausgeholt gewesen, als wir am Schluss des § 2 in Bezug auf Calvin erinnerten an das contradiktorische, weil antithetische Verhaltnis zwischen odQt und nvev/ia, zwischen nalmoc, (ipviixóq) und xmvbg (véog, nvevfiaxMÖg) avêrmnog, dann sei es vergönnt, hinzuweisen auf eine sehr bekannte spiritualistische Schrift') aus der Zeit der Reformation, deren Verfasser, Seb. Franck, schon im Titel eben dieselben Begriffe einander gegenüberstellt und den Gegensatz ihrer Inhalte wirksam werden sieht, sobald das Paradox selbst zu einer Auseinandersetzung mit ihm auffordert. Dieser Titel lautet: „Paradoxorum ducenta octoginta/ das ist i) Hegier, Geist u. Schrift bei Seb. Franck, datiert, richtig, 1534. Eisler, Wtbch. d. Phil. Begr. II, 4e Aufl. 376. datiert Andr Duhm Paradoxe Jesusworte in der Predigt, Leipzig, M Heinsius, NacM., 1927- S. 6. sagt. 1533. Seb. Franck starb im J. 1543. Eine holland.sche Ausgabe der Paradoxa: Gouda 1610. Das Buch ist „gedruckt zu Ulm bei Johan Varnier . CCLXXX Wunderred und gleichsam Raterschafft aus der H. Schrift, so vor allem fleysch ungleublich und unwar sind/ doch wider der gantzen Welt wohn un achtung/ gewisz und waar. Item aller in Got Philosophierenden Christë/ rechte/ götliche Philosophei/ un Teütsche Theologie/ voller verbogener Wunderred und gehaimnusz/ den verstandt/ allerlay frag/ und gemaine steil der Hailigen Schrifft/ betreffende/ Auch zur Scherpfïung des urtails/ überausz dienstlich/ entdeckt/ auszgefürt/ und an den tag geben/ Durch Sebastianu Francken/ vonn Wörd. — Ist iemandt gaystlich1 der urtail was ich sagt. Den Gaist lescht nicht ausz/ die Prophecei veracht nit/ Brüffet aber alles/ und was güt ist/ das behalt. 1 Cor. 14. 1 Thessal. 5." Dieses Buch f1534) fasst also seine Paradoxa wohl als eine OfFensive gegen den consensus, sogar — hyperbolisch gemeint — der ganzen Welt, fügt aber hinzu, dass ihre Inhalte nur für das ,,fleysch" „ungleublich" und infolgedessen „unwar" ')sind. Voneiner eigentlichen Durc/ifrrec/iung der Vernunft ist bei ihm also nicht die Rede, auch nicht von einer paradoxalen „Lage" dem anschaulich Gegebenen oder historisch Gewordenen gegenüber. Es fragt sich nur, meint Franck, ob man sich den verschiedenen Seinsregionen mit einem lumen internum nahert oder nicht. Wer dies lumen in sich tragt, dem werden des Verfassers „Paradoxa" geradezu als Ortho-doxa erscheinen, nur dem „fleysch" sind sie stricto sensu Paradoxa. Man hört das Paulinische xax' av&Qco7iov oder naxa oaqua aus dem folgenden interessanten, wenn auch seinem Inhalt nach unpaulinischen Satz heraus: „Paradoxon/ lieben Freünd und Brüder/ haiszt bei den Griechen ain Red/ die gleichwohl gewis und waar ist/ die aber die gantze Welt/ und was nach dem Menschen lebt/ nichts weniger dan fur waar halt/ als das allain die Weysen und frummen reich sindt" (cf. Cicero, Phil. Stoic.) „Das ain Christ nit kan sünden und sterben. Item ') Cf. Paulus : der „buyjy.bc" si „Jé/êW, 1. Cor. 2, 14. das gottes gebot leicht/ und zu halten nit schwer sindt." „Das creutz glück sei/ und der todt der weg unnd Port zum feben/ Ja die recht Artzenei wider den todt. Das man sich im layd und trübsal sol rhümen/ des glücks und benedeiung der menschen unsalig duncken/ und schamen . etc. — „Nu hab ich disz mein Philosophei Paradoxa intituliert/ und Paradoxum ain Wunderred/oder Wunderwort/verteütscht- Weil die Theologei/ der recht sin der Schrifft (so allein gottes Wort ist) nichts ist/ dan ain ewig Paradoxn/ wider allen wahn/ schein/'glauben/ und achtung der gantzen welt/ gewisz und waar". Das lumen internum') wird notig sein um den „Wahn, Schein, Glauben und Achtung (óo£a) von denen zu überwinden, die nur ihre vom Geist nicht erleuchtete Vernunft haben oder den Buchstaben der bchritt, die doch ohne lumen internum „ain fin ster latern ist, sich anvertrauen. Wo die Lampe des lumen internum brennt, da werden alle Seinsgebiete, die es gibt, sich den erleuchteten Menschen und seiner Vernunft durch achau erschliessen, da werden, mit anderen Worten, die Paradoxa als solche überwunden werden und der lebendig machende naist" neue Wissenschaft zu treiben und zu bewahren lehren. „Der gaist macht lebendig/ Das ver sten alle Vater fur den gaistlichen verstandt/ nit eben fur Urigenis auszlegung/ odder Augustini/ sonder fur den sin Christi i) Sebastian Franck dem Christlichen Leser/ augen/ ohrn unnd hertz/ des inneren Menschens/ zu hören/ sehen/ und begreifïen/ die gehaymen Wunderred Gottes. Euangelium Verbum Dei Paradoxum merum 6' perpetuum. Das Euangeliü ist ain ewig/ iautter Wunderred• Sc^Pfur^ n 7c,aS Dei Buchstab dei Schiiït des Antichiislsschweidt/ tod'Ctastam. sine luce uita & interprete spiritus, obscura lucerna, & occidens Ittera. Die Schrifft ist on das Liecht/ Leben/ un auszlegung des Gaistes/ain todter ^Hae^ftfectaY'eTsecta litera Scripturae. Ketzerei u5 Secten ausz j u v, f Kon Hpr Srhrifft Darumb bleibt die Schrifft ain ewig Allegon/ wldëS RawschaiE,/ veischlossen b»ch/ tödMnde, buchs.ab/ » «tandi Rottwelsch, allea Gotlo.en/ und gotes Dan so wir seinen wille wolhn thun/ un uns ernst ist/ so g er uns den selben aus/ Joan 7. S. 1, 2. und verstandt des gaistes/ der ain anders in dem eüssern ansehen und schelff hat/ und verwendt ain anders im gaist verstehet". Und da wird die „Wunderred" vernommen und zwar nicht nur aus der Heiligen Schrift, sondern auch aus dem Heidentum. „Hiemit lasz dir mein Leser gedient sein/ dan befinde ich/ das dir diese maine arbait angenem/ nutzen/ und zu guten kommen/ unnd es got zulassen wurt/ so wil ich ains mals' noch etlich hundert Wunderred ausz der Hailigen Schrifft/ Pythagora/ Platone/ Plotino/ Plutarcho/ Cicerone/ Seneca/ Erasmo Roterodami/ Ludouico Vive/ Ludouico Celio Rhodogino/ etc. hinnach schicken/ und ain Chronica über Germaniam/ das gantz Teütsch Landt/ sonderlich über das Schwaben Landt. Dan wunder ist es/, was ainem die Historiën (so eittel gottes Wunderwerck/ unnd ain lebendige exemplificierte leer sindt) nutz bringen/ gehaimnus entdecken/ mit dem das sie der Welt thorhaitl wesenl und blindthait für die augen stellen". ') Aus dieser verwirrenden ) Gedankenreihe geht doch jedenfalls hervor, dass für diesen Verfasser der Inhalt des Paradoxons a) sich mit der Wirklichkeit und der Wahrheit vertragt, b) in Vernunft und Anschauungsobjekten sich immer bestatigt finden wird, sobald nur der Geist durch den Buchstaben hindurchschimmert, c) einen Angriff auf den consensus macht, nicht aus Wohlgefallen am Angriff selbst, sondern um durch die Unruhe den Leser zu beruhigen. Mit anderen Worten: naga dó£av heisst auch hier nicht: wider den Schein 3), sondern wider: die Meinung; ') S. 3, 4. 2) „Verwirrend", — denn obwohl er den „Buchstaben" der H. Schr. herabschatzt (in falscher Exegese von „gramma") sind doch mehrere seiner Paradoxa (und bereits das erste) „Buchstaben" der H. Schrift selbst; etc. Im allgemeinen zeigt S. Franck den Typus der mystizistischen GeistesSpekulation, ohne Verbindung m. d. Logoslehre der Reformatoren; der Spiritualist wird Rationalist. 3) Der „Schein ' bleibt „Schein", auch nachdem der „gaist" erleuchtet hat: „die scheinlosz warhait soll aber allein Got für sich haben. Dan die warhait ist onsichtbar im gaist/ derhalb on allen schein der Welt" (S. 5, 6). „On (ohne) ist nicht: „wider". Und der „Schein" der „Dinge" ist ver- das Paradoxon ist nicht a ratione abhorrens, sondern es will gelten als rationis remedium. Das Paradoxon will nicht eine „tragische Lage" dessen bezeichnen, der es ausspricht, sondern es ist eine ganz gewöhnliche These, womit derselbe en passant die „tragische Lage" seiner Opponenten verhöhnt. Lambert von Avignon und Seb. Franck stehen einander gegenüber mit Paradoxen, die eben dadurch nur Thesen werden; ihre absurditas kann nur vom Opponenten behauptet werden. Ihre „Paradoxa" sagen nur: ent weder oder, niemals aber: sowohl — als auch. Inhaltlich sind sie keinesfalls eine „widerspruchsvolle Verbindung", sondern sie konstatieren nur eine widerspruchslose Abgrenzung ; und ihre Selbstbezeichnung als „Paradoxa enthalt keine Klage über ihre „tragisch gewendete, unvollendete und unvollendbare Dialektik , ') sondern eine proleptische Anklage gegen jeden Menschen, der nicht aufhören würde sie als Paradoxa zu empfinden. Denn dadurch würde er seine Dialektik als unvollendet, ja vielleicht sogar als noch nicht einmal angefangen aufweisen. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die linterschrift eines Portrat Seb. Franck s: „Pa- radoxus Orthodoxus".2) Die paradoxe Ausdtucksfovm, das Ueberraschende in Wort- oder Gedankenverbindung, wird infolgedessen bei Franck völlig zur Nebensache; Franck verzichtet auf jeden Versuch, „d'exerciter les esprits", und bleibt auch fern von humanistischen Vernunftspielereien; wer seine Paradoxa eben als Paradoxa erklaren wollte aus seiner Berührung mit Erasmus, dessen Moriae Encomium er ja übersetzt hat (1534), oder sogar aus den Grundgedanken seines Verbutschierten Buchs (1539), der würde damit irren, obwohl hier „Schrift" und „Gegenschrift" absichtlich einander ent- schieden von dem „Schein" (Wahn, Meinung, Achtung, s.o.) aller „Welt" (die Summe der Menschen, generaliter genommen). , „ ') Cf. Siegfried Marck, Die Dialektik in der Philosophie der Gegen wart, Erster Halbband, Tübingen, Mohr, 1929, S. 105. , 2) Seb. Franck, Paradoxa, etc., herausg. von Heinrich Ziegler mit tlinl. v. W. Lehmann, Jena, Diederichs, 1909. Eine Analogie aus der Gegen wart: R. Venning, Orthodox Paradoxes, practical and doctrinal,London, Howe, loyi. gegengesetzt werden. Denn in dem Lebensstadium, worin Franck die Paradoxa schreibt (1534), steht er zwischen den beiden extremen Standpunkten von „exerciter" (d. h. die Methode des undurchbrochenen, „profanen", Denkens lehren) einerseits, und die „Sigeln" des „verschlossenen Buchs" zerbrechen, und also darin lesen samt seinen nichtmehr-profanen, sondern von Gott geheilten Schülern andererseits; hier, in den „Paradoxa" will er ausgehen von der Wahrheit, dass zwischen „Buchstabe" und „Geist", zwischen Gott und (böser) Welt, ein unaufhebbarer Gegensatz besteht. Mag er Erasmus oft anführen, sein Spiritualismus zwingt ihn, da, wo Erasmus nur ironisierend und überlegen lacheln kann, Krieg zu erklaren. „Alcibiades vergleicht bei Plato den Sokrates wegen seiner satyrachtigen, burlesken Hasslichkeit mit.... Silenus, dem Lehrmeister und unzertrennlichen Gefahrten des Dionysos" '); Franck weiss davon, aber lachelt nicht mehr mit Erasmus; er droht: Invevsus Silenus omnia; „die Wahrheit besteht nur aus Wunderreden die die Welt nicht also halt, tut, redet und glaubt. Hörst du den Pöbel etwas reden, glauben und halten, so halte du, rede und glaube das Gegenteil, so hast du das Evangelium und Gottes Wort gewiss. Das Recht liegt tief. Es ist alle Dinge ein verkehrtev Silenus und viel anders, als es scheint2) Nur von hieraus werden paradoxe Ausdrucksformen bei Franck verstandlich (z. B. Gott ist der Welt Teufel, Christus der Welt Antichrist, 15 ; Es ist nichts Starkeres noch Schwacheres denn Gott, 24 ; den unüberwindlichen Gott überwindet leicht ein jeder, 25 ; wenn Gott fern ist, so sieht man ihn; nahend aber nimmer, 42; cf. 40: Gott ist auch ferne nahend, und 41: Gott ist nicht naher, als wenn er fern ist; Die das Gesetz halten, halten es nicht, 158; cf. 159; Christus, d. h. der Eifer um Gott, schlagt Christum tot, 177.) Denn hier ist keine Synthese vond A und non-A, sondern nur Antithese gemeint ') Cf. die Note (von Ziegler) S. 7. in Seb. Franck, hrsa. v. H. Ziealer, Jena, 1909, a 2) Franck, ed. Ziegler, S. 33, 12. zwischen jedetn A und non-A des „Fleisches einerseits, und jedem A und non-A des „Geistes" andererseits. Das Paradox wird ein widerspruchsloser Satz — aber zum Verstehen muss man ein Eingeweihter sein. Darum ist die paradoxe Ausdtucksweise nebensüchlich; in den meisten Fallen fehlt sie. Um nicht mehr ') anzuführen: dieser Typus der ganz nüchternen, völlig unpikanten Verwendung des Wortes „paradox" hat sich lange gehalten. Der Traktat Spinozas „Philosophia Scripturae Interpres, Exercitatio Paradoxa ist bekannt; er ist „printed anonymously at Eleutheropolis, in 1666. This place was one of several cities in the clouds, to which the cuckoos resorted who were driven away by the other birds; that is, a feigned place of printing, adopted by those, who would have caught it if orthodoxy could have caught them. Thus, in 1656, the works of Socinus could only be printed at Irenopolis . ) Es hat sogar eine ganze „paradoxale" Zeitschrift gegeben : »Para~ doxien — eine Zeitschrift für die Kritik wichtiger Meinungen und Lehrsatze aus allen Fachern der theoretischen und practischen Medizin."J) Auch von „Paradoxa , die nichts anderes sind als Thesen, sogar ohne irgendwelchen Anspruch auf irgendeinen Schein von Verletzung der Vernunft oder der Logik, finden wir, mehr als 150Jahrenach den Paradoxen des Wittenbergschen Gymnasiums, ein Beispiel, jetzt von katholischer Seite. Wir meinen das Buch : Paradoxum controversum de attritione scholastice disputatum, Lovanii in Conventu PP. Augustinianorum die 31. 1) Mehrere Beispiele: A Paradox: that Designe upon Religion was not the cause of State Misgovernment but an effect of it. London, 1M*. — A Paradox usefull for the Times, by Edward Btowne, London, 1642. — Two Remarkable Paradoxes, I. That the World was created m an instant; II. That the world, at the Last Day, shall not intirely be consumed by Fire, London, 1681 (Alle in British Museum). . , , 2) Augustus de Morgan, A Budget of Paradoxes, Repnnted with the Auth. additions, from the „Athenaeum". London, Longmans. Green b Co. 183)2 Herausgegeben von F. H. Martens, Bd. 1, 2, Leipzig, 1801—02, Augusti Anno 1671, hora 9, ante 6 post meridiem. Accesserünt Additiones adversus nuperrimum Minimè Paradoxum. Ex S. Concilio Tridentino & Historia Concilii Hebdomadaria Disputatione in eodem Conventu die & hora consuetis explicandae (Lovanii, Typis Hieronymi Nempaei). ') Und gerade 100 Jahre nach den Wittenbergschen Paradoxa gibt es als „Paradoxa Monetaria" veröffentlichte Thesen, die „sonderbave, jedoch wahrhaffte Schlussrederi" sein wollen, „über das itzige zerrütede Muntzwesen".2) lm ') „Probabilem sententiam quae Contritionem & Attritionem penes in- tensum & remissum tantum distinguit, simul cum Paradoxo propugnavimus " „Quemadmodum, si quis me roget an Fides Christiana sit ad salutem necessaria ? Recte affirmabo. Quid si nolet assentiri Fidem esse necessariam, nisi priüs certö determinem, an necessaria sit Fides explicita, vel implicita incarnationis ? Quid aliud dicturus sum, nisi importunam esse quaestionem, variare Authorum sententias, securiorum viam esse eligendam, Fidem explicitam pro viribus comparandam. Imö non de nihilo addam hujusmodi interrogationes non esse nisi diverticula. Unum etiam est quod ab Adversariis citra diverticula postulem: sitne illud minimè Paradoxum Inquisitionis Hispanicae, prius, an posterius Decreto Alexandri VII?" (§ 7). Die conclusio: „Amphoram expectaverat Adversarius: urceolum responsi vix accepit. Imö ne accepit quidem ex voto meo: non credideram Paradoxum ab Anno propugnatum una cum Thesibus, nunc autem Scholasticè Thesibus disputatum, pro responso accipiendum". — Minime (inquam) Paradoxum, Paradoxo admodum nupero de attritione dissipando (ex S. Consilii etc.), Lovanii, ap. Petr. Sassenum, 1671 (über „contritio" und „attritio"). 2) Paradoxa Monetaria, das ist: Sonderbare/ und dem euserlichen Ansehen nach seltzame vngewohnliche/ jedoch in sich warhaffte Schluszreden. Ober das jtzige Müntzwesen. Ridentem dicere Verum Quid vetat? Im Jahr/1621 (Preuss. Staatsb. in 4° Fh 7210.) Verf. gibt 40 „Paradoxa". Wir geben einige Beispiele (30. jahr. Krieg, Inflation, Armut, u.s.w.). (1) Das heutiges Tages Ehrliche Leute/ wen sie nicht zu Schelmen werden wollen/ nothwendig müssen Schelmen sein/ denn wer nicht wechselt/ muss Panckrottieren. (2) Das die Paracelsisten für ein Mysterium halten/ ausz Kupffer Silber machen/ da es doch alle Müntzer wissen. (3) Das ein Geldtragender Bote zu diesen Zeiten so viel praestiren kan/ als ein Rosz vor 5 Jahren. (4) Das einer der vor 30 Jahren ein Tausent verliehen/ mag mit guten Gewissen 10000 wider fordern/ und wird doch nicht Reicher besonder leidet schaden (5) Das ein armer Wechsler mehr hat/ als ein Reicher Edelman. (6) Das die Müntzer das Gold vff den Kleidern/ die Edelleute Kupffer im Beutel tragen. (7) Das Elisaeus ein schlecht Miracul verrichtet/ dann heutiges Tages das Kupffer ohn einen Propheten vffn Wasser wol schwimmen kan. Jahre 1626 wechselt man ') gegenseitig Paradoxe über das Abendmahl. Im jahre 1702 werden in London gedruckt die „Paradoxes of State, relating to the Present Juncture of Affairs in England and the rest of Europe".2) Und die „Paradoxes politiques" von 4. Febr. 1778 ^(Handschrift) enthalten auch Thesen, „facile(s) a prouver . ) (8) Das die Leute heutiges Tages je Armer werden/je mehr Geld sie bekömmen. (17) Das die allerschlechteste Kramer und Handwercker besser distmguiren können/ inter bonitatem in: & extrinsecaml als die besten Juristen. (20) Das man heutiges Tages keine Zins-Wucherer mehr hndet/ und werden doch die meisten Leute Bettler. (23) Das die Diebe so einen bestelen/ gehencket/ vnd die alle Leute arm machen I privilegievet werden. .... n Paradoxe ancien et véritable, touchant la manducation et breuvage du corps et du sang de N.-S. J.-C. (par Jean Boudrot de La Buissonnière). Pour réponse a un livret intitulé: „Nouveaux Paradoxes enseignes par les ministres d'Alen?on", 1626. L n ■ 2) Chiefly grounded on his Majesty s Princely, Pious, and most Gracious Speech. - London, Printed for Bernard Lintott, at the Middle Temple-gate in Fleetstreet, and sold by ]ohn Nut near Stationers Hall 1702. Es gibt 11 Paradoxes; hier folgen 1—5: , _ ,n (1) That the particular Interests of the Court and Contry, of Prerogatwe and Privilege, of the King and People, may be and at this Time are ac- tually the same. , . ,. .... . , (2) That whatever Names may have bin formerly coin d to distinguish Parties here in England. there is at present neither Whig nor Tory. Wilhamite or Jacobite, not any real Distinction but between those that are in a French. and those that are in an English Interest. (3) That the most inveterat Enemies to civil Liberty, are those who wou d now act the Part of Commonwealthmen; and that the real Promoters of a Popish Hierarchy and Spiritual Tyranny, are such as contend for the Right of Presbyters against the Episcopal and Metropolitical Authonty in the Church. (4) That the Favor and Indulgence of the Present Government towards the Protestant Dissenters (so much envy'd by a certain Party of antiprotestant Churchmen) is so far from being disadventageous to the establisht Church of England. that it is the surest and only Way of regaining all the Dissenters to the National Communion. (5) That the Spirit of those, who, in the present circumstances ot the Nation and of Europe. wou'd declare for Peace and against a War is in Reality a Spirit of Sedition, intestin War, privat Revenge and Cruelty; and tendsdirectlyto such a War, as must and in the Conquest of these Naüons, and in the Establishment of a French Government in England by the Administration of the pretended Prince of Wales, as it is already in Spain bv that of the Duke of Ahjou. , . n 3) Manuscrit 1045 des Mémoires Généraux du Ministere de la Guerre, Paris, dd. 4 février 1778. Aus derselben Zeit also als Diderot s Paradoxe In allen diesen Fallen liegt ein genus von Paradoxen vor, denen jeder Nebengedanke eines Konfliktes mit der Vernunft völlig fremd ist. Man schreibt Paradoxa über „1 église de Saint-Nicolas", und über „1'incertitude, vanité et abus des sciences"; über Monsieur le Prince, Mazarin, das Edikt von Nantes, und über „la langue des calculs". ') Ein Paradox ist „the isolated opinion of one or few".2) Von diesem genus hat Aug. de Morgan ein ganzes „budget angelegt.3) Seine Definition des Begriffs „paradox" wird klar aus der Bemerkung: „I use the word in the old sense: a paradox is something which is apart from general opinion, either in subject-matter, method, or conclusion". Er fügt hinzu: „many of the things brought forward, would now sur le Comêdien, s. unten. „On donne ce titre (parad, politiques) aux réflexions que présente 1 Etat incertain de toute 1'Europe considéré relativement a la rrance . Paradox 1: „Ce royaume se trouve dans la position la plus heureuse oü il se soit vu depuis un siècle." Par. 2: „Dans cette circonstance la mort de 1 Electeur de Bavière va vraisemblablement occasionner une grande guerre en Allemagne. Mon second paradoxe est que eet évenément est heureux pour la France . Par. 3: „Qu'il est a souhaiter que 1'Empereur et Ie roi de Prusse ne puissent s'arranger pour leurs droits mutuels". Das Oanze will eine lückenlose Beweisführung sein für d. Behauptung d. Verf dass die Situation seines Landes sich sehr wohl eignet für einen Krieg geqen Bntannien, weil alle europaischen Machte schwach sind oder in sich uneinig. Hier ist das Wort „paradox ' doch wohl sehr blutleer geworden. ) P. e. suivi de quelques observations sur 1 eglise de Saint-Nicolas, prés de Bourg-en-Bresse, 1749.— P. e. sur 1 incertitude, vanité et abus des sciences, traduit en francois, du latin de Henri Corneille Agr(ippa) 1608.— Les P. es d Etat servant d'entretien aux bons esprits, et faisant voir: 1. qu il fallait absolument que Monseigneur le Prince füt emprisonné paree qu il était innocent; 2. qu'il est nécessaire que Mazarin revienne 1651.— P. es de Condillac, ou reflexions sur la langue des calculs, an XIII—1805.— Les P. es les Palinodies de M. Thiers précédé d'un abrégé de sa vie politique, 1844.— P. es intéressants sur les causes et les effets de la révocation de 1'édit de Nantes; la dépopulation et la repopulation du royaume, 1'intolérance civile et rigoureuse dun gouvernement; pour servir de réponse a la „Lettre d'un patriote (Antoine Court) sur la tolérance avile des protestants en France"avec une dissertation sur la journée de la Saint-Barthélemi, 1758 — 2) De Morgan, p. 23. 3) Titel, u.s.w., siehe S. 44, Note 2). be called crotchets, which is the nearest word we have to old paradox. But there is this difference, that by callmg a thing a cvotchet, we mean to speak lightly of it; which was not the necessary sense of paradox. Thus in the sixteenth century many spoke of the earth s motion as the paradox of Copernicus, who held the ingenuity of that theory in very high esteem, and some, I think, who even inclined towards it".') Als Beispiele dieser paradoxalen „opinions" gibt er u.a.: die Lehre von den Antipoden, des Galilei, Auffassungen von der Zahl n, Aussagen über die „quadraturacirculi", bestimmte Ketzereien, z.B. von Giordano Bruno (de Monade, Numero et Figura .... item de Innumerabilibus, Immenso, et Infigurabili),2) die ethische These ,that the church(man) is not bound to give his whole counsel in all things, and not bound to say what the things are in which he does not give it",3) und dazu noch viele Aussagen über den Magnet und seine Gesetze, die mesures du monde, Kometen, Bacon's novum organum, die Kopernikanische Lehre, eine dissentierende Meinung über Kirche und Staat, die immobilitas terrae, die Philosophenspracne (in Zeichen), die Konjunktion von Saturn und Jupiter ïm Tahre 1682, varia eschatologica, das Gravitationsgesetz, die Lehre der harmonia praestabilita, usw. ) W. K. Stewart ) gibt diese Beispiele: „the simian descent of man, Berkeley s idealism, Rousseau's glorification of primitive man, Kant s doctrine of the subjectivity of time and space, rechner s panpsychism". Als letztes Beispiel dieser Reihe nennen wir noch die i. J. 1707 unter dem Titel Nova Paradoxa er- 1 v 2 2 n 24 nassim; 24; 32, passim; 31, 46, passim; cf. den Vers: „Circuits loquttur! respondet auctor". P. 36; 40, 41. Bruno: ,a vortost before Descartes an optimist before Leibnitz, a Copernican before Galilei , seme „Ketzereien", u. a. : that there are innumerable worlds, that souls migrate, that Moses was a magician and deservedly put to death, 6c., 41. ?) 57-, 61; 65, 87, p—; 76i) 2 A1 s^iy ofpSÏÏdoÏTi^Hibbo. Iou„=l. Oct. 1928 (XXVII, no. 1) p. 3. schienene „Verhandlung von der Seele", usw. ') Und, aus der theologischen Fachliteratur: Th. Burchardi, Paradoxa, ein evangelisches Glaubensbekenntnis in hundert Thesen (Wiesbaden 1888). Der Verf. erwartet „Tadel", daher der Titel. Aber im Vorwort lehnt er das „sacrificio dellinteiletto" (Aufopferung der besseren Einsicht!) ab; seine Paradoxa sind ganz gewohnte dogmatische Thesen. — B. Das scheinbar widerspruchsvolle Paradoxon. In scharfem Gegensatz aber zu der oben erwahnten Gebrauchsart unseres Wortes steht eine zweite; diejenige namlich, bei der „paradox" in der Tat auf die eine oder andere Weise das Element der vom Subjekt aus gesehenen Absurditat in sich schliesst, eine Absurditat, die scheinbar, oder nur dem ersten Eindruck nach, oder wirklich, oder auch nur soweit wir wissen, für unsere Logik unüberwindbar sein kann, aber jedenfalls als Absurditat angesehen wird. Hier scheint dem denkenden oder erkennenden ') Nova Paradoxa, d. i. Verhandlung von der Seele des Menschen der Thiere und der Pflantzen. Darinnen gründlich und vernünfftig gezeiget wird/ wie so gar wenig wahrhafftiges in Philosophia natucali bishero von der Beschaffenheit und Gegenwart der vernünfftigen/ ohncörperlichen und nach dem Maass ihrer Vernunfft würckenden Seele in denen natürlichen haupt Cörpern/ absonderlich in den Menschen/ dann auch in denen Thieren und Pflantzen sey untersuchet und erkannt/ und Wie hingegen die vortreflichsten Verrichtungen/ groben/ ohnmachtigen und unterschiedenen Substantien, wieder die wahren Reguln der gesunden Vernunfft zugeschrieben worden. — Mit Anführung derer grösten und gröbsten Fehler/ welche von einigen Untersuchern derer natürlichen wesentlichen Dinge hierinnen begangen sind. Aus Theologischen, Medicinischm und Philosophischen Gründen ausgeführet. Welcher ersten Behandlung/ künfftig von dieser materie mehrere folgen sollen. — Gedruckt im Jahr Christi 1707. Der Verfasser will zeigen, „dass die Seele nicht materiata sey, aber wohl materialis" (S. 125). Von der „lieben Orthodoxie" weiss er zu sagen, dass sie „(ohne blasphemie zu sagen) öffters eine cpxcSofyix zu werden beginnet". (S. 5.) — Merkwürdiges Beispiel der von uns bezeichneten Art von Paradoxen: a) eine „isolated opinion"; b) Angriff gegen die Mehrheit; c) Behauptung, dass die „communis opinio" „wieder die wahren Reguln der gesunden Vernunfft" sei, das „Paradoxon" hingegen selbst „gründlich und vernünfftig". — Auch: Physische Paradoxen (anonym, ohne J., 1790?); S. VII—IX: „Wahrheit suchen mit Hintansezzung aller Rücksichten auf Autoritat....; diese Steinen des Anstosses"; Verf. will behaupten u. beweisen, S. VII. Schilder 4 Verstand auf seinem Wege ein Alogon, ein Antilogon, ein Widerspruch oder eine Antinomie als Skandalon vorzuliegen. Die Frage jedoch, ob faktisch eine „paradoxe" Behauptung oder These einen inneren Widerspruch enthalt, ob also ihre Wirklichkeit diesem Schein entspricht, kann nicht durch die einfache Konstatierung ihres paradoxen Charakters abgetan werden, sondern muss durch logischwissenschaftliche Prüfung, oder in quasi-wissenschaftlicher Auseinandersetzung, wie z. B. in dem spasshaften Paradoxon von lebendigen Steinen, ') erörtert werden. ') Paradoxon von lebendigen Steinen/ Denen anwesenden Lindinnen bey der Franckenstein- und Müllerischen Braut-Suppen ex tempore vorgetragen (17. Jahrhundert; Preussische Staatsbibliothek. Scherzhafte HochzeitsGratulationen, 17. Jahrh. 4° Yz 1761, no. 31). Ein typisches Zitat: „Ich ziele auff die edlen und unedlen Steine/ so in der Schohs der Erden gezeuget werden. Dieselbe haltet ihr vor unbelebt/ Mir aber ist es eine warhafftige Lügen/ — (S. 2. a). — — — Erstlich soll mir dieses zum Grunde dienen/ dass alles/ was innerlich/ weit besser und herrlicher ist/ als das jene/ was euserlich ist [Nuss besser als Schale, Baumkern besser als Rinde, usw.]. Also folget unfehlbar/ dass die Steine in der Erden viel Edler seyn/ als Krauter und Baume/ welche nicht anders sind als Geschleuer/ so auff dem Rücken der Erden herausbrechen. Denn diese entstehen von überflüssigen und unreinen Feuchtigkeiten/ da hingegen die Steine/ sonderlich die Edlen/ so in tieffer Erde enthalten/ aus reinen Safften/ ja aus der qvinta essentia der Erden gezeuget werden Folget also weiter/ dass denen Steinen vielmehr als Krautern und Baumen eine wachsthumliche Seele zuzuschreiben sey Und lieber/ wo können doch solche wunder- und herrliche Wirckungen anders her entstehen/ als von einer Seele 1 ... . Und wer kann doch die Sympathiam & Antipathiam .... ohne Seele/ ohne Leben ihm einbilden ? Der Magnet hat eine solche Neigung zum Eisen/ als der Epheu zum Baumen/ die Allster zum Fuchse/ ja als die Jungfern zum Studenten-bübgen Aller- dings nehmen auch die Steine Nahrung zu sich/ gleich wie ihr thut bey dieser Brautsuppen/ und zwar so lange sie in ihrem Geburt-orte gelassen werden. [Pori, Adem bei Marmor usw.] .... Ihr, meine Huldinnen .... ich halte gantzlich davor/ dass ihr aus Steinen zusammen gesetztet seyd. Der erste Mensch wurde aus einem Erden-kloss erschaffen. Nun ist keine Erde ohne steinigter Materia. Ist also das Fleisch von weichem Theil der Erden/ das Gebein von Steinen gemacht worden. Vom Gebein aber ist die erste Weibes-person erbauet worden. Könnet ihr also auch mit Recht steinerne Kinder genennet werden/ als die ihr von der Eva alle entsprungen seyd. — Gestern Abend/ als die keusche Areta/ die ihr an diesem Tisch sitzen sehet/ zur Nacht-Ruhe begeben/ hat sich plötzlich ein grosser STEIN zu ihr ins Bette geweltzet sie [hat] sich entschlossen/ diesen Stein lebens- Bemerkenswert ist für unseren Zweck, namentlich, wenn man die gegenwartige Verwendung des Wortes „paradox" verfolgt, die Streitschrift des Utrechtschen Professors Joh. Hoornbeek, der den bekannten Spiritualisten Valentin Weigel bekampft: „De Pa.vad.oxis et Heterodoxis Weigelianis Commentarius, ubi & de Schwenckfeldo aliisque similis indolis, Auctore Joh. Hoornbeek" (Ultrajecti, ap. Joannem a Waesberge, 1641.) Nicht nur Weigel, sondern auch Schwenckfeld, verschiedene fratres Roseae Crucis, Paracelsus, David George, werden hier besprochen und scharf kritisiert. Weigel ist ein „nugator , „qui avida novorum ingenia paradoxis in Theologia dogmatibus & libellis circumduxerit." Hoornbeek spürt bei ihm und seinen Nachfolgern einen animus, „qui dum communia fastidit, nova vult, eaque quando in re non assequitur, in verbis saltem quaevit, & familiam de suo nomine novam; quia ducere, non duci cupit . ) Weigel kann „ad paradoxa & putida impotentis cerebri somnia divulganda atque extollenda datus videri" (fol. 1)» Denn seine „dogmata kann man richtiger („potius") „paradoxa singularia nennen (fol. 19). So werden von Hoornbeek die bekannten Thesen Weigels als Paradoxa qualifiziert und geprüft; dass sie paradox sind genügt nicht, sie zu verwerfen, sondern dass sie bei richtiger Prüfung logisch unhaltbar sind. Und so werden 5 Weigelsche „dogmata , die den orthodoxen calvinistischen Hoornbeek allzu paradox anmuten, nach sorgfaltiger Prüfung als absurd abgelehnt. Paradoxum primum, de principio & origine omnis cognitionis & scientiae in homine; paradoxum secundum, de hominis astrologia, ejusque renunciatione; paradoxum tertium, de cognitionis ratione, &forma; paradoxum quartum, de regula cognitionis, nimirum de Combinatione contradic- lang an dem Halse zu tragen/ weil er besonders die Krafft hat von allen »TFRANCKENS™%e„"m?S. FRANCK 2" " t_tDedicatio, p. 1, 2, 3. Vgl. £. d. ganzen Gedankenzusammenhang: Hoornbeek, Summa Controversiarum Religionis, ed. sec., Francof. ad Viadrum, 1697, p. 428, sqq., 431, sqq. toviorum(!), paradoxum quintum, de saeculo Spiritus Sancti. Die Themata sind alle bekannt aus der Reformationsgeschichte; für die Untersuchung des Inhaltes des Wortes „paradox" in dieser Zeitperiode (und auch für unsere Gegenwart, wie nebenbei bemerkt sei) ist es bezeichnend, dass die These „de combinatione contradictoriorum als paradox empfunden, und nachher als logisch absurd aufs scharfste zurückgewiesen wird. Doch das Wort „paradox entha t nut die Behauptung, aber diese auch ganz bestimmt dass der Verstand bei erster Berührung mit dem paradoxen Gedankeninhalt nicht sofort damit einig werden kann, und dies sich selbst auch eingestehen muss. Diese „neue Wendung" in der Geschichte der Verwendung unseres Begriffs ware nach De Morgan im 17. Jahrhundert aufgekommen. „In the seventeenth century the depravation of meaning took place, in England at least. Phillips says paradox is 'a thing which seemeth strange — here is the old meaning: after a colon, he proceeds -'and absurd, and is contrary to common opinion, which is an addition due to his own time".') De Morgan konstatiert also in der zuletzt angeführten Gebrauchsart (Paradox als dem Anschein nach absurd) eine Abweichung von der klassischen Verwendung des Begriffs. Recht hat er damit in den Fallen, in denen eine zweifelsohne als Absurditat festgestellte Meinung dennoch paradoxal genannt wird; haben wir doch gesehen, dass das Paradoxon wohl bei den Klassikern ofters eine Bezeichnung für das noch immer unentschiedene Problem ist, dass aber, ist das Problem entschieden, dann bei den Klassikern der Satz, der das Resultat dieser Entscheidung enthalt, sachlich das Recht auf die Qualifikation als paradox immer verloren hat. Unrecht aber hat De Morgan mit seiner Behauptung, falls die Benennung „paradox" nichts andeces als eine nut mögliche, vielleicht sogar gefürchtete Absurditat dem Inhalt des Paradoxon zumutet. In diesem letzten Fall w ») De Morgan, p. 2. keine Abweichung von der klassischen Redeart vorgefunden.') Paradoxa dieser zweiten Art nun werden von Eisler2) definiert als „Urteile, die in schlussfolgender Verknüpfung scheinbar unabweislich und gleich folgerichtig zu einander ausschliessenden und so widerspruchsvollen Ergebnissen rühren". Es ist kein Wunder, dass gerade die Mathematik und die anverwandten Wissenschaften auf solche Paradoxien und Paradoxa gestossen sind, und dass schon der Jesuit Marius Bettinus 3) in seinem grossen Werke „Apiaria vniversae Philosophiae Mathematicae, in quibus Paradoxa et noua pleraque Machinamenta ad vsus eximios traducta .... a Coll. Tridentino Soc. Iesu dicata, Bononiae, 1642", sich bemüht, die „Eurycemi paucula quaedam apud Pappum paradoxa , „eaque in solis Geometricis", jetzt zu einer unübersehbaren Menge auszuarbeiten: „hic tibi, lector, in omni Mathematicarum scientiarum genere si quid inopinati, aut admirandi prae vulgatis est, exponitur" (Lectori, c3b). Gerade die Mathematik muss auf das Paradoxon immer stossen, und zwar schon aus rein logischen Gründen. Ist doch das Paradoxon immer (sei es in blutigem Ernst, oder in einem koketten und „eleganten" Denkspiel) als logische Schwierigkeit anerkannt, als ein mögliches Skandalon, das entweder zur jixwoiq ohne weiteres, oder zur jixwoiq xai dvaozaoig dem irrenden Verstand vor den Füssen liegt. Und hat nicht geradezu die Mathematik immer mit der Logik sich aufs ') ,Daru® hat er auch kein Recht, wenn er sagt: The counterpart of paradox, the isolated opinion of one or few, is the general opinion, held i teSt: ,and the counterpart of false and absurd paradox is what is called the „vulgar error', the „pseudodox"; wonach er verweist auf 1 nomas Browne, Pseudodoxia Epidemica, p. 23. 2) Wtbch. d. phil. Begr., II, 4e Aufl. S. 375. 3) Seine Auffassung d. P. ist schon klar aus d. Texte. Er sucht Paradoxa „praesertim m Geometria speculatiua. Quamquam quid in scientiis Mathematicis, etiam vulgatissimum, non admirandum, & paradoxum est ?" (Lectori c3b). Aus dem ganzen Bereich v. Math. Geographie, Astrologie. dórum" (VmW60) M "parad°XOrum in9entem copiam" (c4a), auch „iucun- engste berührt, sogar in dem Masse, dass die Grenzen zwischen beiden Disziplinen oft verwischt sind ? Der wiederholte Versuch, die Philosophie (die Logik) nicht nur „more geometrico" denken, sondern auch schreiben zu lassen, wenn er selbst auch ein Paradoxon genannt worden ïst, ) ïst doch ein sinnvolles und sprechendes Testimonium fur die Affinitat der Methode beider Disziplinen. Und so spricht es für sich, dass die Mathematik und überhaupt die RaumZeitlehre das Paradoxon kennt in jeder Erscheinungsart, von der Form des tiefsten Problems an (Paradoxien der Unendlichkeit, Mengenlehre) bis zur Form der galanten Neckerei hinab (das Schachbrett, das nicht nur 64, sondern auch 65 Felder hat, eine „hübsche Schüleraufgabe ). ) bo sind bekannt geworden: das Galileische Paradox ), das Paradoxon der Winkelvergleichung4), das Paradoxon der endlichen Beziehung5), das Paradoxon elementare ), das ') De Morgan, p. 70, in Bezug auf John Wilkins An «say towards a real character and a philosophical language. London.1668. Vgl. Kap. 11, § t. 2) O. Schlömilch, Ein geometrisches Paradoxon. Kleinere Mitlheilungen. Zeitschr f Mathematik u. Physik, (herausg. v. O. Schlömilch, E. Kahl, M. Cantor) XIII, 162. Leipzig. Teubner, 1868 : „Um ad ociüos ^ dem°n® r ' ren dass das Schachbrett nicht nur 64, sondern auch 65 Felder besitzt, sch'neide man dasselbe aus starkem Papier, zerlege es... . in vier, zu je , StiirWe ABC D, und setze diese zu einem Rechtecke Eraf'- va üt süïïr °Au[- riM' T¥! T K/SSi no 1705) • . . • par cette occasion ie donne aussi la solution du Faradox^ 3° GÏlS: moJvmt comme il est possibl., q« u» «9*1 a «;a Circomference, c est a dire rien a 1 Infini. (cf. p. 13D/0). In Brieft no l728 schreibt Huygens in seiner Antwort, u^a.: ce que vous dites contre le mouvement Circulaire c'est a dire de la tendence du centre, °«P aBtAbh»Sto90® der^Friès'schen Schule. Neue Fol9e.ber.us9. v. oe!b.ci,»|i KSr». sstrjsvsi toSÏ"GmmW. d. Mengenlebre, 2. Berich. über d»s Unendlicbe .906.S.621,». 6) id. les Heft, S. 166, ff. Paradoxon ultrafinite '), das Russelsche Paradox2), die Paradoxie der Menge 3), das Paradoxon der Winkelflachen 4), das Paradoxon von Burali-Forti5), das Paradoxon von den bestimmenden Curvenpunkten6), das Kreisparadox, das Uhrenparadox '), das geometrische Paradox bei Leonardo da Vinei8), das geometrische Paradox des Schachbretts9), Bolzanos Paradoxien der UnendlichkeitI0), das Paradoxon ') id. Illes Heft, S. 627, ff. Cf. seine Relation zur Paradoxie der Menge aller Ordnungszahlen, 1. 1. S. 482. Auch Julius König, Neue Grundlagen der Logik, Arithmetik u Mengenlehre, Leipzig, Veit & Co., 1914, S. 254, ff. 2) Abhandl. d. Fries'schen Schule, Illes Heft, S. 629, König, Neue Grundl., 41, sqq. Hier Kap. III, § 3. 3) Wilhelm Burkamp, Die Struktur der Ganzheiten, Berlin, Junker Ö Dünnhaupt, 1929, S. 5, 22/3, 28 sqq.; König, S. 39 ff.; Ziehen, Das Verh. d. Log. zur M. lehre, 1917, S. 43, ff; Heinr. Rickert, Das Eine, die Einheit und die Eins, 2e Aufl. Tübingen, Mohr (Heidelb. Abhandl.) 1924, S. 89, 76. 4) Hessenberg, Grundbegr. d. Mengenlehre, 2. Bericht, Ueber das Unendl. i. d. Math. S. 48. 5) H. Bergmann, Das Unendliche und die Zeit, Halle, Niemeyer. 6) Moritz Cantor, Vorlesungen über Gesch. d. Mathematik, III, 2e Aufl. 1901, S. 444 (über Colin Maclaurin, 1698—1746). 7) Hans Reichenbach, Phil. der Raum-Zeitlehre, Berlin-Leipzig, Walter de Gruyter & Co., 1928, S. 222, sqq; 301. 8) „Paradoxe géométrique; Si 1'angle est le contact de 2 lignes, les lignes étant terminées en point, d'infinies lignes peuvent commencer a ce point, et en sens inverse d'infinies lignes peuvent se terminer ensemble en ce point: donc le point peut être commun au commencement et a la fin d'innombrables lignes. — lei ce semble une étrange affaire (e cqui pare strana facciende) que le triangle étant avec son 1'angle, opposé a la base terminé en point, on puisse des extrémités de la base partager le triangle en partes infinies; et il paraït ici que le point étant terme commun de toutes les divisions dites, le point aussi bien que le triangle soit divisible a 1'infini". Also die französische Uebersetzung aus dem Italienischen von Folio 87 verso aus Ms M von : Les Manu- scrits de Léonard de Vinei, Manuscrits G, L & M de la Bibliothèque de 1'Institut, par M. Charles Ravaisson-Mollien, Paris, Maison Quantin, 1890. Cf. a. W. (Ms. K, Paris, 1888, folio 62 (14) verso) Force, Poids et Nombre Paradoxes. 9) Cf. S. 54, Note 2. 10) Dr. Bemard Bolzanos Paradoxien des v Unendlichen, herausgeg. aus dem schriftl. Nachlasse d. Verf., von Fr. Prihonsky, Leipzio, Reclam sen., 1851. von Ferguson1), die Paradoxie von J. Wallis, von A. Arnauld, des Konvergenzbereiches einer Reihenentwicklung, der Dichtigkeit rationaler Punktefolgen, ) das Eulersche (Euler-Cramersche) Paradox, das Paradox von Clairaut3), usw. Es ist für unser jetziges Ziel kein Bedürfnis im gegenwartigen Stadium unserer Untersuchung den Grundfragen nachzuspüren, um die es sich hier handelt. Nur zwei Punkte sind hier anzumerken: a) In allen diesen soeben erwahnten Paradoxen stösst der Verstand auf einen nicht sofort zu beseitigenden Widerspruch von zwei Gedanken oder Gedankenreihen und ergibt sich infolgedessen eine Aporie des Denkens. So sei z.B. hingewiesen auf das Paradoxon der Winkclflachen» Wenn in der nebenstehenden Figur QO // SR lauft, dann „muss L SRP = L QOP sein, kraft der Parallelie von QO und SR, und dennoch „muss" L SRP kleiner sein alsZ_ QOP, weil L SRP ein „Teil" ist von dem „Ganzen", das wir L QOP nennen.4) Oder denken wir an „die Paradoxie der endlichen Beziehung' ; die Menge der Irrationalzahlen ist abzahlbar und nicht abzahlbar.5) Oder an das Uhrenparadox: Eine Uhr sollte nach Berechnung nachgehen gegen eine andere, es lasst sich aber der Vorgang 1) Lindner in Luegers Lexikon der gesamten Technik u. ihrer Hilfswissenschaften. 3e Aufl.. V, Deutsche Verlags-Anst., Stuttgart. Berl. u. Leipzig, 1928, S. 383. _ i j iooa o ^4 41 2) W. Dieck, Der Widerspruch im Richtigen, Sterkrade, 1926, b. Ji, 11, 63. 111: auch Julius König, u.s.w. , 3) Cantor, Vorl. u.s.w., III. 2e Aufl., 1901, S. 826. Cf. J. F. Montucla, Hist. des Mathém. T. III (achevé p. Jér. de la Lande), Paris. H. Agasse (An X = 1802), p. 180, 181 (par. dans le calcul integral, rem. p. Clairaut, El?)er'Hessenberg, in Abh. d. Fr. Sch. (cf. S. 54, Note 4), III, 487/8. 5) ld., III, 621. auch umgekehrt auffassen. ') Oder an das „Paradoxon von den bestimmenden Curvenpunkten": Neun .Punkte bestimmen eine Curve 3. Grades und bestimmen sie auch nicht.2) Oder an das Euler-Cramersche Paradoxon: Zwei Curven 3. Grades schneiden einander in neun Punkten, gehen also beide durch diese neun Punkte hindurch, wahrend doch neun Punkte eine kubische Curve bestimmen sollen, ein Paradoxon, „welches bei Curven v ten Grades noch scharfer hervortreten" wird, „sobald v (v * 3) < v * sci» 3^ Und um auch aus der Kinematik ein Beispiel zu nennen: Das Paradoxon von Ferguson enthalt dies: „Drei scheinbar gleiche Umlaufrader haben um je 1 abgestufte Zahnezahlen, so dass ihre Zeiger verschieden laufen, wahrend der mittelste, wegen gleicher Zahnezahl mit einem feststehenden Rade sich stets parallel bleibt, wenn man einen Arm (O) um einen Fuss (F) schwenkt .4) Von dem nur als Schüleraufgabe gemeinten Schachbrett-Paradoxon können wir hier ganz schweigen. b) Zugleich aber ist in der Mathematik und anverwandten Disziplinen (auch in der Mechanik) ein energischer Drang vorhanden, ihre Paradoxien von einem logischen Widerspruch zu entlasten. Die Ueberzeugung ist in ihr lebendig, dass ihre Paradoxa eine endgültig festzustellende Absurditeit nicht aufweisen können. Vielmehr wird ein Fehler angenommen, eine Lücke in der Beweisführung. Paradoxien „lassen die Gedanken vor Beseitigung derselben nicht mehr zu Ruhe kommen." 5) Auch Bettinus versucht immer, seine Paradoxa zu „solvere". In wissenschaftlicher Hinsicht hat hier auch für unsere Untersuchung grosse Bedeutung das Werk: De paradoxis ') H. Reichenbach, a.a.O., S. 223. 2) Cantor, III, 2e Aufl. 1901, S. 444. 3) Cantor, III, 826. 4) Lindner, a.a.O. (cf. S. 56, Note 1). 5) E. Mack, Erkenntnis und Irrtum, Skizzen zur Psych. d iipzig, Barth, 1905, S. 260. virium agentium in ratione quavis distantiarum a dato puncto in medio non resistente dissertatio habita in Coll. Braidensi S. J. (Mediolani 1773, apud Joseph. Galeatium Regium Typographum, superiorum permissu). DerVerfasser geht von der These aus, dass zwischen Mathematik und Mechanik keine wesentlichen logischen Widersprüche sein können; wenn sie dem Anschein nach irgendwo auftauchen, muss man sie zu beseitigen wissen. „Calculum vera dicere, & eorum rationes, quae ad repraesentandum proponuntur, ita reddere, ut sunt, nemo est qui dubitet; cum autem ad Mechanicam adhibetur, sui mox dissimilem videri, 6 undequaque paradoxa in unum convehere, ii norunt maxime qui in Physicis uti calculo consuevere. Haec intuentes nonnulli, quorum sane magna est auctoritas, calculum accusant: absolvunt alii: atque ita fit, ut res in medio relinquatur (S. 3). Aber hier wird man die „paradoxa, quae innuuntur" (S. 4, Note) nicht „in medio relinquere". Es handelt sich in § III (S. 20. sqq.): de paradoxis, quae contineri videntur in formula _ + (a ± s) m + a m v2 = 2 — ~ m Dieser § III fangt dann also an : „Pervulgata omnino sunt paradoxa, quae praestiturum creditur mobile attractum in centrum vi in ratione quavis inversa distantiarum. Ex iis enim in calculum criminationes ortae, quae tantopere agitatae sunt. Quid porro ea sint, hic enim vero perquirendum". Er versucht klar zu machen, „unde Euleriana ducantur paradoxa" (S. 26), und fragt (S. 27): „ At num geminae Euleri suppositiones supra expositae consistere simul Pos~ sunt? Id quidem minime fieri posse mihi videor ostendisse (22)". Von einem „Widerspruch im Richtigen", wie ihn spater Dr. W. Dieck seine „mathematische Kritik der geitenden Logik" (1926) beweisen lassen will, darf also hier keine Rede sein, meint der Verfasser, obwohl die Zeitlage auch damals von „paradoxorum libido" zu reden verstand (S. 22, Note, cf. 23/4, Note). Deshalb lautet auch die Konklusion von § III: „Quare si haec sunt, quibus accu- satur calculus, nihil est cur ille sui dissimilis interdum videatur. Sui dissimilis profecto habendus esset, si paradoxa sponte occuleret, quae per suppositiones sunt invecta". Und in ahnlicher Weise werden auch „paradoxa reliqua" beseitigt: „dissoluta sunt, aut sponte, quin singillatim excutiantur, ex dictis ibidem dilabuntur". ') „Paradoxis satisfacere", — das will freilich die Mathematik in der hier in Betracht kommenden Zeitperiode immer. So bemerkt zu dem oben angeführten Fall der L L SRP und QOP Hessenberg, dass die gesuchte Paradoxie auf Grund seiner Ausführungen von dem Verdacht eines logischen Widerspruchs freigesprochen werden muss.2) Und auch was die sog. Paradoxie der endlichen Beziehung anlangt, weist Hessenberg den Fehlschluss und seine unzutreffende Begründung auf.3) Desgleichen bemüht sich Hans Reichenbach dem Uhrenparadox das Recht abzusprechen einen Einwand zu bilden gegen die relativistische Uhrentheorie und beruft sich dafür auf einen in die Berechnung eingeschlichenen Fehler.4) In ahnlicher Weise werden die übrigen von uns erwahnten Paradoxa abgehandelt. Und der grosse Logiker Bolzano selbst spricht wohl von denjenigen mathematischen Paradoxien, die „unsere grösste Beachtung verdienen, weil die Entscheidung hochwichtiger Fragen in mancher anderen Wissenschaft, wie in der Metaphysik und Physik, von einer befriedigenden Widerlegung ihres Scheinwiderspruches abhangt,' aber um so energischer bemüht er sich, „den Schein des Widerspruches.... als das, was er ist, als einen blossen Schein erkennen" zu lassen.5) Wir sehen ') S. 27 wird Daviet de Foncenex genannt, der „aliter Eulerianis satisfacere paradoxis aggressus est". Der Schluss, S. 61, lautet: „Cum calculo paradoxa, cum phaenomenis gravitatis conciliata etiam vis in ratione reciproca & duplicata distantiarum. Quae itaque mihi proposueram, iis videor satisfecisse". 2) Hessenberg, a.a. O., Heft III, 500 (nachdem er andere Versuche, den Widerspruch zu beseitigen, abgelehnt hat, S. 448/9). 3) a.a. O., 621. 4) Reichenbach, cf. S. 55, Note 7. 5) Bolzano-Prihonsky, S. 1. sogar den Begriff des Paradox, nachdem er eben in der Mathematik wieder starker ausgepragt worden war, als in den sonst üblichen Sprachgebieten, schon wieder einigermassen verblassen, sobald Bolzano, vom streng mathematischen Gebiet zur allgemein wissenschaftlichen Region übergehend, seine Paradoxa in folgender Weise bezeichnet: Paradoxa in der Rechnung des Unendlichen, im Begriffe der Zeit, in der Lehre vom Raum, auf dem Gebiete der Physik und Metaphysik und das grosse Paradoxon von der Verbindung zwischen den geistigen und materiellen Substanzen.') „Ein Widerspruch", sagt er, „wird nur erst dann angenommen, wenn man es .... sich unrichtig vorstellt" ; was widerspruchsvoll erscheint, „wird durch den Verstand erkannt, und erkannt als etwas, das nothwendig so und nicht anders sein kann".2) ANHANG. Ganz so, wie De Morgan ein „budget" hat angelegt von Paradoxa der Klasse A, so hat Joannes Fabricius es getan von Paradoxa der Klasse B, namlich in „Centuria Paradoxorum Theologicorum .... pvblicae disquisitioni exposita" (Jenae, Lit. Joh. Dav. Wertheri, 6 Sept. 1690). Der Verf. will durchaus nicht den Anschein erwecken von „ea, quae in se & revera absurda sunt, aut phrases & locutiones in orthodoxis Ecclesiis non receptas proponere ac defendere" (4). Nein, der Leser „potius in memoriam sibi revocet, alia esse, alia videri absurda, neque vel 'évSsï-x veritatem, vel TxpxSo^/x falsitatem absolute in se continere, sed posse.... aliquid hominum opinionibus esse repugnans seu absurdum, ut tarnen sit verum (5). In den in seinem Buch angeführten paradoxen Thesen wird der Leser sehen „alteram propositionis partem alteri non directe, sed indirecte tantum opponi" (5). Seine Paradoxa hat er von verschiedenen Autoren zusammengesucht; übrigens ist er mit Chemnitz einverstanden, wenn er sagt: „quando mediocriter declaratae sunt causae de modis loquendi, non amemus absurditates & paradoxa" (7). Er zitiert dann Musaeus, Bajerus, Rauppius, und sehr viel andere. — Beispiele: Theologia est habitus S-eoo-Soróc, & non est (1) (post lapsum, ante lapsum). Eadem est scientia, & non est (2) (natura sua tendit ad docendum, etc.; dennoch in ihr mysteria). Mysteria a nobis sciuntur, & nesciuntur (3). Res Dei sunt obscurae, res Scripturae sunt perspicuae (4). Deus potest, & non potest definiri (8), depingi (9). Solus Deus, 6 non solus Deus est bonus (10), Deus ubique est, & nusquam (11), Deus novit suc- ') Bolzano-Prih., S. 44, 72—76, 79, 108, 116. 2) S. 74. cessiva, sed non successive (13). Mundus est factus in tempore, & non est factus in tempore (18) (non ab aeterno, — una cum tempore). Diabolus potest facere miracula, & non potest (26). Infantes baptizati credunt, & non credunt (59). Liberum arbitrium per lapsum est amissum, & non est amissum (64). Missa est, & non est sacrificium (88). Numerus praedestinatorum est certus, & non certus (92) (respectu Dei, — quoad homines). C. Sonstiges. Haben wir also zwei einander entgegengesetzte Auffassungen unseres Wortes gefunden, so sind weitere Ausführungen überfliissig. Die sonstige Anwendung des Wortes „Paradox" bewegt sich ja doch zwischen diesen beiden Polen. a) Zunachst z.B. die Wissenschaft im allgemeinen. Die Naturwissenschaft kennt die Paradoxien der Warmelehre oder die „Descartes-Leibniz'sche Paradoxie", ') oder das hydrostatische Paradox: „the principle that any quantity of a perfect liquid, however small, may be made to balance any quantity (or any weight), however great".2) Die physiologische Psychologie kennt „paradoxe Kalteempfindungen",3) und Fechners sog. „paradoxen Versuch".4) Die Neurologie erwahnt paradoxe Innervation der Antagonisten, paradoxen Patellarreflex.5) Die Chirurgie spricht von Paradoxskoliose 6) usw. Die Zoologie hat etliche Tierarten benannt unter Zuhilfenahme des Wortes „paradox". ') E. Mack, a. W„ S. 174, 193, 260/1. 2) James A. H. Murray, A New English Dict., on historical principles, V, Oxford, Clarendon Press, s. v. hydrostatic. P. Queisser, Denkfrage z. hydr. P., Zeits. f. d. phys. u. chem. Unt. XXXV, XXXII, 95. 3) Kalteempf. durch Reizung m. warmen Metallspitzen v. 50—600 C. Th. Ziehen, Leitf. d. phys. Psych., 11. Aufl. Jena, 1920, S. 96; M. v. d Frey, Sitz. Ber. d. sachs. Ges. d. W., 1895, S. 172. 4) Blickt man m. d. einem Auge frei i. d. Himmel, wahrend das andere geschl. ist, u. bringt man vor dieses ein graues Glas, so wird, sobald sich das geschl. Auge öffnet, das gemeinsame Gesichtsfeld verdunkelt. Das Grau d. Gl. verd. also mehr als das vorangehende Schw. bei geschl. Auge, Wilh. Wundt, Grundz. d. physiol. Psych., 6. Aufl. II, Leipzig, 1910, 677. 5) M. Lewandowsky, Handb. d. Neurol., Erganzungsb., hrsg. v. D. Bumke & O. Foerster, II, Berlin, 1929, S. 1161, 1221. 6) F. Sauerbruch, Die Chirurgie d. Brustorgane, I, Die Erkr. d. Lunqe, Berlin, 1920, S. 803. a So finden wir: die Paradoxides, „a genus of large trilobites ') of Middle CambrienAge" (tril., d. h. ein fossiles Krustentier), den Paradoxurus 2) {naqddo^oq -(- ovqo) („a palmcat usw. „with remarkable long curving tail"); weiter sind bekannt^ paradoxurine, paradoxodon, paradoxides (nagadofr? + eïöog) bohemicus, ornithorhynchus paradoxus usw.3) Ebenso die Medizin, die Chirurgie, die Biologie: das paradoxe Fussphanomen, (wobei durch plötzliche starke Dorsalflexion des Fusses der passiv verkürzte musculus tibialis anterior in tonische Kontraktion gerat, sodass der Fuss langere Zeit dorsalflektiert bleibt),") die paradoxale Zuckung 5), die paradoxale Zwerchfellkontraktion 6), die gekreuzte oder paradoxe Embolie7), pulsus paradoxus8), das Paradoxon der Venus Urania,9) die <) Murray, s. v.: cf. St. Meunier, Dict. de Géologie, Paris, Dunod, 1926, p. 487. 2) Murray, s. v.; cf. Muret-Sanders, Enzykl. Wtbch. d. engl. u. deutschen Sprache, s. v. (Grosse Ausg.) Berlin, Langenscheidtsche Verlags- buchhandlung, I, 2e Halfte. , . r«r *7 u 3) Muret-Sanders, s. v.; — K. A. Zittel, Palaeozoologie, IV, Vertebrata, Mammalia, München-Leipzig, Oldenbourg, 1891-93, S. 586; — Bresslau u. Ziegler, Zoolog. Wtbch., 3e Aufl. s. v. Sehr breit: Enciclopedia Universal ilustrada Europeo-Americana, Barcelona, Tomo XLI, s. v. 4) Walter Guttmann, Medizinische Terminologie, 21. 22. AuH., BerlinWien, Urban 6 Schwarzenburg, 1927, s. v. 5) Reizt man beim Frosche einen der beiden Aeste so zucken aucn die vom anderen versorgten Muskeln, weil dieselbe durch Ströme, bzw. die nea. Schwankung gereizt wird, Guttmann, s. v. 6) Bewegung d. Zw. inspiratorisch nach oben, exspiratorisch nacn unten, Guttmann. , . „ , v- 7) Embolie, aus Körpervenen u. rechtem Herzen ins linke, u. aus Kor- perarterien oder linkem Herzen ins rechte. H. Guttmann, s. v. Embolie; Allbutt's Syst. Med. VI, 231, cf. Murray, s.v. Cf. Max Wittig, in Ztsch. f. Kreislaufforschung, ]hrg. 19 (auch Diss. Marburg, 1927). 8) Einzelne Schlage bei Einatmung kleiner, bei Ausatmung grosser, rlerz- aktion gleich, Guttmann, s. v. Pulsus. T . , r . 9) Das Paradoxon der Venus Urania, geschr. fur Aerzte, Juristen, Ceistliche und Erzieher, dann f. d. Freunde d. Anthropologie u. Psych., Wurzbuia, A. Stuber, 1869. Das Motto erklart die Verwendung d. W. „paradox : (Promotheus) semisomno corde et errore ebrio adplicuit virginale generi masculo, et masculina membra adplicuit feminis; ita nunc libido pravo iruitur gaudio (Fab. Phaedri IV, 14). Ueber die Paderastie, u.s.w. S. 5, sqq.: ,so erschien dem Heidenthum jene Neigung ... . wunderbar, in ihren Motiven dem gewöhnlichen Menschenverstande so unfassbar^ dass man zur Erkl. e. solches Rathsels die Einwirkung emer ubern. Gewalt heranzog .... und so musste es die Rache d. Venus Urania den tempel- paradoxia sexualis '), und paradoxale Taubheit2). Auch die voluntas invita sive paradoxa (freie Handlungen bei innerem Widerstreben, Handeln mit Willen und zugleich wider Willen), die paradoxen Symptome („Verbindungen solcher Einzelerscheinungen, welche nach den ontologischen Ansichten der dogmatischen Medicin sich wechselsweise ausschliessende Gegensatze darbieten"): Paradoxie des Nervensystems (anaesthesia dolorosa, paralysis agitans, Katalepsie — Wachsein des Gehirns, ekstatische Traume, gelahmter Wille — der Alp — Wachsein des Bewusstseins, der Sinne und des Muskelgeruhls bei Unfahigkeit zur Muskelbewegung), Paradoxie des Kreislaufs (Widerspruch des Pulses gegen den Herzschlag), paradoxe Fiebererscheinungen (Durstlosigkeit bei ürrer Zunge usw.), Paradoxien der vegetativen Funktionen z.tf. ischuria paradoxa (fortwahrendes unwillkürliches Harntraureln bei fortwahrendem Ueberfülltbleiben der Blasé), Paradoxie des Krankheitsverlaufes (anfangs andere allgemeine Charaktere von Krankheiten als spater), Paradoxie im Heilversuche, Paradoxien der ursachlichen Einwirkungen (z.B. rlitze und Kalte bringen oft gleiche Wirkung hervor, usw.).3) — Auch die Navigationslehre ist zu nennen mit ihrem „paradoxal sailing („sailing on the spiral a ship would describe i she continued sailing round the world on any course except east and west, or north and south"; es gibt „3 kindes of Sailing Horizontal, Paradoxall, and Sayling vpon a great Circle . ) Erwahnt sei schliesslich noch „the pa- schanderxschen Skythen angethan haben, dass bei ihnen der Pathicismus .f0- A 'l' • • " sic^ zu vererben schien." ) Auftreten d. libido im Kindesalter u. im höh. Greisenalter. Alb Eulen- »n1„«e18®"xx9I?'3™ k"ndew3t ^ U,ba» 6 Sc£- Tp9: n • jXn' 390/1- — Wil. Schmitt, Ueber einen auf Chir Weae ^ Murrav^VrigO? U?iSS' ^ l&%)' München' Gebr. Pareus. th~ J ' 9°?' P' 451' a' the Patient ^ deaf to words uttered in 'he «lence of a room. but not in a noisy street). HanrJlnS£P • Adalb"t. Kn°P. Die Paradoxie des Willens, oder das freiw r dein bei innerem Widerstreben, Leipzig, Louis Pernitzsch, 1863, S. 11 26/7 <) Murray, s. v. - Von den „3 kinds" redet der Titel v. T. Davis The Sea-mans Secrets wherein is taught the 3 kinds, etc. radoxology of poisoning".') In allen den eben erwahnten Fallen bedeutet „paradox" nur: verwunderlich, exceptionell, phantastisch, eine Bezeichnung, die auch das Neugriechische aufweist.2) Vernunf tkonflikte oder Widerspruche zu der „anschaulichen Gegebenheit" kommen hier nicht m Betracht. Ueber die von uns angegebenen Pole kommt in der wissenschaftlichen Sprache im allgemeinen das Wort „Paradoxon nicht hinaus. . , , b) Das namliche gilt auch, wenn wir uns von ucm cwqeqrenzten Gebiet der Wissenschaft mit ihrem Sprachqebrauch zu dem des allgemeinen Lebens wenden In den Beatiff des Paradoxon ist das Element einer unbedingt vorhandenen Absurditeit nicht mit aufgenommen, auch hier nicht. Wohl muss man Murray3) zustimmen, wenn er hmzelfalle nennt, worin paradox zu bezeichnen ist als „a proposition or statement that is actually self-contradictory or contradictory to reason or ascertained truth, and so essentially absurd and false", aber ein bestimmtes Paradoxon ist noch nicht dasselbe wie „das Paradoxale = u^upt. das Paradoxale begrifflich gefasst Hahen wit ■doch schon Beispiele gefunden, bei denen der paradoxale Mame einen bestimmten Lehrsatz beibehalten blieb, auch nachdem kein Mensch mehr zu einer Verwunderung oder zu einer Disoutation über das paradoxale Thema geneigt war. Wenn Murray seine Beispiele anführt (the monstruous j SoSLfe Wtbch. d.' Neugriech. tou pragmatos . la cuciosite v (pr, AÉgswK ttSSSSX+S*!i£UrS»êha,'.&. nennt noch So^oecSétrrxre und TroipxSa^sipwvM. 3) A.a.O., 2, b. paradox of trans(s)ubstantiation; the most grosse and massy paradox, that ever did violence to reason and religion), darf man nicht übersehen, a) dass zum Substantiv „Paradox" stark sprechende Adjektiva hinzukommen müssen um zu betonen, dass das Paradox ad absurdum führt in diesem bestimmten Fall; b) dass das „to do violence to reason and religion" nicht ein jedes Paradox bestimmendes Merkmal ist (cf. was wir sagten über das Calvinische „paradoxum a ratione abhorrens"). Die von Murray angeführten Beispiele berechtigen also noch nicht, von einer mehr oder weniger scharf umrissenen Wendung in der Geschichte unseres Begriffes zu reden, wie sie schon von De Morgan, neuerdings von Andreas Duhm ') behauptet worden ist. Letztgenannter meint, „dass der Begriff 'paradox' im 18 Jahrhundert die neue Farbung erhalten hat, und zwar von der französischen Aufklarung her, Esprit und Neigung zur Frivolitat vereinigen sich mit dem Gegensatz gegen veraltete Meinungen".z) Zunachst aber wird man gegen solcherlei Behauptungen schon ein wenig misstrauisch, wenn man liest, dass De Morgan dem Begriff „paradox" im 17., Duhm dagegen im 18., ein Dritter3) sogar im 19. Jahrhundert eine neue „Farbung" zukommen lasst. Zweitens kann man dagegen einwenden, dass eine mehr oder weniger deutlich wahrnehmbare akute Wendung in der Bedeutung unseres Wortes durch die von Duhm beigebrachten Belegstellen u. E. durchaus nicht klar gemacht worden ist. So sagt er: „Noch bei Pascal (1623—1662) findet sich das Wort im ') Andreas Duhm, Paradoxe Jesusworte in der Predigt. Leipzig, M. Heinsius Nachf., Eger & Sievers, 1927. 2) Duhm, S. 6. 3) In einem Aufsatz „Emanation des Objects aus dem Subject" schreibt das „Forum der Journal-Literatur, eine antikritische Quartalschrift", Ier Band, les Heft, Berlin 1831 (bei Wilhelm Logier), S. 29, folgenden Satz (aus einem Dialog): „Sie lieben das Auseinanderzerren .... die neuerdings eingerissene Genialitat in paradoxen Antithesen. Alles soll sich nach Ihrer Einsicht in wahren Schlagadern hinschlangeln, und Eines nur des Andern Verneinung seyn . Sachlich ist dies dasselbe, als was Duhm meint mit seiner „neuen Farbung". Schilder K 5 alten harmlosen Sinne : paradoxe Taten. Dagegen im 19. Jahrhundert ist der Wechsel zum Ende gekommen. Enault (geb. 1824): 'Les amis du paradoxe prétendent que les maladies sont nécessaires a la santé'. Also schon eine gewisse Paradoxomanie".') Aber schon lange Zeit vor Pascal — 1555 — erschien die schon erwahnte und vielfach neubearbeitete und übersetzte Schrift: „Paradoxes ou sentences debatues"; die daraus in Note 1, S. 27, zitierten Beispiele behandeln ahnliche Motive, von Ciceros „paradoxa stoicorum" und von den Stoikern und Sophisten selbst zu schweigen. Oder, wenn Duhm den Jesuiten Bouhours anführt, der auch das „Paradoxe" unter den Ausdrucksmitteln des „esprit" aufnimmt (z.B. „die Stunden sind langer als die )ahre"), — findet sich in der Renaissance, im Mittelalter, unter der Kaiserherrschaft, bei den Byzantinern2), in der Klassizitat nicht ahnliche Paradoxologie vor? Und wenn Duhm auf Diderot, den Begründer der Enzyklopadie, hinweist, so betont er zwar mit Recht, dass dieser „sich in heftigen Selbstwidersprüchen bewege", worin dann wieder die typische Frivolitat seiner Epoche „den ernsten Gegensatz der Weltanschauungen fast zum unterhaltenden Spiel macht und sich an ihrer eigenen Frechheitfreut" 3), aber — abgesehen davon, dass solches Verfahren durchaus nicht neu ist — es fragt sich jetzt nur, was das Wort „paradox" für Diderot cum suis bedeutet hat. Hier ist hinzuweisen auf sein „Paradoxe sur le Comédien . ) Wenn er in dieser Schrift Spielanweisungen gibt für die Schau- 1) Duhms Behauptung einer „Wendung hangt zusammen mit einer unberechtigten Beschrankung der Bedeutungen und Anwendungsfalle unseres Wortes „in alterer und altester Zeit": a) das für die gew. Meinung zu Hohe, Unfassbare; b) das gegen die rechte Meinung in tadelnswerter Weise Verstossende; c) ein rednerischer Vorgang (sustentatio, hypomone), b. 6. — Das im Text gegebene Citat aus Duhm findet man 7. 2) zB Michael Psellos; cf. Karl Sittl, Gesch. d. Gr. Litt. bis auf Alex. d. Gr. L München, Ackermann, 1884, S. 53/4 (über Fracostro und Strascino). 3) Duhm, S. 8. , 4\ Diderot, Oeuvres Complètes, revues sur les éd. ong. etc. par J. Assezat, Paris, Garnier Fr., Tome VIII, 1875, 361-423 (cf. 339-359). spieier'), dann lasst er zwei „interlocuteurs" miteinander disputieren, von denen der erste genannt wird „l'homme au paradoxe",2) oder „l'homme paradoxal".3) Bemerkenswert für das Verstandnis der Bedeutung dieses Ausdrucks ist folgender Passus: „Premier interlocuteur: N'en parions plus. — Second interlocuteur: Pourquoi ? — Le premier: C'est 1'ouvrage de votre ami. — Le second: Qu'importe? — Le premier: Beaucoup. A quoi vous mettre dans 1'alternative de mépriser ou son talent, ou mon jugement, et de rabattre de la bonne opinion que vous avez de lui ou de celle que vous avez de moi? — Le second: Cela n'arrivera pas; et quand cela arrivait, mon amitié pour tous les deux, fondée sur des qualités plus essentielies, n'en souffrirait pas. — Le premier: Peut-être". Und am Schluss noch: „lei l'homme au paradoxe se tut Puis, s'arrêtant tout a coup, et saisissant son antagoniste fortement par le bras, il lui dit d'un ton dogmatique et tranquille: Mon ami, il y a trois modèles, l'homme de la nature, l'homme du poëte, l'homme de 1'acteur" .... usw.4) Wenn „l'homme paradoxal" seinen Partner fragt: „Ce (dernier) raisonement vous paraït peu solide?", so fügt er gleich hinzu: „Eh bien, soit, mais je n'en con- clurai pas moins " usw.5) Was ist hier „l'homme au paradoxe" anders als ein eleganter Widersprecher ?6) Wenn nur die Verivendungsgeschichte des Paradoxons nicht verwechselt wird mit der Begriffsgeschichte des Wor- ') Bemerkenswert ist, dass in dieser Schrift, die in ihrem Titel das Wort „paradoxe enthalt, eben vor einer allzu billig erworbenen Kontrastwirkung gewarnt wird; cf. was vorher gesagt ist über die Paradoxie in den Mimen u.s.w. und Sophokles, § 1. Cf. i.B. auf Diderots Absicht: Klemperer, Hatzfeld, Neubert, Die Romanischen Literaturen von der Ren. bis zur franz. Rev. (Handb. d. Literaturwissenschaft, III, Wildpark— Potsdam, Akad. Verlagsbchh. Athenaion, S. 390.) 2) z.B. p. 416, 419. 3) z.B. p. 420. 4) Diderot, p. 362, 419, cf. 416. 5) Diderot, p. 421. 6) Zitaten aus Montesqieu, Rousseau u. a.: E. Littré, Dict. de la lanaue Fr., II, Paris, Hachette, 1863. tes „paradox", dann ist von einer wesentlichen Umwandlung des Begriffs im 18. Jahrhundert keine Spur zu finden. Was als „paradox" empfunden wird, bleibt wie zuvor eine Sache, die den denkenden Verstand anstachelt und ihm eine Aufgabe stellt, die sich nicht durch eine Berufung auf eine incidentelle oder prinzipielle Inkompetenzerklarung dieses Verstandes beseitigen lasst. Mag ein logisch sich selbst widersprechender Gedankeninhalt incidentell paradox heissen, so ist doch dieser Selbstwiderspruch im Worte „paradox" selbst noch nicht affirmiert, nur wird er durch die Bezeichnung als „paradox" für möglich indiciert; der Eindruck eines Selbstwiderspruches kann da sein, aber die Benennung „paradox" bestatigt eben dadurch, dass der Verstand, gegen (naga) dessen „Meinung" die paradoxale Behauptung opponiert oder zu opponieren scheint, seine Berechtigung zur richtigen logischen Prüfung prinzipiell aufrecht erhalt. Dies möge noch durch einige Beispiele klar gemacht werden: lm Jahre 1679 erschien in London: „A Paradox against Liberty. Written by the Lords, during their imprisonment in the Tower, a Poem. Ebenso: „A Paradox against Life. ^^ritten by the Lords in the Tower. An heroick poem, London, 1861 .') Kants Verwendung des Wortes „paradox" wird uns aus einem Passus klar in dem er seine Raum-Zeitlehre gegen eventuelle Einwande verteidigt. „Diejenigen", sagt er, „welche noch nicht von dem Begriffe loskommen können, als ob Raum und Zeit wirkliche Beschaffenheiten waren, die den Dingen an sich selbst anhingen, können ihre Scharfsinnigkeit an folgendem Paradoxon üben, und wenn sie dessen Auflösung vergebens versucht haben, wenigstens auf einige Augenblicke von Vorurteilen frei, vermuten, dass doch vielleicht die Abwürdigung des Raumes und der Zeit zu blossen Formen unsrer sinnlichen Anschauung Grund haben möge . . . . Zwei spharische Triangel von beiden Hemispharen, die einen Bogen des Aequators zur gemeinschaftlichen Basis ') lm British Museum. haben, können völlig gleich sein in Ansehung der Seiten sowohl als Winkel .... und dennoch kann einer nicht an die Stelle des andern (namlich auf dem entgegengesetzten Hemisphar) gesetzt werden, und hier ist denn doch eine innere Verschiedenheit beider Triangel". Nachdem er dann noch ein zweites Beispiel gegeben hat, fragt er: „ Was ist nun die Auflösung ? Diese Gegenstande sind " usw. ') Noch ein Beispiel, auch aus wissenschaftlicher Sprache: Michael Weber veröffentlicht im Jahre 1824 seine „declamatio senilis" : „Paradoxon o êv Xqiozü ovx dno&vrjoxei" (Halis, ap. Frid. Ruff; Verf. war theol.'prof. in Wittenberg-Halle). S. 6 schreibt er : „Quod admirabile est, propono. Quod abhorret ab opinione vulgari, naQÓ.öo£ov, quod, codici sacro et doctrinae christianae proprium frustra quaesieris in Stoicis illis et Socraticis a Cicerone tractatis, hoe legentium attentioni etiam atque commendandum censeo. Habet autem ita: 'O êv Xqiotü ovx dnoftvrjoxei". Homo vere christianus non moritur. Commemorabo primum locos, quibus hoe nagdöo^ov inest, ejusque sensum explicabo. Deinde colligam alios, unde ejus veritas magis intelligi potest atque illustrari. Denique aliter sentientium rationes diligenter explorabo, idoneisque argumentis convincere studebo". Diese Schrift verteidigt die „mors Christi vicaria" ; wie sich der Verfasser das Verhaltnis von fides und ratio bei Aufrechterhaltung seines Paradoxons denkt, zeigt S. 57, 58: ,,si doctrina christiana omnino omnis sua natura atque indole ita comparata est, ut divina haberi possit (si habet argumentum possibilitatis, internum), et vero etiam divina ejus auctoritas vaticiniis divinis miraculisque ita comprobata, ut divina haberi debeat, (si habet argumentum vevitatis, externum); nae Jesus noster colendus est doctor divinus " Und, S. 68: „Utinam Cicero noster divinam nostram doctrinam, religionemque christianam cognitam habuisset! Utinam inno- ') Kant, Prolegomena z. einer jeden künftigen Metaphysik, Werke, ed. Cassirer c.s., Berlin, Bruno Cassirer, IV, S. 34/5. Ein anderes Beispiel aus Kant: Fr. a Juers, Zur Psych. u Aesth. d. Paradoxons, Ztsch. f. angew. Ps., Bd. 29 (1928), S. 395, Note. tuisset ei judicium Dei na.tuva.lis, quod per Filium de coelo missum de immortalitate animorum tulit! Hic Dei Filius êqxónte tcorjv xal dcp&aQolav dia xov svayyeliov. (2. Tim. I, 10). Non Socratis, non Platonis, non Kantii, non Fichtii, non alius philosophi, vel antiquioris, vel recentioris, auctoritas nos frangit. Jesu Christi.... auctoritas divina nos frangit (das eine „frangit" interpretiert das andere), „cui non insana et caeca, sed sana et recta fide, quam propter argumenta vere divina habemus (!), lubenter nos submittimus . Auch die Literatur ist zu beachten. Von Shakespeare sind folgende Beispiele bekannt.') Wenn jemand schwarz die Farbe seiner Dame nennt, bekommt er die Antwort: „O paradox! black is the badge of heil. Bekannt ist auch dies': „what is or is not, serves as stuff for those two to make paradoxes". Oder: ,,You undergo too strict a paradox, striving to make an ungly deed look. Oder : „Die Macht der Schönheit wird eher die Tugend in eine Kupplerin verwandein, als die Kraft der Tugend die Schönheit sich ahnlich machen kann"; „this was sometimes a paradox, but now the time gives it proof . Schliesslich. „These are old fond paradoxes to make fools laugh i the alehouse." ^ . . Unserer Meinung nach hat A. Duhm auch hier unrecht, wenn er schreibt2): „Also auch hier ist Paradoxie die verirrte Ansicht, die gegenüber einer feststehenden opinio im Unrecht ist und bleibt"; denn schon an dem vierten Beispiel scheitert diese Aussage. Deutlich ist, dass bei Shakespeare „Verkehrtheit", „Unsinn", im Paradox stecken kann, aber ebenso auch eine Wahrheit. Kellner ) interpretiert „paradox" im zweiten und fünften Beispiel als „Spass . 1) Entnommen aus: John Bartlett, A new and complete Concordance or verbal index to words, phrases & passages in the D«mat'c W°rl[s of Shakespeare. London, Macmillan & Co Ltd 1922 ; cf. Leon Ke Ine . Shakesp.-Wtbch., Leipzig. Tauchnitz, 1922. Die Citate sind. L. L. Lost. IV, 3, 254; Troi. and Cres. I, 3, 184 (nach Kellner 84); T. of Athens, III, 5, 24; Haml. III, 1, 115; Oth. II, 1, 139. 2) Duhm, S. 6. 3) Leon Kellner, s. v. (cf. Note 1). Und der „Goethe-Wortschatz" von Paul Fischer bezeichnet das Wort „paradox" bei Goethe als „auffallend, sonderbar, ungewöhnlich, (scheinbar) widersinnig". ') Bedeutungsvoll ist auch der Passus aus dem „Forum der Journal-Literatur, eine antikritische Quartalschrift" (1831): „Sie lieben das Auseinanderzerren .... die neuerdings eingerissene Genialitat in paradoxen Antithesen. Alles soll sich nach Ihrer Einsicht in wahren Schlagadern hinschlangeln, und Eines nur des Andern Verneinung seyn". Wogegen der Angesprochene sich verteidigt, „gereizt über den Tadel" seiner „Manier", „dass es nicht so eine formelle Consequenzmacherei ist, wenn" er „die auf entgegengesetzte Ziele sich erstreckenden Tendenzen auseinder" halt.2) Und in dem „Literarischen Zodiacus", Juli 1835, schreibt Herder über „meine Spasse und Paradoxa".3) Elf Jahre spater erscheint ein Büchlein von Gust. Ad. Theod. Fechner unter dem Pseudonym Dr. Mises: „Vier Paradoxa".4) Seine Paradoxa sind: 1. Der Schatten ist lebendig, 2. der Raum hat vier Dimensionen, 3. es giebt Hexerei, 4. die Welt ist nicht durch ein ursprünglich schaffendes, sondern zerstörendes ') Paul Fischer, Goethe-Wortschatz, ein sprachgeschichtliches Wtbch. zu Goethes samtlichen Werken, Leipzig, Emil Rohmkopf, 1929. „Das Paradox(e)" = die Seltsamheit, Wunderlichkeit; Paradoxie ~ a) Hang zum Seltsamen, Sonderbaren: Ueb. strenge Urteile; b) wunderl. Aeusserung od. Meinung. Belegstellen werden beigebracht aus „Leiden d. j. Werthers" 12, 8, 71; Dichtung u. Wahrh. 8; Ueber Kunst u. Altertum 26; Briefe 89; Maximen u. Refl. 29. (ed. Flodoards v. Biedermann, 5bandig.) 2) Berlin, Wilh. Logier, Ier Band, les Heft, S. 28/9. 3) Literarischer Zodiacus, Schriften in bunter Reihe, redigiert v. Th. Mundt. Leipzig, Gebr. Reichenbach. — Cf. Veröffentlichungen der deutschen Bibliographischen Gesellschaft, Bibl. Repertorium III (Zeitschriften d. jungen Deutschlands, Ier Teil, herausg. v. Heinrich Hubert Houben, Berlin W. 35, B. Behr's Verlag, 1906, S. 64, 8 u. 232, 58). In einem Brief an die Herzogin Amalie heisst es: „auch meine redselige Zunge ist ziemlich schon wieder verstummet; nur lasse ich mir meine Spasse und Paradoxa, womit ich die Fraulein zuweilen böse gemacht habe, auch hier noch nicht nehmen : denn sie gehören wirklich zum Genuss des Lebens .... ich .... behalte mir blos vor, sie auf der Kanzei nicht zu brauchen" (Litt. Zodiacus, Juli 1835, S. 62). 4) Leipzig, Vosz, 1846 (spater aufgenommen in: Dr. Mises, Kleine Schriften, Leipzig, Breitkopf u. Hartel, 1875; diese Ausgabe wird hier zitiert). Princip entstanden. ') Diese spielerisch und spasshaft anmutende2) Schrift hütet sich im Rahmen ihrer ars demonstrandi jedoch vor dem Schein, das Paradoxale mit sachlich Ungereimtem zu identifizieren; denn der Verfasser weist am Schluss des Aufsatzes über die vierte Dimension3) darauf hin, dass schon Kant mit der Möglichkeit von m^hr als drei Dimensionen des Raumes gerechnet hat, dass Mathematiker wie Riemann, Helmholtz, Klein auf Spekulationen über diese Möglichkeit eingegangen sind und dass Zöllner ') Ed. 1875, S. 243; 254; 277; 311. 2) Charakteristische Beispiele: „Nun erst (d.h. nach Anerkennung der 4 Dimension) „wird der Mensch recht deutlich erkennen, wie er mit all seinem Aeschern und Laufen gar nichts gewinnt; er kommt doch im Grunde nicht vom Flecke; daher auch schon in der Bibel steht, zum Laufen hilft nicht schnell sein. Er gewinnt weiter nichts damit, als dass er etwas schiefer wird, und ein Mensch, der krumme Wege geht, macht sich bloss dadurch zu einer Schraube. Alle Sorge ist jetzt dem Menschen erspart. Alles Brod ist dem Menschen schon gebacken, was er essen wird, er braucht nicht einmal den Mund aufzumachen es zu essen, er findet ïhn schon aufgemacht vor, wenn der Weltlauf ihn bis zur betreffenden Stelle geführt hat, und ein Stück weiter auch wieder zugemacht....' u.s.w. (S. 271). Oder: „lm Laufe dieser rückgangigen Weltordnung wird nun Jeder dasselbe, was er jetzt Andern geleistet, von diesen wieder empfangen. Der Schuhmacher wird von mir genau dieselben Schuhe wieder empfangen, die er mir jetzt "efert, und ich werde von ihm dasselbe Geld wieder empfangen, was ich ïhm jetzt bezahle; der Ochse .... das Leder .... der Mensch ... das Futter .... der Acker, das Getreide der Mensch vom Acker den Saamen und Dunger .... u s w (S 274). Oder: „Die dialektische Methode lasst sich bezeichnen als die Kunst, zuvörderst Rechts in Links dadurch zu verwandein, dass man zeigt, ein blosses Rechts widerspreche sich selbst. Nachdem namlich das Rechts diess eingesehen hat, schlagt es sofort durch Selbstbewegung in Links als Nicht-Rechts um. Dann ferner das so gewonnene Links wieder in Rechts zu verwandein dadurch, dass man zeigt, ein blosses Links widerspreche sich selbst. Nachdem namlich das Links diess eingesehen hat, schlagt es sofort durch Selbstbewegung wieder in Rechts als Nicht-Links um. Hiedurch ist man dann endlich zu einem Rechts gekommen, welches zwar dasselbe als das erste Rechts scheint, aber doch, bei Strafe dem gemeinen Menschenverstande anheimzufallen. nicht damit zu verwechseln «t. da es ja die Aufhebung und höhere Wahrheit des Links und dte hohere Emhat oder Identitat des Rechts und Links zugleich, der concrete Begriff des Rechts, die Wiedereinkekr des Rechts in sich selbst, das seinem Begriffe gemass aewordene Rechts, die Zusammenschliessung des allgemeinen Rechtsbegritts mit dem Besonderen im Einzelnen, gleichsam die Blute zum Knopfe und zum Stengel des ersten Rechts ist . (S. 311, 312). 3) S. 276. das Wunder erklart hat durch ein „Hineinspielen von Kraften aus einer vierten Dimension". Und seinen (Fechners) parodierenden Vernünfteleien über die „dialektischeMethode" gibt Fechner-Mises doch den Schein des Ernstes, wenn er Hegel den „Erfinder dieser Methode" nennt') und darauf hinweist, dass Hegel „von der absoluten Position des Seins ausgeht, um die zur Negation aufzuheben".2) Ganz analog zu Fechners Verwendung des Wortes „paradox" ist es, wenn i. J. 1887 die Revue Internationale (XVI, 512—542) einen Aufsatz von Fréd. Loliée enthalt: ,,Le Paradoxe a travers les siècles, essay sur les excentvicités de 1'esprit humain." 3) lm Jahre 1878 erschien „Paradoxical Philosophy", „a Sequel to the Unseen Universe", herausgegeben unter anderen mit Hilfe von Mitgliedern einer gewissen „Society", die den Namen führte: „The Paradoxical".4) Um nicht zu ausführlich zu werden erwahnen wir nur noch: J. A. Knop, Die Paradoxie des Willens 1863,5) H. Ritter, ') S. 317, Cf. das 3. Beispiel, S. 72, Note 2. 2) S. 318. 3) Frédéric Loliée, Le Paradoxe a travers les siècles, essai sur les excentricités de 1'esprit humain. Revue Internationale, IVe Année, Tome seizième, IVe livraison, 25. Nov. 1887, Rome, Forzani & Cie. Aus dem Inhalt: I: abus de la logique, passion excessive de la singularité.... (pour légitimer ou soutenir: le parricide avec préméditation, le déicide reconnu pour tel, le régicide par violation de serment, 1'homicide en masse par amour de la religion et de la royauté, le liberticide a 1'état de principe, 1'anthropophagie; la défense en règle de 1'injustice, les avantages de la fièvre quarte, etc., explication de la Trinité, de 1'incarnation, par 1'algèbre). II: Hesternus error, hodierna veritas, vgl. De Morgan (le génie est une névrose, la constitution de beaucoup d'hommes de génie est bien réellement la même que celle des idiots; tout les hommes ont une égale intelligence). III: les philosophes en s'isolant dans leurs propres systèmes .... IV — VII.... VIII: quatre families de paradoxe: de 1'abus du raisonnement, d'une fausse direction de 1'intelligence, d'une impression passagère de sensibilité exagerée, d'une imagination habile. 4) By Peter Guthrie Tait, and Balfour Stewart, London, Macmillan 1878. Cf. Verzeichnis davon in Mind, A Quarterly Review of Psychol. and Phil. 1879, London, Williams & Norgate, IV, 136. Beispielsweise wird hier erwahnt „a statement of the materialistic view of the universe, put into the mouth of a 'Dr. Hermann Stoffkraft' ". — „All the rest is mere by-play of the order, before indicated". 5) Leipzig, Pernitzsch, 1863, cf. Note 3, S. 63. Phil. Paradoxa 1867,') und M. Nordau, Paradoxe 1891.2) Alle die von uns beigebrachten Beispiele bewegen sich zwischen den beiden von uns am Anfang dieses § einander entgegengesetzten Polen : I. Was das Substantiv „Paradoxon" anlangt, a. das anderen widersprechende, selbst jedoch als innerlich widerspruchslos dargebotene Paradoxon, b. das scheinbar — „on the face of it", W. K. Stewart — sich selbst widersprechende Paradoxon ; II. Was das Adjectiv „paradox" anlangt, ') Heinrich Ritter, Philosophische Paradoxa, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1867. Was Ritter unter „Paradox(on)" versteht, ist aus dem „Vorwort" sofort verstandlich: „die Philosophie" ist, „wie ihre Geschichte zeigt, bestandig auf paradoxe Behauptungen geführt worden. Jeder ihrer Fortschritte ist einst ein Paradoxon gewesen und ihre schwere Sorge ist nur, dass es nicht ein solches bleibe, damit er nicht als ein leerer phantastischer Einfall der Vergessenheit übergeben werde" (S, V.) ,Dass in diesen Unter- suchungen" (des Verfassers) „sehr viele noch unentschiedene Fragen liegen und paradoxe Behauptungen auftreten, wird jeder Kundige einraumen. Sie werden aber gleichsam eingerahmt von dem ersten und dem letzten Paradoxon, welche dadurch den Zusammenhang des Ganzen erkennen lassen (VI). „Von der Erkennbarheit der Welt ausgehend haben wir.... behaupten müssen, dass die Welt in ihrer Einheit und Vollstandigkeit vollkommen gut sei. Dies ist freilich das ausserste Paradoxon für den Menschen und führt daher zu dem letzten Paradoxon, welches den anthropologischen Standpunkt in der philosophischen Betrachtung der Welt ablehnt (VI). Sehr deutlich die Einleitung: „Die Philosophie hat von jeher Gedanken aufgeworfen, welche gegen die gewöhnliche Meinung verstossen .... Sollte nicht der Streit gegen die gewöhnlichen Annahmen naher der Wahrheit kommen als die Hingabe an die gemeine Denkweise? Schon dieser Zweifel ist paradox'' (S. 1).... „Man will Neues entdecken, Neues lehren. Das ist der Ruhm der Wissenschaft, dass sie mehr weiss, als jedes blöde Auge auf der Oberflache der Dinge erblicken kann. Dies sind Gedanken, welche den Hang der Philosophie zur Paradoxie begreiflich machen" (S. 1) Wie, können der gewöhnlichen Meinung die Lehren der Philosophie paradox erscheinen? Man wird beachten müssen ...." u.s.w. (S. 7) Das sind die kühnen Gedanken des Philosophen, welche der gewöhnlichen Meinung paradox erscheinen. Der Widerspruch dieser gegen die Philosophie ist Kleinmuth .... u.s.w. (S. 13). Vgl. noch S. 13—16. 2) Leipzig, B. Elischer Nachf. Das Buch ist durchaus nicht „paradoxal stricto sensu; nur ein wenig militant. a. wider das Erwarten (die Meinung) anderer, b. wider die Erwartung (die Meinung) des qualifizierenden Subjekts selbst. Deshalb ist das Paradoxale, sei es in ernsthafter oder in scherzhafter Weise, immer vovausgesetzt als ein „Ding", das „überwunden" werden muss. Denn das Merkmal der logischen Absurditeit ist für den Begriff „paradox" nicht konstitutiv. „It has been suggested that the word „paralogism" should be employed for the paradox of illogicality, but that word has won no vogue". „The two definitions (opp. to truism, and to platitude) might be connected". ') Und eben deshalb kann das Paradox sowohl Spielzeug als Skandalon werden, man kann nicht nur darauf stossen, sondern auch, wie eine Satire bemerkt, „1'inventer".2) Schliesslich: man hat hie und da versucht den Begriff „paradox" abzugrenzen gegen „orthodox" und „heterodox". „Paradox" ist wohl als oppositum von „orthodox" angewendet worden. So z. B. von Schopenhauer. Windelband z. B. findet die Sache eines „Paradoxon" in Schopenhauers Philosophie: „Weil. .. . das Ding-an-sich dem Satz vom Grunde nicht unterworfen ist, so kommt das Paradoxon heraus, dass der Mensch sich als Wille unmittelbar frei fühlt, und sich doch in der Vorstellung notwendig als determiniert weiss".3) Hier ist zu bemerken, ') W. K. Stewart, A Study of Paradox, Hibbert Journal, Oct. 1928, p. 2. 2) (André Morellet) Théorie du Paradoxe, Amsterdam 1775 (Satire contre Linguet, der antwortete mit: Théorie du Libelle; worauf Morellet wieder veröffentlichte: Réponse serieuse a M. L. ** „par 1'auteur de la Théorie du Paradoxe", Amsterdam 1775). Der Verf. kritisiert Rousseau; der hat „melé trop de vérités communes quoiqu'utiles & grandes, aux opinions extraordinaires qu'il a défendues", p. 7. Invention, art de présenter & de défendre, avantages du Paradoxe (p. 9). Deux genres de P.: celui qui est opposé a 1'opinion commune fausse, & celui qui est opposé a 1'opinion commune vraie (p. 10). Das Ganze ist Satire (p. 11 —14), z.B.: la liberté civile est une chimère; les gouvernemens Orientaux sont les seuls, qui aient laissé un asyle a la liberté; apologie de Denis le tyran, de Tibere. — Avantages (du P.) dans les question problématiques, etc. 3) Wilh. Windelband, Lehrb. d. Gesch. d. Phil., 5e Aufl., Tübingen, Mohr, 1910, S. 494. dass Paradoxie nach Schopenhauer an einem Werke ein günstiges, wenngleich kein entscheidendes Symptom ist. ') So wird erklarlich, dass Schopenhauer selbst die asketischen, von der Kritik paradox genannten Resultate seiner Ethik von Einwanden frei halt, durch die Benierkung, dass sie „nur im nordwestlichen Winkel des alten Kontinents" und hier wieder „nur in protestantischen Landen" paradox, d. h. nicht orthodox heissen. „Ich getroste mich demnach, dass meine Ethik, in Beziehung auf den Upanischad der heiligen Veden, wie auch auf die Weltreligion Buddha's, völlig orthodox ist, ja, selbst mit dem alten, achten Christentum nicht im Widerspruch steht".2) Wenn er spricht über die Weisheit in allen Jahrhunderten (und mit ihr seine eigene — nur für die „an ganz anderartige Begründungen der Ethik gewöhnten occidentalisch Gebildeten" paradoxe — „metaphysische Auslegung des ethischen Urphanomens" in Verbindung setzt) sagt er: „In allen Jahrhunderten hat die arme Weisheit darüber erröthen müssen, dass sie paradox war: und es ist doch nicht ihre Schuld. Sie kann nicht die Gestalt des thronenden allgemeinen Irrthums annehmen".3) So ist Schopenhauers Philosophie s. E. wohl inzidentellen „orthodoxen" Irrtümern, aber nicht der universalen Wahrheit gegenüber paradox. Hier ist also „paradox" oppositum zu „orthodox", nicht zu „heterodox".4) ') Ernst Otto Lindner, Arthur Schopenhauer, Von ihm, über ihn; und Memorabilien, Briefe u. Nachlass-stücke von Julius Frauenstadt, Berlin, Hayn, 1863; cf. Schopenhauer-Register, Ein Hilfsbuch, u.s.w., bearbeitet von W. L. Hertslet, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1890, S. 158. 2) Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 3. Aufl., Leipzig, F. A. Brockhaus, 1867, S. 144. 3) Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik: „Ueber die Freiheit des menschlichen Willens", und „Ueber das Fundament der Moral", 2e Aufl., Leipzig, F. A. Brockhaus, 1860, S. 274. 4) Vgl. auch: Gust. Fr. Wagner, Enzyklop. Register zu Schopenhauers Werken, Karlsruhe, Braun, 1909, s. v. „Alle Wahrheiten erscheinen bei ihrem Auftreten paradox", Welt als W. u. Vorst., Frauenst. Ausg. 1877, S. XV, 200, 443, 444; id., 2. Band, 332, 549, 707; Ueb. d. Willen i. d. Natur, 2, 3, 144. Die beiden Gr.pr. d. Eth., 231, 246, 274; Parerga u. Paral. II. Band, 336, 507; Nachlass 347. „Heut zu Tage ist paradox, u. falsch ganz einerlei", Welt als W. u. V. XIV. Es gibt aber auch Falie, worin „paradox" und „heterodox" deutlich von einander abgrenzbar sind. So sagt z. B. De Morgan, nachdem er ein Zitat aus Socinus gegeben hat: „This is properly paradox, though also heterodox. It supposes, contrary to all opinion, orthodox and heterodox, that philosophy can, with slight changes, explain the Athanasian doctrine so as to be at least compatible with orthodoxy. The author would stand almost alone, if not quite; and this is what he meant". ') Scharfe Abgrenzung der drei Begriffe ist also nicht möglich: a) weil das Verhaltnis zwischen „orthodox" und „heterodox" nicht stabil ist — kann doch die Orthodoxie, wenn sie z. B. in der Kirchengeschichte die Schwarmer, Enthusiasten, Theosophen usw. abwechselnd als Heterodoxe und Paradoxe bezeichnet, ihren eigenen Namen führen mit oder ohne bewusste Rücksichtnahme auf eine bestimmte heterodoxe Opposition; b) weil der Begriff „orthodox" selbst immer vage ist, — gibt es doch zwei Möglichkeiten, namlich dass entweder die „Doxa" der „Orthodoxie" sich auf ein Dogma gründet, oder dass ein Dogma ausser Betracht bleibt;2) c) weil als christlich-orthodox oft galt, ') De Morgan, a.a. O, S. 3. 2) Was die unter A beigezogenen Paradoxe betrifft, so ist hinsichtlich ïhrer Berührung mit der „Orthodoxie" beispielsweise auf S. Franck hinzuweisen. Folgende seiner Thesen („Paradoxa") stehen mit der „Orthodoxie" doch in keinerlei Widerspruch: Deus est qui operatur omnia, in omnibus, excepto peccato (2); Deus solus bonus (3); Foelix populus cuius dominus est Deus (5); Deum unum habere, vita & omnia (6); Deum nemo nouit, nisi Deus (7); Deus ceu indigens alique, manibus humanis non colitur (9); Deus solus Dominus est (10); Deus mundo Satan, Christus Antichristus (15); In Deum non cadit accidens (!) (23); andere dagegen bekampfen die „Orthodoxie . Und in der oben erwahnten Schrift „Nova Paradoxa", steht wohl der Satz, dass die „Orthodoxie fast zur ópKoiïol-iix geworden ist, aber immerhin ist der Verfasser doch weit davon entfernt, sich in kokette Vernünfteleien zu verwickeln: „ich erinnere mich .... dass ich noch einen Scrupel zu heben/ vor mich habe/ damit nicht irgend der G. L. mich einer groben corztradiction zu beschuldigen/ Gelegenheit nehmen möge", S. 124. Beachtenswert ist hier auch die Schrift von Jac. Pamelius (gest. 1587) „Paradoxa Tertulliani cum antidoto Jac. Pamelii" (Ed. J. P. Migne, Tert. Opera, Tom. I, 225/6, sqq.). Paradoxon heisst hier, nicht nur eine nicht allgemein „recepta" „sen- was nur reiner Humanismus war, und deshalb spater durchaus un-orthodox genannt ist; so kennt mandie „Paradoxa Lippi Brandolini sane christiana, Basileae, 1543; dili- gendos esse inimicos (3); mortem flagitio anteponendam esse (25); nullam in hac vita felicitatem esse (57); non esse in honoribus (67), in fama & gloria (73), in uirtute (81), in disciplinarum scientia & humanarum rerum contemplatione (96) felicitatem". Eine scharfe und konsequente Abgrenzung von „paradox" und „heterodox" ist der Theologie ebensowenig gelungen als es dem Humanismus, der in seinen vielen „laudes" oder „encomia" von früheren „Adoxa (z. B. Erasmus' Laus Stultitiae) die Adoxographie in Paradoxographie umgewandelt hat, gelungen ist, die ursprüngliche Abgrenzung von „paradoxos gegen „adoxos durchzuführen. ') tentia" (§ 2), sondem auch eine angebliche (§ 3) oder wirkliche (passim) absurda haeresis (§ 3, cf. § 18, haeresis Montanistica § 25, haeresis longe absurdissima § 26), oder eine haeresis, in quam impmgit Tertullianus & 23. eine Meinung, die etsi erronea utcunque tolerabilis seinkann § 24, eine vielleicht damnata sententia §4, (cf. perversum, sommum, ib,)ein erroiJ 15, 20, contra expressa Evangelii verba § 14, contra dogmata fldei, § 8<, c . § • i) Cf. Arthur St. Pease, Things without Honor, Classical Philology, XXI 1 (Tan. 1926), The Univ. of Chicago Press, Chicago, p. 28, 41. Menand. Rhet'. II, 1. 346 Sp. (über die syKu/uix): hSo^x ■ o po Ao- ycuubw, olov Srtoü -h xAAou rwbq ky«aroü yxvepoü' «So%x Se jxxepiSxtficvwv K6?; wie pSt 119( 129, Kautzsch; cf. die „Para- ') Hoddet 6 Stoughton, London, 1926. doxa" der spateren Paradoxographoi in § 1). 2. Macc. 9, 24: .... damit die Leute im Reiche falls etwas Unerwartetes vorfiele.... wussten, an wen die Regierung gefallen sei und nicht in Unruhe gerieten.') In all diesen Citaten ist das Paradoxe wirklich, historisch, sinnlich gegeben. r _ In Bezug hierauf hat auch das Verbum nagadoZaCco seine Bedeutung. Deut. 28, 59 LXX: xal nagadogdoei xvgiog rdg nlrjydg aov xal xdg nlrjyag xov onégfiaxóg oov, nlfjydg fieyalag xal êavaaatag xal vóoovg novrjQag xal mozdg. Hebr. n}'?- x -2"1 d1!?") D^m rrijONJi n. Via niso Bemerkenswert ist hier, dass das namliche Wort sowohl mit êavfiaaxóg als mit nioxóg übersetzt wird (davjiamóg ist oft aequivalent zu Ttagaöo^og). Die Uebersetzung Steuernagels2) fasst vielleicht den Sinn des hebraischen Textes besser als die Septuaginta (so wird Jahwe die Plagen, die dich und deine Nachkommen treffen, ausserordentlich steigern, grosse und anhaltende Plagen, und schlimme und anhaltende Krankheiten): aber etymologisch hat das niaxóg der Septuaginta sein Aequivalent in (l7 ÏDN!) und deshalb ist eben für uns die Gleichsetzung von iïavfiaoxóg und moxóg interessant und bedeutungsvoll. Was nagaöo^aCco selbst anlangt, sei hingewiesen auf Gesenius' Wtbch.: x 3 Hi: ausserordentlich machen, Dt. 28, 59; Ps. 31, 22, 2. Chron. 2, 8; — wundersam umgehn mit, 29, 14; Ri. 13,19; 2. K. 26, 15: ihm wurde wunderbar geholfen. — Weiter: Ex. 8, 22 (hebr. 8, 18): xal nagado^aoo) êv xfj rjiusgaêxtivr] xvv viv réoeu, êw' fig ó kaóg fiov ëoxiv èn avxfjg, kp fj ovx soxai iLi Lvópma. Hebraisch: nhp □B'-nvn Baentsch3) übersetzt: Das Land Gosen aber, in dem mein Volk sich aufhalt, will ich an dem Tage absondern, dass keine Stechfliege dahin komme ; und fügt hinzu: 1) Uebersetzungen von E. Kautzsch. Die Apokr. u. Pseudepigr. d. A. T. I, 289, Tübingen, Mohr, 1900. .. 2) C. Steuernagel im Göttinger Handkommentar (Vandenhoeck & Ruprecht), Deut. u. Josua, 1910. 3) Br. Baentsch im Göttinger Handk., Ex. Lev. Num. 1903. „das Verbum bedeutet hier nicht: auszeichnen, verherrlichen (jtagadogaCco, LXX, faciam mirabilem, Vuig.) wie Ps. 4, 4; 17, 7, sondern: absondern, eine Ausnahme machen mit etwas (Targ. Onq. Pes.). — Dann : Ex. 11, 7, in Gosen sterben die Erstgeborenen nicht 6na>g eidfjc; öoa nagado^aaei xvqioq ava f/éaov xwv Aiyvnucov xal zov 'IoQarjX. Hebt.: hn* onm r? rrw % lts* pjnn. Gesenius übersetzt nte Hi. durch absondern, Ex. 8, 18, einen Unterschied machen zwischen, Ex. 9, 4; 11, 7, jem. auszeichnen, Ps. 4, 4, dah. gross machen Ps. 17, 7, Schliesslich ist für das Verstandnis von naQado^d^co noch wichtig Sirach 10, 13: Darum hat der Herr wunderbare Heimsuchungen ergehen lassen (eig. „macht wunderbar die Heimsuchungen", nagaSogaCco ~ Dt. 28, 59, LXX, Kautzsch). Auch 2. Macc. 3, 30 : Die Juden aber priesen den Herrn, der seinen Ort so verherrlicht hatte. Das Gesagte genügt, um zu zeigen, dass nagado^og sowohl als Adjektiv als im verbum derivatum die Wirklichkeit des paradoxalen Inhaltes keineswegs disputabel stellt; von Absurditat ist keine Rede. Ueber das alte „wider die Erwartung" („Meinung") kommt das Wort nicht hinaus. ') Aus diesen Gründen lehnen wir bereits hier mit Nachdruck die Uebersetzung ab, die auch K. Bavth in seinem Kommentar zum Römerbrief gegeben hat, wenn er „paradox" übersetzt mit: „gegen den Scheiri' (Doxa). Diese Uebersetzung2) ist wissenschaftlich unhaltbar ; sie ist nicht nur, wie wir oben in Bezug auf P. Brunner sagten, uncalvinisch, sondern auch unbiblisch; „Exegese" treibt man mit ihr durchaus nicht.3) Und wer mit ') Cf. G. Abboth-Smith, A. Manual Greek Lexicon of the New Test. 2d. (rev.) ed., T. &. T. Clark, London, Edinburgh, 1923: TrxpcuSo^ix^u (So^x^) 1: to separate, distinguish. Sixo-réMw, Sept. Ex. 9, 4; 11, 7. — 2: To make wunderful, Sept. Deut. 28, 59. 2) Karl Barth, Römerbrief. 3. Aufl., S. 96, 98. 3) Von Soden, Das lateinische N. T. in Afrika zur Zeit Cyprians, Leipzig, 1909 (= Texte u. Unters. z. Gesch. d. altchr. Lit. III, 3) weist darauf hin, dass in Ms h clavitas und honor nebeneinander erscheinen (S. 238/9), und bemerkt, dass claritas und So^eiy clarifkare bedeutet, cf. H. E. Weber') den Ausdruck „sich bekennen zum Paradox" identifizieren will mit „sich erheben über den Augenschein", rückt noch weiter von der neutestamentlichen Sprache, und von der eigentlichen Bedeutung des Wortes „paradox", ab. z-o.pa.SoZx, in Ms e übersetzt mit praeclara (Lk. 5. 26). Aber jedenfalls ist claritas nicht: Schein; und die Uebersetzung mit „Meinung wird durch dieses Detail keineswegr- zurückgewiesen. i) H. E. Weber, „Eschatologie" und „Mystik im Neuen Testament (Beitr. z. Förd. chr. Theol., II. Reihe, 20. Bd.) Gütersloh, 1930, S. 231. KAPITEL II DIE WENDUNG IN DER BEGRIFFSGESCHICHTE DES WORTES „PARADOX" KAPITEL II. DIE WENDUNG IN DER BEGRIFFSGESCHICHTE DES WORTES „PARADOX". § 1. Die Kierkegaardsche Wendung. Wenn wir oben die Auffassung von De Morgan und Andreas Duhm, nach der sich im 18. Jahrhundert eine Wendung in der Geschichte des Begriffes „Paradox" anbahnte, zurückgewiesen haben, so besteht doch aller Grund, eine solche Wendung im 19. Jahrhundert zu konstatieren. Denn sie nimmt unstreitig ihren Anfang bei dem Danen Sören Kierkegaard, geb. am 5. Mai 1813. Wir haben dies nicht so zu verstehen, als ob diese akute Aenderung in der Verwendungsart des Wortes „Paradox" sofort einschneidende Folgen hatte oder Nachahmung fand; denn das ernsthafte Kierkegaardstudium fallt erst in spatere Zeit. Als Kierkegaards Tatigkeit als Schriftsteller schon einen Höhepunkt erreicht hatte, teilte er übrigens mit, „nicht einmal einen Verleger" zu haben. ') Aber weil spater vieler Anknüpfung an Kierkegaard um so bewusster und starker ist, darum ist Kierkegaards Ver wendung des Wortes doch in der Tat von grösster Bedeutung. Die allgemein-übliche Bedeutung des Begriffes, der uns hier beschaftigt, behalt ') Abschliessende unwissenschaftliche Nachschrift, II. Teil (1846). (Ges. Werke, verlegt bei Eugen Diederichs in Jena; 1910, S. 296 ; die Schriften Kierkegaards erschienen bei Reitzel in Kommission, ib. Note). wohl zu Kierkegaards Zeitcn und auch nachher, bis in unsere Zeit hinein, ihre Geltung, wie wir sahen, aber daneben und — wie wir sehen werden — demgegenüber stellt Kierkegaard einen ganz anderen Paradoxbegriff. ') Dies erhellt schon aus einem einfachen Studium seiner Schriften. Nur ganz selten trifït man die ursprüngliche Bedeutung des Paradoxen als das ohne weiteres Unerwartete bei ihm an, und dann auch noch nur indirekt.2) Aber es fallt sofort auf, dass bei Kierkegaard ein „paradoxer" Gedankeninhalt dem, der das Paradoxe in ein Gedankensystem zu inkorporieren versucht, nicht nur (wie früher) Mühe verursacht, sondern — und das ist das tatsachlich Neue — dass zwischen dem wesentlich Paradoxen und dem wesentlich Systematischen ein (unversöhnlicher) Gegensatz behauptet wird. Denn das Paradox geht über jedes System hinaus; „es gibt eine Anschauung der Welt, wo das Paradox höher als jedes System steht".3) Und weil es hier geht um den Gegensatz zwischen dem Relativen und dem Absoluten (denn: das Relative findet seinen Niederschlag im System, das Absolute im Paradox), darum bedeutet die Erhebung des Paradoxes über das System unmittelbar, dass das wesentliche Paradox dem System gegenüber gestellt wird. „Dass relative Gegensatze mediiert (vermittelt) werden können, dazu brauchen wir wahrlich nicht Hegel, weil es in dem bekannten Satze liegt, dass die unterschieden werden können; dass absolute Gegensatze mediiert werden könnten, dagegen wird Persönlichkeit in alle Ewigkeit protestie- ') Wie Herr Prof. D. Ed. Geismar mir freundlichst mitteilte, ist das von Kierkegaard selbst verwendete Wort eben das Wort „paradox . „Vor seiner Zeit, glaube ich, wurde das Wort nicht verwendet", schreibt Herr Prof. Geismar. 2) „Dem Glauben geht eine Bewegung der Unendlichkeit voraus: erst dann tritt, nee opinate, kraft des Absurden, der Glaube ein (Furcht und Zittern, ed. Jena, 1923, S. 66). Vgl. Abschliessende Unwissenschaftliche Nachschrift I, ed. Diederichs, Jena, 1910, S. 300. 3) Citat bei Ed. Geismar, Sören Kierkegaard, seine Lebensentwicklung, u. s. Wirksamkeit als Schriftsteller, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1927, S. 64. ren, und dieser Protest ist inkommensurabel für das Assertum der Mediation".') Es ist selbstverstandlich hier der Ort noch nicht, um den Gedankengang, aus dem dies alles bei Kierkegaard hervorkommt, nachzugehen. An dieser Stelle unserer Untersuchung wollen wir nur allein dem Worte Paradox nachgehen. Der Inhalt, den es bei Kierkegaard hat, wird schon einigermassen deutlich aus den folgenden Ueberlegungen. a) Das Kierkegaardsche Paradox ist im Grunde nicht deswegen eine crux für das Denken, weil der Mensch sich selbst im Wege steht, oder weil ein Gedanke von ihm einen anderen Gedanken, auch von ihm, ein Ding von unten ein anderes Ding von unten zu bekampfen scheint, sondern es findet seinen tiefsten Grund darin, dass Gott dem Menschen, die Ewigkeit der Zeit, das Absolute dem Relativen, die Offenbarung dem Menschenleben mit seinen Gegebenheiten begegnet. „Gott ist als Lehrer aufgetreten.... er hat Knechtsgestalt angenommen; einen anderen an seiner Statt, eine hohe Vertrauensperson für sich zu senden, konnte ihm nicht genügen .. \ . Zwischen Mensch und Mensch ist ja das sokratische Verhaltnis" (bei dem der Lehrer und der Lemende für einander eine „Veranlassung" sind, um sich selber zu verstehen, bei dem die beiden einandet also nötig haben, und der Lehrer also niemals in absoluter Weise Lehrer sein, sondern nur als „Hebamme" fungieren kann), „das Höchste, das Wahrste". „Von Sokrates aus gesehen ist ja der Lemende selbst die Wahrheit" .... Aber Sokrates „wollen wir verlassen". Kame Gott (also) nicht selbst, so bliebe alles sokratisch; wir .... verloren das Paradox.2) Gottes Auftreten bringt nun mit sich, dass der Mensch „als der Einzelne sich in ein absolutes Verhaltnis zu dem Absoluten setzt", „das ist das Paradox".3) Beispiel ist Abraham, ') Citat bei Geismar, S. 64/5. 2) Philosophische Broeken, ed. Diederichs, Jena, 1910, S. 21, 10, 9, 51, 47, 51. „Die ewige Wahrheit ist in der Zeit entstanden. Dies ist das Paradox" (Abschl. Unw. N. I. 283, cf. 291). 3) Furcht und Zittern, 3e umgearb. Aufl., ed. Diederichs, Jena. 1923, 259. der Isaak opfert, gegenüber Agamemnon: Agamemnon „gibt Iphigenie auf und hat dadurch Ruhe gefunden in dem Allgemeinen . . . der tragische Held ist bald fertig und hat bald ausgestritten; er vollzieht die unendliche Bewegung und ist nun béruhigt in dem Allgemeinen. Dem Ritter des Glaubens kommt kein Schlaf in die Augen. Denn er wird bestandig geprüft.... in Spannung gehalten". ') b) Darum ist das Paradox ein Entweder-Oder nicht von leichtem Leben und mühevollem Leben, sondern von Tod und Leben; tertium non datur, da das Absolute die Existenz überwaltigt. Kierkegaard erinnert an die Erzahlung von Sara, der Tochter Raguels undHannas: „niemand ist unglücklicher als sie; denn sie weiss, dass der böse Damon, der sie liebt, den Brautigam in der Hochzeitsnacht toten wird .... Dies unergründliche Leid, das keine Zeit heben, keine Zeit heilen kann: zu wissen, dass es nichts helfen würde, wenn auch das Dasein alles für einen tate! .. . Sara war (unglücklich in der Liebe), ehe sie es wurde." 2) Auch zergliedert er die „Sage von Agnete und dem Nixen"; dieser letztere ist der Verführer, der jedoch Agnetes Unschuld machtlos gegenüber steht. Was soll der Nix tun? „Die Reue kann entarten in ein damonisches Verlangen, sich selbst zu qualen .... Mit Hilfe des Damonischen würde also der Nix der Einzelne sein, der als der Einzelne über dem Allgemeinen stünde. Wie zu dem Göttlichen kann der Einzelne zu dem Damonischen in ein absolutes Verhaltnis treten. Das ist das Gegenstück zu dem Paradox, von dem wir sprechen"3). Das „Gegenparadox" würde dann hier sein, „dass die Gottheit Agnete retten wird (so würde wohl das Mittelalter die Bewegung vollziehen)"4). Es gibt Naturen, die „man nicht dadurch retten (kann), dass man sie in eine Idee der Gesellschaft hineinmediiert Naturen von der Art stehen von Grund aus im Paradox ... ., ') F. u. Z., S. 75, 74/5. 2) F. u. Z., S. 97. 3) F. u. Z., S. 91/2. 4) F. u. Z., S. 93. entweder (gehen sie) verloren in dem damonischen Paradox oder (werden) erlöst in dem göttlichen Paradox".') So ist also die Berührung mit dem Absoluten immer Ursache des Paradoxes. Wir kehren zu Abraham zurück: „entweder gibt es also ein Paradox : dass der Einzelne als der Einzelne in einem absoluten Verhaltnis steht zu dem Absoluten ; oder Abraham ist verloren".2) c) Nur dort ist also das Wesen der wahren Paradoxie, des „paradoxon sensu eminentiore", wo das Absolute darin auftritt; das relative Paradox verdient diesen Namen eigentlich nicht. „Das Paradoxreligiöse stellt den Gegensatz der Existenz und des Ewigen als absolut hin".3) Wieder wird auf Abraham verwiesen : „die Liebe zu Isaak ist es, .... die durch ihren paradoxen Gegensatz mit seiner Liebe zu Gott seine Tat zu einem Opfer macht.... Erst in dem Augenblick, da seine Tat in absolutem Widerspruch mit seinem Gefühle steht, erst da opfert er Isaak".4) Deutlich ist hier Kierkegaards Ausspruch, dass das Christentum die Behauptung handhabt „dass sich das Paradoxe, von dem es redet, nicht denken lasse, verschieden also von einem relativen Paradox, das sich höchstens schwer denken lasst." 5) d) Deswegen heisst dieses Paradox denn auch selbst absolut oder „das Paradox sensu strictissimo". Im Glauben ist ein „Verhaltnis zum absoluten Paradox" ; die Leidenschaft des Glaubens „ergriff" es „als das absolute Paradox (nicht als das relative)".6) Als solches hat es seine eigene „qualitative Dialektik"7) und wird besonders besprochen unter dem vielsagenden Titel „eine metaphysische Grille".8) >) F. u. Z., S. 100. 2) F. u. Z., S. 113. 3) Abschl. unw. Nachs. II, S. 251. Hinsichtlich „Paradox" sensu eminen• tiore : Abschl. unw. Nachs. I. 281, Note. 4) F. u. Z.. S. 70. s) Abschl. unw. Nachs. II, S. 243/4; vgl. I, 291, 292. 6) Abschl. unw. Nachs. II, S. 260; vgl. I, 291 (sensu strictissimo). 7) Abschl. unw. Nachs. II, S. 243. 8) Phil. Broeken, 34, sqq. e) Demgemass ist das Paradox nicht durch das Denken, sogar des martyr nicht, „erzeugt", es ist nicht „durch ein Verstandes-Quantitieren des immer Schwierigeren zu erreichen", sondern es tritt ihm von aussen her entgegen, überwaltigt, beherrscht ihn als eine objektiv bestehende Wirklichkeit. Wo das Paradox so auftritt, da hat das „Innere" des Menschen keine Identitat „mit Stimmung, Gefühl usf." ') Hat der Verstand das Paradox entdeckt ? Nein, „da im Gegenteil das Paradox es ist, welches dies (d.h. das quia absurdum K. S.) entdeckte" ,Das Paradox sagt selbst: Komödien, Romane und Lügen müssen wahrscheinlich sein, wie sollte aber ich wahrscheinlich sein ? Das Aergernis bleibt ausserhalb des Paradoxes; was Wunder, da das Paradox das Wunder ist ? Das hat der Verstand nicht entdeckt; im Gegenteil, es war das Paradox, das dem Verstande seinen Platz auf dem Ver wunder ungsstuhl anwies.... Wenn der Verstand sich mit seiner Herrlichkeit im Vergleich zum Paradox brüstet, da dies so ganz elend und verachtet sich darstellt, so hat der Verstand das nicht erfunden, sondern das Paradox ist selbst der Erfinder; es überlasst dem Verstande all das Splendide, auch die splendiden Sünden (vitia splendida).... Wenn der Verstand das Paradox nicht in seinen Kopf hineinbringen kann, so hat nicht der Verstand das erfunden, sondern das Paradox selbst".2) Die Objektivitat des Paradoxes führt Kierkegaard sogar zu der Stilfigur, dass er „dem Paradox" bestimmte „Aeusserungen.... in den Mund" legt.3) f) Wie beim Göttlichen und dem Damonischen, wie beim Absoluten und dem Entscheidenden, so ist auch hier beim Paradox jede „Mediation" vollstandig ausgeschlossen; sie ist hier eine Torheit. „Dieses Paradox lasst sich nicht mediieren" 4); dieser Ausdruck ist nach Geismar konstant ') Abschl. unw. Nachs. I. 306; F. u. Z. 66. 2) Phil. Broeken, S. 48, c£. 46. 3) Phil. Broeken, S. 49. *) F. u. Z., S. 67. in Kierkegaards Danisch für das deutsche „vermitteln". ') Auch „der Standpunkt" also, auf dem der Einzelne in seinem paradoxen „Verhaltnis zum Absoluten steht", „lasst sich nicht mediieren".2) Wenn Abraham versuchen würde zu „mediieren", „muss er zugestehen, dass er in einer Anfechtung war; und wenn dies der Fall ist, kommt er nie dazu, Isaak zu opfern, oder muss er, wenn er Isaak geopfert hat, reuevoll zu dem Allgemeinen zurückkehren"; aber dies würde bedeuten — siehe oben — ein Herausfallen aus dem Paradox.3) „In der Zeit vor dem Ausgang war Abraham entweder in jeder Minute ein Mörder, oder wir stehen vor dem Paradox, das höher ist als alle Mediation".4) Wo das Paradoxe sich mediieren lasst, ist es „nicht wesentlich paradox".5) Es ist wahr, dass „das Paradox für den Einzelnen leicht mit einer Anfechtung verwechselt werden kann",6) und die Anfechtung — siehe oben — ist „das Allgemeine", in dem der Einzelne also aus dem absoluten Paradox herausfallt; und — „das Allgemeine ist eben die Mediation".7) Aber dies alles „ist kein Grund, es (das Paradox, K. S.) zu vertuschen".8) Darum darf die Kirche auch von ihren Mitgliedern keine Mediation verlangen; denn damit wird der Ritter des Glaubens zu einen „tragischen Helden" degradiert; „die Idee der Kirche ist... . qualitativ nicht verschieden von der des Staates, wenn der Einzelne durch eine einfache Mediation Mitglied der Kirche werden kann".9) g) Weil „die Mediation" unter allen Umstanden durchaus verfehlt heisst, kann dem Inhalt des Paradoxes kein Platz im Denken eingeraumt werden. Das Paradox lasst sich nicht ') Geismar, S. 164. 2) F. u. Z., S. 53, 63, 67, 78. 3) F. u. Z„ S. 53/4. *) F. u. Z., S. 63. 5) F. u. Z., S. 57. 6) F. u. Z„ S. 53. 7) F. u. Z„ S. 78. 8) F. u. Z., S. 53. 9) F. u. Z., S. 71. denken, überhaupt nicht. Wir horten „das Paradox schon fragen: „wie sollte . ... ich wahrscheinlich sein i ) „Uas Paradox ist das Wunder"2), - und Kierkegaard pflegt dies Wort nicht zu „mediieren" es wurde ihm ja auch nicht möglich sein; denn durch die enge Verknüpfung von Paradoxon und Glauben würde er seine These nicht verandern können, ohne zugleich den Glauben seines Charakters eines „Wunders" zu berauben; auch der Glaube heisst Wunder".3) In seiner Unterscheidung zwischen der Keligiösitat A und der Religiositat B (wobei dann A die allgemein-menschliche, B die christliche Religiositat andeuten soll), weist er darauf hin, „dass in der Religiositat B das Erbauliche ein ausserhalb des Individuuras behndliches Etwas (ist)"; und hiermit korrespondiert dann „das Paradox-Erbauliche'', das „entspricht der Bestimmung: Gott in der Zeit als einzelner Mensch; denn wenn es so ist verhalt sich das Individuum zu etwas, was sich ausserhalb seiner befindet. Dass sich dies nicht denken lasst ist ja eben das Paradox." Hiermit steht oder fallt das Chnstentum, denn es behauptet, „dass sich das Paradoxe, von dem es redet, nicht denken lasse, verscheden also von einem relativen Paradox, das sich höchstens schwer denken lasst. ) Hiermit steht oder fallt natürlich auch die Religiositat B, denn man erkennt hier sofort die Konsequenz, dass mit „der Unverstandlichkeit des Paradoxes" korrespondieren muss die Behauptung, „dass es zum Paradox-Religiosen keine Analogien gibt." 5) Wo das grosse Paradoxon des „Gottmenschen" auftritt, „ist es ganz sicher, dass dem Menschen darüber der Verstand stillstehen muss . ) „Das absolute Paradox" „verbittet sich alle Erklarung . ) Gerade weil „das ') Phil. Br. 48, cf. (hier) S. 94, Note 2. 2) 1.1. ') Abs°chf onw 6N«chs. II. 242. 242/3, cf. (kio) S. 93. Note 5. 3 M&w.n.C~;slch kein Denken bemachtigen kann ; .... dem Denker unzugang ie . Paradox das Historische ewig und das Ewige historisch (macht)", muss es ausserhalb der Diskussion gestellt werden: „wer das Paradox anders versteht, erwirbt sich die Ehre, dasselbe erklart zu haben, und diese Ehre gewann er dadurch, dass er sich nicht damit begnügte, es zu verstehen".') „Das Paradox (war) paradox genug, sich nicht zu entblöden und den Verstand für einen Tölpel und Holzklotz zu erklaren, der höchstens zu demselben Ja und Nein sagen kann, was nicht gerade eine gute Theologie abgibt".2) h) Weil nun Gott und Mensch, Ewigkeit und Zeit, Religiositat A und Religiositat B, das Allgemeine und das absolut Paradoxe Gegensatze sind, genügt eine blosse Katargese des Verstandes nicht; die Logik in Kierkegaards Beweisführung zwingt zu der Lehre vom Widerspruch gegen den Verstand, zu der These, dass das Paradoxe auch das Absurde ist. So taucht das Skandalon auf und das sacrificium intellectus. „Das Paradox und der Verstand" müssen „zusammenstossen" 3), das eine hat sein „Elend", das andere seine „Herrlichkeit"4), wenigstens — in der Darstellung, der Empfindung. Wenn in der alten, oben besprochenen allgemeinen Bedeutung des Wortes das „Paradox" immer als „Anfechtung" für den Verstand gegolten hat, so weist Kierkegaard dieses Wort als viel zu schwach, ja, als fundamentale Haeresie zurück, um das auf seinem Standpunkt in der Tat allein noch übrigbleibende Wort „Aergernis", Skandalon, zu wahlen. Und wahrend früher „paradox" und „absurd" von einander unterschieden wurden, da werden sie hier notwendigerweise synonym. „Das Absurde gehort nicht zu den Differenzen, die im eignen Umkreis des Verstandes liegen. Es ist nicht identisch mit dem Unwahrscheinlichen, dem Unerwarteten, dem Unvermuteten" (wir können hinzufügen: dem Paradoxen, aufgefasst in der früher allgemein mit diesem Worte verbundenen Bedeu- ') Phil. Br. 57, Abschl. unw. Nachs. II. 259. 2) Phil. Br. 48; cf. Abschl. unw. Nachs. I. 291. 3) Phil. Br. 45. 4) 1.1. 48. Schilder y tung). ') Indem nun der „Ritter des Glaubens" das absolute Paradox ergreift, ergreift er das Absurde; in der Zergliederung von Abrahams Opfer wechseln übrigens die Qualifikationen „paradox" und „absurd" einander ab;2) der reiche Jüngling jedoch aus Christi bekannter Parabel, der zum Opfer nicht fahig war, ist gerade daran gescheitert, dass er dem Absurden nicht zugelassen hat, sich in seinem Leben zu verwirklichen.3) „Das Paradox ist ja das Paradox, quia absurdum".4) Der Verstand „ist abgedankt" ;5) „dem Paradox und dem Absurden" müssen wir „alle gleich nahestehen".6) Nicht nur über oder ausserhalb, sondern „gegen" den Verstand ist das Paradoxreligiöse.7) Und weil das Paradox „Glauben gegen den Verstand fordert" „bringt (es) sogleich das Aergernis an den Tag".8) Ja, es ist wohl „schwer",9) „seinen Verstand und sein Denken aufzugeben und seine Seele auf dem Absurden zu halten", und „dass das Paradox für den Einzelnen leicht mit einer Anfechtung verwechselt werden kann, ist wohl wahr", wie es auch wahr ist, „dass mancher seiner ganzen geistigen Konstitution nach durch das Paradox abgestossen wird". Aber — das alles „ist kein Grund, es zu vertuschen", man muss das Paradox „von einer Anfechtung unterscheiden";10) denn die Anfechtung gehort wieder zum „Allgemeinen"; mit ihr hat man auch zu kampfen bei der „Mediation", und sie gibt wieder das Bild des nur „tragischen Helden", und dessen Niveau ist von dem des Ritters des Glaubens ja wesentlich unterschieden. ") Darum haben wir eine andere, „eine neue Kategorie' nötig, '2) um ') F. u. Z., 42. 2) 1.1. 43, 53; cf. 56; Abschl. unw. Nachs. II., 239. 3) F. u. Z., 45. 4) Phil. Br. 48. 5) 1.1. 54. 6) Abschl. unw. Nachs. II. 259. ?) 1.1. 259, 264. 8) 1.1. 264. ») 1.1. 239. >0) F. u. Z., 53. i') F. u. Z., 57, 54, 76. >*) 1.1. 57. Abraham und sein Paradox zu verstehen; wir begegnen da nicht der Anfechtung, sondern — viel schlimmer — dem Aergernis, dem Skandalon. Kierkegaard spricht hierüber besonders unter dem Titel „Das Aergernis am Paradox (eine akustische Tauschung)". ') „Wenn das Paradox und der Verstand in dem gemeinsamen Verstandnis ihrer Verschiedenheit zusammenstossen", gibt es zwei Möglichkeiten: „der Zusammenstoss ist glücklich", oder er ist „unglücklich", namlich, wenn „der Zusammenstoss nicht im Verstandnis eingetreten ist"; diese unglückliche Liebe des Verstandes hat „ihren Grund in missverstandener Selbstliebe" und heisst nun „das Aergernis".2) Das Aergernis kann „als eine indirekte Probe für die Richtigkeit des Paradoxons angesehen werden".3) Der Held, der „sich als ein Paradox nicht verstandlich machen kann", ist damit „seiner Zeitgenossen oxdvócdov geworden".4) Das Paradox, „elend" und von allem, was „splendide" ist, beraubt5), findet keine Anerkennung in der „Spekulation"; deshalb muss diese sich „argern". So muss der „Gegenstand des Glaubens", eben weil er Paradox ist, darin auch „Zeichen des Aergernisses" 6) sein. Das Paradox ist zugleich „Widerspruch" ;7) und Christus, der Paradox und Zeichen des Aergernisses genannt wird, ist denn auch zugleich Zeichen des Widerspruchs.8) Und so wird von selbst die alte Auffassung des Paradoxons als incitamentum intellectus aufgegeben: hier ist es sacrificium intellectus geworden, sein Kreuz; eine Qualifikation, die von jeglicher Rhetorik frei ist.9) i) Wer das sacrificium intellectus bringen muss und ans ') Ph. Br. 45, sqq. In d. Einübung u.s.w. gibt er eine Analyse d. Wortes: Selig, wer sich nicht an mir argert, S. 63, sqq. 2) Ph. Br. 45. 3) 1.1. 46. «) F. u. Z., 59. 5) Ph. Br. 48. 6) cf. z.B. Einübung, S. 25 (Christus) mit S. 30. 7) Ph. Br. 57. 8) Einübung 109—111. 9) Abschl. unw. Nachs. II, 240, 245. „Kreuz" geschlagen wird, der hat natürlich sein Gefühl der „Not". Kierkegaard wird übrigens nicht müde, dies zu versichern. Wiederholt haufen sich die Ausdrücke: „die Not, die Angst, das Paradox".') Die Not des Ritters des Glaubens, der als der Einzelne das Paradox ist, heisst sogar „entsetzlich".2) Und wenn jemand bemerken möchte, dass jedes Paradox, auch das Paradox in seiner früheren Bedeutung, ein Gefühl der „Not" mit sich bringt, dann weisen wir doch wieder auf einen wesentlichen Unterschied. Zum Teil ist dieser schon in allen vorhergehenden Abschnitten (a-h) aufgezeigt, aber wir können dem Gesagten noch dies hinzufügen: er stens: bei dem Paradox in seiner früheren Bedeutung war die „Not", in die der Denker sich gestellt sah, eigentlich immer eine kollektive, ja, ohne den Gedanken der Kollektivitat war sie aufgehoben (denn die allgemeingültigen Denkgesetze Hessen sich nicht, wie es schien, versöhnen mit der als paradox empfundenen Wirklichkeit oder Meinung; und eben dieselben allgemeinen Denkgesetze wurden auch sofort zu Hilfe gerufen, um das Paradox zu überwinden, zu beseitigen; und wenn der Denker glauben konnte, dass in der Tat er allein in den paradoxen Netzen verwirrt war, dann war zu gleicher Zeit der scheinbare Widerspruch zu den allgemeinen Gesetzen des Denkens und des Lebens aus seinem Gesichtsfeld verschwunden, die Not war also eigentlich aufgehoben); aber bei dem Kierkegaardschen Paradox ist die „Not" gerade umgekehrt daraus entstanden, dass man als der Einzelne aus dem Allgemeinen vollkommen losgelöst ist. Und zweitens: bei der früheren paradoxen Verwirrung gibt es immer die (wohltuende, da eine Lösung bringende) Arbeit zur Ueberwindung des Paradoxes, wahrend hier bei Kierkegaard eine Ueberwindung des Paradoxes nichts anderes bedeuten würde als den Untergang; wenn Abraham das Paradox „überwindet' , ist Abraham verloren: die Not ist eine bleibende, sie ist ein 1) F., u. Z., 62, 63, 70. 2) a.W. 76. articulus stantis aut cadentis fidei. Wir wollen diese beiden Punkte einzeln besprechen. j) Was das erste betrifft: in dieser „Not" ist der Einzelne ganz isoliert. Er ist der Einsame. „Das ist die Not und Angst im Paradox, dass er, menschlich geredet, sich schlechterdings nicht verstandlich machen kann".') „Der Ritter des Glaubens ist als das Paradox der Einzelne, absolut nur der Einzelne." 2) „Der Wille des Himmels" — gesetzt den Fall, dass das Paradox wirklich, und dann absolut, besteht — ist dem Trager der Religiositeit B „nicht durch einen Augur verkündigt, sondern auf durchaus privatem Wege zur Kenntnis gekommen" ; der Himmel hat „sich in ein ganz privates Verhaltnis zu ihm gesetzt".3) Darum kann er „nicht reden, ob er auch noch so gern wollte".4) Der tragische Held (auch der des alten Paradoxes) „ist offenbar, und in diesem Offenbarsein der Ethik lieber Sohn. Das passt nicht auf Abraham ; er tut nichts für das Allgemeine, und er ist verborgen".5) Alle Nothilfe in diesem paradoxen Leiden, sowohl die erwiesene als die erfahrene, ist hier aus dem Gesichtskreis gebannt. „Der wahre Glaubensritter ist immer die absolute Isolation, der unechte ist sektiererisch." 6) „Naturen", die „von Grund aus im Paradox stehen", haben nichts an der Spekulation und nichts an der Ethik : „die Ethik halt sie eigentlich nur zum Narren."7) „In dem Paradox des Glaubens fallt das Allgemeine als Mittelbestimmung aus." 8) k) Deshalb — und es wird deutlich werden, dass Kierkegaards Lehre vom „Augenblick" keineswegs dagegen streitet — ist die Not, die paradoxe Not, auch bestandig. „Der Ritter des Glaubens wird bestandig in Spannung ') a.W. 70. 2) a.W. 76, passim. 3) a.W. 88. 4) a.W. 88. 5) a.W. 107. 6) a.W. 75. 7) a.W. 100. 8) a.W. 67. gehalten" (darin unterscheidet er sich von dem nur tragischen Helden).') Er unterscheidet sich auch von dem „sektiererischen" Menschen, der versucht, „von dem engen Pfade des Paradoxes abzubiegen".2) Die „Reue , die fortwahrend wieder „unter der Dialektik stehen wird, ob sie nun tief genug ist usw.", reicht denn auch gerade deswegen nicht zu der einsamen Höhe des Paradoxes : „wo sie aufhört, fangt das Paradox an" ;3) der Glaube an die Versöhnung bleibt, aber ist denn auch bestandig paradox. „Es will dem Glaubenden auch nicht einmal das Paradoxe sein und ihm dann unter der Hand nach und nach, das Verstandnis verschaffen ; denn das Martyrium des Glaubens (seinen Verstand zu kreuzigen) ist nicht das Martyrium eines Augenblickes, sondern gerade der Fortdauer. ) „Das Christentum ist eine Existenzmitteilung, die das Existieren paradox macht, weshalb es, solange existiert wird, das Paradox bleibt."5) Der Christ hat nicht nur einmal das Kreuz des Paradoxes tragen müssen, ist auch nicht nur je und dann darunter zusammengebrochen, nein : er ist „ans Paradox genagelt".6) t) Scheinbar streitet gegen den Ausspruch, dass wir es nicht mit einem „Martyrium eines Augenblickes" zu tun haben, der immer wieder hervortretende Gedanke, dass das Paradox und „der Augenblick" zusammen gehören. Aber mit diesem „Augenblick" wird etwas ganz anderes gemeint, als in dem Gegensatz: Augenblick-Fortdauer, siehe oben ! „Das Paradox ist der Augenblick." „Mit dem Paradox tritt das Aergernis ins Dasein; tritt es aber erst ins Dasein, so haben wir wieder den Augenblick Wenn wir den Augenblick nicht annehmen, so wenden wir uns wieder zu Sokrates zurück, und ihn wollten wir ja eben ') a.W. 75. 2) a.W. 75/6. 3) Citat bei Geismar, 192. 4) Abschl. unw. Nachs. II, 240. 5) a.W. 244. 6) a.W. 258. verlassen.... Wird der Augenblick statuiert, so ist das Paradox da ; denn das Paradox in unendlicher Abbreviatur kann man den Augenblick nennen; mit dem Augenblick wird der Lemende die Unwahrheit" (anders also als bei Sokrates). ') Deutlich spricht hier dieser Passus: „Darin liegt ja eben das Sokratische, dass der Lemende den Lehrer von sich stossen kann, weil er selbst die Wahrheit ist und die Bedingung hat; ja, darin lag eben die sokratische Kunst, der sokratische Heroismus, dass er den Menschen dazu verhalf, dass sie dies tun konnten". Aber der Glaube ist anders: „Der Glaube muss den Lehrer bestandig festhalten. Damit aber der Lehrer die Bedingung geben kann, muss er Gott sein; damit er den Lernenden in den Besitz derselben bringen kann, muss er Mensch sein. Dieser Widerspruch ist wieder Gegenstand des Glaubens und ist das Paradox, der Augenblick." 2) ,Der genannte Widerspruch besagt, dass der Mensch im Augenblick die Bedingung erhalte, welche als Bedingung für das Verstandnis der ewigen Wahrheit eo ipso die ewige Bedingung ist. Verhalt es sich anders, so stehen wir wieder bei. der sokratischen Erinnerung".3) Aber „der sokratische Satz: alle Erkenntnis ist Erinnerung, gehort der Spekulation an und Erinnerung ist Immanenz, und vom spekulativen und ewigen Gesichtspunkte aus gibt es kein Paradox".4) Wir müssen uns also vom Sokratischen abwenden, auch noch aus einem anderen Grunde. Denn das sokratische Verhaltnis kennt nur Lehrer und Schüler in derselben Dimension, sie stehen auf derselben Ebene. Darum kann hier der Lehrer den Schüler auch nicht auf das Kierkegaardsche Paradox stossen lassen. Das ist ja ein Moment von jener anderen Relation zwischen Lehrer (Gott) und Lernendem (dem Glaubigen), die beide aus zwei ganz anderen „Weiten" sind: aus der Ewigkeit der Lehrer, ') Phil. Broeken 47. 2) a.W. 57. 3) a.W. 57/8. 4) Abschl. unw. Nachs. I. (Jena 1910), 281, Note. in der menschlich-zeitlichen Existenz der Lemende. So wird die Parallelie zwischen „Paradoxon" und „Augenblick bei Kierkegaard durchsichtig: auch „der Augenblick ist der Einschlag der Ewigkeit". ') Die wesientlichen Grundbestimmungen von Kierkegaards Paradoxon kehren also alle wieder in seiner Struktur des Augenblicks. Dieser ist nicht „der archimedische Punkt , den man auf dem Papiere so leicht und billig konstruieren kann, indem man „zuerst Endlichkeit, dann Unendlichkeit setzt und dann sagt, auch auf dem Papier: „es muss vermittelt werden"; denn „nicht auf dem Papiere, sondern in der Existenz" ereignet sich „die Szene".2) Und dort ist „der Augenblick der Resignation", in dem „nicht vermittelt, sondern gewahlt wird ); und dort ist „die Aufgabe", „sich die Geschicklichkeit einer Wiederholung der leidenschaftlichen Wahl zu erwerben und das existierend auszudrücken".4) Denn das absolute rdog darf nicht in ein relatives „herabgesetzt werden ; ) darum ist die Mediation eine Todsünde in jedem wahrhaft paradoxen Verfahren und tritt „der Augenblick" in die Existenz hinein. Die Parallelie zwischen Paradoxon und Augenblick kann verdeutlicht werden an der von Geismar gegebenen Zeichnung:6) Spekulierende hinstellung. \ Existentielle Einstellung. Die obere Linie, sagt Geismar, „soll.... das Ewige, das Gute, das ewig sich selbst gleicht' , die untere „die Lert.momente, die ohne inneren Zusammenhang aureinander folgen", bezeichnen. „Die Aufgabe ist nun: mit dem Auge auf das Zukünftige gerichtet (rechts) das Ewige in das •) Citat bei Geismar 613. 2) Abschl. unw. Nachs. II, 111/2. 3) ib. 103, 95, passim. 4) ib. 103. 5) ib. 93. «) Geismar 273/4. Zukünftige zu führen. Im Punkte *), das den 'Augenblick' im eigentlich Kierkegaardischen Sinne bezeichnet, wird das Ewige in das Zeitliche hineingeführt. In diesem Punkte ist das Ewige augenscheinlich das Zukünftige . . . (existenzielle Einstellung). Dagegen „ist die Aufmerksamkeit des Spekulierenden rückwarts gerichtet auf das Ewige in dessen ewigen Sein" (spekulierende Einstellung). ') m) Es erregt einige Verwunderüng, dass, nachdem so viele Male Sokrates und „das sokratische Verhaltnis", als etwas, das überwunden werden musste, hingestellt wurden, das Paradox doch auch wieder „sokratisch" genannt wird. Aber dennoch geschieht dies. So heisst z.B. „die Sündenvergebung sokratisch paradox, insofern als sich die ewige Wahrheit zu einem Existierenden verhalt, sensu strictiore".2) Hermann Diem will sogar einen Unterschied annehmen zwischen „dem sokratischen Paradox" und „dem christlichen Paradox".3) Demgegenüber konstruieren andere, z.B. Martin Thust und Torsten Bohlin, das sokratische „Prinzip" oder Element in Kierkegaards (Paradox-)Lehre so, dass kein Grund besteht, sokratisches und christliches Paradox einander in dieser Weise gegenüberzustellen.4) Wir schliessen uns unsererseits aus verschiedenen Gründen5) dieser ') Geismar, 1.1. cf. Abschl. unw. Nachs. I., 282: Das Paradox tritt ein, wenn die ewige Wahrheit und das Existieren zusammengesetzt werden, aber jedesmal wenn das Existieren bezeichnet wird, wird das Paradox immer deutlicher, cf. 283. 2) Abschl. unw. Nachs. I., 257. 3) H. Diem, Philosophie und Christentum bei Sören Kierkegaard, München, Kaiser, 1929, S. 176, sqq., 210 sqq. 4) Martin Thust, Sören Kierkegaard, Der Dichter d. Religiösen, München, Beek, 1931, qualiflziert den Kierkegaardschen Sokrates als „Vorlaufer" (Christi, des Paradoxes, S. 150, 155, sqq.) — Nebenbei sei bemerkt, dass auch beim Vorlaufer Johannes, von dem Thust redet, S. 155, die Relation JohannesChristus und die Relation Johannes-Johannes-Schüler zu unterscheiden ist. — Torsten Bohlin, Sören Kierkegaard, u. d. rel. Denken d. Ggw. LeipzigMünchen, Rösl & Cie., 1923, S. 99 verbindet auch Sokrates und das Kierkegaardsche Paradox überhaupt; cf. Torsten Bohlin, Kierkegaards dogmatische Anschauung in ihrem geschichtl. Zus., Gütersloh, Bertelsmann, 1927, S. 68, Note. 5) Diem, S. 212, sagt: „Das sokratische Paradox stösst durch seine objektive Ungewissheit ab, das christliche Paradox dagegen kraft des Absurden, weil es durch einen Widerspruch zusammengesetzt ist". Aber: hier liegt kein letzteren Auffassung an und glauben, dass Kierkegaard selbst sie legitimiert: Sokrates kann ja von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet werden. Als er oben unter a) und l) zur Sprache kam, wurde er betrachtet in seinem Verhaltnis als Lehrer zum Lernenden, zum Schüler. Zwischen Lehrer und Lernendem ist ein Wechselver haltnis, sagt Kierkegaard; ') denn der Lehrer sucht ebenso gut wie der Schüler;2) und was Sokrates betrifft: er weiss, dass „alles Lemen und Suchen nur Erinnerung ist, so dass der Unwissende nur eines Hinweises bedürfe, um durch sich selbst sich auf das zu besinnen, was er weiss; die Wahrheit wird also nicht in ihn hineingebracht; sie war schon in ihm".3) Darum kann Sokrates niemals in eigentlichem Sinne für den Schüler ein „Vater" sein; er bringt es nicht weiter als bis zur „Hebamme", sei es denn auch „eine von Gott selbst examinierte Hebamme".4) Für die „sokratische Betrachtung" ist „jeder Mensch sich selbst Kontrast vor, die objektive Ungewissheit ist die conditio sine qua non des Paradoxes. Kierkegaard selbst schreibt, Abschl. unw. Nachs. I, 281, Note: „Sokrates (hat) nicht einen phantastischen Anfang wo der Speku- lierende sich umkleidet und nun immer fortfahrt zu spekulieren und das Wichtigste, das Existieren, vergisst. Aber gerade weil Sokrates so weiter gekommen ist, bekommt er eine gewisse analogische Gleichheit mit dem, was das Experiment als das in Wahrheit über das Sokratische Hinausgehende hinstellte, die Wahrheit als Paradox eine Analogie zum Paradox sensu eminentiore, die Leidenschaft der Innerlichkeit im Existieren wird eine Analogie zum Glauben sensu eminentiore". Und, ibidem, S. 280: „Die sokratische Innerlichkeit im Existieren ist ein Analogon zum Glauben, nur dass dessen Innerlichkeit, die nicht dem Abstoss der Unwissenheit. sondern des Absurden entspricht, unendlich tiefer (!) ist". Diem schreibt selbst, dass „das christliche Paradox nicht die Auflösung des sokratischen Paradoxes, sondern seine grösstmögliche Steigerung bedeutet , S. 213; und, dass es für die „Leidenschaft zum Paradox" noch „eine letzte Steigerung" gibt, „die auch Sokrates gelegentlich einmal noch erreicht hat", S. 217. Man muss u. E. das „sokratische" Paradox, das Kierkegaard freilich überhaupt nicht stark betont, und auch nicht an und für sich so qualiflziert hat, nicht dem christlichen Paradox gegenüberstellen, cf. Bohlin, S. K„ der Dichter, u.s.w. 99, Thust, a.W. 150, 160. 166/7. ') Phil. Br. 21. 2) ib. 8. 3) ib. 8. ♦) ib. 9. das Zentrale". ') Zwischen Schüler und Lehrer besteht ein Verhaltnis, das dadurch bestimmt wird, dass beide in derselben „Dimension" leben; der eine hat den anderen nötig, wenn es auch nur ware, um sich selbst zu verstehen.2) Legt man also auf dieses Verhaltnis vom Lehrer zum Schüler, von Hebamme zum Kind den Nachdruck, dann tritt in der Tat ein scharfer Gegensatz zwischen dem sokratischen und dem absolut Paradoxen —- Begegnung von zwei ganz „anderen" Dimensionen — ins . hellste Licht. Das absolute Paradox kommt von Gott, der in die Zeit hineintritt; und Gott steht zum Schüler in einem ganz anderen Verhaltnis, kommt zu ihm aus einer total anderen „Dimension", greift von dort aus ein in des Menschen Existenz. Gott hat dabei den Schüler absolut nicht nötig.3) Er steht denn auch zu ihm am allerwenigsten in einem Wechsel ver haltnis gegenseitiger Abhangigkeit; denn Gott, anders als Sokrates, ist jetzt der absolute Lehrer.4) Er kommt nicht wie Sokrates zum Schüler in einem „zufalligen, verschwindenden" Ausgangspunkt in der Zeit,5) sondern er überwaltigt ihn in einem Augenblick, der, gerade weil Gott hier auftritt, „eigener Natur" ist, ein Augenblick, der „erfüllt vom Ewigen" ist, und der darum heissen muss: „die Fülle der Zeit".6) Auch ist Gott bei der Unterweisung nicht angewiesen auf die „Erinnerung", auf das also, was schon im Schüler vorhanden ist, sondern vielmehr tut Gott etwas, was ein menschlicher Lehrer nie tun kann; „nicht bloss die Wahrheit gibt (er), sondern auch die Bedingung (ihres Verstandnisses) verschafft (er)".7) Gerade dies Letzte, namlich dass auch die Bedingung des Verstandnisses „verschafft" werden muss, macht Sokrates machtlos und hindert ihn in alle Ewigkeit daran, absoluter Lehrer zu werden, paradox ') Phil. Br. 10. 2) ib. 21. 3) ib. 22. 4) ib. 13. 5) ib. 9. «) ib. 16. 7) ib. 13, 12. zu sein im absoluten Sinne des Wortes, paradox gegenüber dem Lernenden. Denn „alle Unterweisung beruht darauf, dass die Bedingung in letzter Instanz doch vorhanden ist; fehlt sie, so vermag ein Lehrer nichts. Denn in diesem Falie muss er ja den Lernenden nicht umbilden, sondern umschaffen, bevor er beginnt, ihn zu lehren. Aber dies vermag kein Mensch; soll es geschehen, so muss es durch Gott selbst geschehen." ') Obgleich also aller Grund vorhanden ist, das sokratische Verhaltnis mit Bezug auf die Relation: Schüler—Lehrer armlich, unparadox, ja, sogar unfahig zum Durchbruch des Paradoxes in absolutem Sinne zu nennen, so kann man „Sokrates" doch noch auf andere Weise sehen. Man kann ihn namlich sehen in seinem eigenen Verhaltnis zu Gott, zur Wahrheit, zum Absoluten. Wir horten schon, wie nach Kierkegaards Meinung Sokrates, obgleich nur Hebamme, doch eine von Gott examinierte Hebamme war. Hebamme — das ist das Verhaltnis zum Kind, dem Objekt der „Paedagogie", dem vrjmos. Aber „von Gott examiniert" — das ist die persönliche Haltung gegenüber der Wahrheit, Sokrates' eigener Umgang mit der absoluten Wahrheit oder seine Verlegenheit ihr gegenüber. Und es ist offenbar dieses letztere Verhaltnis von Sokrates gegenüber der Wahrheit, das Kierkegaard dazu veranlasst, dem erst unsokratischen Paradox doch das Epitheton „sokratisch" zu geben. Denn Sokrates hatte ein grosses Verdienst: die Betonung der Existenz. „Der Spekulierende (ist) ein Existierender, den Ansprüchen der Existenz unterworfen. Dies zu vergessen, ist kein Verdienst, aber wohl es festzuhalten, ein grosses Verdienst, und das tateben Sokrates." 2) „Vergessen wir nie, dass Sokrates' Verdienst darin bestand, den Erkennenden als Existierenden hinzustellen .3) Sokrates „begriff . . .wie misslich es war, sich spekulierend aus der Existenz in die Ewigkeit zurückzunehmen, da doch der Existierende keine 1) Phil. Br. 13. 2) Abschl. unw. Nachs. I. 281, Note. 3) a.W. 283, cf. 279. Misslichkeit an sich hatte, ausser der, dass er existierte." ') Hierin unterscheidet Sokrates als Typ sich denn auch in günstiger Weise von Plato. Wohl stellen beide den sokratischen Satz auf: alles Erkennen ist ein Sicherinnern.2) „Dieser Satz deutet den Anfang der Spekulation an, aber Sokrates verfolgte ihn daher auch nicht, sondern er blieb wesentlich platonisch. Hier biegt der Weg ab: Sokrates betont wesentlich das Existieren, wahrend sich Plato, dies vergessend, in Spekulation verliert. Sokrates hat gerade das unendliche Verdienst, kein Spekulant, der das Existieren vergisst, sondern ein existierender Denker zu sein."3) „Die Betonung der Existenz und damit der Innerlichkeit ist das Sokratische, der Erinnerung und Immanenz nachzugehen das Platonische .4) Es ist Sokrates' Verdienst, dass man ihn nicht halten kann ,,auf der Höhe des Satzes, dass alle Erkenntnis Erinnerung sei". Wenn das möglich gewesen ware, dann ware er ein spekulativer Philosoph geblieben; aber nun ist er ein existierender Denker.5) Er begriff, dass „für einen Existierenden das Wesentliche das Existieren ist".6) Und so ist Sokrates wegen seiner ,, Unwissenheit" zu loben. „Die sokratische Unwissenheit ist der Ausdruck für die objektive Ungewissheit, des Existierenden Innerlichkeit ist die Wahrheit." 7) Denn Sokrates war ,,in seiner Unwissenheit innerhalb des Heidentums im höchsten Mass in der Wahrheit".8) Und ,,die sokratische Unwissenheit war so der mit der ganzen Leidenschaft der Innerlichkeit festgehaltene Ausdruck dafür, dass sich die ewige Wahrheit zu einem Existierenden verhalt und ihm deshalb, so lange er existiert, ein Paradox bleiben muss".9) So wird die Brücke von ') a.W. 283. 2) 280, cf. Phil. Br. 7, sqq. 3) Abschl. unw. Nachs. I. 280. 4) a.W. 281, Note. 5) 280/1, Note. «) 286. 7) 279. 8) 279. 9) 277. „Sokrates" zum Kierkegaardschen Paradox geschlagen. „Das Paradox ist die objektive Ungewissheit, welche die Leidenschaft der Innerlichkeit ausdrückt, in welcher eben die Wahrheit besteht. So das Sokratische. Die ewige, wesentliche Wahrheit, d.h. die, welche sich wesentlich zu einem Existierenden verhalt, indem sie wesentlich das Existieren betrifft...., ist das Paradox," sagt Kierkegaard. ') Und nun kann er — vgl. S. 105,Note 5) — wiewohl er einen „gleichwohlunendlichen Unterschied zwischen „dem Sokratischen" einerseits und dem „über das Sokratische Hinausgehenden" andererseits poniert, doch eine Analogie zwischen beiden sehen. „Die Wahrheit als Paradox wird eine Analogie zum Paradox sensu eminentiore, die Leidenschaft der Innerlichkeit im Existieren wird eine Analogie zum Glauben sensu eminentiore Jetzt.... steht nichts im Wege, in Bezug auf Sokrates und Glauben vom Paradox zu reden, was ganz richtig ist, wenn man s bloss richtig versteht ; es Hessen sich denn auch, sagt Kierkegaard, „belehrende Vergleiche zwischen der griechischen moxig einerseits und seinem „Glauben sensu eminentiore" andererseits „anstellen . ) „Die sokratische Innerlichkeit im Existieren ist eine Analogon zum Glauben, nut dass dessen Innerlichkeit, die nicht dem Abstoss der Unwissenheit, sondern des Absurden entspricht, unendlich tiefer ist .3) n) Deswegen ist das Paradox, jetzt wieder in eigentlichem, eminentem Sinne verstanden, denn auch stets Objekt des Glaubens, ja, das Paradoxon macht den Glauben selbst paradox. Denn weil der Glaube „das Absurde annimmt (eine Benennung, die, wie wir sahen, das Paradoxe bezeichnet) wird der Glaube selbst „das Paradox des Daseins. ) „So ist ja der Glaube ebenso paradox wie das Paradox? Ganz richtig ! wie sollte er denn sonst im Paradox seinen Gegenstand haben und in seinem Verhaltnis zu diesem 1) 279. 2) 281, Note. 3) 280. t) F u. Z„ 43, 52, 53, passim, Phil. Br. 57. glücklich sein ?" ') Und so heisst auch die Religiositat B kurzweg : die paradoxe Religiositat.2) Ihr Glaube hat einen Mut, der „paradox und demütig" ist.3) Von Angst, Not und Paradox horten wir in einem Atem reden, aber der Glaube lasst hier doch keine aporetische Haltung zu: wenn man das Paradox nicht als Objekt des Begreifens, sondern des Glaubens annimmt, versteht man zugleich: „wenn man bloss alle Versuche zu begreifen als sich selbst widevspvechend aufzeigen kann, so bekommt die Sache ihre rechte Stellung." 4) o) Wenn eine aporetische Haltung hier auch ausgeschlossen ist, so ist doch ebensosehr die des bourgeois satisfait eine Unmöglichkeit; denn nur in der grossen Leidenschaft ist man Glaubensritter und Schüler des Paradoxons. „Der Glaube ist die höchste Leidenschaft in einem Menschen." 5) Dieser Gedanke wird bei Kierkegaard ganz besonders konkret, weil er eine Parallele zieht zu „dem Paradox der Liebe".6) „Das Paradox ist des Denkers Leidenschaft, und der Denker ohne Paradox ist wie der Liebende ohne Leidenschaft: ein mittelmassiger Patron".?) Wie jedoch jede Leidenschaft ihren eigenen Untergang will, so sucht der Verstand in seiner höchsten Leidenschaft den Anstoss, „obgleich der Anstoss auf die eine oder andere Weise sein Untergang werden muss." 8) „In seiner Paradoxie" kann „der Verstand" „es nicht lassen, immer wieder zu ihm (d.h. dem Unbekannten) zu kommen"; „die paradoxe Leidenschaft des Verstandes stösst bestandig gegen dieses Unbekannte an".9) Und darin findet der Glaube ein inniges Glück. „Wenn das Paradox und der ') Phil. Br. 60. 2) Abschl. unw. Nachs. II. 238. 3) F. u. Z., 45. *) Die Krankheit zum Tode, 2. Aufl., Diederichs, Tena, 1924, S. 93. 5) F. u. Z„ 115. 6) Phil. Br. 35. 7) a.W. 34. 8) S. 34. 9) S. 40. Verstand in dem gemeinsamen Verstandnis ihrer Verschiedenheit zusammenstossen, so ist der Zusammenstoss glücklich wie das Verstandnis der Liebe, glücklich in der Leidenschaft", die spater Glaube genannt wird;') denn dort geschieht das Liebeswunder, dass „der Verstand sich selbst beiseite schafft und das Paradox sich selbst hingibt. ) Der Gegensatz zu diesem glücklichen Zusammenstoss ist: das Aergernis; hierbei ist „der Zusammenstoss nicht im Verstandnis eingetreten" ; darum ist jetzt „das Verhaltnis unglücklich" ; der Verstand hat hier seine „unglückliche Liebe".3) Daher kommt es denn auch, dass bei der glücklichen Liebe das Pathos unaufhörlich erneuert wixd ; das Paradoxe ist „zu neuem Pathos abstossend" ; kein Wunder, da „der Verstand sich selbst aufgab und das^Paradox sich hingab (halb zog sie ihn, halb sank er hin) . ) p) Indem so das Element der Liebe (in den Glauben) hineingetragen wird, werden alle vorhergehenden Bestimmungen des Paradoxes noch ausserordentlich verscharrt. Nicht tragisch, wortlos, keine Lehre, keine Anfechtung, Schweigen — all diese Umschreibungen werden jetzt noch deutlicher. Denn Liebe, Leidenschaft, Pathos verhindern den tragischen Ablauf, solange sie kraftig sind, sie vermeiden das Wort, rufen den Lehrer nicht, sind strikt personhch und konkret (der Einzelne). Das Tragische liegt „zwischen den Polen, zwischen denen der paradoxe Glaubensntter sich bewegt, ist „billig",6) allgemein, erreicht also nicht das Paradox. Und das Wort findet die paradoxe Leidenschaft auch nicht: Abraham kann „nicht reden ; „sobald ich rede, drücke ich das Allgemeine aus: wenn ich das nicht tue, versteht mich niemand."7) Weil der paradoxe Mensch der Einzelne ist, dessen „augenblickliche" Position in der 1) 45, cf. 54. 2) 54. 3\ 45, 4) Abschl. unw. Nachs. II, 238, Phil. Br. 50. 5) F. u. Z. 54. 6) F. u. Z. 76. ') S. 57. existenziellen Einstellung, gerade weil sie ihn (nach einer „eschatologischen" Terminologie) setzt in „die Fülle der Zeit", ihn eigentlich positionslos macht auf der Ebene der Zeit und von allem, was sich horizontal auf dieser Ebene bewegt, darum kann er sich „schlechterdings keinem anderen verstandlich machen"; „der eine Ritter des Glaubens kann dem anderen Ritter des Glaubens nicht helfen"; „Kompanie ist in diesen Regionen ganz undenkbar".') „Menschlich geredet ist er von Sinnen", das „ist noch der mildeste Ausdruck für ihn".2) Auf die Frage, ob der paradoxe „Ausspruch", der zu ihm kam, publici iuris oder „ein privatissimum" ist, ist die Antwort eine unzweideutige Wahl des letzteren Wortes.3) Sein „Inneres" ist „in einem Aeusseren nicht auszudrücken.4) Ausser der „Ethik" halt auch jede gegebene oder denkbare „Dogmatik" ihn „zum Narren"; ein Lehrer kann ihm nichts geben; er kann selber auch kein Lehrer werden; er ist „stets Zeuge, niemals Lehrer".5) Der menschliche Lehrer ist höchstens „Anlass", „ein verschwindender Durchgang"; denn das Verhaltnis zwischen Lehrer-Schüler ist Relativitat; aber hier ist der glaubige Schüler Gottes also nichts Geringeres als „eine neue Kreatur", aber das dann wieder — „im Augenblick". „Wenn daher ein Christ (der paradox ein Schüler des Gottes, das heisst eine neue Kreatur ist) innerhalb des Christentums wieder ein Schüler von dem und dem wird, so er weckt dies einen indirekten Verdacht, sein ganzes Christentum sei wohl etwas asthetischer Galimathias" ; denn: „in asthetischer Auffassung ist der eine Lehrer, der andere lernt, dann er wieder Lehrer u.s.w." 6) Auch Kierkegaard selber ist kein Lehrer ; diese Konsequenz wird nicht übersehen; sein Buch „ist also überflüssiy, ') F. u. Z. 68, cf. 70. 2) ib. 73. 3) ib. 87/88. 4) ib. 66. 5) ib. 77. 6) Abschl. unw. Nachs. II, 253, Note. Schilder darum bemühe sich keiner damit, sich auf das Buch zu berufen; denn wer sich darauf beruft, hat es eo ipso missverstanden" .... und den Verfasser ,,in die Bürgerliste eingeführt". ') Wehe denen, die sein Paradox jemals zu einem ëvöo^ov machen würden !2) Und was Christus betrifft: „Christus ist das Paradox, das die Geschichte nie verdauen, noch in einen allgemeinen Syllogismus umsetzen kann".3) Hier geht der Logos von Joh. I, der Gott, der Fleisch ward, in „Sigê" unter: der tragische Held möge ,,all sein Tun" liegen sehen ,,in dem Gebiete des Offenbaren", aber wer „gegen das Paradox anstösst", erfahrt es: sowohl „das göttliche" als auch „das damonische" sind „beide" „Schweigen".4) Und „auch die Not und Angst des Paradoxes" liegt „gerade in dem Schweigen". Wer „fordern" würde, dass Abraham paradoxus „reden soll", der würde ihn gerade „wieder aus dem Paradox herausheben, ihn in dem entscheidenden Augenblick das Paradox suspendieren lassen wollen '.5) q) So muss wohl alles auslaufen auf ein Anwenden, hier, der „letzten" Worte, die Theologie und Philosophie ersinnen können. Was die Theologie auf Gott und Gottes Wort angewandt hat, das wird hier vom Paradox ausgesagt: Es ist index et iudex sui et falsi.6) Und das „teure" Wort der Philosophie ist hier nicht zu kostbar : „wir brauchen eine neue Kategorie, um Abraham zu verstellen." 7) „Das Paradox ist eine Kategorie. Darum dreht sich eigentlich alles .... Das Paradox ist nicht eine Konzession, sondern eine Kategorie, eine ontologische Bestimmung, die das \/erhaltnis ausdriickt zwischen einem existierenden Geist und der ewigen Wahrheit".8) ■ j a. vv . 2) Pap. V. A. 79, zit. bei Hermann Diem, a.W. 185. 3) Einübung 25. 4) F. u. Z. 83. ») ib. 111/2. 6) Phil. Br. 46. ') F. u. Z. 57. 8) Pap. VIII. A 11, zit. bei Hermann Diem, a.W. 185. § 2. Radikalismus der Kierkegaardschen Wendung. Auch ohne dass schon die Frage nach dem theologischphilosophischen Hintergrund des Kierkegaardschen Paradoxes erörtert wurde, kann aus den Zitaten, die gegeben wurden, doch wohl sofort ersehen werden, wie radikal Kierkegaard das Wort „Paradox" losgelöst hat von der Bedeutung, die es jahrhundertelang gehabt hat. Wir wollen versuchen, durch einen Vergleich des früheren Paradoxes mit dem Kierkegaardschen die wichtigsten Unterschiede hervorzuheben. Wir nennen dabei das Paradox in seiner früheren allgemeinen Bedeutung A, das Kierkegaardsche B. Bei A ist das Paradox immer etwas, das überwunden werden soll; bei B ist sein Ueberwundenwerden eine Unmöglichkeit, Sündenfall, Niederlage. — Paradox A ist incitamentum intellectus, B ist sacrificium intellectus. — Das Martyrium des Paradoxes A kann nur bei den Entarteten Platz machen für ein Wonnegefühl, (Sophisten), das des Paradoxes B ist (in der Leidenschaft der Liebe) selbst eine Wonne geworden. — lm Falie des Paradoxes A ist das Genie, als von Anfang an nicht orientiert am Allgemeinen, in der günstigsten Lage, um vom Paradox loszukommen, im Falie B ist das Genie, als „von Anfang an desorientiert im Verhaltnis zu dem Allgemeinen", in der günstigsten Lage, um zum Paradox zu kommen. ') — Paradox A ist ein Zusammenstoss von Meinungen, die korrespondieren oder nicht korrespondieren mit Wirklichkeiten, die beide auf derselben Ebene liegen; daher verursacht es eine „tragische" Lage, sucht ■) F. u. Z. 101. man nach einem „Ausgang", nicht so wie man (asthetisch) „gespannt ist auf den Ausgang wie auf den Ausgang eines Romans", sondern weil im Denken und also im Sein, im Leben, Not ist. Aber Paradox B ist ein Zusammenstoss von Wort Gottes und menschlicher Existenz, von Ewigkeit und Zeit, also von dem, das nicht auf derselben Ebene liegt; daher geht es über jede tragische Lage hinaus und ist dasSuchen nach einem Ausgang, das Gespanntsein auf den Ausgang, gerade ein Beweis, dass man „von dem Paradox nichts wissen will". — ') Paradox A bedeutet eine nzü>aigt seine Ueberwindung eine avdozaoiQ, beide auf derselben Ebene. Paradox B ist avaozaoig, aber dann auf keiner einzigen „Ebene". — A ist Inzident, B Kategorie. — A ist Anfechtung, B niemals. —■ Zu A kommt „Sokrates nur auf dem Weg seines Wissens, und er fühlt sich dann gedrückt in einer relativen Unwissenheit; zu B kommt Sokrates nur durch Unwissenheit, die ihn zum Befreier machen könnte, wenn das einem Menschen gegeben ware. — Die paradoxe Not A suspendiert jede „Hebamme" von ihrem Dienst; die paradoxe Not B setzt die „Hebamme" gerade in ihren Dienst ein. — Paradox A ist immer eine Sache des Allgemeinen, kann nur auftauchen, wo allgemeine Gesetze des Denkens und Handelns sind; Paradox B ist ein dem Allgemeinen den Rücken Zukehren, ein Isoliertsein als Einzelner. — Paradox A setzt voraus die „Kompanie", deren „Meinung" widersprochen worden ist, und seine Lösung ist immer aus den Denkgesetzen der „Gemeinschaft" gefunden oder kehrt aus dem „privatissimum", wo sie gefunden ward, segnend zu der Gemeinschaft zurück. Aber Paradox B setzt gerade die Loslösung aus der „Kompanie" voraus, bleibt auf das privatissimum beschrankt, kann nicht segnend (kritiklos) auf die Gemeinschaft einwirken. — Paradox A muss eine Brücke schlagen zum 'évdo^ov; Paradox B ruft das Wehe über jeden Brückenbauer aus. — Wenn A auftaucht, dann ist die Aporie da, wer B gekannt hat, i) a.W. 60. ist über die Aporie erhaben — sofern er B begegnet, und so oft er das tut. — A ist der Schrecken des intellektuellen Lebens, B ist sein Pathos, das eigentliche Pathos. ') — A kommt in der Relation Lehrer-Lernender vor ; B qualt und segnet sie beide, aber dann privatim, und wischt ihre Relation, ihre Unterscheidungsnamen aus. — A ist gegen die herrschende, B gegen alle Meinung. — lm Moment A kommt man sicher zur Ungewissheit, im Moment der Ungewissheit kommt man vielleicht zu B. — Leidenschaft will A niederschlagen, Leidenschaft will sich mit B vereinigen, aber in Liebe. — A tritt dem praktisch Denkenden in den Weg, B ist eine erkenntnistheoretische Gegebenheit; A ist eine Crux bei der Vollendung eines Lehrbuches, B ist das erste Kapitel in den Prolegomena eines Zeugnisses. — A ist nicht absurd ; denn es will gerade davon wegfliehen, B ist selbst absurd. — A ist nur möglich, wenn die Denkgesetze Geltung haben, B nur, wenn dieser Geltung fundamental widersprochen ist. — A sucht Aufhebung, B Aufbewahrung des Widerspruches. — A ist eine Sache von Schwache oder Kraft, B von Tod oder Leben. — A kann es geben in der Religiositeit A, B nur bei der Religiositeit B. — „Wenn das SchifF ein Leek bekommen hat, dann das SchifF' verzweifelt „durch Pumpen zu halten und" „den Hafen aufzusuchen" : das ist Paradox A. „Wenn das SchifF ein Leek bekommen hat, dann das SchifF begeistert durch Pumpen zu halten und doch den Hafen nicht aufzusuchen" : das ist Paradox B.2) — „Wenn der Spekulant das Paradox so erklart, dass er es aufhebt, und nun wissentlich weiss, dass es aufgehoben ist, dass das Paradox also nicht das wesentliche Verhaltnis der ewigen, wesentlichen Wahrheit zu einem ist, der im starksten Grade existiert, sondern nur ein zufalliges Relationsverhaltnis zu beschrankten Köpfen, so herrscht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Spekulanten und dem ') Pap. II A 755, zitiert bei Diem, a.W. 186. 2) Abschl. unwiss. Nachs. I, 298, Note. Einfaltigen" ;') der erstere steht an der Spitze der Gemeinschaft („Kommunie") aller Grübler über Paradox A und beschwört, dass er wenigstens nie wieder zu rufen brauche, so wie seine Nachhut es im selben Moment noch tut: hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, amen!, denn was ihn, den Spekulanten, betrifft: er hat sich selber geholfen. Und der andere, der Einfaltige : er beugt sich ganz allein als neue Kreatur im Lehrzimmer des Paradoxes B und ruft, noch immer als der Einzelne, nur Gott vernehmbar: hier liege ich, ich will nicht anders, Gott hat mir geholfen, amen. „Geholfen", — das bedeutet hier : „besiegt". i) a.W. 300. § 3. Die Wendung auf mathematischem Gebict. Zwischen Kierkegaards Philosophie und der Mathematik scheint ein grosser Abstand zu liegen ; so gross, dass der Uebergang von Kierkegaard zur Mathematik, auch insoweit es sich um die Begriffsgeschichte des Paradoxons handelt, eigentlich etwas Ueberraschendes hat. Dennoch gibt es — wie wir sehen werden — verborgene Verbindungsdrahte zwischen einer Philosophie der Antithese „absolut-existentiell" und der Mathematik mit ihrem Unendlich-Endlich-Problem. Auf mathematischem Gebiet hat sich namlich viel geandert. „Calculum vera dicere, & eorum rationes, quae ad repraesentandum proponuntur, ita reddere, ut sunt, nemo est qui dubitet" ; dieser uns schon bekannte Ausspruch ') eines Jesuiten (1773) würde in unserer Zeit nicht mehr gehandhabt werden können. Auf der Prager Tagung der Deutschen Mathematiker-Vereinigung (1929) wurde offen durch Heinrich Behmann erklart, dass ein solches Fortschreiten der Mathematik auf dem Wege logischer Folgerichtigkeit nur noch von dem Nichteingeweihten behauptet werden könne.2) Wenn es auch nur die Als-Ob-Philosophie ware, die hier Zweifel erweckt, ja leugnet,.calculum vera dicere", so bleibt es doch eine Tatsache, dass dieser Zweifel besteht. Und wie wir sehen werden, hat die Als-Ob-Philosophie ') De paradoxis virium agentium in ratione quavis distantiarum, etc.; vgl. hier Kap. I, § 3. 2) H. Behmann, Zu den Widersprüchen der Logik und der Mengenlehre, Jahresbericht der deutschen Mathematiker-Vereinigung, XI, 1.—4. Heft, 1931, auch auf mathematischem Gebiet ihre Anhanger gefunden. Aus dieser blossen Andeutung wird schon deutlich, dass dann auch auf dem Gebiet der Mathematik (und verwandter Wissenschaften) die Verwendungsgeschichte des Wortes „Paradox" uns vor Schwierigkeiten stellen muss. Denn das Wort war, auch als terminus technicus, schon lange in der Mathematik bekannt; von ihren Paradoxen und Paradoxien nannten wir schon viele Beispiele. Wir bemerkten zugleich. dass dabei stets nach paradoxfreien Lösungen der Schwierigkeiten gesucht wurde, d.h. die herrschende Strömung in der Mathematik ging auch weiterhin von dem Gedanken aus, der sich uns bis auf Kierkegaard als den herrschenden zeigte, dass das Paradox, genau genommen, galt als ein Ding, das überwunden werden musste. Die hevtschende Strömung, sagten wir; denn wohl behauptete u.a. L. E. J. Brouwer im Jahre 1908 die Llnzuverlassigkeit der logischen Prinzipia auf dem Gebiete der Mathematik, aber noch 1919 erklarte er selber, dass diese Auffassung damals noch wenige Anhanger gefunden hatte. ') In dieses Suchen nach einer widerspruchslosen Mathematik hatte auch Kants Auftreten so gut wie keinen Umschwung gebracht, nicht einmal mit Bezug auf die Nomenclatur. Kants Ausdruck „Antinomie" konnte das schon eingebürgerte Wort Paradoxon nicht verdrangen. Aber doch hat die Tatsache, dass Kant von „Antinomien sprach, hier grosse Bedeutung. Denn hinter den verschiedenen mathematischen Paradoxa, wie sie von a_^er^ ^er bekannt waren, lagen schliesslich verschiedene Probleme der Logik und Metaphysik, insonderheit die Frage nach Inhalt und Brauchbarkeit des Begriffes des „Unendlichen . Nun hatte Kant in seiner „Transzendentale(n) Elementarlehre seine bekannten Antinomien der reinen Vernunft aufgestellt; und in der ersten und zweiten Antinomie hatte er die für die Mathematik ganz besonders kardinalen Probleme: u.a. n LET. Brouwer, De Onbetrouwbaarheid der logische Principes, Tijdschrift voor Wijsbegeerte, 1908; spater in: Wiskunde, Waarheid, Werkelijkheid, Groningen, 1919. „ein unbestimmtes Quantum als ein Ganzes", „das Unendliche", „die Unendlichkeit einer Reihe", „die Menge" und „die Zahl", „Teil und Ganzes" usw. auf die Tagesordnung gebracht, und zwar gerade unter der Ueberschrift: Von den Antinomien. ') Kants scharfe Problemstellung zwang also die Mathematik, ihre Paradoxe immer wieder aufs neue zu untersuchen, auch in philosophischem Denken, und, besonders in der Infinitesimalrechnung und in den vor- und nach-Cantor'schen Paradoxien des Unendlichen, sich die Frage zu stellen, ob das Denken hier vor eine echte, unlösliche Antinomie gestellt war oder nicht. Von „Durchbrechung von Axiomen und algebraïschen Gesetzen" musste wohl geredet werden,2) aber wurden die Denkgesetze durchbrochen ? Die Frage wurde so dringend, dass Cantor eintrat für eine „freie Mathematik", „deren Maszstab lediglich die immanente gedankliche Folgerichtigkeit und nicht die Darstellung und Bewahrung in irgendeiner transienten objektiven Realiteit ist" ;3) hier drohte also schon, erst eine Scheidung, bald ein Streit zwischen Logik und Ontologie. Andere zogen sich mit ihren mathematischen Paradoxa hinter die Verschanzung einer „formalen Logik" zurück und behaupteten, dass ferner die „eidetische Logik" mit der Mengenlehre, in der die Paradoxa gerade so qualend wurden, nichts zu schaffen habe.4) Bei einem solchen Stand der Dinge war die Frage eigentlich schon berechtigt, ob das doch schon ziemlich ungeschützte Wort „Paradoxon" nicht auch noch seinen letzten Schutz verlor, ob es nicht immer mehr seiner alten Bedeutung (nach der eine logische Absurditeit für den Begriff „Paradoxon" absolut nicht konstituierend war) beraubt und tatsachlich für vogelfrei erklart wurde. Und als bald bei diesem Stand des Problems die Als-Ob-Philosophie innerhalb des Gebietes der Mathematik selbst von dem „Widerspruch im Richtigen" ') Kritik d. reinen Vernunft, ed. Cassirer, S. 306, 308, 312, 313, ff. 2) Caspar Isenkrahe, Das Endliche und das Unendliche, Münster i. W„ 1915, S. 158, ff. 3) Mathem. Annalen. 1883, XXI, 553, 562, ff. 4) Th. Ziehen, Das Verhaltnis der Logik zur Mengenlehre, 1917, 73, ff. zu reden anfing, ') urn zu versichern, dass nicht nur die bis dahin bekannten Paradoxa, sondern eigentlich alle mathematischen Grundbegriffe bei naherer Untersuchung „innere Widersprüche" enthielten und dass sie „der geitenden Logik ins Gesicht" schlügen, da war der terminus technicus Paradoxon in der Tat ins Chaos geworfen. Stand man vor einem unentrinnbaren Konflikt mit den allgemeinen Denkgesetzen oder nicht ? Wenn ja, war das Paradoxon dann Ausnahme oder Regel? War die Mathematik „frei" von einer bestimmten Logik, oder sogar frei zu einer eigenen Logik ? Waren die Paradoxa hier verwandt mit wesentlichen, strengen Antinomien,2) oder ist es ein ganz normales, unumgangliches Werk, zu operieren mit Begriffen, die nicht widerspruchsfrei sind ?3) Die „neue Grundlagenkrise der Mathematik"4), von der H. Weyl spricht, gab auch auf dem Gebiet der Mathematik den Begriff „Paradoxon" einer allgemeinen Verwirrung preis. Es ist hierbei jedoch deutlich, dass auf dem Gebiet der Mathematik keine Rede sein konnte von einer so scharf gezeichneten, so akuten Umkehr in der Verwendungsart ') W. Dieck, Der W. im R., Sterkrade, 1926 (gemeinverstandliche mathematische Kritik der geitenden Logik!) S. 7, 9. 2) A. Schönflies, Ueber die logischen Paradoxien der Mengenlehre, Jahresber. d. Deutschen Mathematiker-Vereinigung, XV (1906) S. 21, spricht von „mathem. Paradoxien resp. Antinomien". H. Weyl, Phil. d. Mathematik (Handb. d. Phil. II, 1927) S. 50: Antinomien der Mengenlehre. So auch K. Grelling, Mengenlehre (Math. Physik. Bibl. Bd. 58), 1924, S. 40 (S. 14: Paradoxien des Unendlichen); Julius König, Neue Grundlagen der Logik, Arithmetik u. Mengenlehre, Leipzig, 1914, S. 39, 223, 254, u.s.w. H. Dingler (cf. hier. S. 128, Note 4), erwahnt die Burali-Fortische Antinomie, meistens als P. genannt. Vgl. auch Hans Lipps, Die Paradoxien der Mengenlehre, Jahrb. f. Phil. u. „phanomenologische Forschung, VI (1923), S. 570; Hasso Harlen in Comptes rendus de 1'Académie des Sciences, Tome 184, Paris, 1927, p. 367: paradoxie, antinomie u.s.w. 3) Schönflies, a.a.O., S. 20: „Operiert man mit Begriffen, die nicht widerspruchsfrei sind, so versagt der Satz vom Widerspruch und das Schlussverfahren des indirekten Beweises, und dies ist.... die Quelle unserer logischen Paradoxien"; dagegen, wie wir sehen werden, Dieck. 4) H. Weyl, Ueber die neue Grundlagenkrise der M., Mathem. Zeitschr. April 1921; cf. H. Wigge, Der Zahlbegriff i. d. neueren Phil., eine kritische Studie, Langensalz. des Begriffes Paradoxon, wie sie sich, wie wir sahen, auf dem Gebiet der Theologie und der Philosophie durch das geniale Auftreten Kierkegaards vollzogen hatte. Das spricht für sich. Wir nennen nur zwei Umstande zur Erklarung, ausser der schon genannten Unsicherheit, die eigentlich selbst schon alles sagt. An erster Stelle ist es bemerkenswert, dass geraume Zeit bestimmte, unter diesem Namen bekannte Pavadoxa, als scharf aestellte Fragepunkte und cruces für das Denken, eigentlich am kraftigsten in der Mathematik c.s. lebten. Gewiss hatte und gebrauchte die Logik in ihrer Propaedeusis noch immer ihr doch wohl sehr altes Erbe von den Sophisten; man denke nur an die klassischen Zeno'schen „Beweise": ein Bewegtes kann nie eine beliebige Strecke durchlaufen; Achilles kann die Schildkröte nicht einholen; der fliegende Pfeil ruht in jedem Augenblick, also verandert er seine Lage nicht. Und so gab es Paradoxe mehr, an denen sich die Technik des „formal"-logischen Denkens übte, wir nennen nur das Lügner-Paradoxon, ') das Sophisma des Evathlus 2) und das Krokodilsdilemma.3) Aber ausser solchen sehr alten Erbstücken kannte weder Theologie noch Philosophie bestimmte, mit scharfer Problemstellung als cruces intellectus unter eine Formel gebrachte Paradoxa. Ganz anders verhielt es sich dagegen mit der Mathematik. Sie hatte dieselben Paradoxa, die wir soeben nannten, an denen die Schulpropaedeusis der Logik sich nach oben arbeitete, selbstandig als Fragen behandelt und schon von alters her begriffen, ') Wenn jemand sagt, er lüge und er sagt die Wahrheit damit, so lügt er. Dieselbe Aussage ist also zugleich Wahrheit und Lüge. Andere Formulierungen: Benno Urbach, Ueber das Wesen der Logischen Paradoxa, Zeits. f. Phil. u. phil. Kritik, Leipzig, CXL, Heft 1, S. 87-91. 2) Der Schüler soll dem Lehrer die 2e Halfte d. Honorars zahlen, nachdem er den ersten Prozess gewonnen hat. Es gibt keinen Prozess; der Lehrer klagt ihn an; Schüler u. Lehrer behaupten beide, dass jedenfalls die Entscheidung zu ihren Gunsten ausfallen werde. 3) Ein Krokodil raubt ein Kind und verspricht der Mutter, das Kind zurückzugeben, falls sie eine Frage richtig beantworte. Die Frage ist: ob es das Kind zurückgeben wird. Antwort: nein. Krokodil u. Mutter behaupten beide, dass jedenfalls die Sache zu ihren Gunsten entschieden ist. dass metaphysische und theologische Fragen über die Unendlichkeit und das Kontinuum dahinter lagen. Wir erinnern nur daran, dass z.B. in der Korrespondenz zwischen F.G. Ie Baron de Nulandt und Chr. Huygens das Paradoxon Galileis mit direkt theologischen Fragen verknüpft wurde ') oder dass M. Bettinus in seinem schon erwahnten Apiarium (wenngleich bei ihm die Grenze zwischen dem genus der iucunda und der nicht-iucunda schwer zu ziehen ist) doch die Denkkraft ans Werk gesetzt hat, indem er mit seinen Paradoxa circa aequalitatem et inaequalitatem figurarum ein corollarium verband über die.... paradoxica de Angeli extensione a coelis ad usque terras, und zwar im Zusammenhang mit Scotus. Auch für rein mathematische Forschung hatte die Mathematik schon etliche bestimmte Paradoxa unter einem festen Namen registriert (I, § 3). Ja, sie machte aus den klassischen Paradoxa auch in der jüngsten Zeit, besonders nach Cantor und Russell, rein mathematische Paradoxa. So werden, z.B. durch Eugen Böckli, Russell und viele andere, die Zeno'schen „Beweise" oder Paradoxa gerade als Paradoxien der Zeit aus der isolierten Sphare der formalen Logik herausgezogen und hinübergetragen in die mathematisch-philosophische Sphare, wo dann jeder für sich eine Lösung dafür sucht, Böckli durch den kritischen Idealismus, Russell durch seine Typentheorie, u.s.w. Das Registrieren von festen, auf eine Formel gebrachten Paradoxa wird dann auch noch immer fortgesetzt; man kommt sogar zu neuen Unterscheidungen. So wird z.B. das klassische Lügner-Paradoxon ebenso wie das ganz neue Paradoxon von Richard, über das wir noch sprechen werden, unter die nicht rein-formallogischen bezw. rein-mathematischen Widersprüche gerechnet, die dann mit dem Namen semantisch bezeichnet werden.2) ') Oeuvres Complets de Chr. Huygens, Tome VI (Corresp.), 1666—1669, La Haye, Nijhoff, 1895, p. 365. z) Apiarium, etc., III, 84, 87; Eugen Böckli, Paradoxien der Zeit, KantStudien, XXIX, Heft 3/4 (1924), S. 460—471, 467. — B. Russell, The Principles of Mathematics, I, Cambridge 1903, 358. — H. Behmann, a.a. O. S. 46. Soweit nun die festen, auf eine Formel gebrachten, von alters her bekannten Paradoxa einmal ihren historischen Namen empfangen haben, sind sie auch unter diesem Namen bekannt geblieben, ungeachtet der Frage, ob diejenigen, die sich dieses Namens bedienten, Paradoxa in weiterem oder in engerem, praegnantem Sinn darin glaubten erkennen zu müssen. Dies Verschleiertlassen des Begriffes Paradoxon hatte dann natürlich auch wieder Einfluss auf die Neubildung von Paradoxa; auch dabei konnte jeder die crux für das Denken auf seine eigene Weise auslegen. An zweiter Stelle wurde eine scharfe und acute Veranderung in der Verwendung des Wortes und Begriffes „Paradoxon" (wie wir ihr bei Kierkegaard begegneten) auch durch den schon erwahnten Umstand verhindert, dass weitaus die meisten Mathematiker auch weiterhin jeden „Widerspruch im Richtigen" verneinten und ihre Wissenschaft von logischen Absurditaten in striktem Sinne frei nannten. Wohl zeigt Ph. Kohnstamm, dass er die Situation nicht richtig sieht, wenn er schreibt: „Die neuere Mathematik hat, namentlich in den Spuren Dedekinds, die Methoden des Definierens und Argumentierens zu so grossem Scharfsinn emporgehoben, dass man nicht nur die Zeno'schen Schwierigkeiten als überwunden betrachten darf, sondern zugleich sagen kann, dass auf diesem Gebiet — im Gegensatz zu dem, was seinerzeit Hegel noch meinen konnte — gewiss nicht mehr gesprochen zu werden braucht von einer coincidentia oppositorum". ') Aber doch besteht das Streben, soweit zu kommen. Auf obenerwahnter Prager Tagung klagte H. Behmann nicht über ein zuwenig, sondern über ein zuviel an Lösungen der Paradoxa. Wiesehr man denn auch noch immer in den breiten Schichten der Mathematiker sich bemüht, einer solchen coincidentia oppositorum zu entkommen, zeigt wohl die Diskussion über das sogenannte Russellsche Paradoxon. ') Ph. Kohnstamm, Schepper en Schepping, Deel I, Het Waarheidsprobleem, Haarlem, 1926, 276. Der holl, Text wurde hier übersetzt. Es handelt von der „Klasse aller sich nicht selbst enthaltenden Klassen" oder, wie Bertrand Russell es selber ausdrückt, von „predicates not predicable of themselves . Es gibt, wie Russell das Problem stellt, ') class-concepts (Schönflies substituiert hier: Mengen, Benno Urbach: Begriffe) which can be asserted of itself. Was das Wort „classconcept" betrifft, verweisen wir auf seinen Ausspruch, dass man „class" und „class-concept klar unterscheiden muss, „the class must be distinguished from the class-concept or predicate by which it is to be defined: thus men are a class, while man is a class-concept (p. 19). Ueber diese class-concepts bemerkt nun Russell, dass es solche gibt, die ein Glied (term) sind ihres eigenen Umfanges und andere, die es nicht sind. Der Begriff nicht-rot z.B. is selber nicht rot, der Begriff der Begriffe ist selber jedoch auch ein Begriff. Demgegenüber steht dann wieder, dass der Begriff „Mensch" selber kein Mensch ist und der Begriff „rot" selber nicht rot. Nehmen wir nun einen Begriff, der das Gemeinsame aller Begriffe der letztgenannten Art zusammenfasst, und nennen wir den z.B. Z, dann ist Z der Be- 1 W \ tm d-;— t ir*U v tiip f.rintrahirhon. d. 101-—105). P. 101 : ,tLct 'j ine rimLipica x, —-*: . ' rp, , v t i. n>u rechnen wir ahnlich wie mit jeder anderen endlichen Zahl. Ist das nicht Gebrauch einer unendlichen Grosse als einer vollendeten?" Also auch hier wieder „innere Widersprüche".2) Weiter kommt er zu den negativen Zahlen; schon 10 10 heisst „widersinnig" ; denn die Fiktion der Menge 0 muss helfen zur Lösung der Aufgabe 10—10. Wieviel mehr werden dann die negativen Zahlen selbst innere Widersprüche in sich enthalten ?3) Michael Stifel — sagt Dieck — nannte sie schon „absurd", um ihren widerspruchsvollen Charakter anzudeuten.4) Ferner heisst auch innerlich widerspruchsvoll die Erweiterung der Mengenzahl zur Beziehungszahl5) (zu Beziehungs- oder Rechenzahlen rechnet Dieck zu allererst die negativen Zahlen)6); man kommt auf diese Weise „zu neuen Zahlbegriffen, die von den Ausgangszahlen wesentlich verschieden, mit ihnen geradezu unvereinbar sind".7) Es hat für unseren Zweck keinen Sinn, weiter auf Diecks viele andere Beispiele einzugehen, umso mehr nicht, weil offenbar in dem letzten Beispiel die „inneren Widersprüche" mehr oder weniger verblassen; denn es handelt sich hier um ein Weiterbauen auf ein schon gelegtes Fundament; eine Ueberwucherung des Zweckes ') Dieck, 23. 2) ib. 27. • 3) ib. 29. 4) ib. 30. 5) ib. 33. „Die Grundzahlen als Masse von Mengen sind ihrem Wesen nach vorzeichenlos; dadurch rechtfertigt sich insbesondere der Name absolute Zahlen .... Von ihnen sind wesentlich verschieden die sogenannten Beziehungszahlen" (Rechenzahlen, z.B. die negativen Zahlen), S. 28. 6) Dieck, 28. 7) ib. 33. durch das Mittel, wie Vaihinger sagt. ') Für unseren Zweck hat es jetzt nur noch Bedeutung zu untersuchen, wie bei dieser Auffassung das Wort „paradox" noch gebraucht werden kann. Wir weisen auf einige bestimmte Paradoxa : a) die Paradoxie von }. Wallis. In der Bruchfolge 4 3 2 X1 N 0 -1-2-3-4 bilden die Brüche links und rechts von ^ eine steigende Folge. Aber der Bruch -q-, der den Wert » hat, stellt uns vor eine „Unstimmigkeit"; wir können diese „erst beheben, wenn wir <=o = ± oo setzen und das obere Zeichen auf die linke, das untere Zeichen auf die rechte Halfte der Bruchfolge beziehen".2) Wir stehen also vor einer „unendlich grossen positiven Zahl, die zugleich eine unendlich grosse negative Zahl ist", und das muss nach Dieck „ein in sich widerspruchsvoller Begriff sein";3) die Unstimmigkeit lasst sich durch keine einzige Lösung ganz beheben, meint er.4) b) die Paradoxie von A. Arnauld. Hier zitiert Dieck Leibniz,5) der schon auf diese Paradoxie hingewiesen hat. Arnauld wundert sich darüber, „wie 1 : (— 1) sich verhalten könne wie 1 : 1, obschon diese Verhaltnisgleichung ihren Beweis allem Anschein nach darin fïnde, dass das Produkt der ausseren Glieder gleich dem Produkt der inneren Glieder, namlich gleich + 1 ist... . Wenn — 1 kleiner als Null ist dann ist auch das Verhaltnis von 1 zu 1 das Verhaltnis von Grösserem zu Kleinerem ; dagegen ist das Verhaltnis 1 : 1 das Verhaltnis von Kleinerem zu Grösse- ') Die Phil. d. Ggw. in Selbstdarstellungen, 2. Band, Leipzig, 1921, Hans Vaihinger, S. 19, angef. bei Dieck, 33, Note. 2) Dieck, 34. 3) ib. 34. 4) ib. 35. 5) Leibniz Werke, ed. Gerhardt, 3. Folge, 2. Abt. 1, Halle 1858, S. 387, ff.; angef. bei Dieck, 41, Note. rem ; wie kann da auf beiden Seiten dasselbe Verhaltnis bestéhen ?" Dieck glaubt nun, dass dies Paradoxon „ein hartnackiger Rest jener anderen Widersprüche ist, welche die Mathematik mit dem Mantel widerspruchsvoller Begriffsbildungen — Fiktionen! — zu bedecken unternommen hat." c) die Paradoxie des Konvergenzbereichs einer Rei- henentwicklung ; d) die Paradoxie der Dichtigkeit rationaler Punktetolgen (Dichtigkeit einer Punktmenge hinsichtlich der rationalen, Durchlöcherung hinsichtlich der irrationalen Zahlen ; eine Verbindung, „ebenso zwanglaufig wie widerspruchsvoll"). ') Es ist also nicht zufallig, sondern konsequente Auswirkung von Diecks Grundgedanken, wenn gerade er sich weigert, an den obenerwahnten vielen V ersuchen, die mathematischen Paradoxa, auch die von B. Russell, zu lösen, sich zu beteiligen. „In der Menge M aller Mengen, die sich selbst nicht als Moment enthalten, haben wir mit einem Begriffe zu tun, der seinen inneren Widerspruch deutlich an den Tag legt. Gegen die Folgerichtigkeit der Mengenlehre beweist er nach dem hier vertretenen Standpunkte nichts; vielmehr ist er lediglich ein Kronzeuge dafür, dass unser Denken gesetzmassige Widersprüche in sichschliesst.... ein philosophisches Argument gegen die alte Erkenntnislehre, dass das richtige Denken von jeglicher Art inneren Widerspruches frei sei .2) Und wenn HausdorfF (cf. Russell) sagt: „wir müssen das geheiligte Axiom totum parte maius verletzen", so bemerkt Dieck dazu in seinem vorher erwahnten Aufsatz: „Die Mathematiker haben recht daran getan, trotz der augenscheinlichen ^Vidersprüche ihrer Begriffsbildungen diese nicht preiszugeben Zwar irrten sie bisher in ihrer Rechtfertigung, denn die Widersprüche des Unendlichen sind nicht bloss scheinbar, sondern witklich. Aber sie sind zugleich notwendig und gesetzmassig ') Dieck, 41, 42, 63, 64, 111, 112. 2) Dieck, 114. (S. 51). Vaihinger hat die Mathematiker befreit von der „Seelenqual", „an den Widersprüchen des Begriffssystems ernsten Anstoss nehmen" zu müssen (53). Und diese Auffassung wird nach Dieck nicht nur von der Mengenlehre, sondern auch von den übrigen Zweigen der Mathematik „geschützt" (die inzidentell unter Formel gebrachten Paradoxa sind daher keine anomalen cruces, sondern paradigmata des normalen mathematischen Verfahrens geworden). Diecks obige Aussagen sind wohl sehr bemerkenswert. Sie beweisen zugleich, dass das Wort „Paradox" durch Dieck sich noch weiter von seiner ursprünglichen Bedeutung entfernte, als sich uns früher schon zeigte. (§ 1 u. 2.) Nicht weil er es gebraucht, sondern weil er es nicht verwirft, es nicht durch andere, neue Ausdrücke ersetzt. Für Russell war ein innerer Widerspruch eine crux und Ausnahme; die Russellsche „contradiction", über die wir sprachen, konnte „only be solved by abandoning some common-sense assumption" (deswegen war sie crux), und, „no other similar difficulty, so far as I know, occurs in any other portion of the Principles of Mathematics" (hier zeigt sie sich also als Ausnahme). ') Aber für Dieck ist der innere Widerspruch keine crux, sondern zweckmassig; denn der Widerspruch baut den Begrifï auf, kann nicht entbehrt werden, ist Widerspruch im Richtigen. Auch ist er keine Ausnahme, sondern Regel. Obgleich also Dieck das Wort „Paradox weiter für bestimmte Paradoxa reserviert, so ist doch unbemerkt „das" Paradox zur Regel geworden, zur „Kategorie" ; denn was in jenen namentlich genannten Paradoxa andere zu dieser Namengebung veranlasste, ist nach Dieck und der Vaihingerschen Philosophie überall zu finden. Wir stehen hier also vor einer neuen Wendung in der Verwendungs- und Begriffsgeschichte des Wortes „Paradox". Sie bedeutet für den wissenschaftlichen Verkehr ein neues Hindernis, wenngleich anerkannt werden muss, dass ') Russell, Principles of Math. p. 105. diese nicht so radikal ist wie die Kierkegaardsche. Denn was dies letztere betrifft, so macht die Vaihinger-Diecksche Auffassung das Paradox zu einer allgemeinen und regelmassigen Erscheinung im Denken, die man nicht überwinden, sondern als zweckmassiges Hilfsmittel erkennen muss, aber andererseits unterscheidet sie sich doch von Kierkegaards Umwalzung in der Begriffsgeschichte des Wortes „Paradox" darin, dass, was in dem VaihingerDieckschen Paradoxon ein konstitutives Element ist, keineswegs (wie bei Kierkegaard) vertikal das horizontale Denken sprengt, ja, nicht einmal überall die (mathematische !) llnendlichkeit auf die Endlichkeit stossen lasst, sondern in der horizontalen Denkebene selbst ganz und gar eingeschlossen bleibt. In diesem Punkt behalt also der antike und bis auf Kierkegaard nachgewiesene „Paradoxbegriff seine Geltung hier auch weiter. Aber in diesem horizontalen Denkprozess wird sodann, wie bei Kierkegaard, das Paradox zu einer normalen Erscheinung, zu einem Element „im Richtigen . Wenn wir alle Variationen des „Paradoxes" in seinem alten (vor-Kierkegaardschen) Typus zu einem Grundtypus zusammenfassen, dann begegnen wir also an dieser Stelle unserer Untersuchung einem prinzipiell 3. Typus: der erste (vor Kierkegaard) liegt in der horizontalen Welt, als Hindernis für das Denken; der zweite (Kierkegaard) liegt dort, wo die horizontale und die vertikale Welt (Ewigkeit, Zeit, u.s.w.) sich schneiden und ist Beiseitsetzung des („spekulierenden") Denkens ; der dritte (hier) liegt wieder in der horizontalen Welt, aber ist konstruktives Element im Denken. In Typus I ist in dem Kontinuum Relativitat gegen Relativitat gestellt; in II ist in dem Diskontinuum Absolutheit gegen Relativitat gestellt; in III ist in dem Kontinuum Endlichkeit mit Endlichkeit, Relativitat mit Relativitat schöpferisch verbunden zu gedanklichem Aufbau, zu höherem Bau. I ist für die „Spekulation obstruktiv, II destruktiv, III konstruktiv. So haben Dieck-Vaihinger dazu beigetragen, das doch schon so schwerbelastete Wort Paradox zu einem dritten Grundtyp zu bringen; es ist hier noch ungeeigneter geworden für wissenschaftlichen Gebrauch als es schon war. Bei einem solchen Stand der Dinge braucht nur einer zu kommen, der die Gabe der Popularisierung hat, und die Sprachenverwirrung der Gelehrten wird auf das Volk übergehen und den paradoxen Rausch ebenso „herrlich" machen wie die „Not" früher peinlich war dort, wo das Paradox auftrat. Wenn man bedenkt, dass spater von seiten der in Kierkegaards Kielwasser fahrenden dialektischen Theologie (Haitjema) behauptet wurde, dass Vaihingers Lehre vom Paradox (namlich in der Fiktion) nur einen Schlag umgedreht zu werden braucht, um vollkommen richtig zu sein ') und dass z.B. durch Gustav Spengler, über „das Verhaltnis der Philosophie des Als-Ob H. Vaihingers zu Meinongs 'Annahmen " (welches Werk man auch wiederholt zitiert findet im Zusammenhang mit den mathematischen Paradoxien) ausführlich geschrieben ist,2) dann erhellt, dass doch wohl Verbindungsfaden laufen zwischen dem einen und dem anderen Denkgebiet, und dann bekommt Vaihingers Fiktionenlehren auch für die praktische Ueberbelastung des Begriffes „Paradox" reelle Bedeutung. Man spricht in der Mathematik also noch wohl von mathematischen Paradoxen, aber Inhalt und Rechtmassigkeit dieses Namens werden schon auf mathematischem Gebiet verschieden aufgefasst. Mit auch für den allgemeinen Sprachgebrauch fatalen Folgen wird die Verwirrung dann noch grösser, wenn in der mathematischen Literatur immermehr die Neigung aufkommt, für bestimmte Paradoxa diesen Namen mit „Antinomien" abwechseln zu lassen. Es hat eine Zeit gegeben, in der das Wort „Antinomie' ungefahr ') Th. L. Haitjema, Philosophie van 't „als-of" en theologie van 't „nochtans", Nieuwe Theologische Studiën, Veenman, Wageningen, X (1927), 257, sqq. Vgl. H. Vaihinger's Erörterung v. d. Frage, ob seine Phil. religionsfeindlich sei, Festschrift f. Efraim Liljequist (Sonderabz. bei Niemeyer-Lippert, Halle), 1932. 2) Gustav Spengler, Das Verhaltnis der „Phil. d. Als-Ob" H. Vaihingers zu Meinongs „Ueber Annahmen", Ztsch. f. Phil. u. phil. Kritik, CXLVII (1912), Heft. 2 (S. 129) ff. Schilder 10 gleichen Inhalt haben konnte wie das alte Wort „Paradox", z.B. (nach Eisler): Widerstreit zweier Urteile oder Schlüsse, welche (anscheinend) von gleicher Ueberzeugungskraft und Geltung sind, wiewohl sie einander widersprechen. ') Aber schon die Ableitung von „nomos" statt von „doxa" (Meinung) gibt dem Worte „Antinomie" einen enger begrenzten Inhalt, und besonders die Weise, in der Kant das Wort gebraucht hat, so namlich, dass sowohl Thesis wie Antithesis als falsch galten, hat das Wort „Antinomie" noch weiter von „Paradox" entfernt, als es ursprünglich in dem doppelten Gegensatz von anti-para einerseits, und nomos-doxa andererseits, der Fall war. Dass also namentlich in der Mathematik die Neigung aufkommt, „Antinomie" und „Paradox" als Synonyme zu gebrauchen, kann die babylonische Sprachenverwirrung nur verschlimmern. Im J. 1887 schrieb Frédéric Loliée, den wir schon erwahnten, über „un pays sans limites, le plus curieux du monde a parcourir, qui se nomme Paradoxe, oü chacun a planté son pavillon un peu au hasard, mais dont nul voyageur encore n'a embrassé complètement 1'étendue".2) In den Jahren nach 1887 sollte noch mehr Ursache zum Klagen über dies „planter au hasard" gegeben werden. Und dass auch die Mathematik dazu beitragen würde, wiewohl gerade sie als die Wissenschaft galt, die jeden Schritt auf ihrem Weg legitimieren konnte, charakterisiert wohl sehr scharf die veranderte Lage. Es bleibt bedauernswert, dass, obwohl mit klarem Bewusstsein durch Russell (und Russell-Whitehead) selbst mathematische und logische Paradoxa aufs engste verbunden wurden, sie nichtsdestoweniger allerlei termini systemlos durcheinander gebraucht haben. Paradox, contradiction, sie werden umschichtig (z.B. auf einer Seite, 63, mit Bezug auf das Paradox von BuraliForti) gebraucht; wir sprachen schon darüber, dass daneben auch noch der Ausdruck „Antinomie" auftrat. ') Wörterb. d. phil. Begriffe, s.v. 2) Fréd. Loliée, Le Paradoxe a travers les siècles, Revue Internationale. IVe Année, Tome 16me, 4e livraison, 25. Nov. 1887, Rome, Forzani & Cie. Dass diese fortschreitende Unbrauchbarwerdung des Wortes „Paradox" als terminus technicus zu bedauern ist, bedarf keines langeren Beweises, auch nicht hinsichtlich der Mathematik. Weyl hat mit Recht darauf hingewiesen '), dass die heutige Mathematik mit den allgemeinen Grundfragen der Erkenntnistheorie aufs engste verknüpft ist, dass es hier geht um die alten Gegensatze: Realismus und Idealismus, Sein und Werden. Dass bei einer solchen Debatte das Wort „Paradox" unaufhörlich vorkommt und doch eigentlich in alle Richtungen zeigt, das ist schon an und für sich eine Erschwerung der bereits „verzweifelten Lage". Eine „verzweifelte Lage", — denn wiewohl Ph. E. B. Jourdain in einer satirischen Schrift im Hinblick auf die Paradoxa von Russell (Thristam Shandy) und auf die „paradoxes of logic" der Mathematiker überhaupt spottend über die „hierarchy of jokes" gesprochen hat, darf man ihn doch daran erinnern, dass auch für diese „hierarchy" das Wort würde gelten müssen, das er jetzt nur für seinen eigenen „joke" scheint zitieren zu wollen ; „even a joke should have some meaning".2) ') H. Weyl, Die heutige Erkenntnislage in der Mathematik, Symposion, Heft 3, Erlangen, 1926, S. 32. 2) Ph. E. B. Jourdain, The Philosophy of Mr. B*rtr*nd R*ss*ll, London (first publ. in 1918), p. 6, 26 (symbolic logic). 37 (Frege), 42 (whole and part), 45 (Poincaré), 63 (fxnite and infinite), 64 (Tr. Shandy), 75 (paradoxes of logic), 81 (hier. of jokes), 89 (synthesis of contradictories), 90 (conformity of a paradoxical logic with common-sense: „but I was thinking of a plan/ to dye one's whiskers green/ and always use so large a fan/ that they could not be seen". § 4. Anhaltende Unsicherheit auf mathematischem Gcbict. K. Grelling hat in der Geschichte der Mengenlehre zwei Perioden unterschieden : a) die klassische (nach Cantor), die zugleich die „naive" war, in Bezug auf die Grundlagen ; b) die „kritische", die „hauptsachlich die Bereinigung der Grundlagen zum Ziel hatte", und konstatierte im jahre 1924, dass diese zweite Periode sich ihrem Ende naherte. ') Aber diese Vorhersage hat sich nicht erfüllt: die Diskussion ist noch in vollem Gang, und es wird immer schwerer ihr zu folgen. Schon aus dieser einen Tatsache wird deutlich, dass die Unsicherheit, die auf mathematischem Gebiet in Bezug auf die Paradoxien herrscht, und die bedauernswerte Verwirrung, die in Bezug auf den Inhalt des „Paradoxons" auf mathematisch-philosophischem Gebiet herrscht, noch wohl geraume Zeit anhalten werden. Es gibt jedoch noch verschiedene andere Faktoren, die hier in Betracht kommen und die die soeben ausgesprochene Erwartung rechtfertigen. Wir nennen einige davon. 1. Die Parodoxa der Mathematik lassen sich, wie uns deutlich wurde, immer weniger von rein logischen Paradoxa unterscheiden. Immer schwerer wird der Mathematiker mit cruces belastet, die früher nur den Logiker angingen und umgekehrt. In unserem vorhergehenden Paragraphen gaben wir schon einige Beispiele, die die Probleme der Mathematik immer deutlicher als direkte Probleme auch der Logik, der Theologie und der Philosophie zeigten. Dieser Prozess nun steht nicht still und wird un- ') K. Grelling, Mengenlehre, Math.-Phys. Bibl., Bd., 58, 1924, S. 48. umwundenanerkannt. So rechnet Hasso Harlen ') „l'Antinomie Richard" zu „les paradoxes de détermination verbale" und glaubt, dass diese „dépendent essentiellement des singularités de la langue". Daneben kennt er für „tous les autres — c'est a dire ceux de Russell, de Burali-Forti et leurs variantes — eine zweite Kategorie, die schliesslich alle dieselbe „contradiction" enthalten, die er dann als „paradoxie logique" bezeichnet. In die durch Russell eröffnete Reihe von Paradoxa, in der als erstes seine „Paradoxie des Pradikates impradikabel" 2) auftritt, werden noch immerfort neue, zum Teil Varianten davon, gestellt, z.B. das Paradoxon des Wortes „heterologisch". „Autologisch" nennt Grelling, der dieses Paradox als erster im Jahre 1908 veröffentlichte, Wörter, welche selber ,,unter den Begriff fallen, den sie bezeichnen" (dreisilbig, kurz, deutsch), „heterologisch" dagegen sind nicht-autologische Wörter (z.B. einsilbig, lang, französisch). Nun kann man wieder Russells Linie folgen: das Wort „heterologisch" fallt, wenn es autologisch ist, unter den Begriff, den es bezeichnet, ist also heterologisch; ist es jedoch heterologisch, dann fallt es unter seinen eigenen Begriff, ist also autologisch.3) Man kann natürlich immer weiter gehen; so hat, um den Typus der Russell'schen paradoxen Begriffsbildungen zu typieren, Leonard Nelson nicht nur auf Fichtes „reines Ich" hingewiesen, sondern auch auf den nach ihm damit „identischen" Begriff des „erkenntnistheoretischen Subjekts, das alle Subjekte erkennt, die sich nicht selbst erkennen. Angenommen also, es er kennt sich selbst: dann gehort es ... . zu den Subjekten, die sich ') Comptes Rendus etc. de 1'Académie des Sciences, Tome 184, No. 7 (14 Févr. 1927), 1927, p. 367. 2) Hans Lipps, a.a.O. 563. 3) Grelling, a.a.O. S. 42; cf. H. Behmann, Zu den Widerspr. d. Logik u. d. Mengenl., Jahresb. d. deutschen Math. Ver. XL, 1.-4. Heft, 1931, S. 46; Lipps, a.a.O.; Paul Finsler, Ueber die Lösung von Paradoxien, Phil. Anzeiger, II, 2, 1927, S. 184. ff.; Hans Lipps, Entgegnung (zu Finsiers Aufsatz), ebenda, 194 ff.; Paul Finsler, Antwort auf die Entgegnung des Herrn Lipps, ebenda, 202/3; Robert Heiss, Der Mechanismus der Paradoxien, und das Gesetz der Paradoxienbildung, Phil. Anzeiger, II, 4, 1928, S. 417 ff. nicht selbst erkennen .... Angenommen aber, es erkennt sich nicht selbst: dann gehort es ... . zu den Subjekten, die es erkennt." ') 2. Die durch Russell begonnene Erlösung der mathematischen Paradoxa aus ihrer wissenschaftlichen Isolation steilte natürlich das schon von Kant, und nachher von J. F. Fries (System der Logik) neu untersuchte, aber spater vernachlassigte Problem des Verhaltnisses der Mathematik und der Logik mit umso grösserer Scharfe in den Vordergrund, aber die Meinungen gehen in diesem Kardinalpunkt schon gleich sehr weit auseinander. Der scharfen Abgrenzung beider Wissenschaften, wie z.B. H. Rickert sie gewollt hat, der die Logik der Mathematik nicht anders gegenüberstehen sah als den anderen Spezialwissenschaften und der der Logik in diesem Zusammenhang nur die Aufgabe zuwies, „den Begriff der Zahl2) überhaupt auf seine logischen, wie seine alogischen Bestandteile hin" zu untersuchen,3) stehen auf Seiten der praktizierenden Mathematiker die weitest auseinanderlaufenden, an dieser Problemstellung nahezu immer vorübergehenden Meinungen gegenüber. ') L. Nelson, Ueber das sogenannte Erkenntnisproblem, Abhandlungen der Fries'schen Schule, Neue Folge, II, 4, Göttingen, 1908, S. 517. 2) Zu beachten ist, dass sich nach Rickert „vielleicht" zeigen lasst, „dass in der Mengenlehre nicht die Zahl die Menge, sondern umgekehrt die Menge die Zahl voraussetzt", S. 76 (womit dann aufrecht erhalten sein würde die Meinung, dass man „vielleicht" sich tausche, „wo man glaubt, mit mathematischer Methode Gegenstande erforschen und darstellen zu können, die nicht Quanten sind", S. 75. 3) H. Rickert, Das Eine, die Einheit und die Eins, Heidelb. Abh. 1., 2. Aufl., 1924, S. 77. Vgl. über die alogischen Faktoren i. d. Mengenlehre (wie in jeder sachlichen wissenschaftlichen Einsicht), S. 87, 88; Max Frischeisen, Wissenschaft u. Wirklichkeit, 1912; Eugen Herrigel, Zur Logik der Zahl, Diss., Bühl (Baden) 1921, der darlegt, dass es nach Kant „trotz seiner unbezweifelbaren Rationalitat und Aprioritat, ausser seinem transzendentallogischen auch einen 'anschaulichen' Bestandteil aufweisen müsse". „Begriff und Anschauung, Logisches und Alogisches sind also auch innerhalb der Mathematik keine Gegensatze, die sich ausschliessen, sondern Korrelate, die sich fordern" (S. 8). Ueber die Ablehnung von Fries' Behauptungen; W. Dubislav, Ueber das Verh. d. Logik z. Math., Annalen d. Phil., V, 6/7, (1926) S. 194. In ganz besonderem Sinn ist in dieses Problem verwickelt ein erst in den letzten jahrzehnten entwickeltes System der Logik, das unter dem Namen Logistik oder symbolische Logik bekannt ist (Peano, Hilbert, J. Venn, Frege, RussellWhitehead, Schröder u.a.). Hier werden, im Unterschied von der aristotelisch-scholastischen Logik, die Begriffe und Aussagen nicht durch Wörter, sondern durch Zeichen und Formeln wiedergegeben, und weil diese anfanglich im Anschluss an die schon gebrauchlichen mathematischen Zeichen gewahlt wurden, kam auch der Name Algebra der Logik auf. So wird z.B. der Modus Barbara, bekannt aus der scholastischen Logik, folgendermassen wiedergegeben : (x). ■ „folgt" (also ist a > b eine Verneinung, dass a richtig und zugleich b falsch ist, m.a.W.: aus a folgt b); für „nicht" wird wieder ein anderes Zeichen ( ) eingeführt u.s.w.3) Zu der eigentlichen so formalisierten Mathematik kommt dann jedoch die sogenannte Metamathematik; diese ist notwendig zur Sicherung der erstgenannten. Im Gegensatz zu den „rein formalen Schlussweisen der eigentlichen Mathematik" will ja diese Metamathematik „das inhaltliche Schliessen zur Anwendung" kommen lassen „aber lediglich zum Nachweis der Widerspruchslosigkeit der Axiome".4) Hilbert umschreibt diese Metamathematik als „die inhaltliche Theorie der formalisierten Beweise." 5) „Die Axiome und beweisbaren Satze sind die Abbilder der Gedanken, die das übliche Verfahren der bisherigen Mathematik ausmachen, aber sie sind nicht selbst die Wahrheiten im absoluten Sinne. Als die absoluten Wahrheiten", sagt Hilbert, „sind vielmehr die Einsichten anzusehen, die durch meine Beweistheorie hinsichtlich der Beweisbarkeit und der Widerspruchsfreiheit jener Formelsysteme geliefert werden". (Axiome und beweisbare Satze sind die Formeln, die entstehen durch Gewinnung neuer ') Verh. d. Intern. Math. Congr. i. Heidelberg, 1904, S. 174; Ueber d. Zahlbegriff, Jahresb. d. Deutschen Math. Ver. VIII (1900); Neubegründung der Mathematik I, Abhandlungen aus d. math. Seminar d. Hamburgischen Universitat, I, Bd., 2. Heft, 1922, S. 174; cf. H. Weyl, Die heutige Erkenntnislage i. d. Math., Erlangen 1926, S. 26. 2) D. Hilbert, Die logischen Grundlagen der Mathematik, Math. Annalen, 88. Band, 1923, S. 151. 3) Hilbert, a.a.O., 152; Weyl, a.a.O., 26. 5) EX Hilbert, Ueber das Unendliche, Math. Annalen, 95. Band, 2. Heft (1925) S. 181. beweisbaren Formeln aus den Axiomen mittelst formalen Schliessens und andererseits durch Hinzufügung neuer Axiome nebst dem Nachweis der Widerspruchsfreiheit mittelst inhaltlichen Schliessens). So kommt Hilbert ') zu u.a. folgenden „Axiomen der Negation": A > (A >■ B) (Satz vom Widerspruch). (A > B) > {(A ► B) > B) (Prinzip des tertium non datur). _ {A > (B 6 B)} >■ A (Satz vom Widerspruch). Es ist deutlich, dass hier die logischen Prinzipia zugleich mit den mathematischen, und zwar nach der Methode der Algebra der Logik, auf eine Formel gebracht werden und, statt Ausgangspunkt und Grundlage der Beweisführung zu sein, zum Objekt mathematischer Beweisführung gemacht werden. Dieser symbolischen Formalisierung der Mathematik steht jedoch die intuitionistische Auffassung von anderen (Brouwer, Weyl) gegenüber. Grenzt Rickert die Logik gegen die Mathematik ab, will Hilbert sie beide zugleich formalisieren, so kommt Brouwer dagegen immer wieder darauf zurück, dass nicht, wie man früher meinte, die Mathematik die Logik voraussetzt (hierin, im Negativen, stimmt er also überein mit Hilbert, der ja auch die Widerspruchsfreiheit seiner Axiome ohne jegliche mathematische Intuition darlegen will), sondern dass umgekehrt die Logik die Mathematik voraussetzt (hierin, im Positiven, weicht er also prinzipiell von Hilbert ab). Diese im Jahre 1919 und spater noch ausdrücklich vertretene2) Meinung war schon 1907 in seinem „Over de grondslagen der Wiskunde' verteidigt worden.3) Die Mathematik heisst dort unabhangig von logischen Gesetzen; praktische Logik und theoretische Logik sind gerade umgekehrt Anwendungen von verschiede- ') Die 'logischen Grundlagen, u.s.w., 153; Ueber das Unendliche, 178. 2) L. E. J. Brouwer, De onbetrouwbaarheid, etc. in Wiskunde, Waarh., Werkelijkheid, 1919, bl. 8. 3) Amsterdam-Leipzig, 1907 (Maas & v. Suchtelen). nen Teilen der Mathematik; ') weshalb denn auch nach Brouwers Meinung dem klassischenSyllogismus(alleMenschen sind sterblich, Sokrates ist ein Mensch, ergo: Sokrates ist sterblich) eine Projektierung in die Anschauungswelt eines mathematischen Systems zugrunde liegt.2) Einen logischen Aufbau der Mathematik, unabhangig von der mathematischen Intuition, halt Brouwer für unmöglich.3) So kommt Brouwer dazu, wie übrigens schon eben berührt wurde, die Unzuverlassigkeit der logischen Prinzipia zu proklamieren.4) Namentlich das principium exclusi tertii kommt hier in Betracht, und der oben aufgewiesene prinzipielle Unterschied zwischen Hilbert und Brouwer wird wohl darin deutlich, dass Hilbert, überzeugt, dass „die Anwendung der transfiniten Schlussweisen, so wie sie in der Analysis und in der Mengenlehre geschieht, doch stets richtige Resultate liefert", glaubt, „auf dem Boden des Finiten" („auf rein anschauliche und finite Weise") „die freie Handhabung und volle Beherrschung des Transfiniten" erreichen zu können,5) wahrend dagegen Brouwer zwischen beiden Gebieten eine scharfe Trennung macht, wenn er ausspricht, dass das principium tertii exclusi eine zuverlassige Schlussweise ist, solange es sich nur um bestimmte, endliche, diskrete Systeme handelt, aber dass in unendlichen Systemen dieses Prinzip vorlaufig nicht zuverlassig ist.6) Darum hat denn auch Brouwer ausdrücklich, gegenüber den Versuchen von Dedekind, Mannoury, die die Arithmetik der ganzen Zahlen logisch aus den allerprimitivsten Begriffen beweisen wollen, als seine Ueberzeugung ausgesprochen ') und bestatigt8), dass solche rein ') Over de Grondslagen, etc., 125, 127, 130, Stelling IX, cf. St. XX (Diss.). 2) Grondslagen, 130. 3) a.a.O., 180. 4) In Wiskunde, Waarheid, Werkelijkheid, 1919, auch in: Tijdschr. v. Wijsbeg.. II, 152, sqq. 5) Log. Grundl., Math. Annalen, 88. Band, 156; cf. Ueber das Unendliche, Math. Annalen, 95. Band, S. 171. 6) Onbetrouwbaarheid, 10, 11. 7) Grondslagen, 138/9, 170/1. 8) Nieuw Archief voor Wiskunde, uitg. door het Wisk. Genootschap te Amsterdam. 2e Reeks, Deel VIII, Amsterdam 1909, bl. 326. formalen Beweise der Widerspruchsfreiheit unmöglich sind; selber hat er sowohl die Mengenlehre ') als die Funktionenlehre 2) unabhangig vom logischer) Satz des ausgeschlossenen Dritten begründet. So entfernt sich Brouwer immer weiter von Hilbert, der Intuitionist von dem Formalisten. Hilbert sichert erst das „tertium non datur" selbst und darnach auch dessen Anwendung für dasselbe Gebiet (transfinit), wo Brouwer es unzuverlassig werden sieht.3) Es bedarf keines naheren Beweises, dass diese Meinungsverschiedenheiten tief einschneiden und natürlich nicht isoliert bleiben können. Auch die anderen logischen Prinzipia werden hier zur Debatte gestellt: so wird auch Schönflies'Versuch, die schon durch Euklid4) befolgte Methode des indirekten Beweises ausschliesslich vom Principium contradictionis abhangig zu machen, von Brouwer für unrechtmassig gehalten.5) Und dass die Debatte für das ganze Gebiet, auch für das der verwandten Wissenschaften, einschneidende Bedeutung hat, kann z.B. demonstriert werden an Erik Franks Behauptung, dass die konkrete Wirklichkeit sich keineswegs nach dem Satz des Widerspruchs richtet; so sind z.B. in jedem bewegten Körper kontradiktorisch entgegengesetzte Pradikate verbunden, nach seiner Meinung.6) „Das Wesen der Bewegung besteht nun einmal darin, an einem Orte zu sein und zugleich auch nicht zu sein", also: „sowohl noch nicht, als nicht mehr. '1) Wir nennen Erik Frank gerade an dieser Stelle, weil so an diesem Punkt unsere Uebersicht zurückgreift sowohl auf Kant, den Frank ') Verhandelingen d. Kon. Akademie v. Wetenschappen, Amsterdam, le Sectie, Deel XII (1915-1919), no. 5 (1918), no. 7 (1919). 2) idem, le Sectie, Deel XIII (1919—1928), no. 2 (1923, Erster Teil: Stetigkeit, Messbarkeit, Derivierbarkeit). 3) Hilbert, a.a.O., S. 160. 4) Cf. Hugo Dingler, Ueber die Bedeutung der Burali-Fortischen Antinomie für die Wohlordnungssatze der Mengenlehre, München, 1911, S. 5, cf. S. 9, Fussnote. 5) Onbetrouwbaarheid, bl. 9, Fussnote. 6) Erik Frank, Das Prinzip d. dialektischen Synthesis u. die kantische Phil., Kantstudien, Erganzungshefte, No. 21. (1911), S. 8. ') a.a.O. 9. bestreitet, ') als auf Zeno, dessen Formel, rö xivovfievov om' êv &> êan xótmü xiveïrai ovz' êv q> firj êart, von Frank übernommen wird.2) So bringt die Kontroverse über das Verhaltnis der Mathematik und der Logik und im Zusammenhang damit über Stellung und Wert der logischen Prinzipia, uns von selbst zurück zu den Paradoxien der Zeit, von denen wir ausgegangen sind. Aber die Paradoxa verbergen sich immer mehr hinter dem Paradoxon, und jede Vertiefung der Diskussion wirkt in diese Richtung weiter. 3. Bis dahin wird die mathematische Problemstellung in der Tat — auch hinsichtlich der Probleme des Paradoxons — aus ihrer Isolation erlöst. Bei Russell wurde sie urgent (mehr als bei Bolzano, Leibniz, Kant, weil er mehr das Ohr der Mathematiker hatte), und in der Vertiefung der Debatte über einzelne Paradoxa zu einem Streit über die Grundfrage des Paradoxons wirkte sich die Aufhebung der Isolation der mathematischen Paradoxa noch weiter aus; denn die Kierkegaardsche Wendung in der Geschichte des Paradoxons bedeutete gerade eine Zurückführung der multa zum multum in der paradoxen „Not", und Kierkegaards Problemstellung hat, weil sie dialektisch ist, die spatere Entwicklung der Theologie und Philosophie beherrscht Aber nachdem wir an diesen Punkt gekommen sind, stossen wir jetzt auf eine merkwürdige Abbiegung der Linie der mathematischen Kontroversen. Die Isolation, die erst aufgehoben wurde, kehrt in den inter-mathematischen Debatten nun doch praktisch wieder. Sobald doch von inzidentell gefundenen Paradoxa die Aufmerksamkeit abgelenkt wird, um sich zu stellen vor das Problem „des" Paradoxons überhaupt, vor das Problem der Widerspruchsfreiheit, ja oder nein, vor die Frage der Aufhebung der logischen Grundsatze, ob oder nicht, drangt sich unmittelbar die Frage nach vorne, inwieweit in der modernen Mathematik das Paradox, die Antinomie, der Widerspruch et was zu schaffen hat mit irgend- ') S. 10. 2) S. 8. Ueber d. Bewegung (Diodorus): Franziska Juer, Zur Psych. u. Aesthetikd. Paradoxons, Ztschr. f. angew. Psychol., Bd.29,Leipzig, 1928,S. 397,Note 1. einer Wirklichkeit und mit ihrer ,,Not". In diesem Punkt nun wird der anfanglich gewonnene ') Kontakt zwischen der Mathematik und den anderen Denkgebieten, namentlich der Logik, der allgemeinen Philosophie und — was hier von selbst spricht — auch der Theologie, 2) mehr oder weniger aufgehoben. Denn schon als wir uns mit Kierkegaard beschaftigten, zeigte sich uns, dass bei ihm das Paradox dort auftritt, wo der wivkliche Gott mit seiner wirklichen Ewigkeit auftritt in der wirklichen Existenz des wirklichen Menschen, der wirklichen Zeit. Dies Hineintragen des Paradoxons in eine wirklich „kritische Lage", dies Hervorrufen einer wirklichen „Not" bei einem inhaltlichen Denker ist seit Kierkegaard in Philosophie und Theologie immer scharfer in den Vordergrund getreten. Das erhellt schon aus den dort gebrauchlichen Schlagworten: Kairos, Krisis, Skandalon, Deus loquens, Existenz, Ich-Du-Verhaltnis u.s.w. „Die neuere Mathematik — oder sagen wir einfach: Herr Hilbert" 3) — dagegen verliert in ihrer Problemstellung hinsichtlich der Paradoxie und in ihren Versuchen zur Beseitigung der Paradoxie und zur Sicherstellung der Widerspruchslosigkeit gerade immer mehr den Boden der Wirklichkeit und sogar das Interesse für sie und erklart dies auch ausdrücklich. So werden z.B. die vielbesprochenen „Klassen" definiert als logische Fiktionen oder als Quasigegenstande oder als „die Extension einer Eigenschaft".4) Wenn Hilbert sich anschickt, die „Notlage", in die die Paradoxien der Mengenlehre und der Infinitesimalrechnung die Mathematik gebracht hatten, zu überwinden,5) beginnt er selbst mit der Erklarung, dass die Satze, mit denen er operiert, zu bedeutungslosen, aus Zeichen aufgebauten Fi~ ') Schon Nic. Cusanus (Docta Ignorantia, De Coniecturis) hatte in dieser Richtung ernsthafte Versuche gemacht. 2) Bezeichnend ist, dass P. Gordan die „transfinite Schlussweise" in einem der Hilbertschen Beweise „theologisch" nannte, cf. Hilbert, Logische Grundl., Math. Annalen, 88. Band, 161. 3) G. Frege, Ueber die Grundlagen d. Geometrie. Jahresb. d. deutschen Math. Ver., XV (1906), II. Abschn., 382. 4) Carnap, Abriss u.s.w. S. 18. 5) Ueber d. Unendl., 179. guren werden; die Mathematik wird bei ihm in ihrem ersten Anlauf keine Erkenntnis mehr, sondern ein Formenspiel. ') Erst in der sogenannten Metamathematik kommt man zur Erkenntnis, aber diese hat dann gerade dies Spiel zu ihrem Gegenstand; das Schachspiel wird hier immer wieder als Beispiel und Analogie genannt.2) „Ganz entsprechend wie beim Uebergang von der inhaltlichen Zahlenlehre zur formalen Algebra betrachten wir die Zeichen und Operationssymbole des Logikkalkuls losgelöst von ihrer inhaltlichen Bedeutung. Dadurch erhalten wir schliesslich an Stelle der inhaltlichen mathematischen Wissenschaft nunmehr einen Bestand von Formeln mit mathematischen und logischen Zeichen, welche sich nach bestimmten Regeln aneinander reihen." 3) Nicht nur wird der Abstand zwischen Mathematik und Wirklichkeit hier also noch grösser gemacht als er schon ist, was natürlich unmittelbar seine Rückwirkung in der Naturwissenschaft findet (Einstein 4) z.B. gibt davon Rechenschaft), sondern man entfernt sich auch immer weiter von dem Kern der Debatten, die in der Philosophie und der Theologie über den Widerspruch, das Paradoxon u.s.w. an der Tagesordnung sind: für letztgenannte ist gerade hinsichtlich des „inhaltlichen Schliessens" die paradoxe Not das grosse Problem ; für Hilbert mit seinem Logikkalkul und seiner Zeichensprache dagegen, ist „das inhaltliche Schliessen durch ein ausseres Handeln nach Regeln ersetzt", und dies muss dann dazu dienen, die ') H. Weyl, D. heutige Erkenntnislage u.s.w., 1926, S. 25, Hilbert, Logische Grundl., 153. 2) Weyl, a.a.O., 25; Frege, a.a.O., 395/6. „Analog ist es nicht mehr Spiel, sondern Erkenntnis, wenn gezeigt wird, dass beim Schachspiel 10 Damen einer Farbe in einer spielgerechten Stellung unmöglich sind." So „soll erkannt werden, dass ein Widerspruch niemals als Endformel eines Beweises auftreten kann" (Weyl, 25). 3) Ueber d. Unendl., 177. 4) Geometrie u. Erfahrung, S. 3; cf. den Unterschied zwischen „mathemathischem" u. „physischem Raum" i. d. Naturwissenschaft ; cf. Brouwer, Intuitionisme en Formalisme, bl. 7; Siegfried Behn, Romantische oder klassische Logik, Münster, 425, S. 10, 12, 22/3. Paradoxie zu überwinden und das Problem zu stellen. ') Solange nun über diese Meinungen der Streit, z.B. zwischen Frege und Hilbert (Korselt), geführt wird, kann Hilbert nicht viel einwenden gegen Freges Klage, dass Hilberts Unabhangigkeitsbeweise „die eigentlichen Axiome, die Axiome im Euklidischen Sinne, gar nicht betreffen; denn diese sind doch wohl Gedanken ', wahrend Hilberts „(Pseudo)axiome keinen Gedankeninhalt haben".2) Und zugleich fallt hier ins Auge die Illusoritat von Hilberts Behauptung, dass mit seiner Beweistheorie „die Mathematik sich gewissermassen erweitert zu einem Schiedsgericht, einem Tribunal höchster Instanz, um prinzipielle Fragen zum Austrag zu bringen — auf einer konkreten Basis, auf der sich alle müssen einigen können und jede Behauptung kontrolliert werden kann".3) Schon die an diese Worte sich unmittelbar anschliessende Behauptung, a) dass „es keinen Weg gibt", „auf dem jedes mathematische Problem sich lösen lasst",und b) dass nichtsdestoweniger „der Nachweis, dass die Annahme der Lösbarkeit eines jeden mathematischen Problems widerspruchsfrei ist", in den Bereich seiner Theorie fallt,4) wird beinahe alle, die auf nicht-mathematischem Gebiet sich in das Problem des Paradoxons hineindenken, ein auf diese Weise angekündigtes Schiedsgericht, wenigstens hinsichtlich ihrer Probleme, für inkompetent erklaren lassen. Es ist also nicht zu erwarten, ') Ueber d. Unendl. 177. 2) Frege, a.a. O., 402. Frege stellt ironisierend als Beispiel der von Hilbert untersuchten und „bewiesenen" Satze den Satz auf: „Jedes Anej bazet wenigstens zwei Ellah" (!), a.a.O., S. 297. „Was ein Anej sei, ist eine ganz ungehörige Frage", u.s.w.; ein Axiom, nicht v. d. alten Eukl., sondern v. d. mod. Art. S. 298 cf. 301, 397. Vgl. auch P. Finsier, Formale Beweise und die Entscheidbarkeit, Math. Zeitschrift, 25. Band, 4. Heft, 1926, S. 676, 680/1 (über Definitionen, Beweise, die erst einwandfrei werden, wenn man sie aus dem Formalen in das rein Gedankliche übertragt, oder Satze, die formal widerspruchsfrei, aber logisch falsch sind). Finsier (Grundlegung der Mengenlehre, a.a.O., S. 684/5) will „die Frage der Widerspruchsfreiheit nicht, wie bei Hilbert, in formalem, sondern in absolutem Sinne" verstehen (eine absolute Logik, auf die man auch in der exakten Wissenschaft sich stützen kann). 3) Ueber d. Unendl., 180. 4) a.a.O., 180. dass die mathematischen Debatten selber binnen absehbarer Zeit führen werden zu einer scharfen, beherrschenden Problemstellung, sowohl hinsichtlich bestimmter Paradoxa als auch hinsichtlich des Paradoxons überhaupt, „der Paradoxie"; dazu ist, wie Hugo Dingler, L. Chwistek u.a. bemerkt haben, ') die Logistik (die, wie bei Hilbert, die logischen Probleme in symbolischen Zeichen wiedergibt und bearbeitet) selber ohne Hilfe von aussen nicht imstande. Als zweiter Faktor, der die allgemeine Sprachen- und Problemverwirrung vergrössern hilft, kommt der Umstand hinzu, dass die Mathematik in demselben Zeitraum, in welchem sie sich an alle Wissenschaften richtet, um teilzunehmen an dem Stellen und Lösen der Fragen, doch tatsachlich sich von diesen anderen entfernt und zwar gerade dann, wenn es um die Grundprobleme des Paradoxons geht. Dies steilte sich schon anfanglich heraus, als wir den Anfang der heutigen mathematischen Forschung bei Bolzano sich abzeichnen sahen (das Unendliche); jetzt, wo wir am Ende desselben Weges Hilbert begegnen, kehrt diese Erscheinung in verscharfter Form zurück. 4. Die ungewollte Isolation, in welcher die Mathematik gerade hinsichtlich des Paradoxons trotz allem sich schliesslich festgefahren hat, bringt sie in eine nichts weniger als beneidenswerte Lage. Die am meisten entgegengesetzten Meinungen kreuzen sich. Der eine hofft, in der logischen Symbolik, wofern das Denken sich darin „von den besseln und Verführungen der gewöhnlichen Sprachen so weit wie möqlich frei machen" will, eine Exaktheit zu erlangen, die „den für das Zustandekommen der in Rede stellenden Widersprüche verantwortlichen Fehler aufzudecken und zu vermeiden" vermag;2) der andere weist jedoch daraut hin, dass auch die Logistik ihre Kontradiktionen, ïhre Antino- M H Dingler, Ueber die axiomatische Grundl. d. Lehre vom Ding. Jahresb. d. deutschen Math. Ver., XXVIII (1919). S I56/7; U Chwutó. Ueber die Hypothesen der Mengenlehre, Math. Zeitschrift. 25. Band, 3. Hett. 1926, S. 442. , , VT in... c „;Q 2) H. Behmann. a.a.O., (Jahresb. XL, 1931), S. 38/9. mien hat') und dass diese für die Intuitionisten ein Problem, aber für die Symbolisten ein testimonium paupertatis sind,2) oder nennt Hilberts Geometrie kurzweg „pseudogéometrie".3) Der eine betrachtet die Algebra der Logik als Prarequisit der klassischen Logik, der andere, neuerdings z.B. }. Jörgensen in seinem schon erwahnten Buch (II, 133), meint, dass die Algebra der Logik die klassische Logik voraussetzen muss. Der eine sieht in Cantors Mengenlehre einen genialen Griff, durch welchen es ihm gelungen ist, „auch die unendlichen Mengen unter die Herrschaft der mathematischen Formeln und Gesetze zu zwingen",4) der andere beschuldigt Cantor, dass er auch wie Hilbert und die Logistik den mathematischen Boden eigentlich verlassen habe.5) Auf der einen Seite suchen die Mathematiker ihre „Algebra der Logik" bis zum Aeussersten zu verfeinern; als rezentes Beispiel könnten wir auf David Yule hinweisen, der im Anschluss an Ernst Schröder folgende Zeichen gebraucht für die Relation der „Klassen": a (<) b: die Klasse a ist völlig in der Klasse b eingeschlossen; a (a) b: die Klasse a ist teilweise aus der Klasse b ausgeschlossen; al b: die Klasse a ist teilweise in der Klasse b eingeschlossen; a j b: die Klasse a ist völlig aus der Klasse b ausgeschlossen; —, und der dann an der Hand des folgenden bekannten ') Brouwer, Grondslagen, 161/2. 2) Vollenhoven, a.a.O., 364. 3) Paul Savage-Jousse, Le Métaverbe, Paris, Alcan, 1928, p. 204. 4) A. Schönflies, Entwicklung d. Mengenlehre u. ihrer Anwendungen, 1. Halfte, Allg. Theorie d. unendl. Mengen u. Th. d. Punktmengen, LeipzigBerlin, 1913, S. 2. 5) Brouwer, Grondslagen, 146, cf. 161, 169; über die an Cantor geübte Kritik im Allgemeinen: Ad. Fraenkel, Einl. i. d. Mengenlehre, 2e erw. Aufl., Berlin, 1923, S. 2. Schilder 11 Schemas ') aus dem auf © gebauten Postulatensystem ein zweites ableitet und von der „herkömmlichen Lehre der Subalternation, wonach das subalternierende Urteil das subalternierte einschliesst", eine „Berichtigung" gibt. Oder auch, man sieht sie im Zusammenhang mit Schriftzeichen, Schriftnamen und Schriftsprache neue Paradoxa aufstellen und behandeln (z.B. die Antinomie von Dixon).2) Aber auf der anderen Seite steht die Meinung derer, die diesem ganzen Klassenkalkul jeden Wert absprechen und die Formalisierung der Logik wie auch die Aufstellung der logischen Paradoxe für sinnlos halten.3) Und wahrend sich die Lösungen der Paradoxien des Unendlichen vervielfaltigen, und sogar zu den Haupttypen der Lösungsversuche (intuitionistisch, axiomatisch, logistisch) noch Einzelversuche (wie von T. Brodén, s. J. Jörgensen, III, 162) hinzutreten, wird noch immer, auch von solchen, die halbwegs ein verstanden sind, an der Grundlage dieses ganzen Gedanken- und Sprachgebaudes fundamentale Kritik geübt, z.B. von Natorp und der Marburger Schule, die unter Berufung auf Veronese behaupten, dass der Unterschied zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen sich relativieren muss4), oder auch von Skolem- ') D. Yule, Zur Grundlegung d. Klassenkalküls, Math. Annalen, 95. Bd. (1925), 452. Vgl. das Schema bei Jörgensen, Treat. of Formal Logic, 1931, II, 20, Fussnote. 2) Julius König, a.a.O., S. 211/2. 3) Brouwer, Grondslagen, 161, passim, cf. Grelling, a.a.O., 47. 4) Cf. Fraenkel, a.a.O., S. 160/1. Löwenheim, wenn sie, um mit Fraenkel') zu reden, in ihrer „Paradoxie" „einen neuen, beunruhigend wirkenden Angriff auf die axiomatische Begründung der Mengenlehre und Analysis" wagen und darlegen, „dass jeder Zahlausdruck entweder widerspruchsvoll ist oder schon innerhalb eines abzahlbar unendlichen Denkbereichs erfüllbar ist".2) Diesen auf logistischem Weg bewiesenen Satz muss die heutige Wissenschaft sich noch überlegen, sagt Fraenkel.3) Die Berliner Akademie hat im Jahre 1784 eine Preisaufgabe ausgeschrieben: wie man so viele wahre Satze aus einer widerspruchsvollen Voraussetzung habe ziehen können 4) und hatte dabei ein Auge auf Begriffe wie „unendlich kleine Grossen" u.s.w. (dies im Zusammenhang mit Eulers Auseinandersetzungen). Jetzt, anderthalb Jahrhunderte spater, stellen manche das Problem noch so, aber trennen sich dann in verschiedene Gruppen, von denen die eine die Antwort für möglich, die andere für unmöglich halt. Noch wieder andere halten die Problemstellung selber für falsch, aber auch diese gehen wieder in verschiedene Richtungen. Da die Diskussion über die mathematischen Paradoxien so verlauft, ist der Schluss berechtigt, dass zwar insoweit die Mathematik hinsichtlich des Problems des Paradoxons parallel lauft zu den Untersuchungen in der allgemeinen Philosophie und Theologie, als von inzidentell entdeckten Paradoxa die Aufmerksamkeit sich verschiebt nach dem Kern des Problems der Paradoxalitat der Erkenntnis überhaupt, aber dass übrigens die ') Ad. Fraenkel, Zehn Vorlesungen über die Grundlegung d. Mengenlehre, Leipzig u. Berlin, 1927, S. 56. 2) Th. Skolem, Logisch-kombinatorische Untersuchungen über d. Erfüllbarkeit oder Beweisbarkeit mathematischer Satze (Skrifter utgit av Videnskapsselskapet i Kristiania), Matem.-Naturv. Klasse, 1. Band, Kristiania 1920(-1), No. 4, S. 3., cf. Satze 2, 3, 7, S. 6, 10, 11, 14. 3) Fraenkel, Zehn Vorlesungen, S. 56. Man bedenke, dass nach Hilbert die Metamathematik „vor der Not der Paradoxien schützt" (Neubegr. d. Math., I, Abh. Hamb. Sem. 1922, S. 174). 4) Joh. G. Hagen, Differential- und Integral Rechnung (Synopsis d. höh. Math., III), Berlin, 1900-1905, S. 4. mathematische Diskussion die Neigung zeigt, mit ihren Paradoxen und deren Problemen sich doch — wenigstens praktisch — wieder zu isolieren, trotz der Tatsache, dass Russell die mathematischen Paradoxa aus ihrer vormaligen Isolation befreit hatte, und auch trotz Versuchen einer „Zeitschrift für die Zusammenarbeit von Philosophie und Einzelwissenschaft" ') wo z.B. Robert Heiss den Begriff „heterologisch" widerspruchsvoll zu einem Grundgesetz der Begriffe genannt hat, und „geradezu seinsmassig", weil s.E. das Problem „seinen eigentlichen Ort hat in einer Problematik des Seins", in „Seinswidersprüchen, — sei es auch nur innerhalb der Aussagesphare".2) Dass, wie Heiss meint, im Paradoxon des „heterologisch" „der Logos als benennendes Sein seinem Benannten, als ausdrückendes Sein seinem Ausgedrückten widerspricht",3) das ist eine Behauptung, und das zeigt eine Problemstellung, welche die mathematische Diskussion im allgemeinen noch nicht zu fesseln vermogen. Weil ausserdem ihre Schwierigkeiten sich nur knüpfen an die oben gekennzeichneten Paradoxen-Typen I und III (weil ihr llnendlichkeitsbegriff sich völlig von dem Kierkegaardschen, als Typus genommen, unterscheidet), bleibt sie auch ausserhalb der Dialektik, wie diese sonst für die Problemstellung des Paradoxons kennzeichnend ist. Ihre eigene Unsicherheit ist dann der letzte Faktor, der sie daran hindert, in der allgemeinen Debatte über das Paradoxon einen eigenen Ton hören zu lassen. Obwohl dasllnendlichkeitsproblem, das, wie G. Ritter 4) zeigte, schon die Spatscholastik (Cusanus!) beschaftigte, noch immer die mathematische Diskussion schwierig macht, so ist es doch unrichtig, mit Erh. Schmidt die Uneinhelligkeit ') Philosophischer Anzeiget. 2) Der Mechanismus d. Paradoxien, u.s.w., Phil. Anzeiger, II, 4, 192o, S. 430, 431, 432. 3) a.a.O., 430. 4) Gerh. Ritter, Studiën zur Spatscholastik I, Sitz. Ber. d. Heidelb. Ak. d. Wiss., Jahrg. 1921, 4. Abh., 1921, S. 80, ff. Cf. Georg Misch, Der Weg in d. Phil., Leipzig-Berlin, 1926. der Mathematiker auf der Verschiedenheit ihrer Stellungnahme zum Begrifï des Unendlichen beruhen zu lassen. ') Diese Verschiedenheit ist nur eine Ursache unter vielen anderen, woraus sich die „verzweifelte Lage" erklaren lasst.2) ') Erh. Schmidt, Ueber Gewissheit i. d. Math., Rede Univ. Berlin, 15. Okt. 1929, Berlin, 1930, S. 5. 2) Siehe K. Grelling u. L. Nelson, Bemerkungen zu den Paradoxien von Russell und Burali-Forti (Abh. d. Fries'schen Schule, Neue Folge, 2. Band, 3. Heft, VIII), 1908, wo nachgewiesen wird, dass der Versuch (von Gösch) an Stelle der paradoxen Begriffsbildungen („sich selbst nicht erhalten", „impradikabel", etc.) Begriffe einzuführen, die im übrigen denselben Umfang haben und nur die paradoxen Gegenstande ausschliessen, zu einer neuen Paradoxie Anlass gibt. S. 320/1. KAPITEL III DIE WICHTIGSTEN STRUKTUREN EINES PARADOXONS IN DER GEGENWART KAPITEL III. DIE WICHTIGSTEN STRUKTUREN EINES PARADOXONS IN DER GEGENWART. § 1. Einleitung. Bis dahin fanden wir, wie schon gesagt wurde, drei Haupttypen des Paradoxons. Typ I lag auf der sog. „horizontalen Linie" des Denkens, aber indem er dieser „horizontalen" Linie weiter folgte und auch auf dieser Linie zu Korrekturen des Denkens kam, wollte er die logischen Schwierigkeiten überwunden sehen. Typ II lag in der Schneidung der „horizontalen" Linie des Denkens (der „Spekulation") einerseits, und der „vertikalen" Linie der Offenbarung (der Ewigkeit, des „Ganz-Anderen") andererseits und bedeutete darin einen Sieg, der durch dieses „Ganz-Andere" über das aktuelle unparadoxe Denken errungen war Typ III lag wieder auf der „horizontalen Linie", aber dann so, dass das Denken gerade in dem Paradox sich selbst in seiner horizontalen Bewegung aus eigener Kraft zur Ueberwindung geführt hatte. In rohen Umrissen sind hier schon die Grenzen angedeutet, innerhalb welcher die heutige Problemstellung hinsichtlich des Paradoxons sich bewegt. Was jetzt in der wissenschaftlichen Diskussion sowohl auf philosophischem als auf theologischem Gebiet mit Bezug auf dieses Thema in den Vordergrund tritt, gibt wohl Variationen dieses dreifachen Grundtypus und konstruiert wohl Begriffe, in denen sich diese Grundtypen kreuzen, aber doch wird der Kern der Debatten deutlich immer wieder beherrscht durch die Termini dieser Probleme: eine horizontale und eine vertikale Linie auf der einen Seite, und die Möglichkeit eines sich homogen behauptenden Denkens oder die eines „gebrochenen" oder auch die eines sich selbst aus dem Widerspruch konstituierenden Denkens andererseits. Man kann Variationen von dieser Problemstellung geben, z. B. in Karl Heims Dimensionen, aber wie wir noch sehen werden, ist dies im Grund eine Variation über das Thema der horizontalen und der vertikalen Linie, die sich begegnen, das Thema des Existentiellen, dem das „GanzAndere" (Numinose) begegnet. Eine wie starke Neigung die wissenschaftlichen Diskussionen in der letzten Zeit zeigen, um neue oder alte Problemstellungen zu zwingen in das Schema der „horizontalen" und „vertikalen' Linie, des im Widerspruch gegebenen „Durchbruchs oder „Aufbaus des Denkens, wird wohl deutlich aus dem Versuch, den Gottlob Spörri gewagt hat, um den durch }. J. Gourd in die Religionsphilosophie eingeführten Begriff des „1'incoordinable" mit dem „bestimmten Etwas" zu verbinden, das nach Kierkegaard, wie Spörri meint, „aller Logik und Abstraktion widersteht und deshalb jedes System notwendig transzendiert, und das wir (Spörri) mit Gourds Incoordinablem zu identifizieren vermochten." ') Wir er~ wahnen diesen Versuch nicht, weil wir ihn für besonders gelungen halten ; denn schon die blosseTatsache, dass neben Kierkegaard und Karl Heim 2) auch Heinrich Rickert3) von Spörri als Kronzeuge für „1'incoordinable" aufgerufen wird, mahnt zur Vorsicht gegenüber der Linie Kierkegaard- ') Gottlob Spörri, Das Incoordinable, Die Bedeutung J. J. Gourds für Geschichtsphilosophie und Theologie, München, 1929, S. 128. Ueber d. Untersch. zw. G. u. K., S. 128/9. 2) a.a.O., S. 129/130. „ , 4 3) a a O., S. 44, 49; nach S. gibt Rickert (das Einmalige) „eine neue Bestimmung des Incoordinablen" : es ist „das Historische in seiner denkbar weitesten Bedeutung". Gourd, die er zieht, und erweckt Zweifel an der Rechtmassigkeit der Verbindung von „1'incoordinable" mit dem Paradox. ') Nein, wir weisen auf diese Einzelheit aus einem anderen Grund hin: sie zeigt, wie stark jetzt die Neigung ist, den Gedanken der Paradoxalitat, wie er sich innerhalb des Rahmens der nach-kierkegaardschen Problemstellung variieren lasst, in der wissenschaftlichen Diskussion auftreten zu lassen. Bei Spörri, dessen Buch u. a. unter den Auspizien Karl Barths und Karl Heims erschienen ist, ist diese Neigung so stark, dass er sich sogar zur Uebereilung verleiten lasst. Wenn Gourd z. B. spricht über „la folie de la croix" und Gott vorstellt als den, der uns „la plus haute représentation objective du hors la loi" gibt, und damit den Gedanken verbindet, dass „la dialectique réligieuse en relevant 1'incpordinable se met par le même fait hors la loi" 2), dann zieht Spörri eine Parallele zu „dem Wort des Paulus" von der „Torheit des Kreuzes", die — sagt Spörri weiter — „aller menschlichen Weisheit d. h. Erkenntnisfahigkeit(!) zuwider, d. h. der rationalen Moralitat incoordinabel ist".3) Aber hier wird doch auf allzu unbesonnene Weise die oocpia von 1. Kor. 1 als Erkenntnisfahigkeit aufgefasst, wiewohl schon aus der Tatsache, dass Paulus ]es. 29, 14 zitiert (anoXcö xrjv oocpiav zmv aocp&v), und demgemass behauptet, dass Gott diese ê/ucogave (Vs. 19, 20), deutlich erhellt, dass die „menschliche" (besser ware: „fleischliche") Weisheit hier nach ihrem Inhalt gemeint ist. Paradoxe Konstruktionen haben also wohl das Interesse, auch von religiösem Gesichtspunkt aus. Vor ungefahr 700 Jahren schrieb Wilhelm von Auvergne, dass man keinen Glaubigen antreffen würde, der nicht eher „einraumt, Bejahung und Verneinung könnten vom namlichen Gegenstand ausgesagt werden, als ein Glaubensartikel sei un- ') a.a.O., 130, vgl. K. Schilder, Over het „Skandalon" II, Geref. Theol. Tijdschr., Aalten, XXXII, 3 (Juli 1931), 129/130. 2) J. j. Gourd, Philosophie de la Religion, Paris, 1911, p. 273, 262/3 (cf. 271, 269). 3) Spörri. a.a.O., S. 90. wahr." ') Spater horten wir auch Hoornbeek im gleichen Sinn reden (contra Weigel). Aber für viele ist die hier als eine Ungereimtheit abgewiesene hypothetische Behauptung selber ein Glaubensartikel. Wir werden deshalb kurz einige Entwicklungslinien sehen lassen, die das starke Wieder-in-den-Vordergrund-Treten des Paradoxons auf theologischem und philosophischem Gebiet als Erscheinung der Gegenwart erklaren können. Nicht immer wird ein direkter Zusammenhang zwischen den Richtungen und Personen, die spater genannt werden, aufzuweisen sein, aber in ihrer Begegnung auf dem Areopag der heutigen Geistesbewegung berühren sie sich in der Tat oder werden sie sich berühren. Nebenbei sei noch bemerkt, dass die Tatsache, dass wir das Auftreten eines Grundtypus III bei Vaihinger-Dieck erwahnten, keineswegs die Behauptung in sich schloss, dass die wissenschaftliche Diskussion sich so scharf mit der hier gefundenen Problemstellung beschaftigt hat. Es ist uns bei unsrer Uebersicht der heutigen mathematischen Probleme wohl etwas anderes deutlich geworden. Aber, abgesehen von dem, was wir schon dort über eine analoge Problemstellung Haitjemas bemerkten, dürfen wir doch nicht vergessen, dass mit dem Aufwerfen der Frage, ob das Denken sich in und durch den Widerspruch „saniert" und emporsteigt zur Feststellung dessen, was richtig ist, doch ein wesentliches Element der Problemstellung berührt ist. Und das ist für uns von Bedeutung, weil es in der neueren Philosophie Analogien hat, insofern auch darin dialektische Konstruktionen auftreten. Und dann nicht unbeabsichtigt, wie bei Dieck, der das Wort „Paradox" nur gebrauchte, wo er es schon anwesend fand, sondern absichtlich, wie wir sehen werden. Siegfried Marck sieht sogar hier und da „Dialektik in ihrer orthodoxen Form" auftreten.2) ') W. v. Auvergne, De Fide, c. 1. p. 6 b E sqq.; i b C, angef. in J. N. Espenberger, Grund u. Gewissheit d. übern. Gl. i. d. Hoch- u. Spatscholastik, Paderborn. 1915, S. 148. 2) S. Marck, Die Dialektik i. d. Phil. d. Ggw., I. Halbb., 1929, S. 56. § 2. Rudolf Ottos Anknüpfung an die Kantisch-Fries'sche Religionsphilosophie. 1. Wiewohl die akute Wendung, die Kierkegaards geniale Problemstellung in den Begriff des Paradoxons gebracht hat, am starksten auf die Geister eingewirkt hat und am deutlichsten zu erkennen ist in der dialektischen Theologie und ihrer Umgebung, so fangen wir unsere im vorhergehenden § angekündigte Uebersicht nicht bei ihr, sondern bei Rudolf Otto an. Wir tun das nicht nur aus der Ueberlegung heraus, dass sein Auftreten besonders in spateren Jahren durch sein Nachdrucklegen auf das Irrationale in der Idee des Göttlichen parallel verlaufen ist zu der Hervorhebung des paradoxen Charakters der Glaubenserkenntnis von seiten Karl Barths c.s., sondern auch weil die Wurzeln von Ottos Begriff des Numinosen c.a. schon liegen in seiner schon lange vor Karl Barths Auftreten fallenden Veröffentlichung aus dem Jahre 1909 : KantischFries'sche Religionsphilosophie. ') Von seiten eines Herolds der dialektischen Theologie, Th. L. Haitjema, sind Bedenken dagegen erhoben worden, dass von E. D. Kraan, K. Schilder ein Zusammenhang konstatiert wurde zwischen der paradoxen (glaubenskritischen) „Irrationalitat" bei Kierkegaard-Barth einerseits, und dem Irrationalen, „Befremdlichen, Paradoxen, Antinomischen"2) bei Rudolf Otto andrerseits. Im Anschluss an die von ') Tübingen, 1909. 2) Rudolf Otto, Das Heilige, 17. — 22. Aufl., Gotha, 1929, S. 38, cf. 37, 39, 132/3. K. H. Roessingh ') gemachte Unterscheidung zwischen dem Irrationalen in Gott als Glaubensobjekt (metaphysisch, Otto) einerseits, und dem Irrationalen in theologisch-erkenntniskritischem Sinn (Kierkegaard, Barth, Haitjema) andererseits, kam er dazu, diese beiden Richtungen sehr scharf auseinander zu halten.2) Bei dem einen (Kierkegaard-Barth) sei das „Irrationale" konsequent und ausschliesslich in theologischerkenntnisktitischem Sinn gebraucht, bei dem anderen (Otto) habe das Irrationale (nur) einen Platz in der Metaphysik der Theologie ; Otto sei nur der Metaphysiker in der Würdigung des Irrationalen. Abgesehen nun von der Tatsache, dass dies keine ganz richtige Wiedergabe von Roessinghs Meinung war (denn dieser wies schon 3) hin auf das Vorkommen von rationalen neben irrationalen Elementen in Ottos Gottesidee), scheint uns doch die Behauptung eines solchen radikalen Gegensatzes, der hinsichtlich des gedankenschematischen Ortes des Irrationalen zwischen Kierkegaard-Barth und Otto bestehen soll, nicht ganz berechtigt. Was diesen Punkt angeht, wird jede scharfe Unterscheidung schon widerlegt durch Ottos eigene, an H. Rickerts 4) Charakterisierung von Ottos Standpunkt geknüpfte Bemerkung, dass er, Otto, um den „Gegenstand" des psychischen Akts der Religion zu „finden (!) sich der „Methode der Selbstbesinnung" bediente, „um von(!) dieser weiterzugehen zur Sachbesinnung . °) Und besonders diese wichtige Tatsache wurde vielleicht in dieser Argumentation von Haitjema übersehen, dass Ottos Auffassung in seinem religionsphilosophischen Standpunkt wurzelt, wie dieser schon im Jahre 1909 in obenerwahntem Buch dargelegt wurde, zum Teil auch schon in dem 1904 zum ersten Male ') Het irrationeel karakter der geloofszekerheid, Verzamelde Werken, II, Arnhem 1926, 380, 383. 2) Onder Eigen Vaandel, Wageningen, angef. in K. Schilder, 1 usschen „Ja" en „Neen", Kampen, 1929, S. 301. 3) Roessingh, a.a.O., 382, cl. 383 über d. „Ahnung . 4) Die Grenzen d. naturwissenschaftl. Begriffsbildung, S. 55/. 5) Das Ganz Andere, Aufs. d. Num. betr., 1: Religionsk. Reihe, L>otha 1929, S. VI. erschienenen Werk: Naturalistische undreligiöse Weltansicht, in dem auch Fries (mit seiner anthropologischen Vernunftkritik) wiederholt zitiert wird. Wir werden denn auch kurz einigen Hauptgedanken davon nachgehen müssen. Dazu besteht umsomehr Grund, weil Otto noch i. J. 1923 und 1929 ') in seiner Darlegung des Begriffs des Numinosen sich nicht nur des Ausdrucks „das Ganz-Andere" (auch bei Kierkegaard-Barth bekannt) bedient hat, nicht nur dies „aliud valde" von Augustins „Suche" losgelöst hat, um — wiewohl mit Beibehaltung des Elements der Anamnesis — doch auch das des „Aufgehens", des „Durchbruchs", des „plötzlichen Apergj" (Goethe) in dem „Erleben" des Numinosen festzuhalten und in den Vorder grund zu stellen,3) sondern auch ausdrücklich erklart, dass er sich anschliesst an die Fries'sche „anthropologische Methode", die „in Wahrheit eine Methode der Selbstbesinnung" ist.4) So wird es für den, der sich Kierkegaards Struktur des Paradoxons erinnert, deutlich, dass in der Tat ein grosser Gegensatz besteht zwischen Kierkegaard-Barth auf der einen, und Otto auf der anderen Seite, aber man kann diesen Gegensatz nicht so qualifizieren wie Haitjema es tat. Sowohl Kierkegaard wie Otto begegnen dem „Irrationalen" auf dem Weg theologisch-erkenntnistheoretischer Untersuchungen, nur ist beider Ausgangspunkt auf diesem erkenntnistheoretischen Weg verschieden, aber nicht das Betreten dieses Weges. 2. Uebrigens lasst sich der bestehende Kontrast schon schnell finden. Wer z.B. die heutigen dialektischen Theologen immer wieder Schleiermacher kritisieren hört, den trifft es schon gleich, dass bei Otto-Fries in einem ausserst wichtigen Punkt starke Uebereinstimmung mit Schleiermacher vorhanden ist; namlich in der „ Ahn(d)ungslehre". Fries — so zeichnet Otto dessen Entwicklungsgang — Fries ist wohl ein „ausge- ') Aufs. d. Num. betr., Stuttgart-Gotha, 1923; Das Ganz Andere, cf. S. 174, Note 5. 2) Das Ganz Andere, 36. 3) a.a.O., 40. 4) a.a.O., S. VI. sprochener Schüler Kants", aber will doch in einem Kardinalpunkt Kants Linie verlassen. Kant — konste tiert Otto, mit Unrecht') — Kant hatte geschlossen „von der Aprioritat einer Erkenntnis auf die Idealitat des darin erkannten Gegenstandes" ; Fries jedoch sah hierin einen „Trugschluss" und hatte ein Auge für die Armut jener ganzen Sackgasse, „in die sich bei ihm (Kant) die Religionsphilosophie verlaufen musste und hat".2) Aus dieser „Sackgasse" möchte er sie nun befreien durch seine Lehre von der „Ahndung d.h. in jenem Punkt, in dem er sich aufs engste mit Schleiermachers „Anschauung und Gefühl des Universums „berührt . ) Was diese Ahn(d)ung betrifft, — unter Hinweis4) auf einen Ausspruch aus einer von Kants por-kritischen Schriften und im Anschluss an das Buch von Jakob Friedrich Fries: „Wissen, Glaube und Ahndung"5), stellt Otto schon im Jahre 1904 die These auf, dass „in Gefühl und Ahnung die Erscheinung über sich auf das wahre Wesen hinausweist," und erklart, dass hier gesprochen wird von „den tiefen, garnicht recht kommensurabel zu machenden Eindrücken, die unmittelbar aus einem inneren Erleben, einem Auffassen von Natur und Welt und Geschehen mit der Tiefe des Gemüts aufbrechen können".6) Hier wird eine Verwandtschaft mit der platonischen Anamnesis-Lehre ') und mit Schleiermachers Reden über die Religion ausgesprochen.8) 3. Es ist hier also zum besseren Verstandnis notwendig, von Otto auf Fries zurückzugehen. Dieser Philosoph, der sowohl für die Philosophie als für die Mathematik (Fries sche Schule) und für die Theologie (de Wette) Bedeutung hat, hat in mancherlei Hinsicht an Kant Kritik geübt, aber ') Cf. Eugen Herrigel, Die metaphysische Form, 1. Halbband, Tübingen, 1929, S. 123 (über die Zwischenstellung „unseres" Erkennens), c£. 47, 45. 2) Kantisch-Fries'sche Religionsphilosophie, 6, 4, 5. 3j 3,3,Oi» 8/9. 4) R. Otto, Naturalistische und religiöse Weltansicht, Tübingen, 2 Aufl., angef. i. Kant.-Fr. Rel., 75. . 5) Jena, 1805. Die Schrift Kants ist: Allg. Naturgesch. u. Th. d. Hunmels. 6) Otto, Nat. u. rel. W., 1904(1), 57. 7) a.a.O., 57/8. 8) a.a.O., 58. „erscheint" in seiner schon erwahnten Schrift „Wissen, Glaube und Ahndung" (Jena 1805) „noch immer als Kantianer", ') obgleich jedoch als einer, der Kants System weiter ausbilden und anthropologisch begründen will. Um das zu erreichen, bedient er sich der Methode der anthropologischen Deduktion. „Auch der Kritizismus", so schreibt er, „hat seinen geheimen, esoterischen Unterricht, aber seine Geheimnisse sind nicht Mysterien, sondern Arcana der inneren Physik Diese Arcana bestehen in dem Geheimniss einer anthropologischen Deduktion aller philosophischen Grundsatze".2) Ganz in Uebereinstimmung damit wendet er auch gegen Jacobi, an den er sich übrigens oft anschliesst, ein, dass er Bedenken trage gegen „die sonderbare Idiosynkrasie, welche die deutsche Philosophie in ihren letzten Periode gegen alle Psychologie gezeigt hat"; denn er, Fries, interpretiert den Spruch des delphischen Apoll (Selbsterkenntnis ist die Wurzel aller menschlichen Weisheit) folgendermassen: „Philosophische Anthropologie (ist) die einzige wissenschaftliche Quelle philosophischer Einsicht".3) Dieser Ausspruch vom Jahre 1812 wird 1821 aufrecht erhalten, wenn von „Erkenntnis, Gemüt und Thatkraft" gesagt wird, dass „jedes von diesen Vermogen dem Verstande seine eigenthümlichen Zwecke der Wahrheit, Schönheit und des Guten für die ganze höhere Ausbildung unseres Lebens vorschreibt".4) Dieser Grundgedanke wird konsequent aufrechterhalten; 1818 wird behauptet, dass „alle ethische Lehre auf Anthropologie ruht" 5) und 1832, dass „die Ethik subjektive Teleologie und praktische Naturlehre bleibt".6) ') Fries, Wissen, Glaube u. Ahndung, 1805, S. X. Dem Verf. standen leider von Fries' Werken nicht immer die letzten Ausgaben zur Verfügung. 2) a.a.O., XI. 3) Von deutscher Philosophie, Art u. Kunst (ein Votum für Fr. H. Jacobi gegen F. W. J. Schelling), Heidelberg. 1812, S. 21. 4) Handb. d. psych. Anthropol., II, Jena, 1821, S. XXXI. 5) Handb. d. prakt. Phil., I, Ethik, od. d. Lehren d. Lebensweish., Heidelberg, 1818, S. 25. 6) Handb. d. prakt. Phil. od. d. phil. Zwecklehre, II, Handb. d. Religionsphilosophie u. phil. Aesthetik, Heidelb., 1832, S. 4. Schilder 12 Dieses methodische Prinzip macht Fries jedem „Realismus" abgeneigt, wie er z. B. von Wagner vertreten wird und in dem man „geradezu mit Gott und aus Gott zu beginnen scheint" ; „und was kann einem da wohl noch fehlen, wenn man den einmal hat?" ') Nein, „die Annahme einer positiven Offenbarung ist offenbar gegen unsere jetzige Kenntniss des menschlichen Geistes und seiner Ueberzeugungsweisen. Ewige Wahrheiten können dem Geist nicht durch den Sinn und die Erzahlung gegeben werden, sondern nur in ihm selbst".2) Daher kommt es denn auch, dass Fries in der Vernunft den Glauben entspringen lasst;3) „der Glaube an Gott" lebt „in der Vernunft eines jeden Menschen".4) Gegenüber Fr. Schlegel wird denn auch behauptet, dass „die Scheidung des Wissens und Glaubens in dem Menschen", nicht ausserhalb von ihm gefunden wird.5) Dieser letzte Gedanke wird nun weiter bei Fries in ausführlicher Weise ausgearbeitet. Hinsichtlich des „Wissens" : „wir wissen nur durch die Erfahrung um das Endliche"; daran ist unser Wissen gebunden; das Wissen wird „beschrankt durch den Satz, dass die Sinnenwelt nur Erscheinung sey"; das Wissen „nimmt seine Gegenstande aus der Anschauung".6) Hinsichtlich des Glaubens jedoch: dieser nimmt seine „Gegenstande" nicht aus der „Anschauung ; denn wir können keineswegs „unser Wissen zum Absoluten steigern, dadurch überheben wir uns unsrer Kraft und verlieren uns in die absolute Leere; im Gegentheil ist das einzige Mittel zum Ewigen der Glaube;" der Glaube 1) Wissen, Gl. u. A., S. 17/8; cf. Neue Kritik der Vernunft, II, Heidelberg, 1807, S. 193.' 2) Von d. Phil., Art. u. K., 91. 3) W., Gl. u. A., 72/3. T , „ „ 4) Brief a. Reichel. 12. Okt. 1812, cf. E. L. Th. Henke, Jak. Fr. Fries, aus s. hands. Nachl. darg., Leipzig, 1867, S. 140. 5) Von d. Phil., Art. u. K., 93. 6) Wissen, Gl. u. A., S., 54. 55, 60, 74. „Deswegen nennen wir die vollendete Erkenntniss der Natur ausschliesslich das Wissen' , Neue Kritik der Vernunft, II, S. 17. „beruht auf der Ueberzeugung: es ist eine Welt der Dinge an sich, als die Ewigkeit des höchsten Guts".') „Wissen" und „Glaube" haben also einen verschiedenen Gegenstand; und soweit hierin das Endliche und das Ewige einander gegenübergestellt werden, muss, um dies in der rechten Weise zu verstehen, Fries' Bemerkung beachtet werden, dass Schelling nirgends Kant „richtiger verstanden und besser angewandt hat, als da, wo er „den LInterschied der Erscheinung und des Seyns an sich unter den fasslicheren und minder künstlichen Ausdrücken des endlichen und ewigen Seyns in sein System einführte" 2): das Ewige ist „das Seyn an sich .3) Beide jedoch, Wissen sowohl wie Glaube, entspringen in der Vernunft. „So wenig wie beym Glauben wird auch beym Wissen unser Fürwahrhalten durch den Gegenstand bestimmt, sondern nur die Thatigkeiten der erkennenden Vernunft bestimmen sich untereinander zum Wissen und zum Glauben .Durch diese Auffassung will Fries „den Uebersprung vom Wissen zum Glauben", welcher Uebersprung „für jede faule und für jede dogmatische (dogmatisch hier in Kantischem Sinn, cf. N. Kr. d. V., II, 1807, S. 11, K. S.) Philosophie ein salto mortale von der Philosophie zur Unphilosophie" ist, gegen einen solchen salto mortale sichern. Auch in seiner Auffassung, dass „der Glaube in dein Wesen der Vernunft entspringe", will er also der kritischen Philosophie folgen,5) und er glaubt nicht, dass sein „Glaube der Vernunft" 6) zu identiflzieren ist mit der „inneren intellektuellen Anschauung", in welcher „die Platoniker" ihr „eignes Organ" zu entdecken meinen, „wodurch uns ein inneres Licht aufgeht, indem wir unmittelbar das Ewige, und mit ihm die Gottheit erkennen . Denn, und hiermit weist Fries eine solche ') a.a.O., 74, 59, 60. 2) a.a.O., 4. 3) a.a.O., 61, cf. 119. 4) a.a.O., 118. 5) a.a.O, 55. 6) a.a.O., 57, 60. Verwandtschaft mit der platonischen „Schau" zuvück, denn der Glaube „hat ohne das Endliche weder Leben noch Farbe"; man muss wohl bedenken, dass dieser Glaube „vov dem Wissen um das Endliche, und ohne dasselbe gat nichts besagt sondern sich nur durch die Reflexion dem Verstand kundgibt." ') Von hieraus wird nun der Ort der „Ahndung bestimmt. Sie wird umschrieben als „die Erkenntnis durch reines Gefühl" und ist eine „Ahndung des Ewigen im Endlichen" oder ein „Gefühl der Anerkennung des Ewigen im Endlichen".2) Schon hier ist deutlich, dass die Ahndung also eine Verbindung legt zwischen das „Wissen" (um das Endliche) und den „Glauben" (an das Ewige). Deutlich wird denn auch von Fries in diesem Sinn gesprochen. Die Ahndung verbindet das Ewige mit dem Endlichen und vereinigt das Endliche mit dem Ewigen.3) „Das Wissen wird beschrankt durch den Satz, dass die Sinnenwelt nur Erscheinung sey; der Glaube beruht auf der Lleberzeugung. es ist eine Welt der Dinge an sich, als die Ewigkeit des höchsten Guts; die Ahndung endlich griindet sich auf die lleberzeugung, dass das endliche Seyn die Erscheinung des Ewigen sey, dass uns in der Natur das Ewige selbst erscheine." 4) So sind ^Vissen, Glaube und Ahnden „drey getrennte, von einander ganzlich verschiedene Arten der lleberzeugung";5) „eine positive Vorstellung des Ewigen haben wir unmittelbar gar nicht, aber durch die Vereinigung des Wissens und Glaubens in demselben Bewusstsein entsteht die lleberzeugung, dass das Endliche nur eine Erscheinung des Ewigen sey, und daraus ein Gefühl der Anerkennung des Ewigen im Endlichen, welches wir Ahndung „ 6\ nennen. ) ') a.a.O., 56—'58. 2) a.a.O., 176. 3) a.a.O., 55. 4) a.a.O., 60, cf. 61/2. 5) a.a.O., 63. 6) a.a.O., 176. 4. Die Ahndungslehre von Fries bekommt eine noch scharfer umrissene Gestalt durch die erkenntnistheoretische ') Voraussetzung der „Ideen", die anthropologische Voraussetzung des „Gefühls , die asthetische Voraussetzung „der asthetischen Gesetzlichkeit". a) Was Fries' Ideenlehre betrifft, so hat es keinen Sinn, diese hier als Ganzes zu untersuchen; sie ist übrigens nicht ganz einheitlich.2) Für unseren Zweck genügt es darum umsomehr, wenn wir uns hauptsachlich auf das beschranken, was er darüber bemerkt in seinem „Wissen, Glaube und Ahndung und in seiner Religionsphilosophie. Hier sind die Ideen das Mittel, durch welches die Vernunft „sich von dem Bedingten gegeben zum Unbedingten Ganzen der Welt erhebt"3); sie wirken denn auch befruchtend und formend auf sie ein.4) Die Ideen sind von „dem gemeinen Begriff",5) von den „Naturbegriffen", scharf zu unterscheiden und haben vor den letzteren ein grosses „Vorrecht".a) Denn das „Wissen" (èmoxrjurj, yvmoig) muss das Wirkliche in Natur und Menschenleben „allgemeinen und nothwendigen, nach bestimmten Begriffen erkannten Regeln unterordnen" ; es „wendet immer bestimmte Begriffe auf die Anschauung an", Aber diesem ') Cf. G. Weisz, Die Ahndungslehre v. J. Fr. Fries, Diss. Marburg, 1912. Weisz nennt die erste Voraussetzung (der Ideen) eine metaphysische. Freilich entspricht das Fries Meinung insoweit, als er (Neue Kritik d. Vernunft, II, Heidelberg, 1807, S. 10) „Metaphysik" bezeichnet als „die Wissenschaft von den Erkenntnissen, deren wir uns 1) nur durch Reflexion 2) in sunthetischen Urtheden bewusst werden", insoweit auch, als er (eb. S. 18) die „Lehre von den Ideen" der spekulativen Philosophie gehören lasst, und diese (mit prakt. Phil. oder Ethik, und Teleologie der Natur) als ein Teil der ganzen Metaphysik betrachtet. Aber es ist klar, dass im Rahmen dieser ernnnologie auch Gefühl und Zweckmassigkeit d. Natur der Metaphysik gehoren. Man muss also die drei genannten Voraussetzungen entweder alle metaphysischnennen, oder auf andere Weise voneinander unterscheiden. H Fr c;' u^aSrsj i , Fne,s DL,ehr,e y?" der unmittelbaren Erkenntnis, (Abh. 2f wh" N' IV' Bd- 1 Heft- I- 1912, S. 27/8, Fussnote. 2) Weisz, a.a.O., Fussnote 2. 3) Wissen, Gl., A., 101. 4) ebenda 124. 5) ebenda 126. 6) Hdb. d. Rel. phil. 53. „stehen dann unsere Ueberzeugungen von der ewigen Wahrheit, vom ewigen Leben, der Freyheit und der Gortheit entgegen als religiöse Ueberzeugungen", und diese ewigen Grundwahrheiten „sprechen wir in bestimmten Begriffen der logischen Ideen oder der Ideen des Absoluten aus". Man beachte hier die Bezeichnung: logische (oder spekulative) Ideen; sie unterscheiden sich von den asthetischen Ideen (die nachher noch zu erörtern sind). Diese logischen Ideen treten also im Glauben auf, erheben dadurch den Glauben über das Wissen mit seinem „Kunstgerathe der Begriffsbestimmungen und Beweisführungen in Nachhilfe durch die mathematische Erkenntniss , lassen die ewige Wahrheit in Gegensatz gegen die endliche Wahrheit im Wissen urn Naturerscheinungen anerkennen, aber erheben bald auch die Ueberzeugung über diese erste Stufe der „nur eximitenden" Form hinaus und befahigen sie ,,zu einer Unterordnung der Wirklichkeit unter die Glaubensideen . ) Weil die Idee ein Begriff ist, der seinen Gegenstand nicht positiv in der Sinnesanschauung zeigen kann, so darf man mit „Naturbegriffen" oder „wissenschaftlichen Beurtheilungen" die Ideen niemals verwechseln;2) denn dann würde das soeben verworfene „Kunstgerath der Beweisführungen" (im Wissen!) notwendigerweise zurückkehren müssen. Glaubenswahrheiten jedoch sind von „unmittelbarer Gewissheit".3) Der Glaube selbst liegt wohl dem Wissen zu Grunde, aber der Ausspruch des Glaubens ist den Aussprüchen des Wissens „entgegengesetzt . ) ^ Hiermit ist denn auch bereits der „negative Lirsprung der Ideen behauptet. Fries weist nachdrücklich immer wieder darauf hin; denn wer diesen Punkt vernachlassigen und „die Voraussetzung eines unmittelbaren Bewusstseyns vom Absoluten" an seine Stelle setzen würde, der führte zuruck ') ebenda 29/30; N. Kr. d. V., II, 19. 2) Rel. Ph. 94; N. Kr. d. V. II, 17. 3) Hdb. d. Rel. phil. 95; N. Kr. II, 193. *) Hdb. d. Rel. Ph. 64. zum „philosophischen Mystizismus", gegen den er hier') und anderwarts2) immer wieder zu Felde zieht. Dieser negative Ursprung der Ideen wird von Fries aus dem Gegensatz von Wissen und Glauben bewiesen. Die „Sinnenwelt unter den Naturgesetzen" ist nur „Erscheinung" ; dieser oft wiederholte3) Satz wird so interpretiert, dass „die Erkenntniss derselben nur die endliche Wahrheit einer be~ dingten menschlichen Vorstellungsweise hat";4) die Vernunft „erkennt" darin „Gegenstande, welche zwar an sich sind, aber nach einer subjektiv beschrankten Erkenntnissweise".5) Aber der Glaube nimmt an, dass „dieser Erscheinung der Dinge wahres Wesen zu Grund liege"; er ist also „die erste affirmative Grundüberzeugung unseres Geistes, mit und in welcher das Wissen erst seine Bedeutung erhalt, und so erkennt denn auch der Glaube in allen Erscheinungen ewige Wahrheit des erscheinenden Wesens an".6) Aber zwischen dem Glauben und seinem Ausspruch muss, wie wir schon sahen, scharf unterschieden werden. Soll der Glaube zum Aussprechen der ewigen Wahrheit kommen, „so bedürfen wir dazu erst der negativen, schrankenverneinenden Ideen, welche an der Erscheinung alle stetigen und unvollendbaren Formen für ungültig erklaren."7) Es ist also eine „doppelt verneinende Bedeutung", die diese logischen Ideen haben ; sie machen a) die Unbedeutsamkeit des Stetigen, b) die Unbedeutsamkeit des Unvollendbaren an der Erscheinung geltend.8) Diese logischen Ideen stehen daher „den Schranken der Naturerkenntniss entgegen". Und so bekommen wir folgendes Schema :9) ') ebenda 54. 2) Gl., W„ u. A„ V, 179, 249; Deutsche Ph. A. u. K„ 85. 3) z. B. Gl., W. u. A., 51, ff; Rel. Ph. 64. 4) Rel. Ph. 64. 5) Gl., W. u. A., 33. 6) Rel. Ph. 64, N. Kr. d. V. II, 19. 7) Rel. Ph. 64/5; cf. Gl., W. u. A„ 174, 176; N. Kr. II, IS 8) Rel. Ph. 65. 9) ebenda 65; cf. N. Kr. d. V. II, 18, 200. Beschaffenheit: das Beschrankte Idee der unbeschrankten Realitat (des Absoluteri). 2 Grosse: das Unvollendbare Idee der vollendeten Einheii des Weltalls und des einfachen Wesens. 3 Verhaltnis : unvollendb. hangigkeit Ab- Idee der Unabhangigkeit in Freyheit und Selbstandigkeit. 4 Modalitat: Endlichkeit Daseyns alles Idee des ewigen Seyns (als Seyn unabhangig vom V orgestellt-werden). Mit dem Absolutcn (1), Vollendeten (2), Freien (3), Ewigen (4) kommt die Erkenntnis also zu ihrer „höchsten Bejahung", aber sie kann diese an der wirklich gegebenen Erkenntnis nur durch die doppelte Verneinung geltend machen. Sooft sie jedoch dies tut, behauptet sich darin die Vernunft nach ihrem reinen Wesen. Denn wenn es auch so scheint, dass die Vernunft die Gedanken der Ideen der Freiheit und Ewigkeit „mit willkührlicher Reflexion entwirft , so ist es in Wirklichkeit doch nicht so. (Fries sagt denn auch : „gleichsam mit willkührlicher Reflexion.") Denn die Vernunft glaubt rein aus ihrem Wesen an die höchste Realitat, und entwirft sich nachher jene Ideen nur, urn ihren Glauben aussprechen zu können. •) Wenn also auch die logischen oder spekulativen Ideen von Fries inhaltlos sind („diese Negation der Schranken in der Idee der absoluten Realitat ist in der That der einzige Inhalt, 2) den wir unsrer spekulativen Idee verschaffen können! ), so hat doch die Ideenlehre für den Aufbau seines Systems reale Bedeutung, denn ohne sie würde die Ahndungslehre (die ja Glauben und Wissen in wechselseitigen Zusammen- 1) W., Gl. u. A. 129/130; über „Willkühr" (= Vermogen der Wahl) S. 285 ff. 2) ebenda 129; cf. N. Kr. II, 322. hang bringt) „in der Luft schweben." ') Ausserdem hat Fries, wie L. Nelson nachdrücklich betont, die negative Form der Ideen ganz bestimmt von „der positiven Grundlage der Ideen in der unmittelbaren Erkenntnis" unterschieden.2) Ideen und Naturbegriffe mogen sehr scharf unterschieden werden, sie gehen doch beide aus „einer und derselben Grundvorstellung der reinen Vernunft" hervor.3) b) Jetzt lassen wir eine kurze Darlegung des „Gefühls" bei Fries folgen. Wie der Glaube vor dem Wissen voraus hat, dass er mit dem Kunstgerate der Beweisführungen nichts zu schaffen hat — das wurde uns bei der Ideenlehre schon deutlich —, so wird auch in der Gefühlslehre Gefühl gegenübefc „Begreifen" und „Schliessen" gestellt. „Verstand ist das Vermogen der mittelbaren Beurtheilung der Dinge nach Schlüssen und vorausgegebenen Begriffen, dagegen sich in Gefühl und Geschmack ein Vermogen der unmittelbaren Beurtheilung der Dinge zeigt." 4) Der ganze Streit über die „nur vermittelnde Reflexion" kann schliesslich zurückgeführt werden auf den Streit zwischen Wahrheitenbegreifen und Wahrheitenfühlen.5) Diesen hiermit in rohen Umrissen angedeuteten Unterschied nun will Fries anthropologisch-wissenschaftlich klarmachen ; er beabsichtigt damit weiterzukommen als Baco von Verulam und auch als Jacobi. Denn Baco von Verulam hat wohl das Verdienst, Schutz gesucht zu haben gegen die aristotelische Logik mit ihren Syllogismen usw., aber er fand ,,zum Schutz gegen den Syllogismus anstatt des Gefühls nur die Induction", die dann ,,auf den Ursprung der sinnlichen Erkenntniss" zurückführen musste und also doch wieder die „unmittelbare Wahrheit" auf „Empfindung, ') Weisz, 26. 2) L. Nelson, Ueber das sogen. Erkenntnisproblem, Abh. d. Fr. Schule, Neue Folge, 2. Bd. 4. Heft, XI, Göttingen 1908, 763/4 (Zitate aus Neue Kritik § 121, Bd. II, 2. Aufl. 173, u. anderswo), cf. N. Kr. II, 191. 3) Nelson, a.a.O., 764/5 (Zitat aus Neue Kritik § 130, S. 205, ff.) 4) J. F. Fries, Handb. d. psych. Anthropologie od. d. Lehre v. d. Natur d. menschl. Geistes, II, Jena 1821, S. XI. 5) ebenda XI. somit auf sinnlicher Anschauung beruhen" liess. Und Jacobi beging den Fehler, dass er das „in sich gewiss sein durch einen Instinct der Vernunft erklaren wollte" ; damit gab auch Jacobi, sagt Fries, ihm doch schliesslich wieder einen „sinnlichen Ursprung '. ') Dem gegenüber will nun Fries das Gefühl immer scharf von der Empfindung getrennt halten,2) es ist ein Akt des Erkenntnisvermögzns; urn es zu kennen, muss man erst unsere „logischen" Erkenntniskrafte kennen.3) Dieses Gefühl (und die „Erkenntnisweise durch reines Gefühl") darf denn auch nicht Dichtern, Andachtigen und Schwarmern überlassen werden, sondern soll eine Sache der Philosophie bleiben; diese muss zeigen, dass nicht der „dichterischen Begeisterung" sondern dem reinen Gefühl und diesem allein das Vermogen gegeben ist, die asthetischen Ideen (worüber wir weiter unten noch sprechen werden) „anzuwenden".4) Um nun die versprochene wissenschaftliche Ortsbestimmung des Gefühls und zugleich seine Sicherstellung gegen Schwarmer und Empiristen auszuführen, gibt Fries eine Definition vom Gefühl, nach der es „die unmittelbare Selbsttatigkeit des Reflexionsvermögens" d. h. der Urteilskraft ist.5) Fries verweist hier auf die Falie, in denen wir „unmittelbar" etwas wahr oder falsch finden, „ohne uns auf Beweis einzulassen, ohne es ganz einzusehen" 6) Merkwürdig ist an dieser Stelle die Umsicht und die nicht ganz eingestandene Unsicherheit, mit der Fries hier seine Worte wahlt: „wir finden oft (!) etwas wahr oder falsch, ohne(!) es ganz(!) einzusehen (!), ohne uns auf Beweis einzulassen (!), ohne uns nur genaue (!) Rechenschaft (!) geben zu können, warum wir •) ebenda XVII, cf. Rel. Ph. 23. 2) W„ Gl. u. A., S. 175. 3) ebenda 176. 4) ebenda 178/9. . 5) N. Kr. I 343, 346 (III, 20: das Gef. gehort einer selbstthatigen cr- kenntniskcaft). 6) N. Kr. I 342. es so finden." Für den angekündigten Versuch, das Gefühl wissenschaftlich-anthropologisch zu begründen, klingt diese Sprache etwas unsicher. Es scheint, dass Fries selber die hier vorhandenen „psychisch-anthropologischen" Schwierigkeiten (auch hinsichtlich seiner eigenen Stellung zu Kant!) so stark gefühlt hat, dass diese Abgrenzung des Gefühls gegen die Umschreibung der englischen Empiristen, die eine Modifikation der Empfindung davon machten, ') und auch seine scharfe Antithese zwischen dem unmittelbar urteilenden Gefühl einerseits, und Beweis 2) und Schluss 3) als vevmittelten Tatigkeiten der Urteilskraft andererseits, bedenklich viel Aehnlichkeit hat mit einer petitio principii. Dieser Eindruck wird noch verstarkt, wenn man darauf achtet, dass Fries bei der Unterscheidung der drei „Arten des Gefühls" gezwungen ist, neben der 2. (unmittelbaren Tatigkeit der subsumierenden) und der 3. (der reflektierenden Urteilskraft) als 1. zu ponieren eine solche „Art" des Gefühls, wie sie „beruht nur auf dem Grade, wie weit ich mir eben jetzt der Gründe eines Urtheils bewusst bin."4) Hier wird implicite anerkannt, dass das „Unmittelbare" (Schlusslose) der Selbsttatigkeit der Urteilskraft im Gefühl doch eigentlich ungenügend legitimiert ist, gerade wieder von psychologisch-anthropologischem Gesichtspunkt aus. In seiner soeben erwahnten Definition schliesst Fries sich insoweit an Kant an, als das Gefühl vom Sinn getrennt wird;5) aber insofern glaubt er vón Kant abweichen zu müssen, als Kant das Gefühl „nur auf Lust und Unlust beschrankt". „Hatte Kant bemerkt, dass man statt Gefühl der Lust ganz im allgemeinen auch Beurtheilung der Zweckmassigkeit sagen kann, so würde dieser ganze Theil seiner ') ebenda 342. 2) ebenda 342. 3) ebenda 343; III, 20 (auch im Gewissen und jedem Lustgefühl, und im praktischen Takt — worüber I, 344 — wird ein Urtheil unmittelbar gefallt); vgl. über das Gewissen I, 344. 4) N. Kr. I 343. 5) ebenda 341, 346. anthropologischen Theorie anders ausgefallen sein." ') Daher kommt es denn auch, dass die „asthetische Lust" von Kant, die bei Fries „intuitiv" heisst (und in welcher „der Gegenstand nach Verhaltnissen anschaulicher Vorstellungen als gefallig oder missfallig beurtheilt wird"), deutlich unterschieden wird von der intellektuellen Lust, die auftritt „bey dem, was nach Begriffen gefallt".2) Erinnert man sich nun, wie der Glaube gegenüber dem Wissen vorgestellt wurde als frei von dem Kunstgerate der Begriffsbestimmungen und Beweisführungen und wie die Ahndung die Brücke schlug zwischen Glauben und Wissen, dann ist ohne weiteres deutlich, dass diese Gefühlstheorie für die Ahndungslehre direkte Folgerungen haben muss. Man findet sie denn auch deutlich umschrieben. „Ueberzeugung ohne Anschauung", — das „macht den gemeinen Begriff des Glaubens aus".3) Wenn nun die Ahndung ihre Aufgabe (das Endliche mit dem Ewigen zu vereinigen) erfüllen will und zwar so, dass die Realitat des Endlichen und des Ewigen in ein und demselben Bewusstsein zusammenkommen, dann kann, wie schon aus a) hervorging, die Ahndung dies nur tun, indem sie die Gegenstande der Anschauung bezieht auf die Ideen, und dies kann dann wieder nur durch Gefühle zustande gebracht werden.4) Also wird der Glaube „nur im Gefühl lebendig" ;5) er kann „seinen Ideen das Wesen der Dinge nicht wissenschaftlich, sondern nur durch die Gefühle der Ahndung unterworfen erkennen." 6) Der Glaube an die Ideen des Absoluten bildet „das Princip, dem die Ahndung (nach asthetischen Ideen) das in Raum und Zeit Wirkliche in Gefühlen unterordnet." 7) Denn die Ahndung des Ewigen im Endlichen ist nun zu verstehen ') ebenda 346; III, 263 (§ 222), cf. Kant, Kritik d. Urteilskraft, Werke, ed. Cassirer V, S. 423, 416. „Jedes Urteil ist Erkenntnis", betont Fries. 2) III, 22. 3) I, 335. 4) W„ Gl. u. A„ 74, 75/6. 5) Deutsche Phil. usw., 100, W., Gl. u. A., 236. 6) Deutsche Phil. 52. 7) Rel. Ph. 28. als Erkenntnis durch reines Gefiihl. ') Von hier aus wird die Ahndung für die „Religion" konstitutiv, denn Religiositat ist Sache des Gefühls und damit der Ahndung. 2) Endlich ist noch zu beachten Fries' Meinung, dass das Gefühl irrtumslos ist. Wir besprechen die Frage der Irrtumslosigkeit an dieser Stelle, ebenso wie Georg Weisz,3) der sie besonders mit der Gefühlslehre in Zusammenhang bringt, aber weisen nichtsdestoweniger mit Nachdruck darauf hin, dass Fries selber die Irrtumslosigkeit des Erkennens nicht mit dem Gefühl allein verbunden, sondern über das ganze Gebiet des „unmittelbaren Erkennens" ausgedehnt hat, ein Gedanke übrigens, der in der Fries'schen Schule (Hessenberg, Nelson, Kastil) immer wieder aufgenommen wird. Mit der „Unmittelbarkeit" des Erkennens steht oder fallt dessen Irrtumslosigkeit. Denn nach Fries ist Irrtum : „gesetzwidriges Fürwahrhalten". Diese Definition verscharft das Problem, gerade für Fries; denn für den Mann der anthropologischen Deduktion, der die Einheit des Erkennens so nachdrücklich in den Vordergrund stellt und gegenüber dem Skeptizismus mit Nachdruck das Selbstvertrauen,4) ja sogar „den Grundsatz des Selbstvertrauens der Vernunft," 5) predigt, muss eigentlich jede Annahme der Wirklichkeit eines p'esefzwidrigen Fürwahrhaltens in se eine Versuchung zum — Skeptizismus bedeuten. Fries stellt denn auch selber sofort die Frage, wie Gesetzwidrigkeit im Erkennen möglich ist, wahrend doch in der Natur „keine Kraft ihrem eigenen Gesetze widersprechen kann." 8) Er sucht nun der Schwierigkeit zu entkommen, indem er verweist auf die Analogie in der Natur, bei der wohl nicht eine Kraft ihren eigenen Gesetzen widerspricht, aber wohl Widerstreit entgegengesetzter Krafte möglich ist;7) als solcher tritt denn hier ') W„ Gl. u. A., 176. 2) ebenda 239, 241. 3) Weisz, a.a.O., 43. 4) Nelson, a.a.O., 758, Kastil, a.a.O., 19. 5) Rel. Ph. 55. 6) N. Kr. d. V., I, 339. 7) ebenda 339. der Wille auf gegen das Erkennen. Der Irrtum entsteht aus dem Willen, der auf das Vorstellen Einfluss ausübt, „indem der Wille sich nach den ihm fremden Gesetzen der Erkenntniss zu richten sucht". ') Um die Einheit des Erkennens behalten zu können, muss Fries also die Einheit des menschlichen Seins, der menschlichen Existenz, wenigstens halbwegs preisgeben; denn in dem Menschen wirken entgegengesetzte „Krafte" (Wille und Erkennen), obgleich doch der Wille wieder sich nach den ihm fremden Gesetzen zu richten sucht. Nicht die Sinne, nicht die unmittelbare Erkenntnis, sondern der Wille und die willkürliche Reflexion sind es, die irren und allen Irrtum lassen „beruhen auf Schlüssen und folglich auf Wahrscheinlichkeitsschlüssen." 2) „Irrthum", sagt Fries, „ist nur ein Fehler der Reflexion, ein Fehler im Gebvauch der gesunden Vernunft."3) Die Grenzlinie zwischen irrender und nicht-irrender Erkenntnis fallt also zusammen mit der zwischen mittelbarer und unmittelbarer. Wohl irren können die „mittelbaren Urtheile des Verstandes" (Schlüsse), die „mittelbare Einbildung" (unvollstandige Pramissen eines Wahrscheinlichkeitsschlusses!); nicht irren können die Sinne, die unmittelbare Erkenntnis der Vernunft, die Anschauung ; in dem inneren Wesen der Vernunft selbst ist lauter Wahrheit.4) Mit Hilfe seiner Konstruktion der irrtumsfreien unmittelbaren Erkenntnis kann Fries also Wissen, Glauben und Ahndung einen Platz von gleicher Gültigkeit nebeneinander sichern.5) Weil weiter in dem Gefühl ein Vermogen unmittelbaren Erkennens zu sehen ist, wie sich uns zeigte, darum ist auch das Gefühl als solches irrtumsfrei. Das Gefühl handelt nicht gesetzwidrig, aber — vergl. oben über die erste der drei Arten des Gefühls — wenn das Gefühl zu Aussprüchen kommt durch Ur~ teile und sich dann die Pramissen in Schlussketten erst einzeln ') ebenda 339. 3) N^Kr., II, 186, cf. Nelson, 759. Ueber d. Refl. noch N. Kr. I, 339, 328. i) n! Kr. I, 339/340. 5) ebenda 340. denken will und vielleicht manche davon vergessen werden, dann, in dieser Reflexion also, kommt ein irriges Resultat heraus und wird das Gefühl „die geheime Werkstatte" funester Vorurteile. ') Denn wohl von den Urteilen, nicht von der Erkenntnis gilt, dass sie eine Begründung nötig haben.2) c) Mit Bezug auf die asthetische Gesetzlichkeit beschranken wir uns auf einige Einzelheiten, die mit unserem Gegenstand in unmittelbarerem Zusammenhang stehen. Wir gehen hierbei wieder aus von dem uns schon bekannten Gegensatz, den Fries zwischen dem theoretischen und dem atheoretischen Erkennen macht. Bei der Entwicklung der Begriffe Glaube, Gefühl, Ideen, Ahndung sahen wir, dass er jedesmal das unmittelbare Erkennen als atheoretisches erhob über und steilte gegenüber allem theoretischen Erkennen. So konnten wir bereits die Ahndung als „eine aller Theorie entgegengesetzte Ueberzeugungsweise (der 'transcendentalen Ur~ theilskraft') aus blossen Gefühlen" 3) umschreiben hören. Demselben Gegensatz nun begegnen wir auch auf dem Gebiet des „Aesthetischen": „was wir in bestimmtester Bedeutung asthetisch nennen, ist das Eigenthum des Gefühls im Gegensatz gegen alle Theorie";*) „das Gebiet der Aesthetik oder des Gefühls scheidet sich von aller Wissenschaft und Theorie." 5) „Das Gebiet der Aesthetik oder des Gefühls", — dieser kurze Ausdruck beweist schon, dass mit „asthetisch" und ,,Aesthetik nicht auf die sinnliche Wahrnehmung gesehen wird, sondern dass unter „Aesthetik", frei von der „strengen Etymologie' , „die Lehre vom Schonen und Erhabenen" verstanden wirdb) oder „reine Geschmackslehre, denn wir nennen reinen Geschmack das Vermogen der Beurtheilung des Schonen und Erhabenen".7) ') ebenda 344. 2) Kastil, 22, sqq. 3) N. Kr. II, 322, 83. 4) N. Kr. II, 322. 5) N. Kr. II, 324, cf. III 258. 6) N. Kr. III, 257. 7) Rel. Ph. 11. Der auf asthetischem Gebiet herrschende Gegensatz gegen alle Theorie lasst sich nun zuallererst erkennen in Fries' Konstruktion des asthetischen Uvteils. Theoretische Urteile entstehen aus Unterordnung nach bestimmten Begriffen; sie werden gefallt auf dem Gebiet des Wissens, auf dem die Anschauung unter die mathematischen Gesetze der Physik untergeordnet wird. Aesthetische Urteile dagegen haben (vgl. oben) mit dem Gefühl zu schaffen, darum auch mit den Ideen, schliessen deshalb Beweise und Schlüsse aus, werden bestimmt durch eine Unterordnung (nach Gefühl) unter Ideen, „bey welcher die Urtheilskraft in ihren Gefühlen nur von unaussprechlichen Begriffen geleitet werden kann . ') Der Gebrauch der Urteilskraft ist denn auch sehr verschieden, je nachdem er theoretisch oder asthetisch ist. Im ersten Fall bilden sich durch die Kategorie positive allgemeine Gesetze, im zweiten treten Grundsatze aus Ideen auf, unendliche Urteile also mit negativen Formen. Im ersten Fall kann also die Urteilskraft subsumieven: denn in der Wissenschaft (theoretischer Gebrauch der Urteilskraft) handelt es sich darum, einen Fall der Regel unterzuordnen; im zweiten Fall jedoch kann die Urteilskraft mit dem Subsumieren nichts anfangen; alle Unterordnung „bleibt der reflektierenden Urtheilskraft überlassen2) Ja, es zeigt sich, dass die Kluft zwischen theoretischem und asthetischem Urteil noch tiefer ist; denn wohl kann auch in der „Wissenschaft die reflektierende Urteilskraft wirken (Induktion), aber die dabei herrschenden Maxime werden doch wohl im allgemeinen als für die Natur geltende konstitutive Gesetze anerkannt. In der „idealen Ansicht der Dinge" jedoch (einer Ueberzeugung, die über alle Wissenschaft hinausgeht) ist eine Erkenntnis nicht von, sondern aus den Ideen; das asthetische Gesetz des Geschmacks hat darum Regeln, die für eine logische Entwicklung nicht empfanglich sind, sondern dem Gefühl eines jeden überlassen bleiben. Wohl müssen alle bei 1) N. Kr. III, 264, II. 324. 2) N. Kr. II. 324/5. ihren Geschmacksurteilen übereinstimmen in einem gewissen Anspruch, den die asthetischen Urteile auf Allgemeingültigkeit haben, aber dieser bleibt immer subjektiv bedingt; für die einzelne Unterordnung bleibt jeder auf sein subjektives Gefühl angewiesen.') Mit der Fries'schen Konstruktion des asthetischen Urteils hangt weiter sein Entwurf der „asthetischen Idee" aufs engste zusammen. Diese ist von der bereits besprochenen logischen Idee scharf unterschieden. Denn „Idee ist überhaupt eine Vorstellung, deren Gegenstand in keiner bestimmten Erkenntnis gegeben werden kann, und diese Ideen sind entweder asthetische durch Kombination, oder logische durch Negation." 2) Was diese Negation bedeutet, haben wir schon gesehen; unter der Kombination versteht Fries, dass die Form einer *Anschauung als Fall unter einer Regel als Anschauung dargestellt wird.3) Diese „Regel" ist bei den asthetischen Ideen jedoch unaussprechlich; denn ihr Gesetz kann durch keinen bestimmten Begriff ausgedrückt werden. Wohl wird die anschauliche Vorstellung der asthetischen Idee als ein Ganzes aufgefasst, aber bei dieser Einheit der Form ist doch kein Begriff „von dem, was dies Ganze für ein Ding seyn soll".4) Der Gegensatz zwischen logischen und asthetischen Ideen ist also scharf gezeichnet: LOGISCHE IDEE AESTHETISCHE IDEE Negation. Kombination. Ueber das Gegebene hinaus. Andere Ordnung des wirklich Ge- gebenen. Der Gegenstand der Vorstellung Der Gegenstand der Vorstellung ist kann in keiner Anschauung ge- Form einer Anschauung, die als geben sein. Fall unter einer Regel als Anschauung dargestellt wird. ') N. Kr. II, 324/5, III, 264/5. 2) N. Kr. II. 167. 3) ibidem, cf. III, 272. 4) II, 167, III, 272. Rel. Ph. 160. Schilder 13 LOGISCHE IDEE AESTHETISCHE IDEE Der Gehalt des Gegebenen wird Die Form des Gegebenen wird anders vorgestellt. anders vorgestellt. Glaubenswahrheiten werden gedacht. Unterordnung der Erscheinungen unter die ewige Wahrheit wird erkannt. Die Regel des Begriffs wird erkannt, Der Fall der Unterordnung ist anaber nicht der Fall der Anwendung. schaulich gegeben, aber die Regel bleibt unaussprechlich. ') Von hier aus wird nun Fries' Lehre der asthetischen Zweckmassigkeit oder Gesetzlichkeit verstandlich. Fries unterscheidet namlich zwischen der asthetischen Idee selbst und Ihrer Form.2) Erst durch ihre Form wird sie schön und erhaben3) und gefallt sie.4) Als Beispiele, an denen dieser Satz bewiesen werden kann, nimmt Fries nicht nur Volks-, Kinder-, Wiegenlieder, Anakreontische Lieder, sondern auch schone Gebaude, die Statue, das Gemalde, das grosse Epos oder Drama. Diese alle, „so gut als jene Kleinigkeiten, wenn darin noch soviel Verstand, Konsequenz, Gedanke und Reflexion ist" (gegenüber jenen „Kleinigkeiten , die oft logisch gar keine Bedeutung haben), müssen doch „als Ganzes nur für die Anschauung als asthetische Idee gegeben seyn und durch die Form dieser Idee gefallen". ^Dies impliziert schon, dass bei „asthetischer Beurtheilung" die „Urtheilskraft nur auf die Zweckmassigkeit der gegebenen Anschauung zur Zusammenfassung überhaupt reflektirt". Hierzu kommt noch ein zweiter Faktor; das rein asthetische Urteil „beruht auf dem Gefühl des wechselseitigen Zusammen- ') N. Kr. II, 167, III, 272, Rel. Ph. 160, E. F. Apelt, Metaphysik, 1854, S. 294, ff. 2) N. Kr. III, 273. 3) ibidem. 4) III, 276/7. s) III, 273—277. treffens der Einbildungskraft in ihrer Freyheit mit der Gesetzmassigkeit des Verstandes"; dies folgt ja daraus, dass „hier", d. h. bei dem soeben genannten Reflektieren der Urteilskraft, „kein Begriff vom Objekt zu Grunde liegt". ') So wird „die Zweckmassigkeit anschaulicher Formen (im Schonen und Erhabenen) die Form der asthetischen Idee".2) Mit dieser spekulativen asthetischen Form korrespondiert nun die teleologische asthetische Form.3) Weil die höchste Idee in der praktischen Philosophie das Gesetz des Zweckes ist (worin wir „das Wesen der Dinge den Gesetzen des nothwendigen Zweckes oder des absoluten Werthes unterwerfen")4), darum können wir uns nicht begnügen mit der interessierten Beurteilung dessen, was ,,/iir mich" Zweck ist, sondern müssen wir wohl kommen zu der unintecessierten Lust am Schonen und Erhabenen selber. „Die Beurtheilung des Gefalligen oder Missfalligen" nun „wird uninteressiert, sobald ich eine objektive Regel dessen voraussetze, was für sich als Zweck existiert oder Zweck der Natur selber ist. Wir nennen einen Gegenstand schön oder erhaben, wiefern wir ihn mit einem Gesetze der objektiven Zweckmassigkeit übereinstimmend finden, wiefern er uns das Gesetz des Zweckes selbst im Wesen der Dinge ahnden lasst." 5) 5. Kehren wir nun zur Ahndungslehre zurück, so ist der Uebergang leicht zu finden. „Beym Schonen und allem kontemplativ Erhabenen gehen wir von der Zweckmassigkeit der Natur aus, und ordnen .... so das Endliche den Gesetzen seines ewigen Wesens unter". Dies nun geschieht nur durch die Ahndung.6) Und das Gefühl tritt zugleich hier auf; auch die Idee bekommt hier ihren Platz: wir sehen die Natur als „Widerschein" des in der Idee ergriffenen „Reiches der Zwecke", und „es erscheint uns.... das ') III, 268. 2) III, 271/2. 3) III, 268, 284, § 224, § 227. Ph 77^ "^weck9esetz9ebun9 ist eigentlich Werthgesetzgebung", (Rel. 5) N. Kr. III, 287. 6) III, 352. objektive Gesetz des Zweckes für das blosse Gefühl, indem wir die in der Natur zufallig aufgefasste Eurythmie der Form nur als einen Zweck der Natur beurtheilen können." ') Die Ahndungslehre, wie sie jetzt mit der Idee, dem Gefühl und der Zweckmassigkeit in einen Zusammenhang gebracht ist, enthalt folgende für unsere Untersuchung kennzeichnende Grundgedanken: a) Die Ahndung hat nur einen Platz in dem Rahmen eines antirationalistischen Gedankensystems. Wir erinnern nur an den scharfen Gegensatz zwischen vermitteltem und unvermitteltem Erkennen, zwischen Wissen und Glauben, Reflexion und Gefühl, Begriff und Idee, Aussprüchen des Wissens und Aussprüchen des Glaubens und an die Stellung, die die Ahndung immer wieder gegenüber den Termini in dieser Reihe von Gegensatzen einnahm. Nur unter diesem Gesichtswinkel ist Fries' „Verteidigung der Rechte des Rationalismus" (Rel. Ph., § 8) verstandlich. Er verteidigt sie gegen „die Phantasieen eines mystischen Empirismus", gibt aber „eine Verbesserung der logischen Lehre", und kommt so zu seinen „auflöslichen und unauflöslichen Wahrheitsgefühlen", zu seiner Deduction, usw. (§ 9). b) Dieses antirationalistische Gedankensystem ist jedoch niemals anti-vernünftig. Im Gegenteil, Fries ganzes Gedankensystem basiert, auch was den Glauben anlangt, auf dem Selbstvertrauen2) der Vernunft, das bei Fries mehrere Male zur Sprache kommt; der Vernunft entspringen sowohl Glaube 3) als Wissen, und das Gefühl, das ja zwischen beiden eine Brücke schlagt, ist Akt des Erkenntnisvermögens, Selbsttatigkeit des Reflexionsvermögens, wie wir sahen. Reflexion nun, als Vermogen der Wiederbeobachtung, bringt mittelbar zum Bewusstsein, was als ursprüngliche Erkenntnis der Vernunft gegeben ist.4) Ausserdem ent- al Rel.3ph., S. 55, ff. (§ 17, § 18), S. 63; Syst. d. Met. § 89; N. Kr. 8 71 (S. 288: Uebereinst. d. mittelb. Erk. m. d. unm„ u. i. Rücks. d. unm. ihr Daseyn im Gemüthe. Cf. 289, ff.); Nelson, 758/9 Note. 3) Nebst schon angef. St. vgl. noch W. Gl. A„ 123. 4) N. Kr. II, 9. springen, wie sich uns zeigte, sowohl Ideen als Naturbegriffe derselben Grundvorstellung der Vernunft. c) Aus der Verbindung von a) und b) folgt weiter, dass die Ahndung, wenngleich sie Glauben und Wissen, unvermitteltes und vermitteltes Erkennen verbindet, doch niemals auf Paradoxa in dem praegnanten Sinn, den Kierkegaards Gegensatz „Zeit und Ewigkeit" diesem Wort gab, stossen kann. Die Antinomien der reinen Vernunft kehren auch bei Fries als Probleme zurück, aber neben dem Kantischen Lösungsschlüssel des transzendenten Idealismus glaubt Fries dann noch obendrein den seines „Psychologismus" (Anthropologie) gebrauchen zu können. „Skandal" in striktem Sinn für die Vernunft oder Paradox „sensu eminentiore" (Kierkegaard) kann die Antinomie bei Fries niemals werden. „Gott kann hier nicht der Deus loquens sein, der der Vernunft widerspricht, denn die Idee der Gottheit ist selber die höchste Idee der Vernunft, diese hat sie ja gebildet durch die Idee der Aufhebung der Schranken der intelligiblen Welt. ') „Die Idee der Gottheit entspringt uns aus dem obersten Verhaltniss der Einheit aller Erkenntniss in'der unmittelbaren Erkenntniss der Vernunft"; alle Versuche, um diesen Begriff „des allerrealsten Wesens (Gott) zu etwas Positivem zu machen, sind nach Fries zum Fehlschlagen verurteilt; wir können diese Idee eines absoluten Gegenstandes der Vernunft (Gegenstand! — Kierkegaards Konsequenz jedoch war, dass Gott niemals Gegenstand sein kann) nur bestimmen durch die bei den logischen Ideen deutlich gewordene doppelte Negation.2) So bildet die Vernunft durch die Ideen wohl den Begriff des aliud valde (in dieser doppelten Negation namlich), aber daraus kann denn auch nichts Positives gedacht werden. Die „unüberwindlichen Geheimnisse" sind wohl Objekt der Ahndung, aber werden nicht, wie bei Kierkegaard, in dem Glauben zu alle Ahndung und „Spekulation „überwindenden" Geheimnis- ') II, 258/9. 2) II, 259. sen. ') Das „ganz Andere" ist bei der Problemstellung Kierkegaards Gott, Ewigkeit; hier bei Fries ist es „das wahre Wesen der Dinge" (weil dies in der Verneinung der Schranken als „ein Anderes denn das beschrankte Wesen der Natur" vorkommt)2); es ist die „leere Stelle einer höchsten Einheit im Wesen der Dinge".3) d) Hiermit ist denn auch die Antwort auf die Frage nach einem eventuellen Widerspruch in der Ahndung usw. bestimmt, und zwar in unmittelbarem Zusammenhang mit der Idee der Gottheit. Denn diese wird gedacht a) nach der Quantitat als das Ideal der Vernunft, nach der Idee der absoluten Einheit; b) nach der Qualitat als das allerrea/sfe Wesen ; c) nach der Relation als der absolute Grund in dem Sein der Dinge; d) nach der Modalitat als das Wesen aller Wesen, absolut notwendig. Mit Bezug auf a) gilt nun, dass die Vorstellung der Gottheit wohl nur im Gegensatz gegen das „theilbare Mannigfaltige überhaupt" entworfen wird, aber die so erlangte quantitative Idee ,,bezeichnet nichts als die leere Stelle einer höchsten Einheit im Wesen der'Dinge"; die Vernunft bleibt also „spontan" und wird durch ihren eigenen Entwurf nicht verzehrt. Mit Bezug auf b) gilt dasselbe. „Der qualitative Ausdruck der Idee ist eben so nichts besagend". Wohl meinen viele, dass in Gott und in Ihm allein „alle Realitat bejaht ist ohne Verneinung" aber das ist ein Versehen; denn man verwechselte Verneinung mit Beschrankung. Die qualitative Idee des Allerrealsten bleibt also immer „leer", auch wenn man alle bejahenden Begriffe in dieser Idee vereinigen wollte. Denn man kann dafür wohl die metaphysische Regel zu Hilfe rufen, dass „Realitaten sich nicht widersfre/fen" und daraus dann konkludieren, dass sie sich also in eznem Wesen vereinigen lassen, aber diese Regel ist hier dann auf illegitime Weise angewandt; sie ist nur „erschlichen „durch Ver- 1) II, 322. 2) II, 322. 3) II, 261. wechslung mit dem analytischen Satz: Realitaten widersprechen sich nicht". In dem Widerspruch tritt immer die Negation auf; denn „Widerspruch ist die logische Entgegensetzung eines Begriffes und seiner Verneinung oder seines Gegensatzes". Bevor wir jedoch die Negation „brauchen" können, muss erst „ein Widerstreit beschrankter Realitaten das erste" sein, das wir finden (das Nicht-rot-sein eines Gegenstandes z.B. wird nicht erkannt an seiner Farblosigkeit, sondernz.B. durch sein Grün-sein). Ein solcher Widersfreff ist also von dem logischen Widerspruch absolutzu unterscheiden. Man kann also die Gottesidee als die Idee des Allerrealsten nicht stützen auf den Satz, dass Realitaten sich nicht widersprechen; denn dieser Satz tut hier nichts zur Sache; er ist analytisch, gehort zur Reflexion; in der Idee der Gottheit jedoch geht es um Idee und Gefühl, um unmittelbares Erkennen. Und auf den anderen Satz, dass Realitaten sich nicht widerstreiten, kann man die qualitative Idee des Allerrealsten schon ebenso wenig gründen. Freilich, weil die Realitaten unserer Erkenntnis beschrankt sind, sind sie auch „haufig in Widerstreit mit einander". Diesen Widerstreit finden wir jedoch, bevor wir die Negation (die sich ja bei den logischen Ideen uns schon als unentbehrlich zeigte) „brauchen" können. Denken wir uns also die Beschrankung aufgehoben, dann ist damit das Denken zugleich über den Widerstreit, der in dem Beschrankten liegt, hinausgegangen. Um zu einer solchen Idee der Gottheit zu gelangen, müssten wir also mehr tun als alle Negationen wegdenken: man müsste dasjenige Positive denken, „für welches von keiner Negation die Rede seyn könnte". Man bekame dann „das unbeschrankte Positive". Aber dies ist ein aussichtsloser Versuch, weil wir „durchaus keine Realitat unseres Geistes nennen können, deren Positives nicht verschwande, indem wir es unbeschrankt denken wollten". Darum lautet auch hier der Schluss, dass nur das Gefühl das Positive erreicht, ohne allen Begriff. Und der aus Goethes Faust bekannte, von Schleiermacher wieder aufgenommene, von Emil Brunner heftig bekampfte ') Vers tritt hier bei Fries in seiner ganzen Scharfe in den Vordergrund : Name ist Schall und Rauch, Umneblend Himmelsgluth. Die Zeile „Gefühl ist alles" fehlt in diesem poetischen Zitat, aber in Fries' eigener Prosa war sie denn auch schon deutlich zu lesen. Was nun weiter die Idee der Gottheit nach Relation und Modalitat betrifft (c und d), der Relation nach wird „in der Idee der Gottheit die Einheit der Existenz aller Dinge absolut" gedacht und zwar so, dass „die mathematische Unvollendbarkeit in der Gemeinschaft der Dinge aufgehoben" gedacht wird. Dies kann nur dadurch geschehen, dass wir „in der Gottheit die Idee einer höchsten Ursache über das Wesen der Dinge hinzudenken, als den Urgrund im Seyn der Dinge". Und endlich, nach der Modalitat zeigt sich „das Wesen der Wesen" gegenüber dem Zufalligen als „absolut nothwendig" ; aus der Gottheit fliesst also die ewige Ordnung der Dinge. Dies Letztere ist dann wieder nicht möglich ohne die Ideen der Pflichtgebote; so kommt es, dass die Idee der „ewigen Güte", eines „heiligen Willens als Urgrund im Seyn" am Schluss der Fries'schen Konstruktion übrigbleibt.2) Es ist also ohne weiteres deutlich, dass in der Idee der Gottheit der Widerspruch, das Paradox bei Fries ganz und gar fehlt. Gegensatz, Widerstreit, Widerspruch — sie treten wohl eben in das Gesichtsfeld bei der Entwicklung der Idee der Gottheit nach Quantitat und Qualitat, aber wurden schon dort als wertlos für die Struktur des Goffesgedankens verworfen; ausserdem blieben, „wie bey aller Idee, so auch hier die Momente der Grosse und Qualitat ohne Bedeutung .3) Und in der Anwendung von Relation und Modalitat fehlt das Moment des Widerspruchs ganz und gar. Dies kann ') z. B. Die Mystik u. d. Wort, Tübingen, 1924, S. 12, 49. 2) Für den ganzen Zusammenhang: N. Kr. II, 259—267 (§ 147). 3) II, 265. übrigens auch nicht anders sein; denn alle zufallige Mannigfaltigkeit wird hier im Begriff der Gemeinschaft aufgehoben gedacht, ') und zwar, in Uebereinstimmung mit der Gefühlslehre, „aus dem obersten Verhaltniss der Einheit aller Erkenntniss in der unmittelbaren Erkenntniss der Vernunft".2) Soweit behandelten wir die Idee der Gottheit und in Zusammenhang damit die logische Idee und ihre Negation. Wir sahen jedoch auch die aesthetische Idee in der Kombination auftreten. Es erhebt sich also die Frage, ob auch hier der Widerspruch ferngehalten werden kann. Diese Frage wird von Fries bejaht. Indem er in seiner Lehre der aesthetischen Zweckmassigkeit Stellung nimmt,3) betrachtet er die Religionsphilosophie als Weltzwecklehve und die praktische Philosophie als Zwecklehre (gegenüber der spekulativen Philosophie als Einheitslehre).4) In der Ahndung nun, die durch das Gefühl ihre asthetische Weltansicht hat,5) treten als drei Klassen nebeneinander auf: die epischen, dramatischen und lyrischen Ideen.6) Epische: denn die intelligible Welt wird gesehen als Reich der Zwecke; die sittliche Weltordnung wird hier geahnt, das Reich Gottes auf Erden vorgestellt (republikanisch, denn jedes vernünftige Wesen ist als Mitglied durch die Autonomie seiner Vernunft Mitgesetzgeber des Reiches der Zwecke).7) Dramatische: unter der Idee der Freiheit wird der Widerstreit des Guten und Bösen gesehen; der Konflikt zwischen dem Zweckmassigen und dem Zweckwidrigen in der Natur tritt vor das erkennende Bewusstsein.8) Lyrische: die Gottheit kommt vor als Ideal des höchsten Gutes; in rythmischen und musikalischen Bewegungen sucht die lyrische asthetische Idee das Ideal der göttlichen Welt- ') II, 259. 2) ibidem. 3) III, 356; W. Gl. A., 314. 4) Rel. Ph. § 1, § 2. 5) R. Ph. 207 (§ 59). 6) R. Ph. 208; N. Kr. III, 355/6. 7) N. Kr. III, 355; R. Ph. 208; W. Gl. A. 313/4. 8) N. Kr. III, 355/6; R. Ph. 209. regierung selbst zu berühren. In all diesen drei Klassen wird also von der Zwecklehre ausgegangen; prinzipiell ist also das Paradox sensu eminentiore in der asthetischen Weltansicht hier ausgeschlossen. Und dies geschieht so konsequent, dass auch in den dramatischen asthetischen Ideen der Widerstreit des Guten und Bösen niemals zu einem unüberwindlichen Paradox führen kann; denn die Zweckwidrigkeit, die in der Natur erscheint, wird durch das Bewusstsein sofort unter dem Gesichtspunkt der Ueberlegenheit der Idee über das Endliche gesehen; daher wird die Zweckwidrigkeit, tragisch oder komisch, verworfen „als eine nur anscheinende'. Alle erscheinende Zweckwidrigkeit wird verworfen im religiösen Erkennen: das Hassliche, die sittliche Verkehrtheit, das Unglück; der Teufel ist nur der Hofnarr am göttlichen Hofe.') „So sind in der asthetischen Weltansicht der Religion alle Widersprüche der Spekulation zu einer Harmonie des Lebens versöhnt; allgewaltig strömt durch die Zeit die Grundmelodie der Spharenmusik; auch alle Dissonanzen klingen aufgelöst mit ein in die Weltakkorde und heben nur die Kraft ihrer Harmonie, indem die drey asthetischen Grundstimmungen des Geistes .... in ein Leben zusammentönen nach der ewigen Zahl unerforschtem, heiligem Gesetz".2) Hier ist also bei Fries die Paradoxie in striktem Sinn nicht anwesend, weder in der Idee der Gottheit3) noch in der Weltansicht, noch in dem Verhaltnis zwischen Gott und Welt, endlich und unendlich. Und wenn die Ahndung das Ewige in der Natur flndet, dann kann die Natur dem Ahndungsvehikel der „freyen Beurtheilung" wohl nicht „genug thun , aber ihr auch nicht widersprechen.4) Bemerkenswert ist hierbei, dass Fries selbst einmal mit Recht erklart hat, dass in der Konsequenz seiner Lehre des Aesthetischen (in der er wesentlich über Kant hinaus- 1) N. Kr. III, 356; R. Ph. 209; W. Gl. A. 320. 2) N. Kr. III, 356/7. 3) Vgl. auch W. Gl. A., 315. 4) W. Gl. A., 221, 315 sqq. gekommen zu sein glaubt) die Notwendigkeit einer Hervorhebung der Zeiten der homerischen Dichtung im Gegensatz zu den „abenteuerlichen früheren orphischen und indischen" ') beschlossen liegt, aber dass gerade der Gelehrte, der sich in der Religionsphilosophie am meisten an ihn anschliesst, namlich Rudolf Otto, geendet hat mit der Hervorhebung der indischen Dichtung mit ihrer .... Paradoxalitat und ihrer Versenkung in das „Nichts" und das „leere Nichts". Wir gestatten uns diese Bemerkung schon an dieser Stelle unserer Uebersicht, weil das Fehlen des Paradoxes bei Fries für die Bestimmung des Verhaltnisses zwischen ihm und Rudolf Otto von Bedeutung ist. ^ e) Stellung und Bedeutung des „Geheimnisses" in Fries' Gedankensystem werden jetzt auch durchsichtig. Wahrend bei Kierkegaard, wie sich uns ergab, das Verhaltnis des Ewigen zum Endlichen jede positive Vorstellung von „dem Ewigen" verurteilt, richtet, ihm widerspricht, ist in dem transzendentalen Idealismus von Fries gerade „eine positive Vorstellung des Ewigen nur durch das Verhaltniss desselben zum Endlichen möglich". Weil jedoch in der Ahndung Anschauung und Begriff nicht mitwirken können, bleibt das in der Ahndung Erkannte doch „nothwendiges Geheimniss. 2) Kein vorlaufiges Geheimnis ist es wie das noch Unbekannte in der Natur, sondern unauflöslich bleibt es.3) Mysterien „als Analoge für ein Arkanum' darf man in den religiösen Geheimnissen nicht sehen; es gibt hier keinen Unterschied zwischen Geweihten und Ungeweihten. Auch hier spürt man wieder Fries' Opposition gegen die indische Mystik, die bei Otto spater solch eine grosse Rolle spielen wird: wenn ein philosophischer Priester seine Schüler in die Mysterien seiner „Geheimlehre" einweiht und ihnen das „innere Auge" öffnet, muss diese „transcendentale Staarstecherey nur auf eine philosophische Verblendung hinaus- ') Henke, a.a.O., 124. 2) W. Gl. A„ 251. 3) a.a.O., 252/3; Rel-, Ph. 39. laufen". ') Der Glaube an „das Ewige" darf denn auch nicht sich genauer ausbilden, denn das lauft auf Anthropomorphismen und unauflösliche Antinomien hinaus, weil die Idee in Widerspruch steht zu dem endlichen Begriff. „Ueberhaupt jeder unaussprechliche Begriff der Urtheilskraft verwickelt uns in eine Antinomie, sobald wir versuchen ihn auszusprechen".2) Darum ist das notwendige Geheimnis ein Beweis unserer Unwissenheit. Und zwar eine Vereinigung beider Arten Unwissenheit: a) der materialen, historischen (die durch das Lemen neuer Wahrheiten zu überwinden ist), b) der formalen (in philosophischen und mathematischen Dingen, Mangel an Ausbildung).3) Auch diese Lehre vom Geheimnis unterscheidet sich also von der Kierkegaardschen gerade wieder hierin, dass iur ein Paradox stricto sensu kein Platz ist. Denn ein derartiges Paradoxon geht von dem Gedanken aus, dass das Verhaltnis zwischen dem Ewigen und dem MenschlichExistentiellen selbst wenigstens in einec Hinsicht kein Geheimnis ist, dass man zwar nicht über Gott, aber doch wohl in der Tat über Gottes Verhaltnis zu menschlichen Vernunftansichten in positivem Sinn sprechen kann^ wenn man z.B. sagt, dass das „ganz Andere" oder „der" „ganz Andere" unseren Ansichten widerspricht, sie verurteilt, in die Krisis bringt u.s.w. Hier, bei Fries, heisst es jedoch radikal: „Die positiven Gesetze der ewigen Ordnung und das Verhaltnis des ewigen Wesens zur endlichen Ansicht unsrer Vernunft sind unüberwindliche Geheimnisse für die endliche Vernunft". Um sie „aufzuklaren", also auch, um aus dem Verhaltnis Gottes zu unsrer Ansicht auf den vollkommenen Widerspruch, auf das absolute Paradox zu schliessen, dazu müsste nach Fries die endliche Vernunft „vorher in ihrer Organisation ganz verwandelt" sein.4) 1) W. Gl. A., 253/4; Rel. Ph. 39; cf. Fries, Julius und Evagoras, ein phil. Roman, neu hrsg. v. W. Bousset, Göttingen, 1910, S. 451 ; statt „transcendental" steht hier: „metaphysisch". 2) W. Gl. A„ 250-257. 3) N. Kr. II, 197. «) N. Kr. H, 322, cf. R. Ph. 39. Denn die Behauptung des absoluten Paradoxons, in der Linie des Kierkegaardschen Denkens, geht, wie Viktor Glondys, P. Goedewaagen, Hermann Herrigel (in einer Auseinandersetzung mit Barth-Gogarten) u.A. mit Recht bemerkt haben, ') selber aus von einer bestimmten Behauptung über das Verhaltnis des „ewigen Wesens" zu der „endlichen Ansicht unserer Vernunft". f) Das Geheimnis heisst denn auch bei Fries wohl „religiös , aber ebenso wie sich für uns ergab, dass der Begriff „Glaube" bei ihm einen ganz anderen Inhalt hat als es in den meisten theologischen und religionsphilosophischen Schriften der Fall zu sein pflegt, so hat auch das „religiöse Geheimnis" bei Fries einen Inhalt, der total verschieden ist von dem, was durchweg darunter verstanden wird. Nicht nur von der „ewigen Wahrheit", sondern auch von „dem wahren Wesen der Dinge" im allgemeinen gilt es, dass sie für uns Geheimnis sind.2) Und zwar Geheimnis im absoluten Sinn; das Wort ,,Mysterium" ist dafür noch zu schwach, denn das könnte noch den Eindruck erwecken, als ob man „durch irgend eine mystische Lehre oder Einweihung" darin eindringen könnte (Mystizismus); die Benennung „Arcanum" taugt ebenso wenig dafür (denn Arcana sind wissenschaftliche Geheimnisse, unter Gewerbsleuten)3). Nein, diese Geheimnisse werden niemand entschleiert; das liegt nicht an der „Lage unseres Geistes gegen die Welt", sondern an der Struktur des Geistes selber.4) Diesem „Mangel" in unserem Geist wird denn auch nicht durch Offenbarung abgeholfen; die „Idee der Religionsgeheimnisse" ist übrigens nicht eine Konsequenz des Glaubens an eine Offenbarung, sondern „die ') V. Glondys, Euckens „Wahrheitsgehalt der Religion, und die ggw.e Krise der ev. Theol.", Die Tatwelt. VI, 1 (1930) S. 11, ff; T. Goedewaagen. oumma contra Metaphysicos, Ausg. d. „Genootschap voor critische Phil.", 2) r' Ph *38 9h Herrigel in Zw- d' Zeiten' Heft 5, s. 3, ff. 3) a.a.O., 39/40. 4) a.a.O., 39. Lehre von der religiösen Offenbarung ist" umgekehrt „durch die Idee der Religionsgeheimnisse veranlasst". ') Daher berechtigen alle von Fries weiter geredeten Worte über „innere" und „aussere" Offenbarung in keinem Fall die Vermutung, als ob sich in ihnen irgendwelche Affinitat mit irgendeinem objektiven Offenbarungsbegriff zeigen würde. „Offenbarungen" liegen (in „Selbsterkenntniss") „in unsrem Geiste". Fries ist selber so ehrlich, dass er erklart, er behaupte innere und aussere Offenbarung nur, um „in Beziehung auf" die Idee der Religionsgeheimnisse „unsre Wissenschaft mit der Symbolik unsres Volkes zu verstandigen".2) Symbole sind die einzigen Formen, unter welchen menschliche „Mittheilungen" über religiöse Wahrheit affirmativ werden können.3) g) So geschieht es, dass das Geheimnis, auch als religiöses, tatsachlich in die Natur hineingetragen wird ; man kann nicht einmal sagen, dass es in ihr „steekt . ^^/enn die Vernunft in asthetischer Unterordnung das Gesetz vom Zwecke im Wesen der Dinge anerkennt, dann ist das nach Fries eine Wirkung der Gefühle der Liebe, des Vertrauens („pistis"), der Religion („Ergebenheit ). ) Dieser „Grundsatz der besten Welt",5) verbunden mit der sittlichen Zweckgesetzgebung, stellt als uninteressierte Lust die Natur unter die Zweckgesetzgebung,6) unterscheidet also wohl „das Reich der Natur" von „dem Reich der Zwecke (der intelligiblen ^Velt)",7) erkennt darin also auch wohl an, dass die Natur diese Zweckmassigkeit nicht lehrt, aber „bringt" darum „den Glauben an die Zweckmassigkeit der Natur zur Natur hinzu. 8) und macht so die Teleologie der ■) a.a.O., 40. 2) a.a.O., 40; cf. D. Ph. A. u. K., S. 44/5. 3) R. Ph., 38. i) N. Kr., III, 161. 5) ibidem. ®) a.a.O., 287. 7) a.a.O., 162. 8) R. Ph. 81. Natur zum Thema der Ahndung, das damit „einerley" ist. ') 6. Aus unserer Uebersicht, die wir hiermit beschliessen,2) wird deutlich, dass Fries vielfach eine eigene Stellung einnimmt. Wie sehr er sich auch an Kant anschliesst und dessen „kopernikanischer Wendung" folgt,3) so steht er zuweilen doch auch in Opposition gegen Kant, über dessen „Gabe und Fehler" er in „Von deutscher Philosophie u.s.w. besonders schreibt. Fries' Religionsbegriff ist durch die Verbindung der Religion mit der Aesthetik durchaus unkantisch. Kant nennt z.B. in „Der Streit der Fakultaten" die Religion „den Inbegriff aller unserer Pflichten überhaupt als göttlicher Gebote (und subjektiv die Maxime sie als solche zu befolgen)".4) Uebrigens nicht nur in dieser Hinsicht, sondern auch in der ganzen Ahndungslehre verlasst Fries Kants Linie. Dieser hat das „Gefühl" in der Philosophie sogar mit vieler Ironie besprochen und dagegen protestiert, dass man ausser den bisher geitenden drei Stufen des Fürwahrhaltens (Wissen, Glauben, Meinen) jetzt noch eine vierte hinzunahm : die Ahndung des Uebersinnlichen.5) Wohl kann man diesen Passus nicht mit so grossem Nachdruck gegen die Fries-Otto'sche Ahnungslehre ins Feld führen, wie F. K. Feigel es tut;6) denn die von Kant bekampfte Ahn(d)ung ist eine „Vorempfindung ') W. Gl. A., 181. 2) Vgl. noch £. d. ganzen Gedankenkreis: W. Gl. A., 29 (Wahrheits- 21 (Erfahrung), 76 (Gefühl), 75 (Idee), 214. 221 (Religion). 73, 223, 182/3 (Schonh. i. d. Ahndung. asth. Beurt.) 176 (Ahndung, cf. 174, ff m To7L22i~229)' N" Kr" 11 80' 83' 20°' 219< 321- 323- 337, ff., 356, ln- 22'26t\' S- 266« 272- 284. 287, R. Ph. 12, 28, 81, 87/8, 159, 207,269. 3) N. Kr. II, 11. *) Streit der Fakultaten, Werke (ed. Cassirer) VII, 1916, S. 347; cf Weisz, a.a.O., 50. 5) Kant, Von e. neuerdings erhobenen vornehmen Ton i.d. Phil., Werke ed. Cassirer VI 1914, S. 483, 485/6. In der Anthropologie (I, § 35, ed! Cassirer VIII,1922, S. 74) ist die Ahndung (praesensio) etwas ganz anderes: Aussicht (in die Zukunft) als Vorempfindung. „ ) ''Pas Heilige , Krit. Abh. üb. R. Ottos gleichn. Buch, Haarlem. 1929, S. 97. Feigel meint, S. 96, dass Goethe das Wort „ahndevoll geschaffen hat („Ewigen Lebens ahndevoll"). (praevisio sensitiva)", eine Vorerwartung, die „die Hoffnung eines Aufschlusses enthalt", aber, wie wir sahen, will die Fries'sche Ahndungslehre durch keine dieser Andeutungen gekennzeichnet sein. Dieser Passus hat jedoch insoweit Beweiskraft als Zeuge der Fries'schen Abweichung von Kant, als namlich ein Gefühl (Ahnung), das die Begriffe nicht nötig zu haben behauptet, gerade deswegen von Kant verworfen wird. ') Um Fries' ideengeschichtlichen Ort zu bestimmen, hat man auch auf die Romantik hingewiesen. Und in der Tat zeigt seine Gefühlslehre beim ersten Eindruck in diese Richtung. A.bcr man darf hier doch nicht allzu schncll auf eine Verwandtschaft schliessen. Die Unterschiede sind dafür denn doch zu gross: wir erwahnen nur, dass Gefühl und Ahndung doch aus der Vernunft her vorkommen und mit der Reflexion verknüpft werden ; dass immer wieder gegen Dichter und Schwarmer Stellung genommen wird, auch wo es sich um Gefühl und Ahndung handelt; dass hier und dort ziemlich scharf Stellung genommen wird gegen Schelling,2) auch mit Bezug auf das Verhaltnis endlichunendlich,3) wie auch gegen F. Schlegel, der sich den Vorwurf gefallen lassen muss, dass er, ebenso wie „unsere philosophierenden Theologen", zwei Herren zugleich dienen will, namentlich in seinem Kampf gegen Jacobi, ) dessen Unsinn nach Fries „sichselbst überbietet'\5) Auch gegen Schleiermacher wird ausführlich opponiert. ) 7. Fries' Verhaltnis zur Romantik verdient noch eben besondere Aufmerksamkeit, was das Verhaltnis endlichunendlich anlangt. Dies um so mehr, weil vonseiten der dialektischen Theologie, die in der Frage des Paradoxons •) Kant, Von e. neuerdings usw., 483. 2) W. Gl. A., VII/VIII. <) Von* 'deutscher Phil.. usw., 89/8; das Ganze ein Votum gegen F. 7. J. Sch. 5) Brief an Reichel, 1808, Henke, 123. «) N. Kr. III. 128-137 (§ 195). in grossen Zügen Kierkegaards Linie fortgeführt hat, wiederholt, zuweilen sogar mit unklarer oder unrichtiger Vorstellung oder unter Ausserachtlassung der eigentlichen romantischen Probleme, ') gegen die Romantik opponiert wird und das Monopol dieser Opposition, soweit sie wenigstens radikal heissen soll, beansprucht wird. Es ist merkwürdig, dass in der Opposition gegen die Romantik, auch in ihren für die These der paradoxen Wahrheit grundlegenden Problemen, Fries, Ottos Vorlaufer, schwerlich an Scharfe übertroffen werden kann. Von Bedeutung ist hier sein schon erwahntes „Von deutscher Philosophie, Art und Kunst", 1812 (13 Jahre nach Schleiermachers Reden). Von Fichte, dessen Philosophie die philosophische Problemstellung der Romantik so stark beeinflusst hat, nimmt Fries schon sofort Abschied : „der Satz : Ich bin nicht Ich, behauptet etwas absurdes".2) Die ganze „Fichtisch-Schellingsche Schule" richtet nur Verwinning an.3) Schellings Naturphilosophie leidet an einem „ungeheuren" vitium originis;4) er selbst leidet, wie Fries meint, an einer „alten Freude an Geheimnisskramerey, an dem imponirenden einer geheimnissvoll klingenden Lehre".5) Gegen Jacobi, dem er viel verdankt, der mit ihm gemeinsam Schelling kritisierte, der aber Kants Apriorismus mit Empirismus verbinden wollte, meldet Fries gerade in diesem Punkt seine Bedenken an und verteidigt ihm gegenüber ausdrücklich Kants Standpunkt; ohne Kant hangt nach seiner Meinung Jacobi mit allen seinen guten Tendenzen in der Luft.6) Und was Fr. Schlegel betrifft, gegen ihn wird der Vorwurf „willkührlich ersonnener Wortbestimmung (mit Bezug auf Vernunft und Verstand)7) erhoben. 2) ^j£9mat'k> München, 1927, S. 258, Römerbr., passim. 3) a.a.O., 19. 4) a.a.O., 56. 5) a.a.O., 56/7. 6) a.a.O., 45/6. 7) a.a.O., 20. Schilder 14 Diese und ahnliche Ausfalle gegen die Romantik sind nicht ohne Beziehung zu Fries' Verhaltnis gegenüber einem ihrer Kernprobleme: dem Verhaltnis des Unendlichen zum Endlichen. Schelling z.B. hat nach Fries wohl das Recht zu lehren: „das Ewige ist das Endliche, das Freye ist das Natürliche", aber man darf davon nicht den ganz anderen und unerlaubten Satz machen: „die Ewigkeit ist die Endlichkeit, die Naturnothwendigkeit ist die Freyheit." Denn der erste Satz beschaftigt sich mit den Gegenstanden, dieunter denBegriffen (Natur, Freiheitu.s.w.) stehen, und soweit ist der Satz berechtigt, denn „die Dinge, welche erscheinen, sind auch die Dinge an sich . Was also erscheint unter den Gesetzen der Naturnotwendigkeit und so „gefunden" wird, das steht „an sich auch unter der Idee der Freiheit. Der zweite Satz ist jedoch unerlaubt, denn er würde die Begviffe der Natur und der Freiheit zu „einerley Begriffen machen, was falsch ist. Fries transzendentaler Idealismus verbietet also prinzipiell jegliche Paradoxie im Erkennen; auf paradoxe „Erscheinungen kann man keine „Lehre bauen; solche „Kinderey müsste man doch eigentlich nur der vorkritischen Philosophie überlassen. ^Venn Schelling den brahmanischen Spruch, nach welchem Gott kleiner ist als ein Atom und unendlich grösser als das Weltall, nicht zur Andeutung der Unbegreiflichkeit eines religiösen Geheimnisses, sondern zur Aussage einer wahren höheren Erkenntnis dienen lasst, dann bringt er es eben dadurch zu nichts weiterem als zu dem „altklugen Geschwatz eines Kindes".') Mit höhnischen Worten wird Schellings ganze „Ja und Nein zugleich antwortende Lehre" (!) über die Natur Gottes als „nicht seyender Grund der Existenz Gottes" abgewiesen, gerade weil sie zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit eine Briicke schlagen zu können glaubt.2) Diese Opposition gegen Schelling kann nur aus einer ') a.a.O.. 57-63. 2) a.a.O., 70, ff. völlig antithetischen Haltung gegenüber der ganzen Romantik erklart werden. Denn diese hat von der Paradoxalitat gelebt; als August Wilhelm Schlegel sie schliesslich davon erlösen wollte, sang sie in ihm auch ihr Schwanenlied und verzehrte mit sich selbst auch alle ihre Probleme. Wenn auch die Romantik, die ja wohl Kritik übte, aber weiter kein einziges Versprechen eingelöst hat, vielleicht keine „Ja und Nein zugleich antwortende Lehre" gegeben haben mag, die ,,Ja und Nein zugleich" behauptenden Aphorismen sind umso vielfaltiger vorhanden. Man achte nur auf Friedrich Schlegel, den wir, als Propagator und Systematisator (de conatu!) der Romantik, als Beispiel wahlen. F. Schlegel kann ohne Paradoxie nicht verstanden werden; Haym bezeichnet sie mit Recht als einen seiner Lieblingsbegriffe. ') Schleiermacher verehrt er wegen seiner Paradoxie, und zwar gerade deswegen, weil Schleiermachers Paradoxie nicht, wie meistens die von Schlegel selber, „mit der Thüre ins Haus fallt", weil sie Fichtisch ist. Hier wird also für die Paradoxie bewusst eine philosophische Lehre über Unendlichkeit und Endlichkeit, das absolute und das relative Ich, für grundlegend gehalten;^) der eigene „Lieblingsbegriff" bekommt eine philosophische Legitimation. Schellings Briefe über Kritizismus und Dogmatismus werden von Schlegel günstig beurteilt, gerade weil ,,diese Philosophie ganz im vollen Ernst recht paradox" ist; „Paradoxie" halt der Rezensent „für ein Zeichen der günstigsten Vorbedeutung"; „je kraftiger, je einseitiger, je philosophischer, je paradoxer".3) Paradoxie wird sogar kirchebildend genannt: „giebt 's eine unsichtbare Kirche, so ist es die jener grossen Paradoxie, die von der Sittlichkeit unzertrennlich ist, und von der bloss philosophischen noch sehr unterschieden werden ') R. Haym, Die romantische Schule, 4. Aufl., bes. v. Walzel, Berlin, 1920, S. 260, 297, 300. Vgl. O. Mann, Der Junge Fr. Schlegel, Berlin, 1932, S. Hl! 2) O. F. Walzel, Fr. Schl.'s Briefe a.s. Bruder Aug. W„ Berlin, 1890, S. 321. ') A. W. und Fr. Schlegel, Charakteristiken u. Kritiken, Königsberg, 1801, S. 72/3 (Aufz. v. Fr. Schl.) muss". ') „Moralitat ohne Sinn für Paradoxie ist gemein".2) Die „Unverstandlichkeit" (man denke nur daran, wie Fries jegliche Unverstandlichkeit gerügt hat) des Athenaums wird denn auch in Schutz genommen; sie kommt teils von der Ironie her, sagt Schlegel, und er begründet diese wohl ganz anders als Kierkegaard es spater in seiner Doktorarbeit tun würde, aber er bringt sie doch schon in einen Zusammenhang mit dem Paradox: „Ironie ist die Form des Paradoxen. Paradox ist alles, was zugleich gut und gross ist". ) „Ironie ist klares Bewusstsein der ewigen Agilitat, des unendlich vollen Chaos".4) Die Paradoxie wird von vielen als „exzentrisch" gescholten, aber Schlegel nimmt dieses Scheltwort auf und macht ein Ehrenpradikat daraus ; denn die Paradoxie des philosophischen Lebens kann durch krumme Linien symbolisiert werden, die nur „im Bruchstück erscheinen können, weil ihr eines Centrum in der Un~ endlichkeit liegt".5) Dass hier an anderes als an blosse Ver nunf tspieler ei gedacht werden muss, erhellt wohl nicht nur aus einer Definition der Idee, nach welcher die Idee „ein bis zur Ironie vollendeter Begriff ist, eine absolute Synthese absoluter Antithesen, der stets sich selbst erzeugende Wechsel zweier streitenden Gedanken (Athenaumfragmente, angef. bei Haym, 297), sondern aus Schlegels Besprechung des Satzes der Identitat, des Satzes des Widerspruchs und des Satzes des (zureichenden) Grundes. Nicht nur mit Bezug auf die „Gottheit sind diese Satze nach Schlegel unbrauchbar,6) sondern sie sind es auch nach dem „im gemeinen Leben gebrauchlichen Princip", dass das Leben und überhaupt alles auf Wider- 1) Fr. Schlegel, Seine pros. Jugendschriften, hrsg. v. J. Minor, II, Wien, 1882, S. 277. 2) a.a.O., 297. 3) a.a.O., 391, auch 190. *) a.a.O., 296. 6) Fr. Schlegel, Phil. Vorlesungen, aus d. J. 1804—1806, nach d.Nachlass hrsgg. v. C. J. H. Windischmann, I, Bonn, 1836, S. 501, 502, 503. sprüchen beruht; zu diesem kommen dann noch ausserdem hinzu die beiden anderen Faktoren der „Gegensatze der Natur" und der „Widersprüche der Wissenschaft". Schlegel schlagt denn auch für die Logik andere Formeln vor, z. B. a = a.a — a Hiermit wird angedeutet, dass a aus zwei Gegensatzen besteht. Oder auch: a = "/, | + '/, a l d.h.: a steht in der Mitte zwischen seinem eigenen Maximum und Minimum, zwischen einem unendlich grossen und unendlich kleinen a (Schlegel versaumt hier zu fragen, ob diese Formel auf Gott anwendbar ist). Die erste Formel zeigt, sagt er, dass a aus zwei entgegengesetzten Elementen entstanden ist, die zweite, wie a stufenweise entwickelt ist. Dass hier weittragende Konsequenzen liegen für eine Theorie der Paradoxie, bedarf keines Beweises; Schlegel bemerkt schon selber, dass seine hier oben auf eine Formel gebrachten „Ansichten", zusammen mit der dritten : a (x a = V a (d.h. a auf einer gewissen Stufe seiner Progression) „blos im Dialog zugleich vereinigt werden können". ') Die Paradoxie möge bei Schlegel nicht in einem tiefverwurzelten Grundgedanken ruhen, sie ist doch ein bleibendes Kennzeichen seines Denkens. Und es interessiert uns hier, dass bei Schlegel die Paradoxie sich mit einer gewissen Ahndungslehre verbindet. In diese Richtung zeigt schon das Aphorisma über die „Mysterien" ; diese „sind weiblich ; sie verhüllen sich gern, aber sie wollen doch gesehen und errathen seyn".2) Oder auch die Reflexion über das Universum aus „Lucinde" : ') a.a.O., 505-507. 2) Pros. Jugendschr., II, 303. Das Universum selbst ist nur ein Spielwerk des Bestimmten und des Unbestimmten" ,mit ewig unwandelbarer Symmetrie streben beide auf entgegengesetzten Wegen sich dem Unendlichen zu nahem und ihm zu entfliehen. Mit leisen, aber sichern Fortschritten erweitert das Unbestimmte seinen angebornen Wunsch aus der schonen Mitte der Endlichkeit in's Granzenlose. Das vollendete Bestimmte hingegen wirft sich durch einen kühnen Sprung aus dem seligen Traum des unendlichen Wollens in die Schranken der endlichen That und nimmt sich selbst verfeinernd immer zu an grossmüthiger Selbstbeschrankung und schoner Genügsamkeit" ,Nun ist alles klar. Daher die Allgegenwart der namenlosen unbekannten Gottheit . ) Dieser letzte Satz, der beinahe sofort an das Numinose von R. Otto erinnert, erhalt noch grössere Perspektive durch den „Humor", den Schlegel „in dieser Symmetrie des Bestimmten und des Unbestimmten" findet; man denke hier wieder an die Ironie. Tedoch auch in direktem Sinn spricht Schlegel uber die Ahndung. In dem Menschen als Bild Gottes liegen die Keime „zu aller Wahrheit und aller Tugend ; daher können „unvollkommene Ahndungen' (z.B. bei den griechischen Philosophen mit Bezug auf christliche Gedankeninhalte) der spateren „Wirklichkeit" vorhergehen; „wem Eines gegeben ist, der kann weiter fühlen, er ahndet wenigstens das Ganze" und hat in diesem Ahnden, wie unbestimmt es auch sein möge, doch einen gewissen bchiitz gegen die „Entstellungen, die den fast (!) uberall sich flndenden Spuren der Wahrheit beygemischt sind . ) Deutlicher spricht sich Schlegel aus, wenn er die Ahndung oder, wie es heisst, „die das Unendliche ahnende Phantasie /coordiniert mit der (führenden, ordnenden, schlichtenden) Vernunft und in diesen beiden die Harmonie des Bewusst- ') Fr. v. Schlegel, Lucinde, ein Roman, 2. Ausg., Stuttgart, 1835, S., 1 ^2)' Fr^ Schlegel, Gesch. d. alten u. neuen Literatur, I, Wien, 1815, 191/2/3. seins, das „in unauflösliche Gegensatze gespalten erscheint", sich wieder „vollenden" lasst. ') Diese (ahnende) Phantasie ist das „eigenthümliche Merkmal" des Menschen; die Vernunft ist ein „bloss negatives Vermogen".2) Demgemass werden denn auch in die von Fr. Schlegel redigierte Zeitschrift „Europa H. v. Hastfers „Gesprache über Tiecks Poesie" aufgenommen, in denen „das kindliche Gemüth" „öfters" gleichsam „ahnde(t), was das Ganze sagen will", dafür keine Worte finden kann, sondern von dem „Poetischen ermahnt wird, sich an der inneren Stimme genügen zu lassen.3) Diese und ahnliche Aeusserungen von Fr. (und A. W.) Schlegel, sei es dass sie handeln von der Ahndung (des Göttlichen) in der Kunst (und der Religion)4) oder in der Naturwissenschaft,5) sei es dass sie in dem „Seufzen" der „Creatur" das „prophetisch Ahndungsvolle der Natur" entdecken,6) sind schwerlich zu einer Einheit zu verbinden, ebensowenig wie Schlegels Aeusserungen über die Paradoxie, worüber wir jetzt nicht naher sprechen.7) Wenn man sie mit einem bestimmten Gedankensystem verbinden will, wie z.B. R. Haym es zu tun versucht,8) geht man ') Fr. Schlegel, Phil. d. Lebens, Wien, 1828, S. 159. 2) a.a.O., 159/160. 3) Europa, eine Ztschr., Bd. II, 2 oder III, Frankf. a. M. 1803 (4 ?). S. 104/5. *) Europa, II, 2, (oder III), 16 (Verf. nicht erwahnt). 5) Europa, II, 1 (oder II), 93 (Verf. ist A. W. Schlegel). 6) Phil. d. Lebens, 478. 7) Vgl. noch Phil. Vorl. 1804—06 (a. d. Nachlass), II, 466 (d. Geist d. Zorns e. Splitter u. Abspr. aus d. Liebesgrimm d. unvers. Vaters). — Phil. d. Lebens, 135 : „im Leben (ist) das Unendliche m. d. Endlichen das Ewigbleibende m. d. vorübergehend Vergangl., in feindlichen, gegenseitig sich störenden u. zerstörenden Gegensatz gekommen" (die Phil. muss hier, soweit dieselbe nach menschl. Kraften möglich ist, die Wiederherstellung des urspr. Bewusstseins und seiner wahren Einheit bestreben, 136). Vgl. 138 : Gott u. die Idee d. Offenbarung ermöglichen Erkenntnis Gottes (Erkenntnis, kein Begriff, 151, Pros. Jugendschr. II, 290). Schl. redet v. d. Idee d. Offenb., 138, aber auch v. d. Faktum d. Herablassung Gottes, 150. 8) Haym, a.a.O., 260, 296, sqq., denkt an Fichtes Lehre. Man vergesse aber nicht, dass F. Schlegel Fichtes Ich, das überindividuell sein wollte, oft missverstanden hat und zum individuellen Ich gemacht haterst spater. leicht zu weit. Wir nannten diese zwei „Lieblingsbegriffe von Schlegel (Paradoxie, Ahndung) denn auch nur, um noch scharfer hervorzuheben, wie ein unüberwindlicher Abstand zwischen Fries und der Romantik liegt, ein Abstand, der durch A. W. Schlegels Tiraden gegen „Dichter", die den transzendentalen Idealismus, für den Hemsterhuys „gleichsam" als „ein Prophet" gilt, zu „brauchen" (!) wissen müssen, natürlich nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil erst recht und naiv in seiner Lange demonstriert wird. ') Man muss sich denn auch nicht dadurch in Verwirrung bringen lassen, dass Fries und seine Zeitgenossen zu gleicher Zeit über Ahndung sprechen. Fries steht diametral seinen Zeitgenossen mit ihrer Romantik gegenüber. Sie „dichten über die „Ahndung , er will sie erkenntnistheoretisch begründen. Sie legen einen „Trieb dahinter, ) eine Sehnsucht (denn diese „ahnet Gott), er unterlegt ihr die „Vernunft". Sie kommen mit ihr bei der Paradoxie zurecht, er entfernt sich immer weiter von aller Paradoxie. Bei Schlegel schlagen Ahndung und Paradoxie Verbindungsbrücken zu Jakob Böhme3) und zu seinen mit so grosser Vorliebe immer wieder besprochenen Indern und Buddhisten,4) Fries jedoch geht hochmütig an wenn er sich dem Indismus zuwendet, wird die Vermischung d. uberindiv. u. d. individuellen Ich aufgehoben; das indiv. Ich wird hier nichtig, bedeutungslos. Schl. ist viel zu wenig mit Geduld in Fichtes System hineingedrungen. Auch seine Transponierung des Fichteschen „Ich ins Aesthetische war unrichtig : Fichte hat die Tat in den Vordergrund gerückt. •) Europa, II, 1 (od. II), 92/3. .. , 2 Pros. Jugendschr. I, 25: d. menschl. Trieb ahnt einen Ueberfl. v. Güte, Geist u. Fülle; d. menschl. Verstand ahnt eine Lucke jenseits d. Grenzen d. Wissens. Jener Ueberfl. erfüllt diese Lücke, und erzeugt die Vorstellungen von höhern Wesen, u. d. Neigung zu Gott. — Cf. Lucinde, 137/8 ; Phil. Vorl. 1804—06, II, 501 : die Sehnsucht ahnet u. sucht Gott, das Ge wissen hört ihn. 3) phil. Vorl. I, 424/5, ff. (Böhmes Phil. heisst Idealismus d. unbedingten Ichheit, 425; vgl. hier S. 215/6, Note 8). 4) Fr. v. Schlegel, Phil. d. Geschichte. in 18 Vorlesungen, I, Wien, 182y, S. 250, cf. 245, 248; 190, ff (bes. 195/7), 199/200, II, passim. dem damals gerade aufkommenden Indismus vorbei. Obgleich Schlegels Offenbarungsbegriff schwebend genug ist, halt er doch fest sowohl an einer Geschichte der objektiven Offenbarung ') als an einer Geschichte des Empfanges der Offenbarung,2) Fries jedoch lasst alles, was Offenbarung heisst, sich im menschlichen Geist vollziehen nach dem Geiste immanenten Gesetzen. Schlegel verbindet Glauben und Wissen,3) Fries macht eine Trennung zwischen beiden. Schlegel erschöpft4) sich in Darlegungen über den Zwiespalt im menschlichen Bewusstsein, welchen Zwiespalt er, merkwürdig genug, einmal durch AhndungVernunft,5) dann wieder durch die Philosophie6) überwinden will, Fries dagegen geht vom Selbsterkennen und Selbstvertrauen aus und baut darauf seine ganze Philosophie, Vernunftlehre und Ahndungslehre auf. Schlegel lebt von der asthetischen „Kombination", Fries kann zu ihr (und den asthetischen Ideen) erst über die Negation gelangen. Schlegel spricht in einem Atem über das „prophetisch Ahndungsvolle der Natur" und über die Unzulanglichkeit des Satzes, dass in der Natur Zweckmassigkeit sei,7) für Fries jedoch steht und fallt seine Ahndungslehre mit der Zweckmassigkeit der Natur. Schlegel, die Romantik, kommen via Ahndung und Paradox zum Mythos, zur Sehnsucht und ketten daran „Gefühl" und „Ahndung" fest, um so das sacrificium intellectus, das K. Müller mit Recht schon für der Hoch-Romantik immanent halt,8) zu erreichen, Fries dagegen befreit „Gefühl" und „Ahndung" von jeder Mythologie und aller Sehnsucht und geht an dem Paradox vorüber. Bei Schlegel heissen die „Geheimnisse" „weiblich" (vergl. oben), aber ') Phil. d. Lebens, 330. 2) a.a.O., 202, letzte Vorlesung. 3) Ph. d. L. 476, cf. hier S. 215, Note 7 (anfanas Widerstreit, S. 135). 4) Ph. d. L. 131, 133, 209, 211. 5) Cf. hier S. 215, Note 1. 6) Ph. d. L. 135/6, cf. 138, 150. 7) a.a.O., 478/9. 8) K. Müller, Fr. Sch.s Konversion im Zusammenh. s. weltansch. Entw., Giessen, 1928, S. 53. Fries kann das „ewig Weibliche" nicht darin entdecken: sie wollen nicht erraten sein, sind auch keine „Arcana", sondern unauflöslich. So wird die Romantik von zwei Seiten radikal bekampft: die dialektische Theologie tut es von der These des Deus loquens aus, der Kantianer J. F. Fries von der des sich selbst erkennenden Menschen aus. Die erste treibt den paradoxen Teufel der Romantik durch Beelzebub, den Obersten der Teufel (das Paradox als Kategorie!), aus, der zweite lasst die Romantik mit ihren Paradoxen eines natürlichen Todes sterben, den sie in der Tat auch schnell erlitten hat, und halt sie von allen paradoxen Teufeln und Kategorien frei. 8. Diese Uebersicht von Fries' Gedanken und diese kurze ideengeschichtliche Bemerkung lassen uns also den Gedankenzyklus sehen, in dem, wenigstens nach der Meinung von Rudolf Otto selber, die tiefsten Wurzeln liegen seiner schliesslich bei dem Paradox endenden Auffassungen über Wesen und Objekt der Religion. So bestimmt wie nur irgend möglich erklart er, dass die Religionsphilosophie einer Kantischen und zugleich Fries'schen Grundlage bedarf. Nach seiner Ansicht hat Fries „das von Kant begonnene Werk der Vernunftkritik hinsichtlich unseres Gegenstandes erst vollends durchgeführt' ; in der Hauptsache ist die Fries'sche Konstruktion nach Otto eine „dauernde Basis religionswissenschaftlicher Arbeit', obgleich Kritik notwendig sein wird. ') Wir werden versuchen zu sehen, inwiefern die Linie von Fries weiterlauft bis auf Otto und von diesem weitergezogen wird. ') Kantisch-Fries'sche Religionsphil. 1909, S. VIII. § 3. Ottos Weg vom antiparadoxen Fries zum „Paradox". 1. Fries hat das Vorwort zu seiner Ethik geschrieben 3 Jahrhunderte nach dem Tage, an dem Luther den Anstoss zu seinem Reformationswerke gab : am 31. Oktober 1817. Und indem er konsequent auf eigenen Wegen weiterging, hat er ausser Kant (in dessen bekannter Doxologie auf die Pflicht) auch Luther für seine Auffassung in Anspruch genommen ; denn er schrieb als Motto über dieses Vorwort Luthers Ausspruch : „Was der Vernunft entgegen ist, ist gewiss, dass es Gott vielmehr entgegen ist". ') Wiewohl Rudolf Otto sich nun an Fries anschliesst, so zitiert er dagegen doch die bekannten „heftigen Ausfalle Luthers gegen die 'Hure Vernunft'" und weigert sich, den Unverstand mitzumachen, der sie grotesk nennt.2) Das ist ein auffallender Gegensatz und es ist nicht der einzige. Denn er lauft parallel zu dem anderen, den wir bereits in der Ueberschrift andeuteten: obwohl Otto von Fries ausgeht, der, wie wir sahen, für das Paradox keinen Platz hat, weil seine antirationalistische Haltung niemals „irrationalistisch" sein wollte in der spateren Bedeutung dieses Wortes, hat er doch dem Paradox freie Bahn gemacht. Man muss hier gewiss scharf achtgeben und anerkennen, ') Fries, Handb. d. pr. Phil. oder d. phil. Zwecklehre, I, Ethik, Heidelberg, 1818, S.V. 2) R. Otto, Das Heilige, 17. — 22. Aufl., Gotha, 1929, S. 132. Ob die „Vernunft" qua talis, oder nur insofern sie „sarkikê" sein würde, hier gemeint ist, das ist eine andere Frage, die spater in Bezug auf Calvin erörtert werden soll. dass das Wort „Paradox" bei Otto nicht vorkommt sensu eminentiore, wie wir es bei Kierkegaard fanden. Aber man würde sich versehen, wenn man meinte, dass er nur ein Paradox in dem allgemein gebrauchlichen Sinn kennt. Wenn bei ihm das „Paradoxale" mit dem „Unfass/ic/ien" (und also nicht mit dem noch nicht Erfassten), identifiziert wird, dann ist diese Interpretation schon über die Linie hinaus, innerhalb welcher Paradoxe des Typus I (vgl. oben) sich bewegen. Wenn dann im selben Zusammenhang das „Paradoxale" genannt wird: „das dem 'Vernünftigeri und vernünftigerweise zu Erwartenden sich Entgegensetzende", dann könnte man vielleicht noch an die „Vernunft" denken, wie sie bei einem bestimmten Subjekt oder der gegebenen Gemeinschaft von Subjekten jetzt, hic et nunc, zu Resultaten des Denkens gekommen ist. Aber dieser Meinung wird schnell widersprochen, denn es folgt unmittelbar darauf: „das, was der Vernunft wider den Strich geht und zuletzt in inneren Antinomien sich steigert".') Wir vergessen nicht, dass wir hier aus einer Stelle zitieren, in welcher Otto keine eigene Theorie entwickelt, sondern referiert über religiöse Gedankenreihen, die er anderswo gefunden zu haben glaubt, in diesem Fall im Buche Hiob und bei Luther. Wir vergessen ebensowenig, dass er an einer anderen Stelle, wo er die Entwicklung des Momentes des Numinosen bespricht, dafür drei Stufen zu sehen glaubt: a) die Stufe des Nur-Befremdlichen, b) die des Paradoxen, c) die des Antinomischen; hierbei steht das Paradoxe also in der Mitte zwischen dem „akatalêpton (Chrysostomus) (a) auf der einen, und dem „sich in sich selbst Entzweienden" (c) auf der anderen Seite, und hierbei ist das Paradoxe (b) nicht mehr als das, was sich „gelegentlich" (!) zu unseren Kategorien in Gegensatz zu setzen scheint (!), sie aufzuheben und zu verwirren scheint (!), das, was „wider die Vernunft' zu gehen scheint. Aber wenn man glauben möchte, dass damit also eigent- ') ibidem. lich bewiesen ware, a) dass Ottos eigene Auffassung hier absolut noch nicht zu Worte kommt und b) dass das Paradox in diesem Referieren nicht über unsren Typus I hinausgeht, dann müssen wir dieser Meinung widersprechen. Denna) wird hier in der 'Tat referiert, aber der Referent wahlt für die Beschreibung religionspsychologischer Erscheinungen eigene Worte, lasst also sehen, was er mit diesen Worten ausdrücken will, was sich darunter mehr oder weniger (denn die Mystik führt gewissermassen mit jedem Worte Krieg) zusammenfassen lasst. Ausserdem b) wird schon in dem soeben erwahnten Passus die für den Typ I angegebene Grenze überschritten. Denn die Kategorien, denen das Paradox hier zu widersprechen scheint, sind in dem und durch das „Ganz Andere" als mirum erst „transzendievt"; hier sind wir schon ausserhalb der Grenzen des Typus I. Ausserdem sind die Kategorien durch das „Ganz Andere" „ohnmachtig" gemacht: „es überschreitet sie nicht nur, macht sie nicht nur ohnmachtig", sondern hat auch in „dem Antinomischen" seine „scharfste Form"; m.a.W. zwischen diesem Paradox als Mittelstufe und dem strikt Antinomischen ist kein prinzipieller Untevschied. Das Antinomische nun tut mehr, als die Vernunft „in Not setzen" (das tut schon das Paradox desTypus I): es ist eine Selbstdarstellung des „mirum", das „in sich selber entgegengesetzt bestimmt, in Gegensatz und Widerspruch" ist. ') Uebrigens wird auch anderwarts „das ganz Paradoxe mit der coincidentia oppositorum koordiniert.2) So bekommt das Wort neben seiner gewöhnlichen Bedeutung 3) doch auch wieder die ganz andere, die wir schon andeuteten; es gibt religiöse Figuren, bei denen Otto neben gewöhnlicher Paradoxie (mehr oder weniger nach Typus I) auch auftreten sieht jene ganz andere, zur Antinomie „sich steigernde" Paradoxie, die den Satz des ') a.a.O., 38/9. 2) Geleitwort zu: Schüej Ohasama, Zen, der lebendiae Buddhismus in Japan, Gotha, 1925, S. III. 3) R. Otto, West-Oestliche Mystik, Gotha, 1926, S. 249/250. Widerspruchs und des ausgeschiossenen Dritten ausschaltet und sich in der coincidentia oppositorum und in der Identitat der Gegensatze wiedererkennen lasst. So z.B. bei Eckart.') Soweit nun Otto die religionsgeschichtlichen Phaenomene, die er uns hier darstellt, selbst mehr oder weniger in eine religiöse Praxis, welche seinen eigenen religionsphilosophischen Gedanken entsprechen würde, einschalten könnte, kame der schüchterne Gedanke in der Form einer Frage hoch, ob die in Aussicht gestellte Kritik und Weiterarbeit an (Kant und) Fries bei Otto nicht zu einem Fries schliesslich entgegengesetzten Standpunkt geführt haben. 2. Um dies zu untersuchen, achten wir einmal auf die früheren und spateren Aussagen von Otto über die religiöse Ahn(d)ung. A. Wir beginnen mit Ottos „Naturalistische und religiöse Weltansicht".2) In diesem Werke (1904) wird Fries schon mit Zustimmung erwahnt.3) Es führt auch dessen bekannte Ausdrücke ein : Ahnung, Gefühl, Zweckmassigkeit, Geheimnis, Glaube, Wissen, u.s.w. Es wird jedoch schon hier deutlich, dass Otto, wenn es darauf ankommt, diesen Ausdrücken einen Inhalt zu geben, eigentlich nur zu einem sehr geringen Teil Fries beipflichtet, in den meisten Punkten von ihm abweicht und in der entscheidenden Frage viel mehr mit Schleiermacher (und also der Romantik) verwandt ist als mit dem antiromantischen Fries. Um diese Auffassung zu begründen, weisen wir nur auf einige Punkte hin. a) Schon von der Definition, die von der Ahndung gegeben wird,4) kann schwerlich behauptet werden, dass sie aus Fries' Gedankengangen abzuleiten ist. Man wird darauf schon vorbereitet, wenn man Otto versichern hört, dass der Gegenstand seines Satzes über „Gefühl und Ahndung' so ') W. Oestl. Mystik, 249/250, 60/61. 2) Wir benützen le Aufl. Tübingen, 1904. 3) Nat. u. rel. Weltansicht, 57/8, cf. 53. 4) a.a.O., 57. „zart" ist; man erinnere sich, wie Fries seine ganze Denkkraft angewandt hat, um alle Empfindlichkeiten u.s.w. seiner Gefühls- und Ahndungslehre fernzuhalten. Aber deutlicher spricht schon die Tatsache, dass Otto bei „Gefühl" und „Ahndung" „Eindrücke" in Frage stehen sieht und von diesen Eindrücken versichert, dass sie kommen aus einem inneren Erleben (die Frage, was er mit dem „Auffassen von Natur und Welt und Geschehen mit der Tiefe des Gemütes meint, bleibe jetzt unbeantwortet; gewiss ist, dass dies „Auffassen" von dem „Erleben" nicht mehr zu trennen sein wird). Erinnert man sich jedoch, wie heftig Fries jedem Einschleichen der „Empfindung", der „Sinnlichkeit" in die Gefühlslehre widersprochen hat (Jacobi durfte nicht einmal von dem Instinkt der Vernunft sprechen) und wie sehr er das Gefühl immer wieder als Akt des Erkenntnisvermögens aufgefasst hat, dann wird dies „Erleben" in „Eindrücken" deutlich als unfriesisch erkennbar. Achtet man darauf, dass Otto dann in demselben Zusammenhang unmittelbar eine Parallele zu Platos Anamnesis zieht (wobei dann wieder das „unmittelbare Erleben und Empfinden" ohne oder wenigstens so gut wie ohne Begriffe das tertium comparationis bildet), dann erinnert man sich demgegenüber, wie nachdrücklich Fries die Verwandtschaft zwischen seinem „Glauben" und der platonischen Schau abgewiesen hat. Wir zitieren jetzt nicht mehr, sondern verweisen auf die oben gegebenen Zitate. b) Auch in seiner naheren Ausarbeitung der in Frage stehenden Begriffe kehrt bei Otto das Moment des „Erlebens" immer wieder. „Dass Wahrheit nur in der Entzückung gefunden werde", ist freilich, auch nach Otto, eine „schwarmerische" Behauptung, aber sie hat doch ein gewisses Recht, meint er, was Fries mit seinen wiederholten Ausfallen gegen die Schwarmer ablehnen würde. Frö\imigkeit mit Otto einen „merus enthusiasmus" zu n .nnen, ') das würde Fries nicht tun ; ebenso wenig wie er „Andacht" ') a.a.O., 10, cf. 11. das „Edeben des Mysteriums" würde nennen wollen, ) weil sie dann zu mysteria der Eingeweihten oder zu Arcana herabgesunken waren. Das bei Otto immer wiederkehrende Motiv von „angegriffen sein von dem . ... Geheimnisvollen", von „unmittelbar erleben", „etwas (!) spuren ) usw., ist etwas wesentlich anderes als das „unmittelbare Erkennen" von Fries mit seiner Vernunftkritik. Bereits hier sind die am meisten getadelten Feinde von Fries, die Mystiker, au£ dem besten Weg, die mit Vorliebe aur- gesuchte Gesellschaft Ottos zu werden. c) Wenn dann im weiteren Verlauf bei Otto Geheimnis und Divination,3) Ahnungen und Stimmungen, ) Irrationales und Mystfeches mit dem grossen Prophetismus Israels und Judas 5) zusammen in eine Linie gestellt werden, als waren sie miteinander verwandt, dann wird es ottenbar, dass hier die Linie von Fries bestimmt verlassen ist. Fries geht in allem von der Einheit der Vernunft aus, Otto spricht, bereits hier, darüber, auf welche Weise „fromme und naturalistische Weltbetrachturig einander „wie es scheint notwendig verletzen .6) Fries leitet Ahnduna und Gefühl aus seiner Anthropologie ab, Otto will Ahndung und Gefühl den „besten Teil" zur Er assung der „Persönlichkeit" „leisten" lassen.7) Es ist wahr, dass in Fries* „Wissen, Glaube und Ahndung Ste len vorkommen, die, wenn man sie von den anderen Fries'schen Werken und aus den Grundgedanken dieses Werkchens selbst loslost, hie und da (z.B. 237-240) auf Verwandtschaft zwischen Ottos obengenanntem Werk und Fries würden schliessen .) a.a.O., 30. Wohl sagt Fries, W..G1 A 239, 240. dass die „religiöse Gefühlsstimmung" der Ahndung ,,einen Enthusiasmus erzeugen sou , aber hier ist gemeint ein Enthusiasmus zur Erfullung der Pflichten. 2) a.a.O., 33, 58. 3) a.a.O., 253. 4) a.a.O., 57. 5) a.a.O., 256. 8) a.a.O., 31. 7) a.a.O., 253. lassen können. Aber Fries kann nur im Licht seiner ganzen Theorie verstanden werden. d) Ganz deutlich ist jedoch die Verwandtschaft zwischen Otto und Schleiermacher, der übrigens in Ottos Werk wiederholt neben Fries beifallig genannt wird. Wenn Schleiermacher in der Religionsphilosophie nicht vom Wort, sondern vom „Ich" ausgehen will, so ist das wohl eine Problemstellung, die mit Fries' anthropologischer Deduktion wenigstens dem Klang nach Aehnlichkeit aufzeigt, aber mehr ist es eigentlich nicht. Fries geht ja doch aus vom „Anthropos", Schleiermacher vom allerindividuellsten Ich. Das „Ich" bei Fries ist objektiviert, das Ich als Es; Schleiermacher dagegen geht vom Ich als „Ich" aus. Fries stellt die Behauptung auf, dass „der wahre Glaube, das Vertrauen auf Gott in jedem Menschen auf die gleiche Weise gegründet ist";1) Schleiermacher dagegen individualisiert und behauptet; „ein Individuum der Religion kann nicht anders zustande gebracht werden, als dadurch, dass irgend eine einzelne Anschauung des Universums aus freier Willkür .... zum Zentralpunkt der ganzen Religion gemacht und alles darin auf sie bezogen wird";2) daher kommt es auch, dass bei ihm der Geburtstag des geistigen Lebens eines Menschen eine Wundergeschichte zu erzahlen gibt; eine Wundergeschichte,3) vor der Fries immer so bange ist.4) Es ist klar, dass Otto, der die Individualiteit „vornehmlich im Gemüte wurzeln" lasst,5) der sie für allein ■) Fries. Rel. Ph. 1832, S. 32. 2) Fr. Schleiermacher, Ueber die Religion (Reden usw.) hrsg. v. R. Otto, 5. Aufl. Göttingen, 1926, S. 160 (urspr. Ausgabe: S. 259). „Jede solche Gestaltung der Religion .... ist eine eigene positive Religion ; in Beziehung auf das Ganze eine Haresis.... weil etwas höchst Willkürliches die Ursache ihrer Entstehung ist", S. 161 (urspr. 260/1). Vgl. Fries über das irrtumsfreie Gefühl, die Ideen, namentlich die asthetische Unterordnung unter Gesetze. Ueber „Willkür" im Sinn von „Freiheit", s. Ueb. d. Rel., ed. Otto, S. 32. 3) Reden, 165 (268). 4) Fries, Rel. Ph., 40/41, 43, 47; Handb. d. psychischen Anthropologie, II. Bd., Jena, 1821, S. 92—96. 5) Otto, Nat. rel. Weltansicht, 254 (von 1904, vgl. S. 222, Note 2). Schilder j 5 durch Intuition und Erleben, nicht aber durch Reflexion erfassbar halt, ') und in ausgesprochener Individualiteit ein Moment vom „Mystischen" entdeckt,2) hierin mehr Schleiermacher als Fries folgt; Fries hat das volle Selbstbewusstsein viel mehr abhangig sein lassen von der Bestimmung der Position des Individuums gegenüber der Gemeinschaft,3) wobei also die Reflexion auftritt. e) Wenn dann auch Otto über die „ahnungs vollen" Empfindungen (!) spricht, „die lauteres Naturleben (!) in uns auslösen kann bis hinauf in langer Skala zur trunkenen Selbstvergessenheit", usw.4) dann steht er nicht mehr auf der Linie von Fries, der es ablehnt, dass die Natur selbst „uns aus sich die Ahndung des Ewigen aufdringt",5) sondern dann ist er zu Schleiermacher übergegangen, nach dem die Anschauung des Universums (der Angelpunkt seiner Rede über das Wesen der Religion!) von einem „Einfluss der Angeschauten auf den Anschauenden" ausgeht, ja sogar „von einem urspr ünglichen und unabhangigen Handeln des ersteren", und nach dem sich das Universum in seiner ungebrochenen Tatigkeit(!) uns jeden Augenblick offenbart.6) Man beachte den Unterschied: wahrend bei Fries der Gebildetere (!) „sich selbst die Spuren des Ewigen in der Natur bildet",7) lasst Schleiermacher in seinem berühmten Passus Gefühl und Anschauung „eins" werden in diesem mysteriösen „Augenblick" (!), worin „ich liege am Busen der unendlichen Welt: ich bin in diesem Augenblick ihre Seele;.... sie ist in diesem Augenblick mein Leib". Mehr als Eleusische Mysterien hat Schleiermacher hier, wie er selbst sagt, aufdecken müssen;8) aber das unbewegte Gesicht von Fries ist dann auch hier von ihm abge- ') ibidem. 2) a.a.O., 256. 3) Fries, Ethik, I, 1818, S. 24. *) Nat. R. W., 59. ») Wissen, Gl. A„ (1805 !) S. 233. e) Reden, 35 (55); 36 (56). 7) W.G1.A., 234. 8) Reden, 47, 48 (73, 74, 75). wandt. Und in diesem Hauptpunkt wendet sich Otto von Fries zu Schleiermacher. Denn Fries weiss auch wohl von der „Eigenschaft unseres Geistes", nach der „jede Selbsttatigkeit desselben eines anregenden Reizes bedarf, um sich aussern zu können", aber er nennt diese „Abhangigkeit unsers Lebens von anregenden Reizen : „Sinnlichkeit';') und wir horten bereits, wie weit er Gefühl und Ahndung davon getrennt hat. f) So kommt es, dass, wenn Otto Frömmigkeit und fromme Weltansicht mit dem Enthusiasmus als der „Kunst (!) einer dauernden inneren Erhobenheit" verbindet,2) dass dann diese Auffassung, vor allem in Verbindung mit dem, was uns bereits oben offenbar wurde, wohl auf Schleiermacher, diesen „Herrnhuter höherer Ordnung", zurückgeht,3) aber nicht auf Fries, der den Enthusiasmus ausdrücklich und „vor allen Dingen" von „derjenigen Gemüthstimmung, die unmittelbar die Religiositat ausmacht", unterschieden haben will, der den Enthusiasmus „herbeygeführt" werden lasst durch diese Gemütsstimmung und der ihn (den E.) in unmittelbare Verbindung mit dem guten Handeln, der Pflichterfüllung setzt.4) g) Wo der Enthusiasmus auftritt, zerfliessen alle Grenzen. Daher kommt es, dass Otto im qu. Buch, obwohl er festhalt an der Forderung, die Dinge „rational und klar" zu machen, doch in uns, „sofern wir fromm sind" (!), eine „Abneigung" gegen das „Wasserhelle", das Rationale, findet; die Andacht erlebt ja doch das Mysterium 5). Dies ist schon wieder eine unfriesische „Abneigung", denn wir horten Fries gegen alle Unklarheit zeugen : die Unmittelbarkeit von begriffs- und beweisloser Erkenntnis wird bei ihm nie zur Liebe zum Irrationalen. Aber es ist wohl eine Schleiermachersche „Abneigung". Fries' scharfe Unterscheidung zwischen logischen und asthetischen Ideen, und ') Psych. Anthrop., VIII, IX. 2) Nat. R.W. 10. 3) Vgl. Reden, Rückblick, XXXII. *) W..G1. A., 239/240. 5) Nat. R. W„ 30. vor allem seine „Funktion der Ideen", muss daher bei Otto für die „Sphare des innerlichen Erlebens und Wertens" Platz machen. ') Und eben in diesem Punkt, wo das „Negieren" und „Kombinieren" des Fries'schen Systems Platz macht für ein „Erleben" (dem ja im Rausch des Kusses des Universums alle Selbst-Abgrenzung gegen das Universum, und auch alle „Unterordnung unter Gesetze" fremd ist), — in diesem Punkt wird Universum und Gott durcheinander gebracht, wird Natur und Schöpfer nicht langer mit Bewusstsein unterschieden und zerfliessen die Ideen von Gott, Freiheit, Ewigkeit usw. h) Dieses Verwischen der (logischen und asthetischen) Ideen hat seine unausbleiblichen Folgen. Denn es wird die Ursache, dass das Mysterium, das Geheimnis, das Unaussprechliche, Unbestimmbare, das bei Fries in all seinen verschiedenen Gestalten auch jedesmal ein genau abgegrenztes Gebiet, einen eigenen „Ort" (Provinz) hat, von Otto in Gefolgschaft Schleiermachers aus der Reihe jener bestimmter, von einander unterschiedener Gebiete herausgehoben wird und, ohne nahere gegenseitige Abgrenzung, in ein grosses allgemeines „Mysterium" aufgenommen wird. Wenn Fries ja logische Ideen von asthetischen, Negation von Kombination unterscheidet, dann hat das Mysterium jedesmal eine eigene Provinz, je nachdem eben das Absolute (Ewige, Freye etc.) oder wohl das Geheimnis in der Natur gemeint ist. Diese beiden ineinander aufzulösen, ihre ,,Stim~ men' ineinander übergehen zu lassen, das würde Fries Gedankengang aufs Bestimmteste widersprechen. Und doch geschieht es bei Schleiermacher-Otto (Universum, Naturgeheimnis). Ausserdem hat das Verwischen der Unterscheidung zwischen logischen und asthetischen Ideen noch eine andere Folge: die Phantasie, die künstlerische Dichtung, der (romantische) Traum bekommen nun Rechte, die bei Fries niemals Anerkennung finden würden. Die Negation von Fries ist ') a.a.O., 63. keine Dichtung, die die vorhandenen „Schranken" unklar werden lasst oder sich darüber hinwegsetzt; im Gegenteil, die Negation der logischen Ideen kann keinen Augenblick ohne das Bewusstsein der Schranken der endlichen Vernunft gedacht werden. Und die Kombination der asthetischen Ideen ist kein Traum, sondern eine Unterordnung unter Gesetze. Traum, Dichtung bekommen bei Fries denn auch keinen Ehrenplatz. Man beachte nur, wie er die religiösen Ueberzeugungen „von dem heiligen Urgrund aller Dinge als „erste Glaubenswahrheit" darstellt, „von der irgend eine andere nur abgeleitet werden kann"; wahrend die religiösen Ueberzeugungen einen „unmittelbaren Bestandtheil unsrer Erkenntniss bilden, bestehen denn auch ,, Traum und Dichtung (ebenso wie der Irrtum!) „nur aus abgeleiteten, nicht der erkennenden Vernunft, sondern nur der Einbildung und dem denkenden Verstande gehörenden Vorstellungsavten." ') Wer also je die „Berührung" des religiösen Subjekts mit dem Geheimnis, auch in der Natur, auf solche Weise würde sakrosankt machen wollen, dass der Unterschied zwischen dem Vertrauen auf Gott (als Grundüberzeugung) einerseits und Traum und Dichtung andererseits vernachlassigt oder verwischt werden würde, der würde sich damit gegen Fries wenden. Und dies umso mehr, weil auf diesem Standpunkt das Handeln automatisch degradiert werden würde; es ist ja doch, sagt Fries, Religiositeit „unmittelbar nur Sache des Gefühls, aber so hoch auch alle Ideale des Gefühls seyn mögen in Andacht und Liebe, so erhalt doch jedes Gefühl seinen Werth noch von einem höhern, vom Handeln. Handlung ist der letzte Beziehungspunkt unsers Wesens. Nur so viel gilt der Mensch, als er gehandelt hat, und jedes Gefühl nur so viel, als es durch Handlung ins Leben eingreift .2) Hier spricht (seiner Terminologie gemass) Fries wohl von „Religiositat", aber er gibt mehr, ') Rel. Ph„ 36/7. _W- G1' A" 241, Julius und Evagoras, ed. Bousset, S. 399, 407, 416, iZ 1 ff. als er verspricht: das Thema von der Religiositat geht im Fordern der Handlung über in das von der Religion. Eigentlich macht es Schleiermacher — und hier ist der Unterschied wieder fühlbar — genau umgekehrt. Er verspricht, seine Reden würden „von der Religion handeln, aber er halt das Versprechen nicht: er spricht schliesslich nur über die Religiositat. Damit hangt seine Herabwürdigung des Handelns zusammen: Religion, sagt Schleiermacher, ist kein Wissen, kein Handeln, kein Kompositum aus diesen beiden; und wie er dieses Thema seiner zweiten Rede ausführt, wird wohl aus folgendem Passus offenbar: „Die Moral geht vom Bewusstsein der Freiheit aus, deren Reich will sie ins Unendliche erweitern, und ihr alles unterwürfig machen; die Religion atmet da, wo die Freiheit selbst schon wieder Natur geworden ist; jenseits das Spiel seiner besonderen Krafte und seiner Personalitat fasst sie den Menschen und sieht ihn aus dem Gesichtspunkte, wo er das sein muss, was er ist, er wolle oder wolle nicht" ; die Religion fallt „aus dem Gebiete (auch) der Praxis ganzlich heraus"; „Praxis ist Kunst, Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche".') Dieser Begriff von der Religion als „natürliches Gegenstück" (und dann Aequivalent) gegen Spekulation und Moral (Wissen und Tun)2) hangt natürlich mit der Auffassung zusammen, dass die Religion „ihr ganzes Leben" in der Natur lebt, „aber in der unendlichen Natur des Ganzen, des Einen und Allen",3) eine Auffassung, die sich ausdrücklich als spinozistisch bezeichnet.4) Es ist selbstverstandlich, dass auf diesem Standpunkt Traum und Dichtung eine völlig andere Wertung bekommen, als es bei Fries der Fall ist; „alle Gefühle" sind Religion, „bei denen das Universum der eine, und auf irgend eine Art Euer eignes Ich der andre von den Punkten ist, ') Reden, 33/4 (51—53), vgl. 71/2 (113/4). 2) Reden, 33 (52). 3) Reden, 33 (51). 4) Reden, 35 (55). zwischen denen das Gemüt schwebt". ') Der bei Fries verhasste Terminus „Instinkt" wird denn auch hier in Schutz genommen: Religion heisst Instinkt fürs Universum, das „Schweben ins Unbestimmte" hat seinen eigenen Wert als Komponente der Religion.2) Verfolgt man nun Ottos Gedankengang im obengenannten Buch, dann wird offenbar, dass er auch hier wieder zu Schleiermachers Linie übergegangen ist. Wahrend Fries in seinem Anti-Mystizismus das „geheime Licht" „nut in den asthetischen Ideen der Schönheit und Erhabenheit der Natur" leuchten liess und die „dichterische Begeisterung" nicht für imstande hielt diese Ideen anzuwenden,3) kommt Otto dazu, mit Schleiermacher aller didaktischen Prosa (der Fries sein Leben gab) sogleich ein Armutszeugnis auszustellen, wenn es namlich darum geht, den „zarten Stoff" der Ahndung zu besprechen.4) Die Erklarung für Ottos Abbiegen von der Fries'schen Linie in diesem Punkt ist leicht zu finden und führt uns zugleich zu einem weiteren Unterscheidungspunkt. Fries verlangt, wie wir bereits horten, ausdrücklich Aufmerksamkeit für den grossen Abstand, der da liegt zwischen der These, dass die Dinge in der Natur einander widersfrezYen, und der anderen, dass sie einander widersprec/ien; er braucht diese Bemerkung um seinen Ideen ihren Platz anzuweisen.5) Otto jedoch, selbst Denker und Dichter, übergeht in dem betreffenden Buch die eigentliche Ideenlehre und lasst die Ahndung, (die bei Fries die bchonheit und Erhabenheit der Natur in Ideen erkennen lasst) auch aus dem „Damonisch-Ratselhaften", dem Verwirrend-Dunklen des Schaffens der Natur ihre Eindrücke empfangen.6) Der Unterschied zwischen Widerstreit und Widerspruch ist hier ausser Acht gelassen. ') Reden, 70 (111). ^ ?,erde^'1 7? (114/5)- cf- üfaer Instinkt: 79 (126), 156 (253). 3) W., Gl. A., 178/9. ' 4) Nat. Rel. W.. 58. 5) N.Kr. II, 263. 6) Nat. R. W„ 58. So dehnt Otto die Domane des Geheimnisses auf Geschichte, Gemüt, Natur aus,') nahert sich damit Schleiermachers Universums-Begriff (das Universum bedeutet bei Schleiermacher2) in der Religion mehr als Gott) und zeigt, dass sein Naturbegriff und in Verbindung damit (die Geschichte!) seine Vorstellung vom Verhaltnis zwischen Endlich und Unendlich, an Fichte-Plato anknüpfen will.3) Das heisst also : in dem für die Ahndungslehre kritischen Punkt verlasst er den anthropologisch-erkenntniskritischen Weg von Fries und sucht eine Synthese zwischen diesem und der Metaphysik Fichtes. „Es geht uns wie Fichte: wir reden von dem Willen, der sich selber unbewusst sich ausgiesst als bewusst- und leblose Natur . ) Diese Fichtesche Anschauung gibt auch, sagt Otto, den Leitfaden in die Hand, wenn die „fromme Weltansichf zu Speculation übergehen will" ;5) m.a.W. : es zeigt sich nachtraglich, dass das „Geheimnis in der Natur" aus Fichte aufgebaut wurde. Hier steht Otto mit dem Rücken Fries und mit dem Gesicht der Romantik zugewendet, die auch von Fichte so stark beeinflusst wurde, eben im Auf stellen der Beziehung Endlich-Unendlich. Das Tor der Romantik geht hier auf und es wird offenbar, dass Otto schon hinter ihm gestanden hat, auch als er den Namen von Fries mit dem von Schleiermacher in einem Buch verband. Nun ist auch verstandlich, warum bei Otto die Welt „durchwaltet ist vom Hauche der Gottheit" ; jedem der Israels Propheten bei ihrem eigenen Licht zu er klaren pflegt, erscheint jetzt die von Otto hier gezogene Parallele zwischen dem Logos des ewigen Zeus und dem Geist Jahwes, die ja nach ihm beide die Welt mit demselben Geheimnis füllen, unlegitimierbar.6) Wenn nun Otto die 1) N. R. W., 33. 2) Reden, 83 (133). 3) N. R. W., 284-286. *) N.R.W., 283. 5) ibidem. 6) N. R. W., 283. Frömmigkeit „wissen" lasst, ja noch sogar „zuvor" wissen lasst, dass (nach Fichte) Gott über der nach Selbstverwirklichung dringenden Kreatur steht, ') oder wenn Otto die Phantasie „für uns „die Welt" „erschaffen" lasst,2) oder die Natur mit Aristoteles öai/uóvia dXX ov deZa nennt,3) dann wird aus dieser Bestrebung, Fries mit den Grossfürsten der Romantik zu versöhnen, verstandlich, wie dasselbe Buch, das begann mit der Behauptung, dass die Weltansichten der Frömmigkeit „nicht Gedichte, sondern Ueberzeugungen sind",4) geendet hat mit der Erklarung, „fromme Weltansicht" in der Linie von Plato-Fichte wolle doch nicht eine Weltdeutung preisgeben, wovon nachdrücklich würde gesagt werden müssen, dass sie „Gedicht, nicht Erkenntnis sei.5) Dann ist zugleich verstandlich, wie zwar das Thema der Ahndung Otto sowohl auf Fries, als auf Schleiermacher horen lasst (man weiss, dass diese beiden Denker ungefahr gleichzeitig die Welt damit überraschten), wie aber trotzdem Otto in der Ausarbeitung davon zwischen Fries und dem Romantiker Schleiermacher hat wahlen müssen. Denn Schleiermacher hat das Thema der Ahndung bereits bei den Romantikern angetroffen, aber es so ausgearbeitet, dass seine Gedanken in diesem Punkt nicht, wie es Wobbermin will,6) in der Fries'schen Ahndungslehre ihre WezYerführung finden konnten. Lieber unterschreiben wir denn auch die Ansicht von Bousset,7) dass Otto in dem hier besprochenen Buch z.T. andere Wege gegangen sei, als die der reinen Kant-Fries'schen Religionsphilosophie. Und ebenfalls ziehen wir mit Bousset zwischen •) a.a.O., 285, cf. 284/5. 2) a.a.O., 287. 3) a.a.O., 281. 4) a.a.O., 8. 5) a.a.O., 286. 6) G. Wobbermin, Die Religionspsychologische Methode in Religionswissenschaft u. Theologie (= Bd. I. v. Syst. Theol. nach rel. ps. Meth ) Leipzig, 1913, S. 385. 7) W. Bousset, Kantisch-Friessche Religionsphilosophie u. ihre Anwendung auf die Theologie, Theol. Rundschau, XII, 1909, S. 423. Fries und Schleiermacher eine deutliche Trennungslinie ; ') die sog. „psychologische Orientierung" von Fries kann ihn nicht, wie man behauptet hat,2) mit Schleiermacher verbinden, denn Fries will Vernunftkritiker sein, allem Psychologismus abgeneigt. i) Aus all dem Gesagten ist schliesslich klar, dass Otto im genannten Buch den Glauben wohl wider den Schein nennt, dass aber diese Auffassung, die wir auch bereits bei einigen Dialektikern verkündigen horten (um die Parodoxie des Glaubens damit zu betonen), von Otto unterstützt wird mit Argumenten, die keineswegs Fries entnommen sind; sie wird namlich begründet3) aus dem Unzuganglichsein vieler Glaubensinhalte für die ratio; aber wir sahen, dass bei Fries dies noch nicht zum Irrationalismus in seiner bekannten Pragung führt. — B. Jetzt ist Ottos Buch bemerkenswert: Kant-Fries'sche Religionsphilosophie (1909). Hier erklart Otto, dass er das religionsphilosophische „Unternehmen" von Fries „zu seinem eigenen macht".4) Bousset sieht in dem Werk ein „Programm".5) In diesem Buch wird vieles, was in dem erst besprochenen Werk (das wir absichtlich in seiner ersten Auflage zitierten) noch unklar schien, klar. Und viele notwendige Unterscheidungen, die dort noch fehlen, werden jetzt gemacht. Besonders fallt uns auf, dass der Unterschied zwischen Fries und Schleiermacher in einigen wesentlichen Punkten angegeben und herausgestellt wird.6) Die Frage ist also nun die, ob Otto sich in seinen weiteren Darlegungen in den Punkten, die uns besonders ') Bousset, 420. 2) Wobbermin, 271 ; der aber anerkennt, dass v. e. eigentlichen religionspychol. Standp. nicht die Rede sein kann, 271 ; cf. W. Claussen, R. Otto's Religionsphil. i. ihrem ideengesch. Zusammenh. (Diss. Maschinenschr. 1924), S. 8, der unrichtig von Psychologismus redet. 3) N.R.W., 11/2. 4) Otto, Kantisch-Fries'sche Religionsphilosophie, 1909, S. X. 5) Bousset, a.a.O., 419. «) Otto, K.-F. R. Ph., 9. interessieren, für Fries und gegen Schleiermacher entscheidet, sooft namlich zwischen den beiden ein Unterschied vorhanden ist, was uns bereits der Fall zu sein schien. Der Verfasser hat ja den Standpunkt von Fries als den seinen erklart (als Kant-Friesisch), und das im ersten Buch über Schleiermachers Vorzug vor Fries Gesagte zu Fries' Gunsten jetzt ausdrücklich zurückgenommen (S. 1). a) Von grundlegender Bedeutung wird hier die Frage, ob Otto die richtige Auslegung von Fries gibt, namentlich von dessen „anthropologischer" Grundlage in der Vernunftkritik. Diese Frage ist deshalb von solcher Bedeutung, weil die Antwort auf die Frage, ob Fries Psychologist ist oder nicht, direkt Einfluss haben dürfte auf die Entscheidung, ob man bestimmte religions-philosophische (-psychologische) Auffassungen als Friesisch angeben kann, oder nicht. Uebrigens führen wir diesen in Frage stehenden Punkt auch deswegen an, weil er in den Diskussionen um Fries und den Neufriesianismus eine aktuelle Streitfrage ist. b) Zwei Auffassungen stehen hier einander genau gegenüber. Es gibt solche, die Fries für einen Psychologisten halten, und andere, die es aufs bestimmteste in Abrede stellen. Zu der ersten Gruppe gehören, z. B. H. Cohen, der Fries tadelt, dass er keinen Begriff von der kritischen Methode habe, Windelband, der direkt von dem Fries'schen, Psychologismus spricht, Max Scheler, welcher glaubt, dass von Fries eine psychogenetische Methode auf Kants Aprioritatslehre angewandt wird, G. C. Berkouwer, Rud. Stammler, nach dem Fries die systematische Frage mit der genetischen vermengt, und andere. ') In der zweiten Gruppe treten besonders A. Kastil, Leonard Nelson und Th. Elsenhans hervor. Nelson sucht ') Zitate bei L. Nelson, Jakob Fr. Fries u. seine jüngsten Kritiker, Göttingen, 1904, S. 8/9; G. C. Berkouwer, Geloof en Openbaring in de nieuwere Duitsche theologie, Utrecht, 1932, S. 77. R. Stammler, Lehrbuch d. Rechtsphilosophie, 3. Aufl., Berlin-Leipzig, 1928, S. 50. zu beweisen, dass Fries keinesfalls eine psychogenetische Methode gewollt oder angewandt habe, sondern im Gegenteil ihr erklarter Feind sei. ') Und obwohl Elsenhans die Fries'sche Vernunftkritik (wegen ihrer anthropologischen Wendung) in ein Verhaltnis zu Kants Vernunftkritik bringt, das parallel lauft mit der Beziehung zwischen Psychologismus und Neukantianismus in der heutigen Philosophie,2) legt er trotzdem den Nachdruck darauf, dass die Fries'sche „philosophische Anthropologie" nicht identisch ist mit der gewöhnlich sogenannten empirischen Psychologie3) und beruft sich dabei auf einen der vielen Falie, wo Fries die Begründung seines „Wahrheitsgefühls" nach Art der englischen Empiristen nachdrücklich ablehnt.4) Es würde zu weit führen langer auf diese Streitfrage einzugehen; wir lassen es deshalb genug sein mit der Feststellung, dass unseres Erachtens von Nelson (und Elsenhans) genügend deutliche Zitate von Fries selbst gegeben sind um darzulegen, dass er mit seiner anthropologischen Methode doch keinen strikten Psychologismus gemeint hat. Auch abgesehen davon ist es klar, dass Kuno Fischer unrechtermassen die Fries'sche Vernunftkritik „blos psychologisch und darum lediglich empirisch ' genannt hat und sie darum auch zu Unrecht Kants Vernunftkritik gegenübergestellt hat, mit der Bemerkung, dass Kant (im Gegensatz zu Fries) sehr wohl gewusst hat, weshalb er seine Kritik nicht als Psychologie gelten liess.5) Dies ist ein unsauberer Gegensatz. Es ist wahr, dass Fries selbst ') Nelson, a.a.O., 9—23, cf. 23—36; cf. Ueber das sog. Erkenntnisproblem (Abh. d. Fr. Schule, N. F., II. Bd., 4. Heft, Göttingen, 1908, S. 805, ff.; A. Kastil, }. F. Fries' Lehre v. d. unm. Erk. (Abh. N. F. IV, 1, 1912, S. 306.) 2) Th. Elsenhans, Das Kant-Friesische Problem, Heidelberg, 1902, S. 1. Kritik an ihm übt Nelson, a.a.O., 13. 3) Elsenhans, a.a.O., 22; Elsenhans, Fries und Kant, I, Hist. Teil, Giessen, 1906, S. 8. 4) Elsenhans, Fr. u. K. I, 226; cf. Fries, N.Kr. d. V. I, S. XXI. 5) Kuno Fischer, Akademische Reden, II, Die beiden kantischen Schulen in Jena, Stuttgart, 1862, 98, 99, 100. von Kant behauptet hat, dieser habe die Anthropologie für unmöglich gehalten ; ') eine Bemerkung, durch die Fries selbst den von Kuno Fischer aufgestellten Gegensatz zu begünstigen scheint,2) ebenso wie durch termini wie „innere Selbsterkenntnis , „innere Erfahrung , „innere Experimentalphysik" u.s.w.J) Aber man vergesse nicht, a) dass Kants Erkenntnistheorie selbst „z.T. psychologisierend, z.T. transzendental-logisch ist;4) b) dass Fries, wenn er spricht über eine „Naturlehre des menschlichen Gemüthes", als ein „Analogon dessen, für die innere geistige Natur, was wir jetzt für die aussere Physik Naturphilosophie nennen", oder als „theoretische innere Naturlehre",5) dass Fries dann Ausdrücke gebraucht, die dem wesensgleich sind, was Kant „das Pendant zur empirischen Naturlehre", „die Parallele zur empirischen Physik nennt, und dass Kant überzeugt war, dass hier mit den transzendentalen Prinzipien Verbindung gesucht werden müsse ;6) c) dass Fries die psychogenetische Methode nachdrücklich zurückweist, 7) ebenso wie er auch die zeitliche und nativistische Auffassung des a priori ablehnt.8) c) Mit Rücksicht auf diese soeben erwahnte Streitfrage wird es nun umso verhangnisvoller, dass Otto in diesem neuen Buch erklart, Fries sei „mit Schleiermacher einig ') N.Kr.d. V. I, S. XL. tY9'- ,'e?och über Kants Stellung zur Anthropologie: E. Troeltsch, Histonsche in Kants Religionsphilosophie, Kant-Studien, 9. Bd. (Festheft rum 100-j. Todestage Kants), S. 100, Note. 3) N.Kr. I., S. XL, XLI-XL11I. 4) Eisler, Wtbch. d. phil. Begr., s. v. Erk.theorie. Ueber die psychok>gischen Voraussetzungen Kants (im Zusammenhang mit Fries) Elsenhans Fries u. Kant, II, 1906, S. 9, ff. 5) N.Kr. I, S. XLIII, XLIV, XLVIII. 6) Troeltsch, a.a.O., 100, Note (Zitate aus Arnoldts Krit. Exc. 268—369.) üemerkenswert ist hier, was Fries selbst sagt, N.Kr., I, S. XXXV/VI, „dass Kant mit seiner transcendentalen Erkenntniss eigentlich die psychologische, oder besser anthropologische Erkenntniss meinte, wodurch wir einsehen, welche Erkenntnisse a priori unsre Vernunft besitzt, und wie sie in ïhr entspringt.' 7) N.Kr. I, S. XLIV. 8) Elsenhans, Fr. u. K., 121. in der Wertung des Gefühls für die Religion" und auch „seine eigene LeHre von der Ahndung berühre sich eng mit Schleiermachers 'Anschauung und Gefühl des Universums „Zwei sonst sehr entgegengesetzte Denker" — so stellt Otto fest — „kommen sich hier an diesem Punkte nahe".') Wohl wird unmittelbar anschliessend hinzugefügt, dass der Ausgangspunkt beider wesentlich verschieden ist, aber damit bleibt doch der Eindruck bestehen, als ob dem Inhalt nach in diesem Punkt eine Verwandtschaft zwischen den beiden Denkern zu konstatieren sei. Nur in zwei Punkten stellt Otto inhaltlichen Unterschied zwischen Schleiermacher und Fries fest: 1. dass bei Schleiermacher religiöses Gefühl und Ueberzeugung nicht mit einander verbunden werden, bei Fries das aber wohl geschieht; 2. dass wohl Fries, nicht aber Schleiermacher, zwischen Religion und Moral eine Verbindung her stellt.2) Nun wird — wiederum mit Rücksicht auf die oben be~ sprochene Streitfrage — jeder zugeben müssen, dass eine konsequente Durchführung des erstgenannten Unterschieds zwischen Fries und Schleiermacher (der den Ueberzeugung scharakter des Gefühls betrifft) uns tatsachlich die Augen für eine prinzipielle Kluft zwischen den beiden öffnet, eine Kluft, die umso tiefer klafft, je bestimmter Fries behauptet, dass das Gefühl irrtumsfrei sei und dass erst in der vermittelnden Reflexion Irrtum auftreten könne. Wenn jedoch Otto diesen prinzipiellen Unterschied, diese Kluft zwischen Fries und Schleiermacher, an soeben angeführter Stelle verkleinert und glaubt, deshalb weiterhin von einer gegenseitigen Annaherung dieser beiden Denker sprechen zu können, so ist darin bereits einbegriffen, dass bei dieser Fries-Deutung wohl manche erkenntnistheoretisch-anthropologischen Konstruktionen von Fries in Schleiermacher schem Sinn umgedeutét werden und dass im Verlauf des Buches unwillkürlich von einer Fries-Deutung ausgegangen wird, die 1) K. Fr. Rel. Ph„ 8/9. 2) a.a.O., 9/10. mehr Psychologismus bei ihm annimmt, als Otto selbst beim Aufzeigen der ganzlich verschiedenen „Quellen" beider Denker tatsachlich als wissenschaftlich haltbar festgestellt hat. Mit anderen Worten: diese Abgrenzung von Fries gegen Schleiermacher bahnt den Weg dazu, dass auch in diesem zweiten Buch Ottos, ebenso wie im ersten bereits besprochenen, viele Konstruktionen Schleiermacher'schen Inhalt bekommen, wenn sie auch Fries'sche Terminologie behalten. d) In bestimmten Punkten ist dies auch tatsachlich der Fall. Wir nennen einige. e) Das „Wahrheitsgefühl" ist bei Fries „die Denkkraft als UrtheilsAxa/f in ihrer unmittelbaren Thatigkeit, in welcher sie . . . . eine der Vernunft eigene Wahrheit unmittelbar für sich zum Bewusstsein bringt"; „die Quelle des Bewusstseins für alle höheren Wahrheiten in unsrem Geiste". ') Bei Otto heisst es : „lm Wahrheitsgefühl besitzen wir und machen sich geltend dunkle Erkenntnisse" ;2) er macht einen „Zustand davon, „in dem sich die unmittelbare Erkenntnis auch vor ihrer Aufklarung aus ihrem ursprünglichen Dunkel wirksam erweist".3) Und was das Gefühl im allgemeinen betrifrt: nach Fries ist Gefühl ein Vermógen zur unmittelbaren Beurteilung, wie wir gesehen haben; Otto hingegen schreibt, das Gefühl „heisst: unausgewickelte Begriffe", obwohl er auch schreibt, Gefühl sei Urteilen, und Urteilskraft.4) Es ist klar, dass hier in die Definition von Fries ein Element hineingetragen worden ist, durch das der Akzent vom Fotmellen auf das Stoffliche, inhaltlich Reelle verlegt wird. , ne ,,^°'9e davon ist dann wieder, dass die „Vernunftkritik von Fries von Otto in diesem Sinn „ausgelegt" wird, dass die Vernunft als „reizbare Spontaneitat" „ganz den Bedingungen des Sinnes unterliegt",5) obwohl Fries 'j ^rie®- Rel- Ph- 24, cf. Psychol. Anthropologie, § 44, 45. 2) K. Fr. Rel. Ph.r 42. 3) a.a.O., 41/2. 4' .a,'?'9" J!5 ^in direktem Zusammenhang mit der platonischen Anamnesis I), o. 90. 5) a.a.O., 44 Note. Berkouwer, a.a.O., 78, schliesst sich an Otto an, auch in dessen Fries-Interpretation. selbst Gefühl und Sinn ausdrücklich von einander scheidet. ) Es findet hier also eine Verschiebung statt nach der Schleiermacher' schen Gefühlstheorie und nach der psychogenetischen Auffassung des Gefühls; und die Otto sche Anamnesistheorie hat ihre Vorbereitung gefunden. ƒ) Die platonische Anamnesis tritt bei Otto auch hier wieder auf.2) Wir sahen bereits, dass dies eine Abweichung von Fries und ein Uebergehen zu Schleiennacher ist. Wie tief diese Anamnesistheorie eingreift, beweist wohl ihre Anwendung auf religionsphilosophischem Gebiet. Als Ghed der Gemeinschaft des höchsten Gutes, als Bürger der ewigen Welt Gottes, muss der menschliche Geist „wo ïhm in der Natur etwas von dieser höchsten unbegrifrenen Zweckmassigkeit begegnet, dieses 'Wiedererkennen durch eine Einstimmung nach ihm selber unbegreiflichen Pnnzipien, durch Gefühle eines eigenartigen Wohlgefallens aufsteigen , saqt Otto.3) Hier ist Fries' emphatisch vorgetragene Unterscheidung von logischen und asthetischen Ideen auf einetn Hauptpunkt aufgegeben und ist wieder die Schwenkung nach Schleiermacher ausgeführt, auch in der Ahndungslehre.") In Verbindung damit steht dann auch die immer wiederkehrende Betonung des Begriffs „erleben . а) Wenn denn auch schliesslich die Ahndung „platonische Anamnesis der Idee im wahrsten Sinne genannt wird,5) so ist damit die Linie von Fries doch wohl ganzlich verlassen.6) „ ij h) Hat einmal die Anamnesis-Theorie, neben der ge- zeigten Umformung des Gefühls, der Religionsphilosophe Ottos ihren Stempel aufgedtückt, dann liegt eine Konse- U N.Kr. I, 342/3, cf. XLVI. 2) K. Fr. Rel. Ph.. 95, 117. Cf.'nóch Fries. Rel. Ph., § 19, § 20 (S. 66), § 43. б) Man kann'steh Ïierfür nicht auf Fries" eigenen ^Kr' j j rips Philosoohen „nur die Anamnesis des Flaton sel ivr. i»*** -g- quenz für das religiöse a priori auf der Hand: auch dieses wird dann in unfries'schem Sinne gedeutet. Es ist wahr, dass Otto in dem hier besprochenen Werk den Terminus „das religiöse a priori" „nicht sehr glücklich" nennt') und dass er eigentlich noch wenig darüber spricht. Doch kann man bereits sehen, in welche Richtung seine Entwicklung geht. Ottos Begriff vom a priori hat sich vom Kant'schen bereits losgelöst, wenn er sagt, dass die Kategorien als reine Begriffe a priori „Erkenntnisse" seien.2) Kant dagegen legt in der Elementarlehre den Nachdruck darauf, (§ 21) dass die Kategorien „nur Regeln" sind „für einen Verstand, dessen ganzes Vermogen im Denken besteht der also für sich gar nichts erkennt, sondern nur den Stoff zum Erkenntnis, die Anschauung .... verbindet und ordnet" ; die Kategorie (§ 22) „hat keinen andern Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als ihre Anwendung auf Gegenstande der Erfahrung".3) Und in den Prolegomena heissen die Kategorien „vor sich selbst nichts als logische Funktionen", die „als solche.... nicht den mindesten Begriff von einem Objekte an sich selbst ausmachen, sondern es bedürfen, dass sinnliche Anschauung zum Grunde liege und alsdenn nur dazu dienen, empirische Urteile.... zu bestimmen, ihnen .... Allgemeingültigkeit zu verschaffen, und .. . . Erfahrungsurteile überhaupt möglich zu machen".4) Sind einmal von Otto die Kategorien in „Erkenntnisse" umgedeutet, dann steht der Weg für ein weiteres Abweichen von der Kant'schen Linie offen, auch in Bezug auf gebene" sind, woraus alle Vernunfttatigkeit der Reflexion abzuleiten ist. Otto dagegen denkt an ein im Gefühl ruhendes (inhaltliches) Geheimnis, das aus seinem Schlafe aufgerüttelt wird, sobald das individuelle „Ich" seinen „wunderbaren Vorgang" erlebt. Es ist klar, dass Fries in dieser Qualifikation der platonischen Anamnesis als „Geschaft des Philosophen" nur ein ^Vo^tspiel gibt, dass aber bei Otto dieses Spiel halbwegs im Begriff war. Ernst zu werden. ') K. Fr. R., 3. 2) K. Fr. R„ 35. 3) Kant, Kritik der reinen Vernunft, (Werke, Ed. Cassirer III), 1913. S. 122/3. 4) Kant, Prolegomena, u. s. w. (Werke, Ed. Cassirer. IV) 77. Schilder ,, 16 die Erkcnntnis a priori. Bei Kant wird als „die veranderte Methode der Denkungsart" (die „kopernikanische Wendung") angenommen, „dass wir .... von den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen . ) Otto jedoch greift Kants Theorie von der Schematisierung der reinen Verstandesbegriffe auf, um der Konsequenz dieses Kantischen „Hineinlegens" zu entgehen und um seine Konstruktion von den „dunklen Erkenntnissen (die in uns ,,ruhen" und sich beim Aufwachen der Erfahrung zu Urteilen „regen ) philosophisch zu legitimieren. Um hiezu zu kommen, weist Otto darauf hin, ) dass Kant die Kategorien, (die dann bei Otto vorher schon in Erkenntnisse umgedeutet sind) schematisiert. Er bezieht sich auf das Teil der Elementarlehre, worin Kant nach einer „vermittelnden Vorstellung" sucht (einerseits intellektuell, andrerseits sinnlich), die als „ein Drittes auftreten kann, „was einerseits mit der Kategorie, andererseits mit der fcrscheinung in Gleichartigkeit stehen muss und dieAnwendung der er steven auf die letzte möglich macht . )l Man wird geneigt sein zu sagen, dass Otto mit diesem Passus überhaupt nichts anfangen könne, solange er fortfahrt, die Kategorien in Erkenntnisse umzudeuten; in diesem Passus treten ja doch die Kategorien nur in Kant schem Sinne auf. Aber Otto halt an seiner eigenen Definition der Kategorie fest, gibt der „kategorialen Erkenntnis" diesen (unkantischen) Inhalt, dass „das Subjekt des Seins Substanz mit Akzidenzen ist"4) und behauptet dann, die „Verengung" (Restriktion) der Kategorie „bei ihrer Projektion aut die Zeitreihe" sei der Grund dafür, dass ein „ihr selber cianz fremdes Moment" „hineinkommt" ; nach seiner Ansicht „lieqt nichts davon" (d. h. nichts von dem Schematismus der Kategorie) „in der Kategorie selber".5) Darauf grundet n Vorrede zur 2. Aufl. d. Kr. d. t. V. (Cassirer). 19, cf. 15, 16 (nicht Schüler. doch Richter, hineinlegen), 21, Kr. d. r. V. 134 (vorschreiben). 2) K. Fr. R., 37-41. 3) Kr.d.r.V., 142. «) K. Fr. R., 38. 5) a.a.O., 40, 39. Otto dann wieder die These: „Naturgesetzlichkeit gründet nicht in der Kategorie, sondern in der schematisierten Kategorie" '). und hat so den Weg gebahnt für seine „ruhende" unmittelbare Erkenntnis, die sich „auch vor ihrer Aufklarung aus ihrem ursprünglichen Dunkel wirksam erweist".2) Kategorie wird also Erkenntnis, etwas „Fremdes" tritt in ihr auf, wirkt auf sie ein und so kann diese Subjekt-ObjektPolaritat, vor allem wenn man sie in Verbindung mit der Vernunft als reizbarer Spontaneitat sieht, auf eine Theorie der unmittelbaren Erkenntnis a priori hinauslaufen, die in der Natur das mirum entdeckt, vom Numinosen angegriffen wird, und so im Gefühl durch Ideen via Ahnung usw. zum Erleben kommt. Wenn nun auch diese unmittelbare Erkenntnis von den angeborenen Ideen unterschieden wird, (weil diese Zwangsgedanken sind und deswegen gerade nicht Erkenntnisse heissen können), und wenn auch dieses Erleben noch nicht buddhistisch aufgefasst wird,3) so ist doch damit nichts an der Tatsache geandert, dass diese Ausführungen von Otto weder den Kant'schen noch den Fries'schen entsprechen. Was Kant betrifft: man kann sich nicht auf ihn berufen zu Gunsten der These, dass bei der Schematisierung der reinen Verstandesbegriffe (Kategorien) ein der Kategorie selbst fremdes Moment hineinkomme. Denn 1. sind die Kategorien ja, nach Kant, ohne die Schemata „nur Funktionen des Verstandes zu Begriffen, stellen aber keinen Gegenstand vor".4) Vom Standpunkt Ottos aus, demzufolge die Kategorien Erkenntnisse sind, kann man annehmen, dass bei der „Realisierung" der Kategorien etwas ihnen Fremdes in sie hineingetragen wird im glëichen Moment, in dem sie „restringiert" werden. Aber wenn die Kategorien ohne Schemata nur Funktionen sind, und überdies die Sinnlichkeit den Verstand realisiert, indem sie ihn ') a.a.O., 39. 2) a.a.O., 42. 3) a.a.O., 42, 106. *) Kr. d. r. V., 147. zugleich restringiert,') dann kann das eine nicht ohne das andere sein, und dann ist es sinn-los, hier von einem ïhnen hemden Moment zu sprechen. In Uebereinstimmung damit sagt Kant denn auch, dass „das Schema eigentlich nur das Phaenomenon oder der sinnliche Begriff eines Gegenstandes in Uebereinstimmung mit der Kategorie sei. ) 2. Ausserdem halt Kant ja wieder an seiner eigenen Linie fest, wenn er behauptet, das Schema der Verstandesbeg'riffe vermittle die Subsumtion der Erscheinungen unter die Kategorie,3) sei an sich selbst jederzeit nar ein Produkt der Einbildungskraft (einem Begriff sein Bild zu verschaffen),'1) der Schematismus unseres Verstandes sei eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, und das Schema sinnlicher Begriffe sei ein P™dukt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskratt Und was Fries betrifft: Bornhausen urteilt zu rasch, wenn er Ottos „psychologisches a priori" ohne weiteres Fries zuschreibt und dann aus diesem Grunde dessen Neue Kritik „eine Zerstörung des ganzen rationa en Vernunttbaus" nennt.8) Denn die Psychologisierung des (religiosen) a priori scheint uns mit den Fries'schen Ideen unvereinbar zu sein. Fries kennt zwar „Erkenntniss a priori welche alle Prinzipien der Einheit in unsrer Erkenntniss enthalt. ) Aber er will seine Theorie „durch die Behauptung der Leer heit des Grundbewusstseins der Vernunft bezeichnen ; und der Lehre der angeborenen Ideen stellt er diese be- n ibidem. Otto selber zitiert dies „zugleich S. 38, 39. A Kr.d.r.V.. 146/7. 3) Kr.d.r.V., 142. si Kr d r. V.! 144; deshalb scheint uns Ottos Qualifizierung des Schemas als Kriterium ihrer (d. h. der Kategorie) Anwendbarkeit unnchtig (S. 65), bessër ware: Korrelat ihrer Anwendung. Otto ruckt bewusst von Kant 'b.)(S KS Bornhausen, Da. Rdlgiö» tó E_ T,o=l.«h nnd R. 0Ko. Ztsch f Phil. u. phil. Kritik, Bd. 139 (1910), S. 202. '( Fries, N.Kr d.V.. II (1807!) S. 79 (§ 100). hauptung gegenüber : „die blosse Vernunft giebt nur die Form an das sinnlich angeregte Bewusstsein" '), „da doch der Vernunft unabhangig vom Sinn kein Gehalt, sondern nur die Form gehort".2) „Die Erkenntnisse a priori.... sind für sich immer nur formale Apperceptionen, welche weder im kleinen noch im grossen je ein Ganzes der Erkenntniss ausmachen 3). Das „Bewusstsein meines Daseins ist das einzige unmittelbare Material, was wir in uns- rer Erkenntniss haben, jedes andere wird erst durch den Sinn gegeben".4) Hiemit ist die These von einer ruhenden, inhaltlichen, unmittelbaren Erkenntnis bereits abgewiesen ; selbst die Kopula in A — A darf Schelling nicht •— so urteilt Fries — von der formalen Apperception entlehnen, denn dann „verkennt" er damit „ihre ursprünaliche Leerheit".5) Es scheint uns keine andere Schlussfolgerung möglich, als die, dass Otto mit seinem religiösen a priori, soweit es in seinem Buch über Kant-Fries bereits vorbereitet ist, eigene Wege eingeschlagen hat, die, wenn sie auch nicht von Schleiermacher entlehnt sind, dennoch unbewusst, aber doch ganz auf der Linie seines ersten Buches, Verbindung mit ihm suchen. Denn Schleiermacher, der mit Fries allein die Reflexion für den Irrtum verantwortlich macht, stellt sich nachher wieder ihm gegenüber wenn er nur in diesem Sinne „von einem reinen Erkennen a priori wissen will, dass man darunter versteht: „ein Vermogen des Höhern und des Niedern", das „abgesondert gedacht werden können" soll.6) 1) Die „dunklen Erkenntnisse" sind dann auch in ideen- ') N. Kr. d. V., II, 65 (§ 95). 2) N. Kr. d. V., II, 64. 3) a.a.O., 65. 4) a.a.O., § 97 (S. 72). Uebrigens ist bei Fries „das reine Selbstbeo^U7^)?f*n *e'ne Erkenntnis, sondern nur ein reines Gefühl meines Daseins", o. /2/3. 5) a.a.O., § 95 (S. 69). 6) Schleiermacher, Brouillon zur Ethik 1805/06, 54. Stunde (Schl.'s Werke, Ausw. in 4 Banden, Bd. II, Phil. Bibl. Bd. 137). Leipzig, 1913, S. 155. geschichtlichem Sinne das „dunkle , aber jedenfalls unfriesische Element in Ottos Religionsphilosophie. Denn die in der logischen Idee auftretende „doppelte Verneinung , worüber wir Fries sprechen horten, und die bei ihm als einzige Möglichkeit gilt, womit die menschliche Vernunft „mit den Ideen das schlechthin positive unsrer Erkenntniss fasst", *) kommt bei Otto ins Gedrange. Dies ist eine unmittelbare Folge seiner Anschauunguber die „positive Grundlage der Ideen". Fries sucht diese positive Grundlage der Ideen wie wir sahen, in der unmittelbaren Erkenntnis der Vernunft. Otto schliesst sich dem an, aber er gibt eine nahere Umschreibung dieser „unmit telbar en Erkenntnis der Vernunft": er nennt sie „an sich dunkel und tief verborgen" und gibt ïhr ein Objekt. sie ist Grunderkenntnis „von der notwendigen synthetischen Einheit im Wesen der Dinge".2) Mit diesem letzten Gedanken will er sagen, dass die Vernunft neben dem „Zutrauen zu sich selber" auch als ihr eigentliches Grundgeheimnis die Erkenntnis von der Einheit und Notwendigkeit im Wesen der Dinge besitzt. Sie erkennt, „dass alles und )edes überhaupt eine synthetische Einheit, d.h. ein Ganzes ausmacht, in durchgehender Verbindung seiner Elemente , und erkennt darin zugleich die Notwendigkeit. Es ist also dtese unmittelbare Erkenntnis, die bei Otto zur Grundlage der (SPNunaÏÏenisItchonWan sich etwas verdachtig, dass von Otto dieser „dunklen" Grunderkenntnis ein Glaube an die Notwendigkeit in den Dingen zugemutet wird, wahrend nach ihm auch „im naiven Zustande, m dem Vernunft noch nicht voll bewusst geworden ist , oft von Zufall gesprochen wird.4) Hiermit ist die These von der Notwendigkeit, als Inhalt der unmittelbaren Erkenntnis, bereits abgeschwacht, wenn nicht aufgehoben. Denn Zufall kann doch >) N.Kr. II, 161 (§ 121). 2) K.Fr.R., 63. 3) a.a.O., 60, 63. ■•) a.a.O., 62. schwerlich eine Modulation der Notwendigkeit heissen. Aber dies ist für uns nicht die Hauptsache. Wir glauben, dass hier die Linie von Fries wieder verlassen wird. Fries erklart ja doch ausdrücklich, dass das „Bewusstsein meines Daseins das einzige unmittelbare Material" ist, „was wir in unserer Erkenntniss haben." ') Damit ist Ottos Bemühung, dieses Material in etwas anderem zu finden, hinfallig. Ausserdem erklart Fries, dass dieses „reine Selbstbewusstsein" „keine Erkenntniss" sei (auch keine dunkle, ruhende also).2) Wohl spricht Fries von „dunklen Vorstellungen" (im inneren Sinn), aber im Gegensatz zu Locke und Reinhold will er diese denn auch darstellen allein als Vorstellungen ohne Bewusstsein.3) Das reine Selbstbewusstsein ist „reine Apperceptiori',4) und kommt erst durch Reflexion zur Erkenntnis;5) mit anderen Worten, es ist keine dunkle, keine ruhende Erkenntnis. Dieser letzten Behauptung stellt Fries die „Leerheit unsers Grundbewusstseyns" gegenüber.6) „Das einzige, was durch die Form des Grundbewusstseins bestimmt wird, ist die nothwendige Einheit als formale Bestimmung der materialen Erkenntniss".7) Der ganze Entwurf einer „ruhenden Erkenntnis" ist unfriesisch, weil nach Fries „erkennen" und „ruhen" einander ausschliessen.8) Er will die Theorie vom Rationalismus, soweit dieser die angeborenen Ideen predigt, widerlegen (und dies eben anthropologisch!) ') N. Kr. II, 72 (§ 97). 2) N. Kr. II, 72 (§ 97, cf. § 25). 3) N. Kr. I, 77 (§ 23). 4) N.Kr. I, 81 (§ 25). 5) N. Kr. I, 84 (§ 25). 6) N. Kr. II, 74 (§ 98). 7) N. Kr. II. 75 (§ 98). 8) N. Kr. II, 65 (§ 95) „Die Erkenntniss ist überhaupt die Erregung oder Lebensausserun# der Vernunft es kann nie zu einem ganzen Erkennen kommen ohne durch den Sinn". — N. Kr. I, 84/5 (§ 25/6); „Das reine Selbstbewusstsein bestimmt sich seinen Gegenstand .... nur durch die Reflexion"; es ist „die Form dieser innern Selbsterkenntniss". — I, 82/3 (§ ^5) • „Nicht was ich bin, sondern nur, dass ich bin, wird im reinen Selbstbewutssein ausgesagt". - II. 51 (§ 92): „In der dunklen Vorstellung unsers Geistes, dem Fond des Gedachtnisses liegt die ganze unmittelbare njikenntnissthatigkeit meiner Vernunft als ihre unmittelbare Erkenntniss". „durch die einfache Aufweisung, wie wirklich alle Nothwendigkeit in unsrer Erkenntniss nur durch die Formen bestimmt wird". ') Wir glauben also, dass die Otto'sche Theorie der dunklen ruhenden Erkenntnis eine Vermischung ist von Fries schen und Schleiermacher'schen Ideen, aber dann so, dass, so oft zwischen beiden hatte gewahlt werden müssen, bewusst oder unbewusst Fries an Schleiermacher aufgeopfert worden ist.2) j) Dies gilt u.E. für das ganze Buch. Wohl hat der Verfasser in diesem zweiten Werk das Verhaltnis zwischen Fries und Schleiermacher anders dargestellt als im ersten, aber die Grundgedanken seines ersten Werkes sind die gleichen geblieben. In dieser Hinsicht hat die Lehre von den dunklen Erkenntnissen weitgehende Folgen; nicht zum mindesten, wenn die Idee der Gottheit zum unmittelbarsten Geheimnis, zum tiefsten Grundgedanken der Vernunft gemacht wird, lebendig im Wahrheitsgefühl.3) Dies stimmt wohl überein mit Schleiermachers Auffassung, dass die Idee der Gottheit „realiter (nur) in dem Impuls" sei, „den wir uns gleichsam vor dem organischen Denken vorstellen , ) aber nicht mit der Fries'schen Lehre der spekulativen Ideen. Und ausserdem ist die Ahndung, nachdem jetzt dahinter die unmittelbare Erkenntnis liegt und die Anamnesis damit in Verbindung gebracht wird, mehr zu einer Funktion eines 2) ScWdermacher^ Reden (urspr. Ausg.) 114-115 (Trieb Unend^ ; 158—160 (Mystik); 144—146, 155, ff. (Anl. z. Rel.); 17—19, Sinn f. das Heilige; 251—253, rel. Instinkt; Dialektik (Samtl. Werke, 3e Abt., 4^ Band, 2. Theil, Berlin, G. Reimer, 1839) § 221, S. 163: „Die ïdee der Gottheit ist in jedem Act des bestimmten Wissens gleich sehr gegeben, sie ist das characteristische Element des menschlichen Bewusstseins überhaupt (Wissen Denken 5 86). - Dialektik, § 222, S. 166: Wir konnen kernen Gegensatz, auch ki Identitat zwischen Gott und Welt konstruieren wir schweben also zwischen dem einen und dem andern — Vgl. § nx ö- ;ieie gutgewIhlte Zitate bei Ad. Sannwald, D. Begr. d. Dialektik u. die Antropologie, Miinchen, 1931, S. 146 171. 3) K. Fr. R., 68. 4) Dialektik (1839), § 220, S. 163. „Triebes' geworden, als dass sie eine Ueberzeugungsweise blieb ;') sie ist vom intelligiblen Ich auf das empirische Ich übertragen worden,2) eher in psychogenetischem, als in vernunftkritischem Sinn zu einem anthropologischen Lehrbegriff geworden, und von Kant-Fries auf SchleiermacherPlato zurückgeführt. C. a) Darum kann es uns denn auch — und hier nennen wir noch eben die anderen Werke von Otto — nicht mehr wundernehmen, wenn Otto im Jahre 1926 die Ahndung als intuitus mysticus bezeichnet.3) Trotz allem, was Fries gegen Empirismus, Mystizismus, platonische Schau bemerkt hat, glaubt Otto diesen intuitus mysticus von^Fries entlehnen zu können. Er beruft sich dabei auf Fries' „transzendentale Apperception" und identifiziert diese dann mit der memoria von Augustin.4) Weiterbauend auf der oben von uns abgelehnten Auffassung, nach der die Fries'sche formale Apperception eine Grund- und Urerkenntnis ist, schliesst Otto dann, dass die transzendentale Apperception bei Fries „geformt" ist durch die Einheitsfunktionen der „formalen" Apperception und verbindet die beiden also miteinander auf solche Weise, dass die transzendentale Apperception „das sich immer bereichernde Feld (!) des Unterbewussten, im dunklen Vorstellen Festgehaltenen" sei, „das den geheimen Untergrund unseres gesamten empirischen Bewusstseins und Einzelbewusstseins ausmacht." 5) Aber diese Verbindung kann nicht aus Fries abgeleitet werden. Denn Fries schiebt zwischen die formale Apperception (die dem transzendentalen Verstande gehort) einerseits und „das Ganze der transzendentalen Apperception" (die der Vernunft gehort) andererseits, ein drittes ein : namlich „das Fallen alles materialen Bewusstseins in ■) Reden, 114—115. 2) Vgl. noch Nelson, J. F. Fries u. s. jüngsten Kritiker, S. 19; Elsenhans, Fr. u. Kant, II, 124. 3) R. Otto, West-Oestliche Mystik, Gotha, 1926, S. 346. 4) a.a.O., 344. 5) a.a.O., 344. diese Form" der formalen Apperception (welch „Fallen" der Urteilskraft gehort).') Erst diese materiale Apperception „verschafft der Erkenntnis einen Gegenstand" ;2) sie ist „nur empirisch gegeben".3) Daher kommt es, dass Fries im Gegensatz zu Otto, (nach welchem beide Apperceptionen erkennen) aufrecht erhalt: „Durch diese 'letztere (tr. App.) allein erkennt eigentlich unsre Vernunft; wir können subjektiv wohl unsre Erkenntniss zergliedern .... aber ihre objektive Gültigkeit gehort durchaus nur dem geschlossenen Ganzen der transcendentalen Apperception".4) „Nur diesem (Ganzen unsrer tr. App.) entspricht der Gegenstand der Erkenntniss".5) Otto möge dann weiter den intuitus mysticus von Eckart (!) mit der formalen Apperception von Fries verbinden, aber Fries selbst glaubt, dass man sich erst „durch alle Bruchstücke des Empfindens, Phantasirens, Dichtens und Denkens durchgefunden haben" muss, „um die innere Einheit unseres Erkennens verstehen zu lemen".6) Diese „Dreytheiligkeit der formalen, materialen und transcendentalen Apperception", und die „Viertheiligkeit der Auffassung reine und empirische Anschauung, logisches und transcendentales Denken" 7) kann man nicht aus dem Auge verlieren, ohne Fries unrecht zu tun. b) Die oben besprochene unkantische Ausarbeitung der Schematisierung der Kategorien hat bei Otto noch weitere Folgen gehabt, namentlich in „Das Heilige". Wohl wird hier8) im Gegensatz zu dem unter B besprochenen Werk, der Nachdruck auf die Uebereinstimmung zwischen Kategorie und Schema gelegt, aber doch wirkt die alte Theorie noch nach, wenn das (bei Kant durchaus rationale) Verfahren der Schematisierung nach Otto eine Parallele bekommt in ') N. Kr. II. 77 (§ 99). 2) N. Kr. II, 78 (§ 99). 3) ibidem. *) N. Kr. II. 86 (§ 102). ») a.a.O., 87 (§ 102). 8) ibidem. 7) a.a.O., 94. 8) R. Otto, Das Heilige. 17.—22. Aufl., Gotha, 1929, S. 63. dem „Verhaltnis des Rationalen zum Irrationalen in der Komplex-Idee des Heiligen". „Das Irrational-Numinose", das bereits ') als Kategorie qualifiziert wurde, wird, nach Otto, „schematisiert durch.... rationale Begriffe" und „ergibt uns" auf diese Weise „die satte und volle KomplexKategorie des Heiligen selbst im Vo//sinne."2) Wie aus dem Vorausgehenden ersichtlich,3) muss dieses Heilige „im Vollsinne" dann bezeichnen : das Heilige mit dem sittlichen Moment und mit dem rationalen Moment, das in dem Wort eingeschlossen liegt; es war ja doch das Heilige minus diese zwei Momente das Numinose genannt worden. Nun lassen wir die Frage ruhen, inwiefern eine KomplexKategorie je eine Konstruktion von Kant oder Fries würde heissen können. Wir weisen aber allein darauf hin, dass hier doch wieder, wie wir bereits unter B bemerkt haben, der kantische Begriff „Kategorie" (Funktion!) verlassen wird; dass weiter aufs neue (ebenso wie unter B) die Berührung von Kategorie und Schema als die Begegnung von zwei einander fremden Gegebenheiten (in casu rational und irrational) dargestellt wird; und dass so geschlossen wird auf einen Komplex von rational und irrational, was also bereits in dieser Verbindung paradoxal ist. Weil weiter „sowohl die rationalen wie die irrationalen Momente der komplexen Kategorie 'Heilig' Momente a priori sind" (die letzteren im selben Masse wie die ersteren)4), ist hiermit zugleich das Paradoxale zur Grundbestimmung des (auch religiösen) apriori geworden. c) Ist so, auf einem von Kant und Fries nicht betretenen erkenntnistheoretischen Wege, die Idee einer Komplex-Kategorie verbunden worden mit der Idee eines Komplex-Gefühls des Heiligen,5) dann betritt in der Folge der Erkenntnistheoretiker die via mystica, wo bekanntlich ') a.a.O., 6/7. *) a.a.O., 63. 3) a.a.O., 6/7. *) a.a.O., 176. cf. 220. 5) a.a.O., 65. Komplexe sehr beliebt sind. Der Eros wird als Beispiel genommen für die unter b) gefundene „innige Durchdringung der rationalen Momente des religiösen Gefühles mit dem Einschlage des Irrationalen" ;') das spezifisch Schleiermacher'sche Motiv von der Musik kann ebenfalls noch dazutreten, und zwar gerade um den Zauber zu wecken ;2) und der Weg nach der Mystik ist frei. d) Dieser Weg wird denn auch betreten. „Das Irrationale" wird dargestellt als „eine dunkle Tiefe, ' welche „unter" dem Bereiche von dem gelegen ist, „was von der Idee des Göttlichen eingeht in die klare Fassbarkeit unseres begreifenden Vermogens" ; man fühlt wieder, wie stark Fries hier verlassen ist.3) Die mystische Linie lasst sich weiter deutlich verfolgen ; die Ahndung heisst nicht nur intuitus mysticus, sondern in Ottos vielen religionsgeschichtlichen Ausführungen wird z.B. mit Begriffen wie das „Mystisch-Ahndung s volle" gearbeitet.4) Die Divination als intuitus mysticus ist, den Fakten der Geschichte gegenüber, nun ein unentbehrliches Glied in der Kette geworden, und wird sogar zu einer religiösen Urteilskraft im Gefühl, und ist als solche potentiell bei allen, wenn auch nicht bei allen aktuell; weshalb sie für „auch heute möglich" (!) gehalten wird. Ueber dieses letzte Wort kann man sich nun nur verwundern.5) In derselben Linie liegt es, wenn mit Vorliebe jede Formel verschmahende Gefühle hervorgehoben und im Neuen Testament aufgedeckt werden; eine der bekanntesten, von Otto6) aufgebrachten Belegstellen ist Mark. 10, 32: %ai rjv ngoaycov (sc. dg 'IeQoaóXvaa, Passion!, K. S.) avxovQ ó 'IrjaovQ, xal êêa/ufjovvxo, oi öè axohovêovvzeg ècpofiovvTo. Wie wenig in diesem Text selbst solche spontane Gefühlsreflexe dem „erlebten" Heiligen gegenüber als ') a.a.O., 64. 2) a.a.O.. 67. 3) a.a.O.. 79. 4) R. Otto, West-Oestliche Mystik, Gotha, 1926, S. 40. 5) W. Oestl. M. 347; Das Heilige, 211/2, 217, 190/1. 6) Das Heilige, 201. numinose, von Christus selbst ausgehende Eindrücke angesehen werden, wird wohl offenbar aus dem, was unmittelbar darauf folgt, dass er sich namlich beeilt, dem durch didaktische Prosa ein Ende zu machen : Jiagalafchv rovg déósxa fjQ^axo avroïg léyeiv ra uéllovxa avxw ov/u/3aivetv. Aber dennoch stützt Otto auch auf solche und ahnliche Texte seine Theorie, dass „vor" dem, „was 'über alle Vernunft' ist, Name und Begriff umkehren". ') So werden denn auch mystici und didactici, extatici und dogmatici, Beter mit dem vovg und Beter mit dem nvevfia (1. Kor. 14, 15), die Bestraften in 1. Kor. 14 mit ihrem Bestrafer, Paulus, mit einander verbunden: Paulus, Eckart, Luther, Fries, Schleiermacher^ Kant, Fichte, Hugo v. St. Viktor, Nic. Cusanus, Ramanuja.2) e) Als letzten Faktor im Entwicklungsgang von Ottos sich immer weiter von Kant-Fries entfernendem System wollen wir noch darauf hinweisen, dass sein Religionsbegriff sich immer weniger prazisieren lasst. Kant hatte durch seine Auffassung der Religion als Moralreligion diese letzte (als Vernunftreligion) den historischen Religionen (als Offenbarungsreligionen) diametral entgegengesetzt.3) Fries hatte — wir sahen es — das religiöse Gefühl und das Handeln auch eng verknüpft; und er hatte nicht nur dadurch, sondern auch noch durch seine wiederholte Ablehnung der Mystizisten und Gottschauer, tatsachlich ein doppeltes Korrektiv gegeben gegen die bei ihm bestehende Neigung, die Religion zu verasthetisieren. ') R- Otto, Sünde und Urschuld, München, 1932, S. 190. l) W. Oestl. M. 80, ff., 168, 170, ff., 177. 93, 348, 282/3, 312 350Sünde u. Urschuld 164, ff. 174, 178, ff. Siddhanta des Ramanuja, Texte zur indischen Gottesmystik II (— Rel. Stimmen d. Völker, III) Jena, 1917.4. v Uf1?,er. diese bunte Relhe würde Fries sich wundern; in der „Neuen Kritik kündigte er an, er würde seine Anthropologie sich nur mit „gesunden Exemplaren beschaftigen lassen (I, XLIV); liest man dann, wer in seiner Rel. Ph. (S. 44, cf. 42/3) zu denen, die an ,,/cranfchaften Aufregungen leiden, gerechnet werden, dann ist man sicher, auch etliche von den hier Genannten unter ihresgleichen anzutreffen. 3) Vgl- T. Hoekstra, Immanente Kritik zur kantischen Religionsphilosophie (Diss. Heidelberg), Kampen, 1906, S. 88/9. Otto jedoch befreit sich mehr und mehr von diesem doppelten Korrektiv ; ausserdem verlegt er immer starker den Akzent vom Handeln auf das Gefühl (unfriesisch gedeutet); dadurch verliert er die Kriteria, die Kant gegen die historisch gegebenen Religionen Stellung nehmen Hessen und so kommt er via Fichte ), Schleiermacher ), die Romantik3), und mit Hilfe seines Grundsatzes von der Einheit des religiösen Gefühls 4) zu einer immer weiter gehenden Verschmelzung aller historischen „Religionen", um dann nachher wieder aus dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen ihrer empirischen, psychologischen Gegebenheiten die Paradigmata für seine religiösen Grundbegriffe zu finden. Das religiöse apriori wird also nicht mehr kritisch, sondern religionsgeschichtlich abgeleitet, wird so zu einer allgemein-menschlichen Gegebenheit,5) in den historischen Religionen wird ein Gesetz der Parallelen entdeckt, ) welches das Verlangen nach einer Universalreligion rechtfertigen muss,7) und u.a. auch Ost und West schliesslich versöhnt,8) wenn auch zwischen beiden sehr starke Unterschiede auf- ') West-Oestl. M., 322 (Anweisung zum seligen Leben), cf. 326, 329. 2) a.a.O., 324, Das Heilige, passim. 3) West.-Oestl. M.. 324. 4) Das Heilige, 132 (Ist das numinose Gefühl emmal rege, so werden wir, da es eine Einheit ist, mit dem Auftreten des einen seiner Momente leicht auch das Auftreten seiner anderen Momente erwarten. Ct. b. IZyj l jU: die irrationale Seite in der Gottheit ist von der rationalen keineswegs so unterschieden, als ob diese ihr weniger wesentlich 2ukame als jene. 5) West.-Oestl. M., 231, im Zusammenhang mit S. V. (Vorwort). letzte, geheimnisvolle innere Einheiten .... d. menschl. Geistes, S.2. «\ R Otto, Visnu-Narayana, Texte zur ind. Gottesmystik, I (— Die Kei. d. alten Indien, III, Rel. St. d. Völker), Jena, 1917, S. 141, ff. 7\ aaO. 152, ff., 156, 158, 160, Vgl. d. Aussage Ottos, angef. bei Kurt Plachte, Symbol und Idol, Berlin, 1931, S.128: „Dass beide Momente (rat u. irr.) vorhanden sind und in gesunder und schoner Harmonie stehen, st ... ein Kriterium, woran die Ueberlegenheit einer Religion gemessen werden kann". Plachte, der das Problem (v. Verh. d. Irr. zum Rationalen) von Otto richtiggestellt nennt, S. 125, fragt doch hier: Gewiss, aber unter welchen Umstanden ist diese gesunde und schone Harmonie vorhanden 7 8) Cf. Note 5; W. Oestl. M., Ier Teil, passim; R. Otto, Indiens Gnadenreligion u. d. Christentum, Gotha, 1930, S. 1/2. gezeigt werden.') Auch im Westen wird — nach Otto — der Logos „aus" dem Mythos „entbunden"2). Und der Osten hat oft Handeln durch Schweigen verdrangen lassen. f) Darum führt Ottos Weg vom unparadoxalen Fries schliesslich zum Paradox. Zu einem Paradox? Nein, zu allen, die sich irgendwie mit seinem Grundsatz des Selbstvertrauens der Vernunft verbinden lassen. Denn auch der Osten kennt seine Paradoxa, metaphysische, sowohl als erkenntnistheoretische, er kennt paradoxale und unparadoxale Stufen in der religiösen Erfahrung. Und er ist darin wieder grundsatzlich unterschieden vom Westen, der übrigens auch Variationen genug aufweist. Natürlich hat Otto, insofern er selbst mit religionsphilosophischen Axiomen zu den verschiedenen religiösen Phanomenen kommt, wohl unzweifelhaft eine eigene Theorie; aber insofern als der Religionsphilosoph in ihm immer mehr dem Religionsgeschichtler Platz macht, und dieser wieder den Religionsphilosophen von der kritischen zu der genetischen, von der deduktiven zu der induktiven Methode lockt, insofern ist jede Art von Paradoxie, vorausgesetzt aber, dass sie auf die eine oder andere Weise ein Specimen von Ottos Grundbegriffen sein kann, ihm willkommen als Ausdrucksweise dieser Begriffe und als Material für ihre weitere Ausarbeitung auf noch breiterer Basis. Und wenn wir jetzt einen Rückblick werfen auf den Wreg, der Otto vom antiparadoxen Fries zum Paradox geführt hat, so erinnern wir uns an eine Frage von Fries: „Wie ware es nur geworden, wenn Schleiermacher meine Berufung nach Berlin nicht verhindert hatte?" 3) Und — so fügen wir hinzu — wenn Schleiermacher Fries nicht in Ottos Werken verdrangt hatte? >) West-Oestl. M., 232, 236, 323, 95/6, 316. 2) Visnu-Narayana, S. 142. 3) Henke, a-a.O., S. 267; vgl. Julius u. Evagoras, ed. Bousset, 1910, S. XII. 1 § 4. Die Bcdeutung des Paradoxes bei Otto. Wenn wir nun die Stellung, die das Paradox bei Otto einnimmt, feststellen wollen, dann fallen uns einige PUa)kteEsUist unrichtig, das Paradox bei Otto als ausschliesslich metaphysisch gedacht darzustellen; denn sooft es auttritt, findet es seinen Ursprung in einer Vermengung von erkenntnistheoretischen und metaphysischen Grundgedanken. Die ersten haben ihre Wurzeln in Ottos Uebernahme des Fries'schen Axioms vom Selbstvertrauen (und Selbsterkennen) der Vernunft und in seinem Anschluss an Kant, soweit davon aus guten Gründen die Rede sein kann.') Aber was die zweiten betrifft, so wurde uns klar, dass Otto namentlich in seine Lehre von den dunklen Erkenntnissen ein an Fries fremdes Element hereinbringt: namlich die Erkenntnis von n Dass Otto „an dem letzten, für seine theologische Position entscheidenden Punkte" die Grundlage des kritischen Denkens vollstandig verlasst . °uch Wobfemin. Sy»9.. Theol. n.ch Methode . 1913 S 373 ff. — Bornhausen, Wider den Neufriesiamsmus, Ztschr. . ■Vu i XX 1910 S 361 362, ff. redetv.e. „starken Verkehrung « Otto". r a- Tübingen, 1905, S. 38; H. Buttmann, J. F. Fries Relig. ph„ Erlangen (Masch schr ) 1922, 100, ff. — Eine andere Auffassung wrrd vertreten vo KS In Sachen des Neofriesianismus, Ztschr. f. Theol. u. Kuche, XXI 1Q11 S 142/3 147, ff- 155 (Duplik von Bornhausen; a.a.U., < , S Ld N«iwo« R^kklion. S. 165. t), BoussM. Kentisch-Ftiessche Rk ph Theoh R^Jau Srn'tS kbwiS von Kant; & Kek. D,« Uebe^en^Uchkelt der Werte, Tübingen, 1921, S. 53. der Einheit und Notwendigkeit im Wesen der Dinge. ') Bornhausen 2) bemerkt hier, dass Otto mit dieser Behauptung einer Erkenntnisbeziehung zu allem Seienden überhaupt einen unlogischen Uebergang „in ein anderes Gebiet, in die Metaphysik" vollzieht. Dazu kommt dann noch die Parallelisierung von Irrational und Rational, die eine noch deutlichere Perspektive bekommt, wenn man Emil Lask3) darin zustimmt, dass hier „neben den tierisch-sinnlichen Instinkt der Glaubensinstinkt und die Ahnung des Uebersinnlichen gestellt wird" ; eine Behauptung, die uns unrichtig zu sein scheint im Hinblick auf Fries selbst, aber richtig im Hinblick auf Otto (religiöses apriori). Dieser eigenartige Standpunkt Ottos bringt es dann mit sich, dass einerseits die metaphysische Konstruktion des „Ganz Anderen" als „meinem Wesen inkommensurabel",4) andererseits die Selbstbesinnung als Mittel zur Sachbestimmung erklart wird;5) oder, dass einerseits die via negationis (vgl. Fries' logische Ideen) als Form und Bestandteil der Absolutheitsspekulation dargestellt wird, und andererseits — ganz im Gegensatz zu Fries — die via negationis als Verlangerung der via eminentiae gesehen wird.6) Es ist klar, dass auf diesem Standpunkt alle Paradoxien der von uns als Typ I und III bezeichneten Art unter Beibehaltung ihrer Eigenart auftreten können. ') Vgl. § 3, i); cf. noch N.Kr. I (1807), S. 198/9 (beobachten, was in unsrer Vernunft liegt, Selbsterkenntnis), 200: die unm. Erk. ist gebunden a. d. inneren Sinn, durch welchen sich die Refl. einleitet, die uns allmahlich auf e. künstl. Wiederbewusstsein führt, anfangs in pos. Begr. u. Urt. üb. die Erfahrung, zuletzt aber nur in negativen Formen der Ideen, und dadurch erst wird uns mittelbar unser ganzes Inneres heil. 2) Wider d. Neofriesianismus, a.a.O., 352. 3) Emil Lask, Ges. Schriften, hrsg. v. E. Herrigel, II, Tübingen, 1923, 214. 4) Das Heilige, S. 33: das Ganz Andere, thateron, anyad, alienum, das aus dem Bereiche des Gewohnten, Verstandenen und Vertrauten und darum 'Heimlichen' schlechterdings Herausfallende und zu ihm in Gegensatz sich Setzende. — S. 35 : das Ganz Andere, das durch Art und Wesen meinem Wesen inkommensurabel ist. s) Vgl. hier S. 174, Note 5. 6) Das Heilige, 243. Schilder jy b) Ebenso klar ist es jedoch, dass eine Konstruktion von Paradoxa (Paradoxon) von Typ II hier ausgeschlossen sein muss. Denn diese würde sich nicht vertragen mit der These vom Selbstvertrauen der Vernunft. Mit Oepke ') die coincidentia oppositorum der dialektischen Theologie (Typ II) auf dieselbe Linie zu bringen, worauf sie bei Otto und „der Mystik" liegt — dass heisst zu viel beweisen wollen; denn das „Minuszeichen", das „das Minus in Plus verwandelt",2) wird bei Typ II von Gott (dem Absoluten) geschrieben, bei Typ I und III vom Subjekt. Schon die Unpersönlichkeit von „das Heilige , „das Ganz Andere , „das Numinose", „thateron" schneidet jeden Weg zu Kierkegaard ab.3) Nicht jedoch die Wege, die zu Schleiermacher (Universum!) hinführen. Darum kommt hier der Glaubenskritizismus nicht im Frage, wohl aber ein sog. „christlicher" „Idealismus ;4) eine These, zu der sich Otto verleiten lasst durch seine Umformung der dA^eta aus Joh. 1, 17 in die „Idea der Wahrheit"; und dies,^ obwohl Johannes schreibt, dassrj aXrj&slo. (dia h]oov Xqiotov) êy évezo, welches êyévezo sich bereits selbst interpretiert durch seine Koordination mit dem êöóêr/, das vom Gesetz pradiziert wird. Mit solchen theologisch-exegetisch nicht naher begründeten Epexegetica gibt Otto wieder jeden Schein von Verwandtschaft mit dem nachkierkegaardschen Theorem von Gottes Wort als in die Krisis bringende Macht auf; wenn auch Gott „urewiger konkreter Geist" heisst, 3) dennoch „bleibt Otto in impersonalistischen Kategorien stecken" 6) ') Albr. Oepke, K. Barth u. die Mystik, Leipzig, 1928, S. 36/7 ; cf. S. 17, „die Linie des Intuitus mysticus von Kant über Fries zu De Wette, dem Baseier Vorganger Overbecks". 2) Cf. Oepke, a.a.O., 38. 3) Vgl. Ph. Kohnstamm, Schepper en Schepping. III, De Heilige, Haarlem, 1931, bl. 23. 4) Indiens Gnadenreligion, 106. 6) Kohnstamm, a.a.O., 34, cf. Otto, Das Ganz Andere (A. d. N. b.). Heft I, Religionsgesch. Reihe, 1929, S. 42-50; siehe unten. Es ist wahr, dass Otto den Sohn als Objekt der Divination des erscheinenden Heiligen bezeichnet (Heilige, 221). Aber dieser „Sohn" steht auf emer dritten i>tufe und er kommt denn auch in seiner Ausarbeitung des Begriffs der „Krisis" Gottes nicht weiter als zu der Zeichnung des „Gerichts" als „Erleben des 'Fluches der Sünde', als Vollendung der terrores conscientiae". ') In Uebereinstimmung damit werden „das ganz Paradoxe" und die „coincidentia oppositorum" mit dem „rein Erlebnismassigen", mit der „mystischen Einheitsschau" verbunden,2) denn Otto „geht in seiner Analyse des Heiligen aus vom Menschen".3) c) Aus dem unter a) und b) Gesagten ergibt sich, dass sich bei Otto wohl Begriffe entwickeln können, die dem Klange nach der (nach-)kierkegaardschen Struktur des Paradoxons innewohnen, doch dass sie sich trotzdem weiterhin davon prinzipiell unterscheiden. Und zugleich geht daraus hervor, dass solche Begriffe sich aus der bereits konstatierten Vermischung von erkenntnis-theoretischen und metaphysischen Motiven entwickeln. Wir denken hier an den „Durchbruch" des tremendum,4) an das „Hervorbrechen" 5) oder „Hereinbrechen"6) des „Ganz Anderen", usw. Aber der „Augenblick" dieses Hereinbrechens ist vom Kierkegaardschen „Augenblick' wesentlich verschieden. Denn im Kierkegaardschen „Augenblick" „wird" der Lemende zur Unwahrheit, im Otto'schen wird er Kenner seiner selbst und des deus absconditus (denn das Unfassliche ist nach Otto nicht das Unerkennbare). Im Kierkegaardschen Augenblick tritt die Ewigkeit in die Zeit, im Otto'schen gibt es „Mnêmê theou", also Selbstbehauptung. Darum ist es keine zufallige Berührung, sondern bewusst geistlich Verkehr, wenn Otto über der ersten der allgemeinen Anlage (worin 'der Geist' ist) und der zweiten des Propheten. ') Indiens Gnadenreligion, 83 (das Gericht als Erleben usw.). — O. Bauhofer, Das Metareligiöse, Leipzig, 1930, S. 196, sagt, dass das „Ganz Andere" „bei Otto mehr im Wertsinne als im Sinne der Dualitat der Transzendenz gefasst ist". 2) R. Otto, Geleitwort zu Schüej Ohasama, Zen, d. lebendige Buddhismus in Japan, hrsg. v. Aug. Faust, Gotha, 1925, S. III. 3) G. Mensching, Das Heilige im Leben, Tübingen, 1925, S. 5. 4) Otto, Das Heilige, S. 17. 5) a.a.O., 14. 6) Indiens Gnadenreligion, 51, cf. hier S. 175, Note 3. das „Hereinbrechen" des „Ganz Anderen", — selbst wenn es der eschatologischen Erwartung der Kirche ihren Inhalt gibt — mit Paul Tillichs Kairos-Begriff in Verbindung bringt.') Tillich ist dem Kierkegaardschen Krisis-Gedanken diametral entgegengesetzt; sein phaenomenologischer Realismus will die Vernunft und die Offenbarung nie einander entgegengesetzt haben; darum spricht er wohl von „Kairos" als „Zeitenfülle" (vgl. Kierkegaard!), als „Hereinbrechen des Ewigen", oder „der Ewigkeit in die Zeit",2) aber dieses Wort ist eigentlich nur ein polemischer Ausdruck gegenüber der Utopie,3) ebenso wie Ottos „Ganz Anderes" ein polemischer Ausdruck ist gegenüber dem Rationalismus.4) Kierkegaards Augenblick heisst „die Fülle der Zeit", Tillichs Kairos „erfüllte Zeit",5) aber dann nicht als Krisis über jede „Gestalt" in der Geschichte (und ware es auch die von der „Gnade"), sondern eben als „ Verwirklichung der Gestalt der Gnade"; diese Gestalt wird denn auch nicht (wie bei Kierkegaard) preisgegeben, sondern ist auf den Weg angewiesen, der „zwischen Fixierung und Preisgabe ihrer selbst mitten hindurchführt".6) Hier wird denn auch die Existenz nicht verdammt vom Unendlichen, sondern sie wird gedeutet als „Heraustreten der inneren (!) Unendlichkeit der Idee. Dieses Heraustreten aber ist Verwirklichung." 7) Hier steht der Weg offen für alle Variationen von Paradoxen des Typ I und III. Paul Haberlin, bei dem Tillichs „Schicksal", ebensogut wie Ottos „Geheimnis" und „Ahnung" und „Gefühl", wieder auftauchen, zieht aus ihrem Zusammenkommen die Konsequenz: Offenbarung, ') a.a.O., 51, Note. 2) Kairos, Zur Geisteslage u. Geisteswendung, hrsg. v. Paul Tillich, Darmstadt, 1926 (darin: Tillich, Kairos), S. 11; vgl. Erica Küppers, Zur Rel.ph. P. Tillichs, Zwischen d. Zeiten, IX, Heft 2 (1931), S. 131. 3) Kairos, 10. 4) Berkouwer, Geloof en Openb., usw., 167. 5) Protestantismus als Kritik u. Gestaltung, hrsg. v. P. Tillich, Darmstadt, 1929, (darin: Tillich, Der. Pr. als kritisches u. gestaltendes Prinzip), S. 35. 6) a.a.O., 35. 7) Kairos, 64. sagt er, hat ihren Inhalt und Sinn in der „Entdeckung Gottes''. ') Wenn Otto, der wiederholt aus 1. Kor. 2, 9 (a ó(frdalfj.b) ibidem, cf. auch 61. 5) ibidem, auch 60/1. a) Cf. Das Heilige, 37, 38, 133. sondern das Erleben im Gefühl hier den Akt des Aufstieges zur Uebergegensatzlichkeit vollzieht. So ist Otto nicht der interesselose Referent, sondern der geistesverwandte Isagog, wenn er uns in die Mystik des Ostens und Westens einführt und uns da wiederholt das Paradox begegnen lasst als Meilenstein auf dem Weg, der 1. von der Gegensatzlichkeit zur Uebergegensatzlichkeit führt. Dieser Weg ist dann 2. zugleich der von Logos nach Sigê. Und 3. werden also im Laufe von Ottos Untersuchung die Scholarchen des Westens an die Patriarchen des Ostens gefangen ausgeliefert. Man höre nur. ad 1): Ueber die Stufe des Nur-Befremdlichen und die des Paradoxen kommt der homo religiosus zu der des Antinomischen, sagt Otto. ') Freilich, das Antinomische wird hier noch als „in sich selber entgegengesetzt" ausgelegt, aber man vergesse nicht, dass das mirum hier nach Otto nur so erscheint, und zwar dem menschlichen Verstehenwollen. Aber durch diese Verbindung des zu Paradoxie und Antinomie „gesteigerten" mirum (sunyam) mit der buddhistischen Mystik, lasst Otto deutlich sehen, dass der Prozess mit den Stufen von Paradoxie und Antinomie noch nicht abgeschlossen ist; kennt ja doch der Buddhismus, über den wir noch sprechen werden, selbst nach und über diesen zwei Stufen noch eine höhere: die der Identifikation der absoluten Gegensatze, der Uebergegensatzlichkeit; man kommt dahin eben via der Stufe der Paradoxalitat (Gegensatzlichkeit). 2) Otto zieht hier sogar bewusst eine Parallele mit der Ausschaltung des principium exclusi tertii durch den Mathematiker L. E. J. Brouwer.3) Und dadurch zeigt er seine sehr starke Annaherung an die durch Piek mit Lask verbundene Auffassung, nach der „das alternative Verhalten die wahre Erbsünde des Subjekts, der Fluch seiner End- ') Das Heilige, 39. ^ 2) Geleitwort zu Ohasama-Faust, Zen, usw. VI. 3) West-Oestl. M.. 37 ; vgl. hier Kap. II, § 3. lichkeit" ist;1) Uebergegensatzlichkeit ist ja doch höchste Stufe! Wenn dann auch G. Piek hinter der Uebergegensatzlichkeit von Emil Lask den Geist der Mystik spürt (Eckart! eines von Ottos Lieblingsthemen),2) dann kann man ihm nicht widersprechen mit der Bemerkung, Lasks Logik und Geltungslehre habe nichts mit der Mystik zu tun. Nein, es laufen tatsachlich Verbindungsfaden zwischen dieser und jener Uebergegensatzlichkeit; wir weisen nur allein auf die Tatsache hin, dass Lask das gegenstandliche Ineinander von Kategorie und Kategorienmaterial als ein über den Gegensatz von Wert und Unwert erhabenes Verhaltnis bezeichnet hat,3) dass er es darum „als übergegensatzlichen Massstab den spezifischen Phanomenen der L/rfei/sregion gegenüber" gestellt hat,4) dass er diese tatsachlich „strenge Durchführung seines Kopernikanismus" mit der Wicklichkeit selbst verbunden hat,5) und so dazu kommen konnte, die unio mystica nicht nur gegen Versinnlichung, sondern auch gegen erkennendes Erfassen abzugrenzen.6) Hier gibt es in der Tat weitreichende Verbindungsmöglichkeiten, die desto mehr bedeuten je mehr sie systematisieren, was bei Otto noch unklar bleibt.7) Dass das Otto'sche Paradox, wie unklar es auch in mancherlei Hinsicht formuliert ist, trotzdem gerade in diesem Punkt, namentlich im Rahmen seiner vergleichenden Reli- ') G. Piek, Die Uebergegensatzlichkeit usw., S. 30. 2) Piek, a.a.O., 31. 3) Lask, Ges. Schriften, II, 364. 4) Lask, II, 366. s) Lask, II, 278. 6| Lask, II, 217. i) Nach Ótto ist Unbegreiflichkeit (Unfassbarkeit) nicht Unerkenntlichkeit; das geheimnisvolle, begrifflich unauflösliche Dunkel des namen bedeutet nichts weniger als seine Unbekanntheit (Heilige, 174). Das „hine kann man nach ihm deshalb nicht „erfassen durch eine Kategorie des Verstandes, weil es nur durch ein Ideogramm (u.a. Befassen) zu bezeichnen ist, als das prinzipiell Zugrundeliegende, West-Oestl. M., S. 67, S. 345/6. Der Begriff der Kategorie wird hier prinzipiell abgelehnt, vgl. 1 h. biegtried, Grundfragen der Theologie bei R. Otto, Gotha, 1931, S. 10, und: idem, gionsstudien und seiner Versöhnung von Ost und West, weitführende Konsequenzen haben muss, ist klar. ad 2): Notwendigerweise führt der Weg bei Otto dann auch von Logos über die Paradoxie zu Sigê. Der dem authentischen Christentum innewohnende Logosgedanke ist Otto, als Führer der kirchlichen Liturgie, ') natürlich von Haus aus vertraut; nach Ottos Liturgie tut das „ Wort" im Logos von Joh. 1 sogar einen „Ausspruch ohne Hülle".2) Das ist Inhalt der kirchlichen Verkündigung, hic et nunc, z. B. in Marburg. Aber im atheoretischen Leben selbst geht, via Paradoxie und Antinomie, jedes „gesunde Exemplar", der nach Ottos religionsphilosophischen Begriffen konstruierbaren religiösen Gattung doch zu Sigê über ; ob es je aktuell vom Logos ausgegangen ist, ist eine Frage für sich. Dieser Uebergang zu Sigê wird hauptsachlich gefördert durch die Herabwürdigung des Wortes in Ottos Theologie. Der Krieg, den die Mystik überall gegen das Wort zu führen pflegt, bringt auch Otto zur Betonung seiner „unausgewickelten Begriffe";3) und diese werden, auch in ihrem Expliziertwerden, dem Logos ensarkos der Evangelien, der ja als Mensch einen Lehrkatheder besteigt,4) niemals begegnen, und können Kant u. Schleiermacher, in: Marb. Theol. Studiën, 3, 1931, S. 28. Vgl. bei Otto selbst West-Oestl. M„ S. 388/9. — Für das Verstandnis der Uebergegensatzlichkeit bei Otto ist es eben massgebend, dass die Kategorie, die mit ihrer Schematisierung anfangs beim Aufbau seiner Theorie eine so wichtige Stelle bekommen hatte, am Ende seiner Entwicklung abgelehnt wird ; der Zusammenhang mit dem Theorem des „Steigerns" zum Paradox und zur Uebergegensatzlichkeit ist hier um so klarer. ') U. a. R. Otto, Zur Erneuerung u. Ausgestaltung d. Gottesdienstes, Giessen, 1926; Geleitwort zu: Das Jahr d. Kirche in Lesungen u. Gebeten, Gotha, 1927. 2) Das Jahr d. Kirche, 225/6: Das Wort in heiliger Sage u. Gesch., in Proph.- u. Jünger-Wort, Ebr. 1, 1—2, a; — in einem dunklen Wort, i. d. geschichtl. Hüllen d. Menschenwortes, 1. Kor. 13, 9—12; — das ewige Wort aus d. Herzen Gottes u. sein Ausspr. ohne Hülle, Joh. 1, 1 — 14. 3) Das Heilige, 58/9, ff. 4) „Kathizein", nach Rabbinerart, Mt. 26, 55 ; Lk. 21, 37; cf. Zahn, Exegese Mt. 23, 2; 5, 1 (Note); Strack-Billerbeck, Komm. N. T, zu Mt. 26, 55, passim, K. Schilder, Tusschen Ja en Neen, 246/7. darum auch nicht prinzipiell hinauskommen über den Unsicherheitsstandpunkt, auf dem man wandelnde DemonstrativPronomina als „reine Erzeugnisse des religiösen Gefühls selber" zur Andeutung des numen anzusehen pflegt. ') So trennen sich die Wege: der Glaubensschüler, der den Logos ensarkos auf seinem Lehrkatheder gehort und geglaubt hat, darf bei ihm sein principium exclusi tertii behalten ; er kommt über die pronomina demonstrativa hinaus, nm im pronomen personale zu endigen (ich-DU!) und um darnach prophetisch wirksam zu sein im êgayyéMeiv xag a.Qexó.Q (virtutes, nomina in der klassischen christlichen Dogmatik) xov è% oxóxovg avxbv xaléoavzog elg x6 ïïavfiaozöv avxov cpcÖQ, 1. Petr. 2, 9; das „gesunde Exemplar" von Ottos Konstruktion dagegen sieht in seinen wandelnden Demonstrativ-Pronomina nichts weniger als Schauungen prophetischer Naturen,2) und hört sich dann zwar versichern, dass sich über der Stufe des Propheten „der Sohri' denken lasse, vernimmt aber in demselben Augenblick auch, dass über der Stufe der (prophetischen) Predigt das „sacramentum silentii" 3) alsWunderder Einung selber kommen müsse, (silent worship, Quakers).4) Das ênayyélXeiv wird in diesem sacramentum silentii ersetzt durch Verschweigen;5) bei dem ersten fallt über alles Mannigfaltige fiavfiaoxöv (pcog, beim zweiten versinkt das Mannigfaltige und das heisst dann ein steiles Bergansteigen der Linie.6) Und in der Tat ist auf diesem Standpunkt diese letzte Aufïassung konsequent; anstelle des Wortes steht ja doch das Ideogramm,7) das nur ein ,,deutendes Zeichen ist, nach ') Das Heilige, 159. 3) Sünde' und Urschuld (Aufsaize, das N. betr.), 4. Aufl.. Heft II, Theol. Reihe, Gotha. 1929, S. 178; Das Heilige, 92. 4) Gustav Mensching, Das heilige Schweigen, (jiessen, iy/o, ö. öö. 5) Mensching, D. h. Schw., 10. 6) Otto, S. u. Ursch. (Aufsatze d. N. betr.), 1929, S. 177. 7) Das Heilige, 23. 37. 142, Note 2; Sünde u. Ursch. Au/s. d. N. betr., 1929, 170; Mensching, Das Heilige im Leben, 5; Heinr. lyriek, Ideogramm, Mythologie u. das Wort, (Marb. St. 3) Gotha, 1931, S. 5, ff. Otto; ') und die Analogie ist tatsachlich das einzige Mitteilungsorgan der religiösen Sprache.2) Wer also über das Wort und dessen Gegensatzlichkeit hinauskommt, „steigt" und „steigert" über Paradoxie und Antinomie hinaus. Im sakramentalen Schweigen, das selbst noch in seinem Anfang ,,einen Komplex oft widerstreitender Momente bedeutet",3) kommt man dann schliesslich nach Uebung zur Einigung mit dem ,,ewigen Grund",4) (in diesem Punkt fallt dann auch das Moment des Schweigens wieder mit der Uebergegensatzlichkeit zusammen, denn „die notwendige Bedingung der Einigung" ist die Sammlung (Vereinfachung, Haplosis); und um diese zu qualifizieren ware nach Otto das Bild von „polarisiertem Licht" noch zu stark, denn: bei „Polen" ,,denkt man an mindestens zwei Richtungen, eine positive und eine negative, wahrend hier gerade die Einheitlichkeit der Richtung gemeint ist".5) ad 3): In diesem Stadium von Ottos Entwicklungsgang wird die klassische christliche Ueberzeugung auf solche Weise mit den Religionen des Ostens „versöhnt", dass man besser von einer Preisgabe jener für diese sprechen kann. In diesem klassischen, reformatorischen, patristischen Christentum glaubt Otto in genügender Zahl Manner zu finden, die Beispiele für seine Begriffe bringen: Augustin, Luther, Paulus. Aber die Tatsache, dass Paracelsus und Böhme, Eckart und Suso und viele andere „unartige Kinder" des Christentums mit den erstgenannten auf eine Linie gebracht werden und sogar in den Vordergrund treten, zwingt bereits ohne weiteres zu dem Zugestandnis, dass diese ') Das Heilige, 251. 2) K. Plachte, Symbol u. Idol, Berlin, 1931, S. 128. 3) Mensching, Das h. Schw.. 9. 4) Sünde u. Ursch., Aufs. d. N. betr., 178. 5) Sünde u. Urschuld, u. andere Aufs. zur Theologie, München, 1932, S. 145, Note; vgl. im Text: Das Gemüt wird durch die Sammlung monoideiscb. Vgl. Jonas Cohn, Theorie der Dialektik, Formenlehre d. Philosophie, Leipzig, 1923, über bipolare u. unipolare Dialektik, 259, ff., 273, ff., (Steigerung, 275; Entwicklung, 278; Einheit v. Anlage u. Umwelt, 279), 284 (mystische Haltung, unipolar: Erlösung als Ende d. Strebens; Beziehung : Aufhebung aller Dialektik ; Bipolar: coincidentia oppositorum). bunte Reihe nur dadurch gebildet werden konnte, dass man über die tiefen Abgründe, die sie scheiden, Stege baute, die die Last doch nicht auf die Dauer würden tragen können. Schon allein die Tatsache, dass Luther und Sebastian Franck eben im Hinblick auf die Bedeutung des Wortes (Zeugnis? Analogie? Hinweis?) Antipoden waren, und dass in dem Briefwechsel, der das Vorspiel zu Francks Verbannung bildete, dieser Punkt ausdrücklich betont ist, ') ist eines der zahlreichen Arguraente, die anzuführen waren gegen Ottos viele unermüdliche Bestrebungen, die abendlandischen ,,mystici" und dogmatici einander im horror mysticus begegnen zu lassen und sie dann zusammen wieder mit Buddhisten, Hindus, Brahmanen zu verbinden. Otto selbst macht irgendwo die Bemerkung, dass die Logik der coincidentia oppositorum bei Angelus Silesius entartet.2) Aber wenn Otto „aus dem Gefühle des 'Ganz Anderen' in der Mystik den Trieb entstehen" sieht, „die via negationis zu beschreiten", um dann also die Gottheit als das Nichts und das Uebernichts zu bezeichnen,3) dann ist doch offenbar diese paradoxale Bezeichnung dem folgenden Vers von Silesius vollkommen gleich:4) Die zarte Gottheit ist ein nichts und übernichts: Wer nichts in allem sicht, Mensch, glaube dieser sichts. So entsteht die Frage, ob die coincidentia oppositorum eben als Vorstufe zur Uebergegensatzlichkeit wohl je zu verbinden sein wird mit christlichen Glaubensinhalten. Die ') z.B. die Erkl. Frechts über die bedenkl. Lehren in Francks Paradoxa, über das „eüsser (Wort) so allain ain figür und bild des innern Wortes ist": oder: Erkl. d. Schulpfleger über Francks Irrtümer; s. Alfr. Hegier, hrsg. v. W. Kohier, Beitr. z. Gesch. d. Mystik i. d. Reformationszeit, Berlin, 1906, S. 125, 132, passim. — Ueber das Symbol bei Franck, vgl. W. Dilthey, AufiFassung u. Analyse des Menschen im 15. u. 16. Jahrh., Archiv £. Gesch. d. Philosophie, Bd. V, Berlin, 1892, S. 396. 2) Das Heilige, 39. 3) Das Ganz Andere, Aufs. d. N. betr.. Gotha, 1929, S. 42. 4) Ang. Silesius, Cherubinischer Wandersmann, hrsg. v. G. Ellinger. Neudr. deutscher Lit., No. 135—138, Halle a.S. 1895, S. 24 (No. I, 111). Richter Sebastian Francks haben auf diese Frage schon ihre Antwort gegeben; als der Verfasser der Paradoxa und des Verbutschierten Buches sich für seine Theorie des „eusseren Wortes" als „zeugnus" (cf. Ottos Ideogramm) auf Tauler und Eckart berief, ebenso wie auf Luther, und zwischen diesen dreien eine Brücke schlagen wollte, ') da haben die lutherischen Theologen unter die von Franck zu widerrufenden Irrtümer auch diese aufgenommen: „Die Wahrheit lasst sich nicht schreiben" und: „Gott lehrt in einem Hui mehr als alle Schrift bis an den jüngsten Tag". (Paradoxa 78, 233), Dieser Streit gegen die Allegorie Francks wendet sich auch gegen die Analogie Ottos und auch gegen dessen „Augenblick". Dies ist nicht mehr als eine flüchtige Andeutung; aber Tatsache, dass Luther selbst Franck einen Wirrkopf nannte, beweist, dass die Frage der Uebergegensatzlichkeit bewusst seine Aufmerksamkeit hatte — weil Franck sie steilte2) — und dass er sie weder als Vor- noch als End- ') Hegler-Köhler, Beitr. usw. 148/9. txt.) DieÜ tat er umso bewusster, weil er die Ideen Denks (der aus den ^Vlde^sp^üchen der Schrift zum H. Geist hinführen wollte) anfangs bekampft hat. aber spater selbst vertrat (Verb. Buch). Auch bei F. trifft man die unmittelbare Ërkenntnis (ohne Kanal); auch die Herabwürdigung des Buchstabens als (nur) Bild, Figur, Zeiger (S. 7. der Paradoxa, ed. H. Ziegler, Jena, 1919) — Vgl. die Vorrede in „Das Verbuthschiert met siben Sigeln verschlossen Buch, usw.", Pfortzheym, bei Georg Raben, 1559 („darinn ye Sprüch Gegensprüch/ Parth Gegenparth/ als die zwen Cherubin auff der Arch/ mit jren gegenweren/ scheinstreyt vnd widerspil/ inns feld gelagert/ streyten" (Motto; Uebergegensatzlichkeit). — Vorred, S, iij, a : Weil nun kein buchstab ist der nicht ein widersprechen vnd gegenbuchstab hab/ ists darzu gut/ das wir .... ergreifen der selben geist. — S. iij, b: Chrysostomus, Origenes, Augustinus, Eucherius, Saluianus angeführt. S. iiij, a: Es dienet ye hoff ich darzu dasz du hast der Heiligen Schrifft Teütsch. Concordantz Dargegenüber . ... Discordantz — S. iiij, b : Menschlich rath/ weyszheit/ verstand/ sterck/ kunst/ forcht vnd gottlószheit/ die siben Sigil müssen hinweg vnd vom Buch gerissen werden .... [hier werden also Gottlosigkeit und Kreatürlichkeit ko-ordiniert; eine Auffassung, die geradezu unpaulinisch ist, denn 'sarx' kann sowohl „das Kosmische", besser: Vergangliche, Kreatürliche, als Sünde (Sündhaftigkeit) sein bei Paulus; und diesen Unterschied darf man niemals übersehen; Otto dagegen schreibt auch, dass bei Paulus das 'Fleisch' nichts anderes ist als die Kreaturgegebenheit überhaupt, Das Heilige, 121]. — stufe seinem Christentum hat einverleiben wollen. ') Ein grosses Material aus Kirchen- und Dogmengeschichte steht zur Verfügung um das, was von uns nur eben angedeutet wurde, breiter auszuarbeiten und um zu zeigen, dass zwischen den Heidelberger Paradoxa Luthers, die vielleicht den Titel von Francks Paradoxa beeinflusst haben,2) und diesen letzten selbst eine unüberbriickbare Kluft besteht.3) Denn Francks These „Gott, unser Pythagoras", steilte die Reformation die andere gegenüber von der efficacia und perspicuitas des Wortes (Buchstabens!) durch den Geist, der den stupor überwindet und den Enthusiasmus in dieselben Bahnen leitet, wie Christus es tat durch seine didaktische Prosa von Mark. 10, 32 (s.oben). S vi a • Wo Christus eyngehet/ musz der mensch all sein will/ weysz- heit auszqehen. - S. vi, b: So du den verstandt Christformig hinlegst/ so gehet das dritt Sigel auff. - S. vii, b: Gott hat ein eigne art vn Sprach/ in Parabolis, Allegorijs/ ratherschafften vnd verwendten rede wie Pythagoras mit den seinen zu reden .... eytel Allegori vn Rotwelsch (Pythagoras). <— S. viii.a: Also will Gott vnser Pythagoras allzeit ein anders in geheim verstanden haben dann der figürlich buchstab .... (lehrt) (cf. Ottos Ideogramm, Mvthos u. das Wort). - S. viii. a: der Heilig geist (hat) ye im scheui ja/ dan nein gesagt/ vnd die Schrifft so seltzam vnd streitig im schein/.... formiert.... dictiert/ wie auch Christus.... aufï den schlag ymerzu so oblique verschlagen/ in Parabolis vnd Allegorijs/.... redt. ~ S. vin, b : ich wolt.... nit gern das aufdecken vnd einig machen/ das der Heilig geist vor der welt [man bedenke was'sarx' heisst, K. S.] verborgen/ zudeckt/ vnd im schein .... streitig haben wil/ also/ dz sy allein in jm auszaelegt vnd zusamen in einen sinn vnd einigkeit des geists fliessen sol. — S. ix, a : Es ist beides meines Gottes schrifft. S. ix, b : war jm vermessen mit frauw klügle der vernufft in der schrifft.... umbwület.... ') Alfr. Hegier. Geist u. Schrift bei Seb. Franck, Freib. i. B. 1892, S. 55, Note. z) Hegier, G. u. S. 238. , . 3) Val. W. Dilthey, Auffassung u. Analyse d. Menschen im 15. u. 10. Jahrh., Archiv f. Gesch., d. Phil., V (1892), 396. § 5. Die Paradoxie in der östlichen Mystik. Unsere Besprechung der Paradoxie bei Otto hat schon von selbst unsere Aufmerksamkeit auf die Paradoxie der östlichen Mystik gelenkt. In Form eines Anhanges wollen wir über diese letztere noch einige Worte sprechen. In Form eines Anhanges — denn das Thema ist so einschneidend und so breit, und ausserdem dem westlichen Denken so fremd, dass wir nur ein einziges schiichternes Wort darüber zu sagen wagen. Eine ernsthafte Behandlung erfordert jahrelanges Studium von einem, der mit Geduld in die Seele des Ostens eingedrungen ist und der da in persönlichem Verkehr das Vertrauen gewonnen hat und so einen Bliek in die Tiefen des dort so vielfach anderen Lebens und Denkens werfen kann. Ausserdem — dies Buch hat den Zweck einen Beitrag zur Begriffsgeschichte des Paradoxons zu liefern. Zwar verdient die Paradoxie der östlichen Mystik einen wichtigen Platz in „einer" Begriffsgeschichte des Paradoxons, —< aber .... diese Begriffsgeschichte müsste dann eine ganz andere sein als die unseres europaischen Geisteslebens. Zwei Welten scheiden sich hier. Ein Paragraph über östliche Paradoxie in ein und demselben Buch /co-ordiniert mit anderen über westliche, das ware eine Offenbarung tragischen Missverstandnisses. Wir widmen denn auch dem Paradoxon der östlichen Mystik allein deshalb noch einen Sonderparagraphen, weil in Europa, nicht zum mindesten durch die Arbeit Rudolf Ottos und seines Kreises und infolge des zunehmenden geistigen Verkehrs, z.B. zwischen Deutschland und Japan, die östliche Mystik stets intensiveres Interesse findet und Geleaenheit bekommt, die Geister zu beeinflussen. Nun gibt es zwar auf diesem Gebiet noch sehr wenig zuverlassige Literatur, doch wird das Studium des Ostens mehr und mehr systematisch betrieben. Die Internationalisierungstendenz unserer Zeit, zusammen mit den neueren religionsgeschichtlichen und -psychologischen Ansichten gibt diesem Studium viel grössere Möglichkeiten wenigstens intellektuelles Interesse für den Osten zu wecken, als der „Indismus der Romantik es je vermocht hat. So wirkt die Paradoxie der östlichen Mystik schliesslich doch wieder auf unsere Begriffsgeschichte des Paradoxons ein, wenn sie auch, was sie selbst betrittt, daraus keineswegs erklart wird. , A. Von den verschiedenen hier in Betracht kommenden Typen nennen wir besonders, wenn auch nicht allein, den buddhistischen Typ. . . a) Grundlegend für das Verstandnis der buddhistisch- mystischen Paradoxie ist die Kenntnis der östlichen Meditation (Versenkung!). Um den heutigen Stand des Problems nicht zu verkennen, muss> man sich von sehr vielen der Auffassungen, die man im Westen uber Mystik und Ekstase überhaupt vorzubringen pflegt, frei machen. Auch von der Auffassung, die in bezug darauf von seiten der dialektischen Theologie (Emil Brunner) verteidigt wird. Wir nennen diesen letzteren, weil in seinem Kreis das „Paradoxon des Christentums dem „Erlebnis '-Charakter jeder „myst 1schen" Religion prinzipiell antithetisch gegenubergestellt worden ist. Aber wenn sich nachweisen hesse, dass das Dilemma zwischen dem Paradoxon vom Glaubenskritizismus der dialektischen Theologie einerseits und dem „brlebnis ieder (also auch der östlichen) Mystik andererseits hier nicht richtig aufgestellt ist, dann müsste die von der dialektischen Theologie versuchte Abgrenzung des Glaubensparadoxon gegen das Erlebnis ungenügend heissen. Nun L ist wirklich eine Tatsache, dass das was Brunner uber die Mystik sagt, nicht auf die ostliche Mystik, die wi jetzt im Auge haben, passt. Man denke z. B. an die buddhistische Versenkungsmystik, wie sie aus China über Korea nach Japan gekommen ist. Passt darauf Brunners Qualifikation der „Ekstase" als: „dasungefesselte Sichausleben des Gefühls" ? ') Absolut nicht. Denn Erwin Rousselle weist mit Recht darauf hin, dass im Buddhismus die Meditation u.a. erreichen lasse : einen „beruhigenden Ausgleich des einbezogenen Trieblebens" (samatha, Dschï), wobei „die Versickerung der Seele in die Sinneserfahrungen zum Stillstand" kommt, und man so in den Zustand von Erhabenheit „über Tun und Lassen, über Gewirktes und Ungewirktes" gelangt,2) in den von Wunschlosigkeit,3) Absichtslosigkeit,4) Beruhigung der Leidenschaften,5) in den Zustand von „Kontention" (unwillentliche Gespanntheit) anstelle von Konzentration (willentliche Anspannung).6) „Ungefesselt" ist bei dieser Mystik buchstablich nichts; denn allein durch zuweilen jahrelange Uebung erreicht man die Kontention und kommt über Verstand und Gefühl hinaus.') ') Emil Brunner, Erlebnis, Erkenntnis u. Glaube, Tübingen, 1923, S. 9. 2) Erwin Rousselle, Die Typen der Meditation in China, ChinesischDeutscher Almanach 1932, China-Institut, Frankf. a/Main, S. 21, 34. 3) Rousselle, a.a.O., 22, 35 u. 36. 4) a.a.O., 35; R. Otto. Ueber Zazen als Extrem des numinosen Irrationalen, Das Ganz Andere, Heft I, 1929, S. 124. Ueber die Absichtslosigkeit beim Bogenschiessen. als Form der Religion durch Meditation, verdanke ich, wie über das Ganze der buddhistischen (Zen)mystik sehr viele Besonderheiten den Vorlesungen des Herrn Prof. Dr. E. Herrigel, Erlangen, der in Sendai, Japan, Professor der Philosophie gewesen ist, und dessen Mitteilungen die Einzelheiten dieses § entweder entnommen, oder daran gemessen worden sind. s) Rousselle, a.a.O., 23, 29. 34—36. o) a.a.O., 24. 7) Auch die weiteren Bestimmungen der Mystik, so wie sie sich bei Brunner vorfinden, können keineswegs für die Mystik des Buddhismus ihre Geltung haben ; wenn z.B. Brunner vom „prinzipiellen Individualismus" der Mystik redet (S. 10), so ist dagegen die Unpersönlichkeit, die Entpersönlichung der buddhistischen Mystik anzuführen. Deshalb ist hier auch keine Rede von der „psychologischen Autobiographie", wie sie Brunner, in Uebereinstimmung mit Misch, für „die" Erlebnisreligion typisch nennt (S. 10, u. Note); denn wo das meditierende Subjekt zum „leeren Nichts" kommt und von da aus zum „vollendeten Nichts", da verliert jede Biographie ihren Sinn. — Nebenbei sei noch bemerkt, dass nicht nur in bezug auf die oestliche, sondern auch i. b. auf manche Formen der westlichen Mystik die Schilder jg b) Auf dem Weg nun, der von der Konzentration zur Kontention führt, kommt der Schüler am Paradox vorbei. Es ist ein Uebungsweg ; der Schüler muss von der Erscheinungswelt mit ihrer Gegensatzlichkeit zur Versenkung in die Uebergegensatzlichkeit kommen und wird darum durch das Paradoxon als einer unentrinnbaren Zwischenstation auf diesem langen Wege in seinem Denken, das ja zur „Einheitsschau" emporstdgen soll, „angestachelt". Diese Technik des Paradoxon hat also den Zweck, dass der Schüler soll darüber hinaus kommen können. In diesem Sinn spricht Rousselle von einer „Seelenleitung durch das Paradox. Am Gegensatz, ja Widerspruch der vereinten — meist in Form einer Anekdote gegebenen — Gedankenreihen soll sich das Aufïlammen der Erkenntnis der übergegensatzlichen letzten Einheit des Sinnes von Welt und Leben entzünden." ') Die hier dem Schüler aufgegebenen Paradoxa können also vorlaufig als eine Mischung der von uns genannten Typen I und III bezeichnet werden; denn: a) es gibt ein Skandalon der Gedanken, von dem jedoch vorausgesetzt wird, dass es „überwunden werden muss"; und b) die zu der Einheitsschau aufstrebenden Gedanken verbinden sich zu einem „richtigen Denken"; denn von den im Paradox einander polar gegenüberstehenden Satzen muss nicht der eine dem andern weichen, sondern sie sollen beide als gleiche Komponenten in- und miteinander in höherer Einheit verbunden werden, welch letztere dann wieder der absoluten Wahrheit naher steht. Diese Verbindung von Gegensatzen in höherer Einheit beherrscht den ganzen mystischen Entwicklungsgang, auch in der Terminologie. von Brunner gegebene Definition hinfallig ist, nicht zutrifft. Wenn Sandaeus den „mysticus" einen „theologus reclusus nennt (nach dem griechischen fjujtcv) Hann darf das vielleicht allzu vernünftig heissen; aber wenn er schreibt: „tune enim dicitur quis Ecstasin pati, quando ponitur extra connaturalem apprehensionem rationis ac sensus", so scheint diese Auffassung der Ekstase uns genauer als die Brunnersche (R. P. Maximiliani Sandaei pro Theologia Mystica Clavis, Coloniae Agrippinae, ex Off. Gualteriana, 1640, Cap. II. A 2, p. 3, und p. 190). ') Rousselle, 35. c) Dies gilt wohl in ganz besonderem Sinn vom ZenBuddhismus, der sich vor allem in Japan (z. T. auch in China) entwickelt hat und sich vom indischen Buddhismus in vieler Hinsicht unterscheidet. ') Wahrend der indische Buddhismus die zwei Weiten von ,,hier" und „dort" dualistisch einander gegenüberstellt, erkennt der nördliche Buddhismus (Zen-Buddh.), dass sie eins sind, dass zeitlicher und ewiger Buddha, Begierde und Nirwana, eins sind, dass es keine absoluten Gegensatze geben kann,2) und dass es also darauf ankommt, diese Einheit der Gegensatze zu „erkennen", nicht durch begriffsmassige Wort-Analyse, denn jedes Wort ist ein Hindernis, sondern in Erleben, in Erfahvung.3) Deshalb werden Fragen, die Schüler stellen, auch nicht mit „ja" oder „nein" beantwortet, eine Antwort würde sie nur hemmen, nicht auf Wissen, sondern auf Sein kommt es an. Deshalb wird auch der ganze Uebungsweg auf paradoxale W^eise gezeichnet. „Weiser ist ungelehrt, gelehrter ist unweise".4) Dharma (das ordnende Prinzip) ist ,,semper agens, semper quietus".5) Wie 'Virya' „leidenschaftliche Leidenschaftslosigkeit" ist,6) so ist bei der Kunst des Bogenschiessens (die man nur durch religiöse Versenkung in Buddha-Gemeinschaft erlernen kann) nicht ,,das Schiessen des Schiessens", sondern ,,das Schiessen des Nicht-Schiessens" das eigentliche Geheimnis;7) wie ja doch ') Karl Heim, Glaube und Leben, Berlin, J1926 (Der Zen-Buddh. in Japan) S. 138, 146 ; cf. Öhasama, Zen, D. Lebendige Buddhismus in Tapan, Gotha, 1925, Einl. S. 6/7. 2) Heim, a.a.O., 146/7; Otto, Das Ganz-Andere (Aufs d. N. betr.), 1929, S. 121, 124, 125, 127; Öhasama, Zen, Geleitwort von R. Otto, S. IV, VII; cf. ebenda, S. 14. 3) Otto, D. Ganz-Andere, S. 122. 4) Rousselle, 28. Daher das Reden in verachtlichem Tone von den begrifflichen Objektivierungen der Religion (man muss Buddha, den Patriarchen, töten, — sagt der Patriarch ; cf. Öhasama 34 ; die Buddhas schwatzen lauter Unsinn, Otto, Ganz Andere, 129, 130). Sakya-Buddha predigt 54 Jahre und sagt dann, er habe kein Wort gesprochen, Öhasama, Zen, 18/19, 42. 5) Rousselle, 21. 6) Otto, Ganz Andere, 115. 7) Rousselle, 25. „rechts und links" zu bestehen aufhören,') so ist beim Bogenschiessen das „Ziel" nicht ausserhalb, sondern innerhalb des Schützen; der Pfeil fliegt nicht, sondern bleibt, wo er ist; ebenso wie bei der Mondmeditation der Mond in das meditierende Subjekt hineinkommt und sich mit ihm vereinigt.2) Alles ist in Buddha eins. Bewegung wird Ruhe, Peripherie Zentrum, Makrokosmos Mikrokosmos. Der Weg wird Nicht-Weg, das Tor Nicht-Tor; Nicht-Denken und auch Nicht-Nicht-Denken ist das Absolute.3) <.Wie hat man ein (sehendes) Auge bei einer Frage? Blind".4) Wer denn auch beim Bogenschiessen das Ziel anvisiert, macht es verkehrt; nicht das „Zielen", sondern die vollkommene Absichtslosigkeit ist das Geheimnis. d) In diesem System ist Logos machtlos; die Uebertragung der Wahrheit wird denn auch durch Sigê vermittelt. Ist ein Patriarch ans Ende seiner Wirksamkeit gekommen, dann übertragt er seine Lehre auf seine Lieblingsschüler, mündlich, nicht schriftlich. Der schriftliche Nachlass besteht höchstens in 10—20 Satzen, die jedoch symbolisch gemeint und paradoxal verkleidet sind, und bei denen man „zwischen den Zeilen" lesen muss um die Wahrheit zu erf assen. Auch in der gewöhnlichen — vorbereitenden — Lehrtatigkeit wird das Paradoxon gebraucht; der Lehrer spricht, der Schüler fühlt, dass da etwas „hinter" seinen paradoxalen Worten steekt, und hat dann einige Tage lang darüber nachzudenken, in der bekannten Versenkungshaltung niedergekauert.5) Die Lehre ist nur der Finger, ') Otto, Ganz Andere, 127. a 2) Rousselle, 35, cf. Schindjin-Mej (Stempel des Glaubens), Ohasama, S. 68/9 und das 7. Problem. S. 99, u. 162, Note 5. Auch: Schödö-Ka, S. 77 : Gehen ist Zen, Sitzen ist auch Zen Ruhe ich, eile ich, dem Wesen nach ist alles , das Unbewegte. 3) Rousselle, 45, Ohasama, Zen, 4, 43, 54. 4\ Otto, Ganz Andere, 128; cf. die „gestaltlose Gestalt , Ohasama, Zen, 3. S. auch D. T. Suzuki, The Medit. Hall, in The Eastern Buddhist, Vol.' II, No. 1, 2 (Nov. 1922). p. 64. 5) Diese Besonderheit verdanke ich Herrn Prof. Dr. ü. Herrigel, et. S. 273, Note 4. der auf die Wahrheit hinweist, ') darum ist die Beschaftigung mit dem Paradoxon denn auch stets vorlaufïg, propadeutisch; nach Nantö und Nange (Lösung und Verstandnis der schwierigen Probleme) kommt Ködjö (übergegensatzlicheProbleme).2) e) So kommt — und zwar in einem erfahrungs-erkenntnistheoretischen Sinn — der Gedanke einer „via media" auf, in der die Wahrheit liegt; oder die These einer Versöhnung zwischen Unklarheit (als Urquell aller Irrtümer) und Nirwana; oder auch die Unterscheidung von a) das „Nichts" als Thesis (Vernichtung alles Individuellen), b) die „Scheinbarkeit" als Antithesis (Relativitat des Dies und Das) und c) die „Mittelheit" als Synthesis (Uebergegensatzlichkeit).3) f) Auf symbolische Weise wird dieser Entwicklungs- gang abgebildet. Dabei macht man von dem Yangstrich ( ) und dem Yinstrich ( ) Gebrauch. Der erste ist ein Gan- zes, der zweite unterbrochen; darum ist der erste ein Zeichen des Höheren, der zweite des Geringeren. Weil die Leevheit das Wesentliche, Wirkliche, Wahre, das Ding an sich, das Kraftige ist, wird diese mit all ihren Attributen durch den Yangstrich dargestellt; der Yinstrich dagegen bedeutet das Gestaltete, denn das ist die untere Stufe des noch in Gegensatze gefassten Lebens, das ist die Besonderung, die Wirkung, das Vordergründige, die Erscheinung, das Schwache.4) Nun kann also die erste Entwicklungsstufe durch das Zeichen dargestellt werden ; dadurch wird gezeigt, wie der Anfanger für die unio mystica empfanglich wird. Man versteht diese Symbolik, wenn man vom Trigramm des Leuchtenden ausgeht: ; hier ist der Yangstrich (das Himmlische, Wahre, Ueberindividuelle, Uebergegensatzliche) nach oben und nach unten aus dem Yinstrich des Körperlichen, Individuellen heraus- ') Ohasama, Zen, 4. 2) Ohasama, Zen, 10. 3) Ohasama, 44—46. 4) Alle hier folgende Details sind entnommen aus Rousselle, 38—45, und aus Ohasama, 124, 186, ff. getreten. Wird also der Yinstrich nach unten gebracht: ===, dann bezeichnet das, dass der Anfanger noch in den Quellen seines, Daseins an das Körperliche gebunden ist; aber das Schwache (die unterbrochene Linie) öffnet sich, sachte kann das Wesentliche bei ihm eindringen. Mit diesem Entwicklungsgrad korrespondiert nun das Meditationsbild vom Kreis, der halb weiss, halb schwarz ist (weiss entspricht dem Yinstrich, schwarz dem Yangstrich). Das Gesamtblid der ersten Stufe ist also : • Der Kreis bedeutet, dass wohl noch Schwachheit vorhanden ist (Besonderung, Individualitat), aber darüber ist doch schon platz für das Wesentliche, für die Kraft des Ueberindividuellen, Uebergegensatzlichen. Diese erste Stufe wird geheimnisvoll angedeutet in der ersten Stufe des in 5 Hymnen die 5 Stufen bezeichnenden Problems von Rjökwaï von Tösan (807 ■—869 n. Chr.): Zur dritten Nachtzeit oder zur etsten Nachtzeit, [bevor der Mond leuchtet. Da ist es nicht verwunderlich, wenn einander [Begegnende sich nicht erkennen, Und doch bleibt, verborgen, eine Spur des vergangenen [Tages erhalten.') Die erste Zeile bedeutet die Nacht der Kontemplation; es ist für den Schüler noch dunkel, der Mond der Wahrheit ging noch nicht auf. Darum verschwinden wohl alle individuellen Unterschiede der Erscheinungswelt (2. Zeile); aber zum Durchbruch kam es noch nicht; das vorausgeaanaene Leben wirkt noch nach (3. Zeile). Darnach folgt jedoch die 2. Stufe. Sie verhalt sich der ersten gegenüber antithetisch; die erste war „Besonderung (Individuation) im Wesentlichen," die zweite wird „Wesentliches in der Besonderung". Dieser Gegensatz nun spiegelt sich wieder im Symbol ab. Alles wird umgekehrt; das i) Die Uebersetzung von Öhasama, 124/5, wird übernommen; Rousselle übersetzt ein wenig anders, 40, ff. oberste Symbol wird nun ===, um auszudrücken, dass jetzt in die Quellen des Daseins (das unterste) das Kraft-Element eingetreten ist (die ununterbrochenen Yangstriche) und dass nun von dieser Tatsache aus der Yinstrich der noch zurückbleibenden Schwachheit und Gegensatzlichkeitsempfindung richtig erkannt werden kann. In der Kreisfïgur macht auch alles eine Umdrehung: das Schwarze (die Kraft) kommt nun unten, das Weisse oben zu liegen. Diese zweite Stufe wird wieder in einem Geheimwort ausgedrückt: Eine alte Frau, die den Morgen versaumte, steht [dem uralten Spiegel gegenüber. Sie spiegein sich wider ') in völliger Klarheit, fda ist kein Wirkliches mehr. Lass davon ab, schon wieder den Kopf zu verlieren [und Schatten zu „erkennen". Das heisst: nach der Nacht der Kontemplation kommt der Tag mit seiner Verschiedenheit und Gegensatzlichkeit wieder; wie ein Spiegel und der Gespiegelte Gegensatze sind, so verhalt es sich am Tage auch für den Menschen; aber er, das Spiegelbild, sowohl als der Spiegel selbst, sind auf der 2. Stufe „alt": die Kontemplationsarbeit der ersten Nacht ist glücklich überstanden (1. Zeile). Darum stehen Spiegel und Gespiegelter wohl einander gegenüber (Gegensatze), aber das ist doch keine Wirklichkeit mehr: die Verschiedenheit ist eigentlich schon im Prinzip aufgehoben (2. Zeile). Darum darf der Schüler sich auch nie mehr weismachen lassen, dass Spiegel und Abgespiegelter, oder auch Abbild („Schatten ) und Urbild Gegensatze sein würden: sie sind identisch (3. Zeile). Jetzt kommt die 3. Stufe. Hier ist der Schüler zu „dem ') Rousselle, S. 41, übersetzt: „Obwohl sie ganz klar einander gegenüberstehen -und meint damit also Frau und Spiegel, die einander gegenüber- stehen. Öhasama-Faust hingegen lasst Frau und Spiegel sich widerspi'eoe/n. Weil aber Frau und Spiegel beide Symbol der Gegensatzlichkeit sind, sagen beide Uebersetzungen sachlich dasselbe aus. Wesentlichen" durchgedrungen; deshalb kann der Yangstrich dominieren und das Trigramm kann zu einem Hexagramm werden. Aber beim Eintreten in diesen neuen Zustand von Kraft ist der Schüler noch velativ schwach ; er ist zu vergleichen mit einem Balken, der wohl stark ist, aber sich noch durchbiegen kann ; er weist unten und oben noch schwache Stellen auf (Yinstrich). Wir bekommen also dieses Bild: WM. Und dem entspricht das Meditationsbild : Der Kreis zeigt nach der Peripherie zu noch das Weisse (Schwache), aber der Kern ist_bereits schwarz (Kraft); das Ganze wird also nun so: . Jetzt ist der Schüler im „(leeren) Nichts", d. h. in dem Zustand, wo er ganz „leer" von den Gegensatzen in Denken und Willen ist (und also zum Wesentlichen kommt, zur Wahrheit, zum Yangstrich). Aber das „leere Nichts" ist noch blosse Vorstufe; der Weg zu dem „vollendeten Nichts" muss nun noch gefunden werden. Dieser Charakter der Vorlaufigkeit des „leeren Nichts wird so ausgedrückt: Es gibt inmitten des Nichts einen Pfad, der aus [dessen Staub heraus führt. ') Wahrlich, denn er macht unfahig, gegen gültiges [Gesetz zu verstossen ; 2) Und er macht auch überlegen dem zungenschneidenden [Rhetor aus der letzten Dynastie. Ist das „leere Nichts" eine Vorstufe, dann muss man sie verlassen; denn das „leere Nichts" ist wohl Gleichheit, durch Verbindung der Gegensatze, aber auf dieser Stufe ist das noch eine blosse Abstraktion (1. Zeile). Nicht nur passiv soll der Schüler die Gegensatzlosigkeit erleben, sondern auch aktiv die Gegensatze wieder zu einer posi- 1) Rousselle : einen Weg. der trennt vom weltlichen Staube", S. 42. Aber weil auch nach ihm der „weltliche Staub der Staub der 3. Stufe selbst ist. liegt auch wieder sachlich kein Unterschied vor. 2) Rousselle stellt die positive und die negative Ausdrucksweise um: „ist man nur fahig, nicht zu verletzen die geitenden Verbote tiven Einheit verbinden (im „vollendeten Nichts"); darum muss man den in der 1. Zeile angewiesenen Pfad betreten ; dann wird man absolut frei und hat kein geschriebenes Gesetz mehr nötig (2. Zeile); instinktiv wird nun recht gehandelt. Man ist nun über das armselige, alles in Gegensatze fassende Wort hinausgehoben, und braucht es also nicht mehr zu machen, wie der Vater, der die Zunge seines Sohnes verwundete, damit dieser nicht, wie der Vater selbst, wegen seiner Worte vom Kaiser getötet werden sollte (3. Zeile). M. a. W.: der Konflikt zwischen Wort und Wort, zwischen These und Antithese, ist nicht beseitigt durch Aufopferung der Thesen zu Gunsten der Antithesen, oder umgekehrt; nein, man ist dem Niveau, auf dem die Zunge noch zu beschneiden ware, „übetlegen". Die 4. Stufe bildet wieder einen Gegensatz zur 3., wie die 2. zur 1. War die 3. ein „Heraustreten" (namlich aus dem leeren Nichts, der blossen, abstrakten Gleichheit), so ist die 4. eine Ankunft (namlich in Kreuzung oder Vereinigung): ') Die zwei gekreuzten Schwertklingen dütfen [nicht getrennt werden. Ein starker Arm is ja wie Lotos im Feuer; Er tragt in sich den Geist, der kühn zum [Himmel stürmt. Der durch die 3. Stufe gegangene Mensch lernte instinktiv recht tun; deshalb ist er jetzt imstande, heilend auf die Welt einzuwirken; er kann und muss sich darum auch nun aus der Kontemplation heraus zum bunten Leben wenden und die Schwerter von Gleichheit und Verschiedenheit, von Kontemplation und Aktivitat, von Selbsterhaltung und Weiterhaltung für die Dauer verbinden ' (1. Zeile). Nirwanaverlangen und Mitgefühl mit dem Schmutz der Welt verbinden sich; nicht der Lotos im Wasser, der verwelkt, sondern der im Feuer, der unverwelklich ist,2) ') „Kreuzung", nach Ohasama-Faust, „Vereinigung" nach Rousselle. 2) Ohasama. 88, 152 (dort Note 94). stellt das Bild des Menschen der 4. Stufe dar (2. Zeile). So wird er zu einem Erlöser anderer, zur patriarchalischen Figur, zum Retter, der zum Himmel weist und hinauftragt (3. Zeile). Darum ist sein Hexagramm denn auch ein Zeichen der Harmonie der Gegensatze: lËH; es ist die Umkehrung vom Hexagramm der 3. Stufe; denn die Kraft (2 Yangstriche) tritt jetzt oben und unten auf; das Wesentliche, das Uebergegensatzliche hat also die Individualiteit des Yinstriches ganz und gar umschlossen. Und das Meditationsbild kehrt denn auch das Schwarze nach aussen; das Ganze wird also: So wird schliesslich die 5., letzte Stufe erreicht. Das Bild wird nun so: Man sieht hier unmittelbar, dass das Trigramm des Leuchtenden, wovon wir bei der Erklarung oben ausgegangen sind, (^^), hier einfach vetdoppelt ist; denn der Schüler ist nun zum „vollendeten Nichts" eingegangen, worin alle Leerheit und Abstraktion einer konkreten, positiven Erfüllung mit dem Wesentlichen, Wahren, Uebergegensatzlichen Platz macht. „Die starken Striche treten zugleich im Inneren wie im Aeusseren auf, die schwachen Striche sind eingebettet in ihren Zusammenhang, Nirvana und Wandelwelt sind eins geworden." ') Die Gegensatze haben einander vollkommen durchdrungen. Das Meditationsbild zeigt in Uebereinstimmung damit, dass sich nicht mehr Weiss oder Schwarz nach oben oder unten in Gegenstellung befinden (1. und 2. Stufe), denn sie reichen beide sowohl nach oben als nach unten, sowohl nach Alltag als nach Nirwana; sie stehen auch nicht mehr zueinander in einem Verhaltnis der gegenseitigen Verdrangung, des Kampfes um den Platz im Zentrum oder an der Peripherie (3. und 4. Stufe), sondern sie berühren beide sowohl das Zentrum ') Rousselle, 44/5. als die Peripherie. Es ist vollkommene Einheit vorhanden, alle Gegensatze sind zur Einheit verschmolzen, die coincidentia oppositorum ist permanent geworden. Wer kann mit dem Eins werden, der weder hinneigt [zum Sein noch zum Nichtsein ? Wer alle weltlichen Ströme überschritten zu [haben wünschte. Der fande sich wohl zum Ausgangspunkt zurück [und sasse inmitten seiner Kohlen. Keine einzige„Seite"desLebenswird mehr bejaht auf Kosten der anderen, die dann verneint werden würde (1. Zeile). Darum soll auch kein „Jenseits" auf Kosten des „Diesseits" begehrt werden (2. Zeile), denn der Weise kehrt nach all den Uebungen zu seinem Ausgangspunkt zurück, d. h. zu dem Schmutz und Kot (Kohlen) des Alltags (3. Zeile). Er ist ein anderer Mensch geworden, aber er kehrt mit seiner Absichtslosigkeit und Uebergegensatzlichkeit wieder auf die Erde zurück; er weiss, dass vom Absoluten aus gesehen, der von ihm vollbrachte Kreisgang wertlos war, und doch auch wichtig, denn er ist mit Buddha eins geworden und weiss das. g) Diese interessante Uebersicht, entlehnt von ÖhasamaFaust und Rousselle, zeigt also, dass die Paradoxie des Zen-Buddhismus einem Gedankenkomplex entsprungen ist, der genau auf der entgegengesetzten Seite vom (nach-) kierkegaardschen System liegt. Paradoxie setzt bei Kierkegaard einen Kontrast zwischen „oben" und „unten", Ewigkeit und Existenz, voraus und fordert eine ununterbrochene Leidenschaft, das Eine zu sehen, wie auch das Andre, in ihrem radikalen Anders-Sein. Hier jedoch ist die Paradoxie ein technisches Hilfsmittel um zu einem Zerbrechen dieser Leidenschaft, zu ihrer Verspottung, zum völligen Verwischen des Kontrastes zu kommen. Weder Krisis noch Diakrisis werden hier im Paradox gesehen; man sieht darüber hinaus und hinweg, sie müssen verschwinden. Darum können wir jetzt, nach dem unter d) Gesagten, weiter kommen, als es unter b) möglich war. Dort haben wir vorlaufig die Paradoxie im Zen-Buddhismus als eine Mischung der Paradoxie des Typ I und der des Typ III bezeichnet. Aber jetzt bemerken wir, dass diese vorlaufige Rubrizierung unvollstandig ist. Nannten wir (Kap. II. § 3) Typ I obstruktiv, Typ II destruktiv, Typ III konstruktiv für das „spekulierende" Denken, so können wir jetzt das buddhistische Paradox ihnen gegenüber als einen Typ IV abgrenzen, weil es ein Meilenstein ist auf dem Weg zur Stvuktuvlosigkeit des Denkens (und Empfindens). Typ IV ist ebenso wie Typ I ein Moratorium für den Denker, aber dann so, dass I die Jagd nach der Struktur, IV die ]agd nach der Strukturlosigkeit zu einem Aufenthalt zwingt. Im Typ IV wird ebenso wie im Typ II eine „Krisis" über das existentielle Denken vollzogen; aber so, dass II mit dem Kerygma der Leidenschaft, und IV mit dem der Leidenschafts- und Absichtslosigkeit zur Existenz zurückkehrt. Typ II verdammt die Existenz also, weil bei ihm vorausgesetzt wird, sie besitze als Krankheitskeim eben dasselbe, womit IV sie zuletzt als mit der einzigen Medizin segnen will. Typ II und IV verurteilen beide die Naivitat und die Intuition innerhalb des anfanglich gegebenen status quo des menschlichen So-Seins, aber dann so, dass Typ II Naivitat und Intuition in dem uns aus Kap. II, § 1 bekannten, immer wiederkehrenden „Augenblick" unter demselben Urteil stehen sieht, worunter nach ihm auch alle Reflexion und Meditation beschlossen ist; Typ IV dagegen verurteilt Naivitat und Intuition nut in dem status quo des noch ungeübten gegensatzlich gefassten und fassenden Lebens, aber spater werden bei ihm Naivitat und Reflexion in der mystischen Uebung miteinander verbunden, und in der 4. und 5. Stufe wird sogar eine gesteigerte Reflexion mit einer völlig autarken Naivitat vereinigt, namlich in dem Geübten, der durch den „Augenblick" des Wahrheits-Schocks hindurchgegangen ist. Und endlich: Typ III und IV führen beide das Denken durch den Widerspruch zum „Richtigen" ; aber so, dass III den aus den enantiologischen Elementen gewonnenen Einheitsbegriff flktiv, diese Elemente selbst dagegen reell nennt, wahrend IV diese Elemente als fiktiv sehen, aber die gewonnene Einheit als höchste Realitat, als Buddha, anerkennen lehrt. Denn wer in das „vollendete Nichts" gekommen ist, der kam in das Nirwana, dies aber tut sich jetzt auf als das „unmittelbare Diesseits". ') Er ist jetzt vom Buddha erfüllt, ist mit ihm eins geworden und weiss, dass alles wahr ist und auch nichts. Er ist über „ja" und „nein" erhaben: „Mumon Kwan" — d.h. „Tor des Nicht-Tores (1228).2) Abendlander tun gut daran nicht zu vergessen, dass diese Uebergegensatzlichkeit kein „ab~ straktes" philosophisches Theorem ist, sondern das Leben, in seinen grossen Entscheidungen, auch über Tod und Leben, beherrscht. Ein Soldat, der noch die Frage von Tod oder Leben steilte, ehe er in die Schlacht hinauszog, bekam von einem Zen-Lehrer zur Antwort: „Das eine Schwert blinkt schauerlich am Himmel, wo die zwei Gege: satze zerschlagen wurden. '3) Dieser Uebergegensatzlichkeitsgedanke beherrscht eigentlich das ganze Leben, das ja doch in all seinen Aeusserungen tausendmal starker von der religiösen Ueberzeugung getragen wird, als es im Westen auch nur vermutet werden kann. Malkunst, Ritterspiel, Schauspiel, Blumenstecken, Tuschmalerei, Bogenschiessen — so et was heisst im Westen „1 art pour 1'art" oder Expressionismus ') Öhasama, 132, vgl. oben die letzte Meditationsstufe. Das Nirvana darf nicht ausschliesslich als transzendente Realitat verstanden werden. Cf. Öhasama, 79, zwei Ringe am Stabe des Mönchs, ihr Zusammenklingen ist Symbol der Identitat der irdischen mit der himmlischen Wahrheit, u. d. Mönch, der das Erlebnis gehabt hat, hat dadurch die sechs Wunder des Nichtverwunderlichen erlebt. 140. Vgl. über den mystisch-paradoxen Charakter d. Nirvana, Otto, West-Oestl. M. 197. 2) Öhasama, 53/4, cf. 92. Analoge Ausdrucksweisen: Gestalt des Gestaltlosen, Denken des Nicht-Denkens, 63; Wunder des Nichtverwunderlichen, 140. 3) Öhasama, 50. Hieraus wird das „hara-kiri verstandlich, im Falie einer Meinungsverschiedenheit mit dem Kaiser, nach verübtem Unrecht (vollkommene Wiederherstellung der Ehre), nach dem Anblick des heiligen Berges, u. s. w. Cf. Hakuins NTeditationshymnus: „When are we able to get away from birth-and-death" ? (The Eastern Buddhist, II, No. 1, 2, Nov. 1922, p. 49). S. ebenda, die letzte Strophe (the path of non-duality and non trinity, the Not-particular in particulars, usw.). oder Zeitvertreib oder Zierkunst oder Sport oder etwas anderes. Hier ist es Religion und das Uebergegensatzlichkeitsdogma, das sich dem Einzelnen nur in Erfahrung zu erleben gibt, (um dann zugleich aufzuhören „Dogma" zu sein), beherrscht alle diese Lebensfunktionen bis an die Wurzel. ') h) In diesem Schema kann man denn auch das paradoxale Verfahren nicht mit einer bestimmten Formel kennzeichnen. D. T. Suzuki2) unterscheidet in der Zenistischen Lehrmethode die verbale von der direkten Methode, und rechnet zu der ersten : 1.) Paradox; 2.) das Verlassen der Ebene der Gegensatze, „going beyond opposites"; dies wird dann von ihm mit der mystischen „via negationis" verglichen (somehow!);3) 3.) Kontradiktion (der Lehrer verneint, implicite oder mit klaren Worten, was entweder er selbst oder ein anderer konstatiert hat); Ja und Nein wechseln also einander ab ; 4.) (eine bestimmte Form von) Affirmation (scheinbar unsinnige affirmative Aussprüche, so z.B. wenn der Lehrer auf eine Frage, was Buddha sei, antwortet: I know to ') Auch in der „Ethik"; man könnte mit Kierkegaard behaupten, dass diese uns zum Narren halt. Das „Kwatsu" (s. unten) lasst die Wahrheit erleben, die auch scheinbar wertfeindliche Gegensatze aufhebt, Öhasama, passim. „Die Heckenwand um den Abort" (97) ist die Wahrheit; als Hecke ausserlich schön und gut, aber innerlich auch das Hassliche, Gemeine (Abort) umfassend, 160. D. Gegensatze von „heilig" und „unheilig" werden „überwunden" in „Ueberheiligkeit", im konkreten Leben, 168. VomGegensatzlichen darf kein Hauch beibehalten w„ 66, niemand darf Richter des Gegensatzlichen sein, 68; „mein Tun steht einmal im Widerspruch, das andere Mal in Einklang : selbst die Himmlischen sind ratlos darüber", 83. Um diesen letzten Ausdruck fassen zu können, bedenke man das in S. 275, Note 4 Gesagte, und auch die Paradoxie des ironischen Tadels (oder Lobes), der nicht nur das Umgekehrte bedeuten will von dem, was buchstablich gesagt worden ist, sondern auch wieder konsequent über Lob und Tadel hinausführen will. Beispiele: Öhasama, 29, 99, 169, 184, 161. Buddha heisst Schelm, ein Patriarch erklart, er hatte ihn gern bei der Geburt getötet; jemand morden (seine Individualitat hinwegnehmen) bedeutet: ihn retten, 171, 169. Von der übergegens. Wahrh. hangt auch Buddha ab. 164, 64. In Bezug auf das Gesagte über Tuschmalerei, Schauspiel, usw. verweise ich auf S. 273, Note 4, und S'. 276, N. 6. 2) Daiseth Teitaro Suzuki, Essays in Zen Buddhism, London, 1927, First Series, 257. 3) Suzuki, 260. play the drum, rub-a-dub, rub-a-dub). ') Der Zweck dieser Lehrmethode ist, darzustellen, dass schliesslich alle Spekulation, die ja doch auch noch immer in Negation, Paradox, Kontradiktion, Affirmation mitspricht, aufhört; 5.) Wiederholung, Repetition (der Lehrer wiederholt die Worte des Schülers um ihn verstehen zu lassen, dass Worte eines anderen ihm nichts helfen, dass sein eigener Geist die Wahrheit aus sich selbst finden muss, sich selbst zum Echo werden muss); 6.) Exklamation (der Lehrer lasst nun alle Worte weg, gibt einen unartikulierten Schrei von sich, wie Kwan, Kwatsu, und begleitet diesen Ausruf zuweilen mit einer Ohrfeige oder einer anderen unerwarteten Gebarde, um so den Schüler in einem Schreckensmoment akut in die Wahrheits-Schau zu versetzen.2) In diesem Schema herrscht also der Grundgedanke aus dem Problem von Hekigan-Loku, Nr. 3, vor : „was 'so' ist, das ist wahr; was nicht so' ist, das ist ebenfalls wahr; .... was so' ist, das ist unwahr; was nicht 'so' ist, das ist ebenfalls unwahr".3) Wenn nur diese allgemeine Theorie dem Schüler beigebracht wird, so gibt die padagogische Tatigkeit unendlich vielen Schattierungen Raum. Im allgemeinen ist die Bejahung eine „Freilassung", die Verneinung eine „Festhaltung , die Ueberwindung des Gegensatzes beider die Förderung des Schülers zu hoher Einsicht.4) Ein Ding heisst erst A, dann nicht A, darnach sowohl A, als Nicht-A, endlich weder A, noch Nicht-A.5) i) Weil es hier auf keinerlei Dialektik oder Logik ankommt, sondern eben auf deren Ueberwindung, ist in diesem System das Wort „Gegensatz" immer cum grano salis zu nehmen; man muss es von aller wissenschaftlich-logischen Bestimmung ') Suzuki, 269. 2) Suzuki, 278, ff; Öhasama, passim. 3) Öhasama, 108. r lu6.ha^a'i WK D*Se 6" „Stufe war 1922 v°n Suzuki (Eastern Buddhist, Vol. I. No. 5, 6) mit „Actions bezeichnet worden, p. 344. r , 2t6i°\tV91 lnAufs' über The Meditation Hall, The Eastern Buddhist, Vol. II, Nov. 1922, p. 56, (über Lieh-tze) frei halten. Die vom Schüler zu überwindenden Gegensatze können durch die Schulformel von A und non-A, aber auch durch die Symbole von Rinderkopf und Pferdekopf ausgedrückt werden; ') „Gegensatz wirdhier nahezuidentisch mit „Differenzierung". Auch kann die Beziehung UrbildAbbild damit gemeint sein,2) oder die von oben und unten, von Ursache und Wirkung, von Position und iuxta-Position usw.; darum hat der Turm der Wahrheit denn auch keine Fugen; und dieser fugenlose (wörtlich nahtlose) Turm liegt „im Süden von Schö und im Norden von Tan , bedenkt man, dass Schö im Süden von Tan gelegen ist, dann kann man sagen, dass der Turm südlich von München und nördlich von Berlin liegt: nirgends im Raum.3) j) So ist diese Paradoxenjagc? eigentlich das wichtigste Lehrmittel der resolutesten und radikalsten Paradoxenflucht, die die Welt je gekanrit hat. Hier gilt die Regel: das Paradox um das Nicht-Paradox, das Ueber-paradox, das Ueberdoxale überhaupt. B. Ein kurzes Wort möge noch über die indische Mystik folgen. Insofern diese buddhistisch ist, unterscheidet sie sich von der nördlichen (China und Japan) auf allerlei Weise, weil der Typus der indischen Religion ein ganz andere'r ist.4) Und dazu kommen dann noch die vielen anderen Formen von Religion, die im Sammelnamen Indien einbegrifïen sind. Wir können hier nur einige kurze Bemerkungen geben; mehr wagen wir nicht wegen der grossen Vorsicht, die einem Teil der bestehenden Literatur gegen- über geboten ist. a) Die vedische Literatur spricht gleichfalls wiederholt in Paradoxen. So wird das Symbol von einer Kuh ge- <) Öhasama, 110, cf. 172. i 2) ibidem, Original u. Spiegelbild; von hier aus wird das S. 279, Note 1 Gesagte bestatigt. 4) Kaken™Nukariya? The Religion of the Samurai (a Study of Zen Phil. and Discipl. in China and Japan), London, 1913 (-Luzacs Onental Rel. Series, IV), p. xvii, sqq. (small vehicle, large vehicle, s. Öhasama, S. 6/7,46,142, ff.) braucht, die mit ihrer Milch identifiziert wird, ') oder das Lehrbild von einera Kalb oder von Kindern, die ihre eigenen Eltern erzeugen,2) von Agni, der in seinem Alter jung heisst,3) oder das Gleichnis von einer „Hülle", die „ruht" und „geht und leckend isst",4) von Zauberkohlen, die „versengen obwohl sie kalt sind".5) Aber dergleichen Paradoxa in Symbolen oder Gleichnissen haben mit der Paradoxie der Wahrheit ebenso wenig etwas zu tun, wie das a.Qviov éozög (bg êocpayfiêvov in der Apokalypse des Johannes.6) b) Von grösserer Bedeutung ist es, dass die Vedantaphilosophie der Brahmanen, ebenso wie die buddhistische, Kontemplationsübungen kennt, und darin ebenfalls begehrt zur „Einheitsschau" kommen zu lassen. Auch hier muss das Viele zu Einem werden und alle Andersheit als Entgegengesetztheit verschwinden, auch hier wird der Satz des Widerspruches ausgeschaltet und tritt die Identitat der Gegensatze auf. Und auch hier lauft der Prozess auf eine Identifikation des Schauenden mit dem Geschauten hinaus.7) Auch hier heisst (bei Sankara) Gott das „GanzAndere' , „vor dem die \Vorte kehren um",8) aber zu- ') Hermann Grassmann, Rig-Veda, übersetzt u. m. kritischen u. erl. Anm. versehen, II, Leipzig, 1877, S. 458. 2) A. A. Macdonell, Vedic Mythology, Strassburg, 1897 (Grundriss d. Indo-Arischen Philologie u. Altertumskunde, hrsg. v. G. Bühler, III. Bd., 1. Heft A), S. 12, 46. — K. F. Geldner, Der Rig-Veda, übers. u. erkl., I, Erster bis vierter Liederkreis, Göttingen, 1923, S. 111/2, Strophe 4. 3) Macdonell, 91. 4) Cf. H. Grassmann, Rig-Veda, übers. II, Leipzig, 1877, S. 292, cf. K. F. Geldner, Der Rig-Veda in Auswahl, II, Kommentar, Stuttgart, 1909, Register (Lied X, 4, Vs. 4). 5) Grassmann, II, 321 (Lied X, 34, 9). Vgl. noch Geldner, R. V. üb. u. erl., I, 385/6, u. Komm. S. 65; — Grassmann, II, 292, Lied X, 4, 5; — Grassmann, I, (Leipzig, 1876), 369, über Lied VII, 89. 6) Siehe Macdonell, über the notion of parentage, p. 11/2, über das Ineinander von verschiedenen Vorstellungen und Benennungsarten, p. 46, u. s. w. — Ueber das Ausgleichen v. Widerspr. i. d. Veda-Text: H. v. Glasenapp, Madhva's Philosophie d. Vishnu-Glaubens, e. Beitr. z. Sektengesch. d. Hinduismus. Bonn u. Leipzig, 1923 (= Geistesstr. d. Ostens, hrsg. v. W. Kirfel, Bd. II) S. 10/11. 7) R. Otto, West-Oestl. M. 58, 59, 60, 61, 62, 65, 68, 73, 76, 115. 8) Otto, a.a.O., 16. Schilder ]9 gleich wird diesem „Ganz-Anderen" alle „Krisis'-Kraft abgesprochen, weil die „Durchbruchs"-Theorie (vgl. den psychischen Schock beim Zen-Schüler) auch hier wieder auf die These der Empfindung von Gemeinsamkeit mit Gott hinauslauft. ') Die Einheit Atmans mit Brahman führt auch hier zur Verwerfung des „Unterschieds-Wahnes".2) „Trug schaut, wer Zweitheit schaut".3) cj Ohne nun weiter auf die vielen sehr weit auseinandergehenden Schulen, die hier Aufmerksamkeit erfordern, einzugehen, konstatieren wir nur, dass auch hier Verwandtschaft mit der Problemstellung des Buddhismus vorhanden ist, und darum auch Anlass für parallellaufende Paradoxie. Diese Parallelie braucht nicht geleugnet zu werden mit der Bemerkung, der Buddhismus kenne keinen Brahman (All-Stoff) und keinen Atman (Ich-Stoff), und verneine damit die beiden Pole, zwischen denen die Mystik sich zu bewegen pflegt.4) Denn hier wird vergessen, dass in einer Religion, die prinzipiell, in ihrer Lehre, für die Einheitsschau in so radikalem Sinn, wie wir sie oben auftreten sahen, Platz macht, dass da dieses „sich bewegen" zwischen den genannten „Polen °) aufhört ein ') Otto, a.a.O., 21. Vgl. noch Otto, W. O. M., Logos, XIII, 16—19. 2) R. Otto, Siddhanta des Ramanuja, Jena, 1917, S. 16/7.^ 8) Otto, Siddhanta, 27. Vgl. R. Otto, Dipika des Nivasa, e. indische Heilslehre, Tübingen, 1916, S. VII („das Leere zu erfüllen mit dem, was jenseits von 'Sein u, Nichtsein' die... Welt d. ewigen Wahrh. ausmacht ), S. 45 (über Bhagavants Heilsleib: „Verstand spielt Diskus, geistlich ist des Schwertes Sinn und seiner Scheide Der Ichheit Paar mit ihren Guna's schwingen den Bogen samt Muschel ; Schwert = Erkenntnis ; Scheide Unerkenntnis ; Bogen = Dunkelheits-Ahamkara; Muschel = Güte-Ahamkara). S. 48 (Erkenntnis ist Ding u. Nichtding zugleich). 4) W. J. Aalders, Mystiek, haar vormen, wezen en waarde, GroningenHaag, 1928, S. 88. Siehe hingegen D. T. Suzuki, Why do we fight ?, in The Eastern Buddhist, Vol. I, No. 4 (Nov.-Dec. 1921), S. 270: „the evil, in its various forms, is rooted in the erroneous conception of ego-soul, or in the fixed idea of an individual soul-substance (atma). When this is removed, the positive notion of universal brotherhood and of the oneness of all things in the Dharmakaya or the Law-Body will assert itself freely and gloriously". Suzuki ist Professor des Zen Buddhismus in Kyoto, Japan. 5) Die i,Polen-Theorie", wenn so betont, scheitert schon an d. Lehre v. e. höheren u. niederen Brahman, cf. Otto, NV. Oest.-M., 12, ff. konstitutives Element in der Mystik zu sein, weil es ja dazu bestimmt ist, überwunden zu werden. In dieser Einheitsschau selbst sehen wir denn auch lieber das tertium comparationis, oder genauer gesagt: in dem Platz-Machen dafür. So ist zugleich klar, weshalb uns bei aller Anerkennung der reichen Pluriformitat der indischen Religion, dennoch die Frage ihrer Paradoxie nicht langer aufzuhalten braucht, namlich weil diese auch hier, eben durch das prinzipielle Platz-Machen für die Einheitsschau, nie radikal, nie metaphysisch, nie erkenntniskritisch, sondern allein technisch-mystagogisch sein kann. C. Vielleicht dürfen wir hier warnen vor zu schnell gezogenen Parallelen mit dem Christentum, auch mit Eckart, Suso und anderen. Otto hat solche (hauptsachlich formale) Uebereinstimmung aufgezeigt, aber daneben auch ausdrücklich einen materiellen Unterschied sehen lassen. Doch besteht, auch bei ihm, die Neigung, diese Unterscheidung zwischen formaler und materieller Analogie nicht ganz konsequent ins Auge zu fassen. Suzuki, der vom Buddhismus ausgeht, findet gleichfalls Parallelen zwischen zenistischer Mystik und Eckart, auch betreffs des Paradox. ') Und, um nicht mehr zu nennen, Krishnamurti hat in Ommen behauptet, zwischen Anker Larsen (der als Gast in Ommen anwesend war) und ihm selbst sei u.a. die Erfahrung von „completeness" gemeinsam, d.h. ein Zustand von „Vollstandigkeit", worin sie beide, der Abendlander und der Morgenlander, ausser- und oberhalb aller Phasen von Gegensatz (z.B. von Tilgung oder Fortbestand der menschlichen Persönlichkeit, oder von Subjekt und Objekt usw.) stünden.2) Hier ist grosse Vorsicht am Platz. Westen und Osten liegen weit auseinander, lagen es auch in den Tagen von ') Dies tut er nicht nur in seinem schon erwahnten Buch, S. 114, 271. passim, sondern so tat er auch in „Some Aspects of Zen Buddhism", The Eastern Buddhist, Vol. I, Nos. 5 6 6, May 1922 (publ. for The Eastern Buddhist Society, Kyoto, Japan), p. 343, 345, 355, cf. Vol. II, No. 1 u. 2 (Nov. 1922), p. 33, 56 (Christus). 2) Nieuwe Rotterdamsche Courant, 6. Aug. 1932, Avondblad B. Vgl. über Gegensatz das hier unter h) Gesagte. Ummon und Eckart. So wie ein Europaer Ummon nicht versteht, es sei denn, dass er „in des Dichters" Land gegangen ist, ebenso wenig ist Eckart für den Morgenlander (sogar auch für einen Abendlander) zu verstehen, auch in seiner Mystik nicht, sogar in ihrem „formalen" Schematismus nicht, wenn man nicht z.B. die ganze Dogmatik der Scholastik kennt und in Rechnung stellt. Solange noch die Logoslehre des Christentums eines von seinen „mystischen" Kindern auch nur mit einem einzigen Faden an sich fesselt, wird zwischen ihm einerseits und dem Proselyten der Sigê, dem meditierenden Empfanger des „puer aetevnus des ewigen Kindes ') andererseits, ein auch methodischer Unterschied bestehen bleiben. Auch in den „Formen" und Voraussetzungen der mystischen Sprache und „Uebung". Denn wer die christliche Mystik verstehen will, auch wenn sie noch so weit vom Katheder der Scholarchen abgeirrt ist, der muss hinter allen ihren Worten über „Verschmelzung", „Einheit" u.s.w. doch immer noch die grosse Problemstellung des Anselmus suchen: Cur deus homo? Zugegeben sei, dass alle „Jesus-Mystik", die „Jesus" nicht in Uebereinstimmung mit den Dogma als „Christus" sieht, auf einen Bruch mit den Scholastikern, den Dogmatikern des Christentums, hinauslaufen muss. Aber damit ist sie in ihren Methoden noch nicht mit der Uebergegensatzlichkeit des Buddhismus oder anderer östlicher Religionen versöhnt. In diesem Buddhismus ist ja doch der „puer aeternus" nie „sarx' , nie „ensarkos geworden, es sei denn in allen. In einem Menschen nicht. Im Christentum ist der „puer" nie aeternus; das ist allein der Sohn, „agennêtos". Und der puer Jesus ist wohl eins mit dem Sohn und kann wohl zum sponsus werden und die Mystik des Christentums kann ihn wohl seiner anderen Attribute und seiner im Christusnamen bezeichneten Aemter entkleiden, und sie kann sich also wohl zu einer Heirats- und Einheitsverzückung zwischen sponsus und sponsa verführen lassen, — aber solange sie noch in diesem Geleise bleibt, halt ') Rousselle, a.a.O., 27. sie in ihren Grundgedanken diese „Einheit" doch innerhalb der Möglichkeiten, die Gott, transzendent, durch das Wunder im Logos ensarkos, im sponsus coelestis als Geschenk souveran gegeben hat. Mag auch die Mystik gegen diese Grundgedanken öfters sündigen, — es wird doch eine Inkonsequenz nicht zum Erklarungsprinzip eines Gedankensystems werden dürfen. Und ebenso wenig zu einem Vergleichsprinzip. Solang denn auch noch nur ein Schatten des Dogmas der Fleischwerdung Gottes über das Dammer der christlichen Mystiker fallt, gibt es in den Prolegomena ihrer Mystik eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen und den Kindern des Ostens. Denn im Osten ist nicht die Einkehr des transzendenten Gottes zum Menschen, sondern die Rückkehr des Menschen zum nicht-transzendenten Gott der Ausgangspunkt der Gedanken. Mag denn bei beiden Paradoxie vorhanden sein — auf der einen Seite, beim Adepten und sogar noch beim mystischen Apostaten des Christentums wird das paradoxale Wort von innen herauswachsen und ihre Ohnmacht verraten, in Worten auszusprechen, wie die gratia specialis(sima) sich mit den kosmischen Urgesetzen verbunden hat; aber auf der anderen Seite wird das paradoxale Wort, das von aussen her (vom Lehrer) zum Schüler kommt, ihm Gelegenheit geben abzulehnen, dass überhaupt in die kosmischen Urgesetze je eine transzendente Hand wundertatig eingegriffen hat oder auch nur eingreifen konnte. So wird die christliche Mystik ihre Einheitstraume doch stets, wenn auch unbewusst, von den Gedanken an das Ganz-Andere beherrschen lassen, und dies dann personalistisch aufgefasst, [der Andere), wahrend dort das GanzAndere ein Wort ist, das „die Weisen und Klugen" den „Unmündigen" nicht „offenbaren", sondern gründlich abgewöhnen (cf. Mt. 11, 25). Kein Wunder, wo „all wise and loving souls must be said to be the embodiments of the Great Paradox of the universe". ') ') Suzuki, Some aspects, 345. Die mystische Paradoxie von Osten und Westen ist allzu oft für ein Vergleichsspiel benützt worden; aber dies dünkt uns schon von einem Gesichtspunkt ruhiger Untersuchung aus unverantwortlich zu sein. Freilich, nicht allein der Unterschied zwischen beiden Religionen kommt hier in Betracht. Denn wenn auch auf christlichem Boden ein bestimmter Typ von Mystik vom Christentum ganz und gar abgeglitten ware, ') so bliebe doch noch der sehr grqsse Unterschied zwischen östlicher und westlicher Kultar.2) Wir glaubten diese Bemerkung hier machen zu müssen, nicht kritisch, sondern rein referierend. Denn jetzt, wo die östliche Paradoxie mannigfach auf die Begriffsgeschichte des Paradoxon bei uns einzuwirken beginnt, greifen wir deshalb am Ende dieses Paragraphen umso mehr auf unsere anfangs getnachte Bemerkung zurück: hinter der westlichen und östlichen Paradoxie liegt eigentlich zweietlei Begriffsgeschichte. Würde man das vergessen, dann würde nicht die eine Begriffsgeschichte auf die andre einwirken, sondern die eine würde nur sich selbst fortsetzen — in ihren Schwachheiten, wohlverstanden.3) i) So bespricht Aalders, a.a.O.. die Mystik der Romantik unter d. nicht- Ch2)StlBtópiele7'bei^Grete Lüers, Die Sprache d. deutschen Mystik d. M. A. im Werke d. Mechthild v. Magdeburg, München. 1926, passim; uber Xóyot; und Aoycg, S. 11. - J. Huizinga, Herfsttij d. Middeleeuwen, 2e druk, Haarlem, 1921, passim (S. 389: vertikale u. horiz. Linie ï. d.chr. Mystik, formaler Untersch. m. d. indischen M.). Ed Wechssler Das Kulturproblem d. Minnesangs, I. Minnes, u. Chr. tum, Halle a. S. 1909, S. 217, tt., 242, tt., 434, ff., 177, ff. (feodale Vorstellungen als Stilmittel). 3\ Aua. Faust (Vorbemerkung zu Ohasama, S. XII), sagt: „man wird (in den Uebersetzungen der Zen-Texte) erhebliche Spuren von philosophischen Terminoloaien (z. B. der Ausdrucksweise Emil Lasks) wohl uberall in der Uebersetzung bemerken. Ich glaube aber, nur so kann man derartige 1 exte auch ihrem Sinn und nicht nur ihrem Wortlaut nach fur Europaer etwas verstandlich machen". Wenn immer mit s° Vorsicht würde, dann ware manche kühne Parallele zwischen Eckart u. buddhistischen (u. a.) Mystikern niemals aufgestellt worden. Siehe übrigens uber die Ver- bindung v. Uebergegensatzlichkeitsgedanke u. E. Lask, was wir bemerkten, oben S 264. Hier liegt eines der Momente vor, worm die ostliche Paradoxie auf d Begriffsgesch. d. Paradoxons bei uns einzuwirken beginnt. § 6. Die Anknüpfung der dialektischen Theologie an Kierkegaard. 1. Der um K. Barth, E. Brunner, F. Gogarten u.a. gebildete Kreis der sog. „dialektischen Theologie" hat, besonders in seinem ersten Auftreten, aus der Paradoxalitat der (Glaubens)wahrheit einen seiner Grundgedanken zu machen versucht. Wiewohl die historische Entwicklung dieser Theologie dazu geführt hat, dass ihre anfanglich betonte scharfe Paradoxie spater in mancher Hinsicht abgestumpft worden ist, und obwohl mit Recht behauptet worden ist, dass die dialektische Theologie in ihrer jüngsten Form nicht mehr mit vollem Recht als „Theologie des Paradox" charakterisiert werden kann, ') — so hat doch K. Barth in seiner jüngsten Dogmatik, nachdem er die Prolegomena seiner „Chr. Dogmatik" (1927) zurückgenommen hatte (1932), das Paradoxon in dieser abgeschwachten Form nach dem Grundgedanken beibehalten. Wohl „dürfte es", nach ihm, „sich empfehlen, von diesem Begriff.... in der Theologie nun wieder sparsameren Gebrauch zu machen", aber er ist doch der Ansicht, dass der Begriff „seinen Dienst getan hat" und bleibt dabei, dass „das Wort Gottes" und nur das Wort Gottes „den Begriff des Paradoxons in ganzer Strenge erfüllt . Was dies zu bedeuten hat, wird aus der Interpretation klar, die er jetzt von „einem Paradoxon" ') G. C. Berkouwer, Geloof en Openbaring i. d. nieuwere Duitsche theologie. Utrecht, 1932, S. 213, Note 2. — In dieser Dissertation behauptet These IV, Brunners Lehre vom „Anknüpfungspunkt" müsse, wenn sie konsequent durchgeführt wird, zu einer Leugnung der Grundlagen der „dialektischen" Theologie führen. Barth, in seinem S. 296, Note 1 erw. Buch, S. 251, übt an Br. in dieser Hinsicht Kritik; siehe unten. gibt. Mit einer kleinen Modulation halt sie an der bereits oben von uns abgelehnten Auffassung fest, wonach dó£a seiner eigentlichen Bedeutung von „Meinung" beraubt wird. „Ein Paradoxon ist eine solche Mitteilung, die nicht nur mittels einer <5ó£a, einereErscheinung3 gemacht wird, sondern die naga xrjv öó^av, d. h. in Gegensatz zu dem, was die Erscheinung als solche zu sagen scheint, verstanden sein will, urn überhaupt verstanden zu werden.'' Barth findet also im Paradoxon noch immer einen „Gegensatz zwischen Mitteilung und Gestalt" ; dieser Gegensatz lasst sich in gallen anderen denkbaren" „Paradoxa" „von irgend einem überlegenen Standort aus" auflösen, ist aber beim Wort Gottes absolut.') Das Paradoxon ist eine Mitteilung, nicht eine peinliche Entdeckung auf dem spontan eingeschlagenen Denkweg und es muss selbst verstanden werden. Wie ernst es K. Barth hier noch ist, wenn er auch das Signal zu sparsamerem Gebrauch des terminus „Paradox gibt, kann offenbar werden, wenn er, einige Seiten weiter, zwischen Gestalt (welthafter Gestalt) und Gehalt (göttlichem Gehalt) des Wortes Gottes nicht nur einen Unterschied sieht, sondern diesen Unterschied bestimmt als Gegensatz betrachtet. ,,Das Koinzidieren beider" (ein Koinzidieren also von etwas, das gegensatzlich einander gegenübersteht) „ist Gott, es wird aber uns nicht einsichtig. Was uns einsichtig wird, das ist immer Gestalt ohne Gehalt oder Gehalt ohne Gestalt. Wir können wohl realistisch oder idealistisch, wir können aber nicht christlich denken".2) Eine Erwahnung der Paradoxie der dialektischen Theologie hat also im Rahmen unserer Uebersicht noch immer gute Griinde und dies nicht allein von historischem Gesichtspunkt aus, wenn auch zugegeben werden muss, dass die Begriff e sich allmahlich ander n. ') K. Barth, Die kirchliche Dogmatik, I. Bd., 1. Halbbd., München, 1932 (Die Lehre vom Wort Gottes), S. 172, S. 31 nennt er die Haresie ein paradoxes Faktum, hier in anderem Sinne als ihn das Wort „p. früher bei ihm hatte. 2) Barth, a.a.O., S. 182. 2. Die dialektische Theologie hat sich, namentlich was das Paradoxon betrifft, wiederholt an Kierkegaard angeschlossen. Auch noch in ihrer soeben genannten jüngsten grosseren Publikation wird (betreffs des existentiellen Denkens) gegen eine Scheinberufung auf Kierkegaard zu Gunsten der eigenen Kierkegaard-Interpretation Stellung genommen, ') und so die eigene Verwandtschaft mit ihm noch starker betont. Wir wollen darum einigen der wichtigsten Grundgedanken nachgehen, die Kierkegaards Konstruktion in Sachen des Paradoxes erklaren, stützen oder begleiten. 3. a) Zuerst sein Verhaltnis zu Hegel. Von Martensen in seiner Jugend auf Hegel (und Schelling) aufmerksam gemacht,2) hat Kierkegaard sich anfanglich von diesem beeinflussen lassen, so z.B. in dem Hervorheben des Denkens,3) in der Abkehr von der Romantik;4) daraus erklart sich denn auch, dass Kierkegaards Dissertation in mehr als einer Beziehung Hegelsche Gedanken sprechen lasst.5) Dennoch wird gegen Hegel schon bald Stellung genommen ; ebenso wie Bischof Mynster protestiert Kierkegaard dagegen, dass Hegels Dialektik mit ihrem spater für die Geschichte des Marxismus so bedeutsamen 6) Schema von ') Barth, a.a.O., S. 19 (Wobbermin gegenüber). 2) Ed. Geismar, Sören Kierkegaard, Göttingen, 1927, S. 20 (auch Schelling und Schleiermacher). 3) Geismar, a.a.O., 72, 78. 4) Geismar, 256. 5) Geismar, 81, 264, Note. 6) Artur Goldstein, Dialektik, Art. in: „Das Schiff, Beiblatt d. Typogr. Mitteilungen", 26. Jhrg., Heft 9, Sept. 1929, S. 52, 57; Marx selbst, Kapital. l.Aufl. („man muss sie" — die Hegelsche Dialektik — „umstülpen", angef. in Marx-Engels-Archiv., Ztschr. d. M.-E.-Instituts in Moskau, hrsg. v. D. Rjazanov, II, Fr. a. M., 1927, S. 128). Siehe ebenda über Engels, u. seine Auffassungen über Polarisation, 156, Teil u. Ganzes 157, abstrakte Identitat u. d. Natur 157, Identitat u. Unterschied 183, Mathematik usw,-189, 230, struggle for life. 190, Licht u. Nicht-Licht 192. Engels ist mit Marx' Auffassung über die Hegelsche Dialektik einverstanden, S. 224. — S. auch: R. Riemann, Was ist Dialektik ? Monistische Monatshefte, Hamburg, XII, 295—310, Sept. 1928; in Bezug darauf Th. Hartwig, Logisches, genetisches u. dial. Denken, Mon. Monatsh., XIV (1929), S. 8; auch: Th. Hartwig, Zur Dialektik der Dialektik, Mon. Mon.-hefte, XIV, Marz-Heft, 1929, 73. der These-Antithese-Synthese die Gegensatze des Denkens überwinden will. ') In diesem Punkt ist Kierkegaards Kritik unerbittlich; sie beherrscht bereits die Dissertation,2) bringt " ihn zu Sympathiebezeugungen für Trendelenburg, den Hegelkritiker,3) und zu einem Einverstandnis mit Schleiermacher (bei der Nachwelt als Kierkegaards grosser Antipode angesehen), soweit namlich dieser Hegel gegenüber die Irrationalitat der Religion in den Vordergrund bringt.4) Kierkegaards Opposition gegen Hegel ist tatsachlich gegen die „Philosophie" gerichtet, gegen die Spekulation überhaupt; die Philosophie ist optimistisch, meint erkennen zu können, Logik treiben, ungebrochen denken zu können.5) Dem stellt Kierkegaard seine Auffassung vom Christentum gegenüber, das mit seinem tiefen Schuldbewusstsein allem optimistisch fortschreitenden Denken den Weg abschneidet und jede Illusion eines unmittelbar anwesenden und erkannten Gottes zerstört.6) Weil nun Hegels Logik und Geistesphilosophie eben in der Unterordnung des Gegensatzes (Anti-thesis) unter einen synthetischen Prozess von Selbstverwirklichung des Geistes den Gegensatz seines Schreckens beraubt und sich immer wieder in Synthesis auflösen lasst, darum kommt Kierkegaards Kritik nahezu auf dasselbe heraus, was Russell spater Hegel vorwerfen sollte: „as ') Bekanntlich hat die Hegelsche Phil. d. Grunds. d. Widerspr. aufge- hoben Sobald einer etwas von einem aut/ aut verlauten lasst, (kommt).... ein Hegelianer zu Ross.... auch bei uns.... bes. gegen Bischof Mynster.... obwohl er sich .... recht gut halt, Abschl. unw. Nachschr. II (Ich zitiere auch hier immer die Ed. Diederichs, Jena), 4/5; cf. Geismar, 81. 2) Geismar, 82. 3) Abs. unw. N. I, 194/5, II, 1, Note; Geismar 265, W. Ruttenbeck, S. Kierkegaard, Berlin, Fr. a. d. Oder, 1929, S. 79 ff. Trendelenburg wird gelobt, weil er „sich lieber mit Aristoteles genügen lasst" (!), Abs. unw. N. I, 194. 4) Pap, II A 199, angef. bei Ruttenbeck, 94, Note, cf. a.a.O., 83/4, Geismar 20. 5) Abs. unw. N., II, 4, 26—36, passim; Torsten Bohlin, S. Kierkegaards Leben und Wirken, Gütersloh, 1925, S. 84; Geismar, 29, 47, 64, 77, 258, 260/1, 309. 439. 6) Furcht u. Zittern, Jena, 1923, S. 78; Abs. unw. N., I, 289; Geismar, 78, 80; Torsten Bohlin, Kierkegaards dogm. Anschauung, Gütersloh, 1927, S. 459, ff. for Hegel, he cries wolf so often that when he gives the alarm of a contradiction we finally cease to be disturbed". ') Kierkegaard verzeiht es Hegel nicht, dass er den Gegensatz ,,mediiert" hat in seinem ,,System",2) dass er „keine berechtigte /nkommensurabilitat annimmt".3) Denn: „die Mediation ist eine Lufterscheinung, wie das Ich-Ich".4) Das Christentum, dem Hegel in seinem monistischen System einen Platz sichern will, kommt denn auch nicht weiter als bis zur Religiositat A; B jedoch kann mit Hegels Dialektik nichts anfangen (vgl. Kap. II, § 1, 2).5) So werden bald die Gegensatze zwischen Hegel und Kierkegaard, wie dieser letztere sie sieht, (denn die Frage, ob er Hegel richtig interpretiert, kann in unserer Untersuchung ausser Betracht bleiben) deutlich umrissen. Hegel versöhnt Gott und Mensch, absoluten und endlichen Geist, und hebt also das Paradox sensu eminentiore auf; Kierkegaard jedoch lasst mit diesem letzten das Christentum stehen oder fallen.6) Hegel nimmt die Bewegung in sein logisches System auf, Kierkegaard macht ihm das Recht dazu streitig, denn die Logik, wenn sie sich „in die Konkretion der Kategorien vertieft, so stellt sie nur ins Licht, was von Anfang an war."7) Kierkegaard beruft sich hier Hegel gegenüber auf Trendelenburg (eine Berufung a posteriori) und behauptet, in ein logisches System dürfe „nichts auf- ') Russell, Principles of Math., Cambridge, 1903, 355. 2) „Wie viel Wesens hat die Hegelsche Philosophie von der Mediation gemacht! wie viel törichtes Geschwatz ist unter dieser Etikette als Tiefsinn gefeiert worden!", Die Wiederholung, ed. Jena, 1923, 137; cf. Geismar, S. 64/5, 257. Gegen das System u. a. Abs. unw. N. 1, 202. 3) F. u. Z. 78. 4) Abs. unw. N. I, 273, cf. 272; gegen Fichte (die Wahrheit das Subjekt-Objekt) S. 265, 267, Note, cf. 272/3/6, 201 (das phantastische Ich-Ich ist nicht Unendlichkeit und Endlichkeit in Identitat es ist eine phantastische Uebereinkunft in der Wolke, 272; cf. 252, 201/2 (das empirische Ich zu dem reinen Ich, Hegel). 5) Geismar, 84/5. 6) Vgl. Kap. II, § 1, § 2; Geismar 255, 307/8, Abs. unw. N., I, 274. 7) Der Begr. d. Angst, Jena, 1923, S. 6/7 ; cf. Geismar, 259, H. Diem, Phil. u. Chr.tum bei S. Kierk., München, 1929, S. 6—8, 38 ff.; Abs. unw. N. I, 194. genommen werden, was .... nicht gleichgültig gegen die Existenz ist". ') So halt er entgegen Hegel an der formalen Logik fest, für sich selbst jedoch will er so die Bahn freihalten, worauf die „Existenz" des wirklichen Menschen in seiner „Bewegung" unter das mit aller Logik Spott treibende Paradox gestellt werden kann. Dieses setzt, wie wir bereits sahen, den Menschen in Not, weil seine ganze „Wirklichkeit" sich nicht nur, subjektiv gesprochen, dagegen auflehnt, sondern auch, objektiv gesprochen, damit inkommensurabel ist. Darum hat Hegel nicht mehr als „Geschwatz" geliefert, wenn er die Wirklichkeit die Wahrheit nennt.2) Nach allen Seiten spitzen sich also die Gegensatze zu. Wahrend Hegel zum Kulturpantheismus kommt und die Religion in der Weltgeschichte ihren Ausgangspunkt nehmen lasst, und wahrend sein monistisches System eine „durchgangige Kommensurabilitat" impliziert,3) und Religion umschreibt als „den Geist, der sich zu sich, aber zu seinem Wesen, dem wahren Geiste verhait, mit diesem ebenso versöhnt ist, sich in ihm findet",4) sieht Kierkegaard die Welt im Argen liegen, lasst Gott nicht als Finder seiner selbst bei sich einkehren, sondern als Richter der Kreatur transzendent in die Welt hineinfahren und das Paradox dort aufstellen. Hegels Geistesphilosophie lauft auf eine Verherrlichung des Staates und auf eine Apotheose der Weltgeschichte hinaus; sie drangt darum das Individuum in den Hintergrund und versichert dann, dass „es ewig gesehen, sub specie aeterni, .... im reinen Denken und reinen Sein kein aut-aut gebe".5) Aber Kierkegaard nennt ') Abs. unw. N., I, 195, cf. 194 (d. Logik kann d. Bewegung nicht erklaren). 2) T. Bohlin, S. Kierkegaard u. d. rel. Denken d. Ggw., MünchenLeipzig, 1923, S. 152. 3) Arnold Gilg, Sören Kierkegaard, München, 1926, S. 137; cf. Geismar 261—'4. *) G. W. F. Hegel, Die absolute Religion, hrsg. v. G. Lasson (rhil. Bibl. Bd. 63). Leipzig, 1929. S. 8. s) Abs. unw. N. II, 5. Vgl. II, 189, Note: Der Versuch der Hegelschen Ethik, den Staat zur letzten Instanz des Ethischen zu machen, das ganze Reden Hegels „von Prozess und Werden" kurzweg illusorisch, klagt, dass es dem Einzelnen nichts zu geben habe, z.B. keine Ethik, ') und versichert, Hegels aut-aut-lose Abstraktionswelt interessiere ihn nicht; denn in der konkreten Existenz steht es anders: da ist die absolute Disjunktion zu Hause, da tritt das Ewige als die Zukunft, als das Zukünftige in der Existenz auf,J) und ist also ein absolutes aut-aut. *) Hegels Objektivierung des Weltgeschichtsprozesses hat, sagt Kierkegaard, den Einzelnen (man kann auch sagen : die Subjektivitat) der Leidenschaft, des Interesses, der absoluten Entscheidung beraubt und uns tatsachlich nur die Skepsis übriggelassen.') Das ist „ein metaphysisches Attentat auf die Ethik". 5) So kommt die Existenzhage des Menschen in den Mittelpunkt der Debatten zu stehen. Wenn Hegel an deren Stelle ein logisches System bringt, so kann dieses Surrogat, sagt Kierkegaard, nicht helfen ;6) Hegel hat nun einmal kein Auge für die Existenz gehabt. *) Der Gegensatz zwischen ist.... eine unethische Flucht von der Kategorie der Individualitat hinüber in die Generation. Siehe über d. Individuum I, 236 (die weltgeschichd. Betr. sieht „bloss Wald, nicht einen einzigen Baum".) ') Abs. unw. N., II, 6/7, auch Note; üb. d. Einzelne, Geismar 263; F. A. Voigt. S. Kierkegaard. Berlin 1928, 274. Kritik an Hegels Geschichtsbetr.: Abs. u. N., I, 228. 2) Vgl. Die Zeichnung, S. 104. 3) Abs. unw. N„ II, 5—7. 4) Abs. unw. N.. I, 128: cf. über die Subjektivitat II, 40, I, 278. die S. ist d. Wahrheit (Leidenschaft, Verantwortungsbewusstsein, \Vagnis, keine obj. Logik), cf. J. C. Franken. Kritische Philosophie u. Dialektische Theologie, Amsterdam, 1932, S. 77; er weist hin auf Abs. unw. N. I, 274, II, 47. Vgl. I, 277: die Leidenschaft der Unendlichkeit ist die Wahrheit selbst, aber .... sie ist gerade die Subjekt'vitat; siehe auch I, 303, und A. Gilg, a.a.O.. 163 ff., A. Sannwald, Der Begriff der Dialektik u. d. Anthropologie, München, 1931, 220; auch E. Brunner, Die Botschaft S. K.'s, Neue Schweizer Rundschau, Heft 2, Febr. 1930. 5) W. Möhring, Ibsen u. Kierkegaard. Leipzig, 1928, (Palaestra 160), S. 21/2. 6) Geismar, 289. ') Abs. unw. N., II, 5. 27—29. Cf. Emil Brunner, Das Grundpr. d. Phil. bei Kant u. Kierkegaard. Zw. d. Zeiten. Heft VI (1924). S. 41/2 ; M. Thust. S. Kierkegaard, d. Dichter d. Religiösen. München, 1931, S. 167; A. Th. lörgensen. S. Kierkegaard u. d. bibl. Chr.tum (Bibl. Zeit- u. Streitfr IX. 91 Berlin. 1914. S. 5 6. Hegels und Kierkegaards Dialektik kann unsrer Meinung nach nicht ganz scharf durch Przywaras Dilemma: einlinige Dialektik gegen Gesprachsdialektik typisiert werden; denn der erste Terminus ist undeutlich im Hinblick auf Hegel, der zweite unrichtig im Hinblick auf Kierkegaard. Aber Przywara typisiert doch wohl richtig, wenn er hier SystemGeschichtlichkeit gegenüber Augenblicks-Geschichtlichkeit stehen sieht. ') Wir halten uns für der Aufgabe enthoben, diese Begriffe naher zu beleuchten, da von Kierkegaards Paradoxon bereits hieroben gesprochen wurde. Soweit der Begriff der Dialektik bei Hegel und der bei Kierkegaard einander berühren, würde man den Unterschied auch damit charakterisieren können, dass bei Hegel die Dialektik an die erste, bei Kierkegaard an die zweite Stelle kommt.2) b) Dieses Zurückweisen Hegels hat für die Ausarbeitung des „Existenz"begriffes und für die „Dialektik" bei Kierkegaard sogleich ihre Folgen. Hegel, so sagt Kierkegaard, poniert seine „Dialektik des \Verdens so : „was im Werden die Alternation zwischen Sein und Nichtsein ist, (eine jedoch etwas undeutliche Bestimmung, insofern als das Sein selbst zugleich das Kontinuierliche in der Alternative [das Beharrende im Wechsel] ist), das ist spater das Negative und das Positive".3) Und jetzt treten in der nachhegelschen Periode, sagt er, „negative" und „positive" Denker auf. Die letzten halten sich für die Klügsten; sie danken „Gott und Hegel", dass sie nicht sind wie „jene Negativen, sondern dass sie Positive geworden sind . Aber — dies Positive betrifft, nach Kierkegaard, nur ein „fingiertes" objektives Subjekt;4) und weil es — siehe ') E. Przywara, S. }., Das Geheimnis Kierkegaards, München, Berlin, 1929, S. 20. , t_ A r 2) Abs. unw. N., II, 238, 241. Deshalb scheint uns Grisebachs Auffassung (Die Grenzen d. Erziehens u. seine Verantwortung, Halle, a. S., 1924, XIII), Kierkegaard neige mehr der philosophischen (eindimensionalen) Dialektik zu, und habe von Hegel noch allzuviel an formaler Dialektik gelernt, in dieser Hinsicht unrichtig. 3) Abs. unw. N., I, 167. 4) a.a.O., 168. unter a) — sich lieber um die Weltgeschichte, als um die eigene Existenz des Einzelnen kümmert, verlauft es sich in Spekulation über „das reine Sein" und abstrahiert unablassig. ') Sich mit dem „reinen" Sein zu beschaftigen, ist eben das dauernde Unglück der Spekulation überhaupt;2) anstelle des „Existierens" interessiert sie nur das „Existierthaben", ihr fortwahrendes Zurückkommen auf die Geschichte bringt sie dazu, die Vergangenheit (das Existierthaben) lieber zu behandeln als die wirkliche Existenz; diese letzte wird bei ihr in ein „verschwindendes und aufgehobenes Moment im reinen Sein des Ewigen" aufgelöst.3) Bei diesen sog. positiven Denkern und bei ihrer Spekulation und also auch bei der Religiositat A (worüber bereits gesprochen wurde und worin der Existierende noch nie mit seiner Existenz in die Not des Ewigen gebracht worden ist) tritt also das Geschichtliche an die erste Stelle. Der positive Denker stellt sich auf den Immanenz-Standpunkt, mit dem er nicht brechen kann. 4) Weil dieser Standpunkt die Geschichte (auf Kosten der Existenz) in den Vordergrund stellt, heisst er bei Kierkegaard „objektiv", denn er ist „gleichgültig" gegenüber der „Exis.tenz".5) Wahrend also das „positive Denken" eitel Betrug ist, so steht es mit dem Denken der „Negativen" doch etwas besser. Diese haben ja doch „bestandig den Vorteil et was Positives zu haben, das namlich, dass sie auf das Negative aufmerksam sind".6) Existenz ist bestandig im Werden; in dieser Hinsicht ist also „das Negative im Dasein vorhanden". Nun gilt es „demgegenüber" (d.h. der im Dasein vorhandenen Negativitat gegenüber) „als die ') a.a.O., 168, II, 254, 251. 2) Abs. unw. N„ II, 254; cf. I, 179. 3) Abs. unw. N., II, 251. «) a.a.O., 251. a-a-0-- 252, cf. S. 301, Note 4; auch: I, 232 ff., die Gesch. sei ethischindifrerent, sie habe kein Auge für das Möglichkeitsverhaltnis, das jede existierende Individualitat zu Gott hat, S. 233. Vgl. Franken, a.a.O S 75/6 6) Abs. unw. N. I, 168. einzige Rettung, bestandig darauf aufmevksam zu sein".') Dieser Ausspruch verdient besondere Beachtung, denn was hier gesagt wird, ist der cardo quaestionis, es ist jedenfalls einer unter diesen cardines. Die hier gemeinten „Negativen" werden von Kierkegaard natürlich nicht als eine Klasse von Denkern angesehen, die eine Hegel entsprungene „Schule" bilden würden, welche „Schule" dann das Pendant zu der anderen „Schule" der Positiven sein würde; nein, auch hier bleibt er sich selbst treu, indem er von „Schulen" nichts wissen will, und ebensowenig von „fertigen Resultaten", von „Lehrern" vorgetragen.2) Ebensowenig kann man aus diesem Passus schliessen, dass Kierkegaard das Hegelsche Positiv-Negati v-Schema aus seinem grossen geistes- und weltgeschichtlichen Zusammenhang loslöst, um es etwa in das individuelle Dasein zu transponieren; denn was er will, ist ja etwas wesentlich anderes: die „Negativen" haben wohl „etwas Positives in ihrem Aufmerksamsein auf das Negative, aber dabei fehlt jeder Gedanke an irgendeine Synthese; ein sich entwickelnder Prozess wachst nicht daraus; die Dialektik, die hier in der Existenz auftritt, ist keine Lehre, schreibt keinen Sonderparagraphen in einer Theorie über die Dialektik der Existenz, sondern ihre einzige Funktion ist, pathetisch, paradoxal aufzutreten, in Leiden und Leidenschaft, im wirklichen Dasein, in der wirklichen Existenz. Wenn die „Negativitat" im Hegelschen Sinn wieder in „Positivitat" umschlagen und mittelst der Dialektik des Daseins wieder zu einer über diesen beiden gelegenen höheren Daseinsform hinaufgeführt werden würde, dann würde ipso facto der negative Denker den einzigen Vorteil, den er vor dem Positiven erworben hatte, wieder verlieren; dann würde ja auch er, wie der Positive, die Wunde, die die Negativitat des Unendlichen in dem Dasein 2! a a o" \671 — 173, val. 274: in der Mediation sein heisst fertig sein, und existieren heisst werden; auch: Meine Wirksamkeit als Schriftsteller (ed. Diederichs, Jena, 1922, Bd. 10), S. 80, ff.: die „Menge ist die Unwahrheit. schlagt, wieder zuwachsen lassen; aber im Gegenteil, diese Wunde muss eben bestandig offen bleiben. „Sein tagliches Leben in der entscheidenden Dialektik der Unendlichkeit zu haben und doch weiter fortzuleben: das ist die Kunst". Keine „bequemen Kategorien" für das tagliche Leben zu haben (und ebensowenig solche bequemen Kategorien zu machen aus Negativitat und Positivitat) — das ist das Geheimnis des negativen Denkers, der auf die Negation positiv aufmerksam ist und bleibt. ') In diesem Sinn meint Kierkegaard seine Behauptung, dass der subjektive existierende Denker die Unendlichkeit in seiner Seele hat, dass seine Form darum bestandig negativ ist, dass seine Positivitat in der fortgesetzten Verinnerlichung zu suchen ist, in welcher er vom Negativen weiss, und dass er also existierend bestandig ebenso negativ wie positiv ist.2) Indem Kierkegaard auf diese Weise „negativ" und „positiv" in bestandige Korrelation stellt, hat er also die Hegelsche „Negation der Negation" prinzipiell beiseite geschoben und sowohl das Minus- als das Pluszeichen der Existenz radikalisiert.3) Und zugleich hat er diese beiden in dem (christlichen) Trager der Religiositat B konkret gemacht. Dieser nun ist der Einzelne. Die wissenschaftliche Formel dafür ist bei ihm die der Existenz-Dialektik. Was die Existenz betrifft, so ist diese „aus Unendlichkeit und Endlichkeit zusammengesetzt, der Existierende ist unendlich und endlich. 4) Bedenkt man, dass anderweitig 5) in der bewussten Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit, die sich zu sich selbst verhalt, das Selbst gesehen wird, welches hierin (in der Synthese namlich) „konkret" wird, dann ist die Opposition gegen den Hegelschen „Objektivismus" wieder sichtbar. Noch deutlicher wird sie, wenn der Eros (Hesiodus) gleichfalls als Existenz und als ') a.a.O., 172, 173, Note. 2) a.a.O., 171, 171/2. 3) Vgl. Sannwald, a.a.O., 222. 4) Abs. unw. N. II, 85, cf. 112. 5) Die Krankheit zum Tode, Jena (8. Bd.), 1924, S. 26. Schilder Synthese des Endlichen und Unendlichen gesehen wird. ') „Eros" nun ist „bestandig strebend"; die Existenz also auch; mit einem perfectum quietivum kann man hier überhaupt nichts anfangen. Der Existierende steht ja in einem absoluten Verhaltnis zu dem absoluten re'Aoc ; die Existenz ist darum ein „fortwahrendes Inzwischen" (Streben!). ) Weil die Existenz mit „Abstraktion" nicht arbeiten kann, so ist die Not ihr Medium.3) Es gibt im Existieren einen Bruch, nicht innerhalb der Immanenz (dann hatte sich Hegel und auch die Religiositat A wieder eingeschlichen), sondern mit der Immanenz.4) So kann hier die Religiositat B ihren Platz einnehmen und mit ihr wird jeder Rest von ursprünglicher Immanenz „vernichtet und aller Zusammenhang abgeschnitten",5) ebenso wie jede Mediation.6) Denn nun ist das entstanden, was nach spaterer Terminologie eine „Grenzsituation" heissen würde.7) Hier taucht also das Motiv der Leidenschaft auf und zugleich das des Pathetisch-Dialektischen. Das Existentielle ist als solches pathetisch-dialektisch.8) In bezug auf das Pathetische muss scharf unterschieden werden. Es gibt ein asthetisch-pathetisches Verhaltnis, wobei das absolute téIoq das Individuum nicht ganz umbildet; das Individuum gibt hier sich selbst wohl auf, aber um sich in der Idee zu verlieren.9) Es hat seine Umbildung nicht dem Absoluten, sondern sich selbst zu verdanken, es bekommt wohl mit der Idee des Ewigen zu tun, aber das Ewige wird hier nicht geschichtlich, denn Gott kam ') Abs. unw. N. I, 178/9. 2 Abs. unw. N. II. 210; cf. I, 178. 3) aaO., II, 211, ff. (Schuld, Sündenbewusstsein, etc.). M a!a.O., 253. 5) a.a.O., 252. s) a.a.O., 111-113. , , D , , , 7 ...dass man, hinter sich die Ewigkeit, den letzten Boden der Immanenz verliert und in das Aeussecste der Existenz gestellt, kraft des Absurden existiert, a.a.O., 250, cf. 252. 8) a.a.O.. 237, cf. 120-123. 9) a.a.O., 81. hier nicht in die Zeit. Darum korrespondiert dieses asthetischpathetische Verhaltnis mit Religiositat A und auch mit der Spekulation. ') Mit der Religiositat B dagegen korrespondiert das existentiell-pathetische Verhaltnis; hier wird nicht vom Ewigen, Absoluten gezeugt, sondern die Existenz selbst wird in ein Zeugnis davon verwandelt2), und zwar in fortwahrendem Leiden,3) dem wieder jeder Nebengedanke an den „reinen" Menschen, oder an „Dichtung" fremd ist,4) weil Gott in der Zeit aufgetreten ist und das Individuum nun verhindert, „sich rückwarts zum Ewigen zu verhalten".5) Dieselben Parallelen zeigen sich beim Dialektischen. Steilte sich das Pathetische als eine Umbildung des Seins dar, als ein Alles-Wagen, so ist das Dialektische ein Wagen des Denkens, man wagt es, gegen den Verstand zu glauben.6) Man muss jedoch wieder unterscheiden zwischen einem asthetisch-dialektischen und einem existentiell-dialektischen Verhaltnis. Das asthetisch-dialektische Verhaltnis kennzeichnet sich dadurch, dass das Leiden, die Not, sofern sie darin auftreten, zufallig sind, d. h. nicht konstitutiv für das Existentielle, für das Verhaltnis zur ewigen Seligkeit. Man kann denn auch (dialektisch) den hierbei auftretenden Schmerz in Freude verwandeln. So war es bei den Aposteln, nachdem der Sanhedrin ihnen Geisselschlage hatte geben lassen (Apostelgesch. 5, 41).?) Anders steht es jedoch mit dem „Pfahl im Fleisch" (2. Kor. 12), von dem Paulus spricht. Die Geisselschlage, die die Apostel nach Ap. 5, 41 empfingen, waren „zufallig"; man kann sie im Verhaltnis zur ewigen Seligkeit haben oder auch nicht haben. Aber Paulus' Pfahl in Fleisch gehort ') a.a.O., 261—263. 2) a.a.O., 88. 3) a.a.O.. 133. 4) a.a.O., 261, 134, 82, 84, 88. 5) a.a.O., 263. 6) a.a.O., 120. 7) a.a.O., 141, 142. wesentlich zu dem gemeinten Verhaltnis, jedenfalls nach Kierkegaard; die ewige Seligkeit selbst möge ohne Leiden sein, aber das Ver haltnis des Existievenden zu ihr kann nicht ohne Leiden sein. Dieses Leiden kann auch nicht durch einen Trostgrund weggenommen, oder in Freude verkehrt werden, es ist wesentlich, nicht zufallig, denn es ist das existentiell-dialektische. ') Nicht etwas, das innerhalb des Gegebenen liegt, sondern der ganze Mensch, mit all seinen Gegebenheiten, tritt hier in das kritische Verhaltnis. Darum wechselt der Ausdruck existentiell-dialektisch denn auch mit dem anderen: ,,parac?ox-dialektisch . ) Diese zwei Formen des Dialektischen lóufen dann wieder parallel mit Religiositat A und B.3) Das Pathos ist hier „gescharft", a) durch das Sündenbewusstsein, b) durch die autopathische Kollision (die Möglichkeit des Aergernisses).4) So ist zu erklaren, dass das Bild vom „Pfahl im Fleisch" _hier abwechselt mit dem anderen vom „Leek im Boot'.5) c) An diesem Punkt angekommen müssen wir eben stillstehen. Nicht um Kierkegaard zu kritisieren, sondern um, mit dem Bliek auf seine ideengeschichtliche Stellung, einen bestimmten Punkt womöglich zu erklaren. Es fallt ja doch auf, dass die Konstruktionen von Kierkegaard, wie sie unter b) entwickelt werden, nicht streng logisch („dialektisch") durchgedacht oder gegeneinander abgegrenzt sind. Die Begriffe fliessen ineinander über. Paradox, Pfahl im Fleisch, Leek im Boot, sie bezeichnen wohl alle drei ein kompromissloses und auch komparativloses ) und abstraktionsloses Not ver haltnis, aber das berechtigt doch nicht zu einem verschwommenen und verwischten Ge- •) a.a.O., 143, 144. 2) a.a.O., 252, 238. 3) a.a.O.. 238, 250/1, ff.. 261. ff. 4) a.a.O., 261 --265. „ . 5) August Vetter, Frömmigkeit als Leidenschaft, Leipzig, Ivlo, i>. Ido , cf. (hier) S. 117. «) „Die Schwierigkeit ist.... die absolute, nicht komparativ dialektisch (leichter für den einen Menschen als für den anderen), weil die Schw. sich abs. zu jedem Indiv. bes. verhalt", Abs. unw. N. II, 122. brauch der Begriffe. Das „Paradox" gehort eigentlich, stricto sensu, zum Denken, der Pfahl im Fleisch, das Aergernis, das Skandalon, strikt genommen, zum „Leben" oder, scharfer unterschieden, zum Streben: da ist ein Laufer, ein Streber, der über einen Stein des Anstosses strauchelt und also in seinem Willensgang gehindert wird. Das Bild vom Leek im Boot fasst, auch nach dem Kontext, ') die beiden anderen zusammen. Wir bemerken also, dass Kierkegaard Verstand und Willen in diesem Zusammenhang in einem Hauptpunkt seiner Ausführungen nicht scharf voneinander unterschieden hat. Dies brauchte bei seiner bildreichen, leidenschaftlichen Schreibweise nicht zu verwundern, wenn er nicht doch selbst gezeigt hatte, dass er diese zwei, auch in seiner Terminologie unterscheiden wollte. Man erinnere sich nur, was unter b) gesagt wurde über das Pathetische als ein Wagen des Seins, das Dialektische als ein Wagen des Denkens. Man kann die Erklarung für die Verwechslung der Begriffe deshalb nicht mit einem Hinweis auf Kierkegaards „mehr-Prophet-als-Gelehrter-Sein" abtun; umsoweniger, weil er anderweitig haarscharfe Unterscheidungen macht. Unserer Ansicht nach liegt die Erklarung grossenteils in der nachlassigen Art, wie Kierkegaard das Neue Testament gelesen hat, auch an den von ihm zitierten Stellen. Es ist behauptet worden, dass „der Gedanke von 1. Kor. 1, 23 von der Phantasie Kierkegaards gescharft und gesteigert wird ; aber dieser Ausspruch2) ist nur soweit er eine Wirkung der Phantasie konstatiert, richtig. Die qu. Stelle macht ja doch einen sehr nachdrücklichen Unterschied zwischen Iovöaïoi und EXXrjveQ (e'&vrj): /crjQvaaofiev Xqiozov êazavQCüfisvov, 'Iovdaioig /uèv oxavóedov, eéveai (°'EXXrjai C3a?) öè ficogiav. Gibt man einmal auf diese Unterscheidung (fièv-öé) acht, dann sieht man bald, wie konsequent Paulus an ihr festhalt. Der Iovöaïog will nicht einverstanden sein, mit ') Abs. unw. N„ I, 298, Note. 2) A. Th. Jörgensen, S. Kierkegaard u. d. bibl. Chr.tum, Berlin, 1914, 25. dem, was Paulus predigt; sein Hochmut hindert ihn, gegenüber dem von den Juden Gekreuzigten Schuld zu bekennen, er steht nicht voraussetzungslos Ihm gegenüber; sein Nomismus und Nationalismus stösst sich am Evangelium vom Kreuz, weil der Wille sich innerlich widersetzt. Der Gekreuzigte tut keine arjfisla (Vs. 22), tritt nicht im Sichtbaren auf mit dynamischer und ostentativer Selbstmanifestation, die ihn und die Nation in vtyLoza (Luk. 19, 38) erheben würde. ') Ganz anders wieder ist die Opposition der "EUrjvsQ. Diese suchen keine orjfiela, denn das hat ihre Philosophie ihnen wohl abgewöhnt; sie fragen vielmehr nach ooyla (Vs. 22). Aber eben, weil ihr Denken ein geschlossenes System fordert, das sich mit ihrer sophistischen Logikerhybris vertragt, können sie nicht einverstanden sein, dass einer, der aus den vipioxa kommt, in die xazcoxsQa ■ fiÉQr] rr\Q yyj? (Eph. 4, 9) hinabgestiegen ist und dadurch alle Hybris, auch die ihre, richtet, und alle oocpta bei sich selbst und bei dem transzendenten Offenbarungsinhalt beginnen lassen will. Ihr Widerstand ist also ein DenkWiderstand. Nicht an erster Stelle wie bei den Juden eine Willens-Opposition. Die Gegensatzpaare sind also scharf umrissen : a) Jude gegen Grieche; b) Willens- gegen Weisheitsopposition; c) der Vorwurf, dass Pauli Botschaft ein dofteves enthalt, gegen den anderen, dass sie eine fico^ia einschliesst; d) demgegenüber aber Pauli doppelte Versicherung . 1. wenn der Jude sich nur in der Tat Christus übergibt, dessen Evangelium, nach Paulus, ja vollstandig mit dem, was nach logischem Gedankengang aus dem Alten Testament abgeleitet werden kann, übereinstimmt, dann wird der Jude sehen, dass das, was er für aoêsvég ansah, tatsachlich dvva/iLQ üeov ist; und 2. ebenso wird der Grieche, wenn er sich nur dem Grundaxiom der wahren aocpia übergibt, dass namhch bloss eine transzendente Offenbarungstat (d. h. Offenba- n Cf. G. Stahlin, Skandalon, Die Gesch. e bibl. Begr Gütersloh 1930. S. 203 ff.; cf. K. Schilder, Over het „Skandalon' , Geref. Theol. Tijds., Aalten, XXXII.'2. (Juni 1931), S. 64. rungstat von oben her) die wahre oocpia inhaltlich lehren kann, sehen, dass das, was er für /ucogia hielt, tatsachlich doch oocpia fteov ist. Zwischen Paulus und Kierkegaard liegt also hier ein prinzipieller Meinungsunterschied vor. Kierkegaard lasst den Inhalt der „Botschaft" für dieselben Personen sowohl zum Paradox als zum Skandalon werden; Paulus dagegen macht hier einen ausdrücklichen Unterschied; G. Stahlin spricht, mit Recht, von einer „scharfgeschliffenen Antithese zwischen" den Hellenen, die Paulus' Predigten als Paradox, und den Juden, die sie als Skandalon empfinden. Zwischen oxavdaXov und ficogta ist der Gegensatz kontrar, zwischen oxavöakov und övva/iig (bzw. orj/ueïov) ist er kontradiktorisch, sagt Stahlin; wir fügen noch dazu, dass auch zwischen dem Empfinden der Botschaft als /mdqlcl (bzw. Paradoxon) einerseits, und ihrem Anerkennen als oocpia êeov im mozeveiv andererseits ein Gegensatz liegt, und zwar ein kontradiktorischer. Aus dem Gesagten geht ein zweiter Unterschied hervor: nach Kierkegaard ist das Empfinden der Wahrheit als Paradoxon permanent und zwar in den firj dnoXXvfiEvoi, bzw. in den xlrjzoi, den mozevovzeg, den aay'Qójievoi. Paulus dagegen weist mit Nachdruck darauf hin, dass allein für die dnoklvfievoi der Inhalt seiner Predigt als Paradoxon (bzw. als Skandalon) gilt, wahrend für diejenigen, die zum mozeveiv gekommen sind, das Paradoxon bzw. das Aergernis für immer aufgehoben wird und die oocpia. bzw. die dvva/uig fieov als eine vyiaivovoa didaonalia anerkannt zu werden anfangt; diese geistige Wendung vollzieht sich bei ihnen prinzipiell in dem bestimmten „Augenblick", worin sie sich Gottes Autoritat „hingeben", im Moment also der „Wiedergeburt". Dies ist ein bestimmter Zeitmoment und deshalb vom Kierkegaardschen „Augenblick" prinzipiell zu unterscheiden. Diese vyiaivovoa óidaoxaMa ist zwar für die Hellenen neu, lasst sich jedoch a posteriori auch von ihnen fixieren in bestimmten Lehrresultaten, (wovon Kierkegaard überhaupt nichts wissen will). Und für die Juden war sie faktisch schon latent vorhanden in dem ihnen vertrauten Offenbarungsinhalt; sobald dieser nur nach richtigem hermeneutischem Prinzip ausgelegt wird, wird das Latente patent werden. Es gibt noch einen dritten Unterschied. Kierkegaard lasst Paradox und Aergernis beim „existentiellen" Christen auftreten; dieser jedoch sieht, malgré lui, verdachtig einem „reinen" Christen ahnlich. Paulus dagegen konnte eben darum das Paradoxon bzw. Skandalon für den „existentiellen" Christen (sei er ]ude oder Hellene von Geburt) verschwinden lassen, weil er immer davon ausgeht, dass nur die oagti den Inhalt seiner Predigt als paradoxal bzw. skandalös empfindet. Der Begriff odg£ hat hier bei Paulus keine kreatürliche, sondern hamartiologische Bedeutung; nicht die Kreatur oder das Kreatürliche als solches, sondern das, was sich durch die Sünde Gott entfremdet hat, ist damit gemeint. Also nicht der existierende Mensch überhaupt, sondern der im Unglauben verharrende Gottesfeind empfindet nach Paulus das Paradoxon. Ein ahnliches Missverstandnis inbezug auf Pauli eigentümliche Ansicht beherrscht Kierkegaards Verwendung von 2. Kor. 12, der Stelle vom Pfahl im Fleisch. In diesem Kapitel spricht Paulus darüber, dass er, wollte er, ebensogut wie die spiritualistischen Schwarmer in der Korinthischen Gemeinde, sich auf „Gesichte" berufen und ekstatisch reden könnte. Aber er will das nicht, weil er es nicht darf. Ist ihm doch ein Pfahl im Fleisch gegeben, damit er nicht sollte vneQaiQeoftai. M. a. W. der „Pfahl ist ihm nicht durch, sondern trotz seiner Ekstasen „gegeben und zwar zum Zwecke, dass er zur Gemeinde nicht in ekstatischer Rede, sondern in didaktischer Prosa sprechen würde. ') (Vgl. was wir S. 252/3 Otto gegenüber bemerkten über Christi didaktische Prosa). Erinnert man sich nun, wie sich Kierkegaard gerade gegen „fertige Resultate und gegen Denken ') Vql. K. Schilder, Christus, zijn laatstgeroepen apostel verdrukkend; in „Menigerlei Genade", Kampen, Jhrg. XXI, No 21 (20. Sept. 1931). und Reden ohne Leidenschaft auflehnte, auch in seinem Akzentuieren der Idee vom Pfahl im Fleisch, so wird der Unterschied deutlich: Paulus, ganz anders wie Kierkegaard, kampft gegen Leidenschaft, gegen Ekstase, gegen resultatund dogmaloses Prophetentum und für eine aus legitimen Anfangs-Axiomen weiterschliessende Lehrtatigkeit, für eine der Gemeinschaft (der „Kompanie" !) sich zuwendende vyiaivovoa didaoxatta, für dogmatischen folgerichtigen Aufbau, wenn nur am Aniang aller SidaoxaMa der Gehorsam steht. Denn durch diesen hat man prinzipiell erkannt und kann auch weiterhin selbst mit Hilfe von Schlüssen erkennen, was Gott 'étiqetie und ngénei (Ebr. 2, 10). ') d) Kierkegaards ungewollte Verletzung der Gedanken des Neuen Testamentes hat zur Folge, dass er auch in Hinsicht auf die Stelle, die das Paradox (und das ParadoxDialektische) in der „Existenz" einnimmt, eine andere Richtung einschlagt als das Neue Testament. Nach dem, was uns unter c) klar wurde, steht sozusagen „das Paradox" im Neuen Testament an erster Stelle, nach Kierkegaard steht es an zweiter. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir uns hier sehr ungenau ausdrücken; das Neue Testament lehrt ja doch keineswegs „das Paradoxon", als ware dies ein objektives Gegebenes. Die besprochenen Stellen haben ja einzig und allein dann Sinn, wenn die von Paulus gepredigte Wahrheit vom kierkegaardschen „Paradoxon stricto sensu" frei ist; dann erst wird erklarlich, dass das Empfïnden der Wahrheit als Torheit und Skandalon aufhört, sobald das Subjekt sich in Gehorsam gefanaennehmen lasst (1. Kor. 1, 24). Aber mit diesem Vorbehalt kann man doch den soeben aufgestellten Gegensatz zwischen Kierkegaard und Neuem Tescament aufrecht erhalten. Die Religiositeit A (worüber hier bereits gesprochen wurde) muss ja doch nach Kierkegaard beim Individuum „erst zur ') G. Stahlin. a.a.O., 280, glaubt, hier liege ein Gegensatz zwischen dem Konstatieren des Skandalons als Korrelat der göttl. Art d. Botschaft und dem zxpnrz (auch der ijyuxivsucrx StSxtritxXta.) vor ; vgl. dagegen K. Schilder, Over het Skandalon, a.a.O., II, S. 111. Stelle sein", ehe davon die Rede sein kann, dass es auf das dialektische B aufmerksam werde. „Wenn sich das Individuum in dem entscheidendsten Ausdruck des existentiellen Pathos zu einer ewigen Seligkeit verhalt: dann kann davon die Rede sein, dass es darauf aufmerksam werde, wie das Dialektische an zweiter Stelle (secundo loco) es in das Pathos des Absurden hinunterstosse". ') Religiositat A „hat nichts Dialektisches an zweiter Stelle";2) denn sie hat wohl auch ihre „Dialektik", aber sie ist nicht paradox-dialektisch. Ihr testimonium paupertatis kann man ausstellen, wenn man den Gegensatz zwischen Religiositat A und B so sieht: REL. A. | REL. B. Ausgegangen wird vom Bewusst- Ausgegangen wird von d. Tatsache, sein des Menschen, dass er seiner dass der seinem Wesen nach Möglichkeit nach ewig ist. Ewige entsteht i. d. Zeit, wachst, stirbt (entgeg. seinem Wesen): „DAS Geschichtliche!" Widerspruch i. d. Immanenz. Bruch mit allem Denken u. mit der Immanenz. Des Individuums eigne, aus Erwa- Paradoxe Umbildung der Existenz gung „des Ewigen" entstandene, durch das Verhaltnis zu etwas pathetische Umbildung der Existenz, Geschichtlichem (vgl. oben: das also schliesslich Dialektik der Ewige in der Zeit.) „Verinnerlichung". Pathetisch, nur in weiterem Sinne Paradox, dialektisch sensu stricto, dialektisch zu nennen, nicht un- speziflsch christlich. bedingt christlich. Die Dialektik ist zwar nicht die Kein sich Besinnen, aber Verhaltnis, Spekulation, aber sie ist doch wohl und dies nicht „zum Ewigen , spekulativ; sich Besinnen über das sondern zum Ewigen in der Zeit. Verhaltnis zum Ewigen. Das Ewige ist ubique et nusquam. | Das Ewige ist an einer best. Stelle. ') Abs. unw. Nachschr. II, 238. 2) a.a.O., 261. REL. A. REL. B. Allgemein-Pathetisch. Abstoss zum neuen Pathos. Nicht entscheidend. Entscheidend. Selbstvernichtung vor Gott, das Wie Selbstvernichtung von Gott (das Ge- der Existenz resultiert aus d. Verh. \ schichtliche!), das Verh. d. Indiv. d. Indiv. zum Ewigen. zum Ewigen resultiert aus dem Wie seiner Existenz. ') Das der Religiositat A ausgestellte testimonium paupertatis ist jedoch noch „günstiger", als das ihr vom Neuen Testament gegebene Zeugnis. Auch Paulus, der Schreiber vom Röm. 1/2 und 10, kennt eine gewisse „Religiositat" bei Jude und Grieche;2) aber er ist weit davon entfernt, darin, wie es Kierkegaard tut, eine Vorstufe, eine conditio sine qua non einer auf höherem Niveau liegenden, paradox-dialektischen Religiositat B zu sehen. Im Gegenteil, diese „Religiositat" von Jude und Grieche lehnt sich gegen Pauli kêrygma auf, wie wir sahen, (cf. auch noch Röm. 9, 32) tut dies vermöge der falschen Spannungen der alten Religiositat, und nennt die christliche nur solange /ncüQia und oxavdakov, als sie selbst in „A" verharrt. Sobald „B" (wir übernehmen nun eben die Terminologie) angenommen wird, ist das Paradox übecwunden, nach dem Neuen Testament. (1. Kor. 1, 24. 25. 30; 2, 1-10. 15. 16; 3, 1. 2 usw.). Bei Kierkegaard kommt das Paradox-Dialektische also „an zweiter Stelle", d.h. nachdem das Subjekt in ein Verhaltnis nicht nur zu „etwas" Geschichtlichem, sondern zu „dem" Geschichtlichen, (Gott im Fleisch)3) eingetreten ist, nachdem es von einer leidenschaftslosen und nur „approximierenden" Erkenntnis von „etwas Geschichtlichem" zu einem subjektiv-existentiellen Verhaltnis zu „dem" Geschichtlichen (Gott, die Ewigkeit in der Zeit) ') a.a.O., 258/9, 142/3, 251, 261, 237/8, 239, 250/1, 253/4. 2) Röm. 1, 21 ff.. 28; Röm. 2, 14. 15; Röm. 10, 1 ff. 3) Abs. unw. N. II, 258. fortgeschritten ist, sobald es von der ersten Schöpfung zu dem zweiten „Mirakel der Schöpfung" (das es zum Christen machte) gekommen ist. ') Aber im Neuen Testament ist das Empfinden der Weisheit Gottes als Torheit und. das „des" Geschichtlichen als Skandalon keine Ofïenbarung und keine Frucht der xaivrj xxioig, der „neuen Schöpfung", ebensowenig eine Nachwirkung der ersten Schöpfung (des kreatürlich Gegebenen), sondern es ist nur ein sich Auflehnen der Sünde, der a-nomia in der alten Schöpfung, der cpvou; des xpvyiKOQ av&QcoTzog (1. Kor. 2, 14, cf. oben). Nur durch diese a-nomia wagt die alte Kreatur in ihrer Hybris antinomia zu pratendieren in dem, was von Gott ausgeht; dass dies eine Lüge ist, steht für Paulus fest.2) e) Das soeben besprochene Ausschalten jeden „approximierenden" Denkens (im Hinblick auf die Geschichte) wird von Kierkegaard nun auch durchgeführt im Hinblick auf die Erkenntnis des Menschen inbezug auf Gott. Und notwendigerweise wird so sein Konflikt mit dem Neuen Testament auch auf dieses Gebiet übertragen. — Die Linien lassen sich nahezu mechanisch konstruieren. Wenn, wie wir erfuhren, nach Paulus das Individuum nur solange die Wahrheit als Paradox (stricto sensu) erfahren kann, als es ihr abweisend gegenüber steht, dann geht daraus hervor, dass überall, wo die Wirklichkeit paradoxaler Not ist, Gott Objekt, Gegenstand des Denkens ist. Die „unio mystica" fehlt ja doch (noch), zu Gott ist das Subjekt (noch) gar nicht in ein Ich-Du-Verhaltnis gesetzt. Das Subjekt, das paradoxale Spannung und Aergernis erlebt, hat nur anlasslich einer Le/ir-Verkündigung in einem „Reflektieren (objektiv) auf die Wahrheit als einen Gegenstand" 3) über „Gott im Fleisch, Gott in der Zeit" nach- •) a.a.O., 254-256. 2) 1. Kor. 2, 8. 11. 13 o-uuKpivovrei; (rifis.it;/), cf. das Gesagte über die i>yi(xi.voun) I, 278. 2) I. 277/8. 3) Phil. Broeken, 55. *) Ph. Br., 73. 5) Ph. Br., 95 „Es gibt keinen Schüler zweiter Hand. Wesentlich gesehen ist der erste und der letzte gleich". Schilder 21 horen" wohl eine „verlorene Liebesmühe" ist, ja sogar eine „gefahrliche Bemühung" — aber doch in se kein Trug). ') Dass dies die schwache Stelle in Kierkegaards Denken ist, bedarf keines Beweises. Hatte er in der genannten Dreiheit von Denkobjekten Gott ausser Betracht gelassen, dann stünde es anders; aber nachdem er nun Gott ausdrücklich als Objekt des approximierenden Wissens be~ zeichnet hat und dann weiter dies Wissen so taxiert hat, wie er es tat, ist tatsachlich damit die Lehre vom „absoluten Paradox" durchbrochen; es wird da — das fühlt man hier fast von selbst — einmal ein anderer kommen müssen, um über die ganze „horizontale Flache" menschlich-„objektiven" Wissens unerbittlich den Tod auszurufen und zwischen Gott und Mensch eine „Todeslinie zu konstruieren, um so die Konsequenz zu ziehen, die Kierkegaard unterlassen hat. Kierkegaard selbst bleibt vor einer bestimmten Grenze stehen; einerseits heisst Gott der Bruch mit aller Immanenz, die Durchbrechung allen Denkens, andererseits halt er, eben um Dialektiker bleiben zu können, am principium contradictionis fest, weil „doch schon Aristoteles eingesehen hat, dass die Aufhebung des Kontradiktionsprinzips auf das Kontradiktionsprinzip basiert ist, da sonst der entgegengesetzte Satz, es sei nicht aufgehoben, ebenso wahr ist".2) Man kann sich von dieser Schwierigkeit nicht befreien durch eine Berufung auf den „Gegensatz der Pseudonyme , die Kierkegaard angenommen hat, als ob hier z.B. „das Zwischen ihres (d.h. Johannes Climacus und Anti-Climacus ) Gegeneinander" zu suchen sein würde,3) denn, wie man ') Ph. Br., 96. 2) Ph. Br., 99. ") rn. ijr., yy. . u 3) Przywara, D. Geheimnis usw., S. 1, der in Kierkegaards eigener Behauptung, sein Geheimnis als Schriftsteller sei die (bewusste) Duplizitat oder Zweideutigkeit (Der Gesichtspunkt £. meine Wirksamk. als -schriftsteller, ed. Tena Bd. X, 1922, S. 7), statt „Zweideutigkeit' lesen mochte: „Doppeldeutigkeit", S. 3. — Vgl. Geismar, a.a.O., 119, und im Gegensatz dazu: Strindberg, angef. in C. E. W L Dahlström Strindberg s Dramatic Expressionism, Ann Arbor, Univ. of Michigan, 1930, S. 149 (Str., XXIX, auch über diese Pseudonyme denken mag — wir zitierten oben absichtlich nur aus Johannes Climacus. Wir glauben denn auch nicht mit Przywara „das schneidend Diatonische", „das" bei Kierkegaard „auf der einen Seite eine gewisse Klarheit vermittelt anderseits jede Vermittlung unmöglich macht", und das einerseits ,,die Dialektik der Widersprüche auf die Einheit der 'Existenz' und des 'Augenblicks' bringen" will, andererseits „nur die Kategorie der 'Verzweiflung' bleiben" lasst, aus einem Gegeneinander von Climacus und Anti-Climacus erklaren zu müssen. ') lm Gegenteil, wir stehen hier vor einem von Kierkegaards innerlichen Widersprüchen; aus seinem Standpunkt betreffs des absoluten Paradoxes, das ja doch, abgesehen von Leidenschaft in der Innerlichkeit auch einen Bruch mit allem Denken proklamierte, hatte folgen müssen, dass der, der einmal auf der Höhe des Paradoxes, im „Augenblick" steht, von dieser Höhe aus Bibel und Kirche mit allem, was „objektiv" ist, als grundsatzlich falsch verwerfen, „überwinden", muss. Anstatt dessen sehen wir jedoch Kierkegaard Bibel- und Kirchenfragen (auch insoweit sie beider Wahrheitscharakter betreffen) als indifferent für den para- 357). — Kierkegaard selbst (a.a.O., 7, Note) unterscheidet die „asthetischen" Schriften (auch Ph. Broeken) von den „religiösen", und setzt zwischen diesen beiden (1. und 3.) Abteilungen die Abs. unw. N., als 2. Abt.; Scharfe Trennung sei verboten, S. 8, 11, 12, die Abs. unw. N. sei der Wendepunkt zw. asth. u. rel. Schr., 9, 30; sie sei „keine asth., aber auch keine im strengsten Sinn rel. Arbeit"; daher d. Pseudonym, wobei K. selbst als Herausgeber genannt wird, S. 9 ; aber bei den Ph. Br. ist d. gleiche Sachverhalt. Es handelt sich nur um eine „asth. Verkleidung", 10, um Fühlung m. d. Menschen zu bekommen, 18, um sie „in das Wahre hineinzubetrügen", 28. Die abs. unw. N. eignet sich erst die pseud. asth. Schriften zu (zurück vom Aesthetischen, damit man Christ wird), und beschreibt dann ihrerseits den andern Weg (zurück vom System, vom Spekulativen, usw., damit man Christ wird), 30. ') Przywara, S. 4. Was der Verf. behauptet über „das Paradox" des „gesteigerten Zwischen — Paradox zwischen Mann und Frau, P. zw. Gott u. Geschöpf, P.zw. Ich u. Ich (die Fülle des Kierkegaardschen Grundbegr. d. 'P.') — scheint uns unberechtigt, S. 5/6; und die Uebersetzung von ,,/fonfinium" (Ironie das Konf. zw. d. Aesth. u. Ethischen, Humor d. Konf. zw. d. Ethischen u. d. Rel., Abs. unw. N., II, 187) durch Zwischengebiet auch, sowohl grammatisch, als auch in bezug auf K's Auffassungen, z.B. S. 191. doxalen Glauben betiteln. „Wenn alle Engel sich vereinigten, so könnten sie doch nur eine Approximation zustande bringen, weil für ein geschichtliches Wissen eine Approximation die einzige Gewissheit ist, aber auch zu wenig, eine ewige Seligkeit darauf zu bauen". ') Und wenn man die Konfession der gefestigten Kirche gegen das direkte Wort der Apostel abwagen will, dann ist alles, was „sich in dieser Richtung, pro et contra, sagen lasst, wieder nur eine Approximations-Skepsis".2) So ist der mit soviel Nachdruck3) in den Vordergrund gestellte Approximationsbegriff eigentlich Kierkegaards schwache Stelle, vor allem, nachdem er ihn nun auf die cognitio dei anwendet. Seine ganze Begriffsreihe, Skandalon, Krisis, Durchbruch, Paradoxon sensu eminentiore, wird dadurch relativiert; und sofern die absolutistische Redeweise beibehalten wird, so wird eben durch das Betonen des approximativen Charakters der „objektiven Gotteserkenntnis auch der beste Apologet Kierkegaards daran verhindert, seine Paradoxenlehre von aller Rhetorik freizusprechen g) Diese Inkonsequenz lauft parallel mit vielen anderen ; wir gehen hier nun nicht naher darauf ein, sondern weisen nur auf eine Besonderheit hin, die uns vor allem interessiert in Hinsicht auf die in der dialektischen Theologie aufgeworfene Frage vom „Anknüpfungspunkt (d. h. von ,,der Beziehung zwischen dem °natürlichen Menschen und dem Worte Gottes")4): dass namlich Kierkegaard sein ..Subjektivitatsprinzip" nur unter der Voraussetzung behaupten kann, dass im Menschen irgendwie ein „An- ') Abs. unw. N., I, 125. 2) a.a.O., 137. ■'') S. nebst d. schon angef. Stellen auch noch Abs. unw. N., 1, 110, 119, 125, 127, 132/3, 136/7/8, usw. f> 4) So Emil Brunner, Die Frage nach d. „ Ankn. p. als Problem d. 1 heol., Zwischen den Zeiten, X, 6 (1932), S. 506; vgl. K. Barth, Chr. Dogtn. I. 1 S. 26 und G. C. Berkouwer, Geloof en Openb. i. d. nieuwere duitsche theologie, Utrecht, 1932, 132, 213; K. Barth, Die kirchl. Dogmat ik. 1. Bd., 1. Halbb. (D. Lehre v. Wort Gottes), München, 1932, b. 251. knüpfungspunkt" für die göttliche Unterweisung liegen muss, wenn Gott selbst als auch die Bedingung des Verstandnisses gebender Lehrer auftritt; ') wahrend andererseits ein Sündenbegriff vorgebracht wird, der tatsachlich auch jede Verstandnismöglichkeitfür die Wahrheit beim Menschen in Abrede stellt.2) Das „Mirakel" der „neuen Schöpfung" wird wohl pratendiert, aber nicht genügend adstruiert, und jede Verwandtschaft z. B. mit Calvins Begriff von Wiedergeburt fehlt. 4. Wenn der beste Schüler der ist, der die Grundgedanken seines Lehrmeisters übernimmt, daraus weiter schliessend sie von fremden Beimischungen saubert und dabei die Inkonsequenzen des Meisters überwindet, dann ist K. Barth, sowohl als einzelner Theologe als in Zusammenhang mit „der" dialektischen „Schule" gesehen, zweifellos Kierkegaards bester Schüler. Denn in seiner Theologie (die z. T. Philosophie ist) wird Kierkegaards Faden aufgenommen und festgehalten, auch da, wo dieser ihn wohl einmal losliess. a) An erster Stelle bereits bemerken wir, dass, ebenso wie bei Kierkegaard so auch hier, gegen Hegel Einspruch ') Vgl. hier S. 107/8. 2) Vgl. T. Bohlin, K.'s dogm. Ansch., 320, Note. Schon die „Krankheit zum Tode" an sich zeigt, dass K.'s Sündenbegriff unbiblisch und keineswegs einheitlich ist. Einerseits wird (ed. Jena, 1924, 115) die Sünde in unmittelb. Zusammenh. m. d. Qualitatsunterschied zw. Gott u. Mensch gesetzt (und also prinzipiell eine Steigerung dieses Unterschiedsverhaltnisses abgeleugnet), andererseits diese Steigerung geglaubt, 1.1., auch 94 ; das Selbst wird durch die Vorstellung von Gott unendlich potenziert und damit die Sünde zur restlos bewussten, freien Tat. „Restlos bewusst" ist nach dem N. Test. die Sünde nur beim Satan, und auch in dem ganz besonderen Fall, wo die Vergebung (und die Möglichkeit der Reue) aufhört: die „Sünde wider den Geist" .... Bei K., 90, „liegt die S. nicht in der Erkenntnis, nur im Willen", nach d. Bibel im „Herzen" (als Zentrum d. Lebens), daher auch i. d. Erk., daher Röm. 1 (immer weitergehende Deteriorisierung). Nach K. ist die Sünde keine Negation, sondern eine Position, er meint damit, dass sie „vor Gott" ist, 94, aber er lasst die Auff. d. Sünde als actuosa privatio boni ausser Betracht (wobei Anfang u. Prozess, Sünde und Natur, Negation und „Position", Sünde u. Erlösung mit einander in Zusammenhang gebracht werden). Der Heide sündigt nach K. nicht vor Gott, darum sündigt er nicht im strengsten Sinne, 76; es gibt also Grade der Verzweiflung, 96, obwohl die Position der Sünde aus sich eine immer mehr ponierende Kontinuitat entwickelt, 100. Es ist schwer, diese Gedanken einheitlich zu finden. erhoben wird, weil bei ihm die Gegensatze in Natur und Geisteswelt in einen Ja und Nein synthetisierenden Prozess aufgelöst werden. Barth lehnt sich radikal gegen diesen Optimismus auf und geht dabei aus von Kierkegaards Axiom vom unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Ewigkeit und Zeit, Gott und Mensch, oben und unten, absolut und relativ. Ausserdem hat ,,ein Tröpfchen Ewigkeit mehr Gewicht als das ganze Meer der der Zeit unterworfenen Dinge"; darum ist dieses antithetische Verhaltnis durchaus kritisch. Alles Fleisch kommt unter ein kritisches Nein, eine absolute Krisis, und das bedeutet keine Entfaltung des Sinns der Geschichte, sondern ihre „radikalste Erledigung . ) Die Geschichte an sich hat keinen Sinn; was ihr Sinn gibt, kommt von aussen und oben: „dass Gott spricht . ) Daraus ergibt sich denn auch, dass mit der Hegelschen „Negation der Negation" hier nichts angefangen werden kann; nur die absolut kritische Negation (die mittels Gottes „Gericht" über unsere Geschichten kommt) hat hier et was zu sagen.3) Barth klagt, dass Hegels These-AntitheseSynthese-Konstruktion die Frage nach der Ueberwindung des Selbstwiderspruches des Menschen zu einer „dialektischen Scheinhaqz" mache; er halt sie darum auch für verwerflich;4) sie stellt, sagt er, die („subjektive") Existenzfrage nicht.5) In diesem Vorwurf für Hegel stimmt Barth also wieder Kierkegaard bei. So ist Barths Kulturkritik, eben durch ihr Verwerfen aller Immanenz und durch ihren „Krisisismus", der^schon früh den „Kritizismus" für sich annektieren wollte,6) eine ') K. Barth. Römerbrief, 8. —11. Tausend, 1924, 51, cf. 28,104,143,178. 2) a.a.O., 67, 116. Daher F. Gogartens Kontrovers mit Troeltsch beschichtsphilosophie (Ich glaube an d. dreiein. Gott); cf. F. Kattenbusch, Glaube u. Gesch., in Theol. Blatter, Juli 1927 (VI, Nr. 7.), 186. 3) Römerbr. 90. 4) Die Chr. Dogmatik, I, 1, 1927, S. 71. 5) Chr. Dogmatik, 72. 6) E Brunner, Das Grundproblem d. Phil. bei Kant u. Kierkegaard, Zw. d. Zeiten, 1924, Heft VI, S. 31, ff; 34, 36, 40 („die Kluft zwischen dem Gegebenen u. d. Nichtgegebenen.... heisst — bei Kant — nicht mehr bloss Denkwiderspruch — Antinomie — sondern Existenzwiderspruch, bchuld ), 11. direkte Fortsetzung von Kierkegaards Anti-Hegelianismus geworden, auch was Kierkegaards Kritik an Hegels Hintansetzung der Bedeutung des Einzelnen betrifft. „Dem Hegelschen weltgeschichtlichen Denken gegenüber .... gilt es die unvergleichliche entscheidende Bedeutung des Einzelnen .... ans Licht zu stellen. Denn der Mensch unter dem Gesichtspunkt des Sollens ist immer ein Einzelner, keine Kollektivitat und kein Abstraktum, wie bei Hegel". ') b) So wie bei Kierkegaard die Kritik an Hegel in ein emphatisches Hervorheben des ,,/n'c et nunc" des Existierenden (nicht seines Existiert/iabens) umschlug, so ist es auch bei der dialektischen Theologie. Bewusst knüpft Heinrich Berth hier an Kierkegaard an.2) Und Hinrich Knittermeyer fürchtet ebenfalls, dass, wenn „die Geschichte zur Illustration (wird) der 'Gestaltung des Geistes in Form des Geschehens'" (Hegel), „sie damit.. . . die unvergleichliche Ernsthaftigkeit verliert".3) Gegen das „objektive" (leidenschaftslose, uninteressierte, nicht existentielle) Denken lehnt sich Barth ebenso auf wie Kierkegaard. Dass hier bei Barth c.s. wieder ein direkter Zusammenhang mit der Struktur des Begriffs der Geschichte (und also mit der Kritik an Hegel) besteht, wird wohl klar ersichtlich aus Gogartens Ueberzeugung, dass er das Ich-Du-Verhaltnis, das in der dialektischen Theologie 4) und bei einem mehr oder weniger Abstand bewahrenden5) Geistesverwandten wie Karl •) Brunner, a.a.O., 42. 2) Chr. u. idealist. Deutung d. Gesch., Zw. d. Z., III, Heft 2 (1925), 168. 3) Zur Ethik d. Ggw., Theol. BI., VII, 9 (Sept. 1928), 213 (in bezug auf Grisebach, cf. ebenda 173). Der Gegensatz zwischen Grisebachu. Barth zeichnet sich scharf ab, wenn Gr. schreibt (a.a.O., 222, Note 2): „Der Widerspr. ist das Grundgesetz d. menschl. Wesens, in welchem entgegengesetzte Prinzipien zur systematischen Begründung sich finden". Vgl. (hier) § 8. 4) Cf. F. Kattenbusch in Theol. BI., (VI, 7), Juli 1927, 187 (über Gogarten); ebenda, 1928, Juli, (VII, 7), 174 (Barth: die reale Dialektik des Ich und Du, statt des Idealismus); cf. a.a.O., (1927, Jan.), VI, 1 (Eckart! nach K. Beth); E. Brunner, Erlebnis usw., 2. u. 3. Aufl. 1923, 125; Kohnstamm, De Heilige (Schepper en Schepping III, Haarlem, 1931) 43, 134, 137; Theol. Bl„ 1927, Febr.. (VI, 2), 39 (Hirsch !) 5) Berkouwer, a.a.O., 84 ; vgl. (hier) § 8. Heim') eine so grosse Rolle spielt, durch ein glaubiges, nicht spekulatives Betrachten der Geschichte in ihr entdeckt hat.2) An anderer Stelle wird dies Verhaltnis zu einem von Frage und Antwovt, und zwar unter Einwirkung eines (a la Kierkegaard) von aller Abstraktion freien Existenzbegriffes.3) Auch dieser letzte bleibt in seinen Grundzügen kierkegaardisch. Wie unbestimmt und auseinandergehend auch die Aeusserungen in dieser Hinsicht sind, so ist doch eines deutlich: dass sich der Barthsche Existenzbegriff von dem des Phanomenologen Heidegger prinzipiell unterscheidet. Ist ja doch bei Heidegger „der formale Begriff von Existenz" darin „angezeigt": „dasein ist Seiendes, das sich in seinem Sein verstekend zu diesem Sein verhalt";') so zeigt sich, dass Heidegger wohl sehr nachdrücklich aus diesem „ In-der-Welt-Sein" oder dem „In-Sein" (formaler, existentialer Ausdruck des Seins des Daseins)5) auf das „Gehen im Kreise" schliesst, auch im Erkennen,6) aber ausdrücklich in Abrede stellt, dass der circulus hier vitiosus ist.7) Und eben in diesem letzten Punkt ist Barth offenbar sein Antipode, denn bei Barth ist der Kreisgang immer „vitiosus"; nur im Schnittpunkt der vertikalen und horizontalen Linie kommt die Wahrheit zum Existierenden. Dies nun ist rein kierkegaardisch; Uebereinstimmung zwischen den Existenzbegriffen von Heidegger und Barth kann also, wie auch hier ersicht- •) K. Heim, Glaube u. Denken, Berlin, 1931, 405, ff., passim. 2) F. Gogarten, Ich glaube, usw., cf. Theol. BI. VI, 7, 187. 3) Heinrich Barth, Philosophie, Theologie u. Existenzprobleta, Zw. d. 1932, (X. H. 2), 107, 106. Existenz: „konkrete Entscheidung für e. Möglichk'eit, die in dieser Entsch. ihre Verwirklichung erfahrt"; in der Konkretion des je einmaligen, hic et nunc sich ereignenden exsistere zu denken. (105). 4) M. Heidegger, Sein und Zeit, 1. Halfte, Halle a. S., 1931, S. 53. 5) a.a.O., 54 ( d. form. A. d. S. d. Daseins, das die wesenhafte Verfassung des In-der-Welt-seins hat). 6) a.a.O., 152 (Auslegung muss sich je schon im Verstandenen bewegen und aus ihm her sich nahren). „In jedem Verstehen von Welt ist Existenz mitverstanden und umgekehrt . Cf. auch S. 7, 8, 153, 315. 7) a.a.O., 153. lich, nicht mit Recht behauptet werden. ') Heideggers „Zirkelverfahren" steht diametral Barths Ich-Du-Verhaltnis gegenüber, das mit dem existentiellen Denken direkt in Verbindung gesetzt wird, weil der „Du" absolut und transzendent ist: Gott.2) Kein Wunder, dass in diesem prinzipiellen Punkt Barth wieder in der Linie von Kierkegaard bleibt, denn er hat auch seinen Existenzbegriff in Kontrovers mit (u.a.) Hegel aufgestellt;3) der Optimismus des Zirkelverfahrens findet keinen Widerhall beim Prediger einer „zerrissenen" und also „fragenden" Existenz.4) Auch in dem, was wir weiter noch unter b) über Kierkegaard bemerkten, lassen sich die Parallelen mit dem Barthschen Denken leicht finden. Der existentiell bewegte Mensch sei nicht ohne Leidenschaft, kein ausgebrannter Krater; es gibt keine beati possidentes; „haben" ist ein verbotenes Zeitwort.5) Eine „Grenzsituation" (s. oben) ist da nicht zuweilen, sondern immer vorhanden; wir leben sub specie mortis, unter Spannung, weil Ur- und Endgeschichte wegen des deus loquens auf uns lasten. So scharf wie möglich wird Kierkegaards Grenzsituation in Barths „Todeslinie" ausgearbeitet. Diese Todeslinie wird von ihm mit dem Gegebenen des unendlichen qualitativen Unterschiedes zwischen Gott und Mensch konstruiert. „Unüberschreitbar ist zwischen hier und dort die Todeslinie gezogen" — die Todeslinie, die freilich (von Gott aus) die Lebenslinie ist, „das Ende, ') W. }, Aalders. De Cirkel van Heidegger, Nieuwe Theol. Studiën, XIV, 8 (Oct. 1931), 236, behauptet, Kierkegaards Existenz-Idee habe „zóóveel overeenkomst met die van Heidegger". Aehnlicherweise, aber reservierter H. E. Weber, „Eschatologie" und „Mystik" im N. Test., Gütersloh, 1930, 227. 2) Chr. Dogmatik, 111, cf. über Gogarten; G. Krüger, Sein u. Zeit, Theol. BI., VIII, 3 (Marz 1929), 57, ff., 64, Note. Ueber das Fehlen der „Grenze" in Heideggers Existenzlehre : H. Barth, Phil., Theol. u. Existenzproblem, Zw. d. Z„ X, 2 (1932) S. 111. 3) Chr. Dogmatik, 71. 4) a.a.O., 72, 71. 5) Römerbrief, 47, 31/2, passim, 168, 87, 63, 40, 62, 193 (Kanal). das der Anfang, das Nein, das das Ja ist') Sie „trennt Gott und Mensch", denn sie ist „die absolute Grenze alles menschlichen Anschaulichen", aber sie wird denn auch eben in der Religion zu einem Schicksalsbaum „in der Mitte des Gartens", weil dort der Gegensatz zum Kreator akut wird.2) Durch sie wird die religiöse Erscheinungswelt als blosse Erscheinungswelt gekennzeichnet,3) und wird das Subjekt vom futurum resurrectionis („wir werden leben", die „Kehrseite" 4) von Christi Tod!) zu einem „unanschaulichen unmöglichen Erkenntnissubjekt" gemacht, eben weil dieses Subjekt „jenseits" der Todeslinie liegt.5) Der „Sinn" dieser Todeslinie wird zuweilen mit Hilfe einer Konstruktion von Nietzsche dargestellt: sie heisst dann „die kritische Linie", „die das Uebersehbare, Helle von dem Unaufhellbaren und Dunklen scheidet".6) Auch die Offenbarung kann die Todeslinie niemals ausmerzen, mauerfest bleibt auch sie davor stehen ; das ist, sozusagen, ein „Schicksal" von Gott als Offenbarungssubjekt. Die Todeslinie scheidet Gott von Menschen, „auch wenn alles was im Leben anschaulich ist noch so stark von einem Jenseits Zeugnis gibt".7) Sie grenzt die gegenseitige Position ab, und muss denn auch dem Glauben klar vor Augen stehen, soll er sich nicht in Subjektivitat, Relativitat, Zweideutigkeit verlieren. „Nimm die Todeslinie weg von Abrahams Glauben so nimmst du seinem Glauben den Inhalt".8) Darum sieht sie auch David in Ps. 32 (Rechtfertigung).9) Ihre Aufhebung würde Raub an Gott bedeuten, wie Adam ihn vollführte, ein „proieptisches Ansichreissen der Fülle Gottes";,0) der Glaube dagegen geht ') Römerbr., 86, 114/5. 2) a.a.O., 231, 174, 114. 3) a.a.O., 106. 4) Calvin, statt Kehrseite : fructus. 5) a.a.O., 186. 6) a.a.O., 117. 7) a.a.O., 96. 8) a.a.O., ibidem. 9) a.a.O., 100. '") a.a.O., 145, 150, 127, durch dieses „Tal des Todes" mit Bewusstsein. ') Diese Todeslinie geht nicht nur durch das Leben des ersten Adam, sondern auch durch das des zweiten Adam, „Jesus", denn sie ist „das Gesetz und die Notwendigkeit alles Menschenlebens". Der „anschauliche Sinn des Lebens Jesu " (Arzt, Heiland, Prophet, Messias, Sohn des Vaters) „ist offenbar nicht als menschliche Möglichkeit gemeint und kann nicht als solche gedeutet werden".2) Die Todeslinie ist „ptinzipielle Negation".3) Das Thema der Todeslinie kehrt unaufhörlich wieder; Barth bedient sich dabei auch anderer termini technici: Tangens, Grenze, Schnittlinie, Linie der Auferstehung etc.") c) Wie Kierkegaard das alte Christentum und die Reformation wieder zur Geltung bringen und deshalb das Neue Testament wieder zu Wort kommen lassen wollte, so auch Barth, dessen „Römerbrief" ja keine „freie religiöse oder religions-philosophische Darlegung", sondern „Schriftauslegung sein will.5) Aber auch die falsche Deutung, die Kierkegaard von den für das Skandalon wichtigen Stellen des Neuen Testamentes gegeben hat, findet in Barths entsprechender „Auslegung" ihre Parallele, ebenso auch bei Brunner. Kierkegaards Uebersehen des Unterschiedes zwischen dem gegen das Evangelium verstossenden Denken (ficogia) und dem stolzen selbstgerechten Willen (oxavdahov) findet sich auch bei Barth vor. Aergernis entsteht, nach ihm, für den, der „dem Widerspruch und dem Verharren im Widerspruch nicht gewachsen ist".6) Barth wird sogar daran verhindert, die neutestamentliche Unterscheidung der Gegensatzpaare Torheit-Hellenen, und Skandalon-Juden richtig zu werten, weil er, wenn er auch ') a.a.O., 130. 2) a.a.O., 12, 182, 183. 3) a.a.O., 191. *) a.a.O., 6, 25, 20; - 183; - 15, 22, 25, 35, 44, 51, 67, 68, 149; — 11, 12, 13. 5) Vorwort zur englischen Ausg. d. Römerbr., Zw. d. Z., (X, 6), 1932, S. 480. Man beachte das Jahr: 1932. 6) Römerbr., 14, 73 (hier direkt Zitat aus Kierkegaard). zwischen Juden und Hellenen unterscheidet, doch eben als Ausleger falsch unterscheidet: „Jude und Grieche, Gottesmensch und Weltmensch" schreibt er. ') Dass aber Paulus neben Juden und Griechen noch die Christen als dritte Gruppe kennt, für die das Evangelium weder Torheit noch Skandalon war, das lasst der Ausleger völlig ausser Acht; denn daran würde seine ganze Konstruktion scheitern, genau so wie die kierkegaardsche. Sobald man 1. Kor. 1, 2 auffasst, wie wir es oben gemass der klassischen Auslegung taten, erscheint die Aufstellung des Begriffes des „Gottmenschen", der sich „argert", als eine petitio principii innerhalb der Auslegung; Barth macht sich öfters deren schuldig. 2) In Uebereinstimmung damit wiederholt sich bei Barth öfters die kierkegaardsche unrichtige Deutung des Begriffes aagt;: die neutestamentliche Unterscheidung zwischen „Fleisch" als Geschöpf und als sündhaftes Geschöpf (vgl. ó aicóv und ó akov ovxoq) wird oft verwischt.3) So ist die Aufstellung des Gegensatzes Gott-Mensch, Ewigkeit-Zeit, und die These, die christliche Wahrheit sei auch für den homo christianus paradox-skandalös, exegetisch illegitim. ') Römerbr., 38, passim. 2) S. 33 heisst aperte Ungerechtigkeit „menschliche Gerechtigkeit", und wesentlich falsche Buchhaltung : „gleichsam falsche B.' — S. 37, alinea 1. und 2., das doppelte „kann", damit die Konstruktion von S. 38 scheinbar legitimiert wird : „Jude u. Grieche, Gottesmensch u. eltmensch (unsauberer Gegensatz, s. im Text hier) „auf eine Linie rücken" ; — S. 38, das griechische „lambanein" in „prosopolêmpsia" wird „ansehen" (und prosopon „Maske"), damit gesagt werden kann: vor Gott steht auch d. Gerechte nicht i. d. Rolle des Gerechten. — S. 96, passim, das griech. „kalein" wird: ansprechen: Gott spricht das Nicht-Seiende an als Seiendes, paradox also ; ■— S. 41, „das Gesetz tun" wird interpretiert, als: Offenbarung flndet statt. — S. 45: künstl. Konstruktion: die Wachenden sind in Gottes Urteil Schlafende (usw.), wo nur gesagt wird, dass die für Wachende Gehaltenen (oder sich selbst dafür Haltenden) schlafen, usw.,^— S. 55, cf. 58, das gr. „kata anthropon" übers. mit „nach menschlicher Logik"; gemeint ist etwas anderes : nach oberfl. Eindr., nach feindl. Einwand, nach vom Willen sich auflehnender Hybris; (sarx); -— usw. ^A^illkürl. Uebers.: S. 28, 29, 31, 32, 36/7, 67 usw. 3) a.a.O., Fleisch, verwechselt mit Fl. u. Blut; die Welt d. Fl. heisst „unsre Welt", S. 5; — „Fl. heisst radikalste Unzulanglichkeit d. Geschöpf's gegenüber dem Schöpfer.... unqualifizierter u. nach menschlichem Ermessen unqualifizierbarer Weltlichkeit", 63, vgl. 64: fleischlich-menschliche Sphare; 65: Schöpfer u. Geschöpf, Geist u. Fleisch (ganz verschiedene Gegensatzpaare, usw). Dass dieser Standpunkt auch für die Wertung der vyiaivovaa öióaoxatta und eines christlichen Schliessens auf das, was Gott Jigénei, seine Konsequenzen hat, braucht keine weitere Erörterung. d) Auf dem Wege dieser falschen Interpretation der Paulinischen Subjekte „Jude" und „Grieche" (wobei der „Jude" zum Typ des „Gottesmenschen" und weiterhin auch des „habenden" homo christianus gemacht wird) wird Barth von seinen eigenen Konsequenzen noch weitergerissen als Kierkegaard, der Jude, Grieche und Christ wenigstens noch historisch scharf unterschieden hat, und dadurch die Religiositat A, auch als dem Juden-, Griechen- und Christentum innewohnende historische Gegebenheit, zur Vorstufe seiner paradoxen Religiositat B machen konnte. Im Zusammenhang mit seinem Approximationsbegriff bedeutet das eine ziemlich weitgehende Konzession zu Gunsten der Wertschatzung des christlichen Denkens als historischer und historisierender Gegebenheit. Barth aber muss kraft seiner Todeslinie alles Historische und Historisierende „Haben" und „Wissen" unter die radikale Krisis bringen. Dennoch ist auch noch hier Kierkegaards Linie zu verfolgen. Insofern Kierkegaard das Paradoxon nicht psychogenetisch, sondern offenbarungsgeschichtlich ausgearbeitet hat, hat er, wie wir sahen, „das" Geschichtliche (die Menschwerdung Gottes) aus allem anderen Geschichtlichen hervorgehoben und sogar dem gegenübergestellt. Das war auch wieder ein Verstoss gegen das Neue Testament, denn hier ist die Menschwerdung Gottes in den einheitlichen Prozess der in dem einen ,,jöm Jahwe" sich vollziehenden historia revelationis et salutis eingegliedert, ist die von Paulus vorgetragene und von der ,,sarx" als paradox empfundene Lehre der Apostel unauflöslich mit der Lehre Jesu Christi und aller Propheten verbunden und wird das Aergernis also nicht nur auf die Tatsache der Fleischwerdung, sondern auch auf alle sie verkündigende Lehre sowohl der Apostel, als der Propheten bezogen. Die dialektische Theologie aber hat für die historia revelationis keinen Platz und ist also gezwungen mit E. Brunner in Kierkegaards Nachfolge gerade die „Unkenntlichkeit" des Gottmenschen als ein „allmachtig festgehaltenes Inkognito" zu betonen, und „die Möglichkeit des Aergernisses" gerade darauf festzulegen. ,,Kein Prophet hat je das Wort ausgesprochen: selig wer sich nicht an mit ëtgett. Das ist das Wort des Mittlers. Der, an dem man sich argern kann, ist der Mittler ; nur ihm gegenüber gibt es Aerger- nismöglichkeit". ') lm Zusammenhang hiermit ist es bemerkenswert, dass Brunner schreibt, er halte Kierkegaards Abhandlung über „Selig wer sich nicht an mir argert" (Einübung zum Christentum), hauptsachlich nur deshalb für korrektionsund erweiterungsfahig, weil Kierkegaard zu geringe Kenntnis hatte „in bezug auf die historisch-kritische Frage".2) Wir glauben, dass die historisch-kritische Frage im Zusammenhang mit Kierkegaards Approximationstheorie auch eine Frage der Wertung alles inhaltlichen christlichen Denkens in sich enthalt und dass an diesem Punkt der nicht nur prinzipiell-tatsachliche, sondern auch zögernde und noch nicht voll bewusste Anschluss an Kierkegaard all seine ideengeschichtlichen Eigentümlichkeiten darlegt. e) Auch in bezug auf das unter 3 e) Gesagte lasst sich die Parallele vorfinden, namentlich in der Verwendung des Inhalts von Röm. 10, 6—9 (Deut. 30, 12 44). Wir gehen jetzt nicht weiter darauf ein, weil in Kap. 4 diese Stellen wieder besprochen werden. f) Dass Barths an Kierkegaard geübte und schon erwahnte Korrektur in bezug auf das approximierende Denken, eben weil sie Kierkegaards Grundgedanken entnommen ist, doch im wesentlichen eine Fortsetzung der Linie Kierkegaards heissen darf, ist ohne weiteres klar. g) Und dass, wie wir bereits bemerkten, die Anknüpfung an Kierkegaard noch immer etwas Zaghaftes hat, ') E. Brunner, Der Mittler, Tübingen, 1927, S. 297, 305. 2) a.a.O., 388. ergibt sich aus der innerhalb „der" dialektischen Theologie vorhandenen Uneinigkeit über den „Anknüpfungspunkt" (siehe S. 324 Note 4). Doch ist auch hier die Anknüpfung umso mehr typisch dokumentierbar, als, wie wir sahen, auch Kierkegaard in bezug auf diesen Angelpunkt mit sich selbst nicht ganz einig ist. 5. Es gibt auch andere Denker, die namendich Barth beeinflusst haben: Franz Overbeck, Friedrich Nietzsche, Dostojewski, Hamann, Blumhardt,') u.a. Aber in bezug auf das Paradox ist doch Kierkegaards ins Einzelne gehende Erörterung so hervorragend, dass wir für unseren Zweck es nicht nötig haben, die Verbindungsfaden zwischen Barth und diesen Denkern genau zu verfolgen. Denn nur Kierkegaard hat sich mit dem Paradox so eingehend beschaftigt. Wir glauben denn auch, obwohl die dialektische Theologie in mancher Hinsicht ihre Problemstellung selbststandig gemacht hat, ihre Paradoxalitat nach-kierkegaardisch nennen zu dürfen. 2) ') Chr. Dogm., 115. cf. Die Theologie u. die Kirche, München, 1928, S. 5—8. Ueber Hamann (Missverstandnis der Vernunft mit sich selbst, logische Seite der Sünde): E. Brunner, Die Frage nach dem „ Anknüpfungspunkt" als Problem d. Theol., Zw. d. Z., 1932, X, 6, S. 526/7, Note. Ueber Overbeck: Brunner, Erlebnis, Erk., Gl., 2. 3. Aufl., 1923, S. 106/7, 111. Seine Bedeutung für die dial. Theol. ware hauptsachlich auf die Existenzfrage und auf die Kulturkritik zu beschranken. Vgl. W. Nigg, Fr. Overbeck, München, 1931, und R. F. Merkel in: Nieuw Theol. Tijdschr., XXI, 2 (1932, Haarlem), S. 160/1. Auch : F. Overbeck, Ueber d. Christlichk. unserer heut. Theol., 2. verm. Aufl., Leipzig, 1903, S. 55, 104/5; idem, Chr.tum u. Kultur, hrsg. v. C. A. BernouÜi. Basel, 1919, S. 20 („Urqeschichte"), 247, 263, 290. 2) Römerbr., Vorwort zur 2. Auflage: „Wenn ich ein 'System' habe, so besteht es darin, dass ich das, was Kierkegaard den 'unendlichen qualitativen Unterschied' von Zeit und Ewigkeit genannt hat, in seiner negativen und positiven Bedeutung möglichst beharrlich im Auge behalte". — Das Thema der Bibel und die Summe der Philosophie in Einem (1924, S. XIII). Vgl. Overbeck, Chr. u. K., 291: „Kierkegaard redet unter einem paradoxen Aushangeschild als Reformator des Chr.tums, ich denke daran am wenigsten, aber auch nicht daran die Theol. zu reformieren, die ich für mich in Anspruch nehme. Ich bekenne ihre Nichtigkeit schon an und für sich". § 7. Die Bedeutung des Paradoxes in der „dialektischen Theologie''. Wenn wir jetzt fragen, welche Stelle das Paradoxon bei dein um Barth, Brunner, Gogarten u.a. gebildeten Kreis einnimmt, dann müssen wir folgendes berücksichtigen. A. Von „der" Stellung „des" Paradoxes bei dem genannten Kreis kann eigentlich, genau genommen, ebensowenig die Rede sein, wie von „der" Schule Barths oder von „der" dialektischen Theologie. Denn a): man darf nicht nur „den Bonner Professor von heute nicht auf den Safenwiler Pfarrer von damals festlegen", wie es K. Barth selbst ausgesprochen hat, ') sondern b) die dialektische Theologie zeigt auch mehr und mehr die Neigung, in wesentlichen Punkten ihre Einheit zu verlieren. Beide Bemerkungen gelten direkt auch für das Problem des Paradoxes. ad a) Denn: was die erste Bemerkung betrifft: als der Safenwiler Pfarrer zu schreiben begann, war das Paradox bei ihm das Ein und Alles. Barths Römerbrief ist voll davon. Mitarbeiter gebrauchten das Wort unaufhörlich und bemühten sich es zu begründen; und Anhanger taten ebenso um das sacrificium intellectus, die Formel A—D, die Krisis und den Glaubenskritizismus in der „Kategorie ) 1) K. Barth, Vorwort zur engl. Ausg. d. Römerbr., Zw. d. Z„ (X, 6), 1932 478. 2) Kierkegaard. Vgl. Przywara, a.a.O., S. 21 (Grundkategorie); auc Barth in Zw. d. Zeiten, Heft I, S. 3 (Jahrg. I): kein Standpunkt, sondern ein mathematischer Punkt, auf dem man also nicht stehen kann, ein esichtspunkt bloss. Vgl. Barth, Das Prob. d. Ethik, i. . gw., w* p .ï Heft II (Jhrg. I), S. 54 : es gibt keine via dialectica oder paradoxa (zu uott von uns aus). des sogar „absoluten ') Paradox" zusammen zu fassen. Die Frage des Paradoxon wurde mit allen thesauri ecclesiae, allen fundamentalen Begriffen verbunden : Christus,2) Offenbarung,3) Ur- und Endgeschichte,4) Ewigkeit,5) Gericht,6) Gott- und Mensch-Verhaltnis,7) Aergernis,8) Glaube,9) Wunder, l0) Chr. Rede, ") Existenz, 12) Apostolat, 13) Gerechtigkeit Gottes, l4) Taufe 1S) usw. Alles dessen ungeachtet wurde i. J. 1932 vom Bonner Professor geschrieben, dass „es sich empfehlen dürfte, von diesem Begriff (Paradox), nachdem es seinen Dienst getan, aber auch allerhand Verwechslung hervorgerufen hat, in der Theologie nun wieder sparsameren Gebrauch zu machen". I6) An sich ist dies schon eine merkwürdige, etwas lakonisch angekündigte Veranderung in der Art und Weise des Sprechens (bzw. „Zeugens"). Eine wirkliche Problemverschiebung, zweitens, findet sich vor in Barths AufFassung des Wortes „Paradox" selbst. In seiner erster Periode wurde dieses Wort von Barth c.s. durch die These vom unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Zeit und Ewigkeit terminiert: was aus der Ewigkeit kam, widersetzte sich aller endlichen ') Römerbr. 75 ; E. Brunner, Das Grundpr. d. Phil. bei Kant u. Kierkegaard, Zw. d. Z., Heft VI (1924), S. 45 (Bruch m. d. Immanenz, m. d. Denkmöglichen); cf. Hermann Herrigel u. F. Gogarten, Briefwechsel, Zw. d. Z., Heft VII (1924), 3, ff., 13, ff. 2) Römerbrief 5, 6, 261, usw. 3i a.a.O., 72. ✓ 4) a.a.O., 5, 6. 5) a.a.O., 28. 6) a.a.O., 32, 33, 34, 7) 69, 75, usw. 8) a.a.O., 75. 9) a.a.O., 80, 83, 85, >°) a.a.O., 96/7. ") a.a.O., 128, usw. I2) a.a.O., 129. 13j a.a.O., 130, 163. 14) a.a.O., 137. 15) a.a.O., 171. ,6) Kirchl. Dogm., I, [182)., usw. 87. 88, 91, 95, 96, 102, 128, 143, 181, usw. Schilder 1, Lehre vom Wort Gottes, München, 1932, 172. 22 Meinung (doxa), allem Ruhm (doxa), allem Schein (doxa) der Zeit, des Menschen, des Fleisches. Das Wort „doxa" wurde damals in nahezu allen Bedeutungen, die es haben konnte, gebraucht, auch wo es, wie wir bereits sahen, zu illegitimen Manipulationen mit dem Begriff „Paradox dienen musste; aber offenbar war doch in dieser ersten Periode die Parodoxie immer als eine Konsequenz des qualitativen Unterschiedes zwischen Mitteiler (Gott) und Empfanger der Mitteilung (Mensch) gedacht. M. a. W. der Begriff „Paradox" wurde in Hinblick auf die Berührung von Mitteilung und Empfanger konstruiert oder (wenn man das hier bedenkliche Wort „Berührung" vermeiden will) in Hinsicht auf das Verhaltnis dieser beiden. Jetzt jedoch gibt Barth dem „Paradox" einen neuen Inhalt, der tatsachlich die Verwirrung, die vor ihm und auch durch ihn') in bezug auf den Begriff „Paradox" bereits bestand, noch grösser macht. Jetzt löst Barth ja doch das Paradoxon vom „Verhaltnis von Mitteilung und Empfanger los, um es zu einem Attribut der Mitteilung selbst zu machen, ohne ihr konkretes Verhaltnis zu (oder die Tatsache ihres Kontaktes mit) dem Empfanger mit zu berücksichtigen. Barth schreibt ja doch jetzt,2) dass „Para- ij Vgl. hier Kap. I, § 2, S. 31 ff., das über Peter Brunner Gesagte. Zwei bedeutende Fehler P. Brunners finden sich schon in Barths Römerbrief vor: a) die Uebers. v. paradox mit „wider den Schein" (Röm. 96, 98, nebenbei wird doxa hier auch „Ehre") b) die falsche Uebersetzung von Calvins Exegese von Hebr. 11, 1: „nee vero gratia caret antilogiae species . Brunner übersetzt (Vom Glauben bei Calvin, 160/1): „Aber Gnade ist mchtohne den Schein eines Widerspruchs" (der Ablativ wird also für einen Nominativ angesehen. gratia; man vergleiche Commentaires de M. Iean Calvin sur toutes les Epistres de 1'Apostre sainct Paul, Comm. sur 1 Ep. aux Hebrieux. Lion, Seb. Honorati, 1563, p. 573: „au reste lapparence de contradiction en ce propos a grace"). Diesen Fehler hat Brunner wahrschemlich entnommen aus Barths Römerbrief, 1924, S. XXII (Vorw. z. 3. Aufl., aeschr luli 1922). A. Deissmann, Paulus, 2. Aufl., Tübingen. 1925, hebt auch die Paradoxie hervor, 101, 122, 128. und nennt ein Bild das wider die Natur (para tèn physin) ist, paradox; dies ist aber offenbar gemeint im Sinne unseres Typ I. — Was die Verwirrung vor Barth betnfft, hier denken wir namentlich an die Mathematik, und an Kierkegaard. 2) Kirchl. Dogm., a.a.O., 172. doxon" „eine solche Mitteilung" ist, „die nicht nur mittels einer óó^a, einer 'Erscheinung' gemacht wird, sondern die naga xi]v dógav, d.h. im Gegensatz zu dem was die Erscheinung als solche zu sagen scheint, verstanden sein will, um überhaupt verstanden zu werden". Hier ist also nicht mehr dies das Paradoxale im Paradox, dass es selbst inhaltlich mit sich selbst uneins scheint, sondern dass es formal-methodisch mit sich selbst als Mitteilung uneins ist. Indessen darf man daraus noch nicht schliessen, dass Barth also das Wort Paradox schliesslich doch auch im Sinne unseres Typ I zu verwenden begonnen hat, namentlich soweit darin die Paradoxa einbegriffen sind, die selbst bereits durch einen schon an der Oberflache auffallenden scheinbaren Selbstwiderspruch überraschen (z. B. das Zenosche Paradox, der fliegende Pfeil, Achilles und die Schildkröte). So ist es nicht gemeint. In der paradoxen „Mitteilung" sieht Barth keinen Gegensatz zwischen dem Gehalt (Inhalt) ') der Mitteilung und ihrem „Schein", sondern zwischen diesem Gehalt (Inhalt) der Mitteilung und ihrer „Etscheinung", besser noch, der „Erscheinung", deren sie sich als eines Mediums („mittels") bedient. Wir brauchen nicht zu sagen, dass diese neue Verwirrung im Gebrauch des Begriffes „Paradox" ebenso beschwerlich für den wissenschaftlichen Verkehr ist, wie unverantwortlich gegenüber der Geschichte des Wortes und seiner sprachlichen Bedeutung (denn „doxa" in „paradox" bedeutet nicht nur nicht „Schein", sondern auch noch viel weniger „ Er scheinung"; überdies ruft dieses letzte, philosophisch schwer belastete Wort hier eine Menge unbeantworteter Fragen hervor). Was jedoch wohl besondere Beachtung verdient, ist die Tatsache, dass nun nach dieser neuen und letzten Auffassung Barths das Paradoxon des Wortes Gottes als ein Gegensatz angesehen wird zwischen der „Erscheinung", deren sich das Wort bedient und der scheinbaren Aussage dieser Erscheinung („was die Erscheinung als solche zu sagen scheint"). Es wird dadurch ') Inhalt: denn „Gehalt" wird interpretiert durch „Mitteilung" wieder nicht einfacher; denn nicht nur bleibt es fraglich, was der überbelastete Terminus „als solche" hier bedeutet, sondern wir stehen auch überdies vor der Schwierigkeit, hier von einer doppelten Mitteilung (Aussage) sprechen zu hören: es gibt ja doch a) die paradoxe „Mitteilung" selbst und dazu kommt dann als zweite b) die scheinbare Mitteilung ihres Mediums, der Erscheinung. So haufen sich die Fragen. Barth umschreibt jetzt das Paradoxon von Gottes Wort als Gegensatz (und zwar „in ganzer Strenge") zwischen Mitteilung und Gestalt, auch wohl als Gegensatz zwischen Gehalt und Gestalt; die „Gestalt als solche bedeutet" hier dann „ein 'Ratsel', eine Verhüllung des Wortes Gottes".') Dieses letzte Wort „Verhüllung" ist die Brücke, die inhaltlich das Paradoxon dieser neuesten Umschreibung mit Barths früheren Aussprüchen verbindet: „wir haben das Wort Gottes nicht anders als im Geheimnis seiner Welt- haftigkeit"2). Die „Gestalt.... ist ein ungeeignetes Mittel der Selbstdarbietung Gottes. Sie entspricht der Sache nicht, sondern sie widerspricht ihr".3) Diese letzten Worte muss man sich vor Augen halten um zu sehen, wie zwar das Problem der Paradoxalitat jetzt in neuen Formen und mit neuen Argumentationen4) dargeboten wird, wie aber trotzdem weiterhin das Paradoxon als ein Begriff, der ja doch seinen Dienst getan hat, anerkannt und dem Inhalt nach aufrecht erhalten wird. „Ein ungeeignetes Mittel", — ') a.a.O., 172. 2) a.a.O., 171. 3) a.a.O., 172. 4) So wird jetzt, a.a.O., 172, ein Argument für diese Analyse der Mitteilung Gottes entnommen aus 1. Kor. 13, 12, wo es sich aber handelt um das pxévsiv des Subjekts, das Si ÏTairrpou 'zv txmyfj.ct.Ti sieht. Aber dass das die Mitteilung empfangende Subjekt in seiner Ausarbeitung des Offenbarungsinhalts und -themas seine (richtigen oder falschen !) Schlüsse daraus inkommensurabel mit dem „Schein" sieht, oder damit vor eine Mauer zu stehen kommt, beweist wohl etwas über sein logisches Verfahren, aber nichts über die Offenbarung. ihren Akt, ihre Mitteilung, und deren termini. Dieses Schliessen (von Barth) aus dem (iXiiruv des Menschen zum loqui Gottes ist eigentlich eine radikale Kritik an seinen elementarsten Gedanken, es setzt nicht nur eine efficacia, sondern auch eine Analogie der Offenbarung mit ihrem Empfang voraus (und wo bleibt der Hohlraum ?). Barth ist also immer noch in Konflikt mit der klassischen reformierten Theologie, die von der perspicuitas, efficacia, claritas und sufficientia der Offenbarung sprach. Eine dritte tatsachliche Aenderung in seinen Ideen bemerkt man, wenn man Barth in diesen jüngsten Erörterungen das Paradox von Gottes Wort mit allen anderen „Paradoxa" vergleichen sieht. Der Unterschied ist zwar da, aber nach dem Wortlaut ist er teils prinzipiell, teils graduell. Das Paradox von Gottes Wort erfüllt, sagt Barth, den Begriff des Paradox (Gegensatz zwischen Gehalt und Gestalt) „in ganzer Strenge", offenbar tun andere Paradoxa dies nicht in ganzer Strenge. Hier scheint der Unterschied graduell zu sein. Aber es ist auch prinzipieller Unterschied vorhanden. Denn „in allen anderen denkbaren 'Paradoxa' ist der Gegensatz zwischen Mitteilung und Gestalt ein solcher, der von irgendeinem überlegenen Standort aus aufgelöst werden kann." Das Verwunderliche an diesem doppelten Ausspruch liegt natürlich nicht im Aufstellen dieses genannten prinzipiellen Unterschiedes zwischen dem einen Paradoxon und allen anderen Paradoxa (derartige Aussprüche sind ja nicht neu ') und passen ganz in das „System"). Nein, es liegt in dem zwischen den beiden aufgestellten graduellen Unterschied, im Behaupten eines tertium comparationis zwischen beiden Arten von Paradoxa, was ihre Struktur betrifft. Auch jene anderen, sogar alle denkbaren anderen Paradoxa schliessen nach Barth einen Gegensatz zwischen Mitteilung und Gestalt in sich. Es waren hier verschiedene Fragen zu stellen, z.B. was diesmal „Mitteilung" bedeutet, was die „Gestalt" (als Medium der Mitteilung) ist, inwiefern „Gegensatz" ein Wort ist, das hier von jeder Rhetorik freibleibt. Aber dies alles lassen wir ruhen. Darum geht es uns: wenn man auch mit der Versicherung rechnet, dass die andern „Pa- ') z.B. Römerbr., 90: „das Paradox, das sich als ein besonderes Geschehen an das gewohnte seelische Geschehen anschlösse (wenn auch in überbietender Weise, etwa als "das Damonische') ware eben darum nicht Paradox"; vgl. Kirchl. Dogm., I, 1, 181. radoxa" nicht „in ganzer Strenge" den qu. Gegensatz sehen lassen, so bleibt doch die Frage offen, ob nicht, weil bei diesen „Paradoxa" „Gehalt" und „Gestalt" beide (nach Barth) „von unten", „welthaft", menschliche Erzeugnisse, wenigstens Denkberichte sind, deshalb die Behauptung, ein „Gegensatz" zwischen diesen beiden liege auch bei den „anderen" Paradoxa vor, de facto ein Uebertragen des Göttlichen auf das Menschliche, des Ewigen auf das Zeitliche ist, wenigstens das Aufstellen einer Analogie zwischen diesen beiden ? Warum gibt es beim Wort Gottes (nach Barth) zwischen Gehalt und Gestalt Gegensatz ? Weil der bekannte unendliche qualitative Unterschied dahinter steht und weil die „Welthaftigkeit" der „Rede Gottes also eigentlich diese Rede in eine sie „kompromittierende Nachbarschaft" stellt. ') Aber alle „anderen" Paradoxa werden, als Paradoxa, in einer ihnen ebenbürtigen „Nachbarschaft geboren, höchstens kann man sagen, dass sie selbst für diese kompromittierend sind, weil sie eine (nach Barth selbst) mögliche Lösung doch nicht zu ergreifen vermogen. Das, was Barth zur These von Gegensatz zwischen Gehalt und Gestalt des Paradoxons von Gottes Wort zwang, fehlt hier, bei den anderen Paradoxa, also ganz und gar. Das Ponieren einer Analogie zwischen diesen beiden und die Behauptung eben dieses tertium comparationis fallt darum — wenn es bewusst geschehen ist — aus dem Rahmen von Barths Konstruktionen heraus und stellt eine analogia paradoxorum auf, die sich im Erkenntnisproolem, streng durchgedacht, wohl mit der von Barth bestrittenen analogia entis verbinden lasst, aber nicht mit seiner eigenen dvuloyia TiioTEUis.2) Und darum ist es eigentlich Verrat an Barths eigenen Grundaxiomen, wenn er einen solchen Gegensatz nun auch bei anderen „Paradoxa" als denen des Wortes Gottes aufstellt. Solche Gedankengange würden wohl in das Denksystem Rudolf Ottos passen, aber nicht in das ') Kirchl. Dogm. I, 1, 171. 2) cf. a.a.O., 257, und hier oben, S. 341, Note 1. K. Barths. Sie beweisen, wie unsicher sein Gang betreffs des Paradox wird, und wie doch das alte Schema nicht radikal preisgegeben wird. Die Tatsache, dass ein scharfer Denker wie Barth dazu kommen konnte, die „anderen" Paradoxa zu benennen und ihrer Struktur nach zu qualifizieren nach Analogie von „das Paradoxon des Wortes Gottes", mag eine unbedeutende Einzelheit zu sein scheinen, aber gerade weil sie ein Verstoss gegen die tiefsten Grundgedanken seines ganzen Offenbarungszeugnisses ist, zeigt sie die Unruhe, in der sich sein Denken in bezug auf das Paradox immer noch bewegt. Eine vierte, für das Paradox ausserst wichtige Frontverlegung stellt sich in dem dar, was Barth jetzt über die „Existenz" und das „existentielle Denken" bemerkt. In seiner ersten und mittleren Periode (Römerbrief bis Chr. Dogmatik) wurde die „Existenz" des Menschen nur als gebrochen betrachtet und unter die absolute Krisis gesetzt. Keinen anderen Ausweg gab es aus ihr als den der unbedingten, gnadigen Rechtfertigung. ') Und darum ziemte dem Existierenden dem Wort Gottes gegenüber eine existentielle Aufgeschlossenheit,2) weil seine Existenz selbst der Synthese entbehrt.3) Wie ernst dies letzte gemeint war, geht wohl aus der Ausarbeitung hervor, die die bekannte These vom unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Gott und Mensch in diesem Punkt empfangt. Gott ist „Herr über den Gegensatzen seiner eigenen Existenz". Er „existiert in der Synthese". Aber der Mensch existiert darin nicht; seine Existenz musste also nicht nur eine Frage stellen, in ihrer Aufgeschlossenheit, sondern selbst zu einer Frage werden, „indem er (der Mensch) von Gott, wirklich von Gott reden hörte;"4) es ist eine Frage „nach der Ueberwindung des sie (die Existenz) auflösenden und ') Cf. F. K. Schumann, Das Probl. d. chr. Ethik, Theol. Rundschau, II, 6 (1930), 412. 2) Chr. Dogm., 23. 3) a.a.O., 70. 4) a.a.O., 70, 72, vgl. Römerbr. 265 (s. selbst in Frage stellen), 268, 274. atomisierenden Widerspruchs ', „also" eine „Frage nach ihrer eigenen Verwirklichung". ') Der Mensch „hat" also nicht bloss die Frage seines Selbstwiderspruchs, er „denkt" sie nicht bloss, er „ist sie"; in diesem Punkt hat Marcion etwas Gutes gesagt.2) lm Selbstwiderspruch der menschlichen Existenz sind also Thesis und Antithesis vorhanden, aber diese „liegen" durchaus nicht „wie die Balken einer Wage im Gleichgewicht" ; hier ist nichts zu systematisieren.3) Unsere Existenz ist zerrissen, wir sind „nut Frage".4) So erklart sich, dass das Wort .Gottes ein Begriff ist, der allein „existentiellem Denken" überhaupt „zuganglich ist"; weil die Existenz ja doch nur Frage ist, kann sie Gott nicht „erzeugen", hat sie das ,',Du", womit sie als „Ich" in Beziehung zu treten hat, nicht in ihrem Bereich, sondern muss auf das „Du" stossen.5) So ist dies „Du" absolut paradox. Hier in diesen Erörterungen der ersten Periode ist also die Verbindung mit Kierkegaard und der bekannten Paradoxlehre deutlich. Unklar jedoch werden bereits nachher (in der Chr. Dogm.) die Verbindungswege zwischen Barths Anfang und seiner Fortsetzung, wenn er, in demselben Zusammenhang, um die Bedeutung des von ihm wieder hervorgehobenen existentiellen Denkens und der damit aufgetretenen „Veranderung der Betrachtungsweise" darzustellen, den vielbesprochenen a) Satz schreibt: „Wir gehen vom phanomenologischen über zum 'existentiellen' (ethischen, verantwortlichen) Denken",7) und wenn er dann das „existentielle Denken" als ein „sich selbst" oder „seine Existenz" Denken ') Chr. Dogm., 70. 2) a.a.O., 71, 70. 3) a.a.O., 71. 4) a.a.O., 78. 5) a.a.O., 111, vgl. 462 (Taufe, auch Römerbr. 173). 6) Kirchl. Dogm., I, 1, 129, AF., Th. Siegfried, Das Wort und die Existenz, I, Gotha, 1930, S. 36, 250., F. Gogarten, Theol. Rundschau, 1929, S. 70, ff. 7) Chr. Dogm., 49, cf. 454, 462 (über „verantwortlich" = allgemeingültig, 20), Siegfried, a.a.O., 247. umschreibt. Barth will dadurch festlegen, dass „nur der wirklich Sachverhalte und Beziehungen, an denen der Mensch beteiligt ist, denkt, der sie denkt als konktete Situationen, als Handlungen, in die er selbst existentiell verwickelt ist". Damit will er dem zuvorkomraen, dass der Mensch als uninteressierter „Schauspieler" ©der auch als „Zuschauer" ') auftreten würde im Denken über die Beziehung von sich zu Gott und umgekehrt. Nicht „Schauspieler" darf er sein, denn — der Mensch ist „in keinem Sinn in der Lage, sich selbst objektiv als Unbeteiligten zu betrachten". Nicht Zuschauer, denn — er kann sich nicht von seiner Existenz abstrahieren und ist, von Gott angeredet, für sein Denken Gott verantwortlich.2) Diese Erörterungen zu kritisieren, hat für unseren Zweck keinen Sinn, weil wir hier nach historischen Zusammenhangen fragen. Aber eben in Hinblick darauf fallt es auf, das hier doch ein Element hineingetragen ist, das der Logik von Barths erstem Sturmlauf auf alles Menschliche, auf alle Kontinuierlichkeit fremd ist. Eine Existenz, die sich selbst zum Gegenstand ihres Denkens macht, hat sich nun einmal dadurch kontinuierlich gemacht. Sofern nun dies ihr zur Aufgabe gestellt wird, ist der Fluch des Kontinuierlichen theoretisch aufgehoben, die Paradoxie des „Du entkraftet, der Schauspieler sowohl zum Zuschauer geworden als umgekehrt. Um dieser augenscheinlichen Schwierigkeit zu entgehen und um noch aufrecht erhalten zu können, dass wir „Offenbarung nicht auf den betrachtenden,J) sondern auf den wivklichen Menschen sich beziehend denken" 4) müssen, poniert Barth nun zwar, dass Gott „bei diesem gleichzeitigen In-sich-selbst-bleiben und Aus-sichheraustreten des Menschen" als wirkende Ursache auftritt, aber wenn er dann daraus schliesst, dass also der Mensch selbst „gerade nicht" das „wesentliche Subjekt" dieser ') Chr. Dogm., 48, 454. 2) ebenda. 3) Ueber „betrachten" in Unterscheidung von „sehen", Siegfried, 248. 4) Chr. Dogm., 323. existentiellen Betatigung ist, dann wird doch hier mit dem Begriff „Subjekt" ein Spiel getrieben, um noch zu schweigen von dem unerlaubten Sprung von der Praposition „von" auf die Praposition „in" (wenn Barth namlich feststellt, dass diese Betatigung „von Gott und in Gott getan ist"); ') ein Ausspruch, den Eckart und Suso sogleich übernehmen würden. So ist also in dieser Phase von Barths Entwicklung die Ausarbeitung des Begriffs des „existentiellen Denkens", wiewohl z. T. kierkegaardisch, doch andernteils ein Verlassen von dessen Linie und der seines „Römer brief es" und ein Aufgeben des absoluten Paradoxes. In der „paradoxen Gleichung" vom Problem der zum existentiellen Menschen kommenden Offenbarung will Barth zwar noch den „leeren Raum" durch das Paradox bezeichnet sein lassen,2) aber diese Durchführung dieser aus seiner ersten Periode überbekannten Terminologie andert doch nichts an der Tatsache, dass er mit ihrem Inhalt in Streit gekommen. dass sein Radikalismus preisgegeben ist. Die von Barth gegebene Versicherung, dass er das phanomenologische Denken dem existentiellen nur unterordne,3) tut dem keinen Abbruch ; denn in der Linie seines ersten Auftretens würde nicht eine Unterordnung jenes unter dieses, sondern die Aufstellung einer Antithese zwischen beiden gelegen haben. Es verwundert uns denn auch nicht, dass Barth in seiner jüngsten Dogmatik (Kirchl. Dogm.) zugegeben hat, dass er in der Christ. Dogm., was dieses existentielle Denken betrifft, „doch (wenn auch nur in der Weise der libellatici der decinianischen Christenverfolgung) den falschen Göttern Reverenz er wiesen" habe.4) Er lasst jetzt (1932) wieder hie und da die alten Klange seiner allerersten Periode horen,5) wie er dies freilich 1929 ') Chr. Dogm. 291. 2) a.a.O., 290. 3) a.a.O., 49. 4) a.a.O., 130. 5) a.a.O., 231 (finitum non capax verbi Domini, cf. 250, 479, 480), 409 (unsere Existenz in die radikale Krisis gestellt). auch getan hatte. ') Ausdrücklich weist er jedes Anthropologisieren ab, wenn es darum geht, theologisch zu sprechen, und lehnt sich darin gegen Gogarten auf, der eine „eigentliche Anthropologie" nicht als einen bestimmten locus der Dogmatik, sondern als das Mittelpunktsproblem der Theologie gewünscht hatte,2) gegen Heidegger, über den wir bereits gesprochen haben, und gegen Eberh. Grisebach, der zwar auch „die endliche Existenz als „eine durchaus fragwürdige Situation des Erkennenden betrachtet und ,,das Begrenzende" ausserhalb des Selbst liegen sieht als „ein nicht zu bewaltigendes Gegen- über, das uns mit unserer monarchistischen Tendenz in Verlegenheit bringt", wie er auch zwischen Gebilden des Gedankens (Gegenstandlichkeit der Natur, der Geistesgeschichte) einerseits und der Verlegenheitssituation der Wirklichkeit des menschlichen Handelns andererseits scharf unterscheidet, der sich aber von Barths Existenzbegriff prinzipiell entfernt, wenn er erklart, dass „die Begegnung mit dëm Absoluten" „nur eine scheinbare Erfahrung" sein kann, „die ihr Apriori oder ihr Existential im eigenen Wesen hat", oder wenn er behauptet, dass „der Unterschied von Innen und Aussen" „nur durch Aufklarung über das Wesen der Erinnerung klargemacht werden" kann, um dann schliesslich zu folgern, dass die Begriffe oder Bilder der Erinnerung sich auf die gegenwartige Sphare der Existentialitat nicht mehr anwenden lassen, dass also keine dialektische Methode für eine Begründung der Existenz zustandig ist, denn die Erfahrung des Widerspruchs stellt jede Erinnerungsmethode in Frage, und das Absolute hat seine Bedeutung „im Reich des Gestern, aber das Heute ist gar nicht von ihm berührt".3) Diesen dreien gegenüber erklart ') Schicksal u. Idee i. d. Theol., Zw. d. Z., VII, 4 (1929) S. 324/5. 2) F. Gogarten, Das Problem einer theol. Anthropologie, Zw. d. Z., VII, 6 (1929), S. 493, ff., 504/5. 3) E. Grisebach, Gegenwart, eine kritische Ethik, Halle a.S., 1928, S. 115, 117, 434, 566, 70, 71 („die gesamte dial. Theol. — oder Philosophie ? — von K. Barth bis auf Paul Tillich ist eine heimliche Metaphysik des Vorbehalts"). Vgl. in bezug auf Grisebach auch Przywara, Das Geheimnis Barth, er habe weder früher noch jetzt seine Dogmatik auf das existentielle Denken bauen wollen, ') wenn er auch zugibt, Anlass zu Missverstandnis gegeben zu haben. Wenn auch Barth also sich selbst zum Teil korrigiert hat, so hat er sich doch betreffs des für das Paradox so wichtigen Punktes von der Existenz auch in seiner jüngsten Dogmatik zu Aussprüchen verleiten lassen, die sich nicht mit seinem früheren radikalen „Krisisismus" vereinigen lassen. Wir weisen nur auf zwei Dinge hin. 1. Die Behauptung eines existential-ontologischen Prius des ontisch-existentiellen Glaubens lauft jetzt bei Barth mit der „Definition des Glaubens als einer Weise des Geschichtlichseins menschlicher Existenz" parallel. Bereits dem Wortklang nach kommt er hier in Opposition mit seinem früheren Ausspruch, „dass der Glaube nur insofern Glaube ist, als er keine geschichtliche und seelische Wirklichkeit beansprucht",2) sondern Hohlraum,3) Umkehrung, radikale Neuorientierung,4) Sprung ins Ungewisse, in die leere Luft5) ist. Aber überdies ist dies Geschichtlichsein der menschlichen Existenz und die Umschreibung des K.'s, 19, 20, der unrichtig v. e. typischen Aufleben Kierkegaards redet, was im Hinblick auf Gr.'s Trennung v. Absol. u. Ggw. unhaltbar ist, genau so wie seine Behauptung, dass Barth die „letzte Auferstehung K.'s über orthodoxen Calvinismus vollzieht", 82, worüber spater; — in bezug auf die schon erwahnte Diskrepanz zwischen Barth u. Gogarten (was die anthropologische Frage i. d. Theol. anlangt) ist beachtenswert Grisebachs Mitteilung, er habe mit Gogarten gemeinsam sich bemüht, „unsere Grenzen in realer Dialektik' zu erfüllen und die Wirklichkeit zu erreichen", und „den Anteil des Denkens und des Glaubens an der Konstituierung der wesentlichen, ethisch menschlichen Wirklichkeit zu bestimmen", sei aber mit Gogarten zu der neuen Aufgabe gekommen, „die Gegensatzlichkeit des menschlichen Wesens den so bedeutsamen Widerspruch in jeder konkreter Bildung aufzuweisen" (Probleme d. wirkl. Bildung, München, 1923), E. Grisebach, Die Grenzen des Erziehers u. s. Verantwortung, Halle a.S., 1924, S. IX. — Siehe, was Barth anlangt, Kirchl. Dogm. I, 1, 129—135. ') Kirchl. Dogm., 129, Auch gegen Bultmann: 36, 133, vgl. Siegfried, 248. 2) Römerbr., 33. 3) a.a.O., 62. <) a.a.O., 72. 5) a.a.O., 73. Glaubens als eines Modus dieser Existenz doch wieder prinzipiell nicht zu vereinigen mit Barths altester Auffassung, dass mit Rücksicht auf die Urgeschichte (Endgeschichte) nur von qualifizierter Geschichte gesprochen werden kann; die Geschichte hat in der Krisis ihre radikalste Erledigung gefunden und das ist der rote Faden, der sich durch Da-Sein und So-Sein hindurchzieht, ') und uns zu dem Zugestandnis zwingt, dass der Glaube nur als etwas Ungeschichtliches Geschichte begründen kann.2) 2. Dazu kommt jedoch noch, dass Barth die menschliche Existenz als menschliche Selbstbestimmung umschreibt, die selbst wieder Gegenstand der Bestimmung durch das göttliche Wort ist und dass nun die so entstandene „Bestimmung des ganzen sich selbst bestimmenden Menschen durch das Wort Gottes" von Barth mit dem Begriff der „Anerkennung" bezeichnet wird.3) „Selbstbestimmung" als „Anerkennung" des Wortes Gottes, sagt Barth. Aber dies ist etwas Positives, früher jedoch brachte die Existentialitat des neuen Menschen es nicht weiter als zu der „unerhörten Lage, sich selbst in Frage zu stellen"; diese Frage war dann überdies „eine an uns gerichtete Frage eines andern", *) „Gottes Frage an uns und als Gottes Frage Gottes Antwort".5) So weicht die Frage Gottes einer Anerkennung des Menschen, wie übrigens die These, dass die geschichtliche und seelische Seite der Wahrheit immer ihre Unwahrheit ist,8) jetzt einer Analyse des Begriffs „Anerkennung" Platz macht, so, dass darunter auch Erkenntnis fallt, ja sogar ein Teilnehmen an der doppelten Indirektheit, in der wir das Wort Gottes empfangen. D.h. unser Aufnehmen des Wortes Gottes hat ebenso wie das Wort selbst eine „welthafte Gestalt" (Ge- ') a.a.O., 51/2, 116, ff., passim. 2) a.a.O., 118, cf. 268 (a. d. Grenze aller geschichtlichen Erscheinungen, Blickpunkt). 3) Kirchl. Dogm. I, 1, 213/4, 241. 4) Römerbrief, 265. 5) a.a.O., 268. 6) a.a.O., 77. stalt von allerlei menschlichen Akten), aber diese Gestalt wird seine Verhüllung, seine Infragestellung. ') Diese letzte Bemerkung kann wohl als Paradigma der eigenartigen Verwicklungen gelten, in denen sich Barths Denken hier verwirrt. Einerseits sind in der Existenzfrage neue Elemente konstitutiv geworden (Geschichtlichkeit, Anerkennung), die den Schrecken des absoluten Paradoxes mitigieren, andererseits wieder wird in einer in diesem Zusammenhang doch wohl leichtfertigen Weise auf das absolute Paradox zurückgegriffen. Leichtfertig sagten wir. Denn wenn die welthafte Gestalt unseres Aufnehmens von Gottes Wort eine Verhüllung genannt wird und dies expressis verbis als Teilnahme an der Indirektheit von Gottes in welthafter Gestalt zu uns kommendem Wort gesehen wird, dann ist das Wort „teilnehmen" hier nicht am Platze und die Parallelie, die zwischen Wort. Gottes und Aufnahme des Wortes Gottes gezogen wird, doch eigentlich ungenügend begründet. Gottes Wort hat ja doch seinen paradoxen Gegensatz zwischen Gestalt und Gehalt, wie wir sahen, dadurch, dass sich etwas Göttliches mit etwas Welthaftem berührt. Aber bei der Selbstbestimmung des Menschen (Existenz, Anerkennung) ist kein Eingehen des Menschlichen in das Göttliche vorhanden ; Selbstbestimmung ist nun einmal menschlicher Akt. Zwar behauptet Barth, dass im Akt der Selbstbestimmung das Leben des Menschen sein Zentrum, sein Woher, seinen Sinn und sein Kriterium ausserhalb seiner selbst, in dem Anerkannten hat, aber abgesehen von der Tatsache, dass hier die Praposition „in" wechselt mit „von" (dem Anerkannten) „her" (was doch wieder etwas ganz anderes ist), sei darauf hingewiesen, dass auch nach Barth selbst das Leben des Menschen doch nicht aufhört das sich selbst bestimmende Leben dieses Menschen zu sein.2) Darum ist die These der „Teilnahme" ein gewaltsames Zurückgreifen auf den alten ') Kirchl. Dogm., 216. 2) Kirchl. Dogm., 217. Paradoxalitatsgedanken, aber ohne dass dieser sich organisch mit dem neu hereingebrachten Gedanken verbindet. So wie wir oben bemerkten, dass die Umschreibung „anderer" Paradoxa nach Analogie von „dem" Paradoxon sowohl dem Buchstaben als dem Geist von Barths erstem Auftreten widersprach, so muss hier bemerkt werden, dass die Schlusstirade über die Teilnahme unserer Anerkennung an der Indirektheit von Gottes Wort auch wieder die menschliche Existenz (und zwar in ihrem Geschichtlichsein!) nach Analogie von dem Offenbarungsvorgang von Gottes Wort umschreibt und dass also in seiner Begriffsbildung Barth sich selbst untreu wurde. Das Ganze beweist, dass die alte Paradoxentheorie zwar wankt, aber noch nicht preisgegeben wird, dass fremde Elemente hineingebracht werden, die jedoch als Konzessionen an fremde oder eigene Kritik keine radikale Revision beabsichtigen oder bedeuten, und dass also die Einheit fehlt. ad b) Die Existenzfrage führt uns selbst bereits zu dem zweiten Punkt hinüber, den wir hier noch zu besprechen haben: zu dem mehr und mehr wahrnehmbaren Zerfall der Einheit der „dialektischen Theologie". Wir nennen, in Anschluss an das Vorhergehende, die Frage von der Existentialitat und, wieder in Anschluss daran, die vom „ Anknüpfungspunkt". Was die Existentialitat betrifft, so ist nicht nur K. Barth selbst mit sich selbst uneins, sondern auch die ihm Geistesverwandten sind dies in bezug auf einander. Die Meinungsverschiedenheit Barth-Gogarten kam bereits zur Sprache. Auch kann auf R. Bultmann hingewiesen werden, der zum Teil mit dem Gedankenschema von Barth-Gogarten einverstanden ist, aber betreffs der Existenz sowohl K. Barth als H. Barth gegen sich hat, den einen, weil er, Bultmann, den „freien Grund, den die Korrelation von Gott und Mensch in Gott hat", bei seinem Denken in dieser Korrelation wegdenkt, weil er wenigstens diesen „Fehler Wobbermins" nicht deutlich vermieden hat, den andern, weil er (R. B.) die Existenz nicht auf ein ihr Jenseitiges bezieht, und sich also in diesem sehr wichtigen Punkt an die Seite Heideggers mit seinem Zirkelvertahren stellt, ') über welches Zirkelverfahren dann wieder ausser H. Barth auch K. Barth selbst ablehnend spricht.2) Was E. Brunner betrifft, so schwacht er nicht nur tatsachlich die alte Kriegslosung ab, sondern er kommst prinzipiell damit in Konflikt, wie auch mit Barths letzter Behauptung, das die Anerkennung des göttlichen Wortes schliesslich in jedem ihrer Momente Gott zum „Subjekt" habe; denn Brunner behauptet, mit dem Niederschlagen der Vernunfthybris werde die „sich heimlich nach dem göttlichen Du sehnende Vernunft" befreit.3) Aber betreffs der Existentialitatsfrage sympathisiert er, wie übrigens bereits aus dem eben Gesagten klar wird, mehr mit Gogartens „Anthropologie , als K. Barth es tun konnte, ) und geht sogar soweit, dass er die Anthropologie („das sich selbst Verstehen des Menschen") den „gemeinsamen Boden des Glaubens und des Nicht-Glaubens" nennt.5) Es ist klar, dass diese Auffassung noch umso mehr geeignet ist, den Abstand zwischen Barth und Brunner zu vergrössern, wenn man an den „Anknüpfungspunkt denkt, über den wir bereits sprachen und der noch weiter zu erwahnen ist.6) Schliesslich steht Brunner prinzipiell K. Barth gegenüber, wenn er sagt: „Die Existenz ware nicht Frage, wenn 1) Kirchl. Dogm., 38, 132, 133; cf. Siegfried, 248/9. 2) Kirchl. Dogm., 132—136. 3) Die andere Aufgabe der Theol., Zw. d. Z., VII, 3, 1929, S. 257, cf. 261 (dass der Mensch „nur durch das Wort Gottes das bekommt, was er heimlich sucht" (!), ein Strich durch d. Römerbr. Barths). Mit Barth bleibt Brunner einig in der Ablehnung der „Zuschauerbetrachtung , 256, und auch darin, dass er beim Existentiellen an e. Totalakt d. Menschen und e. d. Totalitat d. Menschen betreffenden Totalakt Gottes denkt, Das Gebot und die Ordnungen, Tübingen, 1932, S. 37, cf. Barth, K. Dogm., 213. ") Die andere Aufg., usw., a.a.O., 260, ff., 260/1, Note (Gogarten heisst eben in dieser Anthropologie Fortsetzer der Arbeit Kierkegaards; dies ist in soweit richtig, als K. zum Teil das „Aergernis" psychogenetisch analysiert hat, z.B. Krankh. z. Tode, ed. Jena, VIII, 1924: Aergernis ist ungluckl. Bewunderung mit Missgunst verwandt, eine Missgunst, die sich gegen den Missgünstigen selbst wendet, 80). 6) Brunner selbst legt hier eine Verbindung, a.a.O., 261/2. wir nicht Anteil hatten an der Gotteswahrheit". ') Und endlich, auch H. Barth unterscheidet sich u. E. prinzipiell von K. Barth, wenn auch dieser sich in der Existenzfrage Heidegger, Bultmann u. a. gegenüber auf ihn beruft.2) Wir denken hier nicht so sehr an H. Barths Auffassung, dass Existenz nie gegenstandlich werden kann, es sei denn in der Reflexion. Denn dies ist zwar eine Ablehnung von dem in K. Barths erster Dogmatik aufgestellten Begriff vom nicht-reflexiven „seine Existenz-Denken", aber da Barth diese Dogmatik in diesem Punkt zurückgenommen hat, ist in dieser Hinsicht der Abstand zwischen ihm und H. Barth wieder überbrückt. Nein, wir richten unser Augenmerk auf andere Dinge. Vor allem denken wir hier an H. Barths Anschauung, „dass das Du' im Horizonte der dialektischen Existenzauffassung liegt. Eben im cDu\ wie in aller vorfindlichen Wirklichkeit, ist die Ftage vertreten, die die Existenz sich zu eigen macht".3) Dies wird durch die Behauptung verdeutlicht, dass „Existenz kein in sich abgeschlossenes Sein hat, sondern in Konfrontation steht, und dies nicht erst durch nachtragliche Beziehung auf eine 'Norm', sondern ihrem Begriffe nach; sie ware nicht Existenz, wenn sie nicht ausgerichtet ware auf die Krisis der Existenz, die die Begrenzung ihrer selbst und ihrer Möglichkeiten darstellt".4) Diese (philosophische) Konstruktion H. Barths ist doch kaum mit K. Barths (theologischer) Auffassung zu verbinden, die Existenz (Selbstbestimmung) habê ihr Zentrum, Woher, Sinn, Kriterium ausserhalb ihrer selbst. Dies ist bei K. Barth ein krampfhaftes Festhalten an der „paradoxen Einheit" des Glaubens; bei H. Barth tritt jedoch ') a.a.O., 263. 2) K. Dogm. 36, 38. 3) H. Barth, Philosophie, Theol., u. Existenzproblem, Zw. d. Z., X, 2, 1932, S. 107, Note. „Wie in aller", — also wieder eine Analogie, ein Herausfallen aus dem Grundaxiom. 4) a.a.O., 107/8; was die „Möglichkeit" anlangt, erinnere man sich der Deflnition: E. ist konkrete Entscheidung f. e. Möglichkeit, die in dieser Entsch. ihre Verwirklichung erfahrt, 105. Schilder 23 „der Zerfall dieser paradoxen Einheit" ein; denn ungeachtet E. Brunners Plaidoyer, worin er andere für den Zerfall der paradoxen Einheit verantwortlich macht, ') steekt doch in dieser philosophischen Konstruktion H. Barths auch ein prinzipieller Liberalismus; solchen Liberalismus wirft er (unter Zustimmung von K. Barth)2) Bultmann vor.3) Erinnert man sich, wie bei der dialektischen Theologie anfanglich die Existenz nur sich in Frage bringen konnte und auf das „Du" stossen musste, und sieht man dann, wie nun die Existenz die im „Du" vertretene Frage sich zu eigen macht, und auf ihre Krisis „ausgerichtet ist, dann ist klar, dass eine Schwenkung nach .... Wobbermin eingetreten ist, obgleich K. Barth diesem den Gebrauch des Wortes „existentiell" verbieten will.4) Und aufs neue stellt sich also H. Barth mit E. Brunner (siehe oben) in eine Frontlinie gegenüber K. Barth, der, ungeachtet all seiner Schwankungen, doch immer wieder auf das alte strikte Glaubensparadox zurückgreift, was sie nicht tun. Es gibt übrigens noch einen Punkt, worin sich zeigt, dass H. Barth betreffs der Existenzfrage sogleich eine andere Linie zieht, als sich mit K. Barths Grundschema verbinden lasst. H. Barths soeben dargestellter Standpunkt hat ja doch seine Konsequenzen, auch in Beziehung auf die existentielle Dialektik. Die Dialektik, von der bei H. Barth in Beziehung auf die Existenz die Rede sein kann, ist (bei scharfer Konsequenz) eine solche, die „nicht im Hinblick auf die Existenz, sondern die in der Existenz selbst fragt • ) Religionsph. protestantischer Theologie. Im Handb. d. Phil., Abt. II, München, Berlin, 1927, 12, ff. (Orthodoxie, Rationalismus, pietistisch-romantischer Subjektivismus, Historismus werden angeklagt). 2) K. Dogm. 36. 3) Zw. d. Z., a.a.O., 113. 4) K. Dogm., 19. Zugegeben sei, dass „existentiell" bei Wobbermin eine vielfach andere Bedeutung hat als bei Barth c.s.; aber wenn Wobbermin sich dieses Wortes bemachtigt, so rückt er es doch nicht so weit von seiner urspr. Bedeutung ab, als Barth es mit dem Wort „Paradoxon getan hat, ausserdem wird die scharfe Trennungslinie zwischen W. u. d. dial. Theologen an immer mehr Stellen durchbrochen. und antwortet') Hiemit ist die Zahl der Defïnitionen, die die dialektische Theologie von „Dialektik" gegeben hat, wieder um eine vermehrt, aber zugleich ist wieder das Wesentliche ihrer altesten Aufïassung von „Dialektik" preisgegeben; bei dieser handelte es sich ja doch immer um Dialektik zwischen Gott und Verhangnis, Verhangnis und Schuld, Schuld und Sühne, Sühne und Gott, „Alt" und „Neu", Adam und Christus, alter und neuer Welt, Gericht und Begnadigung u. s. w., kurz, um Dialektik von dem „unendlichen qualitativen Unterschied." 2) Solche Unterschiede müssen natürlich einen prinzipiellen Hintergrund haben. Dieser liegt in dem Kontakt, den H. Barth zu legen wagt zwischen die „alte" (allgemeine) Existenz, die „ihre Gegenwart in der Geschichte, als dem wesentlichen Schauplatz der Entscheidungen hat" (118) einerseits, und die „neue" (besondere) Existenz „im glaubigen Menschen", der „in der Wahrheit ist", „sofern er in gegenwartiger Existenz in ihr gründet" (119) andererseits. Zwischen diesen zwei Existenzen liegt, nach H. Barth, ein Uebergang und das ist tötlich für die historische dialektische Theologie. Nachdem H. Barth ja doch aufgezeigt hat, dass „die Geschichte der Ort ist der Auswirkung existentielier Dialektik" (siehe oben), wird konstatiert, dass „jede geschichtliche Phase ein je Einmaliges und Unwiederholbares darstellt", um dann darnach aequo animo zu be~ haupten, dass „ein" (!) „solches Einmaliges uns nun begegnet in demjenigen Elemente der Geschichte, das der Theologe aus der Geschichte überhaupt heraushebt (!) und als ' Offenbarungsgeschichte' bezeichnet". Diese „Offenbarungsgeschichte" heisst dann „Geschichte in der Geschichte". Hiemit ist, radikaler als es in K. Barths schüchterner ') H. Barth, a.a.O., 107. 2) Römerbrief, 43, 144, 155, 159. H. Vogel, Die Dialektik d. Predigt, Zw. d. Z. (VII, 2), 1929, S. 117/8, hat das „dia" in Dialektik gefasst als „zwischen, im Abstand von" (cf. Th. L. Haitjema, Bedenkelijke Calvijninterpretatie, Nieuwe Theol. Studiën, XIII, 4, u. dem gegenüber K. Schilder, Prof. H. jongste Probleemverschuiving, De Reformatie, Goes, Mai 1930. Auch mit Vogels Auffassung lasst sich H. Barths Meinung nicht verbinden. Selbstkritik möglich schien, die Theorie über den Unterschied zwischen Geschichte und Urgeschichte durchbrochen. Radikal und für immer. Und wenn dann H. Barth weiterhin behauptet, dass in der Offenbarungsgeschichte das Existenzproblem eine „unerhörte Zuspitzung erfahrt" (119), dann sehen wir, auch hier, dass das Salz der dialektischen Theologie geschmacklos geworden ist. Das Existenzproblem, das früher bei ihr die Existenz des Glaubenslosen kritisch beleuchtete von der Existenz des Glaubigen aus, ist jetzt so gestellt, dass das, was philosophisch-anthropologisch über die nicht glaubende Existenz festgestellt wurde, seine „Zuspitzung" im Glaubenden findet. Der Kreis der Selbstverzehrung schliesst sich, wenn die „allgemeine" (K. Barth, K. Dogm. 39) „Existenz in der Begrenzung" (d. h. die Existenz, die ihre eigene bereits genannte „Dialektik" in sich selbst besitzt und antreibt) von H. Barth eine „Analogie" der Gotteserkenntnis genannt wird (117). Nun genügt es uns nicht, dass K. Barth vor diesen Konstruktionen vorsichtig warnt und im Hinblick auf die Autarkie der allgemeinen Existenz zu der eigenen existentiellen Dialektik, offensichtlich ziemlich skeptisch steht (K. Dogm., 39, 208/9). Mehr sagt es uns, d,ass, gegeben einmal diese prinzipielle Schwenkung, (die bereits in der Behandlungsmef/zode der Existenzfrage Verrat an den alten Axiomen K. Barths c.s. bedeutet) jetzt auf der ganzen Linie die Uneinigkeiten an den Tag kommen, kommen müssen. Kierkegaards Existenzbegriff, der dem „objektiven" Denker keine Existentialitat beilegen und nur dem in Spannung gesetzten, von oben ergriffenen „Gleichzeitigen" existentielles Verfahren zuschreiben konnte, ist hier von einem Anthropologisieren völlig verschlungen worden, das nun, auch in der Qualifizierung der Existenz überhaupt, in allen Punkten das nachkierkegaardsche Paradoxon samt seinen Prolegomena über den Haufen wirft. Nun ist es wahr, dass H. Barth selbst wiederholt darnach trachtet, die für die dialektischen Theologie hier so verhangnisvollen Konsequenzen abzuwehren. Er lasst den Beziehungspunkt, den Richtpunkt, das Forum, worauf und wovor in der Existenzfrage die Möglichkeiten der Existenz hingehalten werden, ausserhalb der ermessenen Möglichkeiten und auch ausserhalb der jeweiligen konkreten Existenz liegen; er lehnt sich gegen Heidegger auf, weil dieser das Problem der „Grenze" in seiner Ëxistenzphilosophie nicht kennt; er lehnt sich gegen den Gedanken auf, die Existenz würde „sich ihr Problem in sich selbst" stellen, denn dann würde Gott damit erübrigt sein; auch will er den theologischen Oberbau am allerwenigsten auf seiner oder irgend einer anderen Ëxistenzphilosophie ruhen lassen, oder den „Menschen" in den Mittelpunkt stellen oder die Existenz in ihrem eigenen Dasein verankern. Und ausdrücklich erklart er, dass „Existenz in der Begrenzung" doch noch keine Gotteserkenntnis sei. Auch setzt er die „neue Existenz" zu der „alten in ein Verhaltnis, das paradox im eminenten Sinne heisst, weil das grosse Paradox, dass Gott Fleisch ward, die neue gegenüber der alten („allgemeinen") bestimmt. ') Aber dies andert doch nichts an der Tatsache, dass bei ihm die Existenz auf ihre eigene Krisis ausgerichtet ist (und also auch auf ihre eigene Begrenzung, denn diese liegt ja doch „nicht in der Norm, sondern in der Krisis eben der Existenz selbst") und dass sie ,,primar" in der Verantwortung, in der Konfrontation steht.2) Dies alles ist, nun es einmal unter dem Gesichtspunkt der Berührung zwischen Geschichte und Offenbarungsgeschichte beschaut werden muss, eine Betrachtungsweise, die nach Barths altesten Auffassungen zu qualifizieren ist als ein Geben dem Menschen, was Gottes ist. Unter diesem Gesichtspunkt sehen wir nun in H. Barths Ëxistenzphilosophie auf der ganzen Linie einen bedeutenden Unterschied von K. Barth, der die Kraft der wirklichen Begrenzung der Existenz, sofern diese „Krisis" und „Verantwortung" heissen darf, eben ihr selbst absprach, um sie allein von >) H. Barth, a.a.O., 108, 111, 112, 114, 115, 116. 2) a.a.O., 108, 109. Gott her kommen zu lassen, der jede sinnvolle, an die Existenz gerichtete Frage von aussen her, von Gott her ihr zukommen liess, der das „kritisch Charakterisieren" allen Da-Seins und So-Seins dem „Christus in uns" (dem an uns gerichteten Wort Gottes) vorbehielt, und der — weit davon entfernt eine Analogie zwischen alter und neuer Existenz aufzustellen! — den Menschen sah „herkommen von einer umfassenden Aufhebung aller Pradikate unsres uns bekannten Seins" und ihn sah „entgegengehen einer ebenso umfassenden, aber totaliter aliter verlaufenden Pradikation unsrer uns unbekannten Existenz in Gott".') Und was K. Barths jüngste Auffassung betrifft — auch selbst noch damit kommt H. Barth in Konflikt. Steht es namlich fest, dass nach K. Barth ohne das Wort Gottes von einer Offenbarungsvorgang keine Rede sein kann, dann ist seine Stellung als Theologe gegen H. Barth als Philosophen gerichtet, denn K. Barth versichert, die menschliche Existenz sei Gegenstand der Bestimmung durch das göttliche Wort und erst darin und dadurch bestimme sie sich selbst und lerne „Du" sagen. Nein, hier sind bei H. Barth keine angeborenen ideen im Spiel, wohl aber angeborene Begrenzung, eine angeborene Dialektik, eine angeborene Krisis; und es ist nur die Frage, ob diese These des „Angeborenseins" von „ïLxistenzbewegungeri' (seien es denn auch nur „formale ), ) die auch in der ,,ncuen Existenz vollzogen werden, nicht genau so erschütternd auf die Fundamente der dialektischen Theologie wirkt, wie die Lehre der angeborenen Ideen. Diese „kritische Existentialphilosophie" H. Barths spricht zwar noch von der „Disparatheit der beidseitigen Existenzweiseri' (der „alten" und der „neuen" Existenz), aber sie kann gerade nicht deutlich machen, dass diese Disparatheit >) Römerbrief 265, 268, 274, cf. 272 (alle Pradikate, auch der Identitat mit sich selber, aufgehoben). , „ n ™ 2) a.a.O., 107. „Formal", sagten wir; so auch E. Brunner, Uie rrage nach d. „Anknüpfungspunkt" als Probl. d. Theol., Zw. d. Z., X, 6, 193 , S. 526, Note, „das Formale der humanitas". etwas mit der Existenzweise zu tun hat, wenn namlich (wie behauptet wird) Begrenzung und Krisis und das „Sichzu-eigen-Machen" der im „Du" enthaltenen Frage in dem Begriff der Existenz als solcher beschlossen liegen. Und eben wo sie diese Disparatheit als das sieht, was ihr den Begriff des ,,Paradoxen" (im Verhaltnis der neuen Existenz zur alten) „nahelegt", ') ist in diesem wichtigen Punkt ihre Problemstellung unbefriedigend von dem Standpunkt der Problematik der dialektischen Theologie selbst aus, und da ist die Brücke zur Theologie, wenn man namlich darunter die dialektische versteht, abgebrochen, ungeachtet ihrer gegenteiligen Versicherung.2) Das wird übrigens auch erhartet aus der Tatsache, dass diese „kritische Existentialphilosophie" in „Existenz in der Begrenzung" zwar keine Gotteserkenntnis sieht, aber doch wohl eine „Analogie" der Gotteserkenntnis.3) K. Barth jedoch hat der Lehre von der analogia entis die dvaloyia tilotecog gegenübergestellt und nur unter dieser Einschrankung den Analogiebegriff beibehalten.4) Nach ihm ist sie „die Entsprechung des Erkannten im Erkennen, des Gegenstandes im Denken, des Wortes Gottes im gedachten und gesprochenen Menschenwort" (in der glaubigen christlichen Prophetie). Zugegeben sei, dass auch dieser Analogiebegriff seiner ersten Periode fremd ist, aber er ist doch noch immer etwas anderes als die Analogie, die H. Barth hier aufstellte. H. Barths Analogie lauft tatsachlich auf eine Parallelie zwischen Naturerkenntnis und Gotteserkenntnis hinaus. Kein Wunder, dass K. Barth diesen Analogiebegriff kritisiert: „diese Behauptung kann kein theologischer Satz werden. Denn wie er theologisch zu begründen sein sollte, ist nicht abzusehen." 5) ') H. Barth, a.a.O., 119. 2) a.a.O., 117. 3) a.a.O., 116/7. 4) K. Barth, Kirchl. Dogm., 257, vgl. Schicksal u. Idee i. d. Theol., Zw. d. Z., VII, 4, 1929, 324/5. 5) K. Dogm., 39. Die Milde dieser Kritik weist jedoch darauf hin, dass sich K. Barth selbst in Unsicherheit befindet hinsichtlich seiner früheren Auffassungen, nach denen „dieser Satz" nicht nur nicht theologisch begründbar, sondern sehr bestimmt theologisch verwerflich heissen würde. Wir sahen übrigens bereits, dass er selbst auch hie und da diesem Analogiebegriff nahekommt. Die gratia inhaerens') ist noch nicht importiert, aber wohl mit einer Lehre von einem formalen schema gratiae inhaerens ist hier von H. Barth ein Bund geschlossen worden, und K. Barth ruft seine „Todeslinie" nicht dagegen zu Hilfe. Vielleicht ist hiemit die Situation einigermassen gekennzeichnet. Und zugleich das Schwanken zwischen Verwerfung und Annahme der „eigentlichen Anthropologie" in der Theologie. Und so kommen wir automatisch zu dem zweiten Punkt, der noch die Aufmerksamkeit fordert: zur Lehre vom „Anknüpfungspunkt". Wenn namlich einmal für H. Barths „Analogie" Platz gemacht ist, dann liegt die Folgerung auf der Hand, dass, sei es auch unter Beibehaltung des Gegensatzes zwischen Heidegger und den dialektischen Theologen,2) doch dessen Untersuchungen für die dialektische Theologie grosse Bedeutung haben, soweit Heidegger das existentielle In-der-Welt-Sein des schlichten Menschen analysiert hat. Dieser Schluss wird denn auch mit deutlichen Worten von E. Brunner gezogen. „Der Hinweis Heideggers auf den vorrationalen Menschen — der wir irgendwie alle sind — bleibt ein Gewinn, auch für die Theologie" „Auf ihn" (d.h.: auf den schlichten Menschen) „und sein Wissen von sich selbst.... hat sich auch heute .... rechte Theologie zu beziehen". Und nun noch einen Schritt weiter: „Die Glaubenserkenntnis ist von der Art, dass in ihr diese schlichte Lebenserkenntnis, dieses schlichte Wissen um Tod und Sünde, aufgehoben und vollendet ist... . Der Glaube kann sich nicht anders voll- ') vgl. Schicksal u. Idee, usw., 325. 2) E. Brunner, Die Frage nach d. „Ankn.", usw., 526, Note. ziehen als so, dass diese natürliche Selbsterkenntnis in ihm vollendet wird. ') Diese Worte E. Brunners, die man vor einigen Jahren noch nicht für möglich gehalten hatte, beweisen wohl, wie sehr er mit seiner Anthropologie in der Theologie ernst macht.2) Und sie involvieren, was er sogleich darauf folgen lasst: dass die Theologie nicht darauf verzichten muss, „an das natürliche Selbstver standnis des Menschen anzuknüpfen.''3) Dieses letzte Wort bringt nun Brunner zu einer Erörterung, in der das Wesentliche dies ist: 1. Ausgehend von der anthropologischen Frage nach dem Anknüpfungspunkt, den die Verkündigung des Wortes Gottes bei dem horenden Menschen finden kann, die Frage also nach der „Beziehung zwischen dem 'natürlichen Menschen und dem Worte Gottes" 4) — dieser Anknüpfungspunkt war bereits früher von ihm in der „menschlichen ') Brunner, a.a.O., 529. 2) Vergessen darf man nicht, dass Brunner ausdrücklich hervorhebt, dass der Mensch als ganzer „nar vom Wort Gottes her verstanden werden kann", a.a.O., 426, Note, vgl. dazu K. Barth, K. Dogm., der anerkennt, dass der phil. Existenzbegriff H. Barths, „nur rückblickend (von der geoff. Wahrheit her), rekapitulierend, nicht antizipierend .... zur Gotteserkenntnis sein will", 39. — Brunner, a.a.O., weist hin auf das von Heidegger aufgedeckte Wissen des schlichten Menschen u. a. „von Tod u. bösem Gewissen", und konstruiert von da aus seine oben gezeigte Theorie. Wenn man aber an Christi Wissen um seine Auferstehung und an seine Sündenlosigkeit denkt, und bei Heidegger liest, dass das Sterben hinsichtlich seiner ontologischen Möglichkeit in der Sorge gründet (Sein u. Zeit, 252, vgl. 191, das Sein des Daseins als Sorge), so wird Barths Bemerkung, es gebe einen Weg von der Christologie zur Anthropologie, nicht aber einen Weg von einer Anthropologie zur Christologie (K. Dogm. 135) als Abwehr gegen Gogarten (u. auch Brunner) recht unzureichend: man wird entweder sowohl Anthropologie als Christologie aus einem (glaubigen) „Standpunkt" aufbauen müssen (um dann zwischen beiden Verbindungswege liegen zu sehen, vice versa), oder die anthropologisierenden Tendenzen der heutigen dialektischen Theologen haben, bevor man es weiss, antizipierend die Christologie mit der Anthropologie verschmolzen. Die Warnung K. Barths muss radikaler werden, oder sie geschieht vergebens. 3) Brunner, a.a.O., 531. 4) Brunner, a.a.O., 1932, 506. V Frage nach Gott" gezeigt worden — ') findet Brunner für diese Frage „ihren bestimmten und legitimen Ort" in der Lehre de homine ad Deum creato in statu corruptionis; m.a.W. in der Schöpfung des Menschen nach der imago dei und in der Tatsache, dass er Sünder ist.2) 2. Bereits durch das Aufstellen eines Anknüpfungspunktes überhaupt bricht Brunner im Prinzip mit dem absoluten Paradox der alteren dialektischen Theologie und akzentuiert noch scharfer die Unterschiede, die sich zwischen ihm und K. Barth schon lange konstatieren liessen. Brunner nahert sich sogar der klassischen reformierten Theologie einigermassen, wenn er den Anknüpfungspunkt vorfindet in dem sog. „Vorverstandnis" als Voraussetzung zum Verstandnis der apostolischen Glaubensbotschaft (Anknüpfung an das vorhandene religiöse Sprachgut, das dann, sei es auch durch eine petitio principii, durch ein ,,d.h." mit dem vorhandenen religiösen Bewusstsein identifiziert wird); hier beginnt etwas von der reformatorischen Lehre der perspicuitas der Offenbarung zu schimmern und von Calvins „accommodatio" Gottes in der Offenbarung.3) Insofern geht Brunner denn auch schon weiter als i. J. 1929, wo er den Anknüpfungspunkt einzig im Negativen suchte.4) 3, Dennoch zieht Brunner weiterhin noch soviel wie möglich mit der dialektischen Theologie an demselben Strang : wiewohl das Evangelium in einer bestimmten Kontinuitat mit dem allgemein-menschlichen und dem allgemeinreligiösen Vorverstandnis verkündigt werden muss, wird doch auch wieder die Kontinuitat, sagt er, völlig durchbrochen; das Vorverstandnis wird durch das Evangelium nicht nur korrigiert, sondern auch in der scharfsten Weise negiert, und die Predigt bringt es nicht weiter als zu einem ') Brunner, Die andere Aufgabe der Theologie, Zw. d. Z., 1929, (VII, 3), S. 262. 2) Frage n. d. „Ankn.", 507 (man beachte das „creatus ad (nicht secundum) Deum". 3) a.a.O., 508 (Parallelie mit Bultmann), 510. Vgl. (hier) Kap. IV, § 2. 4) Andere Aufg. d. Th., 262. „Hinweis". ') Der „deus nudus" wird in Uebereinstimmung mit den Pramissen der dialektischen Theologie denn auch als der „zornige Gott" gesehen, und die Vernunft wird aktuell gefasst als Bezogenheit, als Vernehmenkönnen.2) 4. Darum sprechen wir hier nicht langer über die Frage, wie dieser Anknüpfungspunkt von Brunner weiter dargelegt wird und inwiefern diese Darlegung an innerem Widerspruch leidet und inwiefern nicht. Uns interessiert hier nur, inwiefern er sich in diesem Punkt von K. Barth unterscheidet. 5. Brunner ist sich dessen bewusst, hier von K. Barth abzuweichen. Barth, so sagt Brunner, leugnet die unbedingte Sonderstellung des Menschen gegenüber der Kreatur, die Beziehung der Humanitat als solcher zur Gottesebenbildlichkeit und die Existenz oder Bedeutsamkeit natürlicher Gotteserkenntnis (damit die Abschwachung des Begriffes Erbsünde keiner Thomistischen Kontinuitatslehre die Tür öffnen sollte). Brunner bemerkt dann, dass die Reformatoren aus der Lehre der Erbsünde nie solche Konsequenzen gezogen haben (aber er versaumt es zu untersuchen, ob die Reformatoren in der Tat den bei der dialektischen Theologie verteidigten Begriff von „Erbsünde" je gehabt haben; seine ganze Beweisführung wird ja doch hinfallig, wenn sich beweisen liesse, dass ihr Sündenbegriff eben zur Voraussetzung hat, was hier als eventuelle Konsequenz zur Debatte gestellt wird). Er halt dann weiter K. Barth gegenüber fest, dass es nicht- recht und nicht nötig ist, den Versuch, in der natürlichen Religion einen Anknüpfungspunkt für die wahre Gotteserkenntnis zu finden, Thomistisch zu nennen.3) 6. Damit ist noch deutlicher demonstriert, wie weit sich E. Brunner doch eigentlich von den altesten Auffassungen seiner Gruppe entfernt hat. War bereits die Behauptung irgend welchen Anknüpfungspunktes für das Wort Gottes in dem Menschen selbst ohne weiteres ein Durchbrechen ') Frage nach d. „Ankn. 510—512. 2) a.a.O., 525, 526. 3) a.a.O., 521, 522. der Axiomata der anfanglichen dialektischen Theologie, so wird für diese die Situation noch viel ernster, wenn Brunner diesen Anknüpfungspunkt beweisen will unter völligem Aufrechterhalten seines Begriffes der Erbsünde, den man ja s. E. braucht, um die „reine Gnadenlehre" nicht zu verletzen. ') Früher hat die Erbsündenlehre Brunner zu der Auffassung gebracht, dass „die gute Schöpfung jenseits dieser Sichtbarkeit" liege, dass „die ganze Geschichte sündig vergiftet" sei, dass die Offenbarung „selbst nicht vom humanen Auge.... aufgefasst werden könne", welcher Ausspruch sich durch den folgenden erklart, dass „auch die literarischen Zeugnisse von dieser Offenbarung nur vom Glauben richtig verstanden werden können".2) Jetzt jedoch wird die Vernunft zu formaler Voraussetzung des Glaubens. Eine zweite Voraussetzung des Glaubens ist das „Weltbewusstsein". Und „die Gebundenheit im Gewissen" (das „zur Existenz des natürlichen Menschen als solchen gehort") heisst „der Ort, wo einerseits die entscheidende Anknüpfung, andererseits der entscheidende Gegensatz stattfindet".3) Für die Bestimmung der historischen Entwicklung der Dinge in der Theologie der ,,Krisis" ist es nun von Bedeutung, dass Brunner sich hier einerseits der Theologie der Reformatoren nahert, andererseits sich im entscheidenden Punkt immer wieder davon abwendet. So wird z. B. einerseits Nachdruck darauf gelegt, dass die obengenannten „immanenten Möglichkeiten" und vor allem ihre „Spitze" (Gewissen, Erkenntnis der Sünde !), nur negative Möglichkeiten sind ; aber auf der anderen Seite glaubt Brunner, dass diese negativen Möglichkeiten durch das Wort Gottes,,ver dichte t", „zur praktischen W irklichkeit", aktuell gemacht werden müssen, zur Reife, zum Ausbruch kommen, Wirklichkeit werden müssen.4) Wir fragen nicht, was wohl hier im Begrilf „Erkenntnis" (der Sünde) vor dieser Realisierung'enthalten, ') a.a.O., 521. 2) Der Mittler, Tübingen, 1927, 112, 136/7. 3) Frage n. d. „Ankn.", 514—517. 4) a.a.O., 518. sein mag, sondern konstatieren nur, dass die reformatorische Theologie in ihrer Entwicklung hier eine Lösung gefunden hat, nicht in der Aktualisierung von negativen Möglichkeiten, sondern in der positiven Einpflanzung des semen regenerationis, dieser „nova creatio" (Canones Dordraceni). Einerseits erinnert Brunner an die bei den Reformatoren tatsachlich vorkommende Theorie von dem „Rest" der imago dei und er gebraucht diese Lehre zur Unterstützung seiner Aufïassung der „humanitas"; andererseits jedoch hat er gegen diese Theorie einzuwenden, der guantitative Ausdruck „Rest" sei hier „missverstandlich", und konstatiert, offenbar um das Missverstandnis zu beseitigen, wir haben es hier mit einem „dialektischen Verhaltnis" zu tun: „Kontinuitat und Diskontinuitat, Anknüpfung und Gegensatz miteinander". ') In diesem letzten entscheidenden Punkt sehen wir Brunner, genau so wie Barth, zurückkommen auf frühere absolutistische Aussprüche zu Gunsten der historischen, orthodoxreformatorischen Theologie, und andererseits doch verharren in Dialektik. Brunner beruft sich zwar auf Luther und Calvin, verwundert sich darüber, dass der „negativere Akzent diesmal merkwürdigerweise bei Luther fallt", aber er beruft sich2) für seine Theorie der humanitas doch eigentlich zu Unrecht und also vergebens auf diese Reformatoren. Denn er versaumt es auf den Begriff „Rest" einzugehen, wie die Reformatoren diesen aufgestellt haben, ein Begriff, der doch wirklich etwas mehr ist als eine ungenaue quantitative Ausdrucksweise, die man nur ein wenig zu prazisieren hatte, um die humanitas Brunners daraus destillieren zu können. Dieser Fehler kommt bereits an den Tag, wenn Brunner bei den Reformatoren einen ') a.a.O., 520, 523. In bezug auf diesen „Restgedanken" sei nebenbei erinnert an Reisner, Kennen, Erkennen, Anerkennen, 1932, Schwerin, der auf den „unmöglichen" (Ref. Kirchenzeitung, 83. Jhrg., no. 5, S. 3, art. W. Wiesner) Gedanken v. e. „Existenzrest" gekommen ist (quantitative Bestimmung der Existenz). Vgl. Brunners Kritik an dem quantitativen Ausdruck „Rest" der imago dei; auch (hier) Kap. IV, § 4. 2) a.a.O., 523, Note. „doppelten Begriff der imago" dasein lasst, „der eine, der (als 'Rest') mit der humanitas identifiziert wird, der andere, als die völlige, die justitia originalis heisst". Hier sind zwei Dinge übersehen. Zum ersten, dass es doch nicht richtig sein kann, den „Rest" der imago dei, wie dieser bei den Reformatoren vorkommt, als einen „Begriff der imago' darzustellen und dann so mit einem zweiten „völligen" Begriff der imago (iustitia originalis.) zu /coordinieren. Hinter jedem Sprechen von einem „Rest" liegt ja doch eine Lehre über die imago selbst, von der ein „Rest geblieben ist, nach dem Fall. Und zum zweiten wird hier übersehen, dass von alters her über das Bild Gottes zwischen Lutheranern und Calvinisten eine Meinungsverschiedenheit bestand. Die lutherische Theologie, mehr soteriologisch gefarbt, neigte je langer desto mehr dazu, das Bild Gottes in sittlichem Sinn aufzufassen. „Zwar leugnen die Lutherischen nicht, dass auch das Wesen des Menschen quaedam &eïa sive divina ausdrückt, aber das eigentliche Bild Gottes ist nur gelegen in der justitia originalis mit der damit verbundenen immortalitas, impassibilitas, dominium und conditio felicissima .... Die Reformierten jedoch nahmen von Beginn an auch das Wesen des Menschen in das Bild Gottes auf Calvin .... sagt ausdrücklich, dass das Bild Gottes bestand in der tota praesentia, qua eminet hominis natura inter omnes animantium species, und dass es weiter, proinde, auch in der integritas besteht". ') Und wenn man diesen Unterschied im Auge behalt, verschwinden mit einemmale die Gründe für Brunners Verwunderung über die Tatsache, dass diesmal Luther sich von Calvin durch „den negativeren Akzent" underscheidet, und auch über das Quantitative des Begriffes „Rest". Die Diskrepanz zwischen dem lutherischen und dem reformierten Gottesbild-Begriff musste sich ja doch notwendig auch auswirken in der Lehre beider über den Verlust dieses Bildes durch die Sünde. „Die Lutherischen lehrten ursprünglich, dass der Mensch das Bild Gottes, •) H. Bavinck, Gereformeerde Dogmatiek, Kampen, 3. Aufl., II, 589, 590. ') H. Bavinck, Gereformeerde Dogmatiek, Kampen, 3. Aufl., II, 589, 590. weil allein in den sittlichen Eigenschaften bestehend, ganz verloren hatte .... aber die Reformierten erhielten aufrecht, dass das Bild Gottes in engerem Sinn zwar verloren und in weiterem Sinn ganz geschandet und verdorben, aber doch nicht vernichtet worden war". ') Man braucht sich über den quantitativen Rest-Gedanken bei der reformierten Theologie nicht zu wundern, denn dieser „Rest-Gedanke" ist nach ihr auf den ganzen Kosmos, auf alles, was in der Geschichte auftritt, anwendbar; die gratia communis hat das Fortwirken der Sünde nach Calvin gemassigt, dadurch dass Gott nach dem Sündenfall nicht sofort das angedrohte Urteil vollzog, sondern zwischen Fall und Urteil die ganze Geschichte eintreten liess, die anfanglich das Urteil verzögerte, den Fluch hemmte, die Deteriorisierung der Natur einschrankte, und selbst positiv Platz reservierte und bereitete für die Heilsgeschichte, für den „jöm Jahwe", der bei dem Protevangelium beginnt und der erst in der Parusie Christi sein Ende nimmt. Man kann den Reflex dieser calvinistischen Auffassung denn auch in ihrer Theorie vom „Anknüpfungspunkt" finden. Wahrend sie ja doch einerseits aufrecht erhalt (Canones Dordraceni, 1619), ohne Wiedergeburt (in engerem Sinn: Einpflanzung eines neuen Lebens) sei Glaube unmöglich, wird andererseits für die vocatio externa (durch das Wort Gottes) ein doppeltes Requisit gefunden in der mit der Lehre der gratia communis zusammenhangenden Auffassung, das Bild Gottes habe noch einen ,,Rest" zurückgelassen, und weiter in der Lehre der revelatio generalis. Beide Faden laufen in der confessio belgica zusammen, die zweimal konstatiert, der ,,natürliche Mensch" sei inexcusabilis (cf. Röm. 1, 20: avanoXóyrjzoQ). Das erste Mal geschieht das in Art. 2, das zweite Mal in Art. 14. Art. 2 sagt: duobis modis eum (sc. Deum) cognoscimus: primo per creationem, conservationem, atque totius mundi gubernationem: quandoquidem is coram oculis nostris est, instar libri pulcherrimi, in quo creaturae omnes, magnae minoresque, loco charac- ') Bavinck, III, 177. terum sunt, qui nobis Dei invisibilia contemplanda exhibent: aeternam nempe eius potentiam et divinitatem.... (Röm. 1, 20). Quae omnia ad convincendos et inexcusabiles reddendos homines sufficiunt (hiemach folgt die Erkenntnis durch das Wort, das longe manifestius et plenius Gott erkennen lasst, man achte auf die comparativi). Und Art. 14 schreibt (direkt über das verlorene, aber im Rest bewahrt gebliebene Bild Gottes): praeclara illa omnia dona, quae a Deo acceperat, amisit (sc. homo). Adeo ut ipsi tantum exigua quaedam illovum vestigia remanserint: quae tamen ad reddendum eum inexcusabilem sufficiant. Achtet man darauf, dass nach dieser calvinistischen Theologie die Schuld (die absolute inexcusabilitas) bereits prinzipiell in der Erbsünde als Schuld festliegt, dann ist es deutlich, dass die hier gemeinte relative inexcusabilitas auf die Verantwortlichkeit hinzielt, die in der Geschichte dem homo lapsus nicht nur geblieben ist, sondern auch im Hinblick auf das Eintreten der revelatio und der Heilsgeschichte mit neuer Schwere auf ihm lastet, sofern er namlich mit der (neuen) vocatio externa durch das Wort zu tun bekommt. Hier muss also gemeint sein, dass alle Offenbarung eine gewisse perspicuitas hat, die revelatio generalis schon, die specialis umso mehr; dass auch der Evangeliumsinhalt perspicuitas hat, weil, wenn er diese nicht hatte, das auf Torheit sch'liessende Urteil der Hellenen und das Fallen der Juden über das Skandalon relativ entschuldbar sein würde. In dieser calvinistischen Theorie ist also die perspicuitas revelationis ein Eckstein, auch hinsichtlich des Anknüpfungspunktes. Brunner jedoch nahert sich ihr, bleibt aber vor der Grenzlinie stehen.') Dafür ist übrigens auch seine ') So auch, wenn er schreibt, dass (in der Anknüpfung) „die Kontinuitat immer nur das formale Dass. die Diskontinuitat aber immer das Inhaltliche Was betrifft", und daran hinzufügt: „darum, dieselben Worter, aber zualeich: omnia vocabula in Christo novam signiflcationem accipiunt , Dagegen Calvin, Opera, Corp. Ref., 48, 251: facit tamen ut verbi externiet arcanae spiritus virtutis consensum electi omnes m se sentiant. Spater wird noch zu erörtern sein. dass nach Calvin die Offenbarung inexcusabilem reddit , also die Kontinuitat der Sprache voraussetzt, und benutzt; gegen ganz andere AuflFassung von „dem Wort Gottes" verantwortlich. ') Ist Brunner selbst in diesem Punkt bereits unsicher, umso bedeutungsvoller wird dies noch, wenn man sodann K. Barth sich gegen ihn wenden sieht. Ebenso wie wir Barth, im Gegensatz zu seinen Mitarbeitern, in bezug auf die bereits besprochenen Punkte immer wieder auf den Radikalismus der ersten Periode zurückgreifen sahen, so ist es auch hier. „Als dem Menschen qua Geschöpf eigene Möglichkeit für Gott, ist das 'Ebenbild Gottes' nicht nur .... mit Ausnahme einiger Restbestande zerstört, sondern vernichtet". Der Mensch hat die recta natura, aber diese hat keine rectitudo, auch nicht potentialiter. Es gibt nur einen Anknüpfungspunkt: „das durch Christus vom wirklichen Tode zum Leben erweckte und so 'wiederhergestellte' " Ebenbild Gottes, „die neugeschaffene rectitudo", nur im Glauben wirklich". Anthropologie und Philosophie haben hier, nach Barths Meinung, dem Theologen nichts zu geben.2) „philosophi", soweit sie dem Glauben keinen Platz machen, hat Calvi.i dies einzuwenden, dass „quidquid .... oratus refulget in eorum praeceptis' (sc. de moribus!) „perinde est ac praeclara superficies aedificii sine fundamento" (Calv. Op. Corp. Ref., 49, 233). Das ist eine ganz andere Auffassung (cf. 49, 343, über 1. Kor., 2, 13). Für die Reformation war bei der Erörterung der imago (und des Verlustes davon) nicht das Dilemma: Mensch bleiben oder Tier werden („formale Humanitat verlieren", 523) sondern: emporsteigender Mensch sein, oder zum („anknüpfungspunktlosen") Teufel herabsinken, d. h. unrettbar werden, ohne irgendeinen Anknüpfungspunkt für Gott und Gnade. Und da greift nach dem Fall die Gnade ein, und stellt eine dritte Möglichkeit: der Mensch bleibt Mensch, die Geschichte (Prozess!) umfasst ihn, er ist noch zu „bewegen" zu „retten", er kann noch „epistrephein" und „metanoein". Brunner, Das Gebot u. d. Ordnungen, 497, nennt das Formale des Mensch-Seins den generelle Ankn.p., zitiert aber selbst, 580, dagegen Luther. ') Hierüber spater. Kap. IV, Die von Brunner (Gott u. Mensch, 1930, S. 56, Note) aufgestellte Dualitat vom Wort Gottes, in dem der M. geschaffen ist, und dem W. G. in Chr., in dem d. Glaubende seine Gottgeschaffenheit neu erkennt, ist, (wie aus dem „in dem" offenbar wird) etwas anderes als die revelatio generalis und specialis der Reformatoren. Revelatio kommt nach ihnen zu der Schöpfung hinzu, als actus post creationem, obgleich z.T. per creata. 2) K. Dogm., 251/2. Schilder 24 terum sunt, qui nobis Dei invisibilia contemplanda exhibent: aeternam nempe eius potentiam et divinitatem .... (Röm. 1, 20). Quae omnia ad convincendos et inexcusabiles reddendos homines sufficiunt (hiernach folgt die Erkenntnis durch das Wort, das longe manifestius et plenius Gott erkennen lasst, man achte auf die comparativi). Und Art. 14 schreibt (direkt über das verlorene, aber im Rest bewahrt gebliebene Bild Gottes): praeclara illa omnia dona, quae a Deo acceperat, amisit (sc. homo). Adeo ut ipsi tantum exigua quaedam illovum vestigia remanserint: quae tamen ad reddendum eum inexcusabilem sufficiant. Achtet man darauf, dass nach dieser calvinistischen Theologie die Schuld (die absolute inexcusabilitas) bereits prinzipiell in der Erbsünde als Schuld festliegt, dann ist es deutlich, dass die hier gemeinte relative inexcusabilitas auf die Verantwortlichkeit hinzielt, die in der Geschichte dem homo lapsus nicht nur geblieben ist, sondern auch im Hinblick auf das Eintreten der revelatio und der Heilsgeschichte mit neuer Schwere auf ihm lastet, sofern er namlich mit der (neuen) vocatio externa durch das Wort zu tun bekommt. Hier muss also gemeint sein, dass alle Offenbarung eine gewisse perspicuitas hat, die revelatio generalis schon, die specialis umso mehr; dass auch der Evangeliumsinhalt perspicuitas hat, weil, wenn er diese nicht hatte, das auf Torheit schliessende Urteil der Hellenen und das Fallen der juden über das Skandalon relativ entschuldbar sein würde. In dieser calvinistischen Theorie ist also die perspicuitas revelationis ein Eckstein, auch hinsichtlich des Anknüpfungspunktes. Brunner jedoch nahert sich ihr, bleibt aber vor der Grenzlinie stehen.') Dafür ist übrigens auch seine ') So auch, wenn er schreibt, dass (in der Anknüpfung) „die Kontinuitat immer nur das formale Dass, die Diskontinuitat aber immer das Inhaltliche Was betrifft", und daran hinzufügt: „darum, dieselben Worter, aber zualeich: omnia vocabula in Christo novam significationem accipiunt , 525. Dagegen Calvin, Opera, Corp. Ref., 48, 251: facit tamen ut verbi externi et arcanae spiritus virtutis consensum electi omnes in se sentiant. Spater wird noch hier zu erörtern sein. dass nach Calvin die Offenbarung inexcusabilem reddit , also die Kontinuitat der Sprache voraussetzt. und benutzt; gegen die ganz andere Auffassung von „dem Wort Gottes" verantwortlich. ') Ist Brunner selbst in diesem Punkt bereits unsicher, umso bedeutungsvoller wird dies noch, wenn man sodann K. Barth sich gegen ihn wenden sieht. Ebenso wie wir Barth, im Gegensatz zu seinen Mitarbeitern, in bezug auf die bereits besprochenen Punkte immer wieder auf den Radikalismus der ersten Periode zurückgreifen sahen, so ist es auch hier. „Als dem Menschen qua Geschöpf eigene Möglichkeit für Gott, ist das 'Ebenbild Gottes' nicht nur .... mit Ausnahme einiger Restbestande zerstört, sondern vernichtet". Der Mensch hat die recta natura, aber diese hat keine rectitudo, auch nicht potentialiter. Es gibt nur einen Anknüpfungspunkt: „das durch Christus vom wirklichen Tode zum Leben erweckte und so 'wiederhergestellte' Ebenbild Gottes, ,,die neugeschaffene rectitudo", ,nur im Glauben wirklich". Anthropologie und Philosophie haben hier, nach Barths Meinung, dem Theologen nichts zu geben.2) „philosophi", soweit sie dem Glauben keinen Platz machen, hat Calvii dies einzuwenden, dass „quidquid oratus refulget in eorum praeceptis' (sc. de moribus!) „perinde est ac praeclara superficies aedificii sine fundamento" (Calv. Op. Corp. Ref., 49, 233). Das ist eine ganz andere Auffassung (cf. 49, 343, über 1. Kor., 2, 13). Für die Reformation war bei der Erörterung der imago (und des Verlustes da von) nicht das Dilemma : Mensch bleiben oder Tier werden („formale Humanitat verlieren", 523) sondern: emporsteigender Mensch sein, oder zum („anknüpfungspunktlosen") Teufel herabsinken, d. h. unrettbar werden, ohne irgendeinen Anknüpfungspunkt für Gott und Gnade. Und da greift nach dem Fall die Gnade ein, und stellt eine dritte Möglichkeit: der Mensch bleibt Mensch, die Geschichte (Prozess!) umfasst ihn, er ist noch zu „bewegen" zu „retten", er kann noch „epistrephein" und „metanoein". Brunner, Das Gebot u. d. Ordnungen, 497, nennt das Formale des Mensch-Seins den generelle Ankn.p., zitiert aber selbst, 580, dagegen Luther. ') Hierüber spater. Kap. IV, Die von Brunner (Gott u. Mensch, 1930, S. 56, Note) aufgestellte Dualitat vom Wort Gottes, in dem der M. geschaffen ist, und dem W. G. in Chr., in dem d. Glaubende seine Gottgeschaffenheit neu erkennt, ist, (wie aus dem „in dem" offenbar wird) etwas anderes als die revelatio generalis und specialis der Reformatoren. Revelatio kommt nach ihnen zu der Schöpfung hinzu, als actus post creationem, obgleich z.T. per creata. 2) K. Dogm., 251/2. Schilder 24 Denn hier ist nichts „angeboren" oder „zugewachsen' . ') B. Aus dem Vorhergehenden wurde uns klar, dass die Gruppe, die, wenn auch unter Protest ihrerseits, als ,,die Schule der dialektischen Theologie" bekannt ist, sich in bezug auf das Paradox gar nicht einig ist. Und das gerade, wo es die Grundbegriffe, die Voraussetzungen des Paradoxons betrifft. Nicht nur hinsichtlich des Anknüpfungspunktes, sondern auch schon in der Existenzfrage ist die dialektische Theologie mit sich selbst uneins, man findet bei ihren Vertretern als Gruppe und auch, wenn man jeden von ihnen für sich selbst betrachtet, auseinandergehende Tendenzen. Von einer „Entwicklung" zu sprechen, ware hier vermessen, denn dann diirften die Widerspriiche nicht bestehen und es müsste nicht noch immer auf die alten Axiomata zurückgegriffen werden. Vielmehr ist diese Unsicherheit eine typische Wiederholung dessen, was wir in Kierkegaards Selbstwidersprüchen bemerkten. Und stellt man das Paradox der dialektischen Theologie neben die anderen paradoxalen Strukturen, die wir bereits fanden, dann ist bei ihr die Verwirrung offenbar ebenso gross wie woanders. Eigentlich ist uns bis jetzt allein beim ZenBuddhismus eine ruhige, sich selbst gleichbleibende Entwicklung eines Paradoxon begegnet; aber da war das Paradoxon denn auch nicht mehr als ein technisches Hilfsmittel, das eben darin und dadurch über sich selbst hinauswies. Wir sehen denn auch von jedem Versuch ab, „die Stelle „des" Paradoxon bei der dialektischen Theologie zu bestimmen. Zu glauben, davon könne noch die Rede sein, ware ein Kapitalfehler. Im Anfang war dies zweifellos möglich; Barths Römerbrief mag denn auch selbst noch hie und da Verschiedenheiten vorbringen, trotzdem ist hier das Paradoxon in grossen Linien vom „unendlichen qualitativen Unterschied" beherrscht, der Kierkegaard so sehr ergriffen hat. Aber die spateren Publikationen gehen nach verschiedenen Richtungen. •) a.a.O., 257. 1. Anfanglich, in der ersten Periode, war das Paradox, wenigstens der Absicht nach, absolut und objektiv. Christus hiess das Paradox, das Ende der Zeit. Das Gesetz, so hiess es, spricht sein ewiges Nein; wer „Paradox" sagt, der sagt Nein, Ewigkeit, Wunder, das Unmögliche, Grenze, das, „von dem alles direkt anschauliche Sein, Haben und Tun des Menschen umgrenzt, in Frage gestellt und letztlich—bejaht und begründet ist". ') Ganz in Uebereinstimmung damit hiess Offenbarung auch Verhüllung oder Unkenntlichmachung und wurde alle Immanenz verworfen. Die ,,geschichtliche und seelische Seite der Wahrheit hiess ,,immer ihre Unwahrheit"; Erlebnis war hier „das was nicht unser Erlebnis ist", Religion war „Aufhebung unsrer Religion''. Aufhebung wurde Setzung, Setzung Aufhebung.2) „Fertig", „gegeben" durfte nichts sein, nichts heisse, so lautete das Gebot, „unser"; wir können nur „hoffen", „warten", bringen es nicht weiter als zu einem „Hohlraum", einem „Hinweis", Negation unserer Position; der Ort hier, so sagt Barth, ist überhaupt kein Ort, Mitteilung ist hier Schweigen. Und in dem Ueberfluss von Barths bildreichen Wendungen wurde Schweigen hier gleich mit „Zurückstossen", Krisis.3) Man erkennt hier das kierkegaardsche Paradox wieder, das in seinen Grundzügen zurückkehrt.4) Das „Ja", aus dem das „Nein" über den uns bekannten Menschen gesprochen wird, war in sich eine „Vernichtung alles Ja und Nein, alles Diesseits und Jenseits, alles 'Sowohlals-AucK, aller Dualiteiten, Allogenitaten und Antinomien".5) Das Reich Gottes fangt an „jenseits aller als Konser- vatismus und Radikalismus, Physik oder Metaphysik, Moral oder Uebermoral, Weltfreude oder Weltschmerz aller 1) Römerbrief, 5, 6, 91, 28, 77, 96/7, 99 (cf. 93), passim. 2) a.a.O., 73, 113, 77, 84, 143. 3) a.a.O., 73, 77, 85, 128, 84, 177, 134, 93, 85, 135, 147, 259. 4) a.a.O., 73, passim, 173 (Taufe) „Theol. d. abs. Moments", 182, 410/1, 423, 258, 302 (existentiell), 142/3, 154 (Augenblick), 165 (Krankh. z. Tode), 116, 122 (Gleichzeitigkeit), usw. 5) a.a.O., 181. als dies und das, so und so aufzufassenden raenschlichen Möglichkeiten".') Gott wird nur sub specie mortis anschaulich, nur sub specie mortis leuchtet in den Dingen die Herrlichkeit des Schöpfers.2) Was paradox ist, kann nur in „kraftigen Negationen" verkündet werden.3) In dieser ersten Periode ging es also um „die wirkliche Paradoxie des endlichen wirklichen Verhaltnisses von Gott und Mensch",4) um das dialektische Verhaltnis von Zeit und Ewigkeit, von aiu>v ovxoq und aicov fiéXlov.5) Wenn Paul Tillich dem „kritischen Paradox" der dialektischen Theologie (Barth, Gogarten) sein „positives Paradox" gegenüberstellen will, weil bei Barth-Gogarten „die gesamte Geschichte ein negatives Vorzeichen erhalt", und es auf diesem ihrem eigenen Standpunkt nach ihm doch eigentlich unlogisch ist, Christus als den Ort der Offenbarung zu betrachten, (was sich ja doch deckt mit dem Suchen einer „Position in der Geschichte", „auf die sich die Verkündigung der Krisis gründet"),6) dann lehnt Barth diesen Vorwurf von Inkonsequenz und dieses Streben nach Emendation ab. Nur dann behalt man ja doch, sagt er, die Paradoxie des „positiven Paradox" im Auge, wenn man zwar, wie Barth buchstablich sagt, Christus „das positive Paradox" nennt, aber dann dabei unerbittlich an der These festhalt, die Qualifïkation dieser Geschichte als Heilsqeschichte (als Geschichte von der Menschwerdung Gottes) sei auf der ganzen Linie verhüllt „durch den Aspekt an~ ') a.a.O., 136. 2) 137, 147, 144 (der Tod, oberstes Gesetz dieser Welt), 182 (der Tod, das einzige Gleichnis d. Himmelreichs). 3) a.a.O., 261. 178, 137. 4) F. Gogarten, Zum prinzipiellen Denken, Zw. d. Z., Heft VII, S. 13, vgl. Römerbr., 69, 398, 5) H. W. Schmidt. Zeit u. Ewigkeit, Gütersloh, 1927, 24 (man vergleiche die oratorische, aber in einer Predigt doch immerhin beachtenswerte Wendung : Zeit entleerte, verarmte Ewigkeit, Ewigkeit = erfüllte Zeit, K. Barth, u. Ed. Thurneysen, Komm, Schöpfer, Geist!, München, 1926, S. 204); Max Strauch, Die Theol. K. Barths, 2. AufL, München, 17. Römerbr. XIV, 8) P. Tillich, Kritisches und positives Paradox, Theol. Blatter, Nov. 1923 (2. Jhrg., no. 11), 267. schaulicher historischer Relationen, die an sich nichts anderes csind' als Möglichkeiten des Aergernisses'. ') 2. Doch zeigen sich auch in dieser ersten Periode bereits Symptome von Unsicherheit. Das soeben gehorte „auf der ganzen Linie" wird in seiner Pragnanz tatsachlich schon preisgegeben durch die These: das Wort Gottes ist Geschichte geworden; aber es hat keine Geschichte".2) Zu gleicher Zeit aber wird dem ,,Positiven" von Barths Paradox doch, recht betrachtet, der Boden entzogen, und es also seiner Positivitat, wie diese hier in Frage steht, beraubt, wenn namlich Gott ,,der Sinn, das Letzte, der Tod in diesem Tod" (sc. von Chr.) genannt wird, Gott „als die jenseits des Todes dieses Lebens liegende und darum nur im Gleichnis des Todes zu veranschaulichende neue (unmögliche) Möglichkeit des Menschen".3) Um die ,,Paradoxie" des positiven Paradox zu akzentuieren, wird seine Positivitat verwischt. Diese Nebelhaftigkeit des ,,Positiven" in Barths Paradoxie wird noch leichter wahrnehmbar, wenn man darauf achtet, dass der „positive Punkt" oder das „positive X", das ,,mich erkennt" und „von wo aus ich negiert, als 'alter Mensch rekognosziert bin", mich in Christus mit sich ,,identisch" sein lasst.4) Hier zeigt sich, dass die soeben vernommene Behauptung eines „positiven Paradox' eigentlich nicht mehr bedeutete, als eine Abbreviatur für die Behauptung, dass das „Ja", woraus das gegen „mich" gewandte „Nein" „stammt" und das „in sich die Verneinung alles Ja und Nein .... ist", selbst positiv gedacht wird.5) Tatsachlich war denn auch Barths Einver- ') K. Barth, Von der Paradoxie des „positiven Paradoxes", Theol. Blatter, 2. Jhrg, no. 12, Dez. 1923, 293/4. 2) Angef. durch Wobbermin, Das Wort Gottes u. d. evang. Gl., in: „Vom Wort Gottes" (- Deutsche Theol. III. Bd.) hrsgg. v. E. Lohmeyer, Göttingen, 1931, S. 55. Cf. über „Geschichte werden": Römerbr., 183/4. 3) Römerbr., 186. 4) a.a.O., 181, 178. Vgl. auch G. Kehnscherper, Die dial. Theol. K. Barths im Lichte d. soz.-eth. Aufg. d. chr. K., Berlin, 1928, S. 64. Chr. sei bei Barth das „uns völlig gleiche Symbol", „auch wir sind das ganz Andere Gottes", Röm. 265, 10—12. 5) a.a.O., 181. standnis mit Tillichs Qualifikation von Barths Paradox als „positiv" eine erste, wenngleich nicht bcwusst erkannte Kapitulation. Damit parallel lauft Gogartens gegenüber Hermann Herrigel abgelegtes Bekenntnis, er habe ein oflFenes A.uge für die Gefahr, dass bei der dialektischen Theologie Gott und Mensch „ganzlich inhaltsleere Grossen" werden würden, dass also schliesslich diese beiden doch dadurch identisch gemacht würden und die „wirkliche Paradoxie des endlichen wirklichen Verhaltnisses von Gott und Mensch" also hier doch verloren gehen würde, weshalb denn auch Gogarten sich dadurch „immer und immer wieder zur Revidierung seines ganzen Denkens veranlasst sah. ') Die Gefahr „inhaltsleerer Begriffe , und das noch dazu bei so starker Betonung der „Sphare der 'Existenz , 2) — das ist wohl eine deutliche Zeichnung der wankenden Situation.3) 3. Es nimmt denn auch nicht Wunder, dass in den paradoxalen Wein allerlei Wasser gemischt wurde. Oder auch, dass auch schon in bezug auf das Verhaltnis von Gott und Mensch von „Paradoxie" gesprochen wurde in anderem Sinn, als es sich mit dem „qualitativen Unterschied" vereinigen liess. Oder auch, dass bei genauerer Detaillierung oder wissenschaftlicher Unterscheidung dem Radikalismus der ersten Periode die scharfe Spitze abgebrochen wurde. Das etste sehen wir z.B. geschehen, wenn Barth, und zwar bereits i. J. 1923, die „Krisis „nicht an sich Negation und also Verbot, sondern Watnung allerdings, aber vielleicht auch Mahnung" heissen lasst, und dann fragt, warum diese Krisis „nicht gege'oenenfalls Position und >) Zum prinzipiellen Denken, Zw. d. Z., Heft VII, 13: vgl. III, Jhrg., H. 1 (1925): Vom skeptischen u. glaubigen Denken (Briefwechsel m. H. Herrigel). 2) Z. pr. Denken, 10. _t , , 3) Ueber (Grenz)begriff ohne Inhalt auch: Victor Glondys, Euckens „Wahrheitsgehalt der Religion" und die ggw. Krise der evang. Iheol., Die Tatwelt. Jena. Jhrg. VI, Heft 1, Jan-Marz 1930, S. 11 ; cf. A Liebert, Geist u Welt d. Dialektik, I, Bd. Grundl. d. D., Berhn, 1929, S. 150. Gebot bedeuten können soll, für den 'Dialektiker' wie für andre Sterbliche." ') Das zweite macht sich bemerkbar, wenn z. B. Brunner (E.) naga dó^av nennt, „was jenseits aller empirischen Möglichkeiten liegt", und diese Paradoxie zum Ausdruck macht „jenes Urgeheimnisses .... dass alle Ideen auf ein letztes Reales hinweisen, das im Sinn erscheint, auf.... einen Redenden, einen Gesetzgeber, .... eine Persönlichkeit, .... mit der wir verstekend in ceale Verbindung treten können". Das Verwunderliche dabei, vom Standpunkt immanenter Kritik aus, ist nicht so sehr, dass Brunner, um doch nur den „Augenblick" behalten zu können, und um alles Prozessartige weiterhin vom Glauben fernhalten zu können, dies „Verstehen" sv diófiw ausserhalb der Zeit stellt, weil „in der Zeit Einheit unmöglich ist", denn dieser Gedankengang ist, abgesehen von seinem Begründungsversuch,2) konsequent. Sondern dies ist verwunderlich, dass dieses êv drófico Verstehen des Glaubens, der seinen „Sprung" tut, hier auf eine Linie mit „jedem Akt des Geistes" gestellt wird, denn ,,jeder Akt des Geistes ist eine Durchbrechung der Kausalitat durch die Freiheit", und ein ,,Einbruch der Ewigkeit in die Zeit". „Das Verhaltnis des Geistes ist immer ein negatives: Aufhebung". Hier ist tatsachlich jeder, auch ..natürliche", Geistesakt mit dem Glaubensakt in eine Reihe gestellt, und die Durchbrechung der Zeit nicht dem ,,ver~ urteilenden" Gott, sondern dem ,,freien" (!) Geist vorbehalten, und zwar unter Verweisung auf Bergsons ,,durée réelle", ') Von d. Paradoxie d. pos. P., a.a.O., 289. 2) Das paulinische ïv aró^co wird vergleichenderweise erwahnt, ist aber in 1. Kor. 15, 52 keineswegs ausserhalb der Zeit gedacht. Auch wird mit Bergsons „durée réelle" eine Parallelie gesucht: jene „durée" soll nicht Zeit, sondern Ewigkeit sein, allerdings in psychologistischer Interpretation. Mag es sein, dass Brunner diese letzte beiseite schafft, so ist doch klar, dass hier das Wort „Ewigkeit" seines Krisis-Charakters völlig entkleidet ist. „Die Zeit gehort in die Sphare der Seele", 104, diese „Ewigkeit" (durée, Dauer) ist „Ueberwindung der Zeit durch das Identische des Geistes, durch die Ewigkeit des Sinnes", 102/3. Zeit und „Ewigkeit" stehen in dieser Verbindung, genau so wie „Seele" und „Geist" der „Ewigkeit" der ersten dialektischen Theologie gegenüber. (Brunner, Erlebnis, Erk. u. Gl.) ï wenn auch dieser Begriff bei Brunner von psychologistischen „Flecken" theoretisch béfreit ist. ') Und das dritte, wovon soeben gesprochen wurde, zeigt sich uns, wenn z.B. Brunner die schon oft hier zitierten „Juden und Griechen" aus 1 Kor. 1 und 2 auf solche Weise von einander zu unterscheiden beginnt, dass bei ihm — und dies im Unterschied von Kierkegaard (siehe III, § 6) und Barth 2) — wieder für die paulinische Unterscheidung zwischen Juden und Griechen (vgl. III, §6) Verstandnis aufkommt. Die Folge davon ist, dass durch Brunner hier die für die dialektische Theologie wichtige, aber leider nicht weiter durchgeführte Konzession gemacht wird, dass „das eigentliche Aergernis nicht das theoretische Paradox, sondern die sittliche Demütigung" ist.3) Diese Abgrenzung von Aergernis gegen Paradox hat den Vorteil, dass die Frage aufgeworfen wird, ob nicht hinter der Auflehnung der „natürlichen Vernunft gegen den Inhalt des Wortes Gottes die Hybris des „Herzens" des nicht wiedergeborenen Menschen zu suchen ist, sodass alles Empfinden der Wahrheit als paradox sensu eminentiore tatsachlich auf einen Konflikt nicht mit „der" Ver nunft, sondern mit dem (biblisch aufgefassten) „Herzen" als Lebens-Zentrum zurückgeführt werden müsste. In diesem Zusammenhang hat es zweifellos seine Bedeutung, das Brunner den Glauben nachdrücklich von dem „selbstmörderischen sacrificium intellectus" unterscheidet und ihn die Verneinung nicht der Vernunft als solcher, sondern ihrer Anmassung nennt.4) Eine Bemerkung die auch bei Barth hie und da zum Vorschein kommt.5) 1) Erlebnis, Erk., Gl.. 1923, 102-104. 2) Römerbr. 15. 3) Brunner, Der Mittler, 1927, S. 23. 4) a.a.O., 23. 5) Ansatze im Römerbr., vorsichtig : 412. •— Siegfried, a.a.O., 88, verweist auf Chr. Dogm. Prol., 403, wo aber vom sacr. intell. wohl gesagt wird, es sei „uns" unmöglich (man kann nicht „über seinen eigenen Schatten springen"), nicht aber, es sei nicht nötig. Man vgl. jedoch die alteren (Prol. 291) und neueren (s. oben, Existenz) Ausführungen über das „aus sich heraustreten". Alle solchen Selbstkorrektionen habcn jedoch nicht mehr zu bedeuten als flüchtige Ansatze. Unaufhörlich zieht man sich doch wieder auf die alten Stellungen zurück. Barth z.B. lasst seine anfanglich durch „das Wort", „die Offenbarung" ohne weiteres, ponierte Unterscheidung zwischen Geschichte und Urgeschichte spater mit einer neuen, hypothetischen ') zwischen Wort und Urwort parallel laufen.2) Und Brunner nimmt tatsachlich seine soeben an den Tag getretene .Koordinierung des „verstehenden" Glaubensaktes (im „Sprung") mit jedem Akt des Geistes doch wieder zurück, wenn er spater3) erklart, allein im Glauben mache der Mensch in seinem „sich Verstehen' das Verstehen zur „Tat", und wenn er das „Paradox des neugeborenenpersonhaften Willens" so interpretiert, dass die neue Person als solche ein „das ganze Sein des Ich betreffendes Geschehen ist". 4. Fassen wir also das unter 1—3 Gesagte zusammen, dann ist das Resultat, dass das „Paradox sensu eminentiore" (Kierkegaard, unendlich qualitativer Unterschied) zwar in grossen Linien übernommen ist, aber doch nirgends vollkommen konsequent durchgeführt ist. Hiemit ist natürlich nicht beabsichtigt, darüber zu klagen, dass es nicht zu einer paradoxalen „Methode" geworden ist, denn dies war nicht die Absicht,4) und hatte auch nicht in das Ganze dieses Gedankenkomplexes gepasst. Die „unanschauliche Mitte jeweils zwischen zwei Aussagen" hat ja doch, wie behauptet wird, zwar die Wahrheit „zur Stelle", aber: a) Barth selbst weist darauf hin, dass doch mit der dialektischen Methode an sich noch nichts gewonnen ist, und b) dies ist auch wohl deutlich, solange diese Theologie keine eigene Logik gegeben hat um uns zu sagen, was sie ') E. Schaeder, Das Wort Gottes, Gütersloh, 1930, S. 106. 2) Chr. Dogm. Prol., 45—47. 3) Das Gebot und die Ordnungen, 1932, 146/7. 4) Vgl. A. S. Zerbe, The Karl Barth Theology of the New Transcendentalism, Gleveland, Ohio, p. 7—15: the paradoxical method; Barth selbst hingegen hat eine „via paradoxica" abgelehnt. vom Gegensatz denkt, m'.a.W. zwischen ivelchen Enantiologien überhaupt die Stelle der Mitte zu suchen sein wird. Nein, wir meinen nur, dass auch in der ersten Periode nach einer radikalen Struktur des Paradoxes von ZeitEwigkeit, Gott-Mensch usw. nur gesucht worden ist, aber ohne dass sich auch nur eine einzige Periode aufzeigen lasst, worin sich die Gedanken der dialektischen Theologie, auch in dieser Hinsicht, nicht widersprochen haben. Mit Schmidt eine erste Periode „logischer" Dialektik bei Barth gegen eine zweite „ontologischer Dialektik scharf abzugrenzen, als ob man zwischen beiden eine historische Scheidelinie aufzeigen könnte, geht auch noch zu weit, denn die Begriffe sind nirgends zu einer einheitlichen Struktur oder Dialektik aufgebaut oder zusammengefügt. Die von K. Nadler ') gezeigte und von K. Plachte 2) betonte Gefahr, dass die dialektische Theologie die Paradoxie 'des Glaubens mit dem Absurdum der Vernunft verwechseln würde, ist zwar bei ihr nirgends ganz überwunden worden, aber sie hat sich ebensowenig in ihrer vollen Kraft geltend gemacht. 5. Uebrigens wird in diesem Kreis auch von „Paradoxie gesprochen, ohne dass die Relation Gott-Mensch usw. in Frage steht. Es ist da bei Barth die Rede von einer „kommenden Einheit" der „Kontraste , von „Ja und Nein" der „menschlichen Dinge und diese Einheit wird als „kommende" erkannt „im Widerschein des Lebens Jesu'\ Diese Einheit ist „keine andere als die Einheit Gottes". Denn was Gott betrifft, das „Paradox" seiner Gerechtigkeit z. B. liegt in der „Identitat zwischen seiner zürnenden Heiligkeit und seiner freisprechenden Barmherzigkeit". „Die Einheit des göttlichen Willens spaltet sich zur Zweiheit, um sich in der Ueberwindung dieser Zweiheit um so siegreicher als Einheit zu erweisen." 3) Hier ist also die Paradoxie auf Gott bezogen, nach seinen „opera immanentia" ') Kate Nadler, Der dial. Widerspr. in Hegels Phil. u. d. Paradoxon d. Chr.tums, Leipzig, 1931, S. 88. 2) K. Plachte, Symbol u. Idol, Berlin, 1931, S. 6. 3) Römerbr. 1924, 136/7, 168. sowohl als „exeuntia" betrachtet, um in der Sprache der alten Dogmatik zu sprechen. Es wird sogar eine Analogie dieser Paradoxie in den „menschlichen Dingen" gesehen. Der Begriff „Paradox" ist also hier auf je eines der Glieder der Dualitat Gott-Mensch usw. übertragen. So macht es auch Brunner, indem er von dem Paradox der Einheit von Freiheit und objektiver Notwendigkeit spricht, oder von der paradoxen Tiefe der christlichen Auffassung des Bösen (Ichbewusstsein und Gottesbewusstsein als Voraussetzung der Sünde) usw. ') Jedoch auch hier fehlt wieder die strenge Durchführung der Paradoxie; denn wir „stecken tiefer im Nein als im Ja" und in Gott „steekt", um so zu sprechen, das „Ja" tiefer als das „Nein".2) 6. Tatsachlich kommen all die inneren Schwachheiten des Paradox-Begriffes der dialektischen Theologie zusammen und flüchten sich vor ihrer eigenen Selbsterkenntnis, wenn schliesslich der Weg nach dem Paradoxon des „Ich-DuVerhaltnisses" eingeschlagen wird. Dies wird klar, wenn man sowohl auf die Art und Weise achtet, wie dieser Begriff in der Diskussion langsam aufkommt, als auf seinen Inhalt. a) Was das erste betrifft: man bekommt den Eindruck, dass das „Ich-Du-Verhaltnis" — aufgefasst natürlich nicht in dem von Barth bestrittenen Feuerbachschen Sinn,3) sondern als paradoxes Verhaltnis zwischen Gott und (angesprochenem) Menschen — doch eigentlich ein Denkentwurf ist, der nachtraglich, erst als ungenaue Paraphrase, dann 1) D. Mystik u. d. Wort, 1924, S. 93, 237. 2) vgl. H. W. Schmidt, Zeit u. Ewigk., 56. 3) „Mensch und Mensch — die Einheit von Ich und Du — ist Gott" (Feuerbach); vgl. K. Barth, Die Theol. u. d. Kirche, München, 1928, S. 217, cf. Chr. Dogm., Prol., 62. Deshalb hat auch K. Heim (Glaube u. Denken, Berlin, 1931, S. 405/6 u. E. kein Recht dazu, „die" Du-Beziehung, das „Mitsein" als einen Gedanken darzustellen, der „seit Feuerbach" die Bewegung von Kierkegaard, über Dostojewski, Overbeck die „LutherRenaissance" (!) bis zur dial. Theol. als ein elementarisches Ereignis („genau so folgenschwer" wie die Ich-Entdeckung des Idëalismus) beherrscht. Denn a) hier ist durchaus keine Einhelligkeit, b) auch in der dial. Theol. ist alles noch unreif in bezug auf diese „Neuentdeckung der letzten Dimension . als theoretische Korrektur an dem absoluten Zeit-EwigkeitParadox, entstanden ist und von der entgegengesetzten Seite her als der unendlich-qualitative Unterschied konstruiert worden ist. Die Paradoxie des „unendlich qualitativen Unterschieds" sieht Gott zu dem Menschen überhaupt, zu der Welt, der Kreatur, der Zeit, kommen als in Krisis bringende Macht; es handelt sich hier nicht in erster Linie um ein „Ansprechen" des Einzelnen als solchen, sondern um ein Reden gegen ihn, in seinem „Mit-Sein" mit anderen. Zwar bringt nachher die Existenzfcage, und in Verbindung damit die Frage nach Wesen und Inhalt von Glauben, Aergernis etc., den Einzelnen in der Debatte in den Vordergrund, aber, solange die Debatte sich auf den „unendlich qualitativen Unterschied" beschrankt, kann der Einzelne als solcher ausser Betracht bleiben. Bis dahin ist das „Wort Gottes" noch nicht als ein „Anreden" aufzufassen. Sobald das „Wort Gottes" in die enge Begrenzung des Begriffes „Anrede" eingfëschlossen werden würde, ware damit tatsachlich bewiesen, dass die Problemstellung von der Existenzfrage beherrscht wird, m. a.W. dass auf Gottes Sprechen aus des Menschen Hören, bzw. Fragen geschlossen wird. Tatsachlich nun ist dies letzte bereits der Fall, wenn Barth in seiner Chr. Dogm. das Wort Gottes als Antwort umschreibt. ') Wir vergessen nicht, dass nach Barth die Frage des Menschen, auf die Gott antwortet, in der Antwort selbst begründet ist.2) Aber dies andert nichts an dem Charakter von Gottes Wort als Antwort; das Entscheidende ist für uns hier, dass (weil die Frage immer individuell ist, und an ein „unbewusstes Adventsgebet" der Kreatur oder das „Seufzen der ganzen Schöpfung" nicht gedacht ist) das Wort Gottes als Beziehung zwischen Zweien (Ich und Du) bezeichnet ist.3) Man bedenke dabei, ') Chr. Dogm., Prol., 75—79. 2) a.a.O., 76. Die Existenz des Menschen (konkreten M.!) wird zur Frage, wenn er von Gott und von seiner Beziehung zu ihm reden hört (Predigt); spater: wenn er Gottes Ja (eine bestimmte Beziehung) also aus dem Munde Gottes selbst (!) gehort hat, Chr. Dogm., Prol., 72, 76. 3) Chr. Dogm. Prol., 62. dass dieses Hervorheben des Ich-Du-Themas zusammenfiel mit der für die Geschichte der dialektischen Theologie so merkwürdigen, und methodisch für ihre Reinhaltung so verhangnisvollenWahl eines dogmatischen Ausgangspunktes, nicht in Gottes Wort, sondern in der christlichen Rede, der Tatsache der christlichen Rede. ') Nachdem so das Wort Gottes als Anrede „zu mie zu einem persönlichen Ereignis gemacht worden und die klassisch-reformierte Unterscheidung zwischen vocatio externa und interna verwischt worden ist, sieht man in der Folge immer die Theologen dieser Gruppe die soeben besprochene Methode noch weiter anwenden; sie disputieren über Gott vom Menschen aus und schliessen hinsichtlich der Rede Gottes aus dem Standpunkt einer menschlichen Persönlichkeitslehre. Brunner tat dies zum Teil bereits im ersten Beginn der Bewegung,2) und ist diesem Weg auch weiter gefolgt, was denn auch mit seinem schon erwahnten Standpunkt betreffs des Ineinanders von Anthropologie und Theologie vereinigt werden kann. Eigentlich wird der Glaube an das „Person-Sein Gottes" festgekettet an und indirekt konstruiert aus der persönlichen Beziehung von Anreden-Hören, die zwischen Gott als Person und Mensch als Person gegeben ist in Gottes Wort: Ich-Du.3) Sonst bekommen wir es mit einem „Ding", nicht mit einer Person ') Chr. Dogm. Prol., 18, ff.: „Die kirchl. Verkündigung als Ausgangspunkt und Ziel der Dogmatik", cf. 47 : „wir sind im Bisherigen phanomenologisch vorgegangen". — Siehe auch : K. Barth, Menschenwort u. Gotteswort i. d. chr. Pr„ Zw. d. Z. III, 2, (1925) S. 122/3; H. W. v. d. Vaart Smit, Die Schule K. Barths u. d. Marburger Philosophie, Kant-Studien, XXXIV, 3/4, (1929), 334; G. W. Florowskij, Offenbarung, Phil. u. Theol., Zw. d. Z. IX, 6 (1931), 466. 2) Das Grundprob. d. Phil. bei Kant u. Kierkegaard, Zw. d. Z., Heft VI (1924), 45 : Soll das Unmögliche Rettung sein so .... müsste es .... eben nicht sich darstellen, denn dann ware es ja ein Ding, sondern uns ansprechen .... 3) E. Brunner, Het Woord en de Wereld (Vorlesungen, London, Glasgow, Edinburg, 1931), übers. v. A. L. Boeser, Amsterdam, 18/9; idem, De Theol. der Crisis (Vorlesungen Lancaster), übers. v. A. L. Boeser, Amsterdam, s. a., 49. zu tun, sagt Brunner, ') und damit verrat er unwillkürlich, dass der Gottesbegriff hier nicht — wie die klassische calvinistische Theologie dies tut — auf der Offenbarung aufgebaut wird, sondern dass Gottesbegriff und Offenbarungsbegriff in dem sie beide „erzeugenden" menschlichen Geist sich gegenseitig an einander aufrichten. Wie scharf die Methode des dogmatischen Aufbaus bei Brunner hier von der Methode der von der Offenbarung ausgehenden Denkweise der klassischen reformierten Theologie abweicht, wird u.a. deutlich, wenn man darauf achtet, dass bei ihr die termini der Offenbarung nie unter dem Gesichtspunkt der Empfangsmöglichkeiten des horenden Menschen festgestellt werden. „Personhaft" spricht, nach ihr, Gott schon innerhalb der Trinitat (opus immanens), personhaft spricht Er, auch ohne dass er noch irgendeine Anrede tut, wenn er die Welt schafft (opus exeuns), und personhaft bleibt Sein Sprechen immer, weil Er Gott ist, sei es, dass Er den Menschen in „Anrede' zu sich rufen will oder nicht. „Person" wird nach ihr der Mensch denn auch nicht, wie bei Brunner, in und durch Gottes „Anrede", sondern in und durch Gottes Schöpfungswort über ihm, vermöge kreatürlicher Urbindung, die nie zu brechen sein wird, auch nicht durch die Sünde. Dass es je zu „Anrede" kam (status rectitudinis), und, nach dem Fall, wiederum dazu kam, ist Frucht eines freien Beschlusses von Gott, welcher Beschluss nicht das Person-Sein des Menschen „schafft", sondern an das anfanglich ohne Anrede geschaffene Person-Sein des Menschen appelliert. Darum ist auf dem Standpunkt dieser reformatorischen Theologie das Wort Gottes als opus exeuns nicht primar ein Ich-Du-Verhaltnis. Denn es kommt zu der Person des Einzelnen erst, nachdem es zu der Gemeinschaft gebracht worden ist.2) Zwar kennt diese Theologie die sehr per- ') Grundpr. d. Ph. bei Kant u. Kierkeg., a.a.O., 45. 2) Die bekannte Stelle aus dem N. T. (das Reich Gottes 'zvtzc wird von seiten der dial. Theol. oft gebraucht zur Illustration bei der Existenz-, und Ich-Du-Frage: Gott muss aktuell zu (in) „m/r" sprechen. sönliche „Anrede" Gottes in dem Einzelnen, doch fallt diese mit der vocatio interna efficax zusammen und ist primar eine Handlung Gottes, wobei der Einzelne passiv ist. ') Diese vocatio interna ist also etwas Neues nach der vocatio externa. Wir weisen auf diesen Unterschied im dogmatischen Aufbau hin, weil eben daran demonstriert wird, dass die dialektische Theologie in der Methode ihrer dogmatischen Konstruktionen dem nicht entgangen ist, was sie wiederholt Hybris genannt hat. Wahrend dagegen die calvinistische Theologie den bekannten Barthianischen Spruch: Gott ist im Himmel und Du auf Erden, gehorsam angehört hat, dadurch, a) dass sie nichts zu wissen wagte, es sei denn aus Offenbarung, b) dass sie auch von Gott als „Anreder" dadurch so ehrfurchtsvoll auszusagen wusste, er sei im Himmel, der Mensch auf Erden, dass seine „Anrede" (voc. int.) bei ihr als eine creatio „ex nihilo", und eben dadurch als Anfang eines neuen geschichtlich gefassten Lebens galt. Die Tatsache, dass diese calvinistische Theologie nie den Mut gehabt hat, die göttliche Anrede an den Menschen aus der phanomenologischen Gegebenheit der „christlichen Rede" zu determinieren, beweist, dass sie wenigstens die Paranese in Anwendung brachte, die unmittelbar auf den klassischen Ausspruch über „Gott im Himmel, Du auf Erden" folgt: r'T P"7^, darum lass eure Worte wenig sein.2) b) lm Licht des Obenstehenden fallt das paradoxale Ich-Du-Verhaltnis auch dem Inhalt nach ausserhalb des Rahmens der Ur-Axiome der dialektischen Theologie und verliert seine Paradoxalitat „sensu strictissimo". „Persönlichkeit" zu einem göttlichen Attribut zu machen, das ist keine „Hybris" für den, der das Recht dazu langs des Weges Aber der Ausdruck ist nicht individuell-mystisch (oder existentiell) gemeint, sondern bezieht sich auf die Gemeinschaft, die Masse, zu der objektiv, abgesehen von ihrem Glauben oder Nicht-Glauben, die Offenbarung kam. Vgl. C. Lindeboom, Geref. Theol. Tijdschr., Aalten, XX, 9 (1919/1920), 334, sqq. „Die Kompanie" (Kierkegaard) ist es, worum es sich hier handelt. ') H. Bavinck, Geref. Dogmatiek, Kampen, 1911, IV, 59, sqq. 2) Pred. Sal., 5, 1. logischer Deduktion aus der Bibel ableiten zu können meint; es verrat jedoch bereits ein Fehlen an „Respekt vor Gottes incognito" bei jedem, der diesen Respekt aus denselbenGründen gefordert hat als die dialektische Theologie es tat. Konsequenz ihres ersten Auftretens ware ja doch kein Ich-Du-Verhaltnis, sondern höchstens ein X-ich-(x) Verhaltnis. Nachdem nun jedoch das Ich-Du-Verhaltnis dazu dienen muss, das persönliche, das wirkliche, das aktuell-und-existentiell-Mitbezogen-Sein-des-Menschen-in-der-Offenbarung an Gottes Persönlichkeit als Korrelat der menschlichen im Offenbarungsvorgang adstruieren, oder es darauf fundieren zu können, ist dies in jeder Hinsicht eine petitio principii; und diese heisst hier unerbittlich: Hybris. Es ist wahr, Barth weist Feuerbachs Ich-Du-Konstruktion ab, weil dessen These, die wahre Dialektik sei kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sondern ein Dialog zwischen (strikt genommen) „Du und Ich", in Zusammenhang mit der anderen, „Mensch mit Mensch — die Einheit von Ich und Du — sei Gott", die Theologie zur Anthropologie mache. ') Aber wenn Brunner den einen terminus des „Ich-Du", namlich das „ich", schliesslich in derselben Weise bestimmt wie Feuerbach, und also auch die Gem.einschd.ft~ lichkeit des „wirklichen" Lebens des Menschen in den Vordergrund rückt, weil „alles was privat ist, notwendig privatio" ist,2) dann ist zwar Feuerbachs Apotheose des Menschen3) hier vermieden, aber es bleibt doch auf dem Standpunkt der dialektischen Theologie selbst eine doppelte Schwierigkeit bestehen: a) dass mit dieser letzten Behauptung Kierkegaards pathetisch-paradoxale Dialektik mit ihrem Privatissimum-Charakter und ihrer Anti-Mediations-Tendenz ') Die Theol. v. d. Kirche, 217, 221, 222, 225. 2) De Theologie der Crisis, S. 2 Man bedenke dass in Erlebnis, usw. 125 das Ich-Du-Verhaltnis zwischen Mensch und Mensch noch nur als Analogie des Verh. zu Gott galt, wahrend spater das „Ich als Person sich nur im Verhaltnis zum Mitmenschen entfalten konnte, und damit das Verhaltnis zum Mitmenschen zum bestimmenden Factor des Verh. zum Gott gemacht worden ist. 3) Cf. Barth, Theol. u. Kirche, 226. prinzipiell verleugnet ist, und b) dass dennoch Feuerbach Brunner auf dem anthropologischen Wege halbwegs mitgenommen hat; das „ich' in „Ich-Du ist ja doch veranthropologisiert. Und, halbwegs auf diesem ihm fremden Weg stehen geblieben, ist dann Brunner weiter verlegen um seine Position. Einerseits wird ja doch das „Ich" des „Ich-Du" soziologisch gesehen und damit die „Persönlichkeit" auch des menschlichen „Du", abgesehen von allem Glauben, anerkannt und sogar zur Voraussetzung der soziologischen Ich-Du-Relation gemacht, aber andererseits wird, wie uns bereits offenbar wurde, vom „Glauben" eine solche Umschreibung gegeben, dass die Persönlichkeit allein bei dem Glaubenden, vermöge des „Du", zu reiner Gestaltung kommt, siehe oben. ') Oder auch: einerseits tritt innerhalb des göttlich-menschlichen paradoxalen Ich-DuVerhaltnisses das „Paradox der gutgewordenen Person" auf, womit auch wieder tatsachlich das Person-Sein auch des nicht Wieder geborenen anerkannt wird,2) andererseits wird, wir zitierten bereits, das wirkliche Person-Sein mit diesem höchsten Ich-Du-Verhaltnis selbst unauflöslich verbunden, und es heisst die „Bestimmung zum Ichsein dem göttlichen Du gegenüber" auch eine Bestimmung vom göttlichen Du her.3) So ist es klar, dass das Ich-Du-Verhaltnis alle die Schwachheiten der dialektischen Theologie in sich vereinigt. Ein Personsbegriff tritt hier auf (Geschehen!), der nicht anthropologisch entworfen ist, aber deutlich die Spuren von Kierkegaards Existenzlehre tragt, modernisiert im Aktualismus der dialektischen Theologie.4) Andererseits stellt man die Forderung einer gewissen Anthropologie und eines wirklichen 1) Vgl. auch noch: Das Gebot u. d. Ordnungen, 496: erst durch die doppelte Bezogenheit (Gehorsam, u. verantw. Liebe) auf das Du in seiner Nichtgleichheit mit mir, kann der Mensch wahrhaft persönlich werden. 2) Gebot u. Ordn., 147. 3) a.a.O., 48. In „Erl. Erk. Gl., 125, galt „Persönlichkeit", von Gott ausgesagt, nur als Symbol. Jetzt ist die „Persönlichkeit" Gottes die Grundlage der ganzen Ich-Du-Struktur, damit kein Monolog, sondern Dialog darin behauptet werden kann. 4) Barth. Chr. Dogm. Prol., 295, passim. Schilder ^ Einführens anthropologischer Elemente. Man schliesst das eine Mal aus dem Du, das andere Mal aus dem Ich. Ein Personsbegriff wird entworfen, der das eine Mal dem nicht wiedergeborenen Menschen adversativ gegenübersteht, und ihm das wahre Person-Sein abspricht, und der das folgende Mal alles Verstehen zum „Geschehen", zum personhaften ,,Akt", zur „Tat" macht. Und schliesslich kommt man vom drohenden ,,Gott ist im Himmel via der Ich-Du-Relation zu dem monstrum eines Menschen, der (ohne calvinische Wiedergeburt als nova cveatio sv diófico und avco&ev) sich einen ,,direkten Partner Gottes" zu nennen wagt; und dieser darf sich dann, um zu untersuchen, ob er in seinem „Gesprach" mit Gott nun tatsachlich den Jakobskampf mit Gott, oder wohl den Kampf Don Quichotes geführt hat ') trosten mit der (früher als Hybris verdammten und ohne unparadoxale Lehre auch ausserst bedenklichen) Selbstversicherung, dass er in irgendwelchem persönlichen Ereignis nac/isagt, was ihm vorgesagt ist!2) Also „trotz alles Kampfes gegen die Bewusstseinstheologie geht es um ein Vertrauen zu meinem Vertrauen." 3) 7. Wir schliessen. Es ist uns nicht möglich gewesen in der dialektischen Theologie und ihrer Paradoxie auch nur einen einzigen feststehenden Orientierungspunkt zu entdecken, weder im unendlich qualitativen Unterschied, noch in der Existenz, noch auch in dem Aktualismus, der im Ich-DuVerhaltnis Gott aktuell zu mir als aktuell gemachter Person auftreten liess. Eine >unsichere Theologie, eine unsichere Anthropologie, eine unsichere Bestimmung des Verhaltnisses beider. Eine sozusagen zwischen Himmel und Erde gedachte „Dialektik".4) Eine Absage an Schleiermacher, die sich ') a.a.O., 296-301. 2) a.a.O., 298. 3) Siegfried, Das Wort u. d. Existenz, I, 1930, 89. 4) Denn wer ist Subjekt des „dialegesthai", wenn man noch schwankt (Haitjema, Het Woord Gods in de moderne cultuur,^ Groningen, 1931, 96 99) zwischen verschiedenen Auffassungen von „dia , und „legesthai . Ist es der Theologe überhaupt ? Theologe A, B, C. ? Eine communio theologorum ? Der Theologe als Glaubender, existentiell, hic et nunc, „augen- jedoch durch wiederholte Konzessionen an ihn entkraftet hat. Eine „Krisis", die nicht viel mehr bedeutet, als die in jeder Beziehung liberale Tugend der Selbstzucht. Und was das Paradox betrifft: die Kraft Kierkegaards ging verloren, seine Schwachheit behielt die Oberhand. — blicklich" ? Die Theologie ? Was ist „die" Theologie, wenn man konkret sein will ? Haitjema appelliert jetzt an Vogels schon erwahnte Auffassung von „dia" = im Abstand von, kann aber nirgends eine dieser Auffassung wirklich entsprechende dialektische Tatigkeit aufweisen, lasst dabei die Frage offen, was dann vorher die Dialektik bestimmt hat, geschweige denn, dass die Vogelsche Auffassung keineswegs sprachlich eindeutig ist, s. E. Przywara, Analogia Entis, Metaphysik, I, Prinzip, München 1932, 67. ff., Sannwald, a.a.O. — Wenn man sich erinnert, was Brunner (Erl. Erk. Gl. 102/3) sagte (Durchbr. d. Kausalitat durch die Freiheit, wie jeder Akt d. Geistes), und dann bei ihm liest, dass allein beim Glauben der Mensch sich selbst versteht, so fragt es sich, wie weit man hier noch entfernt ist von einer Transponierung der Fries'schen Theorie des „Selbstvertrauens der Vernunft" in ein „Selbstvertrauen des Verstehens". § 8. Anhang. Wir wollen unser drittes Kapitel jetzt beschliessen mit der Erwahnung einiger, von verschiedener Seite vorgetragener Ideen und Auffassungen, die mit mehr oder weniger Deutlichkeit paradoxale Tendenzen, bzw. Stellungnahme zur paradoxalen Frage, sehen lassen, ohne dass es dabei zu einer wirklichen Struktur eines Paradoxes oder einem eingehenden Versuch dazu gekommen ist. Weil es sich hier nur um das Aufzeigen grösstenteils (wenigstens was das Paradox betrifft) nicht vollstandig ausgearbeiteter Ansatze handelt, werden wir nur sehr kurze Andeutungen geben. A. 1. Zuerst nennen wir den von W. Koepp gebildeten Panagape-Begriff. ') Bei ihm wird das Thema der Paradoxie in Verbindung mit Christentum und „Religion" berührt. Es ist wahr, dass nach Koepp die Metaphysik des Christentums die Paradoxien nicht bestehen lassen darf, sie sind ja doch alle „aufgehoben" in der Panagape, welch letztere als „das Geheimnis aller Wirklichkeiten" angesehen wird, weil die Liebe „die ganze Wirklichkeit" und so als Agape zugleich Panagape ist. So herrscht schliesslich die Harmonie. Aber doch halt Koepp daran fest, dass die religiösen Paradoxien ein gewisses Recht behalten, insofern der Glaube noch nicht zu vollem Sieg kam, und die Vollendung uns noch nicht ganz zur Ueberwindung gebracht hat. An das Paradox wird also eine Konzession gemacht, die umso •) W. Koepp, Panagape, Eine Metaphysik d. Chr.tums, I, II, Gütersloh, 1927/8. mehr bedeutet, als Koepp auf den Wirklichkeitscharakter des Glaubens den Nachdruck legt und sich in der Theologie zunachst der Phanomenologie bedient (vgl. Barths Chr. Dogm., Brunners Anthropologisieren, auch Brunners „Liebe"), wenn diese denn auch, anders als die Husserlsche, nicht bewusstseins-immanent, sondern objektiv heissen will. ') Koepp verdient insofern hier Aufmerksamkeit, als es sein „Anliegen" heissen kann: „Kierkegaard durch Kierkegaard zu überwinden, ohne dabei Hegel zu verfallen. 2) 2. Eine originelle Stellung nimmt K. Heim ein. Mit der dialektischen Theologie hat er vieles gemeinsam, aber er gehort nicht dazu.3) Bei ihm steht das Paradox unter dem Begriff der Dimension.4) Wir horten ihn bereits versichern, dass nach Feuerbach die Entdeckung des „Du" die Grundlagen der Philosophie erschüttert, und so sukzessiv zu der Entdeckung der „letzten Dimension", dem Ich-Du-Verhaltnis von Gott und Mensch geführt hat. „Dimension ist das letzte Problem der Philosophie, sagt Heim. Dieser der Raumanschauung entnommene Bild-Begriff will die verschiedenen „Spharen aufzeigen, „die immer schon als gegeben angenommen werden müssen, wenn wir mit unseren Fragen einsetzen , z.B. Gegenwart-Vergangenheit, Ich-Du3), (vgl. den Existenz-Gedanken). Eine Dimension ist eine „Unterscheidungssphare, innerhalb einer Mannigfaltigkeit, die den Rahmen bildet, innerhalb dessen die Unterscheidung zustande kommt .6) So entsteht „das Paradox des ') Koepp, a.a.O., II, 263, 313/4, I, 30; Grundl. z. indukt. Theol., Greifswald, 1923, 43. 2) W. Ruttenbeck, Theol. u. Wirklichkeit, Theol. Rundschau, N. F.. IV, 4 (1932), 248. 3) Siehe z.B. Heims Auseinandersetzung mit K. Barth, Glauben u. Denken, Berlin, 1931, 410, ff., vgl. H. Diem, Gl. u. Denken bei K. Heim, Die Chr. Welt, Gotha, XLVi, 12 (11. Juni 1932), 546; G. C. Berkouwer, Geloof en Openb. i. d. nieuwere duitsche theol., Utrecht, 1932, 84; K. Barth, Brief a. K. Heim, Zw. d. Z., IX. Jhrg., 451, ff. 4) Glaube u. Denken, 406. 5) a.a.O., 38. 6) a.a.O., 55/6. Nebeneinander in der raumlichen Dimension", wenn z.B. ein „Punktwesen" neben dem zeitlichen Entweder-Oder plötzlich die Dimension des „Neben-Einander" entdeckt. ') Das „Entweder-Oder" einer Dimension ist der Ausdruck dieser bestimmten Dimension; man kann sie, nach Heim, durch ein disjunktives Verhaltnis ausdrücken, „ein Entweder-Oder, zwischen zwei Möglichkeiten, die nach dem logischen Satz vom ausgeschlossenen Dritten miteinander unvereinbar sind. (Die Frage: wann ? z.B. fordert die Antwort: entweder vor, oder nach Chr.). Sobald nun eine Aussage auftritt, „welche jenseits des Entweder-Oder liegt, „dessen Entfaltung die erste Dimension war , grenzt sich die eine Dimension gegen die andere ab. Heim behauptet dann, dass eine solche Aussage vom Standpunkt der ersten Dimension aus gesehen einen Widerspruch darstellt, somit als Paradoxon ausgedrückt werden muss. Als Beispiel wird genannt. ein Ereignis b (weder vor a, noch nach a, sondern gleich- zeitig neben a). Zwei Dinge sind hier deutlich : a) Der Begriff „Widerspruch" darf hier nicht allzu dramatisch aufgefasst werden; von einem wirklichen Widerspruch ware ja doch nur dann zu sprechen, wenn in dem Begriff Dimension enthalten ware, dass nur eine Dimension bestehen kann; es liegt jedoch sowohl in „di-", als in „mensio" bereits eingeschlossen, dass es mehr als^ eine Dimension gibt (man denke nur an die „Punktwesen und ihr Nebeneinander). Daraus folgt ohne weitere^ dass auch das Wort „Paradox" hier seinen tragischen Ton verliert und eher für ein Modewort, als für eine wissenschattlich- aenaue Bezeichnung zu halten ist. b) Selbstverstandlich muss auf diesem Standpunkt die „Paradoxalitat" bei sehr vielen Dimensions-Kreuzungen auftreten und kann somit ins Unbegrenzte vervielfacht werden. Denn : „Eine Dimension ist eine Hinsicht, nach der jedes ens bestimmt werden muss, wenn die Frage, was es ') a.a.O. 52/3. ist, vollstandig beantwortet werden soll".') Und auch nach Heim gibt es Dimensionen für die wir blind sind. Unter diesen Aspekt der „dimensionalen Jenseitigkeit" (Transzendenz) stellt nun Heim auch Kierkegaards „qualitativen Unterschied" zwischen Gott und Mensch, Ottos Ganz-Anderes (das Numinose) und Barths „Grenze des Menschen". Aber es ist leicht einzusehen, dass hier wirklich eine andere Sprache gesprochen wird als bei den genannten Denkern. Wenn „das Paradoxon der Ausdruck ist der Grenze, die zwei Dimensionen von einander scheidet ,2) dann ist aus dem Paradox der letzte Schein von einer „Krisis" weggenommen, ein „Gericht" gibt es nicht mehr. Umgekehrt ist das Paradox nun der Ort, wo die noAvnoixiXog oocpia Gottes, als des Schöpfers der Welt, sich uns allmahlich entdeckt; es ist ein incitamentum des sich verjüngenden Denkens geworden; die Existenz leidet nicht mehr, sondern hat anstelle eines Pfahles einen Eros im Fleisch ; auch die Romantik könnte sich dieses Paradox einverleiben. „Kainon ti" ist noch nicht „enantion ti". Dass von Paradoxie hier eigentlich nur in „dichterischem Sprachgebrauch" 3) geredet wird, sehen wir wohl aus Heims weiteren Ausführungen selbst. Er sagt ja doch auch, dass Dimensionen immer nur im Verhaltnis zueinander da sind, ') a.a.O. 56/7, 61; auch zwischen den Beziehungen Ich-Es und Ich-Du sieht Heim ein „paradoxes" Verhaltnis, 199, ff. (Ankn. an Martin Buber, 200, und dessen „Ich und Du", Leipzig, 1923, der das Verh. Ich-Du mit dem Verhaltnis Gegenwart-Vergangenheit in eins setzen will. „Innerhalb des Ich-Es-Raums ist das Dasein des anderen Ich unvorstellbar"; auch hier wird wieder der u. E. ganz unlegitimierbare Ausdruck „logischer Widerstreit" gebraucht, 212. Das Weltbild des Anderen „stellt durch sein blosses Dasein mein Weltb. auf d. ganzen Linie in Frage", sagt Heim, aber das ist kein Widerspruch; und von „diesem in Frage Stellen zu schliessen auf eine „Hochspannung" zwischen zwei Bildern, und von daher auf einen Kampf, das ist alles eine Art von Ueberschreitung der Grenzen von Logik und Psychologie und Denkformenlehre. die wegen fehlender Argumentation die Benützung des Terminus „paradox" (der bei Heim strikt genommen seine objektiv-transzendente Bedeutung verloren hat) schon ohne weiteres bedenklich macht (212). 2) Gl. u Denken, 68. 3) cf. Diem, a.a.O.. Chr. Welt, 540. dass sie sich gegenseitig bedingen und dass wir hier also vor einem polaren Verhaltnis stehen.') Aber diese Polaritat und Paradoxie in barthianischem Sinn schliessen einander aus. Auf das Verhaltnis von Gott und Kosmos will Heim diesen Polaritatsgedanken nicht anwenden.2) Aber dann folgt daraus, dass die „Paradoxie", die nach Heims Sprachgebrauch in den innerweltlichen Dimensionen liegt, eine „ganz andere" sein muss, als die des Ich-Du-Verhaltnisses zwischen Gott und Mensch. Auch bei Heim also lasst das „Paradox" als wissenschattlicher Ausdruck unbefriedigt, ist der terminus alles ausser eindeutig, ist der Begriff keineswegs mit seinen Voraussetzungen konfrontiert und greift auf andere wissenschaftliche Untersuchungen (mathematische, psychologische, logische) vor, deren Hilfeleistung noch ausserst zweifelhaft ist. 3. Heim bekennt sich in einer Hinsicht gewissermassen zu J. J. Gourd, wir nennen darum auch diesen. Heim gebraucht wiederholt das Wort „inkoovdinabel" um damit die Spharen oder „Mannigfaltigkeiten" zu bezeichnen innerhalb deren das elementare Unterscheiden erst moglich wird. Um scharf zu betonen, dass das „Entweder-Oder der einen Mannigfaltigkeit jenseits dessen der anderen liegt, nennt er diese Mannigfaltigkeit inkoordinabel.") in diesem Zusammenhang erinnert er daran, dass dies Wort bei G. Spörri gebraucht wird, in dessen Buch über J. J. Gourd.4) , , Von direktem Zusammenhang zwischen den Gedanken Heims und Gourds kann jedoch kaum gesprochen werden ; Heim ist durch die Probleme der dialektischen Theologie hindurchgegangen, Gourd nicht; ausser seiner Herkun t ) ') Gl. u. Denken, 70. 2) a.a.O., 410. 3) a.a.O., 54, cf. 57, 63. 5) Beirn französischen Geist kann, ebensowenig wie beim engHschen O^ Vollrath Theol. d. Ggw. in Grossbntanmen, Gutersloh, 1928), die Paradoxie des Glaubens-Kritizismus nicht sofort Anerkennung finden (man beachte den spricht auch schon das Jahr der Veröffentlichung seiner „Philosophie de la Religion" (1911, Paris, Alcan) gegen die Hypothese einer wirklichen Verbindung zwischen der Problemstellung beider. Zwar hat G. Spörri') die Idee des (dialektisch aufgefassten) „Paradoxon" und also auch des Skandalon mit Gourds „incoordinable" verbinden wollen, und man kann tatsachlich hie und da flüchtige Ansatze finden, die wenigstens auf eine klangliche Verwandtschaft hinweisen; so z. B. wenn Gourd die „folie de la croix zu „ce qui appartient en propte au christianisme", rechnet, oder wenn er behauptet, dass Gott „ne doit avoir d autre röle que celui de nous donner la plus haute représentation objective du hors la loi", ja sogar, dass Gott „doit être le hors de la loi lui même".2) Aber doch ist der Abstand zwischen Gourd und der Problemstellung Kierkegaards, Heims, Rickerts (bien étonnés de se trouver ensembles) grösser, als Spörri hat glaubhaft machen wollen. !) Denn was Rickert betrifft, so mag es zwar wahr sein, dass Gourd die verschiedenen Seinsregionen als jede für sich die andere „hors de la loi" stellend angesehen hat und in Verbindung damit auch über das Einmalige in der Geschichte spricht, aber schon der Umstand, dass nach ihm „l'irrationel dans les choses doit solliciter a l'irrationel de la t'ie",4) zeigt an, dass das Wesentliche von Rickerts Betrachtungsweise betreffs der Einmaligkeit (generalisierende, individualisierende Begriffsbildung) bei Gourd keinen Platz findet. Und was Kierkegaard und Heim und die dialektische Theologie betrifft: die Gedanken Gourds sind damit, sogar auch was Heim betrifft,5) (der die prinzipielle Unterscheidung samt- Einfluss d. nordischen Geistes). Erst im J. 1933 kam es in Paris zu einer Zeitschr. Hic et Nunc, cahiers periodiques, Paris VI, Rue St. Placide 31, welche Zeitschrift sich mit der dial. Theol. sympathisch beschaftigen will. ') G. Spörri, Das Incoordinable, Die Bedeutung J. J. Gourds für Geschichtsphil. u Theol., München, 1929. 2) J. J. Gourd, Philosophie de la Religion, Paris, Alcan, 1911, 273, 262, 263. 3) Spörri, a.a.O., 128 (Kierkegaard), 129, 136 (Heim), 44, 48 (Rickert). 4) Gourd, a.a.O., 272. 5) Heim, Gl. u. D., 410. licher innerzeitlichen Dimensionen der Ewigkeitsdimension gegenüber beibehalten will), unmöglich zu vereinigen. Der Begriff von „hors de la loi" ist bei Gourd nicht von Gott aus begründet, sondern von den innerweltlich-seelischen Gegebenheiten aus, und die „diverses catégories de hors la loi" ') sind darnach eigentlich auf Gott übertragen, Ja plus haute repvésentation objective du hors la loi .2) Man muss sich eigentlich darüber wundern, dass von Spörri zwischen Gourd und den 'genannten Denkern, sogar Luther,3) Verbindungswege gesucht werden; man lese nur, wie bei Gourd „une (!) atmosphère d'absolu peut (!) hater (!) la venue" von „le vent du sacrifice", der da „soufflé oü il veut", „lui aussi" (!); oder wenn er das Qiristentuni nennt „plus (!) pénétré d'incoordinable que les autres religions" und das Christentum eine „histoire" haben sieht „de lincoordinable de 1'absolu, dans 1'univers et dans 1'esprit".4) Bei Kierkegaard-Barth-Heim, um von Luther nur ganz zu schweigen, hangt die Transzendenz Gottes ohne seine Persönlichkeit in der Luft (Existenz, Ich-Du, etc.). Aber Gourd behauptet, dass „le Dieu transcendent, a son tour, doit céder la place au Dieu personnel", und lehrte in Uebereinstimmung damit, am 21. Marz 1901, dass „le Dieu personnel" „se présentera a la pensee (!) plus nettement, plus fortiment encore que le Dieu transcendent , weil dieser Dieu personnel „fera disparaitre le dualisme que celui-ci amène entre Dieu et la pensée .5) Hier ist Kierkegaard mit seinem ganzen Gefolge ins Gesicht geschlagen. ') Gourd, 271. 269, passim. , . , 2 Gourd, 262. Vgl. auch ebenda, 286, Note: „enfin, il faudra donner un centre et comme un point d'appui ferme et durable (!) a cette concentration (c'est a dire a la concentration des hors la loi qui a produit le Dieu transcendent): ce sera un hors la loi choisi parmi tous les autres et qui deviendra le représentant, le symbole. la personne des autres (!!) (Le Dieu personnel). Note des Herausg. 3) Nach Spörri, 115, hat man Recht zu der „Annahme, dass bei Luther die Erkenntnis eines Incoordinablen im Gourdschen Sinne stattfindet". 4) Gourd, 272, 273. 5) Gourd. 286, Note. Wir nannten denn auch Gourd nicht um damit unsererseits zu behaupten, dass er für das „christliche" Paradox positive Bedeutung hat — eher leugnet er es — sondern nur, um dieser Behauptung zu widersprechen. ') 4. Von Heim (S. 33) führen jedoch wohl Verbindungsfaden zu Eberh. Grisebach, der bereits zur Sprache kam und den wir darum nur kurz nennen. Wir erinnerten schon an Grisebachs Ausspruch, dass alle Erkenntnis an die Antinomik des Wesens, an die Zweideutigkeit der Wahrheit gebunden bleibe, weil der Widerspruch das Grundgesetz des menschlichen Wesens sei. Infolgedessen können sich, nach Grisebach, auch die Sittenlehren nie vom Widerspruch des menschlichen Wesens losmachen.2) Darum ist eine ,.kritische Ethik" nötig, die Grisebach selbst in seiner „Gegenwart" gegeben hat.3) Die „kritische" Ethik beabsichtigt die Antinomie aller Weltanschauungen mit ihren Voraussetzungen aufzuhellen und weist auch die Illegitimitat jeder „beanspruchten Beziehung der Erkenntnis zu einem Absoluten" („Metaphysik") nach.4) Dabei wird von dem Grundgedanken ausgegangen, dass die Bilder der gegenstandlichen Erfahrung und die Entwürfe des metaphysischen Denkens immer nur Erinnerungs-Projekte sind, dass man sich ihnen gegenüber also unexistentiell verhalt, weil wir jeden Moment nur in der „Gegenwart' leben, nur die Gegenwart erleiden können, und also allen Bildern, die zu ErinnerungsbMern geworden sind, als zu der Vergangenheit gehorend das Vertrauen kündigen müssen: eine fata morgana.5) Von hier aus nimmt Grisebach nun eine radikale Kritik vor an allem System, aller Metaphysik, Theologie, an jeder nicht-„kritischen" Methode. Jede Methaphysik leidet an einem vitium originis: „in ihrer Problemstellung ist die Ent- ') Heim selbst erkennt an, dass seine Gebrauchsweise des Inkoordinablen anders ist als bei Gourd, 436. 2) Theologische Blatter, VII, 9. £ept. 1928, 222. 3) Halle a. S. 1928. 4) Th. Blatter, a.a.O., 222. 5) Heim. Glaube u. Denken, 30/1. scheidung über Immanenz oder Transzendenz schon gefallen." ') Pardon gibt Grisebach nicht, auch sich selbst nicht. Auch sich selbst namlich trifft die Kritik dieser „kritischen Methode",2) „soweit in dem Selbst die Tendenz vorliegt, dieses (reine) Mass (des Wesens) zuüberschreiten." 3) Denn einen monströsen Fehler würde man machen, wenn man um sich doch nur zu retten, „einen Pakt mit dem Widersprechenden auf neuer Basis schliessen" wollte, m.a.W., wenn man auf die Antinomie des Wesens, auf das Paradox, als auf eine neu gewonnene Basis, auf eine neue „Position der Antinomie", seine „dialektische Erkenntnis fundieren wollte.4) Eine solche „kluge" und „paradoxe Erkenntnisweise" ist denn auch nach Grisebach Kietkegaards Fehler gewesen. Kierkegaard bleibt schliesslich mit all seiner Dialektik „unkritisch", sagt G., weil er, trotz seines Protestes gegen Hegels Geschichtlichkeit und gegen die Mediation, doch auch selbst eine „bestimmte Losung voraussetzt", m.a.W. auch mit etwas, das zu den „Vergangenheitsbildern" gehort, operiert, und sich von der Gegenwarts-Existentialitat losmacht.5) Jeder Versuch der Erkenntnis, die Gegenwart zu beherrschen, und ware es auch unter Aufnahme der Antinomie in unser Wesen und unser System, muss fehlschlagen; er ist ein schwerer Fehler, weil er die Situation durch Erinnerung in ein abstraktes System verkehrt, und er wird ein schweres Misslingen, weil er nicht die Problemlage, die Gegenwart selbst, sondern nur eine erinnerte Situation beherrscht.6) Mag man Erkenntnis dieser kritischen Lage besitzen, diese wird doch nicht zum Urteil über deren Wirklichkeit; die Erkenntnis des Paradoxen, der „vorbehaltliche" Gedanke soll sich nie einbilden, dass sie (er) in der Reflexion irgendeiner Bezie- ') Grisebach, Gegenwart, 41. 2) Gegenwart, 62, 69, 288. 3) a.a.O., 68. «) a.a.O., 152/3. s) a.a.O., 154. s) a.a.O., 155. hung zum absoluten Seinsgrunde in Anspruch nehmen darf.') Das Paradox wird bei Grisebach absolut keine Voraussetzung einer gegenstandlichen Erkenntnis; alle dialektischen Begriffe vom Konflikt der Gegenwart, die mehr als Begriffe sein wollen, lehnt er ehrlich ab. „Wir fragen nicht, um zugleich zu antworten." 2) Und diese radikale Ehrlichkeit wird nicht nur in bezug auf „Gestern' (Vergangenheit), sondern auch auf „Morgen" geübt.3) Dies ist von grosser Bedeutung der dialektischen Theologie gegenüber, die anstelle des „Habens" das „Warten", das „Hoffen" steilte. Es ist klar, dass dieser ehrliche Versuch, die Existentialphilosophie sich selbst durch sich selbst, und von eigenem Standpunkt aus, in Frage stellen zu lassen4), nicht nur deutlich macht, wohin es mit dem Existenzgedanken schliesslich kommt, sondern dass er auch die Verbindung mit der dialektischen Theologie zerschneidet. Beiderseits wird denn auch mit der Kritik nicht gespart.5) Man kann versuchen, aus der Ruine, die Grisebachs Dynamit zurückgelassen hat, noch etwas zu retten, z.B. durch Einführung von Begriffen wie „Erfahrung", „Anfechtung", wie es H. M. Müller tut,a) aber die Kluft zu überbrücken ist ') a.a.O., 205/6. 2) a.a.O., 209, cf. 385, 403. 3) a.a.O., 576, 580. 4) Heim, Gl. u. D., 30/1. 3) Gegenwart, 71 ; vgl. (hier) das schon Erwahnte über GrisebachGogarten, und weiter: Gegenwart 33, 152, K. Barth. Chr. Dogm., 12,192; H. Knittermeyer, Zur Ethik d. Ggw., Theol. BI., VII, 9. Sept. 1928, 217, die Frage nach Grisebachs Christentum als Philosoph (trotz aller behaupteten Uebereinstimmung hier eine peinliche Frage); H. M. Müller, Credo ut intelligam, Th. BI., VII, 7. Juli 1928, 173, Note, usw. 6) Cf. K. Barth. Chr. Dogm., I, 1, 1932, 192. Auch der Versuch Knittermeyers, Grisebach (qua Philosoph, nur darum handelt es sich) für das Christentum zu behalten, unter Behauptung, dass er. Gr., doch offenbar die christliche Entscheidung als die wirkliche Entscheidung annimmt (Knittermeyer, Th. BI., VII, 9, 221) scheitert schon an Ggw., 506: „von keiner Seite" darf „mit absoluter Autoritat entscheidend eingegriffen werden"; die „kritische Erkenntnis" sieht sich vor eine „Entscheidung" gestellt, „die noch durchaus von ihr selbst und ihrem Entschluss abhangig bleibt"; „wir bleiben.... im Vorhof einer vorbereitenden Technik des Geistes". Hier nicht möglich. Nur ware, auch zur Abgrenzung Grisebachs sowohl gegen die dialektische Theologie, als auch gegen Kants Kritizismus, die Frage zu stellen, ob nicht auf Grisebachs eigenem Standpunkt das Sprechen von einer „kritischen Methode", sowohl im Adjektiv, als im Substantiv allzusehr an ein Zurückgreifen auf eine einmal abgelehnte Erbschaft erinnert. 5. Von Heim und Grisebach kann nicht gesprochen werden, ohne auch Paul Tillich zu erwahnen. Auch ihn nannten wir bereits in anderem Zusammenhang, wir fassen uns also kurz. I. J. 1923 nannte Barth Tillich einen Mann, der ihm über allerlei nicht kleine Graben hinweg immerhin noch nahe stand.') Aber jetzt, 10 Jahte spater, ist der Abstand zwischen dem Barth der 1. Periode und Tillich unermesslich, und auch wenn man mit der Verschiebung der Probleme in der dialektischen Theologie rechnet, ist der Abstand zwischen Tillich und ihr noch gross. Anfanglich hatten Tillich und die dialektische Theologie viele Berührungspunkte. „Es gibt einen Punkt,.... wo Paradoxie zur Aussage notwendig gehort : der Punkt, in dem das Unbedingte zum Objekt wird. Denn dass es das wird, ist ja eben die Urparadoxie, da es als Unbedingtes seinem Wesen nach jenseits des Gegensatzes von Subjekt und Objekt steht. Paradoxie ist also die notwendige Form jeder Aussage über das Unbedingte. ) Und fehlt iede Spur eines Christentums. und der Vorhof hat zu keinetn Tempel eine Oeffnung. Vgl. noch Th. BI.. VII. 7, 222 Grisebachs Behauptung, die kr Ethik könne die entscheidende Haltung auf dem Boden der ..Heimat (d h einer im Absoluten gegründeten ethischen Wirklichkeit als Problem bezeichnet, eines ethischen Feldes, auf welchem zugleich das Problem der wirklichen Religion gestellt wird) nicht lehren. Vgl. noch Grisebachs Zehn Thesen über d. Bezieh. d. Phil. z. Theol.. namentlich These 8-10. •) Von der Parodoxie des „Positiven Paradoxes , Iheol. Blatter, 11, 11 /r-N 1923) 287 2)Z P Tillich, Die Ueberwindung d. Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie, Kant-Studien, XXVII. 446; vgl. Sannwald, Der Begr. d. Dial. u. d. Anthropol., S. 2. Nach Tillich (hier) ist asth und auch dial Paradoxie im Subjekt, die unauflösbare P.ie d. Unbed. aber im Objekt bearündet a.a.O., 446. „Die P.ie aller letzten Aussagen über das Unbed. hindert nicht die Rationalitat und Notwendigkeit der Begründungszusam- A. de Quervain freute sich ') über Tillichs 2) Hauptanliegen: den Relativismus, auch soweit er im logischen Idealismus vorhanden ist, 2# überwinden und darum dem Individuellen (Existenz!) wieder seine Würde zu geben. Die Gegenwart des Unbedingten in jeder schöpferischen Erkenntnis bedeutet ja doch coincidentia oppositorum. Doch gibt es auch hier bereits Unterschied. Barth fragt, mit Grund, nach dem „Ort" dieses Unbedingten, von wo her Tillich Natur, Geist, Geschichte in Anspruch nehmen will,3) und De Quervain durchschaut bereits den wesentlichen Unterschied zwischen dem (nach)-kierkegaardschen „Augenblick" und dem Hauptbegriff Tillichs: Kairos.4) Er zerschneidet das Tischtuch eigentlich schon, wenn er Tillichs Paradox das Paradox der Mystik, der Metaphysik nennt; Tillichs Kairos-Begriff fordert ja doch nach De Quervain ein sich Richten von Denken und Willen auf das unbedingte Leben, das selbst Grund aller „Dinge und Werte" ist.5) Tillichs Kairos-Begriff — er hat ihn breit ausgearbeitet in „Kairos" und in anderen Schriften. Es liegt das bekannte „Entscheidungs'motiv dahinter: „Eine Zeit als Kairos betrachten, heisst, sie im Sinne einer unentrinnbaren Entscheidung, einer unausweichlichen Verantwortung betrachten, heisst, sie im Geiste der Prophetie betrachten". Um diese Umschreibung kreisen dann wieder die bekannten Schlagworte: Kairos wird „erfüllte Zeit", konkreter geschichtlicher Augenblick, Zeitenfülle (im prophetischen Sinne; die prophetische Rede ist hier offenbar zu perennierender Monotonie menhange, aus denen diese P.ie hervorwachst", 447. „Geistige Gemeinschaft" mit Barth-Gogarten. 447, Religion enthalt in sich selbst eine P.ie (der „Begr. einer Sache, die eben durch diesen Begr. zerstört wird", 447). Vgl. K. Frör, Evangel. Denken u. Katholizismus, München, 1932, 246 (Zusammenh. T.'s mit den Dialektikern). ') Metaphysik u. Theol., Zw. d. Z., VII. Heft, 21. 2) Das System der Wissenschaften nach Gegenstanden und Methoden, Göttingen, 1923. 3) Theol. Blatter, Von d. Parodoxie, etc., a.a.O., 290/1. 4) De Quervain, a.a.O., 24. 5) a.a.O., 24/5. verdammt). Der Streit gegen den „Historismus", die Frage nach einem Ort, der „über dem höchsten Ort liegt, aut dem ein Künder der Gegenwart stehen kann , der aber dann selbst kein „Ort" ist, auf dem man stehen kann, sondern der Standpunkt von Erschütterung jeden Standpunktes und dann auch das Motiv von Erschütterung der Zeit von der „Ewigkeit her" (durch die Prophetie) — es sind alles bekannte Schlagworte. Sie erinnern an die dialektiscne Theologie, wie übrigens auch gesagt wurde. ') Trotzdem, Unterschied ist vorhanden. Dem ihm gemachten Vorwurf eines immanenten Offenbarungsbegriffes stellt 1 illich den der dialektischen Theologie gemachten Vorwurf qegenüber, „Standpunkt" geworden zu sein, keine „Gegenwartsnahe" zu haben, der Zeit verneinend gegenüber zu stehen.2) Wenn auch dieser Vorwurf mehr und mehr seine Berechtigung zu verlieren beginnt, wie wir sahen, so ist doch hier die Situation, was Tillich betrifft, scharf umrissen : Tillichs „Ewigkeit" hat mit der kierkegaardbchen nichts mehr gemein, ist „erzeugt".3) lm übrigen ist Tillichs Redeweise vorlaufig noch zu dichterisch, um uns in bezug aut das Paradox lang aufzuhalten. Wenn z. B^ die Utopie qetadelt wird, dass sie „in der Zeit die Ewigkeit verwirklichen" wolle, wahrend umgekehrt das Ewige die Erschütterung der Zeit und aller ihrer Inhalte sei, ) ann tut man am besten, den Begriff „Ewigkeit lieber nicht zu ^Es5 genügt uns zu konstatieren, dass bei Tillich der Entscheidungs- und Existenzgedanke zwar in den Vorder- i) Kairos, Zur Geisteslage u. Geisteswendung, hrsg. v. P. Tillich, Darmstadt, 1926, 8, 2, 3, 4, 5/6; cf. Protestantismus als Kntik u. Gestal- '""f BruMer35Das Gebot u. d. Ordn.. 567. cf. 517. 603; Kairos 6, PTGrisebach4 Ggw., 576, Note : Tillichs Kairos-Lehre eine Kombination Heaelscher und Schellingscher Dialektik, ein Versuch daher den (wirklichen) Anprall eines wirklich Anderen aufzufangen, und sich der wirk. BedraLung zu entziehen. Vgl. S. Marck, Die Dialektik i. d. Phil. d Ggw., I, Tübingen, 1929, 113 (Schelling, 2e Periode, Tillichs Ausgangspunkt). 4) Kairos, 10. grund tritt, dass aber die alte Paradoxie ihm hier nicht langer akkompagniert. Die „Gegen wartsnahe" ist eine „Augenblicksferne" geworden; Tillichs allzu rhetorische Wendung, die Kairos („Linie") und „Augenblick" („Punkt") gleichsetzt, racht sich, nimmt der Paradoxie ihre Kraft. So kommt es, dass hier „Logos" über Kairos herrscht, dass der Kairos sowohl absolut als relativ heissen kann, und nicht der Verhüllung, sondetn der Offenbarung des Logos dient. ') Und ausser diesem ist noch ein anderer bedeutungsvoller Unterschied zu nennen: hinsichtlich des Zerstörtseins oder Nicht-Zerstörtseins der Existenz. Steilte Barth die Existenz unter den Widerspruch (wenn er es auch keineswegs konsequent tat und wenn auch andere Aussprüche in seinem Kreis nach ganz anderer Richtung zeigten), Tillich leugnet die Gebrochenheit der Existenz und steht damit Barth und Grisebach gegenüber. Dem „radikalen Protestantismus" (nomen soll hier omen sein), der ,,nur das eine historische Schicksal kennt, unter dem göttlichen Gericht zu stehen", stellt Tillichs religiöser Sozialismus die These gegenüber, dass „es zwar keine eindeutige Entscheidung für Gott in der Welt des Zwiespalts geben kann, dass es aber ebensowenig eine eindeutige Entscheidung gegen ihn geben kann". Die Existenz ist nicht satanisch, denn „das Satanische würde jede Konkretheit verzehren". Zwar ist die Existenz (Entscheidung), insofern sie zweideutig ist, widergöttlich, nicht aber, insofern sie eindeutig gegen Gott, also satanisch ist. Sie steht unter dem Gericht „und ist doch nicht zerstört".2) Es scheint uns unrichtig, hier mit S. Marck ein Arbeiten in der Richtung des Gegensatzes von Aporie und Paradox zu sehen.3) Eher würden wir von einem Besiegtwerden der Aporie sprechen wollen, mit Hilfe der neueren Axiomata der jüngeren Paradoxenlehre (Existenz, Aktualitat, Entscheidung usw.). Denn wer mit Tillich „das Damonische" ') Kairos, 65, 75. 2) Kairos (K. u. Logos), 36/7. 3) Marck, a.a.O., I, 114. Schilder 26 für „in Einheit mit der göttlichen Klarheit" halt, ') der hat die Aporie und die prinzipielle Paradoxie aufgegeben. ) 6. Ist so bereits an Tillich demonstriert worden, dass der Existenzgedanke nicht nur auf das Paradox hin-, sondern auch davon wegführen und wieder in die Richtung der Romantik steuern kann, dann gibt in dieser Beleuchtung der spatere Uebergang O. Bauhofers, des Verfassers von „Das Metareligiöse", zum Römisch-Katholizismus, Bauhofers, der vorher Verteidiger verschiedener Grundbegriffe der dialectici war, doch wohl den dialektischen Theologen mehr Grund zum Nachdenken, als Barths tatsachlich hat zugeben wollen.3) 7. In Zusammenhang mit der Tatsache, dass die Paradoxie Kierkegaards und seiner geistigen Verwandten von einer scharfen Bekampfung Hegels ausgegangen ist, mit dem Vorwurf für Hegel, er mediiere den Gegensatz und vernachlassige die Existenz völlig, verdient es unsre Auf- ') Tillich, Das Damonische, Tübingen, 44 2) Was übrigbleibt ist eine „Paradoxie , die mit der Gott-Zeit-Krisis nichts mehr zu tun hat. Im Gegensatz zu der dial. Theol. wird eine „Gestalt der Gnade" behauptet. Protest., usw., 19/20. (H. Geist!), aber nicht darm, dass „der Protestant" (!) eine Gestalt der Gnade „bedeutet , sondern darm, dass er Vergebung der Sünden empfangt, ist er „heilig (in der Unheiligkeit; „Heiliakeit auf Menschen angewendet" wird zu „einer „Paradoxie, also zu keiner Gestalt") ebenda 28. Die Gnade ist bei T. nicht Gegenstand wohl aber Gegenwart, und ihre Gestalt ist Bedeutungsgestalt, 20. Daher Hinweis auf z. B. das anti-paradoxal über Liturgie usw. schreibende „Berneuchener Buch", 21, und Uebergang zum symbolischen Denken und zu einer ganz unkritischen Paradoxie, vgl. L. Heitmann. Gegenwartige Vierkündigung u. symbolisches Denken, Die Chr. Welt 46. Jhrg., Nr. 15, 1. Auq 1932, 693. Auch die Kirche als Gestalt der Gnade ist bei T. nicht qeqenstandlich, wohl anschaulich; schon in seinem erwahnten Aufsatz in Kant-Studien (XXVII) hatte T. behauptet, die Paradoxie des Unbedingten stelle eine Aufgabe (nicht dem Witz, asth. P., nicht dem Denken, dial. P., sondern) dem „Schaueri'. 446/7. . • 3) Vgl. den anlasslich (Petersons und) Bauhofers Uebergang zur kathol. Kirche zwischen Barth u. Wobbermin geführten Briefwechsel Das Evangelische Deutschland, IX, (22, 29. Mai 1932, und) 24 12_ Juni 1932 _C . Barth in Tagl. Rundschau, 29. Mai 1932. Eine gerechte Beschr. d. wirkl. Verh. zw. Bauhofer u. d. dial. Th. bekommt man nach d. Lekture von E. Reissner, Der Abstand v. Gott u. d. diesseitigen Werte, Zw. d. Z,.. (!*• 1. Heft) 1931. 69, ff. merksamkeit, dass in letzter Zeit von verschiedenen Seiten wieder ein Versuch gemacht worden ist, Hegel und den Irrationalismus zu verbinden. Das Signal dazu hat Richard Kroner gegeben, der „das Unheil, das durch das vort J. E. Erdmann gepragte Schlagwort 'Panlogismus' angerichtet worden ist, wieder gut zu machen" versucht; „das konnte", sagt Kroner, „nur gelingen, wenn einmal statt des rationalistischen der antivationalistische Charakter der Dialektik scharf betont wurde." ') In seinen Erörterungen legt Kroner den Nachdruck darauf, dass Hegels Philosophie nicht nur Identitats-, sondern auch Widerspruchsphilosophie sei, dass der Widerspruch bei ihr eine methodische Bedeutung bekomme, ein methodisches Erkenntnismittel sei.2) Er weist, um diese s.E. noch nicht genügend durchgedrungene Wahrheit zu adstruieren, darauf hin, dass ein Unterschied besteht zwischen dem „empirischen" und dem „spekulativen" Erkennen. Das erste ist „natürlich", unmittelbar, naiv, nicht-reflektierend, das zweite reflektiert. Im ersten, dem empirischen Erkennen, werden nut Inhalte gedacht, nicht aber das Selbst, die Inhalte werden nur als Inhalte genommen; reflexionslos, unbewusst, naiv erkennt das empirische Erkennen sich in den Inhalten. Darum ist dies empirische Erkennen „naiv metaphysisch", es darf sich nicht widersprechen, es soll den Widerspruch vermeiden. Sobald es sich ja doch widerspricht, gibt es ein Sich-selbst-Kritisieren; ein Reflektieren also. Eigentlich ist also das empirische unmittelbare Erkennen eine Abwendung von der Wahrheit, auf die es zielt, der Satz des Widerspruchs fungiert hier eigentlich als Satz des zu ver meidenden Widerspruchs.3) Tritt jedoch die Verneinung auf, dann dringt die Reflexion in die Empirie hinein. Aber wenn sie das tut, dann wird der Satz des Widerspruchs, der für das empirische Erkennen eigentlich nur als Verbot galt ') R. Kroner, Von Kant bis Hegel, II., Tübingen, 1924, S. VII, VIII. 2) a.a.O., II. 319, 326. 3) II, 326/7. (siehe oben), ') für sie zu einem Gebot, denn der Satz des W^derspruchs wird zu einem Satz der Identitat gemacht. So wird das formale Denken (das eben durch dieses Formale dem nur Inhalte denkenden empirischen Erkennen gegenüberstand) positiv, m.a. W., die Reflexion ist nicht bloss empirisch-kritisch, nicht bloss die Reflexion des Sich-Widersprechens, „sondern sie ist zugleich spekulative Reflexion des Sich-Erkennens". Das Sich-Widersprechen ist damit zu einem Moment des Sich-Erkennens gemacht.2) Mit Nachdruck verteidigt sich Kroner gegen jede Interpretation, die diesen „spekulativen Widerspruch' nicht „echt" würde nennen wollen. Er gibt zu, dass der Widerspruch kein echter ist, solange-man unter dem echten nur den empirischen versteht. Aber: die „Hegelsche Spekulation will nicht Empirie sein, .... sie will unnatürlich sein, weil sie das Denken auf sich selbst zurückwendet". Und so kann der spekulative Widerspruch zur Methode nur werden, wenn die Negation das ëiegov zum èvavziov „scharft".3) Natürlich ist hier nicht die Stelle zu fragen, inwiefern gerade dieses letzte Wort („scharfen") einer eventuell an Kroners Gedanken vorgenommenen immanenten Kritik einen leichten Triumph würde verschaffen können, noch auch naher auf die Gedanken Kroners 4) einzugehen. Wrir weisen hier nur auf drei Dinge hin. An erster Stelle darauf, dass auf diese ^Veise ein Versuch gemacht wird der kierkegaardschen Hegelkritik einen ihrer Stachel zu nehmen. Wenn ja doch der Widerspruch zur Methode wird, ist eines von Kierkegaards Bedenken seiner Kraft beraubt; ') II, 328, 330. 2) II, 332/3. 3) II. 339, 341. „ , . _ . . , 4) Val. noch iiber die Paradoxie des Fichteschen Standpunk.es, J, J/D, ff. und über naive u. reflexive Kultur (für die Geschichtsdialektik von Bedeutung): Die Selbstverwirkl. d. Geistes, Tübingen, 1928, 198, ff., wonn nach Br. lordan (Tatwelt, V, 7/9, 124) Berührungspunkte mit Eucken; uber die Widerspruchsproblematik in Mystik u. Religion (Theologie) ïm Uebergang zur Phil., S. Marck. a.a.O., I, 75: über d. Au nahrae jedes Pols in dem entgegengesetzten, Jonas Cohn, Theorie d. Dialektik, Leipzig, 1923, 265. nicht so sehr was die Frage der schliesslichen Synthese betrifft, als was den Vorwurf hinsichtlich Hegels Vernachlassigung des Existenzmotivs betrifft. An zweiter Stelle steht, dass sich hier ein Beginn einer Annaherung auch an Fries, mit seinem bekannten Gegensatz zwischen „unmittelbarem Erkennen" und Reflexion, sehen lasst, was wieder Ausblicke auf Otto öffnet. Und an dritter Stelle, dass es in Zusammenhang mit diesen zwei Punkten auch für das Verstandnis der Begriffsgeschichte des Paradoxons in diesem Moment vielleicht von Bedeutung ist, a) dass Hermann Glockner aus Anlass von Hegels 100. Todestag den Problemkreis des Irrationalen unter Hinweis auf Kroner zu Problemen Hegels gemacht und erklart hat, dass zwar nicht die Lösungen, die die Romantik ihren Problemen gab, wohl aber bestimmt ihre Probleme selbst zugleich die Hegels waren, ') denn „geschichtlich gewendet", meint Glockner, „war Hegels Romantik stets die Vor-Romantik Rous- seaus, Hamanns und Herders";2) b) dass Georg Lasson aus Anlass eben desselben 100. Todestages den Wunsch geaussert hat, dass „man die heute so überaus beliebte Kategorie des Irrationalen umtaufen und ihr die Bezeichnung des Paradoxen beilegen wollte".3) Als Folge davon erhofft er ja ein Oeffnen der Augen wiederum für das teleologische Element in der Gegensatzfrage. 8. Ginge dieser Wunsch in Erfüllung, dann bekame zugleich das Problem der Geschichte wieder eine andere Wendung, unter Beibehaltung des Problems des Paradoxons; jetzt jedoch hat, unter Einfluss der dialektischen Theologie (zuerst durch ihr einschneidendes Einführen des Begriffs der Urgeschichte, und spater durch das Verlegen ihrer Aufmerksamkeit auf die Existenzfrage und durch die Art ') Nach hundert Jahren, Kant-Studien, XXXVI, Heft 3/4, (1931), 253. 2) a.a.O., 253/4; vgl. 254, Note 1 über Hegels „von starker Sympathie getragenen" Hamann-Aufsatz; eine historische Besonderheit, die für ein Studium über den Zusammenhang zwischen Barths und Hamanns allgemeiner Problemstellung Bedeutung hatte. 3) Hegel u. d. Gegenwart, Kant-Studien, a.a.O., 275. und Weise, wie sie dies tat), das teleologische Moment in der Geschichte, wie es die Reformation als Glaubensinha t kannte, seine Bedeutung praktisch verloren. Zieden wurde es als irrtümlicher Begriff verworfen , manchmal als Pro blem in den Hintergrund gedrangt. Das reformatorische Kind ist hier mit dem Hegelschen Bad ausgeschuttet, darum würde der obenerwahnte Wunsch Lassons auc diese für die Debatte gewinnbringende Frucht abwerfen, dass die dialektische Theologie wieder einmal wirklich auf die Reformation zu lauschen beganne. Doch dies nicht allein, es ist noch etwas hl"z"zufu9en' Die dialektische Theologie hat mit dem Hegelschen Bad tatsachlich auch noch ein zweites Kind ausgeschuttet, nam Hcfdas Lrxisüsche für das ihre ere,en lich sehr viel übrig hatten und das noch bei iillich utlege findet. Das von jeher (nach Hegel) im Marxismus dialektisch gefasste Thema der Geschichtsbetrachtung wird jetzt von jüngeren Marxisten wieder aufgenommen und dialectisch ausgearbeitet, aber ohne dass die Dialektik des GottMensch-Verhaltnisses dabei korrigierend oder massigend auftreten kann. Wir erinnerten bereits daran, wie Hege Dialektik den Marxismus beeinflusst hat. Dieser marxistische Projektion von Hegels Geschichts-Schematismus auf die Flache der Geschichte kann wohl die klassische Reformation ihr Wort gegenüberstellen (weil sie den Barth schen Beqriff der „Urgeschichte" radikal ablehnt und die „ebene Flache" dieser Geschichte unter die prinzipielle und dynaSische Gewalt des „jöm Jahwe" mit seinem Gericht und seiner Gnade stellt), aber die Dialektik der diaïeküschen Schule hat hier der post-hegelschen marxistischen Dialektik neqenüber keine Kraft, weder zu Abwehr, angenommen, £ wnllte dies noch zu ev. Beihilfe. Denn erst wurde sie der Geschichte selbst ihr Recht wiedergeben mussen, erst müsste sie ihren Begriff der „qualiflzierten Geschichte oreisaeben. Von Bedeutung für die Begriffsgeschichte de Paradoxons bleibt darum im Rahmen dieser allgemeinen EntwTcZg der Debatten, dass Hegels Projekt noch un- mer eine besondere Nachwirkung bei dem Marxismus hat, in dem „Russischen Gedanken", ') und sich dort nicht nur in einer eigenen Dialektik,2) sondern auch hie und da in direkter Paradoxie,3) wiedererkennen lasst. B. Ueberblicken wir nun alles, was in Kap. III gesagt wurde, auch in Zusammenhang mit den hier unter A noch genannten Namen und Erscheinungen, dann drangt sich vor allem der Eindruck einer grenzenlosen Verwirrung und eines vollstandigen Mangels an Einheit auf. Und nicht allein dies. Es kann Verwirrung geben, die ihre eigenen cruces deutlich anzugeben weiss, weil sie über ihre Prolegomena sorgfaltig nachgedacht hat. Es kann jedoch auch Verwirrung geben, die zur Ursache hat, dass nahezu jeder über seine Prolegomena hinweggeht oder sich erst a posteriori darüber besinnt. Wo „prophetische" Klange vernommen werden, wird diese Erscheinung sich öfters bemerkbar machen; nimmt aber die Prophetie die Toga des Gelehrten an, dann kann man ihr dies als ernsten Fehler anrechnen. Wie bereits gesagt wurde, ist die einzige deutliche und einheitliche Theorie über das Paradoxon die des Zenbuddhismus. Für das Uebrige ist balles grenzenlose Verwirrung. Die Mathematik erwies sich als unsicher und auf ihre eigenen, als unfehlbar ausgerufenen Axiome als auf marternde Probleme zurückgeworfen. Kierkegaard war mit sich selbst uneins und nahm mit der einen Hand (approximierende Gotteserkenntnis) zurück, was die andere gab (absolutes Paradox). Otto beginnt bei Fries, aber endigt mit dessen ') Vgl. Boris Jakowenko, Zur Kritik d. Dialektik, Der Russische Gedanke, 1. Jhrg., 1929—1930, Bonn, S. 131 (über P. Florenskij): a.a.O., 131/2 (über L. P. Karsawin : Bewustssein als Zwei-Einheit d. Selbstbewusstseins, Gott-Menschen-Zwei-Einheit); a.a.O., 132 (über A. Lossew); cf. Th. Hartwig, Zur Dialektik der Dialektik, Monistische Monatshefte, Marz-Heft 1929, 71 (Hegel-Marx); A. Thalheimer, Einf. i. d. dial. Materialismus, darüber Mon. Monatshefte, Sept. '28. 2) Bei A. Lossew wird die Hegelsche Triade zu einer Tetraktide „vervollstandigt" (Hakowenko, a.a.O., 132, Note, cf. 135). 3) Leo Karsawin, in: Der Russische Gedanke, a.a.O., 142 (Probl. d. Lehre v. d. Engeln). Verleugnung. Die dialektische Theologie schwankt zwischen Anthropologie und Theologie, zwischen Paradoxon als denktechnischem Apparat und als Krisis, zwischen der Existenz als Niederschlag eines aktualisierenden Gottes und der als Aufstieg eines sich in Persönlichkeit aktualisierenden Menschen. Die Geschichte wird verleugnet, entwertet. aber auch zum Substrat der Existenz und ihrer Paradoxalitat gemacht. Die Dialektik spricht aus einem „Abstand („dia- ), aber projiziert auch von ganz nahe ihre Schemas auf die gegebene Welt. Docta ignorantia verteidigt der eine, eine doctrina ignorantiae liefert der andere. Bei Kant beginnt der eine, bei Kierkegaard der andere, bei Hegel der dritte, bei sich selbst, dem Ich, der vierte. Man reicht dem Kritizismus die Hand, aber auch der Mystik (und zwar wahrlich nicht nur bei Otto), man kommt zur Kulturkrisis und zum Kulturbau, man versagt der Kunst das freie Wort, aber sieht gleich darauf Künstler sich mit Herolden eines neuen Zeitalters') verbinden zu paradoxalen Entwürfen, die jedoch nicht im geringsten weltabgewandt oder -verneinend, sind. Und wahrend der eine im Namen des Paradoxons zu Calvin zurückkehren zu können glaubt, baut der andere im Namen des Paradoxes den russischen Gedanken. n Verschiedene Paradoxa der Ggw. findet man bei Rilke (namentlich : Stundenbuch), z. B. (Gott) unbejubelt unbeklagt, unbeschrieben wie ein wilder Wald; der Dinge tiefer Inbegriff, der seines Wesens letztes Wort verschweigt und sich den andern immer anders ze.gt: dem Schiff als Kuste und dem Land als SchifE; der zweite seiner Einsamke.t die ruhige Mute seiner Monologe. Cf. A. Soergel. Dichtung u. Dichter d.Zeit, Le.pzig, 1911. 690, der mit Recht eine Parallele zieht mit Angelus Silesus, aus dessen Werken etliche Zitate zusammenzulesen waren, die ohne weiteres der dialektischen Theologie, und der indischen Mystik usw. ziemen wurden, und der auch zeitgeschichtliche Parallelen aufweist (Franckenbergs Kreis, Protest qeqen den „Buchstaben", Studium der Mystik). Ein interessantes Thema ist: das Paradoxon bei den Mystikern. und den Spiritualisten, Münzer, Weigel, Franck. In bezug auf Weigel. dessen Bekampfung vom Calvinisten Hoornbeek schon erwahnt wurde (eben mit Rucksichtnahme auf sein „Paradoxon" der Paradoxie) siehe: H. Maier, Der Spintuahsmus H. Weigels, Gütersloh. 1926. 40/1 (auch über Verh. zw. Bibel o. Wort Gottes). - Ueber den Polarita-sgedanken im Express.omsmus: W. L. Dahlström, Strindberg's Dramatic Expressionism, Univ. of Michigan, 1930,35/6/7. Diese Leidensgeschichte von der Frage nach dem Inhalt des Paradoxons ist eine Wiederholung von der des Woctes „Paradoxon". Dies ist zu bedauern. Denn Abenteuern richtet nirgends soviel Unheil an, als wenn es, wie es hier geschieht, starke Worte über die Hybris spricht und prophetische Worte schmiedet über unendliche qualitative Unterschiede, über Zeit und Ewigkeit, Gott und Mensch. Die tiefsten Fragen hangen mit dem Paradoxon zusammen, aber die erschreckende Leichtigkeit, mit der jeder für sich nach dem Wort „Paradox" greift, und eine Struktur davon gibt oder versucht, ohne sich erst scharf über seine Prolegomena zu besinnen und auch ohne nach dem wissenschaftlich-legitimen Inhalt seiner eigenen Terminologie (Gegensatz, Krisis, Enantion, Dimension, Andersheit, Dialog, Entweder-Oder, Diakrisis usw.) zu fragen — es zeugt alles von einer Unreife, die den, der ein Auge dafür bekam, er möge dann denken, was er will, schon ein starkes Verlangen nach einer Periode gibt, ') worin man sich wieder Rechenschaft über den Inhalt seiner eigenen Schlagworte gibt, um erst nachher zu sprechen über das Wort, den Logos und sein Verhaltnis zu den dó£ai des Menschen, hic et nunc. ') Notwendige Arbeit für die hier in Betracht kommenden Probleme geschah in letzter Zeit durch H. Friedmann, Die Welt der Formen, 22 1/2, 223/4/5. 227; K. Jaspers, Psych. d. Weltanschauungen, 3. Aufl., Berlin, 1925, 29, 79, 80. 309/10. 313; H. Hartmann, Grundzüge einer Metaphysik d. Erkenntnis, 2. Afl., Berlin-Leipzig. 1925, 60, 61 ; R. Guardini, Der Gegensatz, Mainz 1925; H. Rickert, Das tine, Die Einheit, und die Eins, Tübingen, 1924, 19 (Tautologie u. Heterologie), siehe darüber R. Kroner, a.a.O.; O. Spann, Dialektisches u. Ganzheitliches Verfahren in ihrer systemgestaltenden Bedeutung, BI. f. deutsche Phil., Bd. 4 (1930/1), 169—189; D. H. Th. Vollenhoven, De noodzakelijkheid eener chr. Logica, Amsterdam, 1932, 65-80; P. Coffey, The Science of Logic, London, 1918, I, 395—401 (the Paradox of inference). KAPITEL IV DAS NACH-KIERKEG AARDSCHE „PARADOXON" UND DIE LEHRE DER REFORMATOREN, BES. CALVINS KAPITEL IV DAS NACH-KIERKEGAARDSCHE „PARADOXON" UND DIE LEHRE DER REFORMATOREN, BES. CALVINS. § 1. Berufung auf Calvin. Die letzte Frage, die jetzt noch zu erörtern bleibt, ist die, ob die nach-, bzw. neo-kierkegaardsche Lehre vom Paradoxon in ihren grundlegenden Gedanken sich vertragt mit der Theologie der Reformatoren (bezw. auch mit ihren philosophischen Grundgedanken; denn nach Karl Barth haben die Reformatoren auch ihre Philosophie und ist sogar — „wenn wir recht sehen" — Calvin Aljplatoniker und Luther Neuplatoniker).') Bekanntlich wird von Seiten der dialektischen Theologie sehr oft ihre Affinitat, nicht nur mit den „Einsamen" des 19. Jahrhunderts, Kohlbrügge, Kierkegaard, Vilmar,2) sondern auch mit der Lehre der Reformatoren, namentlich mit der des Calvin behauptet. Nicht nur wird in „Zwischen den Zeiten" wiederholt, in einem kurzen Zitat oder in direkter Uebernahme von ganzen Perikopen, aus Luther3) und ') K. Barth, Die Lehre vom Worte Gottes. Proleg. zur Chr. Dogmatik. München, 1927, S. 404. 2) Georg Merz, Kirchl. Verkündigung u. moderne Bildung, München, 1931, S. 119. 3) Jahrg. 1923/4, Heft 1. 2, 3. 4 ; Jhrg. 1926, H. 1. 5, 6; Jhrg. 1928. H. 1, 6. Calvin ') der Stoff entnommen, sondern es wird auch die Verwandtschaft mit den Reformatoren, ja sogar eine bewusste Rückkehr zu ihnen öfters pratendiert. Nach Fritz Heidler „gebraucht Barth die begrifflichen Voraussetzungen so, wie sie von der reformatorisch verstandenen Offenba'rung her als allein grundlegender Voraussetzung und Richtschnur für unser Denken.... zu verstehen, und zu gebrauchen sind , und ist die „dialektischc Methode K. Barths die „Explizierung — und weiter nichts und das aber ganz bestimmt" — des „simul peccator simul iustus der Reformation".2) Nach Hermann Bauke hat die Barthsche Schule die reformierte Theologie vorankommen lassen, und sucht diese nun „ihre historische Anknüpfung und Fundamentierung, und diese heisst Calvin . ) Eine AufFassung, die zusammenhangt mit Bauke s gegen Bohatec u. a. verteidigte Meinung, dass die complexio oppositorum als formale Bestimmung für die Theologie Calvins „unbedingt konstitutiv" ist, und dass Calvin „alle vorhandenen einzelnen dogmatischen Lehren' verbindet „zu einem systematischen Gesamtzusammenhang, und auch gerade solche, die metaphysisch oder logisch unter Umstanden zu einander in Gegensatz stehen"; „für die complexio der opposita dient ihm", nach Bauke, „seine formale Dialektik".4) Wenn man auch von Seiten der dialektischen Theologie Kritik übt an den Reformatoren, gelegentlich sogar an konstitutiven 5) Elementen ihrer Theologie, oder wenn man auch die behauptete complexio oppositorum bei Calvin von den eigentlichen Paradoxa der dialektischen Theologie zu unterscheiden weiss,8) so halt man also doch sich selbst "■) Jhrg. 1927, H. 6; Jhrg. 1928, H. 2, 5. 2\ Zu H. E. Eisenhuths Angriff gegen die Theol. K. Barths in den Th. BI. 1932, Nr. 4; Theol. Blatter, XI, 7 (Juli 1932), 205, 207. 3) Eine neue Calvin-Ausgabe, Theol. BI. 1926, 173/4. < H. Bauke, Die Probleme d. Theol. Calvins, Leipzig, 1922, b.18, I*. 5) z.B. die Praedestinationslehre: K. Barth, Römerbrief, 3. Abdr. d. neuen Bearb., 1924, München, 308. So H. Bauke. in Theol. BI. 1926, 175. Ueber d. „complexio oppositorum sub specie Karl Barths", siehe: H. M. Müller, Credo ut intelligam. Th. BI.. 1928. (Juli), 174. in den grossen Linien, in der Hervorhebung der Souveranitat Gottes, des Wortes Gottes und des qualitativen Unterschiedes zwischen Gott und Geschöpf bzw. Mensch, für mit ihnen verwandt und will — namentlich Schleiermacher gegenüber — in der Polemik das „biblisch-reformatorische" Denken ') vollziehen; man ist sogar dermassen überzeugt, in dieser Hinsicht recht zu haben, dass es „peinlich" für E. Brunner und K. Barth empfunden wird, „wenn es so ware", dass — wie einige wollen — Schleiermacher „aus der reformierten Richtung her" zu verstehen sein würde.2) In einer Auseinandersetzung mit G. Wobbermin schreibt K. Barth: „Ich behaupte kühnlich, dass ich einer der ganz wenigen evangelischen Theologen bin, die einerseits den Römischen hinsichtlich der — nicht von den Reformatoren, wohl aber, Herr Kollege, von Ihrens Kirchenvatern preisgegebenen — gemein-christlichen Voraussetzungen ruhig ins Auge blieken können und die andererseits weder mit der Erkenntnislehre des vatikanischen noch mit der Rechtfertigungslehre des tridentinischen Konzils einen heimlichen Bund geschlossen haben".3) Es wird also eine Uebereinstimmung mit den Reformatoren nicht nur den allgemeinen Thesen der dialektischen Theologie (die nach A. Keiler „eine Konzeption des reformierten Geistes auf dem Boden des Luthertums"4) ist), sondern auch bestimmten Lehren (oft auch der Sakramentslehre)5) und ebenso der Lehre von der Paradoxalitat der Wahrheit zugesprochen. Ad. Keiler findet in einer noch nicht durch die Krisis gegangenen Theologie eine Auflehnung gegen den rigorosen Geist Calvins.6) Auch Th. L. Haitjema, Peter ') E. Brunner, Die Mystik u. d. Wort, cf. K. Barth in Zw. d. Z., 1924, H. 8. S. 51. 2) Zw. d. Z., 1924, Heft 8. S. 60. 3) Theol. BI. XI. 7 (Juli 1932), 222. 4) Ad. Keiler, Der Weg d. dial. Th. durch d. kirchl. Welt. München, 1931, S. 52, cf. 56. 5) K. Barth, Die Lehre v. d. Sakr., Zw. d. Z. 1929, S. 458. ») Keiler, a.a.O., S. 91. Brunner, P. Tillich ') urteilen so, und A. S. Zerbe, H. Beets, R. Birch Hoyle, J. ]. Strijdom, W. Kolfhaus, H. E. Wcber.2) Und Barth selbst meint, dass „die Konsequenz reformierter Lehre eines Tages wieder wird gezogen werden müssen";3) er hat einmal geschrieben.dass „reformierteLehre" „den ganzen Weg, den Luther geht", nicht nur in der Abendmahlslehre, sondern auch „sonst in ihrer Art freudig mitgehen" wird, „um, wenn das letzte Wort fallt, das lutherische Ja durch ihr reformiertes — nicht Nein, sondern Aber zu durchkreuzen, zu erganzen, zu erklaren, in der Erinnerung, dass, indem dieses letzte Wort fallt, der Kreis jenes Weges sich schliesst, der Punkt wieder erreicht ist, von dem Luther ausgegangen, wo die Gleichung wieder zum Gleichnis werden, wo die kritische Frage wieder lebendig werden muss, damit die göttliche Antwort Wahrheit sei und bleibe".") Dies wird von Karl Barth noch naher prazisiert, wenn er den Unterschied zwischen Luther, Calvin und Zwingli in folgender Weise angibt: „Nur feststellen können wir, dass er (sc. Luther) ein Ja ohne Aber meinte aus- sprechen zu können Luther gegenüber Zwingli, in seiner LTndialektik noch bedenklicher dastehend, weil sein Auftrag, viel undankbarer, offenbar nur auf das Aber ohne Ja lautete, vielleicht gerade in der grossen von Luther peinlich abstechendcn Fragwürdigkeit seiner geschichtlichcn ') Für Haitjema, Literaturang. bei K. Schilder, Tusschen ,Ja en „Neen , Kampen, 233-305. — Peter Brunner, Vom Glauben bei Calvin, Tubingen. 1925, passim. - P. Tillich, Von der Paradoxie des „pos. P. . Theol.BI., Dez. 1923.298. 2\ A. S. Zerbe, The K. Barth Theol. or the New Transcendentalism, 1930; H. Beets. Introduction to Calvinism by A. Kuyper. Grand Rapids, 1931 p 15- R. Birch Hoyle, The Teaching of K. Barth, London, 2d. ed. ''30, o 10 48/8 (der Verf. redet von B.'s „eirenic spirit towards Rome ; siehe jedoch seinen in S. 415 Note 3 angef. Artikel, wo er Rom die grosse Hares.e nennt); J. J. Strijdom. Een Studie over d. samenhang en de betr.v. Barth tot Calvijn in den „Philipperbriet". Amsterdam 1931. passmiW. Kolfhaus. Die Botschaft d. K. Barth, Neukirchen, 1927. H. E. Weber, „Eschatologie" und „Mystik" im N. T.. Gütersloh 1930. S 230. 3) Reform. Lehre, ihr Wesen u. i. Aiifg., Zw. d. Zeiten, 1924, Heft 5. S. 38 (Das Wort Gottes u d. Theol.. München, 1925. b. 212). 4) K. Barth, Die Theol. u. d. Kirche, Ges. Vortr., 2. Band, Munchen, 1928, S. 74. Erscheinung die notwendige Verkörperung des Fragezeichens, das zu setzen Luther selber unterlassen hatte. Der Name Calvins, des Mannes, der nachtraglich beides wusste und sagte, bezeichnet die Tragik dieses geschichtlichen Engpasses, vielleicht auch Ausblick und Hoffnung". ') Kein Wunder, dass nun von katholischer Seite (A. J. M. Cornelisse) Doumergue's Behauptung über „le caractère antinomique de Calvin" gedeutet wird im Sinne Peter Brunners.2) Um nicht allzu ausführlich zu werden, wollen wir unsere Untersuchung beschranken auf nur einen der Reformatoren; Barths zuletzt angeführte Worte machen verstandlich, warum unsere ^Vahl gerade auf Calvin gefallen ist. Es ist sogar behauptet worden, dass „zwar der Kalvinismus, nicht aber das Luthertum eine 'dialektische', d. i. denkerische Theologie hervorbringen kann." 3) Man könnte solchen kühnen Behauptungen freilich gleich entgegentreten mit der einfachen Frage, ob das sacriftcium intellectus in dieser „denkerischen" Theologie vielleicht ganz übersehen worden ist, ja sogar eine „Herzenstheologie" (die hier im Lutheranismus der kalvinistischen „Gehicntheologie" gegenübergestellt wird) eher für zu einem solchen sacriftcium fahig halten als eine „Ge/zirntheologie". Aber es empfiehlt sich mehr, Calvin selbst reden zu lassen, und so eine Antwort zu suchen auf die Frage, ob das calvinische Zugestandnis, dass das in der „religiösen" Erkenntnis Erkannte Mysterium bleibe, als Antinomie zu bezeichnen ist, und ob die Behauptung einer „paradoxen Evidenz" in der „religiösen Erkenntnis" mehr als einParadoxon, ob sie in der Tat auch calvinisch ist; eine Frage, wozu G. Spörri4) Anlass gibt. Solche „Unter- 1) a.a.O., 75, Cf. Ad. Keiler, a.a.O., 44, 45. 2) A. J. M. Cornelisse. Calvijn en Rousseau, Nijmegen-Utrecht, 1931, 21, 24, cf. 60/61, 22-27. 3) Wilh. Stapel, Der Neocalvinismus u. d. Politik, Deutsches Volkstum, XIV, 7 (2. Maiheft 1932), S. 397. 4) Gottlob Spörri, Das Incoordinable, Die Bedeutung }. }. Gourds für Geschichtsphilosophie u. Theol., München, 1929, S. 117. Schilder ^7 suchung hat ihren Wert, um so mehr, als nicht nur mit „1'incoordonnable" von J. }. Gourd, sondern auch via Gourd mit „le métaverbe" von P. Sauvage-Jousse') eine Verbindung möglich scheint. Freilich, „mit Calvin ernten wollen ohne mit Calvin gesaet zu haben", so sagt K. Barth, „das dürfte weder calvinisch, noch sonst wohlgetan sein .2) Hat man in der Lehre vom Paradoxon in der Tat mit Calvin gesaet ? n Paul Sauvage-Jousse, Le Métaverbe, Paris, Alcan, 1928, p. 203: le métaverbe intègre 1'Incoordonnable, au sens de }. J. Gourd, mais sans appel aU2)myK.iCBareth.. Ref. Lehre, Zw. d. Z., 1924, Heft 5, S. 12 (Das Wort Gottes u. d. Theol., S. 183). § 2. Calvins Weg von der Transzendenz Gottes zu der „Accommodatio" Gottes. Einer der wichtigsten Gedanken der dialektischen Theologie ist bekanntlich der qualitative Unterschied zwischen Gott und Mensch. „Gott ist im Himmel, und du auf Erden" (Pred. 5, 1), das ist ein von Karl Barth vielgebrauchtes Zitat. Gottes Transzendenz, Gottes Ganzanders-sein wird immer wieder betont. Von da aus wird das Verhaltnis zwischen dem Deus loquens und dem horenden Menschen oft ohne weiteres konstruiert, wird „der Satz von der unaufhebbaren Subjektivitat Gottes in seinem Wort" aufgestellt'), und wird sogar behauptet, dass „nicht wegen der Relativitat des menschlichen Erkennens", sondern wegen der Absolutheit, „in der er sich zu erkennen gibt", Gott uns verborgen ist. „An ihm" der „sich offenbart, wie er ist", „scheitevn wit, wohlverstanden gerade an der Offenbarung seiner Herrlichkeit".2) Calvin aber macht's anders. Obwohl die Transzendenz, die Souveranitat, die absolute Erhabenheit, das Ganzanders-sein Gottes in seiner Theologie unbedingt festgehalten wird, so lasst er doch noch mehr Faktoren wirksam sein, wenn es gilt, das Verhaltnis zwischen Gott, dem Offenbarer, und dem Menschen als Hörer aufzuzeigen. Grundlegend für Calvins Gedankenschema ist dabei die Ueberzeugung, dass Gott „Ein" ist. Seine virtutes sind ') Die Lehre v. Worte Gottes (Dogm. I. Band), 1927, S. 81, 216, passim. 2) 1.1. S. 216. cf. Th. Siegfried, Das Wort und die Existenz, I, Gotha. L. Klotz, 1930, S. 156. nicht voneinandcr zu trennen. Deshalb ist der Deus loquens mit dem Deus creafor eins, sobald es sich namlich auf das Reden Gottes nicht in der Trinitat, sondern auf das Reden ad extra bezieht, das Reden als opus exeuns. Dieses loqui Gottes ist creare, und sein creare loqui. „Das Wort Gottes ist Antwort", sagte K. Barth. ') Das Wort Gottes kreiert Frager und Frage, meint Calvin. Beim loqui Gottes als creare bleibt Calvin jedoch nicht stehen. Der Creatio folgt die providentia und in dieser wird Gottes Absicht mit der creatio und mit der Kreatur in der Geschichte durchgeführt und vollzogen. Denn am Anfang aller Dinge steht Gottes Ratschluss, das decretum, das immer „horribile" ist, und dieses decretum Gottes hat der Geschichte ihren Lauf bestimmt. Und eben weil Calvin sich dies alles supralapsarisch vorstellt,2) empfangen diese Gedanken bei ihm eine besonders scharfe Pragung. Gott stellt sich ein Ziel, das er in der Geschichte und durch sie erreichen will, und so geht es vom decretum zur creatio, von der creatio zur providentia, von der providentia bis zur Pleromatisierung aller Geschichte. In diesem geschichtlichen Prozesse nun, durch den und in dem Gott seine Dekrete ausführt, hat sein Reden, sein loqui, auch seine bestimmte Stelle. J. Bohatec hat mit Recht darauf hingewiesen, dass Calvin sich in seiner Vorsehungslehre als Theolog der „Diagonale" erweist, dass also ein System von causa prima und causae secundae in seiner Vorsehungslehre auftritt, und dass deshalb seine Vorsehungslehre systematisch höher zu stellen ist als „die wesentlich theoretischen Paradoxien Zwinglis". ) Sobald man nun das Reden Gottes als opus exeuns unter dem ») Dogm. I. 1927, S. 79, passim. , , 2) „Evenals Augustinus tot zijne leer der praedestinatie kwam door de studie van Paulus, zoo heeft de leer der Schrift over de zonde Calvijn tot zijn supralapsarisme geleid. Hij gaf daarin naar zijn;eigein verkll*rin9 %e.? philosophie, maar de waarheid naar het Woord Gods . Inst. 118. III 21-23, H. Bavinck, Gereformeerde Dogmatiek, 3e Aufl. Kampen, J. H. Kok, 11, iW. 3) 1 Bohatec, Calvins Vorsehungslehre, Calvinstudien, Festschrift, Leipzig, 1909, S. 407.440. Das Bild der Diagonale ist mit Vorsicht zu gebrauchenfs. unten). Gesichtspunkt der calvinischen Vorsehungslehre betrachtet, erscheint der Theologe der „Diagonale" von der heutigen Theologie der „Krisis" völlig verschieden. Und dass dieser Gesichtspunkt richtig ist, ist klar. Das Wort Gottes, die Offenbarung in allen ihren von ihm gewahlten Formen, ist eins der Mittel, wodurch die „allmachtige und allgegenwartige Kraft" ') der Providenz Gottes alles in der Geschichte seinem Dekret gemass zur Consummation lenkt. Obwohl Calvin nicht denen beistimmen würde, die die Rede Gottes ihrem Inhalt nach ohne weiteres eschatologisch nennen, so würde er doch seinerseits dieses Pradikat „eschatologisch" der göttlichen Rede wohl zuerkennen, wenn es sich urn ihre Witkung handelt. In der Weltgeschichte vollzieht sich nach ihm eine Offenbarungsgeschichte; diese ist ohne jene, jene ohne diese nicht verstandlich. Durch sein Reden und durch das schöpferische Darstellen einer histovia revelationis im Rahmen der Weltgeschichte, bringt nach Calvin Gott nicht nur die einzelnen Personen (durch regeneratio, vocatio interna et externa, Theopneustie, Offenbarungstraum, tardemah, Vision, Zwang zur Entscheidung durch Maschal und paroimia, durch verscharfte Proklamierung der Antithese oder durch „despotisches" Mandat u.s.w.), sondern auch bestimmte Völker (Israël, Amalek, Edom, die Völker bei Jesaja, Hesekiel, Daniël u.s.w. und zwar durch die Prophetie, die Psalmodie, die graphische oder verbale Inspiration, das Auftreten der Propheten unter den Barbaren, Traumexegese wie von Daniël, incidentelle Berührungen mit der revelatio specialis, revelatio communis u.s.w.) und die neutestamentliche Kirche zur Consummation, und dies in bestimmten, vom Dekret Gottes pradestinierten und ihr Einteilungsprinzip nur der historia revelationis entnehmenden Epochen (Paradieseszeit, Zeit der Patriarchen und Propheten, Epoche der Predigt Christi und der Apostel, das „Millennium' von Pfingsten bis zur Parusie). Immer ist Gottes Reden ') Heidelb. Katech., Abt. X, über die providentia. und Schweigen, sein familiaris docendi modus und das continete seiner mysteria, ein providentielles Realisieren der praedestinatio. Calvin schreibt'): „De evangelio vere testatur Paulus, non esse velatum nisi reprobis et exitio devotis, quorum mentes excaecavit Satan (2. Cor. 4, 4). Deinde sciendum est, vim illuminandi cuius meminit David, et fa.milia.rem docendi modum quem praedicat Iesaias, proprie ad electum populum referri. Hoe tarnen semper fixum manet, non esse obscurum Dei verbum, nisi quatenus ipsum mundus sua caecitate obtenebrat: interim nihilominus mysteria sua Dominus continet, ut minime ad reprobos perveniat eorum sensus". Und wenn Christus „obscure se tuvbae (!) loqui dicit", so zeigt sich darin nach Calvin wieder „arcanum Dei consilium ; es ist dieses consilium, wodurch bestimmt wird, ob die parabolae Christi, die „aenigmatice continent, quae dilucide non vult Deus patefieri," ihre „familiare" Exegese bekommen oder nicht. ) Aus dem vorher Gesagten fliessen für Calvin sofort Konsequenzen. a) Eine etste Konsequenz ist wohl diese, dass es nacn Calvin durchaus verfehlt ist, das Verhaltnis zwischen dem redenden Gott und dem horenden Menschen zu bestimmen nur mit Berufung auf den unendlich qualitativen Unterschied zwischen Gott und Mensch, als ob damit genug gesagt ware. Das Reden Gottes, das seinem Wesen unmittelbar entspricht und nirgends anderswoher seiner „Struktur" nach bestimmt wird als aus seiner göttlichen Autarkeia, ist nur ein Reden innerhalb der Trinitat, ein vom Menschen also nimmer gehörtes Reden, ein Rufen, ein gegenseitiges Einander-Zurufen — anthropomorph gesagt — vom Vater, Sohn und Heiligen Geist, ein Reden i\ Ioann Calv. Opera quae supersunt (ed. Baum-Cunitz-Reuss, Brunsvigle C A. Schwetschkeqet filii) 45 357/8; cf. 47. 295 (Quae et causa est ..) Hier und in folgenden Calvin-Zitaten beziehen sich dieZahlenauf die bei Bande der Opera Calvins. nicht auf das Ganze des Corpus Reformatorum. 2) 45. 359, 360. nur als opus immanens. Dieses loqui Gottes kommt nicht aus den fteov heraus und hat mit der Offenbarung und ihrer Rede nichts zu tun. „Nous devons distinguer entre ce qui est contenu en 1'Escriture saincte, et ce que Dieu nous a caché, et dons nous n'avons nulle doctrine ni tesmoignage".') Gottes Offenbarungsrede gehort zu den opera exeuntia und was dieses Reden Gottes anlangt, stösst man bei Calvin sofort auf das nüchterne Wort: „Retenons donc que nostre Seigneur n'a point patlé selon sa nature. Car s'il vouloit parler son langage. seroit-il entendu des creatures mortelles ? Helas non. Mais comment est-ce qu'il a parlé a nous en 1'Escriture saincte ? II a begayé." 2) Oder auch: „Tant y a que nous ne le comprenons point en sa maiesté, d'autant qu'elle est trop haute, il faut qu'il s'abbaisse, et qu'il use de fagons de parler qui soient propres a notre rudesse, et a la debilité de nos esprits. s) Man bemerkt hier sofort einen bedeutungsvollen Unterschied zwischen Calvin und der dialektischen Theologie ; diese bestimmt das Reden Gottes und beschreibt den Offenbarungsvorgang aus Gottes Wesen, aus seinen „opera immanentia", aus seiner Uebergeschichtlichkeit; jener aus Gottes evöoxca (Wohlgefallen), aus seinem Wille zu opera exeuntia, aus seinem schöpferischen Erzeugen der geschichtlichen Evolutionen (z.B. 26, 248 ; 42, 161 ; 38, 693) auf der Basis der Creation und Recreation und aus seinem transzendenten Willen, dem Willen Gottes xov f(oonotovvvog xovg vsxQOvg xai xalovvioq ra [ir] övra óg övza (Römer 4, 17). Die dialektische Theologie betont immer, dass Gottes Allmacht sich nicht von seinem Wesen loslösen kann, sodass Gott nie etwas anderes als „nur" Gott sein kann, auch in seinem Reden; Calvin jedoch, obwohl er dem ') 28, 543 (Exegese von Deut. 29, 29). Vgl. in diesem Kap., § 4. 2) 26, 387 (Sermon XLII sur le Deuter. chap. V.) 3) 28, 441 (es handelt sich um die Deutr.-Stelle: paree que tun'as point servi a ton Dieu d'un tout coeur, et en ioye, ayant abondance de toutes choses. Sermon CLX sur le Deut. chap. XXVIII. unbedingt zustimmt, fügt hinzu, dass Gottes Allmacht eine Verbindung schaffen kann zwischen sich und seinem Geschöpf; dass er sich dem Menschen anpassen (adaptare) kann, auch in seinem Reden. Durch das pradestinierende Reden im Dekret wollte Gott zunachst den Menschen sibi adoptare, und dann will er durch sein Reden in der Geschichte ihm se adaptare. „Quum Deus ad nos accedit, secum (nicht: suam, nicht: seines „Wesens" !) lucemaffert. ) b) Eine zweite Konsequenz liegt vor: wenn es sich so verhalt, ist Gottes loqui auch kein loqui aus der Distanz, sondern ein „sermo" aus der Nahe. In der Literatur der dialektischen Theologie liegt - unter mehreren anderen Beispielen von ^förtern, denen man einen ganz neuen Inhalt gibt, — auch eine u. E. willkürliche Exegese des Begriffs „dialektisch" vor, wie sie Heinrich Vogel ) allerdings in Abweichung von anderer3) Auffassung gegeben hat. Bemerkt er doch, dass zwei Auffassungen von „dialektisch" möglich sind, eine, bei der „dia „hindurc , „bis auf den Boden", eine andere, bei der „dia" vielmehr: „zwischen", „in Distanz von" bedeutet. Jene Auffassung ist entnommen der rein sokratischen philosophischen bphare ein regelmassig fortgehendes Fragen und Antworten um dadurch bis auf den tiefsten Grund, bis auf den Boden zu dringen); die zweite Auffassung aber ist dem theologischen Gebiet entnommen und bezeichnet das Sprechen Gottes im „Augenblick" seiner Offenbarung. Und Haitjema, sich dem anschliessend, sagt,4) die theologisch-dialektische Methode dieser zweiten Art demonstriere die innere Ueber- 1) 36, 131 (Exegese zu Jesaja 6 : Vae mihi, Jesajas Berufungsvision!) 2) Art. „Die Dialektik der Predigt , Zwischen den Zeiten, Jahrg. loog Heft 2 it_. 3) ' So wird noch i. J. 1928 von Karl Barth gesagt: ,,SixXêyc oxófiaxi oov) und in deinem Herzen (1??^, êv zij xapdia oov), dass du es tust, in^-. Calvin, wie gesagt, zweifeit nicht daran, dass das hier gemeinte ^^ort (n}V?, ~l?7, gfj/ua) das Wort Gottes ist, das durch die Vermittlung Mosis nicht verstümmelt worden ist. ') Moses dixit und Deus dixit — das sind für ihn zwei ') Cf. die Parallelie zwischen „S. Paul, Moyse, tous les Prophetes", und „Dieu", in 26, 387. — Sermon CVIII sur Deut. 18, 9—15: II (d. h. Gott) a voulu, qu'il y ait des docteurs qui iournellement parient en son non, et qu'ils soyent (bref) cotnme sa bouche (nicht durch ihre Person, nicht durch irgendein lumen internum, sondern durch die H. Schrift (der Apostel u. Propheten usw.). — Comm. zu 1. Joh. 4, 1 : Nam Deus semper verbum suum ex hominum ore non secus excipi voluit, quam si palam ipse e coelo apparuisset. — Confession de la foy: „— . nous Satze, in denen das dicere des einen wohl zu unterscheiden, aber nicht zu scheiden ist vom dicere des anderen. Und Paulus, darin von Calvin wieder unbedingt anerkannt, zweifeit nicht daran, dass Mosis Kerygma und Gesetzgebung in seiner eigenen Christuspredigt ihr Pletoma gefunden haben. Sagt er doch: toot sariv zo gfjfia zijg Tziaxecog 6 xr] qv oa o fiev, vs. 8; und: rj dè êx nioxecog dixcuoovvy ovxojq ïAyei, vs. 5. Und die dixaioovvij êx jiLozecog ist eben das grosse Thema des Römerbriefes und der terminus technicus in Pauli Lehre von der iustificatio ex fide gegen über der öixaioovvrj xov vófiov (e£ êgyov), der i'öia dixaioavvi/ des Judentums, das von Abrahams Glauben (Röm. 5) getrennt und damit auch dem eigentlichsten (messianisch-eschatologischen) Leben Abrahams entfremdet war. Röm. 9—11. Dieser locus classicus verdient eben dadurch unsere ganzbesondere Aufmerksamkeit, dass er, sowohl in seiner alttestamentlichen als in seiner neutestamentlichen Form, das Herz der reformatorischen Lehre (Calvin, Luther, sola fide!) berührt. Der alttestamentliche Text, im neutestamentlichen Lichte gesehen, ) recevons les vrays ministres de la Parolle de Dieu comme (non secus atque) messagiers et ambassadeurs de Dieu, lesquels il fault escouter comme uy mesmes, et reputons leur ministere estre une commission de Dieu (Dei mandato adprobatum); nicht durch lumen internum, sondern als ministres de la Parolle, und insoweit sie dem gerecht werden (cuius ministerium dum exercent). - Wenn Mose sagt: Ie t'ay proposé le bien et le mal, la benediction et la malediction, ie vous ay proposé la vie et la mort, etc., dann bemerkt Calvin: En somme nous voyons que Moyse insiste sur ce poinct, que la parolle de Dieu ait envers nous une telle reverence, et un tel honneur, que ce soit autant comme si Dieu nous estoit apparu en sa maiesté visible, et que nous y soyons rengez (28, 595, serm. sur Deut. 30). II est certain qu'il (sc. Dieu) ne nous a point apprins seulement un a. b. c., quand il nous a donné sa parole, (das von Aposteln, Propheten usw. geschriebene), mais il nous a enseigné a pleine bouche : comme Moyse le disoit du peuple d'Israel (53, 25). . .. . •„ >) Einiae meinen, dass Paulus „das, was die Glaubensgerechtigkeit in der Gegenwart sagt, in scharfen Gegensatz stellt zu dem, was Moses in seinem Buch schreibt" (Th. Zahn, Der Br. d. Paulus a. d. Romer Leipzig, Deichert, 1925, S. 478). Dies scheint uns unrichtig zu sein, a) weil Haulus nicht gegen Moses zu kampfen pflegt; b) weil der Umstand, dass Moses „noch gar nicht sagen konnte" was Paulus predigt, die Annahme emer betont, dass, obwohl das Gesetz ein Joch ist, das ermüdet und tötet, das „Haben" des Gesetzes als Offenbarungsinhalt doch göttliche Gnade ist. Denn das Gesetz als Offenbarungswort heilt die caecitas naturalis, gibt Israël, was den Heiden versagt ist und führt durch die Ermüdung des Jochtragens zur Ruhe in Christo. Also ist im Gesetz schon das Evangelium; in der Predigt der dixaioovvr] xov vó/uov leuchtet schon das Ideal der dixaioovvrj êx mozeojg, ovx e£ egycov. So ist das Thema der G/aubensgerechtigkeit, das eben Karl Barth cum suis so sehr interessiert, von Paulus hier aufgestellt. Es ist aber bemerkenswert, dass dieses Thema, das Calvin in seiner Deut.-Auslegung und sonst') so sehr beschaftigt, von K. Barth in seinem Römerbrief bei der bezeichneten Stelle völlig übersehen worden ist.2) Und dennoch hat Calvin das Problem der iustificatio e fide in Röm. 10 deutlich gesehen. Er weiss, dass im Deut. 30, 12 bewussten Abweichung des Paulus von Moses durchaus nicht legitimiert; ist es doch offenbar, dass das hermeneutische Prinzip der „plerosis" im N. T. von dem, was im A. T. in nuce gegeben ist, mit der allgemeinen Allegationsmethode des Paulus sich vertragt; c) weil es für die paulinische Kritik am Judentum von hohem Wert ist, zu zeigen, dass auch der „nomos", der in Christo sein „telos" findet, schon im Prinzip (und zwar hier durch einen Offenbarungsakt aus suveraner Gnade) die „dikaiosynê ek pisteoos" gepredigt und dem Anfang nach verwirklicht hat. Cf. G. Doekes, De beteekenis van Israels Val, Nijverdal, Bosch, 1915, z. St. ') Nicht allein in dem Sermons sur Deut., sondern z.B. auch Inst. I, 74, Sermon sur Gal. 2, 20 (eine Stelle, worauf öfters eine Paradoxentheorie begründet worden ist), Sermon sur Gal. 3, 1 usw. — Quand nous avons la parole, il ne faut plus demander (comme dit Moyse): qui est-ce qui montera pardessus les nues etc. La parole est en ta bouche (dit-il) et en ton coeur: il nous faut contenter de cela. (50. 446/7). — Mais cependant la doctrine nous est si patente, que nous pouvons facilement cognoistre la volonté de Dieu, car il nous la declare assez familierement toutes et quantes que 1'Evangile nous est presché, tellement qu'il ne nous faut plus faire de longs discours ne de grands circuits; il ne faut plus (! Standpunkt der historia revelationis: ne plus) dire, qui est-ce qui montera.... etc. Avons nous la ■ parole de Dieu, voire sa parole purement annoncee ? Voila Iesus Chcist qui est comme au milieu de nous, et qui se presente comme s'il estoit pendu en la croix.... contentons nous de cela. 650, 463.) 2) Das ist deutlich, schon aus seiner Uebersetzung des Textes; davon sprechen wir noch. In K. Dogm. I, 1, 254 schreibt Barth anders über Röm. 10. Moses de legis doctrina loquitur, Paulus autem ad evangelicas promissiones trahit.... Moses facilitatem illic ostendit pervemendi ad vitam, quia ïam Dei voluntas Iudaeis occulta non est, nee longe dissita, sed sub aspectum nosita Si de sola lege sermo esset, frivolum fuisset argumentum Urgo non legem solam designat, sed totam in genere Dei doctrinam, quae evangehum sub se comprehendit>).... Prope es* verbum (vs. 8.) Primo hoe notandum est, ne ambagibus abductae hominum mentes a salute aberrent verbi metas illis praescribi, intra quas se contineant. Perinde en.m est ac si mberet uno verbo contentas esse, et moneret in hoe speculo contemplanda esse coelomm arcana, quae et aciem oculorum perstringerent suo fulgoce. et aures obstupefacerent. et men tem ipsam redderent attomtam. Itaque insignem ex hoe loco consolationem percipiunt fideles animae de verbi certitudine . quos scilicet in eo non minus tuto aequieseant quam in ^aesenüssimo rerum adspectu. Deinde notandum est, proponi verbum a Mose, in quo stabilis et tranquilia salutis fiducia nobis constet. 2).... Particula ïsta, quod praedicamus, ideo adiecta est, ne quis suspicaretur Paulum a Mose dissidere. Testatur namque in evangelii ministerio sibi cum Mose optimam esse consensionem: quandoquidem ille quoque non alibi quam in gratuita promissione divinae gratiae felicitatem nostram locavent . ) Wenn man das alles liest, wird die Diskrepanz zwischen Calvin und der dialektischen Theologie sichtbar. Fur Calvin ist die accommodatio Dei ein Artikel, mit dem zunachst die Offenbarung als Tatsache (abgesehen noch von ïhrem Inhalt, Gesetz oder Evangelium), und danach auch ïhr Inhalt selbst (Gesetz, und darin schon „latens Evangelium, Evangelium und darin „patens" Plerosis des Gesetzes) steht oder fallt. Barth dagegen kennt das Wort „accommodatio" nur als Stichwort in dem Wörterbuch der Götzendiener. Diese Abweichung von Calvin, auf den sich doch Barth beruft, hat, eben weil sie prinzipiell ist, zur bolge, dass er sich immer weiter von Calvin entfernt. Urn bei unserem gegenwartigen Thema zu bleiben: am Anfang dieses Paraqraphen haben wir, um die Stelle zu bestimmen, die Calvin dem Worte Gottes zuweist, gesagt, dass man ausgehen müsse von seiner Ehrfurcht vor Gott als creator. Wir zitierten Röm. 4, 17 mit der bekannten Aussage uber Gott, der ra (ir) óvza ruft (valeïv) als (ag) ovxa. Hier hat Calvin ') Comm. in Röm. X, 6 (49, 198). 2) 49, 200. Ueber die „verbi metae hier Kap. IV, § 1. a) 49*. 201. xaXeïv übersetzt durch „vocare" (Deus vocat ea quae non sunt tanquam sint). Und das vocare Gottes interpretiert er als schöpferische oder neuschöpferische Gottestat, wodurch also ein neuer Anfang gemacht wird: wo der Tod ist, wird er überwunden, und das Leben bricht hindurch zum Sieg über den Tod. Also keine coincidentia oppositorum, keine „Polaritat" zwischen Tod und Leben, kein Zusammengehen von Tod und Leben, sondern ein Entweder-Oder. „Vocare" ist hier keine Benennung des Seienden oder Existierenden, sondern ein göttlicher Ruf zum Sein oder zur Existenz. Und „tanquam" (u>q) ist nicht so zu interpretieren, als ware (pavadoxal) das Tote lebendig genannt, obgleich es tot geblieben war. Es ist keine Rede von einem „vivum vocare", sondern von einem „vocare ad vitam" : „Nihil interesse an mortuus sit, qui a domino vocatur ad vitam : cui dum loquitur, facile est sua potentia mortuos suscitare. ') Hic praeterea typum et exemplar habemus universalis nostrae vocationis, quo nobis ob oculos statuitur ortus noster.... dum a Domino vocamur, ex nihilo nos emergere". 2) Es ist denn auch ganz in der Linie von Calvins Terminologie (vocatio, xlrjoiQ, regeneratio als creatio), wenn er bemerkt: „vocandi verbum ad praedicationem restringi non debet, sed more scripturae usitato pro suscitare capitur". 3) Und nun Karl Barth. Noch in der ersten Auflage seines Römerbriefs4) hat er das xateïv von Röm. 4, 17 übersetzt durch „ins Sein rufen" (Gott, der das Nicht-Seiende ins Sein ruft),5) ein gut Calvinischer Ausdruck also. Freilich ist es uncalvinisch, wenn er sagt: „das Wesen aller Dinge in dieser Welt ist, von Gott aus betrachtet, das cMeon\ das Nicht-Seiende, das Nichts" ;6) denn diese Art von Platonismus ist Calvin völlig fremd. Jedoch ist ein Anklang an Calvin unverkennbar, wenn er das xaleïv xtX. so exegetisiert: „Gott.... als der Schöpfer, der in die Finsternis ') 49, 81. 2) 1.1. 3) 1.1. <) Bern, bei G. A. Baschlin. 1919. 5) S. 96. «) S. 97/8. ruft: es werde Licht! und es wird Licht, der den Toten ruft, und sie werden lebendig; dem Nichts und es wird zum Etwas, dem Unsinn und er muss sich wenden zum Sinne,') der alten Welt und 'siehe, es ist alles neu geworden".2) In seinem auf das Paradoxon hinführenden Gedankengang aber ist Barth dazu gekommen diese seine Uebersetzung und Interpretierung von Röm. 4, 17 radikal und prinzipiell zu andetn. In der neuen Bearbeitung des Römerbriefs3) ist das „ins Seinrufen" (xalsiv) ersetzt worden durch „ansprechen" : „Gott, der . . . das Nicht-Seiende anspricht als das Seiende".4) Und die hierzu gegebene Paraphrase weist eine völlige Abweichung von Calvin aut. „Das Seiende muss als Nicht-Seiendes erkannt sein, damit das Nicht-Seiende als Seiendes angesprochen werden kann. Das ist die Unmöglichkeit der Erkenntnis, die Unmoglichkeit der Auferstehung, die Unmöglichkeit Gottes, des Schöpfers und Erlösers, in welchem „Diesseits und „Jenseits" eins sind".5) Hier wird die Paradoxalitat mit Gewalt in Röm. 4, 17 hineingetragen, weil das Sich-Einrunlen in das Calvinische vocare ganzlich fehlt. . Das qleiche findet sich, wenn der Gedankenkreis unseres Ueberblicks (der mit der Transzendenz Gottes — C(oonoieiv, xatëv - angefangen hat), schliesst mit der Akkommodation Gottes. Es is schon bemerkenswert, dass sowohl in der 1. als in der 2. Bearbeitung des Römerbriefs moxu; in der Verbindung öixaioovvrj êx mozecog in Röm. 10, 6 nicht durch „Glaube", sondern durch „Treue" Gottes übersetzt wird. ) Barth spricht von der „Gerechtigkeit, die aus der Treue Gottes kommt" (2. Bearb.) oder von Av Gerech igke.t die durch die Treue Gottes offenbart ist (l. Bearb.). Hier ~) „Sich wenden zum Sinne"; spater würde gesagt sein: und er wird (anerkannt als) Sinn. 3) fch9zitiere den 3en. Abdruck d. neuen Bearbeitung. Kaiser. München. 1924 (8—11. Tausend). *) S. 116. 5) S. 118. 6) S. 361. ist nicht nur ein Uebersehen des grundlegenden Adagiums der Reformation, sondern auch eine anti-reformatorische Entwertung des Glaubens als „Instrument", als „Mittel" (dia c. gen.) der Gerechtigkeit; sie ist vielleicht verstandlich aus der Depreziierung jeder im menschlichen Subjekt vorhandenen Gegebenheit, wodurch der Weg zur Paradoxalitat geebnet wird, aber durchaus nicht salva pace Calvini. ') Dazu kommt man, wenn man in einer Interpretation des Römerbriefs sich völlig emanzipiert von dogmenhistorischen Untersuchungen und also bei der Frage nach dem Inhalt des Begriffs nieren; mehr den Historismus als den Nomismus, und bei der Frage nach dem Sinn des vófiog mehr die Romantik 2) und die „Moral" als die öixaioovvrj tov vófiov, ê£ sQycov, die töia óixaioovvrj der Pharisaer und noistischen Juden bekampft.3) Aber das sei dahingestellt.4) ') Barth zu Röm. 5, 1 : „Verdachtig müssen wir uns selbst in jedem Augenblick sein, wo wir es wagen, damit zu rechnen, dass wir glauben" (S. 126, N. Bearb. 3. Abdr.). Calvin, in Röm. 5, 1 : Dixerat enim prius (sc. Paulus) fldem aboleri, si ex operibus quaeritur iustitia: quia perpetua inquietudo miseras animas turbabit, quae nihil solidum in se reperient. Nunc ex opposito docet, quietas et tranquillas reddi, ubi fide iustitiam adepti sumus.... Pax ergo conscientiae serenitatem significat, quae ex eo nascitur. quod Deum sibi reconciliatum sentit (49, 88). Barth: „Auch nicht im Geringsten hört der Mensch etwa auf, ein Wartender, nur ein Wartender zu sein, ein Hoffender, der nicht rchaut (8, 24). (S. 128). Calvin: Ex quo patri nos reconciliavit (Christus), talis est nostra conditio, ut suam erga nos gratiam efficacius exserere et in dies augere velit (49, 93). Atqui nisi et certa in praesens intelligentia, et in futurum constans ac minime dubia sit persuasio : quis gloriari auderet ? spes gloriae Dei nobis per evangelium affulsit, quid testatur nos fore consortes divinae naturae. (49, 89/90). 2) z.B. 1. Bearb. S. 195; 2. Bearb. passim. 3) Und dies, obwohl K. Barth in 4, 13 Siytxtstriivri -ritmut; übersetzt mit „Gerechtigkeit des Glaubens" (3. A. der Neuen Bearbeitung). In der 1. Bearbeitung hatte er aber 4, 13 übersetzt mit: „Gerechtigkeit aus göttlicher Treue"; in 10, 8 pf,fix Tria-n^g in der 1. Bearbeitung mit „Wort des Glaubens", dagegen in der 2. Bearbeitung: „Wort von der Treue Gottes". Dieses Hin-und Herschwanken, noch dazu ohne jedes einleuchtende System, ist eben hier umso bedauernswerter, als es ein völliges Vorübergehen verrat an dem grossen Leitgedanken und dem Hauptproblem des Römerbriefs: Glaubensgerechtigkeit ohne Gesetzeswerke (sola fide, Luther. Calvin). 4) Der in Note 3 nachgewiesene Fehler ist bereits vorhanden in der Uebersetzung von Röm. 1. 17. Dort ist der bekannte Text mit Allegation aus Hab. 2, 4 i JÈ Sixatsi: sk tt'kttVjïc typtrm der Grundsatz der Refor- Schilder 28 Wir begnügen uns damit, darauf hinzuweisen, dass es nach K. Barth die „Treue Gottes (ji'louq) ist, „dass er uns als der ganz andere, als der Heilige mit seinem Nein in so unentrinnbarer Weise entgegentritt ,') dass aber nach Calvin Gottes Liebe und Treue darin liegt, dass er „se rend familier, et nous appastelle".2) Es ist tragisch, dass die Berufung auf Calvin, so gut sie gemeint ist, als unberechtigt bezeichnet werden muss. Calvin sowohl als Barth suchen der Transzendenz Gottes gerecht zu werden; Calvin aber hat das grosse „Paradoxon von der Untrennbarkeit der Transzendenz und Immanenz Gottes gewagt,3) nicht weil er sich das philosophisch ausgedacht hatte, sondern weil es ihm durch die Heilige Schrift geoffenbart worden war. Ihn hat der Gehorsam gegen dieselbe von der Lehre des Zusammengehens der Transzendenz Gottes mit seiner Immanenz geführt zur per consequentiam für den locus de revelatione daraus entnommenen Lehre der Akkommodation Gottes. Barth jedoch hat der Paradoxe mation. Barth übersetzt hier : „Der aus Treue gerecht Gemachte wird leben (1 Bearbeitung); spater: „Der Gerechte wird leben aus meiner Treue 2 Bearb., 3. A.j. Aber dies ist doch nicht richtig ! Denn ob man cie mit StKxccc verbindet oder mit ?*rew«, - für alle Falie «uss ®an d°^ nicrrig mit „Glauben" übersetzen und nicht mit dem Barthschen „Treue (GottesV. „Ob man sagt: aus der Treue Gottes, oder: aus dem Glauben des Menschen, es ist dasselbe. Schon die Ueberlieferung dieses Pro^ e enwortes weist nach beiden Richtungen (2. Bearb., 3. A. S. 17). Wir werden uns nicht weiter darüber auszulassen brauchen, nur erlauben wir uns ïm Vorübergehen zu bemerken, dass es für das Problem des Paradoxons seine /für Barth unerwünschte) Konsequenzen haben kann, wenn man das hebraische seiner radix pS eine Relation von Gott dem Menschen gegenuber (statt vom Menschen Gott gegenüber) aussagen lasst. 1) 2. Bearb., 3. Abdr. S. 17. 2) 29, 121. („par maniere de dire , 121/2). „ . ^ 3 Erao ut Deus, ad spoliandam omni patrocmio hominum impietatem. numinis sui fulgorem in creaturis delineatum sine exceptione umversis proStTita quibus se destinavit in salutem manifestare, eorum ^bec.llitat efflcaciore remedio succurrit. Nam in eorum eruditionem non mutis duntax maaistris utitur, sed os quoque sacrosanctum reserat; neque tantum proZC cokndum ali<,»aS «se De„m. sed euo se e.se P>onu„t»t 1». colendus est. Nee ipsos docet nodo i» Deum te.p.cere, sed se quoque exhibet in quem respiciant (Inst. Rel. Chr. 1, *»*■)■ unendlich viele gemacht, aber — urn den Preis dieses einen allbeherrschenden Calvinischen Grund-„Paradoxons", das wir soeben nannten. Beide wissen um Gottes Erhabenheit, aber das Endergebnis dabei ist: wenn Paulus sagt: êyyvQ aov zó Qijna, dann seufzt Karl Barth: „Nahe ist das Wort, bereit liegt das Dynamit", ') aber Calvin jauchzt, dass er gesehen habe das freundliche Antlitz eines Vaters, einer Mutter: wo der eine Dynamit drohen sieht (in aeternum), dort findet der andere „un père riant", „une nourrice", „matrem cum infante balbutientem", „deum ludimagistrum". „Scimus non ita subtiliter loquutum fuisse spiritum in lege et prophetis, quoniam stylum formavit ad communem vulgi captum".2) Behauptet man, „que ce n'est pas une chose vulgaire que la parolle de Dieu", so zeigt sich darin „1'astuce de Satan".3) Denn Gott sagt, dass sein Wort „n'est un iargon qui soit incogneu, mais qu'il parle franchement".4) •) Römerb. 2. Bearb. 3. Abdr. S. 364. Anders, wie schon bemerkt, in K. Dogm. 2) 38, 76. 3) 28, 617. 4) 28, 572. § 3. Calvins Rückweg von der accommodatio Gottes zu der Transzendenz Gottes. Ohne Ehrfurcht, ohne Anerkennung des transzendenten Gottes kann die „Religion" nicht sein. Ein „Vater unser verlangt immer ein: „der du bist im Himmel . Es trag sich also, ob der Preis, den Calvin für seine Akkommodationslehre zahlen muss, nicht allzu hoch ist, ob, anders gesagt, seine Akkommodationstheorie in dem locus de revelatione ihm um den Preis einer ehrfurchtslosen gion", die dann mit Recht Götzendienst heissen müsste, nicht allzu teuer zu stehen kommt. Calvin antwortet hierauf verneinend. Denn eben weil Gottes Wort exeuns ist, wird es ganz und gar in allen seinen modi von Sein und Wirken dure seine evöoxia determiniert. ') Diese evöoxia hat die Aussenduna des Wortes aufgenommen in einen „padagogischen Ratschlag.2) Deshalb ist das Wort Gottes eben als „An- 1) Quibus (Deus) se destinavit in salutem manifestare, etc. vgl. S. 43 , Note 3. - Quum itaque palam sit, Deum, erga eos homines. quos unquam erudire cum' fructu voluit, subsidium verbi adhibuisse . . .. etc. (Inst. 1, 2 ). Nunc ostendit qualiter ab hac caecitate £ Dominus peculiari spiritus illuminatione ïpsos dignatur (49, 34U/1). - wem in evangelü quoque doctrina impleri Paulus docet: velatam emm vel obscuram esse negat nisi reprobis, quorum mentes excaecavit Deus huius saecuh (47 226) — (Latentem sapientiam) communicatam nobis aeterno Dei consilio Hnrpt (Paulus). (49. 337). Cf. hier S. 437, Note 3. 2) Cf S 434, Note 3 und alles, was gesagt worden ist von den ver- sctUL PÏdW»: nourcice. pe,«. mate, „sw. - Die, c. seulement pour les grands docteurs, ïl a vou u P , tellemen* rede" (K. Barth) immer ad captum hominis gesprochen, „gesendet", „ausgegangen" u.s.w. Infolgedessen kann Gottes Wort „tun, das" ihm „gefallt, und soll ihm gelingen, dazu" er's „sendet" (Jes. 55, 11).') Es fragt sich also nur, was Gottes „Wille" ist in der „Aussendung" seines Wortes.2) Und dieser Wille Gottes fordert u.a., dass durch seine „Anrede" die vera cognitio dei in dem das Wort „annehmenden" (cf. 3) 1. Kor. 2, 14) Menschen geweckt wird; und dies zwar nicht um des Menschen, sondern um Gottes willen: Gott ist auch hierin sich selbst Zweck (Spr. 16, 4). Weil nach Calvin die simplicitas dei ausschliesst, dass seine virtutes weder in seinem Wesen noch in seiner Selbstoffenbarung sich voneinander abstrahieren lassen, *) nostre Seigneur sait ce qui leur est propre, et qu'ils seront enseignez d'une fa?on laquelle il sait leur estre convenable. (Sur Deut. 31 : 9—14). — Apprenons que Dieu par sa bonté infinie voyant que nous n'avons nul moyen . d'approcher de luy, il nous y donne un facile accez : et mesmes il descend ici bas pour se confermer a nostre rudesse et infirmité. Nous voyons par maniere de dire, qu'il begaye avec nous: car il ne parle point d'une fa?on si haute comme elle conviendroit a sa gloire infinie, et a sa maiesté; mais 1'Escriture saincte a un langage rude et grossier, et Dieu parle en telle sorte qu'il n'y a point d'excuse pour nous, si nous ne 1'entendons facilement (Sur Deut. 30, 11—14). ') Tantum hoe tenere sufficiat, non fortuito pluere evangelium ex nubibus, sed per manus hominum afferri quo divinitus missum est (49, 205). 2) Quia dixerat Paulus evangelium rem esse arcanam, periculum erat ne hoe auditu fideles, difficultate territi, refugerent ac desponderent animos. Ergo occurrit huic periculo, ac pronuntiat destinatum nihilominus esse nobis, ut eo fruamur. Ne quis, inquam, latentem sapientiam nihil ad se pertinere ducat: aut etiam nefas esse putet, in eam intendere oculos, quia non sit humano captui exposita: communicatam nobis aeterno Dei consilio esse docet (49, 337). 3) Freilich hat Calvin in 1. Cor. 2, 14 übersetzt mit: comprehendere. Aber seine Meinung wird verstandlich aus diesen Wortern: Nolle homines sapere si dixisset (sc. Paulus), verum quidem istud erat, sed addit, ne posse quidem : unde colligimus non in arbitrio cuiusque esse fidem, sed divinitus conferri (49, 344). 4) A. Mitchell Hunter, The Teaching of Calvin, a modern Interpretation, Glasgow, Maclehose, Jackson & Co, 1920, 80: Disputation has no right of entry upon the realm of these truths, which are known to us solely through revelation. If it pleased God to transmit them, not only must they be necessary to the requisite completeness of revelation, but they must be accepted as in the highest degree reasonable, that is, consonant with the principles of the divine mind. kann also eine prinzipiell wahrhaftige und nach oben sich weiter führende Erkenntnis Gottes nicht die Immanenz erkennen ohne die Transzendenz. Die Selbst„verhüllung Gottes in der accommodatio (auch in Christo) ist wohl eine padagogische') Verschleierung seiner Majestat, aber sie beabsichtigt durch „Gewöhnung" an Gott den Menschen von einem „Kinde (vrjjtiog) in Christo zum „Manne in Christo" zu machen, von der „Milch zur festen Speise" zu führen,2) damit durch fortwahrende Erleuchtung des Geistes einerseits seine Glaubenserkenntnis in der accommodatio einen Niederschlag von Gottes Allmacht entdecke, und damit andererseits Gottes Allmacht und Transzendenz den Menschen nicht erschrecke und also die communio mit und die appropinquatio zu Gott verhindere. So weiss auch der Jtvev/iauxóg avÏÏQConog der Calvinischen Struktur und Exegese von dem deus absconditus und von der Unerreichbarkeit (von sich aus) aller coeli arcana;3) aber das ist sehr weit entfernt vom strikt paradoxalen Leitgedanken der dialektischen Theologie. Diese verbindet den deus absconditus und revelatus, die Verhüllung und die Offenbarung der maiestas Dei auf paradoxale Weise : ') Nicht nur für individuelle Personen, sondern auch für Gemeinschaften (Israël, Kirche); nicht nur post, sondern auch ante fidem. Erat.... certe legitimus ordo, ut homo ingenita sibi ingenii luce sapientiam Dei in eius operibus contemplatus ad eius notitiam perveniret. Sed quia hominis pravitate hic ordo inversus est, primum vult nos infatuare Deus in nobis, pnusquam (1 cf Barth c.s.) erudiat ad salutem. Deinde pro specimine sapientiae suae simulacrum quoddam stultitiae nobis offert. Hanc inversionem promerita est hominum ingratitudo Quia toti mundo nihil ad eruditionem protuit, quod Deus sapientiam suam exseruerat in creaturis: alia via deinde aggressus est ad homines docendos. Sic vitio nostro imputandum est, quod salvihcam Dei notitiam non ante consequimur quam proprio sensu exinaniti (W. JZö). — Comm in 1. Cor. 13, 9—13: lam probat aboleri prophetiam et reliqua eiusdem modi: quia in subsidium inflrmitatis nostrae conferantur. Atqui hnem aliquando accipiet imperfectio: desinet igitur simul etiam donorum ïpsorum usus (49, 513). . , . 1 ■ j 2) Confirmatione enim indigemus omnes donec in nobis Christus soliae adoleverit (Eph. 4, 13) (49, 17). 3) Nihilominus interea evangelium scimus arcanam esse sapientiam quae coelos altitudine sua superet, et ad quam angeli quoque obstupescant (49; 326). — Cf, S. 437, Note 2, usw. Verhüllung ist Offenbarung, Offenbarung ist Verhüllung, A = B. Calvin aber sieht die Selbstverhüllung Gottes, eben weil sie ein Erziehungsmittel ist, nicht identisch mit der Offenbarung Gottes in ihrer Wesenheit und Ganzheit; denn sie, diese Selbstverhüllung, ist ein historisches Faktum im Prozesse der göttlichen Selbstmitteilung ') nicht das ganze „Schicksal" dieser Mitteilung, Mittel und nicht Wesen der Offenbarung, A nicht = B. Sie ist auch keine völlige Selbstbedeckung, sondern eine mitigatio maiestatis Dei.2) So ist es unumganglich, dass beide Linien, sowohl der Transzendenz als der Immanenz, sich abzeichnen für den erkennenden Verstand des vom Geiste erleuchteten und durch das Wort Gottes ergriffenen Menschen des Calvinischen locus de salute. Es ist schon entscheidend, dass bei Calvin das Bild von ,,nourrice", „pere" usw. completiert wird durch den Vergleich mit einem König („Roy"). „II (Moyse) declare en quelle fa?on il faut que nous soyons aux pieds de Dieu, pour estre escholiers, et qu'il soit nostre maistre, et que nous soyons enseignez de sa bouche: C est (dit-il) qu il soit nostre Roy quant et quant. II monstre, que Dieu quand il s'abaisse iusques la d estre comme nostre docteur, que ce n'est pas qu'il le faille mespriser, ne que cela amoindresse sa maiesté: mais quant et quant il doit estre Roy. Retenons bien donc que la doctrine que nous recevons de Dieu est comme si un Roy parloit, et nous faut trembler sous luy En somme nous avons deux choses a considerer en la parolle de Dieu: 1 une est sa bonté infinie, quand il descend a nous et se rend familier (etc.) ') Man lese (u.a.!) den Kommentar zu 2. Kor. 3, 4—18 (50, 38—47). Lex (das Alte Testament, littera, Moses) quamvis figuris implicita, non tarnen distitit sapientiam parvulis praestare Lex ipsis involuta est instar laby- rinthi, donec ad suum finem referatur, qui est Christus. Christum igitur si in lege quaerunt Iudaei: perspicua illis Dei veritas patefiet Nobis quantum salutis nostrae interest, et quantum fert captus noster, nunc se visendum et palam conspiciendum offert Deus (50, 43, 44, 46). — Monendi sunt lectores (sc. des Kommentars zu Gal. 3, 23), Paulum.... totam oeconomiam comprehendere, qua Dominus sub vetere testamento populum suum gubemavit.... Hanc legem Paulus carceri primum vel custodiae comparat: deinde paedagogo. Utraque similitudine palam fecit. talem fuisse legis naturam, ut nonnisi ad certum tempus vigere debuerit. (50, 219). 2) Cf. Note 1, passim. Mais cependant notons aussi qu'il ne se veut point despouiller de son droict, que tousiours il ne soit Roy. et que nous ne tremblions sous luy, et que nous ne souyons subiets a ses loix et a ses commendemens . ') Obgleich Gott „ad nostrum captum suum sermonem accommodet", blcibt doch das „Staunen" ungeschwachte Pflicht: „Quod sane tantum abest, ut insolens videri debeat, ut contra quoties nobiscum ipsum instar matris cum infante balbutientem audimus, mivari bonitatem eius nos oporteat".2) Obwohl der Tempel ein Ort der „Ruhe" ist, „quia scilicet Deus illic non mode articulate loquitur, sed blande etiam fideles ad se invitat",3) so müssen doch die fideles, weil sie familiariter edocti paterna eius voce sind, totos se addicere ad eius cultum et consecrare.") Also muss der Glaubende zum ..tnivavi kommen, nicht nur nach (post), sondern auch wegen (propter) der göttlichen Akkommodation. Denn bei zunehmender Glaubenserkenntnis gesteht er sich, dass die „bonitas dei sich um ihn padagogisch wirksam bemüht hat. Er findet, dass der Vater, der sich zu ihm herabgelassen hat, eben der Vater und schon als solcher weit über ihn erhaben ist. So steigt er im progressus seiner religiösen Erfahrung von der accommodatio zur Transzendenz Gottes, d.h. jetzt zu seiner evöoxia hinauf, wahrend die Dogmatik in umgekehrter Richtung von der Transzendenz und evöoxia Gottes zur accommodatio herabgestiegen ist. „Von der himmlischen Majestat Gottes nicht irdisch denken", — diese Paranese des Heidelberger Katechismus in seiner Exegese von „der du bist im Himmel" ist rein Calvinisch. „Nous savons que 1'Escriture saincte en parlant de Dieu, dit qu il habite au ciel, non pas que sa maiesté soit la enclose: car son essence est infinie, elle comprend toutes les creatures .... Mais ce mot de Ciel est pour nous retirer de ce monde, ') 29, 121/2. 3) 31. 290 (Exegese des 29. Psalms, des klassischen Liedes der Transzendenz also). 4) l-1- quand nous pensons de Dieu que nous n'imaginions rien de luy terrestre".') Wenn der Glaubende Transzendenz und Akkommodation in einem Ueberblick zusammenfasst, findet er a posteriori so, wie es Gott nach Calvin vor aller Zeit im Dekret beschlossen 2) hat: a) die bonitas dei, die ihn durch die accommodatio vor der Flucht vor Gott geschiitzt hat: „Dieu .... condescend a notre rudesse.... afin que nous ne soyons point effarouchez, et que nous ne prenions point occasion de nous retirer de luy".3) Wenn Gott mit uns redet wie ein Vater („pere"), muss wohl bedacht werden: „II est vray qu'il na point telles passions que les hommes, il ne faut point que nous imaginions Dieu estre semblable a nous".4) „II ne faut plus" (plus! Geschichte der Offenbarung!) „que nous tergiversions quand nous avons esté enseignez en la parolle de Dieu . ) . b) die maiestas dei als „Roy", der eben in dieser sub a) genannten bonitas und weiter in allen seinen virtutes in Ewigkeit zu preisen ist, ,,ganz anders ist, „eifernd für seine Ehre, der „seine Ehre keinem andern lasst, noch seinen Ruhm den Götzen oder den „Gedankendingen . Der Glaubende weiss, „quanto altius penetret Dei cognitio quam mentis nostrae intelligentia , und deshalb will er „potius acquiescere eius decreto, quam sua (nostra) temeritate vesanaque superbia se (nos) efferendo in praecipitium ruere".6) Und er darf den tröstlichen Gedanken des Herabkommens Gottes nicht missbrauchen, denn „Mose reproche aux Iuifs qu'ils n'ont peu endurer que Dieu les traittast humainement".7) Gott ist incomprehensible, und „il nous <) 29, 168. 4 Cf. Note 1. ») 29, 168. «) 28, 441. s) 28, 594. 6) 25, 479. , ,.. . 7) 28, 441 Or ce nest point tant seulement a eux qu il (Moyse) parle. mais a nous aussi". le faut adorer en toute humilité,.... il ne faut point que nous attentions de le forger a nostre teste, et de le faire semblable a nous, ou selon nos fantasies, et le transfigurer". ') Die Akkommodation Gottes würde ohne seine Majestat durchaus unmöglich, und uns undenkbar, sein: „in primis verum istud et immotum esto principium, Deum nunquam mutari, neque unquam poenitentiae duci ut solent mortales.... Nihil in Deum tale contingit, cui omnia sunt praesentia, adeo ut rata esse quae semel decrevit oporteat. Nihil tarnen prohibet quin sese Deus ad nostrum captum, hoe vel illud pollicitus, accommodet, ac velut in aliam formam transformet".2) Die Koinzidenz der beiden unter a) und b) gezogenen Linien ist also nach Calvin nicht dialektisch oder paradoxal als eine coincidentia oppositorum (Bauke) zu fassen; denn sowohl a parte dei — man denke an das sogar supralapsarisch konstruierte Verhaltnis von Dekret und Ausführung — als a parte hominis, gibt es für das dogmatische Denken und für die religiöse Erfahrung des Glaubenden einen logischen Uebergang vom einen zum anderen; der Gebrauch der Worte „Weg" (§ 2) und „Riickweg" (§ 3) weist eine paradoxale Verknüpfung der beiden Gedankenreihen zurück. Scharf wird das von Calvin hervorgehoben in seiner Anschauung über die bekannte Theophanie, die Mose „in dem Busch" Deut. 33, 16, „au buisson", erfahren hat. Es gibt dialektische Theologen, z.B. Haitjema, die eben diese Theophanie in mehr oder weniger experimentellen Versuchen, ihre paradoxale Auffassung mit der Bibel in Einklang zu bringen, als Paradigma des paradoxalen Offenbarungsvorgangs benützen. So sagt Haitjema, dass diese Theophanie nicht nur selbst als Offenbarungs/orm mit dem logischen Identitatsprinzip Spott treibt (weil das Feuer nicht verzehrt), sondern dies auch tut dem objektiven Inhalt ihrer Predigt nach (Jahwes Verhaltnis zu Israël); A = B; •) 29, 168. 2) 29, 356. das Grundgesetz des denkenden Verstandes ist nach ihm hier durchbrochen.') Calvin, der dasselbe Problem scharfer und richtiger 2) aufstellt, erkennt auch, dass die Theophanie „au buisson" eine Absurditat zu sein scheint; „II semble de prime face que ce soit une chose absurde, ou qui ne serve qu a induire les ignorans ou les infirmes a superstition";3) aber es beschaftigt ihn hier das Verhaltnis von Immanenz (Gott wohnt „au buisson ) und Transzendenz (Gott wohnt „au ciei"). Und nun ist es für unsere gegenwartige Untersuchung bedeutungsvoll, dass er sagt: „Et nous faut bien noter qu'il y a deux facons de parler diverses en 1'Escriture saincte. quand Dieu nous appelle a soy: mais ceste diversiié nest pas pour nous distraire en des opinions contraires, elles se rapportent tout a un. Et comment cela ? Dieu aucunes fois nous monstre quelle est sa gloire, afin que nous ayons eest article tout resolu, qu'il est incomprehensible, et qu'il nous le faut adorer en toute humilité, qu'il ne faut point que nous attentions de le forger a nostre teste .... (etc.).... Quand donc 1 Escriture saincte nous propose la maiesté de Dieu si haute que nous y sommes confus, et mesmes les Anges de paradis.... qu en cela il nous est monstré que nous devons nous humilier sous une telle grandeur et hautesse. ür cependant Dieu regarde qu'il nous est utile d'avoir quelque privauté a luy et a/ors il condescend a nostre rudesse .... etc non pas (comme i ay dit) qui soit contraire, mais e est afin que nous ne soyons point effarouchez.... "etc.4) Hat so aus dem Calvinischen Grundprinzip der auctoritas dei, der Souveranitat Gottes,5) die accommodatio in der Offenbarung ihre richtige Stelle zugewiesen bekommen, dann ist schliesslich noch einmal zu betonen, dass der glaubende Verstand nicht nur der Transzendenz Gottes als Dogma bloss theoretisch eine Stelle einraumt, sondern dass auch seine Begegnung mit ihr eine Sache der lebendigen ') Hoogkerkelijk Protestantisme, Wageningen, Veenman & Zn. Kritik hinsichtlich der Theophanie „in dem Busch" ; K. Schilder. Bij Dichters en Schriftgeleerden, Amsterdam, U. M. Holland, 1927, 81—87, cf. 88/9. 2) „Richtiger", denn sobald die chemische Formel des „Feuers" in Frage kommt, fallt die Behauptung der (gemeinten) Aufhebung des Identitatsprinzips. Calvin stellt auch hier das Problem von Transzendenz u. Immanenz auf. 3) 29, 168. 4) 11- 5) H. Henry Meeter, The Fundamental Principles of Calvinism. Grand Rapids, Mich., W. B. Eerdmans Publ. Co (Calvin Faculty Series no 1). 1931. „Erfahrung" ist. Auch dem Glaubenden der Calvinischen Struktur ist der transzendente Gott lebendig und gegenwartig geworden; dieses Barthsche Postulat ist Calvin nicht fremd, und seine Akkommodationslehre hebt es nicht auf. Denken und Leben, Dogma und Erfahrung begegnen einander. Das rechte Denken über Gott ist freilich Leben, Akt des Gehorsams bei ihm. Und so bringt das Denken zum „Staunen" (trembler, tremere), sooft der aus dem Glauben denkende Verstand hinaufsteigt bis zu dem am Anfang des § 2 von uns hervorgehobenen Unterschieds zwischen Gottes Reden ausserhalb und Gottes Reden inner halb der Offenbarung. Dieses ist von jenem prinzipiell unterschieden und der Glaubende weiss von diesem fundamentalen Unterschied. So sagt Calvin in seiner Exegese zu 1. Kor. 2, 10: zö yaQ nvevjua navta 'êgavva, xal ra pad-rj rov êeov: „Spiritus enim omnia scrutatur. Hoe ad piorum consolationem additum est: quo tutius in revelatione, quam habent a Dei spiritu, acquiescant. Ac si diceret: Sufficiat nobis spiritum Dei habere testem; nihil enim tam profundum est in Deo, quo non penetret. Nam id signifleat hic scrutari. Profunditates intellige non arcana iudicia, quorum prohibetur nobis inquisitio, sed totam salutis doctrina, quae frustra scripturis esset prodita, nisi mentes nostras Deus ad eam suo spiritu attolleret". ') Deutlich wird hier gelehrt, dass es ein Reden Gottes mit und in sich selbst gibt (Trinitat, Logos, pactum salutis, u.s.w., hier zusammengefasst unter arcana iudicia), dessen Inhalt nicht Offenbarungsobjekt ist; derselbe Gott, der seine accommodatio in dem ,,Teil (§ 4) seiner Gedanken vollzieht, den er souveran offenbaren will „prohïbet alle unsere „inquisitio" hinsichtlich der Dinge, die er nur sich selbst vorbehalten hat. „Das Geheimnis ist des Herm, unseres Gottes; was aber offenbaret ist, das ist unser und unserer Kinder" (Dt. 29, 29 oder 28); und das Ideal der mittelalterlichen Mystik von der visio per essentiam dei ist durchaus uncalvinisch. Aber der fundamentale Unterschied zwischen Gottes Wissen und seinen arcana iudicia einerseits, und unserer doctrina, die sich nur auf Offenbarung i) 49, 341. stützt andererseits, ist bei Calvin nicht eine Ursache es Schreckens, sondern eine consolatio (s. oben); Gottes verborgenes Wissen und unsere doctrina verhalten sich nicht paradoxal, so dass das eine dem Inhalt nach aufgehoben würde durch das andere; im Gegenteil, der glaubende Verstand, der seine doctrina aus Gottes Oftenbarung empfangen hat, weiss, dass das andere, was Gott ihm nicht qesagt hat, die letzte Begründung enthalt für seine eigene doctrina; der ihm offenbarte Teil von Gottes Gedanken und der ihm verschlossene Teil müssen miteinander übereinstimmen ; wenn er seinerseits nur aus der Offenbarung richtig geschlossen hat, kann seine doctrina nicht mit Gottes eigenem Wissen stceiten. ,,Postquam(\) enim ex(.) verbo ac(!) spiritu Domini disputavit (!) (Paulus, Röm. 11, 3-3), tanti demum arcani sublimitate victus nihil potest obstupescere et exclamare, divitias istas sapientiae Dei profundiores esse quam ut ad eas nostra ratio penetrare queat". ') Disputare und obstupescere sind hier kein Gegensatz. Die Abgrenzung der Calvinischen Akkommodationslehre dem Ottoschen „Numinosen" und dem Barthschen Paradoxon gegenüber, spiegelt sich wieder auch im Verhaltnis der Calvinischen Gedanken zu dem zuerst von CJtto und nachher von anderen hervorgehobenen „Engelsang des hollandischen Dichters Joost van den Vondel. Wenn es dort heisst: Alle Englekennis En uitspraeck, zwack en onbequaem, Is maer ontheiliging en schennis. 2) dann ist dies ein völlig anti-calvinischer Gedanke. Denn i\ 49, 230. Postquam; daher reden wir von einem „Rückweg . Der stupor ist also kein impedimentum der Lehre, sondern ein fraenum ingenio et linguae, ut quum sobrie et intra verbi Dei fines loquuti fuenmus, disputatio tandem nostra exeat in stuporem. 49, 230. - n 2) Rev van Engelen in Gysbrecht van Aemstel, cf. Rud Otto, Uas Heiliae 17-22. Aufl.. Gotha. Klotz. 1929. S. 228, sqq. Die Uebersetzung ist ungenau: Auch Engel-Rede/ Und Wissen, schwach und ungewandt/ Entheiligt nur und ist zu blöde (das letzte genugt nicht). wohl sind die Engel in ihrer Erkenntnis als Kreaturen beschrankt, und wohl ist auch ihre Aussage über Gott als solche immer inadaquat, aber £Wheiligung und Schandung ist ihr Denken und Reden nicht; denn das Kreatürliche ist bei Calvin nicht an sich dasselbe wie das Sündige; es gibt nach ihm, wie wir gesehen haben, Parallelie zwischen dem göttlichen und dem unverderbten kreatürlichen Wissen. „Ne angeli quidem ferunt dei maiestatem" ; ') aber „non ferre" ist nicht dasselbe wie „violare". Uebrigens aber würde Calvin eben durch seine Akkommodationslehre dem zustimmen können, was Vondel richtig sagt: U zulx te kennen, als Ghij waect, Der eeuwigheden glans en ader, Wien is dat licht geopenbaert ? Wien is der glansen glans verschenen ? Dat zien is noch een hooger heil Dan wij van Uw genade ontleenen, Dat overschrijt het perck en peil Van ons vermogen. 2) Nur eine Bedingung würde Calvin hier stellen: dass man „kennen" versteht als „proprio marte" erkennen; hat doch Calvin bemerkt, dass Paulus „humanae menti hoe ademit ut possit ad Deum proprio marte conscendere";3) dies weiss eben der, der Gott zu sich selbst „c?escendere" gesehen hat. Wer in Christo die Akme der Akkommodation Gottes anerkannt hat, eben der weiss, das „omnis cogitatio de Deo extra Christum immensa est abyssus quae sensus omnes nostros protinus absorbeat".4) Calvin ist imstande Vondel nachzusprechen: ') 29, 356, cf. 49, 326 beigef. in S. 438 Note 3. 2) Uebersetzung bei Otto: Denn wer gewahrt/ Der Ewigkeiten Glanz. unendlich/ Wem ward solch Licht geoffenbart!/ Wem ist der Strahlenglanz erschienen/ Des Anblick höheres Heil noch reicht/ Als Gnadengaben zu verdienen/ Der alle Grenzen übersteigt/ Von unsern Kraften. — Diese Uebers. ist durchaus unrichtig („verdienen" !). 3) 49, 340. cf. comm. in 1. Cor. 1, 21, quoniam enim non cognovit. 4) 55, 226. Wie kan U noemen By Uwen naem ? wie wort gewyt Tot Uw Orakel ? Wie durf roemen ? Ghy zyt alleen dan die Ghy zyt, U zelf bekent en niemant nader.') Aber dies nur unter der Bedingung, dass die Exegese dieser Verse sie aussagen lasst, dass kein einziger Name Gottes sein Wesen adaquat ausdrückt, dass die „visio per essentiam" nur ein Mysterium innerhalb der Trinitat ist und dass also kein von uns ausgedachter Name für Gott sich eignet; eine Exegese, die mit dem Vondelschen „wie durf roemen?" u.E. sich legitimieren kann. Bei jeder anderen Exegese streiten auch diese Verse gegen Calvin. ') Uebers. b. Otto: Wer darf wagen/ Zu nennen Dich 1 Und wer vermisst/ Sich zum Orakel, Dich zu sagen!/ Du bist allein der, der Du bist/ Dir selbst erkannt, Dir selbst erkenntlich/ Und niemand sonst. , § 4. „Todeslinie" und „metae". Unter Hinweis auf das, was wir von Barth bereits zitierten hinsichtlich der „Todeslinie", die das Uebersehbare vom Unaufhellbaren trennt, wollen wir jetzt auch hierüber wieder Calvin horen. Wir gehen nun nicht naher auf die Gründe ein, die Barth für seine Auffassung anführt. Es ist merkwürdig, dass auch Calvin eine Trennungslinie, eine „kritische" Linie kennt, oder, um in seiner Sprache zu sprechen, „metae „limites stehen sieht, welche überschreiten zu wollen uns nicht zukommt, die auch niemand überschreiten kann und die jedem Andringen menschlicher Hybris Widerstand bieten. Aber die Art und Weise, wie Calvin das Bestehen solcher Hybris-zurückweisender metae argumentiert, und die Stelle, wo sie, nach ihm, gezogen sind, weisen einen einschneidenden Unterschied zwischen ihm und Barth auf. 1. Sicher, auch Calvin warnt vor aller Hybris, vor aller superbia et altitudo (41, 201) Gott gegenüber, vor allem orgueil diabolique (28, 546). Auch Calvin weiss zu zürnen über die Sorbonne, von deren Sophisten adulterata fuit theologia (55, 310), über Dionysius, jenen nugator de coelestibus hierarchiis (50, 138), über die Scholastik an verschiedenen Stellen. ') Sie alle überschreiten ja die gesetzten „limites", sagt Calvin. ijl 2. Aber wenn er darüber zürnt, dann tut er das doch aus anderen Gründen, als sie die Theologie der Krisis je anführte. Man kann seine Grundgedanken in bezug auf die ') J. Calv. Opera (in: Corp. Ref.) 50, 138; 52, 252, 413 („mataiologia"); 53, 25. „metae", zugleich auch den Ort, den Calvin ihnen anweist, deutlich aus der Bibelstelle kennen lemen, die auch spater bei A. Kuyper und H. Bavinck solch grosse Bedeutung haben sollte: Deut. 29, 29 : les secrets sopt au Seigneur nostre Dieu; les choses patentes sont a nous et a nos enfans pour iamais (28, 542/3). „II y a donc ici une distinction .... Dieu a ses secrets pour soy, et il nou$ a revelé a nous et a nos enfans sa Loy, qui est une chose patente: comme s'il disoit, que nous devons distinguer entre ce qui est contenu en 1'Escriture saincte, et ce que Dieu nous a caché, et donc nous n'avons nulle doctrine ni tesmoignage". Damit ist nicht geleugnet, dass „toute la doctrine de 1'Escriture saincte surmonte nostre capacité, qu'elle seroit trop haute pour nous", aber : „quoy qu'il en soit, si est-ce quand Dieu nous la declare, il la nomme chose patente.... ce n'est point une doctrine mise en cachette". Hier werden von Calvin also deutlich zwei „Teile" unterschieden in den recte de Deo dicenda. Das eine Teil hat Gott durch Offenbarung bekannt gemacht, das andre Teil hat er jeder Offenbarungstatigkeit entzogen. Zu diesem letzteren sind die arcana Dei zu rechnen, die spater, nach diesem Leben, oder nach der Parusie, aufgedeckt werden sollen, ') und auch und vor allem die profunditates Dei, welche für den endlichen Menschen ewig profunditates bleiben werden.2) Aber zwischen den ausgesprochenen und verschwiegenen Wirklichkeiten selbst ist kein wesentlicher Unterschied, sie sind tatsachlich zwei Teile von einem Ganzen. Das sehen wir daraus, dass Calvin auch den Inhalt des Geoffenbarten an sich zu hoch und zu gewaltig für uns nennt; aber weil, wie wir sahen, die Offenbarung, nach ihm, ein Werk von Gottes Allmacht ist, die Ihn „instand setzte", von sich selbst zu sprechen, ohne dass die accommodatio eine Verletzung der maiestas war, also ') 49, 512/3 (Komm. zu 1. Kor. 13, 8); 33, 534/5 (durant ceste vie mortelle); 45, 370 (gegen Sophistae). 2) 49," 180; 49, 187; 32, 383; 40, 309; 48, 614; 44, 370. Schilder ^ ohne irgendeinen „Gegensatz zwischen Gehalt und Gestalt der „Mitteilung" (Barth), — darum ist zwischen dem Inhalt der aus der Offenbarung als opus exeuns folgerichtig gewonnenen Erkenntnis und dem Inhalt von Gottes als opus immanens aufzufassender Erkenntnis nach Calvin kein Gegensatz anzunehmen. Von dem einen Kreis der Wirklichkeiten Gottes ist ein Teil kund getan worden, ein anderer Teil nicht. Wie seltsam auch für unsere Zeit diese Zweiteilung sein mag, sie ist trotzdem an verschiedenen Stellen bei Calvin deutlich zu lesen.') T. . „ Zwischen diesen beiden Teilen nun verlauft die „Limite , die Grenzlinie, sind die metae aufgestellt, die ein Mensc nicht überschreiten soll. Das heisst also: die metae liegen woanders als bei Barth die Todeslinie. Für Barth ist die Zweiteilung eine Absurditat; alles ist am Ende von Gott verschwiegen, all seine Wirklichkeiten sind „ganz-anders . Barths Todeslinie trennt nicht das eine Teil von Gottes arcana iudicia quorum prohibetur nobis inquisitio ab von einem anderen Teil, quorum nobis non prohibetur inqui- n 28, 544 (tenons-nous coys quand Dieu n'a point parlé d une chose incogneue, et qui nest point contenue en 1'Escriture saincte: car c est a plus grande sagesse que de ne s'enquerir sinon de ce que Dieu leur a revelé, et de se contenter simplement de ce qu ils pourroyent comprendre.... Quand nous voulons entreprendre plus que nous ne pourrons, nous voila esgarez, nous usurpons ce que Dieu s est reserve); 28, 545. cerchons seulement ce que Dieu veut qui nous soit cogneu, et ïgnorons tout le resfe. 49 236 (Exegese zu Röm. 12, 3: praeceptum quo nos retrahit ab eorum rerum investigatione, quae nihil quam tormentum ïngenus afferre queant, nullam vero aediflcationem ;.... prohibet ne sibi qms plus suma quam ferat captus et vocatio); 29, 495 (qui enim plus quam Deus doce scire expetit, sane diabolum magistrum habeat necesse est); 33, 534 (Ur il l ad autres secrets qui nous sont cachez, et ausquels Dieu ne nous permet point de venir encores); 33, 535; 34, 513 (plus savoir tousiours que Dieu ne leur ordonne); 36, 62 (quamvis utatur — Gott — hominum opera in docendo, hoe tamen sibi retinere proprium, ne quid praeter verbum suum oroferant); 53, 92/3 (die Zweiteilung ist geschehen von Gottes padagogischer allmachtiger Weisheit: il est vray qu'il reserve bea»c°uPde^ qui nous sont cachez et incomprehensibles : car s il se manifesloit en fouter(.) oerfection, quelle humilité y auroit-il en nous ....?) 54, 48 , 54, ÖU, D/. 113 (arcana, quorum nullam revelationem ad nos adhuc pervenire vult DeusV 48 614 (vouloir scavoir les secrets de Dieu, mesmes ceux qu il veut au'ils nous soyent cachez); 48, 547; 44, 370; 53, 371. sitio, denn inquisitio arcanorum Dei gilt bei ihm überhaupt als Hybris. Denn auch da, wo in bezug auf Gott Offenbarung gegeben ist, trennt die Todeslinie unser Denken von Seiner Wirklichkeit. Calvin jedoch macht unleugbar zwischen diesen beiden Teilen von Gottes arcana iudicia, dem gesagten und dem verschwiegenen, eine Unterscheidung, die sie als quanta nebeneinander stehen sieht. Selbstverstandlich ist damit nicht alles gesagt. Das Erkennen pro mensura humana ist bei Calvin natürlich auch ein Erkennen auf andere Weise, als Gott seine eigenen arcana erkennt. Aber zwischen Seinem Erkennen und dem unsern ist keine Antithese von Tod und Leben, Dichtung und Wahrheit, Hybris und maiesfas. Was wir aus der Offenbarung langs des logischen Weges deduzieren, ist ja doch Erkenntnis wirklicher arcana Dei. Der Inhalt dieser Erkenntnis ist ein quantum von dem, was wirklich in Gott ist. Wenn Paulus Röm. 11, 33 schreibt, dann lesen Barth und Calvin ihn jeder mit anderen Augen. Barth (Röm. 408) schreibt, der Deus absconditus sei als solcher Deus revelatus, Calvin jedoch sagt: Gott ist zum Teil absconditus, zum Teil revelatus. Und wenn die exclamatio Pauli: „quam incomprehensibilia sunt iudicia eius" Calvin ergriffen hat, „ dann kommt er zu dem eben in diesem Zusammenhang wohl aussergewöhnlich markanten Ausspruch: notandum est, non de quibuslibet Dei mysteriis hic agi, sed quae apud se recondita vult tantum a nobis suscipi et adorari (49, 230). Wodurch kommt nach Calvin der Mensch in ein Labyrinth? Nicht dadurch, dass er sich mit den mysteria Dei beschaftigt, sondern dadurch, dass er sich extra cancellos (45, 671) oder fines (49, 230) Verbi Dei, d.h. Scripturae begibt: discamus .... nihil de Domino inquirere, nisi quantum per scripturas revelavit: quia alioqui in labyrinthum ingredimur, unde non facilis erit receptus (49, 230). Dass zwischen dem, was der Mensch (Gehorsam der Offenbarung gegenüber vorausgesetzt) in bezug auf Gott weiss, auf der einen, und dem, was Gott von Gott weiss, auf der anderen Seite nach Calvin kein inhaltlich-prinzi- pieller Unterschied besteht, dass also in der Tat das quarititativ gemeinte Sprechen von zwei Teilen gerechtfertigt ist, erhellt ausserdem noch aus der Tatsache, dass Calvin vetschiedene quanta von revelatio, verschiedene Grade von Mitteilung unterscheidet. Man bekommt Augen dafür, wenn man bedenkt, dass er die „Engel" als persönliche Wesen sieht, die anders sehen als der Mensch, anders sind als der Mensch, die jedoch mit ihm das Geschaffensein teilen, und die nun auch — infolge ihrer anderen kreatürlichen „Rangordnung innerhalb des Kosmos — neben dem litativen Unterschied im Erkennen (das „ganz-anders Erkennen als der Mensch) doch auch wieder denselben quantitativen Unterschied im Erkennen (das ein-anderesquanfum-Erkennen als der N^ensch) als Kennzeichen tragen. Porro ne hominibus molestum sit, diem illum (sc. der Parusie) nescire, angelos eis Christus associat: nimiae enim superbiae ac improbae cupiditatis foret, plus nobis appetere, qui super terram reptamus, quam coelestibus angelis concessum sit (45, 671). Wir weisen hier mit Absicht auf die Engel hin — neben diesem Thema ware auch das von der Er~ kenntnis ]esu Christi zu behandeln —■, weil schon aus diesem einen Detail klar ist, dass man mit Barths Schema von Zeit-Ewigkeit, Unten-Oben, Glauben-Schauen bei Calvin nicht fertig werden kann; die spezifische kosmische Stellung der Engel gibt dem „ganz-anders"-Thema (wie es gewöhnlich aufgestellt wird) eine neue, für diese Unterscheidung selbst verhangnisvolle, Variation, die zwar unter Heims „Dimensionen-Begriff' eine begriffliche Rubrizierung bekommen könnte, die sich aber auch dann noch nicht in den Rahmen des uns bekannten paradoxen Ich-Du-Verhal tnisses einfügen lasst. IVIan denke in diesem Zusammenhang auch an den bei Calvin sehr beliebten Gedanken, dass die Engel „begierig sind, hineinzuse/ien" in die mysteria gratiae specialis, welche nur von den Glaubigen „geschmeckt" werden können. Hier ist das Problem der quantitativen Unterscheidung im jeweiligen ErkenntnisInhalt wiederum mit dem qualitativen Anders-Sein von Mensch und Engel verknüpft, aber unsre Behauptung, bei Calvin komme zu dem qualitativen Unterschied noch der quantitative hinzu, bekommt nun eine neue Bestatigung. Sobald man nut den qualitativen Unterschied in Rechnung stellen will, wie Kierkegaard (zum Teil, man denke an die approximierende Erkenntnis) und Barth das tatsachlich taten, kann man nie verstehen, dass Calvin die metae dort aufgestellt sieht, wo es bei ihm der Fall ist: zwischen zwei quantitativ abgrenzbaren Erkenntnisgebieten. ') 3. Weil nun nach Calvin diese abscondita Dei „recognitu non necessaria" sind, verringert die Tatsache, die uns zu dieser quantitativen Auffassung des Unterschieds zwischen gewussten und ungewussten Wirklichkeiten Gottes zwingt, doch nach Calvin nicht die Möglichkeit des (unfragmentarischen) Erkennens Gottes, in seiner Einheit, als Vater. Dies hat ja doch Gott möglich gemacht, nach Calvin, durch die Schrift, die uns gibt, was bon et expedient de sgavoir ist (49, 180; 53, 25), und die mit uns immer vor „nos limites" stehen bleibt, die Gott uns hat „constitué" (53, 25). Zur Heiligen Schrift hinzu kommt dann subjektiv die ,,illumination der Glaubigen (28, 546) durch den Geist und, objektiv, der Christus, der uns als Mittler," auftretend in der flachen Ebene der Geschichte, ohne jegliche Urgeschichtlichkeit oder Zeit-Jenseitigkeit, dem exitialis abyssus der falschen cognitio Dei extra Christum (47, 151) entrissen hat. Auch Christus bleibt als Mittler vor den metae stehen, denn Er ist Mensch, Knecht, Kreatur, gehorsam, er ist nicht gekommen, um die iSc/iöp/iinpsordnungen, die die metae zwischen Gott und Mensch schon vor den allerersten ') 54, 397 (n'enquerons point outre nostre mesure; vgl. über diese „mesure" : 28, 544 ; 53, 92 ; 28, 546; 29, 495 ; 49, 237 ; 54, 396, etc.); 51, 781 (et quand il n'y auroit que ce mot, un haut mystere: gardons-nous de vouloir limiter cela a nostre fantasie); 53, 25 (Dieu ne nous a-il point constitué nos limites qu'il ne faut point passer?); 53, 18; 34, 513(Dieu.... te met la une barre, la porte test fermee); 55, 314 (iniectum esthuiusmodi cupiditatibus fraenum.... qui ad sapientiae metam pertingere cupit.... cf. 25, 479); 29, 436; 29, 496; 50, 138 (admonitionem de adhibendo scientiae modo); 25, 479; 49, 187; 36, 215/6. Offenbarungsakten Gottes zu kosmischen Attributen gemacht haben, zu zerbrechen, sondern um sie zu erfüllen und um sie durch Erlösung wieder zu dem zu machen, was sie ursprünglich waren: keine Todeslinie, sondern Lebens-und Lichtlinie. Sofern ja doch die metae zwischen Gott und Mensch im qualitativen Unterschied beider begründet sind, dienen sie nicht dem Abstoss, sondern der Kommunikation: aufgenommen in das Erkenntnisfeld dessen, der durch Schöpfung oder Erlösung sich mit Gott in Gemeinschaft weiss, verstarken sie das Bewusstsein von der Grosse dieser Gemeinschaft: Pater noster (Immanenz) qui in coelis es (Transcendenz). Und sofern die metae in der Offenbarung (sowohl vor als nach dem Fall) als Akt des Deus descendens gleichfalls unentrinnbar und unentbehrlich sind, vor allem nach der Sünde, kommt Christus, um die metae, die, nach der Sünde, das Gebiet der Erkenntnis immer enger abgegrenzt haben, wieder auf die Stelle zurückzuversetzen, die ihnen anfanglich in einer unbefleckten Welt zugedacht waren. Darum kommt Christus und setzt die metae zurück, und zwar im Geschichtsprozess der Revelation, bis dass sie schliesslich, (nach der Parusie) wieder einzig und allein durch das ursprüngliche, sündenfreie Verhaltnis zwischen Gott und Mensch bestimmt werden. So bleibt Er als Prophet innerhalb des Kreises der metae stehen. Und sofern Er als höchster Prophet sie ringend zurückdrangt, und also das Gebiet der Erkenntnis vergrössert, macht er damit nicht Revolution gegen den historischen Entwicklungsprozess der Offenbarung, sondern ist seine logisch und chronologisch legitime Erfüllung. So erkennt er die metae an, lehrt auch uns, Ehrfurcht davor zu haben, aber vergrössert das freigegebene Erkenntnisgebiet (worin schon wieder eine Verstarkung des oben entwickelten Quantitatsgedankens liegt). Indem Er dies letzte auch sagt, m. a. W. durch das Versprechen, dass ein Teil des nun (nach der Sünde) uns absichtlich-padagogisch verborgen-Gehaltenen spater wieder entschleiert werden wird, weckt er zugleich in den Glaubigen das Verlangen nach einem Zurückbringen der metae an ihren ursprünglichen Platz. Das ist: anstelle der Hybris und der „curiositas" derer, die vor dem Ehrfurcht-Gebietenden an dén metae nicht „Furcht und Zittern" empfinden, fordert Er als richtiges „existentielles" Verhaltnis keine Angst von uns, keine Verzweiflung, sondern ein ehrerbietig-schauerndes, aber- auch wieder vertrauendes den Grenzen des Erkennens Sich-Nahevn. So, dass das noch nicht Geoffenbarte als Mysterium geachtet bleibt, aber zugleich die Progression der Offenbarung und der Illumination geglaubt wird. An die Stelle der Pietatlosigkeit der Sophisten und Sorbonici, die keine Furcht und kein Zittern kennen, und dadurch zum „garrire" herabsinken (55, 310), tritt nun die von Ehrfurcht und Vertrauen getragene Haltung des Glaubenden, der die metae in dem geschichtlichen Prozess der Offenbarung und der Illumination (denn auch diese hat ihre fata, samt der Kirche) weichen sieht und auch immer mehr begehvt, sie nach ihrem ursprünglichen kosmischen Platz zurückweichen zu sehen. So steht Christus mit den Seinen zwischen den metae, ihnen unterworfen, durch die Unterwerfung jedoch nachhet über sie pro mensura creaturae herrschend. Ideoque ab arcano Dei consilio iniunctam sibi docendi rationem discernit (sc. Christus). Utilis admonitio, ut sobrie sapere discamus, nee perrumpere conemur in abdita Dei mysteria, ac praesertim ne in excutiendo futurae vitae statu simus ultra modum curiosi (45, 555). 4. Nicht „ultra modum" — in diesem letzten Wort tut sich der ganze Calvin auf und hier findet die oben unter 3 gegebene Konstruktion a posteriori ihre Bestatigung. Solange ja doch Calvin nut auf das unbedingte Ueberschreitungsverbot, das hinsichtlich der metae gegeben ist, achtet, ist jede curiositas Gottlosigkeit. Niemand kann starker als Calvin von dem Gedanken durchdrungen sein, dass in bezug auf Gehorsam und Ungehorsam schliesslich kein „ne quid nimis" gesprochen werden darf. Insofern kann eine ^Wamung vor einer curiositas-uZfra-fnocfurn nach Calvin selbst eigentlich nicht ausgesprochen werden, ohne gegen Gott zu revoltieren. ') Aber in dem „ultra modum liegt, in diesem Zusammenhang, eine Anerkennung eines gewissen guten Rechtes der curiositas ; und dieses Recht liegt vindiziert in dem, was wir oben in Hinsicht auf Christus bemerkten, der die metae verschiebt, zurücksetzt, wenn auch nicht aus dem Boden veisst. So kommt es zu der „Spannung" des Glaubigen. Einerseits drangt er verbotene, oder spitzfindige, unehrerbietige Fragen zurück,2) denn er ist bange vor der contemptio Dei (29, 496), vor der usurpatio (28, 544), audacia (29, 495; 32, 383), temeritas (52, 113; 44, 370), vor der inebriatio mentis (48, 547), folie (54, 315), garrulitas (52, 313), periculositas (49, 180), vor der neglectio aedificationis (und also dem nur „ob~ jektiven", interesselosen, unexistentiellen Verhalten (52, 245), vor der „Natürlichkeit", d.h. „Fleischlichkeit", dem „psy- ') Die curiositas der Scholastici folgt derselben Manier wie die profana philosophia, sie wagt es, zu ludere, 52, 245; 49, 233: das ist ihre Sünde, erklart ihre „mataiologia", 52, 413 ; sie verlasst den Boden der H. Schrift und darnit den der „sagesse parfaite", 53, 25. Die curiositas ex otio (Kierkegaards Uninteressiertheit) nascitur, quae ipsa garrulitatis est mater, 52, 313 , scheint also ihrem Wesen nach eine inquisitio arcanorum zu sein, fangt auch oft datnit an, aber wird schliesslich ofFenbar als das Entgegengesetzte vom wirklichen Suchen und Fragen nach Gottes arcana (weil der „psychiko» anthropos" immer samt der communio, der er zugehört, einem Deteriorisierungsprozess unterworfen ist, Röm. 1., Calv. 52,313). Curiositas ist rerum novarum desiderium, 52, 425, cf. 55, 314: novi aliquid cupide appetere, novis arcams inhiare. Das otium ist also nicht oberflachlich ersichtlich, ist nur dem tiefen Wesen nach das Bestimmende dieses Verfahrens. Curiosi „experientur (Deum) fabricasse inferos curiosis", 52, 273. Vgl. noch: 44, 370; 45, 784; 49, 187, 55, 54; 55, 118; 46, 799; 54, 396. 2) Solche törichte, jedenfalls verbotene Fragen sind z. B. Zukunttstragen (eschatologische, soweit nicht deutlich erörtert i. d. Schr.), 49, 512/3 (zu 1. Kor. 13, 8); 45, 671 ; 45, 555; die Frage „en quelle sorte nous pourrons voir Dieu", 46, 799; weshalb Christus nicht eher in die Welt gekommen ist, oder andere Fragen nach den chronologischen Data der Schöpfungs- oder der Heilsgeschichte, soweit sie nicht erörtert sind, was zum Teil der rail ist, 54, 396; 52, 273; 55, 119; die Frage, ob Christus noch jetzt obnoxius sit nostris miseriis, 55, 54 (über die „sympatheia des erhöhten Christus, Hbr 4, 15); die Untersuchung nach dem locus paradisi, 45, 776; Pradestinationsbegründungsfragen, 33, 535; 49,187; Fragen der Begründung bestimmter Gebote, z. B. weshalb nicht nur Achan, sondern auch seine Kinder sterben mussten, 25, 479. chischen" (nicht wiedergeborenen) Charakter (50, 138; 49, 237), und der stultitia (48, 547), die in der curiositas, als angeborenem Trieb des nicht-glaubigen und darum immer metae-verletzenden „psychikos anthropos , in der curiositas, dieser „peste mortelle" (54, 315), gelegen sind. Andererseits fühlt dieser Glaubige — weil die Gnade die Natur nicht zunichte macht — noch immer diese natürliche curiositas in sich, subjektiv gesprochen („existentiell ). Und indem er sich zwischen zwei Gebieten von ErkenntnisInhalten findet, dem bereits geoffenbarten und dem noch auf Enthüllung wartenden, wird diese seine subjektive Neigung zur curiositas auch „geteizt durch das objektive, geschichtlich-prozessmassig sich ihm und der „Kirche in zunehmender Illumination zu verstehen gebende Offenbarungswort. So findet das oben erwahnte moderative ,,ne~ultramodum" seinen Platz. Die natürliche Neigung wird ja doch, sofern sie natürlich, d.h. „carnalis", nicht-wiedergeboren, ist, nicht getötet, sondern geheiligt, padagogisch-moderiert und gereinigt durch die Offenbarung selbst (50, 138), durch sie auch bezwungen in ihrer audacia (49, 237). Und es kommt positiv zu einer „wohltemperierten" inquisitio arcanorum iudiciorum Dei innerhatb der von Christus begonnenen und fortgesetzten „meta"-Verschiebung (in der Vergangenheit und heute, denn Er wirkt, gegenwartig, durch das Amt und durch den Geist, in seinen Schülern). So wird die Theologie und die christliche Philosophie vor der „mataiologia ' der Sophisten, sorbonici und scholastici bewahrt; eine eigene Theologie und Philosophie entwickelt sich, die die \A7ahrheit zu sagen vermag, und deren „Hohlraume" von oben gefüllt werden. Was negativ genannt wird : keine curiositas-ultra-modum, das heisst ja hier positiv: modestia, humilitas, docilitas. ) Das sacrificium intellectus wird hier gebracht, nicht aus Ueberzeugung, dass ') Wir sollen sein: humbles et modestes, 53, 18; 55, 83; 28, 546, petis et dociles, 28, 547; ohne „questions frivoles", 54, 396, erfüllt von sobrietê et reverence, 53, 92. „nur Hohlraum" bei dem zu diesem sacrificium Befahigten vorhanden ist, sondern in der ganz anderen Ueberzeugung, dass der Intellekt, wenn er auch im Prinzip wieder mit „Gütern" gesattigt ist, noch nicht zu den aussersten Grenzen der Erkenntnis hindurchdringen kann. Nicht hinsichtlich eines Hohlraums, sondern hinsichtlich der Nebel, die den Endpunkt der guten, von Gott gebahnten Erkenntniswege dem Auge noch entziehen, wird dies sacrificium gebracht (49, 237). Denn wir erkennen zum Teil (Paulus). 5. Damit ist dann zugleich der Charakter der Hybris bestimmt, wie Calvin diesen sieht. Barth sieht die Gefahr der Hybris da auftauchen, wo der Mensch „scrutari" will anstelle von „admirari". Calvin ist darin mit ihm einig (49, 187). Aber Hybris ist bei ihm Ungehorsam, ein NichtGebrauchen von Gottes Gnadengeschenken. Also ist sie nach ihm auch da, wo man sagt: „mitte arcana Dei , solch gottlose Sprache sprechen „idolatres (28, 543). Barth sieht einseitig die Hybris da, wo man die metae würde überschreiten wollen. Calvin stimmt damit überein (29, 495/6), aber er sieht sie auch da, wo man nicht, mit Christus, ihr Zurückweichen, ihr Zurückgedrangtwerden nach ihrem urkosmischen Platz begehrt oder sich nicht dessen „riihmt".(!) Denn die Gnade nicht zu gebrauchen, das ist Hybris. Nach Calvin müsste in diesem Punkt Hybris die Krankheit auch der dialektischen Theologie heissen. . , So bleibt nur eins übrig: das Verhalten der Hybris den metae gegenüber muss bei Calvin etwas vollstandig anderes sein, als das Verhalten der Hybris gegenüber der Todeslinie Barths. Im obigen haben wir ja doch von dem geschichtlichen Aspekt gesprochen, unter dem Calvin auch die „metae" und ihre Stellung sieht. Die metae haben ihre Geschichte, die Todeslinie „hat" nicht einmal eine Ur~ oder Endgeschichte, sondern wird von ihr nur bestimmt. Und schon deshalb ist Calvins Auffassung vollstandig anders. Auch hier tritt es zutage, dass Barths in Calvins Augen monströser Begriff der Urgeschichte als die Geschichte quaMzierender Bestimmungsmacht unbedingt Calvins Theologie gegen sich haben muss: bei ihm ist ja doch alles im Rahmen der histovia revelationis aufgebaut. Und die historia revelationis wird automatisch zu einer historia metarum. So würde Calvin es Hybris nennen, die Geschichte so herabzuwürdigen, wie Barth es getan hat und infolge davon wieder: die Todeslinie zu ent werf en. Vor der hohen Ehrerbietung, die Barth für Gottes maiestas hat und fordert, kann Calvin nicht anders als auch seinerseits Ehrerbietung haben. Aber weil Christus in die Welt kommt als Mittler und als Kyrios auch der „metae" (die Er durch qualitativ pleromatisierende und quantitativ vervollkommnende Erkenntnismitteilung setzt und versetzt) unser Erlöser ist und im geschichtlichen Prozess dies noch immer sein will (gegenwartig durch Wort und Geist), darum würde Calvin gegen Barths Geschichtsbegriff eben als Christologe und als Ofïenbarungsgeschichtler genau dieselbe Beschwerde einlegen, die er gegen die Fanatici seiner Zeit eingelegt hat, auch mit Hinblick auf ihre Herabwürdigung der Geschichte und ihr Verlegen der Aufmerksamkeit von der objektiven „Limes'-Frage nach der Stelle, wo Gott subjektiv das Individuum innerlich lehrt und illuminiert „im Hui . ) Und ') Ueber die Progression der Offenbarung : E. Doumergue, Jean Calvin, Tome IV, Lausanne, 1910, p. 74. — Siehe d. Briefwechsel v. Thomas Müntzer, hrsg. v. Böhmer-Kirn, 1931, passim; vgl. was schon erwahnt worden ist in bezug auf Seb. Franck (Herabschatzung d. Buchstabens, die Wahrheit besteht aus Wunderreden, inversus Silenus omnia; Gott der Welt Gegensatz; ein. blosses Jetzt für Gott; s. Paradoxa, ed. Lehmann, 50/1, Paradox no. 43: Gott tut und lehrt alle Dinge in einem Augenblick, S. 77; das Wort Gottes aus Deut. 30, cf. Röm. 2, 10 - das Bild Gottes, in uns ist das Wort, das B. Gottes. S. 138/9; Par. no. 120: das Objekt d. Schrift ist des Menschen Herz; no. 177: Christus, d. h. der Eifer um Gott, schlagt Christum tot; no. 238 : Glaube u. Wissen vertragen sich nicht miteinander). Vgl. den Roman von G. Hauptmann. Der Narr in Christo, Emanuel Quint, Berlin 1922. Ueber die Neutralitat der bekannten „Deutsch Theologey" gegen die Historie: H. Maier, Der Spiritualismus V. Weigels, 1926, 16; idem bei Weigel: G. Ellinger in Neudrucke deutscher Liter.no. 135—138, Halle a. S. 1895, S. XVI (heut unnd morgen, dasselb ist für sich selber nichts als die ungehorsame Kreatur); cf. im allgemeinen 20, Note, 34/5. Calvin, Institutio. I. Kap. IX; vgl. B. B. Warfleld, Calvin and Calvinism, New York, 1931, 80. Auch über die „fanatici" 32, 275. er würde zugleich darauf hinweisen, dass man die „modestia nur positiv erfüllt, wenn man alles, was Gott gegeben hat, für sich annimrrit, auch hinsichtlich des sukzessiven Zurückweichens der metae und im Aufheben jeglicher Todeslinie. Eine gewisse Art von „Todeslinie" sieht Calvin nur da, wo der Berg der Gesetzgebung, der Horeb des Alten Testaments, gegen jede Annaherung abgegrenzt worden war (Hebr. 12, 18—24). Aber sogar diese „Todeslinie" war nur symbolisch, gehorte zu den Schattenbildern des Alten Testamentes. Das Neue Testament kennt keine Todeslinie (ebenda). Ob damit „Furcht und Zittern" aufgehört haben? Nein; denn Calvin erfasst den tiefen Sinn der in Hebr. 12 unmittelbar auf die zitierte Stelle folgenden Worte : dass namlich die Spannung im Leben des „horenden" Menschen noch viel grösser geworden ist, als damals, als das Alte Testament seine „Todeslinie" zog. Jetzt, im Neuen Testament, hat sich ja doch — im Verlauf der Geschichte ! — der Ernst der Dinge noch vergrössert: das Alte Testament gab Orakel „auf Erden", aber jetzt gilt es, Ihn zu hören, der dn ovqo.vö>v ist (V. 25). Fürchterlich schon war am Horeb die Drohung der damaligen „Todeslinie". Aber spater — und Calvin erfasst dieses Motiv so prachtig — wird die Drohung noch umso starker, je grösser die Hybris wird: dass man namlich, wiewohl eine Todeslinie (um den Horeb) als Symbol Gottes maiestas verkündigt hatte, sich doch nicht von der maiestas, die dem Symbol seinen Sinn gab, leiten lassen will, auch wenn sie sich im Gesetz und (also auch) im Evangelium (nach Calvin) ') uns schenken und uns führen will langs des durch das Gesetz für das Evangelium bereiteten Weges. Die Hybris ist ja doch jetzt, dass man (man denke an Calvins oben erwahntes „otium ) die Spuren von Gottes maiestas aus seinem Leben wegdenken will, und dass man sich abwendet von dem, der sie mit evangelischer Absicht predigt, der die Grenzen zurücksetzt, und ') Denn das Gesetz steht züm Evangelium nicht in Gegensatz, sondern dient dem E. (Padogoge zu Chr.), vgl. Doumergue, a.a.O. der so das Feld des freien Verkehrs vergrössert im Fortschreiten vom Alten zum Neuen Testament (Hebr. 1, und 12,25, man beachte die Worte JiaQaaeïcrdm, dnoozQécpeoïïai). Von dem oben aufgezeigten Gesichtspunkt aus ist es nun weiter leicht zu verstehen, dass Calvin Hybris nicht in dem „Haben" der Wahrheit sieht, sondern in dem sich nicht „contenter" mit den gegebenen Offenbarungsinhalten. Calvins Protest gegen dieses Sich-nicht-contentieren wendet sich sowohl gegen den, der zu viel „haben will (35, 64), als gegen den, der Verzweiflung, „Paradox" und „Aergernis sensu stricto auf seinen Wegen als signa oboedientiae honoriert. Denn nut für die ficoQÓaocpoi ist die Wahrheit ficogta. ') Nicht für den Glauben, sondern „carni" „omnia Dei mysteria sunt paradoxa" (49, 49/50). Und getade im Empfinden der Wahrheit als Paradox beweist das Fleisch, d. h. die Sünde, die verdorbene Art,2) dass es „caro ist: tantum habet audaciae (man könnte hier sagen : Hybris) ij Concessio (!!!) est, quod evangelium stultitiam praedicationis vocat, quae in speciem talis censetur istis 'morosophois', qui falsa confidentia ebrii nihil verentur sacrosanctam Dei veritatem insipidae suae censurae subiicere (49, 327). An diesem einen Wort „concessio" scheitert schon die Behauptung von der Calvin-Renaissance in der dialektischen Theologie. Es weist auch die Gefahr auf, die darin liegt, dass man mit H. Bauke, Die Probl. d. Theol. Calvins. Leipzig, 1922, 16. ff., Calvins Bleiben in dem „juste milieu" (als Theol. der „Diagonalen ) charakterisieren sollte als eine „complexio oppositorum" als Wesenszug seiner Theologie. — Siehe auch Calvins Erl. zu 1. Petr. 2. 8 (55, 239) über den „modus quo in offendiculum Christus cadit: nempe dum se pervivaciter opponunt homines verbo Dei (Iudaei, Papistae, nicht aber.... Calvin), cf. 55, 237/8. Vgl. 45, 357/8, 33. 63; 46, 481; 55. 457; 49, 514/5; 28, 546 ; 28, 576/7 ; 26, 247/8; 48, 547. 2) Ueber die Bedeutung von „caro" bei Calvin bekommt man das rechte Licht, wenn man ihn liest, z. B. an diesen Stellen: 49, 348 (caro, hoe est naturalis vitiositas); 47, 193; 47, 56/7; 31, 200; 52, 113; 51, 208; 52, 113; 52. 105; 52. 44; 51, 22; 51, 39; 49, 329/30; passim. Nygren, Eros u. Agape, I, Gütersloh, 1930, stellt also einen falschen Gegensatz zwischen Aristoteles (der Weise am meisten v. d. Gottheit geliebt) u. Paulus (die Weisen zuschande gemacht, 1. Kor. 1, 27). Denn hier ist das Element der caro vergessen. Lleber die Vernunft als „siindig bei Brunner, Giesecke, Die Aufg. d. Phil. nach d. dial. Theol., Gütersloh, 1930, 21 ;. vgl. dem gegenüber die uns fast frivol anmutende Bemerkung Calvins, dass die „mens" „pars maxime intacta esse videtur ab omni vitio (51. 208, zu Eph. 4, 24). Vgl. 45, 357/8. ut contra insurgere non dubitet: et quae non assequitur, petulanter' insectari (ib.). Hybris, das ist nicht die theologia gloriae, die sich des „Habens" und „Wissens" der Wahrheit als Gottes Gnadenqabe rühmt, sondern die, die nicht „proprio sensu vacua" sein will (ib.). Aber als „sensu vacua" Seiende ware sie gleichfalls audax gegen Gott. Wer jedoch proprio sensu vacuus zu sein wagt, und den "Willen hat („velimus ) „eorum (sc. mysteriorum Dei) fieri capax" (49, 50), der muss sich „in obedientiam verbi" totum tradere et addicere (ib.). Das ist der Weg, auf dem finitum (durch Erlösung) capax infiniti wird; vorausgesetzt, dass man hier nur jedes Wort nach seinem Zusammenhang liest und interpretiert. ') ') Ueber die „Hybris" z. B. 35, 64 (inventio in bezug auf Dei arcana). 52. 425: quia tam delicatae multis erant aures. ut illis despectui esset evangelii simplicitas; quod sic pruriebant rerum novarum desiderio (vgl. was oben bemerkt worden ist über die curiositas), ut aedificationi nullus fere locus foret: eiusmodi hominum superbiam retundit, et severe denuntiat ut ab omni sanae et utilis doctrinae contemptu desistant. Vgl. 49, 237. § 5. Sonstigcs. Obwohl sich noch viel mehr sagen liesse, schliessen wir hiemit unsere Untersuchung ab. Das Gesagte zeigt u. E. ein prinzipielles Auseinandergehen von Barth und Calvin. Nur einige kurze Bemerkungen erlauben wir uns zum Abschluss. a) Oben sprachen wir bereits (Kap. III) über den Begriff der inexcusabilitas der Menschen. Auch Calvin kennt diesen Begriff und stützt ihn mit einer Berufung auf die (wenn auch graduell verschiedene) perspicuitas aller Offenbarung. Schon die Natur bewirkt admiratio und tenuem divinitatis gustum qui nos inexcusabiles reddat (man achte auf den Konjunktiv!). Wo dann ausserdem das Wort Gottes dazu kommt, wird die inexcusabilitas noch verstarkt, weil Gott „si facile s'est rendu a nous". ') „Caecitas" ist denn auch nach dem Auftreten des Wortes „voluntaria" (47, 226, vgl. 47, 295: Dei gratia non utuntur, lumen quantum in se est extinguunt). b) Die Barthsche „Kirche Esaus", die (spater moderierte, aber nie prinzipiell widerrufene) Herabwürdigung von Kirche und Lehramt ist bei Calvin unbekannt. Die Kirche ist gardienne de la vevité de Dieu, (29, 150)2). Denn Heilige Schrift und Wort Gottes sind zwar sowohl qualitativ als quantitativ unterschieden, aber nicht geschieden.3) Die Kirche als Trager 1) 26, 387; 49, 327. 2) .... afin .... que nous ayons tousiours ceste clarté au milieu de nous: que nous cognoissons, d'autant qu'il y a predication, que la voix de Dieu retentit en nos oreilles a.a.O.; cf. 53. 307/8; Exegese zu Ps. 29. 3) 29, 495; vgl. G. P. v. Itterzon, Het Geref. Leerboek der 17e eeuw (Synopsis), Den Haag. 1931, 4/5; Evangelical Quarterly, July 1932; K. Barth, Ref. Lehre, Zw. d. Z., 1924, V, 21/2. der Schrift steht nicht auf derselben Linie wie die machtlosen Lehrschulen dieses „Aeon", sondern überwindet diese, meint Calvin. ') , „ , c) In Kap. III war die Rede von Kierkegaard-Barths Meinung, dass Gott nicht Objekt heissen dürfe. Auch Calvin weiss etwas derartiges zu sagen, aber er sieht nur dann Unrecht darin, dass man Gott zum „obiectum fidei macht, wenn man es extra Christum tut. Damit ist gegen Kierkegaards und Barths einseitige Betonung von Gott als Subjekt Stellung genommen.2) Perpetua haesitatio (Verzweiflung, Nicht-Haben, Negieren) ist „diabolicum sophistarum dogma ^ Wurzeln dieses Unterschieds zwischen Barth-Kierkegaard und Calvin liegen schliesslich in einer anderen Anthropologie, einer anderen Hamartiologie, einer anderen Geschichtsauffassung und, als Wurzel von diesem allem, in einer anderen Lehre vom Verhaltnis zwischen Gott und Mensch. Die (pvoig hat bei der dialektischen Theologie keinen geschichtlich determinierbaren Durchbruchs-Moment erlebt; Schöpfung und Sünde sind bei ihr (spater) zwar unterschieden worden, aber nicht geschieden und werden praktisch noch oft verbunden, identifiziert. Calvin jedocn erkennt die Sünde als pvivatio boni; die Erlösung ist darum bei ihm eine restitutio in integrum creationis. Und zugleich ihre Bereicherung, weil nun die Gnade auftrat, als noch grösseres opus exeuns Dei als es die Schöpfung selbst bereits war. So weiss Calvin Pauli imperfectum zu verstehen, wenn dieser sagt, dass die Christen (pvoei waren : Kinder des Fleisches, dass sie aber durch die Gnade nun in das praesens gesetzt sind eines neuen Stetigkeits-Lebens auch intellektuellen und verstandesmassigen Gehorsams, wenn ~~ï) 3U~289; 35, 341/2; 49, 327. . 2) Tritum est illud scholarum axioma, Deum esse obiectum fidei. lta d abscondita eius maiestate. praeterito Christo, prolixe et argute philosophantur: sed quo successu ? Miris deliriis se intrincant, ut nulhxs sit errandi flms .... Meminerimus non frustra Christum vocari invisibilis Dei imaginem. : sed ideo hoe nomen illi est impositum, quia Deus nisi in ïpso cognosci nolit, 55, 2.2b. 3) 49, 342. dieser denn auch noch auf seine Vervollkommnung wartet. Die Geschichte ist nicht nur das Theatron, sondern auch die Arbeitsstatte der magnalia Dei. Und Er selbst hat nicht das Band zwischen sich und seinem Kosmos zerschnitten. Das Zerschneiden dieses Bandes ist von seiten der Sünde versucht worden, aber schliesslich von Gott nicht zugelassen. Darum steht oder fallt nach Calvin die Welt mit dem principium identitatis und dem Satz des Widerspruchs: sollte Gott der Gesetzgeber, seine Gesetze selbst brechen? Wie aus dem restaurierten Bild Gottes (in den Wiedergeborenen) die Komponenten des ursprünglich in der Schöpfang gegebenen Bildes Gottes wieder zu erkennen und abzulesen sind, und wie Calvin also in dieser theologischen Methode der Rekonstruktion der Schöpfungsgegebenheiten aus den Neuschöpfungsgegebenheiten als seine theologische Ueberzeugung ausspricht, die Erlösung stelle die Schöpfungsordnungen wieder her, so ist, nach ihm, auch darin die Erlösung nur wirklich Erlösung, dass sie die Denkgesetze als ursprüngliche Schöpfungsgesetze aufrecht erhalt. ') „Unglaube" ist nach der dialektischen Theologie immer „Missverstehen.2) Calvin jedoch weiss, dass der Erzfeind, der Satan, trotzdem nicht „missversteht". Er nimmt nur nicht an (ov dé%exai, 1. Kor. 2), was Gott gesagt hat. Die dogmatische These von der perspicuitas der Offenbarung, samt der Leugnung einer Durchbrechung der Denkgesetze, beherrschen Calvins Denken, auch in diesen Fragen. In der Linie seines Denkens liegt die These, dass das principium identitatis, der Satz des Widerspruchs und das principium exclusi tertii ein principium exclusae antinomiae (stricto sensu dann natürlich) involvieven. Gott einen antirationellen (Brunner) Offenbarungsakt zuzuschreiben, der die Denkgesetze durchbricht (Haitjema), das hiesse, nach Calvin, Gott der Sünde, der Schandung seiner eigenen ') H. Dooyeweerd, Antirev. Staatkunde, Kampen (Zeitschr.,) passim. D. H. Th. Vollenhoven, De Noodzakelijkheid eener chr. Logica, Amsterdam, 1932, 86. ff. 2) Brunner, Art. über Anknüpfungspunkt (vgl. hier III, § 8), S. 510. Schilder Gesetze bezichtigen. Nicht seine Denkgesetze, sondern unsere Denkstinden bricht Gott durch die Offenbarung. Das ist Calvinisch. Sein Kampf gegen die Spiritualisten beweist das. e) Wer Calvin kennt, ist denn auch fest davon überzeugt, dass er sich einen eventuellen Vorwurf, durch seine Projizierung der Heilstatsachen auf die Ebene der zeitlichen Geschichte taste er den „Entscheidungschavakter" der Offenbarung an, nicht zu Herzen nehmen würde. Brunner hat einmal') das Dilemma so gestellt (gegenüber der idealistischen Geschichtsphilosophie): ent we der Entfaltung oder Entscheidung. Calvin, wenn auch allem Evolutionismus abgeneigt, ist wohl mit einer Evolution auf der Basis von creatio und revelatio ein ver standen. Darum würde seine scharfe Feder sich auch gegen Brunners These wenden, dass das Alte Testament den vollendeten christlichen Geschichtsbegriff (noch) nicht kenne.2) Obgleich ja doch das Alte Testament auch bei Calvin hinter dem Neuen in graduellem Sinn zurücksteht, hat es doch dieselbe Geschichtsauffassung wie das Neue, weil es sonst — nicht geschrieben sein könnte, nicht voll von Christus sein könnte, nicht die Propheten zu Seinen Herolden machen könnte, die mit ihm auf einer Linie stehen, wiewohl sie alle ihm subordiniert und von Ihm als Gott abhangig sind. Brunner^ ist zwar gezwungen, seine soeben genannte „Auffassung zu verteidigen, um so Christus als „das Einmalige sehen lassen zu können, und so die absolute Entscheidung an „das Einmalige" in Christus zu binden. Aber Calvin urteilt, dass alles „einmalig" ist und dass, weil Christus als Logos asarkos (und spater auch als ensarkos) allezeit gegenwartig war, und ist, und sein wird, eine „Entscheidung dadurch in allen geschichtlichen Momenten liegt. Das Wort selbst entscheidet und Christus als Logos asarkos und ensarkos ist mit sich und dem Wort verbunden.3) ') Der Mittler, 1927, S. 273. 2\ a.a.O. 3) Demgegenüber Barth, Das Wort Gottes u. d. Theol.. 1925, 206; Kierkegaard, Abs. unw. N., ed. Jena, II, 48, vgl. Einübung 111. f) Auf die von uns gestellte Frage, ob man von seiten der Theologie des Paradoxons tatsachlich „mit Calvin gesat" habe, antworten wir denn auch mit einem entschiedenen Nein. Wenngleich auch der heutige Calvinist mit Dankbarkeit würde anerkennen wollen, dass die dialektische Theologie gegenüber vielerlei falscher Ruhe und Selbstsicherheit einer für jeden Reformationsdrang verlorenen Theologie auf machtige und prophetische Weise wieder notwendige Wahrheiten hat hören lassen, so kann er doch um der Wahrheit willen nicht verschweigen, dass sie als System (sofern sie diesen Namen würde haben wollen und haben können) es nicht nur an der prachtigen Einheitlichkeit fehlen lasst, die Calvins Zeugnis so machtig gemacht hat, sondern sich auch gegen die Reformation selbst gewendet hat. Die Meinung, eine Lehre, die keinen Standpunkt hat, sondern einzig einen „mathematischen Punkt, auf dem man also nicht stehen kann" ') sei calvinisch, reformatorisch, ist einer der schweren Irrtümer des 20. Jahrhunderts gewesen. Car Dieu nous certifie que nous trouverons en sa parolle droite intelligence de ce qui nous sera expedient pour nostre salut. Pensons-nous que nostre Dieu nous vueille frustrer 1.... Quand donc Dieu nous donne sa cognoissance, sachons qu'il ne veut point qu'un tel thresor soit perdu, ne qu'il perisse: mais que nous le recevions pour en faire nostre profit (28, 573). ') Zw. d. Z., Heft I, 1923, S. 3. Lebenslauf. Der Verfasser dieser Dissertation, Klaas Schilder, wurde am 19. Dezember 1890 als Kind der Eheleute Johannes Schilder und Grietje, geb. Leydekker zu Kampen in den Niederlanden geboren. Getauft in der „Hervormde Kerk", wurde er einige Jahre nach seiner Geburt als „dooplid" der „Gereformeerde Kerk" zu Kampen eingetragen. Er besuchte das „Gereformeerd Gymnasium" in Kampen und wurde nach dem an diesem Gymnasium abgelegten Abschlussexamen (19. Juni 1909) als Student der Theologie eingeschrieben an der in Kampen befindlichen Hochschule, die offiziell als „De Theologische School van de Gereformeerde Kerken in Nederland" bekannt ist. Hier folgte er wahrend acht Semester dem Unterricht der Professoren L. Lindeboom, M. Noordtzij, Dr. A. G. Honig, Dr. H. Bouwman, Dr. J. Ridderbos, Dr. T. Hoekstra, und der Lektoren Dr. J. J. Esser und Dr. A. Noordtzij, spater Professor der Theologie an der Reichsuniversitat zu Utrecht. Die Einschreibung geschah am 17. Sept. 1909. An dieser Hochschule legte er das propaedeutische Examen am 24. Juni 1910ab, denersten Teil des Kandidatenexamens am 11. Okt. 1912 und den zwei ten Teil des Kandidatenexamens, das den Grad des cand. theol. verleiht, am 23. Jan. 1914, mit Note 1. Nach Absolvierung zweier kirchlicher Examina, dem „praeparatoir" und dem „peremptoir examen", wurde er Pfarrer an der „Gereformeerde Kerk zu Ambt-Vollenhove A, am 21. Juni 1914, nach seiner Verheiratung mit Anna Johanna Walter. In der Folge war er Pfarrer in den „Gereformeerde Kerken" zu Vlaardingen, Gorinchem, Delft, Oegstgeest, und seit 27. Juni 1928 zu Rotterdam-Delfshaven. Wahrend seiner Amtszeit dort wurde ihm Studienurlaub verliehen, den er dazu benützte um wahrend dreier Semester an der Bayr. Universitat Erlangen die Vorlesungen von Prof. Dr. E. Herrigel, Geh. Rat Prof. D. Dr. O. Stahlin und Geh. Rat Prof. Dr. J. Heil zu besuchen und zwar wahrend des S. Semesters 1930 und des W. Sem. 1930/31 als Studierender der philos. Fakultat und wahrend des S.S. 1932 als Gasthörer. Ausserdem folgte er in der theol. Fakultat noch Vorlesungen von Prof. D. Dr. W. Vollrath. Wahrend seiner Amtszeit als Pfarrer hat er verschiedene kirchliche Organe redigiert (Vlaardingsche, Gorcumsche, Delftsche, Leidsche, Delfshavensche Kerkbode) und betatigte sich viele Jahre lang wöchentlich in dem offiziellen Blatt der Kamper Theologischen Hochschule De Bazuin als Mitarbeiter, und zugleich, zuerst als Mitarbeiter, spa ter als Redakteur, in dem „Weekblad tot Ontwikkeling van het Gereformeerde Leven": De Reformatie. Ausser diesen Pressearbeiten erschienen von ihm folgende Werke: „DARBISTEN", Christelijke Brochurenreeks Ons Arsenaal, le serie, no 3 en 4, Zutphen, J. B. v. d. Brink & Co., s.a., 40 Seiten. „TEGENSTRIJDIGHEDEN IN DEN BIJBEL?", Chr. Brochurenreeks, Ons Arsenaal, 2e serie, no 3, 4 en 5, Zutphen, J. B. v. d. Brink & Co., s.a., 65 S. WAT IS DE HEL?, J. H. Kok, Kampen, 1920, 106 Seiten. (le Auflage 1919, 2e vermehrte Auflage 1920, dritte, revidierte u. vermehrte Auflage, 1932, 257 S.). CHRISTUS' BEWUSTE KEUZE VAN DEN DRINKBEKER DES DOODS. Predigt über Mare. 15 : 23.—26 in Menigerlei Genade, Wekelijksche leerredenen onder redactie van Dr J. C. de Moor en Dr B. Wielenga; J. H. Kok te Kampen. 9e Jahrgang, no 46. DE ONDERGANG VAN DEN ANTICHRIST in Gereformeerd Theol. Tijdschrift, Drukkerij Oranje Nassau, R. K. v. d. Berg, Baarn, 21e Jahrgang, no 1 u. 2, Mai und Juni 1920, S. 26—39 und 73-83. DE WIJZEN VAN HET OOSTEN EN HET WOORD VAN GOD, Predigt über Matt. 2 : 1, 2, 5, 11 (midden), Menigerlei Genade. 10e Jahrgang, no 35. HET TEEKEN BIJ DEN TERUGKEER DER ARK, Predigt über 1 Sam. 6 : 10, 12, Menigerlei Genade, 11e Jahrgang, no 12. KOP OF STAART?, Vortrag, gehalten in der 34. Allgemeinen Tagung des „Nederl. Bond van Jongelingsvereenigingen op Geref. Grondslag" am 25en Mai 1922; in: „De Haarlemsche Bondsdag" 1922, Bondsbureau Amersfoort, S. 36—50. HET TWEEDE PINKSTERTEEKEN, Pfingstpredigt über Ap. Gesch. 2 : 3, Menigerlei Genade, 12e Jahrgang, no 6. DE HEERLIJKHEID VAN DE TOEKOMSTIGE BEWEGING ALLER DINGEN, Abschiedspredigt über Hebr. 12 : 26, 27, gehalten zu Gorinchem 24. Sept. 1922; Drukkerij „De Drie Provinciën", Gorinchem; 16 Seiten. PINKSTERFEEST EN WERELDGERICHT, Pflngstpredigt über Ap. Gesch. 2 : 16—19, Menigerlei Genade, 13e Jahrgang, no 4. KERKTAAL EN LEVEN, U.M. „Holland", Amsterdam, 1923,173 S. LICHT IN DEN ROOK, Boekhandel en drukkerij W. D. Meinema Delft, le Auflage 1923, 2e Auflage 1925, 269 S. VRIJMETSELARIJ, Chr. Brochurenreeks Ons Arsenaal; 4e serie, no 5, 6, 7, 8, Zutphen, J. B. v. d. Brink & Co; s.a., 85 S. BIJDRAGE IN: ONZE VERHOUDING TOT HET TOONEEL, Sondernummer von Opgang, ,,Chr. Tijdschrift voor Kunst en Letteren", 8e Jahrgang, no. 3 A, Juni 1924, S. 69—80. CHRISTUS VERZOCHT OM DEN TEMPEL, Bediening des Woords over Matt. 4 : 5, 6, 7 in; Ter gedachtenis aan het in-gebmik-nemen der Westerkerk, derde kerkgebouw der Geref. Kerk van Delft op 13 Nov. 1924. Boekhandel en Drukkerij „Vado", Delft, S. 13-38. DE OPENBARING VAN JOHANNES EN HET SOCIALE LEVEN, Boekhandel en Drukkerij W. D. Meinema, Delft, le Auflage, 1924, 2e vermehrte Auflage 1925, 278 S. DE AANSCHOUWING in: Kerstboek 1924, samengesteld onder redactie van P. J. Risseeuw, Nijkerk, G. F. Callenbach, S. 1-19. HET EVANGELIE DEN DOODEN GEPREDIKT, Predigt über 1. Petr. 4 : 6, Menigerlei Genade, 14e Jahrgang, no. 53. GEREFORMEERD FARIZEÏSME? Zijn de Gereformeerden de Farizeeërs van dezen tijd ? Boekhandel en Drukkerij W. D. Meinema, Delft, 1925, 62 S. Dr A. KUYPER EN HET „NEO-CALVINISME" TE APELDOORN VEROORDEELD? (De Rectorale rede van Docent J. J. v. d. Schuit), Boekhandel en Drukkerij W. D. Meinema. 1925, 49. S. EROS OF CHRISTUS in: Christelijke Letterkundige Studiën, ver- zameld door M. J. Leendertse en Dr C. Tazelaar, S. 130—218, U. M. „Holland", Amsterdam, 1926. VALSCHE ROEM BESCHAAMD, Predigt über Amos 9 : 7, 8a, Menigerlei Genade, 16e Jahrgang, no. 22. GOUD, WIEROOK EN MYRRHE, Bijbelsch Dagboek, Boekhandel en Drukkerij W. D. Meinema, Delft, s.a., aflevering 1, 2 en 3. OVER THEORIE EN PRACTIJK IN DE PREDIKANTSOPLEIDING, in: Jaarboek voor het Protestantsch theol. onderwijs, 1927, bei J. B. Wolters U.M., Groningen, den Haag, S. 15-36. CHRISTUS' GEEST MET SATAN STRIJDEND TE PHILIPPI, Predigt über Ap. Gesch. 16 : 16—18, Menigerlei Genade, 17e Jahrgang, no 7. BIJ DICHTERS EN SCHRIFTGELEERDEN, gesammelte Aufsatze, U.M. „Holland" te Amsterdam im Jahr 1927, 426 S. Inhalt: De dichter en de Schriftgeleerde. — Religieuze of aesthetische ontroering. — De Paradox in de Religie. — De Boeddhistische Christus. — Mefisto of Satan. — „Wij wilden Jezus wel zien". — Onze Psalmberijming. — Anthropomorphe prediking. — Apocriefe Kerstgedachten. — Over FranciscusVereering. KERSTFEESTVIERING EN HEILSHISTORIE, in: Op den Uitkijk, tijdschrift voor het Chr. gezin, U.M. Gebr. Zomer & Keuning, Wageningen, 4e Jahrgang, Weihnachtsnummer 1927, S. 253—256. Prof. Dr H. BOUWMAN 1903—1928, in: Almanak van het Studentencorps „Fides Quaerit Intellectum" für das Jahr 1929. EEN HOORNSTOOT TEGEN ASSEN ? (Antwoord op een „Conscientiekreet"), J. H. Kok, Kampen, 1928, 62 S. TUSSCHEN „JA" EN „NEEN", Gesammelte Aufsatze, J. H. Kok N.V. Uitgevers-maatschappij, Kampen, 1929. 429 S. Inhalt: Het Satanische, spel of ernst? — Openbaringsnamen voor Satan. — Over den naieven Christenmensch. — Over ware en valsche mystiek. •— Calvijn over de geloofsparadox. — „Alsof" of „Nochtans". — „In de crisis?" — Van twee zonen. (Een gelijkenis). — Iets over prediker contra psychoanalyticus. CHRISTUS IN ZIJN LIJDEN, Overwegingen van het lijdensevangelie: Boek I: Christus aan den ingang van Zijn lijden, 464 S. Boek II.: Christus in den doorgang van Zijn lijden, 530 S. Boek III: Christus bij den uitgang van Zijn lijden, 542 S. J. H. Kok, N.V. Uitgevers-Mij. Kampen, 1930. AFBOUW, Een woord inzake de praktische erkenning van het promotierecht der Theologische School te Kampen, J. H. Kok, N.V. Kampen, Juni 1930, 78 S. OVER HET „SKANDALON", in Geref. Theot. Tijdschr., Drukkerij „de Graafschap", Aalten, 32e Jahrgang, Heft 2 u. 3, Mai, Juni 1931, S. 48—67 ; 97-112. CHRISTUS, ZIJN LAATSTGEROEPEN APOSTEL VERDRUKKEND, Predigt über 2. Kor. 12 : 7 b in Menigerlei Genade, 21e Jahrg. No. 21. JEZUS CHRISTUS EN HET CULTUURLEVEN, in: Jezus Christus en het menschenleven, S. 225—285, De Pauw, Culemborg. Zu besonderem Dank verpflichtet fühlt er sich zuerst dem Andenken seiner Mutter, die, seit 18. Dez. 1896 Witwe, trotz schwieriger ökonomischer Verhaltnisse ihm den Weg zum Studium geebnet hat, dann den Professoren und Lektoren der Hochschule zu Kampen, den obengenannten Professoren der Friedrich-Alexander-Universitat zu Erlangen, besonders seinem Promotor, Herrn Prof. Dr. E. Herrigel, der ihm stets mit dem grössten Wohlwollen entgegengekommen ist, Herrn Oberstudienrat Prof. W. Koller und Fraulein E. Koller, Erlangen und Herrn cand. theol. Joh. den Ouden, Nordhorn i. Hann., die ihm bei der Uebersetzung seiner Dissertation behilflich waren, den Herren Bibliothekaren von Erlangen, Berlin, München, Kampen, Leiden, Amsterdam (Vrije Universiteit), dem Verleger dieses Buches Herrn J. H. Kok in Kampen, und dem „Kerkeraad" der „Gereformeerde Kerk van Rotterdam-Delfshaven", der ihm durch wiederholten Studienurlaub die Gelegenheit bot, seine akademischen Studiën an der Erlanger Universitat abzuschliessen. Ueber alles dankt er dem Gott seines Lebens. 1