der Kaiser Boten an seinen Sohn Philipp gesandt. (Sechs Wochen fuhren sie von Brüssel nach Madrid.) Der Kaiser fragte seinen Sohn: Willst du Marie heiraten und England gewinnen ? Ich bin dein gehorsamer Sohn!, hatte Philipp erwidert. (Sechs Wochen fuhren die Boten zurück, von Madrid bis Brüssel.) Inzwischen hatte der Gesandte des Kaisers die Königin von England beraten. Der Kaiser mahnte die Königin, zu heiraten. Die Ehe werde sie starken im Kampf für die katholische Kirche, gegen alle Ketzer in England. „Wen soll ich heiraten?" hatte Marie gefragt. Renard nannte alle Prinzen Europas. Marie war heikel. „Wer unter uns ist ohne Makel?" fragte Renard mit Milde und nannte Philipps Namen. Marie begann zu lachen. Der Kaiser schrieb: ,Am liebsten hatte ich Dich genommen. Ach, ich wanke aber schon zum Grabe. Darum nimm meinen Sohn Philipp!' Marie zögerte. Renard verteilte indes das Gold des Kaisers. Alle Minister Maries nahmen, alle protestierten gegen den Bund mit Spanien. Er bedeute den Krieg mit Frankreich, ja den Krieg gegen die eigenen Untertanen, die spanische Inquisition. Die Englander hassten die Spanier. Der französische Gesandte, Graf Noailles, dang Empörer und verhandelte heimlich mit dem Fraulein Elisabeth, der Stiefschwester Maries. Das Volk von London murrte. Das Parlament richtete eine Petition an Marie. Rebellen standen auf. Marie hatte sie dreimal geschlagen. Nun stand die vierte, schrecklichste Rebellion vor den Toren der City. Wollte Marie jetzt, mitten in der Gefahr, ihre endgültige Antwort an Philipp geben, ihr Ja oder ihr Nein? Verachtete sie die ganzen Rebellen oder suchte sie rechtzeitig Schützer vor ihnen? Endlich beschloss Marie ihr Gebet und stand auf. Achzend und flink erhob sich Renard von den Knien. „Was darf ich also dem Kaiser schreiben?" fragte er kühn. „Ich könnte Philipp nehmen!" antwortete Marie und flüsterte: „Die ganze Nacht lag ich auf Knien. Ich erklarte Gott alles und fragte ihn: Soll ich Philipp heiraten?" „Und antwortete Gott Eurer Majestat?" fragte Renard. Marie hob eine brennende Kerze und beleuchtete ihr Gesicht im Spiegel. „Hat Philipp sich bedacht?" fragte sie. „Schrieben Sie ihm alles? Sehen Sie!" Sie wies auf ihr Gesicht im Spiegel. Dann führte sie den Gesandten zu ihrem Bett und zog einen Vorhang und wies auf ein Gemalde, das sie mit der Kerze erhellte. Renard erkannte das Portrat des Infanten Philipp. Tizian hatte ihn gemalt. Marie rief: „Um elf Jahre ist er jünger! Was habe ich in elf Jahren erlebt! Kennen Sie mein Leben ? Meine Mutter lag zwanzig Jahre im Bett meines Vaters, bis er merkte, sein Gewissen verbiete ihm, mit ihr zu schlafen. Zwanzig Jahre schlief sein Gewissen. Auf einem Maskenball erwachte es, in den Armen der Anna Boleyn, einer Magd meiner Mutter. Mein Vater verstiess meine Mutter, die Katharina von Aragon, um eine Anna Boleyn zu heiraten! Die Diener Gottes, die aufstanden gegen das Unrecht, köpfte er. Die Güter der römischen Kirche, die ihn tadelte, verteilte er an Ketzer und fiel ab vom Heiligen Vater. Und mich zwang er, bei Strafe des Hungertodes, zu schwören, dass meiner Eltern Ehe Blutschande und ich ein Bastard ware! Für hundert Pfund Rente im Jahr musste ich schliesslich den katholischen Glauben abschwören. Ja, um mich vor Verfolgung und Angeberei zu schützen, musste ich ein ketzerisches Buch des Erasmus von Rotterdam in unser frommes Englisch übersetzen, ich habe es spater verbrannt. So ward ich reif für die Krone Englands. Gabe mir Gott elf Jahre zurück! So hübsch war ich vor elf Jahren! Um elf Jahre ist er jünger? Und ist er leidenschaftlich? Das will ich nicht. Sie sagen, er ist ein Witwer, mit einem Kind von acht Jahren? Ein gewisser Ruy Gomez, sein Günstling, soll in Lissabon als sein Werber auftreten. Um wen wirbt also der Infant von Spanien?" Auf den geschminkten Wangen Maries brannten zwei Flecken, röter als das gemalte Rot. „Nie kannte ich diesen Schmerz, den man Liebe heisst!" rief sie. „Will Philipp wollüstig sein? Die Arzte verordnen mir Purgationen und Aderlasse. Ich stehe mit der Sonne auf und nehme mein erstes Mahl zwei Stunden nach Mit- tag! Ich muss massig leben! Und so will Ihr Prinz mich lieben?" Der Gesandte schwieg bestürzt. Die Königin sah ihn scharf an. „Was schrieben Sie dem Priiizen?" fragte sie. „Ich bin sanft. Ich schlage die Laute. Ich spreche Latein. Schrieben Sie auch das? Und ich bin fromm. Lieber verlöre ich zehn Kronen als mein Gewissen!" Ein Kanonenschuss hallte dumpf wie ein Zeugnis des Himmels. Renard lauschte gespannt. Er bemühte sich, Maries Absichten zu durchschaun, und freute sich am schonen Spiel. Er glaubte ihr nichts, auch die Wahrheiten nicht, die sie unter ihre Lügen mischte. Renard liebte die grosse Politik wie das Kartenspiel. So trieb er sie auch. Er war ein Falschspieler. Den Betrug hielt er für ein Verdienst, weil er ihn im Auftrag übte. Sein Kaiser hiess ihn Völker betrügen, Minister bestechen, Revolutionen finanzieren und Kriege machen. Er machte alles. Das war seine Pflicht. Sie war ihm süss. Er war ein Moralist, auf seine Weise. Er war unbestechlich. Nun erlebte er die Stunde des Triumphes. Fast hatte er sich applaudiert! Was für eine Komödie!, dachte er. Marie sagte: „Noailles drohte mir mit dem Krieg. Der Kaiser, sagte er, herrscht schon in Deutschland, Italien, Spanien und den Niederlanden; Frankreich kann nicht dulden, dass er auch in England herrsche, erklarte Noailles. Aber ich weiss, dass er dem Rebellen Thomas Wyatt fünftausend Dukaten gezahlt hat. Man sollte Gesandte köpfen dürfen!" „Noailles geht zu weit!" gab Renard betroffen zu. Marie erklarte drohend: „Ich liebe mein Gewissen mehr als einen Gatten!" Renard blinzelte. Wem galt die Drohung? Dem französischen Gesandten — oder ihm? Er sagte beschwichtigend: „Das Gewissen lenkt die Könige." „Unsinn!" schrie Marie, und Lady Clarence lachte aus vollem Halse. Renard bemerkte ohne aussern Zusammenhang, die spanischen Niederlande seien der beste Wollmarkt Englands. „Wie?" rief Marie. „Heirate ich wegen der Industrie? Ich empfinde für Philipp eine fromme Liebe." Sie wies auf das Gemalde Tizians. „Ist es überhaupt ahnlich?" „Philipp ist schoner!" erklarte Renard mit Überzeugung. Er kannte ihn nur von Bildern. „Die Schandbuben!" rief Marie plötzlich. Renard erschrak. Sie erklarte: „Ich meine die Englander. Mit jedem König wechseln sie den Glauben. Sie treiben Schacher mit der Religion. Ist Philipp sinnlich?" Renard war unschlüssig. Was wollte die Königin hören? Marie war aufgebracht. „Kennt mich mein Volk nicht besser? Gegen wen rebellieren sie? Ich bin eine Tudor!" Sie fixierte Renard im Spiegel und flüsterte: „Jane Grey ist tot. Sie ist gerichtet!" „Endlich", sagte Renard. „Und das Fraulein Elisabeth? Sie ist die neue Pratendentin der Protestanten. Schon viermal haben sich Englander für sie erhoben!" Marie öffnete die Augen weit wie im Schrecken. Sie fragte: „Will der Sohn des Kaisers ihren Tod? Soll ich alle Töchter des Hauses Tudor ausrotten? Nach Jane Grey Elisabeth Tudor?" „Sie ist die Erbin von England und die Zweite am Thron", sagte Renard. „Das ist gefahrlich." „Es gibt so viele Erben", erwiderte Marie trocken. „Sitzt nicht auch in Paris die kleine Königin der Schotten, Maria Stuart, die Braut des Dauphin von Frankreich, und heisst sich Königin von England? Kann ich alle köpfen?" Renard machte eine wütende Miene und gleichzeitig ergebene Gebarden. Lady Clarence sah es und fing laut zu lachen an. Böse schaute Marie ihrer Hofdame zu. Plötzlich gefiel ihr dieses fröhliche Gelachter nicht mehr. Lady Clarence gewahrte den bösen Bliek Maries und verstummte. Sie schaute ihren Tod. Sie bleekte die Zahne, als lachle sie vor Entsetzen. Lady Clarence hielt nicht viel von den Menschen. Seit vierzig Jahren fürchtete sie sich vor der Familie Tudor. Wie um sie zu retten, entstand eine Unruhe im Vorzim- mer. Die Königin, der Gesandte und die Hofdame lauschten dem Larm und den lauten Stimmen, die zu streiten schienen. Alle drei bekamen starre Augen und krampfhafte Mienen. Standen die Rebellen schon im Vorzimmer? Ein Handstreich? Plötzlich ward es totenstill. Auch das Knattern der Musketen und der Hall der Trommeln waren verstummt. Die Stille war nicht zu ertragen. Marie schickte die Hofdame ins Vorzimmer. Lady Clarence kam mit einem Hauptmann der Garden zurück. „Die Unruhen sind aus", meldete der Hauptmann, „wir haben den Wyatt gefangen, vor dem Wirtshaus „Zur schonen Wilden!" „Hangt ihn auf!" schrie Marie. „Hangt ihn ans Wirtshausschild, und daneben seine Getreuen!" „Majestat", antwortete der Hauptmann, „wir haben vierhundert Rebellen gefangen. Wir können doch nicht vierhundert hangen?" „Ist London zu klein?" schrie die Königin. „Hangt sie an jeder Strassenecke, damit meine Untertanen den rechten Weg finden!" Der Hauptmann ging in die Kneipe „Zur schonen Wilden" und traf den Rebellen Wyatt vor einem Krug Bier. Der Rebell trug den rechten Arm verbunden und hob mit der linken Hand den Krug. „Auf das Wohl der armen Leute, Herr Hauptmann!" rief er und tat einen langen Schluck. Kaum hatte er den Krug abgesetzt, befahl der Hauptmann: „Hangt ihn sogleich ans Wirtshausschild, auf Befehl der Majestat von England!" Thomas Wyatt sass da, die Linke halb erhoben, um den Schaum vom Schnurrbart fortzuwischen, er starrte den Rücken des Hauptmanns an, der sich abgewandt hatte, es war ein gepanzerter Rücken, ein eiserner Rücken. Thomas Wyatt spürte einen bitteren Geschmack auf der Zunge, er dachte bloss: Ich wollte England helfen? Die Soldaten banden ihm schon die hanfene Schleife um den Hals. Er war der Sohn des Poeten Wyatt. Er wuchs auf und hörte die grossen Worte. Ihn dürstete nach Taten. Er sah, dass sein Leben verstrich. Er sass in den Kneipen Londons und sah das Leben der einfachen Leute. War die Welt in Ordnung? Die Bauern trieben das Vieh ihrer Herren zum Markt und hungerten, manchmal trieben die Herren ihre Bauern zu Markt, ein Ochs kostete mehr als ein Bauer. Endlich sah Thomas Wyatt seine Stunde. Die Königin Marie, hiess es, sollte den Sohn des Kaisers heiraten, den Spanier. Thomas Wyatt ritt auf einem walisischen Gaul durchEngland. Er schrie in allen Dörfern: Der Teufel kommt aus Spanien. Er ist des Kaisers Sohn und heisst Philipp! Thomas Wyatt versprach den armen Leuten die Freiheit. Die Bauern lief en ihm nach. Sie zogen nach London, um Marie vom Thron herunterzuwerfen. Der Graf Noailles, der Gesandte von Frankreich, gab heimlich Gold den Rebellen und riet: Setzt Marie ab und erhebt das Frauleiti Elisabeth! Thomas Wyatt nahm die französischen Dukaten wie Birnen. Er marschierte mit seinen Haufen vor die Stadt und wartete auf die armen Leute von London. Marie befahl, mit Kanonen auf die Rebellen zu schiessen. Wyatt wartete. Wo blieben die armen Leute, für die er ausgezogen war? Am Fastnachtsdienstag marschierte er endlich vor die Brücke von London. Sie war gesperrt, und er schrie: „öffnet! Ich bin der Wyatt und bringe die Freiheit!" Die Bürger schossen. Sie trafen aber nicht. Wyatt erschrak und passierte die Themse oberhalb von London bei Sturm und Regen. Auch er hatte Kanonen. Am rechten Ufer fiel seine grösste Kanone in den Schlamm. Die Rebellen marschierten die ganze Nacht im Regen. Um neun Uhr morgens erreichten sie den Hydepark. Wie ein Leichentuch hüllte der Nebel jeden ein. Da horten sie Trommeln. Vor ihnen standen die Garden Maries. Die Garden stachen, hieben und schwiegen. Die armen Bauerlein wollten die Freiheit Englands retten, nun rannten sie um ihr Leben. Wyatt und vierhundert liefen über die Wiesen von Pall Mali. Vor der City schrie Wyatt: „Ich bringe die Freiheit. Helft!" Die City lag wie ausgestorben. „England! Schlafst du?" schrie der Sohn des Poeten. Schon liefen die Rebellen in den engen Gassen am Strand. Sie blickten sich um. Wie wenig waren sie. Ihre Schritte hallten auf dem bucklichten Pflaster. Wyatt schaute sich nicht um. Er wusste, die Garden Maries sperrten den Rückweg. Am Tor von Ludgate Hill pochte er. „Bürger von London!" schrie Wyatt. Keiner öffnete. Da kehrte er sich um. Er war fast allein. Keine zwanzig standen bei ihm. Da fiel er verzweifelt auf eine Bank vor der Wirtschaft „Zur schonen Wilden" und schlug die Hande vors Gesicht. Wie oft war er prahlend auf dieser Bank gesessen, mit Bürgersöhnen von London, und trank und tat gross. Wo waren die Kumpane ? Was taten die Londoner in dieser Stunde, da einer von ihnen aufgestanden war für Gewissensfreiheit, für ein leichteres Leben, gegen fremde Tyrannen ? Da Wyatt die Hande von den Augen fortnahm, waren nur sechs bei ihm. Sie horten Schüsse und liefen. Bürger jagten sie, hetzten sie von Gasse zu Gasse, eine ganze Stadt tobte wie eine Meute losgelassener Hunde. Thomas Wyatt lief keuchend und dachte: Ich wollte England helfen ? Endlich stachen sie ihn und fingen ihn und henkten ihn, vor der Wirtschaft „Zur schonen Wilden". Simon Renard, im Schlafzimmer Maries, forderte neue Köpfe. Er sagte: „Und das Fraulein Elisabeth?" Marie prüfte mit bösen Blieken den strengen Gesandten des Kaisers. „Baumeln nicht schon mehr als vierhundert Ketzer? Wann kommt der Brautigam?" Marie setzte sich in einen tiefen Sessel. Sie fühlte sich plötzlich sehr müde. Renard lehnte sich frech an den Stuhl der Königin. Gleich dem Kaiser liebte er, im Macchiavell zu lesen. Was riete der Florentiner?, fragte er sich und murrte: „So mache man das Fraulein Elisabeth katholisch!" „Sie soll im Tower bleiben, bis sie die Messe hört!" versprach Marie. Renard war nicht zufrieden. Die Schwester des Kaisers, die Regentin der Niederlande, wolle das Fraulein in Brüssel aufnehmen. „Meine Schwester, ein Hofmadchen?" fragte hochmütig Marie. Renard versicherte, man müsse erbarmungslos sein oder gar nicht regieren. „Erbarmungslos!" wiederholte Renard. Das Wort schien ihm zu getallen. Die Königin nickte ihm zu. „Philipp hat mir noch kein Wort geschrieben", sagte sie. „Fordert Spanien nicht zu viel? Ich könnte Elisabeth zu meiner Erbin machen und jungfraulich leben!" Der Gesandte wollte erwidern. „Haben auch Sie keine Eile?*' rief Marie zornig. Herr Simon Renard ging durch Hintergassen in sein Haus zu London und schrieb an des Kaisers Sohn: Item Seine Hoheit lerne ein paar Worte Englisch, um zum Volk reden zu können, es lebt vom Glanz seiner Herren. Item lasse Seine Hoheit die spanischen Damen zu Haus, die Königin Marie ist eifersüchtig. Item trage Seine Hoheit einen Kettenpanzer unterm Rock, der Dolche wegen, und führe seine Köche und Mundschenken mit, des Giftes wegen. Item lasse er die spanischen Soldaten an Bord, sie raufen gern, und er bringe den englischen Herren Gold mit, sie nehmen gern. Item schreibe Seine Hoheit endlich; England ist der Mühe wert. Item eile Seine Hoheit, ehe die Königin in die Jahre kommt, da sie nicht mehr empfangt! DER SOHN DES KAISERS Philipp wartete auf den Wind. Er stand am Fenster seines Hauses zu La Coruna und blickte auf das Meer. Im ungeheuern Licht schimmerten wie Sommerwolken die weissen Segel seiner hundert Schiffe. Bald trugen sie ihn zur Hochzeit. Als Philipp sich setzte, öffneten die Diener die Türen zum Vorsaal. Zwei Erzbischöfe kamen zur letzten Audienz, jeder mit zwei Mönchen. In zwei feindlichen Gruppen standen sie, als fürchteten sie, sich anzustecken. König Philipp der Zweite. 2 Die Kirche ist in Gefahr", begann sogleich Valdes, der Erzbischof von Sevilla. Er war der Grossinquisitor von Spanien, der Wachter des Glaubens. „Wenn man ungestraft", sagte er, „am Hofe des Infanten Philipp die Grundsatze des Christentums angreifen darf; wenn die berufenen Hüter des Glaubens die Ketzerei hegen, statt sie zu zertreten; wenn, sage ich, die Günstlinge des Regenten von Spanien, urn den Interessen der Machtigen zu dienen, die Getretenen und Hilflosen erbarmungslos preisgeben dürfen, so frage ich, mit welchem Recht zieht der künftige König von Spanien aus, die englischen Ketzer zu verbrennen?" Philipp musterte aufmerksam seinen Grossinquisitor, einen dürren Greis von siebzig Jahren, der leise sprach, als spare er seine Stimme, indes sein grosser Adamsapfel eifrig bei jedem Wort herauf und herunter rutschte. Auch seine Finger glitten unaufhörlich an seinem zerschlissenen Prachtgewand herab, als suche er neue Anklagen zwischen den armseligen vergoldeten Borten, die er aus Geiz statt der gehörigen echtgoldenen trug. Wie zwei Wachhunde standen neben ihm in ihren schwarzen Dominikanerkutten seine Sekretare, Bruder Espinosa und Bruder Quiroga. „Wen klagen Sie an ?" fragte Philipp, um der Form willen ; denn er sah ja schon die andere Gruppe, auf die jetzt der Grossinquisitor und seine beiden Mönche schweigend mit ausgestreckten Zeigefingern deuteten: Auf Siliceo, Philipps alten Lehrer, den er in wenigen Jahren aus einem Bettelmönch zum Erzbischof von Toledo gemacht hatte, und auf Siliceos Ordensfreunde, die beiden Franziskanermönche, den Bruder de Castro, Philipps Beichtvater, und den Professor Carranza, Philipps Hofprediger. Diese klagte der Grossinquisitor an? Wollte Valdes sie auf den Scheiterhaufen führen, wo gewöhnlich solche Klagen der Inquisition endeten? Diese Günstlinge schienen aber ihrer Unschuld oder der Hilfe des Infanten sicher zu sein. Alle drei lachelten zornig, drei dicke Manner, von fünfzig Jahren etwa, der Beichtvater und der Hofprediger in den weissen Kutten der Franziskaner, der Erzbischof Siliceo im Prachtkleid mit echtgoldenen Borten. Der Hofprediger Carranza antwortete: „Ich klage unsere Klager als Hochverrater an!" Und er hob den Zeigefinger und deutete auf Valdes und seine beiden hagern Mönche. Hochverrater und Ketzer, dachte Philipp, und wenn sie alle recht hatten? Er sah zum Fenster hinaus auf die tausend weissen Segel, die der frische Wind blahte. Morgen würde er ausziehen, um sein erstes Königreich zu gewinnen. Schon waren siebenundzwanzig Jahre dahin, er hatte noch nichts getan! Immer war er nur der Sohn des Kaisers und stand im Schatten des Riesen. Philipp blickte ungeduldig auf die Kleriker. Er wollte die Welt gewinnen, und so sahen seine Helfer aus? Sollte er sie alle sechs absetzen und ins Kloster schicken? Er kannte den Hass zwischen Valdes und Siliceo. Es ging um den roten Hut des Kardinals von Spanien. Beide bewarben sich darum und hatten grosse Summen nach Rom geschickt. Beide verleumdeten einander, am Hofe des Regenten Philipp zu Valladolid, am Hofe des Kaisers zu Brüssel, am papstlichen Hof zu Rom. Die Entscheidung lag in den Handen Philipps. Siliceo und Valdes kannten ihre Plane und wogen ihre wechselnden Aussichten. Der ganze Klerus Spaniens beteiligte sich an diesem Kampf und bildete zwei feindliche Parteien. Noch waren Siliceo und Valdes einander gleich an Kraften und Vorzügen. Wer würde siegen? Sie kampften um einen Hut und wollten einander ans Leben. Ketzer wurden verbrannt, Hochverrater wurden geköpft. Wen mache ich zum Kardinal?, fragte sich Philipp und antwortete sich: Beide sollen noch hoffen! Er liebte, zu herrschen, indem er teilte. Wenn es nicht zwei Parteien gab, so schuf er sie. Doch hatte er selten nötig, der menschlichen Natur nachzuhelfen. „Die Beweise?" fragte er höflich und blickte von der einen Gruppe zur andern. Da trat Siliceo naher, sein alter Lehrer, und lachelte verlegen und machte eine Handbewegung, als gelte es eine Entschuldigung, und ründete die vollen, roten Lippen und verneigte sich elegant und sagte mit der lauten, überdeutlichen Stimme eines alten Lehrers: „Hoheit, es geht um die Indianer!" „Um die Indianer?" wiederholte der Infant und hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Er hatte schon ein paar Mal in seinem Leben einige Indianer gesehen: Sie waren rothautig, hatten glatte, schwarze Haare und trugen Federn, Pfeile und goldene Ohrringe. Sein Vater besass so viele Indianer jenseits des Ozeans, wo Kolumbus, Pizarro, Cortes, Balboa und andere Spanier grosse Reiche erobert hatten. Zweimal alljahrlich kamen die Schiffe voll Gold nach Sevilla, mit dem Tribut der spanischen Konquistadoren. „Die kaiserliche Regierung", erklarte Siliceo, „hat nach langer Erwagung beschlossen, die königlichen Güter und Stadte in Amerika samt den dazugehörigen Indianern meistbietend zu verkaufen, um die grossen Summen Goldes zu erhalten, die das Reich für die Reise des Infanten Philipp nach England braucht. Die Kirche hat dieses Opfer gebilligt, ich, der erste Diener der spanischen Kirche, billige es, um des heiligen Zweckes willen, England nach seinem Fall in die Ketzerei wieder mit der römischen Kirche zu versöhnen. Will man also ein paar Indianer oder die Kirche retten? Und sollte sie nicht ein Opfer wert sein?" „Freilich", sagte Philipp und wandte seinen Bliek zum Grossinquisitor. Dieser hob die Augen und die Hande empor und sagte: „Ketzerei! Wir haben diese Reiche jenseits des Ozeans empfangen, um das Christentum zu predigen, nicht um bekehrte Christen in die Sklaverei zu verkaufen! Wie oft erhielten die Völker drüben die königlichen Versprechungen! Und sie sollen nicht gebrochen werden!" „Da", rief zornig der Professor Carranza und wies mit beiden Handen auf den Grossinquisitor Valdes. „Gegen die Dekrete des Kaisers und seines Sohns aufzutreten: Ist das nicht Hochverfat?" „Wir haben einen Zeugen", erklarte der Grossinquisitor. „Er wartet im Vorsaal. Der hochwürdige Bischof der Indianer, den sie ihren Vater heissen, der Bruder Las Casas, ein frommer Greis von achtzig Jahren, in der Welt berühmt, beriet schon oft die Krone." „Ein Dominikaner", bemerkte vorwurfsvoll der sanfte Bruder Castro, der Beichtvater Philipps. „Ein heiliger Mann", entgegnete der Grossinquisitor. Philipp nickte. Die Diener öffneten die Türen zum Vorsaal. Die Brüder Quiroga und Espinosa gingen dem frommen Greis entgegen. Der Indianerbischof Las Casas sass allein und abseits, in seiner groben Kutte, zwischen den Grossen aus allen Reichen des Kaisers, die hier auf Audienz bei seinem Sohne warteten. Da standen Herzöge und Grafen, fremde Gesandte und schone Damen, aufgestellt nach ihrem Rang, und warteten auf ein Wort der Gnade. Die Diener riefen: „Der Bischof Las Casas!" Las Casas erhob sich langsam. Er war ein schoner, alter Mann. Sein langer, weisser Bart gilbte schon. Er hatte eine grosse Nase und blaue Augen. Er stützte sich auf einen hölzernen Stecken. Er trug die schwarze Kutte der Dominikaner. Er war gross, und sein Rücken war noch nicht gebeugt. Langsam ging er die paar Schritte zum Zimmer des Infanten Philipp. Er war ein guter Mensch und hatte seit vierzig Jahren sein Leben auf eine Sache gestellt: Die Rettung der Indianer. In ihrer Gier nach Gold waren die ersten Konquistadoren ein wenig eilfertig mit den nackten und schlechtbewaffneten Bewohnern der eroberten Reiche umgegangen. Sie hatten die armen Indianer dezimiert, halbiert, ruiniert. Nach zehn Jahren kolonisatorischer Tatigkeit lebten auf Kuba von achtzigtausend Indianern nur noch zehntausend, diese aber in Sklaverei, Hunger und christlicher Lehre. Aonenlang hatten die Indianer von den Früchten des Landes gelebt, jetzt mussten sie in Bergwerken graben und ihre Feinde lieben, sonst wurden sie von den wilden Bluthunden ihrer Herren gehetzt und zerfetzt. Ihre Landereien verteilte der König von Spanien an die Bettler und Überflüssigen seines Reiches; mit den Feldern und Baumen und dem Vieh des Landes wurde die entsprechende Anzahl Indianer vergeben, als Vieh, als Gras, als Acker, zur Jagd, zur Lust, zur Fron, immer unter dem Mantel der christlichen Nachstenliebe. Endlich murrten manche Dominikanermönche, die herüberkamen, um Heiden zu bekehren. „Sollen wir die Toten taufen?" fragte einer den andern, leise. Da erhob ein Mann seine Stimme und schrie — der Bruder Las Casas. Er gab seinen Anteil an Land und Leuten freiwillig zurück und predigte laut vor den wahren Wilden, den spanischen Konquistadoren: ,,Wer von des Armen Gut opfert, schlachtet den Sohn vor des Vaters Augen. Der arme Mann hat nichts als ein wenig Brot; wer ihn darum bringt, der ist ein Mörder. Wer seinem Nachsten seine Nahrung nimmt, tötet ihn. Wer dem Arbeiter seinen Lohn nicht gibt, ist ein Bluthund!' Da wollten die Konquistadoren den frechen Mönch toten. Und es begann das Martyrium des Bruders Las Casas, es begann seine Grosse. Er reiste von Amerika nach Spanien und fand Hilfe bei dem Grossinquisitor Deza, der sechstausend Ketzer verbrannt und sechzigtausend eingekerkert hatte, aber der armen Indianer erbarmte sich sein Herz. Aber es starb die fromme Königin Isabella, die einst den Kolumbus ausgesandt hatte; es starb der König Ferdinand, es starb der milde Grossinquisitor Deza; endlich, nach fünf Jahren, hatte der Kaiser Karl, damals ein Jüngling von neunzehn Jahren, eingewilligt, den Anwalt der Indianer anzuhören, den Bruder Las Casas. Daran erinnerte sich nun der Bischof Las Casas, in den wenigen Schritten zu den Türen, hinter denen der Sohn dieses Kaisers ihn wiederum anzuhören geruhte, fünfunddreissig Jahre spater. Wieder zitterte das Herz des Las Casas. Mit achtzig Jahren hegte er dieselben ungeheuern Hoffnungen wie einst mit vierzig Jahren. Wieder wollte er die Indianer retten. Gott, betete der Greis auf seinem kurzen Weg. Gib mir die Worte, die das Herz der Könige rühren! Schon schlossen sich die Türen hinter dem Greis, er blickte auf und sah den Sohn des Kaisers. Wie anders war es damals, da ihn der Kaiser Karl empfangen, und wie ahnlich! Philipp war aufgestanden. Er kannte den Namen des Las Casas und wusste manches von ihm. Philipp regierte seit seinem fünzehnten Jahre Spanien. Er liebte, wenige Menschen zu sehn und viele zu kennen. Er studierte alle Akten, las alle Briefe, empfing viele Berichte, korrespondierte mit tausend Leuten. Kein grosser Mann der Reiche seines Vaters entging ihm. Philipp hatte ein Vorurteil gegen diesen „Vater der Indianer". Der Kardinal Ximenes hatte ihn zum Universal-Protektor der Indianer gemacht. Um die Indianer zu retten, hatte Las Casas vorgeschlagen, die starkern Neger aus Afrika nach Amerika einzuführen, für die harte Arbeit in den Bergwerken. Aus Menschenliebe verschuldete also Las Casas den Negerhandel. Er hatte eine Kolonie gegründet, mit der Hilfe des Kaisers, und war gescheitert, erbarmlicher als irgendeiner. Er war ein Empörer. Er hatte den Soldaten gepredigt, den mordenden Befehlen ihrer Führer nicht zu gehorchen! Er hatte die „Neuen Gesetze" zum Schutz der Indianer bewirkt. Er hatte den „Traktat über die Zerstörung von Indien" geschrieben, der (in alle Sprachen übersetzt) den Namen und den Ruhm der grossen Spanier so schandete, dass man in Europa die Konquistadoren und ihre Bluthunde verwechselte. Der Kaiser hatte ihn zum Bischof der Indianer ernannt. Die Konquistadoren hatten ihn fast gemordet und verjagt. Er war nach Spanien zurückgekehrt, hatte auf sein Bistum verzichtet und lebte im Kloster San Gregorio zu Valladolid, ein Greis — und noch nicht müde, Unruhe zu stiften! Ein unbequemer Mensch!, dachte Philipp, eitel auf sein gutes Personengedachtnis. Da er aber den Greis sah und in seine sanften Augen blickte, ergriff ihn ein seltsames Gefühl. Philipp erhob sich und naherte sich dem Greis, der ihn unverwandt mit seinen hellen blauen Augen anstarrte. „Segnen Sie mich, mein Vater!" bat ihn Philipp. Der Greis segnete den Infanten, der ihn zu einem Sessel führte. Der Greis setzte sich. Plötzlich erwartete Philipp von dem Greis Grosses, Neues, Unerhörtes. Als Las Casas zu sprechen anfing, fühlte Philipp bald eine gewisse Enttauschung, vermischt mit einer wachsenden Erregung, ja mit einem unbegreiflichen Zorn gegen diesen Greis. Dabei sprach der alte Bischof mit seiner hellen, freundlichen, ein wenig kindlich klingenden Stimme die gewöhnlichen Satze der christlichen Prediger, oder beinahe die gewöhnlichen. Was erregte den Infanten so sehr? Der Bischof Las Casas hielt seinen weissen Bart, der ihm bis auf die Brust ging, mit beiden Handen fest und erklarte lachelnd, indes er nur den Prinzen anblickte: „Die christliche Religion ist allgemein, für alle gleich, sie passt für alle Nationen der Welt und nimmt sie alle in ihren Schoss auf. Sie entzieht keinem Menschen seine Freiheit noch seinen natürlichen Herrn, noch bringt sie ihn in Knechtschaft, unter dem Vorwand, er sei ein Skiave von Natur." Der Greis nickte lachelnd mit dem Haupt. „Aber das ist ungeheuerlich, was der Pater ausspricht", rief der Professor der Theologie Carranza, der Hofprediger Philipps. „Und wer ist der natürliche Herr, von dem der Pater Las Casas spricht? Das ist Rebellion! Oder meint er den Kaiser? Ich sage ihm hingegen: Es ist kein Unrecht, Völker zu unterjochen, die an sich die Bestimmung haben, andern zu gehorchen! Will der Pater Las Casas diesen Satz leugnen ? Und weiss er, dass er damit das Recht des Kaisers bestreitet, das Recht an beiden Indien und Neapel, an Sizilien und den Niederlanden, an Afrika, Mailand und Deutschland?" „Ich spreche von den Indianern", erklarte friedlich lachelnd der Alte. „Ich spreche von den zu Bekehrenden. Zwei Grundsatze sind allgemein, oder wir zerstören die Lehre Christi! Erstens: Es gibt nur einen gottgefalligen Weg, die Menschen zur wahren Religion zu führen: sie mit Gründen zum Verstandnis zu bringen und ihre Liebe durch Güte zu gewinnen; diese Methode passt für alle Völker, ohne Unterschied ihrer Irrtümer und ihres heidnischen Aberglaubens und aller noch so verwilderten Sitten. Zweitens: Wenn die Unglaubigen nicht zuvor Feindseligkeiten begangen haben, ist jeder Krieg gegen sie ungerecht, gottlos und tyrannisch, und es ist falsch, dass man sie durch Unterjochung bessert und leichter zu Christen macht!" „Es ist falsch!" bekraftigten wie aus einem Munde der Grossinquisitor und die Brüder Espinosa und Quiroga. Der Greis schüttelte sein Haupt und lachelte fröhlich. Philipp stand auf. Ihm war der Alte unheimlich. In seinen Worten, die so christlich klangen, in seinem Lacheln, das so lieblich schien, glaubte der Infant von Spanien die Rebellion zu lesen und Ketzerei zu hören. „Bist du auch demütig, Vater Las Casas?" fragte der Infant. „Herr", bat der Alte, „schau mich an! Ich habe in meinen achtzig Jahren schon sieben Herren gedient. Da ich geboren ward, regierte Heinrich von Kastilien, danach kamen Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon, Philipp der Schone, Johanna, und der Kaiser Karl, nun regiertest du. Morgen beginnt deine jüngste Schwester zu regieren, Juana. Ich sah Könige kommen und gehen. Ich sah noch Mohren herrschen und Juden handeln in Spanien. Ich sah den Fall von Granada und die Austreibung der Juden. Ich sah den grossen Kolumbus in Glanz und in Ketten. Mein Vater nahm teil an der zweiten Fahrt des Kolumbus; da ich ein Student in Salamanka war, hatte ich einen Indianerknaben zum Sklaven. Die Königin Isabella verbot die Sklaverei der Indianer, mein Skiave kehrte zurück. Vor mehr als fünfzig Jahren fuhr ich zum ersten Male nach Amerika, da waren jene Völker noch glücklich und im Stande der Unschuld; da ich es zum letzten Male verliess, vor sieben Jahren, rasselten ihre Ketten und ihre Sterbeseufzer tönten durch die Reiche. Ich bin achtzig Jahre alt und sehe die offene Grube vor mir. Auf meiner Schulter spüre ich schon die knöcherne Hand des Todes. Ich fürchte mich nicht. Habe ich viel gesündigt, so habe ich meistens das Gute gewollt und vieler Menschen Leben und Heil gerettet. Ich fürchte mich nicht vor dem Tod und nicht vor den Königen. Ich sage dir die Wahrheit. Höre mich. Du wirst ein grosser König sein und in allen Erdteilen herrschen. So du ein Christ bist, liebe alle Christen, und die Sonne wird nicht untergehen in deinem Reich. Höre auf mich, mein Sohn. Ich kenne deine neuen Reiche jenseits des Ozeans. Ich kenne die Indianer. Man hat gesagt, die Indianer seien eine stumpfsinnige Rasse, unempfanglich für Belehrung und Zucht, undankbar, treulos, verachtlich, und abscheulichen, viehischen Gewohnheiten ergeben, ja Menschenfresser. Man hat ihnen alle Fehler vorgeworfen, die menschlich sind. Aber man hat gelogen. Sie sind schön und fromm, friedlich und edel und jeder menschlichen Grosse fahig, wenn man sie mit Liebe bekehrt und wie Söhne erzieht. Sie tragen alle das Bild Gottes im Antlitz. Und ich sage (und wage jedes Wort): Keines von den Reichen, die der Kaiser in allen Erdteilen besitzt (ja, nicht einmal alle zusammen), ist auch nur der kleinsten Provinz jenes Weltteils an Reichtümern und Hilfsmitteln gleich. Wenn ich Eure Hoheit hierauf aufmerksam mache, so bin ich mir bewusst, Ihr einen der grössten Dienste zu leisten, die je ein Vasall seinem König in der Welt erzeigt hat. Nicht aber tue ich es, weil ich dafür eine Gnade, eine Belohnung, eine Ehre erwarte; denn um die Wahrheit zu sagen, ich spreche hier nicht nur, um Eurer Hoheit zu dienen. Denn ich schwöre, in aller Ehrfurcht und Untertanigkeit vor einem so grossen Regenten und Prinzen: Ich würde nicht von dieser Stelle zu jener Ecke des Zimmers gehn, um Eurer Hoheit in mehr zu dienen, als was die allgemeine Untertanenpflicht mir als Vasallen gebietet. Ich stande nicht hier, wenn ich nicht dachte, Gott, dem Allerhöchsten, einen grossen Dienst damit zu tun. Der Herr unser Gott halt aber so gut Haus, dass ich nichts für ihn tun kann, ohne zugleich unschatzbare Wohltaten und herrlichen Gewinn Eurer Hoheit zu schenken. Der Greis schwieg. Er hatte immer rascher, immer feuriger, immer kühner gesprochen. Am Ende erinnerte er sich, er hatte dieselben Worte zu diesem Infanten Philipp gesagt, die er vor fünfunddreissig Jahren vor dem jungen Kaiser ausgesprochen hatte, in jener fernen Audienz. Damals war der Kaiser auf seinem Thron gesessen, auf niedrigern Banken sassen seine Minister, noch niedriger der Sohn des Kolumbus, der Admiral von Amerika, dann der Grosskanzler, die Bischöfe und die geheimen Rate. An der Wand, dem Throne gegenüber, hatte er allein gestanden, der Mönch Las Casas. Nach einem feierlichen Schweigen hatten sich der Kanzier und der erste Minister erhoben, waren die Stufen der Estrade emporgestiegen und vor dem Kaiser niedergekniet und hatten leise eine Weile mit ihm geredet, dann waren sie zu ihren Sitzen zurückgekehrt und hatten ihn stehend aufgefordert, zu reden. Nachdem er gesprochen hatte, war der Kanzier wieder zum Kaiser emporgestiegen, war niedergekniet, hatte geflüstert, war zurückgekehrt und hatte stehend die Antwort des Kaisers gesagt. Darauf hatten der Admiral geredet und danach die Gegner des Las Casas. Am Ende hatte sich der Kaiser erhoben, um in sein Kabinett zu gehen, die Sitzung war beendet. So zeremoniös war der junge Karl gewesen, und doch hatte damals Las Casas gewonnen, und schon einundzwanzig Jahre spater hatte der Kaiser seine segensreichen Ordonnanzen erlassen, die „Neuen Gesetze", die das Leben so vieler Indianer gerettet hatten. Dieser neue Prinz, dachte der Greis Las Casas betrübt, scheint bequemer, aber wird er meinen Indianern helfen? Und werde ich wieder einundzwanzig Jahre warten müssen ? Der arme Vater der Indianer war zeitlebens kein Menschenkenner gewesen. Philipp hatte kein Gefallen an ihm gefunden und doch vermochte er sich der Wirkung dieses lachelnden und feurigen Greises nicht zu entziehn. Spricht hier ein heiliger Mann, fragte er sich, oder ein Hochverrater ? Klingt nicht in seiner Sprache jener freche Ton der deutschen Reformatoren und italienischen Humanisten? Ein gefahrlicher Mensch, dachte Philipp, und ein guter Mensch! Um so schlimmer, sagte er sich. Und überlegte nochmals, ob er nicht diesem Pater Casas und dem Grossinquisitor und seinen beiden Mönchen, dem Bruder Espinosa und dem Bruder Quiroga, den Prozess machen sollte? War es nicht gefahrlich, Spanien für eine Zeit zu verlassen, wenn solch ein Schwarmgeist blieb? Aber es rührte ihn der Bliek des Paters Las Casas. Philipp glaubte, die Menschen zu kennen. Ausserdem liebte er keine grossen Umwalzungen. „Was raten Sie also?" fragte er endlich den Greis, nach einem Stillschweigen. „Mein Rat ist einfach", erklarte der Greis und stand langsam und mühevoll auf, als glaubte er, stehend den Infanten eher zu überzeugen. „Die Regierung begnüge sich, ein ausserordentliches Donativ in Mexiko und Peru anzutragen. Ich bürge mit meinem Leben, dass die königliche Kasse dabei besser fahren wird!" Der Greis setzte sich wieder und lachelte. Ein Abschein seines Lachelns erhellte das melancholische Gesicht des Infanten. Philipp überlegte und nickte Gewahrung. „Man wird es versuchen", versprach er. „Und", fragte er den Greis, „wollen Sie nicht in den Staatsrat eintreten?" Der Greis verneigte sich tief und schüttelte lachelnd seinen Kopf. „Ich bin zu alt", sagte er mit einer hohen, singenden Stimme. „Ich stehe schon mit einem Fusse in der Grube, Don Philipp." Der Infant und der Greis lachelten beide höflich. Es schien dasselbe Lacheln zu sein, ein brüderliches Lacheln. Der Infant sagte: „Ich bitte meine Rate, ihren Streit nun zu beenden." „Wir sind versöhnt", antwortete sogleich der Erzbischof Siliceo, der alte Lehrer Philipps. „Wir haben heute gelernt, den Pater Casas zu bewundern", fügte der Professor Carranza hinzu, der Hofprediger. „Wir werden mit Ehrfurcht an ihn denken", bemerkte der Beichtvater Philipps, Bruder Castro. Er und der Hofprediger begleiteten den Infanten nach England. Sie beschlossen beide gleichzeitig, jeder bei sich, in England wie alle Pfuscherei der Arzte. Geh, rufe alle, lass mich nicht lang allein. Meine Angste kommen wieder. Ich spüre es. Die Kerzen flackern so trübe. Es wird so dunkel im Zimmer. Warum löschst du die Kerzen?" „Sie brennen heil, Sire", sagte erschrocken Quixada. Karl schwieg. Da ging Quixada, die Mönche zu holen. Karl blieb allein. Er fühlte die schreckliche Angst heraufsteigen, er suchte in seinem Hirn nach lichten Bildern. Der verstörten Seele fiel nichts anderes ein als die Erinnerung an die vielen Totenfeiern, die er in seinen Klosterjahren gefeiert hatte, für seinen Vater Philipp, den sein Grossvater Ferdinand vergiftet hatte; für seine Mutter, die er vierzig Jahre im Turm gehalten hatte, bis sie in Wahnsinn fiel; für seine Fr au Isabella, die er, da sie lebte, meist gemieden hatte; und zuletzt die Totenfeier für sich, kurz vor seiner letzten Krankheit. In seinem Eifer hatte Karl geglaubt, die frommen Werke, die einer wahrend seines Lebens tut, seien verdienstlicher und fruchtreicher als alle Übungen anderer nach seinem Tod. Zweifelte der Kaiser am treuen Eifer derer, die nach ihm kamen? Kurz, lebend hatte er befohlen, für einen sanften Sommerabend alles zu rüsten, zur Leichenfeier für ihn. In der Mitte der grossen Klosterkapelle ward ein Katafalk errichtet, von brennenden Kerzen umzaunt. Alle kaiserlichen Diener wandelten in Trauergewandern. Der skeptische fromme Kaiser kam im Trauerkleid, mit der brennenden Fackel in der Hand, und sah, wie man eine Puppe statt seiner einsargte. Karl bat zu Gott für diese Seele, der viel Gnaden verliehen worden in ihrem irdischen Leben, und bat um Mitleid. Die es sahn und horten, weinten, als ware der Kaiser tot. Karl aber gab seine Fackel dem Priester in die Hande, statt seiner Seele, der Priester senkte die Fackel und sie losch. So war es geschehn, ahnlich dem Brauch der Alten. Oder habe ich alles getraumt? dachte Karl auf seinem Leidensbette. Und legte ich mich selber in den Sarg und hörte im Sarge die Totengesange der Mönche? Ihm schien alles ein Traum. Karl unterschied nicht mehr Wirklichkeit K Ö N I G Pbtltpp D E R Itortte Cs-r t/ét/rsj. HERMANN RESTEN KÖNIG PHILIPP DER ZWEITE ROMAN 1938 VERLAG ALLERT DE LANGE AMSTERDAM Alle Hechte, insbesonderedasderÜbersetzung, Dramatisierung und Verfilmung vorbehalten. Copyright 1938 by Verlag Allert de Lange, Amsterdam. Gedruckt bei N.V. van de Garde & Co.'s Drukkerij Zaltbommel (Holland) Printed in Holland Erstes Buch DIE REISE NACH ENGLAND MARIE Lady Clarence stand im Nebel. Sie hörte die Kanonenschüsse, Pferdegetrappel und die dumpfen Trommeln. Auf der andern Seite der Strasse trafen zwei Marmer aufeinander, der eine stach seine Lanze in den Bauch des andern. Wie durch einen Vorhang sah Lady Clarence den einen Mann fallen und den Mann mit der Lanze im Nebel verschwinden. Lady Clarence blieb in der leeren Strasse allein mit dem Toten. Im ziehenden Nebel schien der Tote die Hand zu heben und zu winken. Lady Clarence dachte: Vielleicht war er es, auf den ich warte. Nun winkt er. Aber die Toten liebe ich noch weniger als die Lebenden! Lady Clarence hielt nicht viel von den Menschen. Seit vierzig Jahren Ehrenjungfrau am Hofe Englands, sah sie Könige im Nachtgewand und Huren auf dem Thron. Sie diente Gott nacheinander katholisch, anglikanisch, reformiert und wieder katholisch, ihr gefielen alle Arten. Die Sitten anderten sich; die Trachten wechselten; viele Menschen, die geblüht hatten, faulten schon, indes neue blühten; der Lady Clarence war es gleich. Mit zwanzig Jahren hatte sie eine blonde Perücke getragen, mit sechzig trug sie eine rote. Damals waren ihre Haare schwarz, jetzt waren sie weiss. Lady Clarence begriff die Leidenschaften der Menschen nicht, sie kannte die Etikette. Sie war schwerhörig und tat, als sei es alle Welt. Schelmisch lachelnd erlauterte sie: Die Menschen sind alle fühllos und taub wie ich. Die Königin Marie liebte sie wegen ihres fröhlichen Gelachters, das so lüstern und töricht klang wie das Lachen einer Fünfzehnjahrigen. Marie schenkte ihr das grosse Vertrauen, das feile Menschen so leicht fin den. Da Lady Clarence es schon nicht mehr aushielt gegenüber dem Toten im Nebel, kam ein vermummter Mann vorsichtig die Hauser entlang. Am Gang erkannte sie ihn und rief ihn an. Durch winklige Gassen und eine angelehnte Pforte führte sie ihn an Dienern und Wachtern vorüber iris Vorzimmer der Königin. „Niemand", schrie die Clarence, „weiss, dass Sie hier sind!" Sie lachelte geheimnisvoll. Prüfend betrachtete der Vermummte ihr Lacheln. Es kostete ihn hundert Dukaten. Das war die Taxe der Lady; dafür redete sie; dafür verriet sie; dafür schwor sie, zu schweigen. Hielt sie den Schwur? Lady Clarence richtete den Bliek des Gerechten auf ihn. Der Vermummte legte den Mantel und den grossen Hut ab, der sein Gesicht verdeckt hatte. Es war ein graubartiger Mann, der Gesandte des Kaisers, Simon Renard, ein Bürger aus Burgund. Lady Clarence schrie: „Reden Sie unbesorgt zur Königin! Ich bin taub!" Marie stand am Fenster ihres Schlafzimmers. Sie hatte rote Haare und trug ein Gewand aus gelber Seide. Der Nebel war ins Zimmer gedrungen, mit ziehenden, graulich gelblichen Schwaden. Fahle Spiegel an den Wanden verhundertfachten den toten Schein vieler Kerzen, die nur den Nebel beleuchteten. Da Lady Clarence und der Gesandte des Kaisers eintraten, wandte die Königin sich um. Das Kerzenlicht warf einen blutigen Schimmer auf ihre geschminkten Backen. Simon Renard bückte sich vor ihr. Sie hob den schwermütigen Bliek und nickte. Sie war herzkrank und bald vierzig Jahre alt. Auch im Schlafzimmer Maries hörte man den Hall der Kanonen und sah das Feuer der Musketen. Aber der dicke Nebel machte alles einem Kampf von Gespenstern gleich. „Sahen Sie die Rebellen?" fragte die Königin mit ihrer heiseren Stimme. „Ich habe den Befehl gegeben, mit Kanonen auf sie zu schiessen. Und wenn die ganze Hölle in London einreitet, ich weiche nicht! Gestern ritt ich in die City und sprach: ,Bürger von London! Ich bin eure Königin! Ich habe meine Schwester Elisabeth verhaftet! Sie hat mit Franzosen und Ketzern konspiriert. Morgen schlage ich die Rebellen nieder! Es sind lauter Habenichtse und Pferdediebe, Leute in Feilen und Bastarde, die eure Töchter schanden werden und kein Eigentum respektieren. Und ihren Führer, den Thomas Wyatt, henke ich!' So sprach ich, und die Bürger von London blieben mir treu! Die Rebellion ist niedergeschlagen. Meine Garden sperren schon den Rebellen den Rückweg. Ich habe gesiegt!" Marie schritt stampfend durch ihr Schlafzimmer. Plötzlich blieb sie vor dem Gesandten stehn. „Renard!" rief sie. „Ich habe Ihnen Grosses zu sagen." Die Königin wandte sich ab und ging vor einen Hausaltar, vor dem sechs Kerzen brannten. Da knie te sie nieder und begann mit lauter Stimme die Hymne Veni Creator zu singen. „Veni Creator", bete te Marie inbrünstig laut. Die Kerzen flackerten trübe. Simon Renard kniete neben Lady Clarence. In den Spiegein sah er hundert Königinnen knien. Die dumpten Trommeln schienen naher zu tönen. Was bereitet sie vor?,dachte Renard. Er war auf alles gefasst. Noch kannte er nicht die Absichten Maries, aber schon lange ihre theatralischen Launen. Er wartete mit Spannung auf das Ende ihres Gebets. Seit sieben Monaten verhandelte er im Namen des Kaisers mit Marie. Kaiser Karl der Fünfte regierte in allen Erdteilen. Er besass die halbe Welt. Manche glaubten, er werde die Verheissung wahrmachen und ein einziges Reich auf Erden gründen, das Reich Christi. Alle Menschen nannten seinen Namen mit Furcht. Er schien der wahre Statthalter Gottes auf Erden. Vor ihm bückten sich die Könige und die Papste. Da fiel langsam eine Verdunkelung auf das Gemüt des Kaisers. Seine Kraft verliess ihn. Er verschloss sich in seinem Palast zu Brüssel. Er traumte da von, die Last der Welt für immer abzuladen. Als aber Marie auf den Thron Englands gestiegen war, seine Base, die den Kaiser bewunderte, und die er beschützt hatte in der Zeit ihrer Armut und Verworfenheit, da hatte ihren Herrn endgültig von der Verworfenheit dieser Dominikaner zu überzeugen. Dort waren sie allein anwesend, das gab bessere Gelegenheit. Die sieben Geistlichen gingen in einer Gruppe, das Bild des geistlichen Friedens. Gegen seine Gewohnheit begleitete Philipp den lachelnden Greis bis zur Türe. Da Philipp allein blieb, fühlte er eine unbestimmte Trauer. Er ging nachdenkend einige Male durchs Zimmer und befahl, die fernern Audienzen abzusagen. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und begann zu schreiben. Er liebte es, zu schreiben. Schreibend dachte er. Schreibend kam er sich am nachsten. Schreibend vergass er seine Angst. Philipp hatte Angst seit seinen ersten Kinderjahren. Philipp hatte Angst vor dem Tod. Aber er hatte auch die grosse Sicherheit derer, die schon jede Furcht erprobt haben. Er wollte dauern und war sicher, lange zu dauern. Er sah die allgemeine Gebrechlichkeit der Welt, aber er sah auch das Heil nahe. Alles war einfach. Lauter Christen, dachte Philipp, und keinen König aller Christen? Es war, als wartete die Welt darauf. Nun, dachte Philipp, nun bin ich da. Philipp hatte den linken Arm aufgestützt, die rechte Hand hielt lassig still die Feder. Da sah er einen Schatten auf dem Papier und wandte sich um. Sein Günstling stand hinter ihm, Ruy Gomez. Gomez schlief im Zimmer des Infanten, er kleidete ihn an und aus, er las ihm vor, er erzahlte ihm den Klatsch und die Geheimnisse des Hofes, er führte ihm die Madchen zu, er verwaltete die gesamte private Korrespondenz des Prinzen und seine Finanzen. Philipp liebte ihn, schon seit siebzehn Jahren, da Ruy Gomez noch sein Page war. Philipp liebte ihn aus hundert Gründen und besonders, weil Gomez ein Schmeichler war. Denn Philipp liebte die Schmeichler. Sie sind gefügig. Die Unbeugsamkeit hasste Philipp vor allen Eigenschaften der Menschen. Ruy Gomez war sehr biegsam. Er war ein Portugiese aus niederm Adel, sieben Jahre alter als Philipp, schwarzlockig, schwarzaugig, schnellzüngig, schmiegsam, biegsam, ein Höfling, ein f vollendeter Kammerdiener. Philipp hatte ihm kürzlich eine Frau gegeben, Anna Mendoza, ein schönes und geistreiches Madchen von fünfzehn Jahren, die Tochter des reichsten Granden von Spanien. Philipp hatte das Madchen auf einem Ball gesehn und sofort um sie für seinen Günstling gefreit. Anna gefiel dem Infanten. Er zog sie an seinen Hof. Philipp wies zum Fenster. „Siehst du den Wind in unsern Segeln?" fragte er. „Morgen fahren wir." „Eine Dame wartet noch", flüsterte der Günstling. Philipp blickte zum Fenster hinaus. Er wusste, wer wartete. Er bemühte sich, seine Miene nicht zu andern. Er war sehr betrübt. Er liebte die Dame und musste sie zurücklassen. Der Gesandte des Kaisers, Herr Simon Renard, hatte es empfohlen, item und item. Der Günstling flüsterte: „Soll ich Donna Isabella Osorio fortschicken?" Philipp hasste in dieser Minute seinen Günstling. Die Schmeichler kommen manchmal zu weit entgegen. Sie schiessen über alles Ziel hinaus. Er winkte, und sein Günstling verliess ihn. Die Diener öffneten die Türen zum Vorsaal und riefen: „Donna Isabella Osorio!" Philipp fuhr fort, zu schreiben. Da die Dame eintrat, sah er nicht auf. Seine Feder kratzte auf dem weissen Papier. Die Osorio blieb an der Türe stehn. Sie war ein gutes Madchen. Sie liebte den Prinzen. Er hatte sie erhoben und erniedrigt, oft und gründlich. Nun hatte er ihr Haus in Valladolid aufgelöst, wo sie zusammen glücklich waren, nun schickte er sie ins Kloster. Sah so das Ende aus? Wozu hatte er sie gerufen? Zehn Tage reiste sie von Valladolid nach La Coruna. Nun schrieb er Briefe, Akten, was weiss man? Er hatte nicht einmal aufgeblickt, als sie eintrat. Er hatte ihr schon vor Wochen den Abschied gegeben, nach so vielen Verabschiedungen im Laufe von einem Dutzend Jahren. Die Osorio sah den Prinzen, sein geliebtes Gesicht, das gelbe Haar, die sehr weisse Haut, die melancholischen blauen Augen, alles erschien ihr drohend fremd und un- heimlich neu. Und doch kannte sie ihn so gut, seine teure schmachtige Figur, die sinnlich zarten Hande, die schwere Unterlippe, das kleine blonde Bartchen am spitzen Kinn, die reine Stirn, die denkenden Augen. Kannte sie ihn wirklich? Das Gesicht Philipps, das über dem Spitzenkragen wie auf einem silbernen Teller lag, war zweideutig. Jetzt sah sie es. Sinnlichkeit und Schwermut, Starrsinn und Kalte las sie darin, Menschenfeindschaft und Kühnheit, alles war herauszulesen, und nichts schien ihr sicher. Es war ein unregelmassiges Gesicht — ein fremdes Gesicht. Diese Lippen hatte sie geliebt. Die Lippen schwiegen. Diese Hande hatte sie geküsst. Es schienen noch dieselben Hande. Dieser Mann machte ihr Leben. Im stillen fragte sie zum hundertsten Mal: Warum riefst du mich? Die Osorio sah durchs offene Fenster die weissen Segel und das blaue Meer, das sanft schaukelnd die hundert Schiffe im Arm hielt. Die Hafenbucht lag blau wie ein Gebirgssee zwischen den kahlen Bergen. Ein Heer wartete auf den Schiffen, viertausend Infanteristen. Ein Hof wartete darauf, Herzöge, Grafen, Damen und Narren, Hunde und Chronisten, Maler und Poeten, die Blüte Spaniens wartete auf den Infanten Philipp, der auf den guten Wind wartete. Alle Welt wollte zur Königshochzeit nach England. Der halbe Adel Spaniens brach auf, mit Weibern, Narren, Pagen, wie um ein drittes Indien zu erobern. Sie rüsteten sich mit Büchsen und Bluthunden, als wollten sie in England Indianer jagen wie in Peru. Alte Manner verkauften ihr letztes Dach, Söhne verpfandeten ihr Erbteil, sie trugen den Erlös von ganzen Schafherden auf ihren goldgestickten Hüten. Der hoffte auf eine englische Erbin, jener auf Renten, ein dritter auf eine Grafschaft, der wollte Oberrichter, jener Minister, ein dritter Erzbischof von York werden. Es waren die alten Konquistadorentraume. Immer noch ward die Welt von Tag zu Tag reicher und grösser. Ehedem tat Gott die Wunder, nun taten es die Seefahrer und Landrauber. Es war ein freches Jahrhundert. Einige vorsichtige Grafen fragten den Infanten: „Herr! Sollen wir unsere Güter verkaufen und mit dir nach England ziehn?" Philipp hatte finster blickend entgegnet: Ich sage nicht nein, ich sage nicht ja; denn diese Fahrt nach England ist ein Kreuzzug!" Auch die Osorio hatte dieses Wort vernommen und hatte vor Freude gelacht. Vielleicht kehrte er also zu ihr zurück ? Sie wollte ihn beim Namen nennen: Philipp. Sie wagte es nicht. Die Osorio wusste nicht, was ihr Leben wert war. Den ersten Kuss hatte ihr Philipp gegeben, am Tage, da seine Mutter starb, die Kaiserin Isabella. Hinter den Kastanienbaumen lagen sie zwischen wilden Anemonen und küssten sich. Philipp sagte: Nun bist du meine Frau. „Ich will aber nicht", entgegnete das kleine Hoffraulein. „Du gehörst mir", erklarte der Prinz, erstaunt, einen Widerspruch zu horen. „Weisst du nicht, dass ich der Erbe der Welt bin? Mir gehort alles!" „Auch die Toten?" fragte erschrocken die kleine Osorio. „Auch die Toten", bestatigte kopfnickend der Infant von Spanien. „Die Leute sagen: Ich bin die Hoffnung des Jahrhunderts." Ein paar Jahre darauf schlief er schon mit ihr, damals waren beide kaum fünfzehn Jahre alt. Sein Vater war zu jener Zeit aus Algier gekommen, schiffbrüchig, mit dem Rest eines Heeres, ein geschlagener Kaiser. Philipp fragte ihn sogleich: „Darf ich die Osorio heiraten?" „Warum nicht eines Schafers Tochter?" fragte der Kaiser. „Ich werbe für dich um Jeanne d'Albret." „Wir 'haben schon Navarra", sagte mürrisch Philipp. "wir sollten auch ein Recht darauf haben!" erklarte der Kaiser. Philipp fand seinen Vater altmodisch. Er sagte ihm kein Wort davon. „Du bist ein Habsburger", erklarte der Kaiser seinem Sohn. „Vergiss das nie! Unsere Familie ist durch Heirat emporgestiegen." Der Kaiser machte seinen fünfzehnjahrigen Sohn zum Regenten von Spanien. „Willst du lieber deine Base Marie heiraten? Vielleicht erbst du Portugal?" „Sie ist dick!" klagte Philipp. „Sie tragt eine Million Dukaten Mitgift. Wovon sollen wir die Landsknechte zahlen?" Philipp dachte finster: Daran soll ich meine Lust haben ? Ergeben küsste er die Hand des Kaisers. Nachts erzahlte er alles der Osorio und schrieb ihr heimlich ein Heiratsversprechen, Brief und Siegel. Sie besass es noch. Was war es wert? Sie wollte ihn fragen, aber er schrieb und schrieb und blickte nicht auf, und draussen schaukelten die Segel im Wind. Ein Jahr nach dem Heiratsversprechen schied Philipp von der Osorio. Sie weinte, und er ritt lüstern seiner dicken Braut entgegen, Marie von Portugal. Beide waren sechzehn Jahre alt. Marie trug ein Kleid aus rotem Samt, vierzehn Madchen aus Portugal ritten mit ihr und ein Zwerg, unheimlich klein. Philipp hatte sich verkleidet und stand mit dem Herzog Alba zwischen den Bauern und Hirten auf der Landstrasse, heimlich, und sah seiner Braut, da sie vorüberritt, aufs Gesicht und die Beine. Die dicke Marie gefiel ihm. Zu Salamanka war die Hochzeit. Die Studenten tranken den roten Wein aus den Pfützen. Zwei Jahre darauf gebar die dicke Marie einen Sohn und starb, der Sohn hiess Carlos. Philipp hatte drei Wochen getrauert, im Kloster von Abrojo. Dann ritt er zur Osorio. Er kam, und sie liebte ihn. Die Osorio stand vor Philipp und erinnerte sich an jene schone Zeit vor neun Jahren. Sie dachte: Er kam und ich liebte ihn. Er schenkte mir ein grosses Haus und einen Garten und bunte Steine und zwei Söhne, Peter und Bernhard. Nie war er mir treu — die vierzehn Jahre lang. Nun nimmt er mir alles: Das Haus, den Garten, die Söhne und sein Herz. Mich schickt er ins Kloster. Da blickte Philipp auf und legte die Feder fort. „Donna Isabella", sagte Philipp und stand auf und küsste sie auf den Mund. „Wollen Sie mich nach England begleiten?" König Philipp der Zweite. 3 „So liebst du mich?" flüsterte sie. „Ich habe Angst ohne dich", erwiderte er. „Du musst immer bei mir bleiben." „Immer", schwor die Osorio. Als sie gegangen war, begann Philipp an seinen Sohn Don Carlos zu schreiben. Carlos war ein melancholischer und kranklicher Knabe von zehn Jahren. Auf Kosten des Don Carlos hatte Philipp im Heiratsvertrag mit Marie von England unterschrieben, dass der Sohn ihres Bundes König von England und der Niederlande würde. Don Carlos hatte an seinen Vater geschrieben: So raubt Eure Hoheit mein Erbe! Für einen noch Ungeborenen nehmen Sie mir meine Niederlande? Kann ich das dulden? Ich werde mit meinem Bruder darum kampfen. Ich bat den Kaiser um eine Rüstung. Ihr einziger Sohn Carlos. Philipp antwortete ausführlich und zartlich; dabei sah er zum Greifen deutlich den armen kranklichen Knaben. Am andern Morgen ging Philipp zu Schiff. Die See war heiter. Am siebenten Tage landeten sie in England. DIE HOCHZEITSNACHT Das Bett stand auf vier hölzernen Füssen, wie ein Sarkophag. Zwei riesige Löwen trugen den grünen Himmel. Marie lag am aussersten Ende. Philipp wartete. Die Zeit war sein Acker. Marie lag auf dem Rücken. Ihr Haar war gesalbt. Ihre Haut duftete von Essenzen. Sie liebte die Zeit nicht. Ihre Tage vergingen wie ein prasselnder Regen. Marie fühlte eine Hitze in den Füssen und einen Frost in den Handen. Ihr Leib schien zu schweben. Verschmaht er mich?, dachte die Unglückliche. Noch habe ich England! Philipp liebte zu warten. Der ruhige Gang der Zeit schien ihm das Glück. Er liebte die grosse Ordnung in der eingerichteten Welt; dass man sicher war der Wiederkunft des Tages; dass die Völker den Gehorsam mehr liebten als ihren Vorteil; dass Gott den Bund mit den Machtigen hielt. Lachelnd überdachte Philipp den Tag. Vor der Kirche hatte Marie ihn warten lassen, eine halbe Stunde stand er vor der Kirchentür. Im Bett wartete Marie. Der Bischof Gardiner hatte ihr Bett gesegnet. In der Kirche hatte einer des Kaisers Brief verlesen. Karl schrieb, ihn freute die Hochzeit. Philipp lachelte im Dunkeln. Mein Vater freut sich. Karl hatte in diesem Bett liegen sollen, neben dieser hasslichen Frau! Ach, der grosse Karl war müde. Er gab mir heute die Königreiche Neapel und Sizilien, das Herzogtum Mailand und den Titel König von Jerusalem. Philipp sah im rötlich finsteren Schein eines öllampchens, das vor einem Heiligenbild hing, die Schatten, die er und Marie warfen. Die Schatten glichen grossen Nachtvögeln. Marie seufzte. Philipp fragte sanft: „Fürchten Sie sich, Marie?" Er verstand nicht, was sie antwortete. Es klang kindlich und schamlos, war aber nur englisch. Philipp schwieg befremdet. Er verachtete die fremden Sprachen. Sie gehort en ihm nicht. „Don Felipe", sagte Marie auf spanisch, „ich liebe Sie." Philipp streckte seine Hand aus. Marie bedeckte mit beiden Handen ihren Schoss. Aber Philipp wurde nur geschwatzig. Marie lauschte dem Klang seiner Worte. Seit dem Tod ihrer Mutter, der Katharina von Aragon, hatte sie nicht mehr spanisch gesprochen. Sie hörte die schrecklichen Namen Luther, Calvin, Erasmus von Rotterdam, sie vernahm den erhabenen Namen des Heiligen Vaters zu Rom. Marie dachte: Ist die Politik sein einziges Laster? Philipps Hand spürte unter den Decken die Warme Maries. Seine Hand lag an ihrem Herzen, wie klein waren ihre Brüste. Marie erschien ihm wie ein Kind von vierzig Jahren. „Nun heisse ich König von England", sagte er, „liebe Marie, uns hat Gott zusammengeführt. Wir werden einen Sohn haben, Marie! Es ist alles einfach. Es gibt Ketzer in der Welt, darum ist sie unvollkommen. Die Uneinigkeit verdirbt sie. Ich will sie eins machen." „Lastern Sie nicht, Don Felipe?" fragte erschrocken Marie, da Philipps Hand herabstieg von ihrem Herzen. „Ich spreche oft mit Gott", flüsterte Philipp. Marie merkte ihren Gatten. Sie wusste, er wollte den Krieg zwischen England und Frankreich. Sie wollte nur ihn. „Was machen Sie, Don Felipe?" fragte sie und verging und hörte schon seine Antwort nicht. „Unsern Sohn", sagte Philipp. DER PREIS Eines Morgens stieg Philipp vom Pferd und ging ins Schlafzimmer seiner Frau. Marie lag im Hemd vor einem Bild der Mutter Gottes, mit dem Gesicht am Boden. Da er sich über sie beugte, hob sie ihr tranennasses Antlitz und schlug ihn mit beiden schwachen Fausten gegen die Brust. Philipp hielt still und sah sie unverwandt an. „Ich hasse dich", schrie sie, „und habe dich geschlagen. Deine Ehre, König Philipp — was sagt sie? Verlasse mein Reich oder ich schicke dich in den Tower! Wo kommst du her? Du betrügst mich. Durch das Gartenfenster griffst du nach dem Busen der langen Madeion, da sie nackt vor ihrem Spiegel sich kammte; mit ihrem silbernen Kamm schlug sie auf deine ehebrecherische Hand. Sie singen auf allen Strassen von der Backerstochter, zu der du nachts durchs Fenster steigst. Einer Tudor zieht König Philipp die Tochter eines Brotbackers vor. Du machst mich zum Refrain der Balladensanger. Leugne es! Mich hast du aus Politik genommen. Dein Vater hat es eingefadelt; was wusste ich von der Welt? Dieser Renard sagte: ,Philipp liebt Sie.' ,Mich?' fragte ich. ,Mich will er?' Sage doch endlich, dass alles nicht wahr ist! Schwöre, dass du mich liebst! Warum schweigst du? Ich war nie wollüstig, aber bist du nicht mein Mann ? Bist du nicht mein Abgott ? Ich liebe dich, Philipp! Ich liebe dich!" Sie umfasste seine Knie. Die Tranen rannen an ihren geschminkten Wangen herunter. Ihr Mund war geöffnet. Ihr rotes Haar fiel in unordentlichen Strahnen über ihr Gesicht und ihr Hemd. Philipp sah, dass der Schmerz sie noch hasslicher machte. Die arme Marie hatte kein Talent für die Liebe. Jede Gebarde war verfehlt. Jedes Wort wirkte falsch. Da sie klug war, merkte sie ihre Fehler und litt doppelt. Philipp hatte das Fenster Madelons aufgestossen und nach ihrer Brust gelangt, er hatte mit der Backerstochter geschlafen — was für Bagatellen! „Erheben Sie sich, Marie", bat er strenge. „Es ist Ihrer unwürdig." Sie stand wirklich auf und legte sich artig zu Bett. Sie war eine machtige Frau. Gegen den Willen ihres Volkes hatte sie ihren spanischen Philipp zum König von England gemacht. Sie hatte gesiegt und fühlte sich geschlagen. Marie litt dreifach. Sie liebte. Sie war eifersüchtig. Sie war schwach vor Philipp. Man hatte ihr erzahlt, der Lieblingspage Philipps sei eine Frau: seine spanische Geliebte, Isabella Osorio. Man sagte, er liebe die Frau seines Günstlings Ruy Gomez, sie hiess Anna Mendoza und war sechzehn Jahre alt. Marie hatte Angst, diese Namen vor Philipp auszusprechen. Sie hatte Angst um ihn. Sie hatte Angst vor ihm. „Philipp!" schrie sie. „Ich habe Angst!" „Wovor?" fragte er, aus Höflichkeit oder Teilnahme. „Fürchtest du nichts?" fragte sie flüsternd, und sagte plötzlich mit ihrer gewöhnlichen, knarrenden Stimme: „Ich bekomme ein Kind." Da kam er langsam naher, mit mühsamen Schritten, und fragte, indes seine Blicke ihr leidendes Gesicht prüften und durch die Decke zu dringen schienen: „Bist du sicher?" Sie nickte und begann zu lacheln, da sie in seinen Augen seine jahe Freude las. „Viele Zeichen!" sagte sie stolz. Da ging er vor das Bild der Muttergottes und kniete und betete laut. Dann küsste er seine Frau auf die Stirn und hielt ihre Hande. Und Marie liebte ihn sehr, seine Haare, seine Hande, seine Augen. „Es wird ein Sohn sein", sagte Marie. „Ich fragte die Arzte und die Wahrsager." Ein Sohn!, dachte Philipp. Also gelang es ihm über alle Erwartung? Wie lange hatte er gezögert, nach England zu fahren! Als er endlich landete, schoss ein englischer Matrose statt der Salve eine Kanonenkugel auf das Schiff Philipps, und der englische Admiral erlaubte nur zehn Personen, gleichzeitig mit Philipp den Boden Englands zu betreten. Philipp hatte drei Niederlander gewahlt, Oranien, Egmont und Horn, und vier Spanier, seinen Hofmeister Alba, seinen Marschall Feria, seinen Mundschenk Mendoza, seinen Kammerer Ruy Gomez, ferner dessen Frau und die Herzogin Alba und einen Pagen, der wie ein verkleidetes Madchen aussah und die Osorio war. Bei der Hochzeit hatten die Englander Marie auf einen höheren Stuhl gesetzt, Philipp musste zu ihrer Linken sitzen und von silbernen Tellern speisen, indes ihre Teller aus Gold waren. Nach der Hochzeit erfuhr er, dass in England die Könige nur herrschten, aber die Minister regierten und die Herzöge, Grafen und Bischöfe mehr Macht hatten als der König und die Minister. Das Parlament sogar, devot und korrupt, weigerte sich, den König Philipp zu kronen. Statt dessen zitierten die Herren vom Unterhaus allzuoft die Bedingungen des Heiratsvertrages: Der neue König darf keine Amter und Ehren vergeben, er muss jeden im Besitz seiner Rechte und Güter lassen, er muss die Gesetze respektieren, Auslander sind ausgeschlossen von allen Amtern; Philipp hatte keinen Anteil an der Regierung, ob Marie lebte oder starb; Philipp darf England nicht in seines Vaters Kriege mit Frankreich verwickeln. Was darf ich?, fragte sich Philipp heimlich. Die Balladensanger antworteten ihm öffentlich. Wir brauchen den spanischen Hengst nur für unsere englische Stute! Philipp liess die Balladensanger singen und die Pamphletenschreiber schreiben. Er sass in der Stille und blickte in alle verborgenen Winkel von England. Seine Spaher gingen umher in den Stadten. Philipp liebte die verborgenen Blicke. Wenn er England verliess, sollte es keine Geheimnisse mehr für ihn haben. In Übersetzungen und Auszügen studierte er alle Akten und erforschte sein neues Reich, Volk und Machtige, Einnahmen und Ausgaben, alles war wichtig, Name und Zahl. Ohne Ermüdung las er alle Briefe aus allen Landern und machte sich Notizen und beriet sich mit seinen spanischen Raten Alba und Ruy Gomez und den Raten seines Vaters, den Niederlandern Egmont und Oranien. Philipp war ohne Macht in diesem Reiche. Er war fremd. Er stand allein gegen die zwei Millionen Englander, die ihn hassten, die sich gegen ihn erhoben hatten, noch ehe er seinen Fuss auf ihr Land gesetzt hatte; die ihn fürchteten, weil er ein Spanier war, weil er der Sohn des allzugrossen Kaisers Karl war, weil er ein eifervoller Katholik war. Philipp beschloss, alle zu gewinnen: Die Königin Marie durch den Schein der Liebe und ihr Volk durch den Glanz des Goldes. Mit zwanzig Wagen voll Gold aus Peru war er in London eingezogen. Nun kaufte er die Kauflichen: Die Minister, die gegen ihn protestiert hatten, weil er ein Auslander war; die Bischöfe, die ihm misstrauten, aus Furcht vor der spanischen Inquisition, die auch Bischöfe nicht schonte; die Herren vom Adel, die um ihre Vorrechte und neuen Güter zitterten; er kaufte gedungene Mörder und Mörder aus Überzeugung. Die Geschenke Philipps hatten steinerne Herzen gerührt. Freilich, mancher Gauner ging leer aus. Philipp war klug. Er hielt sich von allen Geschaften zurück. Nur in Gesellschaft Maries lauschte er der Weisheit der Herren vom Unterhaus und der Herren vom Oberhaus. Mit den Bischöfen sprach er vom Glauben, mit den Rechtsgelehrten vom Recht. Jeden Tag ging er zur Messe wie ein pünktlicher Mönch. Er sprach wenig, aber treffend. Er ritt mit Englandern zur Jagd, die Spanier und Niederlander sahen ihn nur heimlich und bei Nacht. Er war fleissig und trank Ale, das er hasste, und brachte Gesundheiten aus und zog sein Barett vor den Herzögen von England. Langsam werde ich sie gewinnen, dachte Philipp. Bald habe ich den Sohn und Erben. War es nicht eine Lust, zu herrschen ? Schon hatte er Grosses vollbracht. Er hatte England mit der römischen Kirche versöhnt. England war wieder katholisch. Zwanzig Jahre der Ketzerei waren ausgelöscht. Philipp sass auf dem Bett Maries und hielt ihre Hand. „Die Englander", erklarte er ihr, „sind Barbaren. Als ich nach London kam, standen auf jedem Platz Galgen, und die Köpfe der Rebellen dorrten in der Sonne. Wir Spanier haben eine alte Kultur. Bei uns zu Hause verbrennt man fein sauberlich die Rebellen mit andern Ketzern. Wer bei uns gegen den König aufsteht, gilt als Ketzer vor Gott." „Verbrennen", rief Marie mit dem Triumph der Gelehrigen, „zuerst die protestantischen Prediger, danach alle Rebellen, zuletzt das Fraulein Elisabeth!" „Deine Schwester?" fragte befremdet Philipp. „Sie ist nicht meine Schwester", schrie Marie. „Sie ist ein Bastard der Hure Boleyn. Diese Hure war die Ursache aller Neuerungen im Reich, durch sie verlor mein Vater den rechten Glauben und die rechte Frau; nun will ihre Tochter wieder alles verderben. öffentlich hört sie die Messe und heimlich spottet sie; ihre Diener sind Ketzer und Rebellen; jeder Empörer beruft sich auf sie. Nun gebare ich unsern Sohn, nun soll sie sterben! Ich will nicht, dass sie England erbt! Die Unzufriedenen blieken auf sie. Das ist die Zweite in England, sagen die Leute. Ich will sie zur Letzten machen. Ich hatte sie neben den Wyatt gehangt, aber meine Richter sprachen sie frei und das Parlament war gegen mich, fünfhundert Edelleute geleiteten sie zum Tower. Da sitzt sie nun und schreibt mir Briefe voll falscher Unschuld. Sei ruhig, mein Taubchen! Sie leidet!" Marie warf einen finstern Bliek auf Philipp. Weiss er die Opfer zu würdigen?, fragte sie sich. Schon habe ich die Jane Grey seinetwegen geköpft, nun will ich die Elisabeth verbrennen — für ihn! „Wir wollen in den Kirchen für dich beten lassen und dem Parlament verkünden, dass du gesegnet bist", erklarte Philipp. „Du musst zum Parlament sprechen. Ich darf es nicht. Ich bin ein Fremdling in England, ich gelte nichts, ich vermag nichts. Wenn du nicht mehr lebtest, müsste ich fliehn." „Niemals", rief Marie, „das soll niemals geschehn! Wenn ich stürbe...." Sie schwieg lange. Sie kampfte mit sich. Wenn ich tot bin, dachte sie, soll auch er tot sein! Denn ich liebe ihn. Und sie steilte sich ihren Tod und seinen Tod vor. Der Gedanke an seinen Tod aber schmerzte sie mehr. So sehr liebe ich ihn, dachte sie beglückt und entsetzt. Sie fühlte sich ausgeliefert und selig. Tapfer vollendete sie: „Wenn ich im Kindbett stürbe, solist du der Regent für unser Kind sein. Das Parlament soll das verkünden!" „Werden sie es tun?" fragte Philipp. „Ich zwinge sie!" rief Marie. „Man hasst uns Spanier!" sagte er. „Du hast zu viele hergerufen", entgegnete sie ihm mit sanftem Vorwurf. „Mit zehn Spaniern und Niederlandern betratest du den Boden Englands; jetzt sagen meine Londoner, auf den Strassen sehe man vier Spanier auf einen Englander. Ja, man erzahlt, es sollen noch zwölftausend Spanier kommen, um mir die Krone vom Haupt zu reissen. Man behauptet, dein Prediger Carranza soll Erzbischof von Canterbury werden. Wo sich Englander und Spanier begegnen, sitzen die Schwerter locker. Deine Höflinge kamen her, um England in ihre spanischen Plundertaschen zu stecken, sie setzten alles auf eine Karte. Nun ging ihnen das Geld aus, und sie hetzen dich gegen England auf. Sie sagen, die Polizei sei in Spanien besser. Nirgends gabe es so viele Diebe und Mörder wie in London. Man bestehle sie in den Kaufladen, beleidige sie bei Hof, stosse sie im Theater, und sogar du vernachlassigtest sie. Man berichtet mir, sie hiessen deine Reise nach England einen Kreuzzug!" „Das berichten dir deine Bischöfe Bonner und Gardiner", erklarte Philipp. „Du hast sie aus dem Tower geholt und zu deinen Ministern gemacht. Sie sind beide meine Feinde und schlechte Katholiken." „Sie verfolgen alle Ketzer!" sagte Marie. Philipp entgegnete nachdenklich: „Ich wollte wirklich, mein Beichtvater Castro und mein Prediger Carranza führten die Kirche von England. Es sind fromme Manner, die wissen, dass die Interessen des Königs und Gottes dieselben sind. Sie sind Gottesdiener und Politiker. Die Geistlichen in England scheinen zu glauben, ein Frommer müsse grob sein! Du musst England verandern, Marie. Hier reden die einfachen Leute zuviel von der Freiheit. Sie meinen die allgemeine Willkür. Spanien ist zum Vorbild der Welt geworden! Ordnung und Macht, der wahre Glauben und Frieden herrschen in Spanien. Willst du nicht England spanisch machen?" Marie spielte verliebt mit den Fingern Philipps. Zuletzt schloss sie die Augen, als sei sie müde geworden. Philipp verliess auf leisen Sohlen das Schlafzimmer Maries. Er war ihr böse. Sie tat meistens, was er ihr riet, aber nur aus Verliebtheit, nicht wegen seiner bessern Einsicht. Fast gab sie ihm nach wie eine zartliche Mutter ihrem törichten Sohn. Ist es so schwer, mich zu erkennen?, fragte sich Philipp und besah sich in einem der grossen Spiegel Maries. Er trug seinen gewöhnlichen Anzug aus schwarzem Samt, sein einfaches Barett mit der goldenen Kette. Sieht Marie meine Grosse nicht? Oder will sie den Preis nicht zahlen? Ich habe sie geheiratet. Sie soll den Preis zahlen! WILHELM VON ORANIEN In der Nacht rief Gott den König bei Namen: Philipp! und nochmals: Philipp! Der König antwortete dem Herrn: Bist du gekommen, mich anzuklagen? Hast du also nicht die Welt seit fünftausend Jahren mir zugerüstet ? Bin ich nicht dein Sohn Philipp? Im Finstern stieg der König aus seinem Bett und fiel mit seinem Angesicht auf den Boden. Er flüsterte: Schrecklicher! Warum tragst du das Antlitz meines Vaters? Du blickst in die Nacht meiner Gedanken und sagst, sie misstallen dir. Wer schuf sie? Ja, ich hasse den grossen Karl. Was hat er mir übrig gelassen? Willst du mich gross machen, Herr? Schicke mir ein Zeugnis deiner Gnade, einen Engel sende mir, Herr! Am Morgen kam Wilhelm von Oranien. „Sire", begann er, „England wankt unter unsern Füssen." Philipp dachte, so sehen die Engel des Herrn nicht aus. „Ich komme von Smithfield", erzahlte Oranien, „wo man fünfundzwanzig protestantische Pfarrer auf Befehl der Königin opferte. Als die Prediger brannten, begann das Volk zu predigen. ,Die Spanier haben England verdunkelt', sagte einer, ,nun macht Philipp Kerzen aus uns und zündet uns an!' ,Wir werden einen starken Rauch machen', sagte ein zweiter, ,bald wird Philipp husten.' .Schlagt ihn tot', schrie ein dritter, ,das ist der Antichrist!' Mörder! schrien zehntausend. So denkt das Volk von England." „Solche Völker schickt man zur Schule", erwiderte kalt der König. „Wer soll ihr Lehrer sein?" „Ich", sagte Philipp, „mit Gottes Hilfe." „Darum kam ich", erklarte Wilhelm. „Lehren Sie das englische Volk die Gnade. Ihr Beichtvater wird öffentlich predigen. Ich kenne den Bruder Castro. ,Unser Gott', wird er sagen, ,ist die Liebe!' Er sagt es und glaubt es schon." „Und Sie?" fragte der König. „Ich", erwiderte Wilhelm, „glaube es auch." Der König sah diesen deutschen Jüngling an, den Liebling des Kaisers. Philipp liebte die Leute seines Vaters nicht. Sie taten, als endete das Zeitalter mit Karl. „Sire, das Volk weist mit Fingern auf Sie. Die Leute sagen, Sie brachten die spanische Inquisition nach England. Das möchte der Kaiser nicht billigen." „Sie kennen die Meinung meines Vaters genau?" „Auch Herr Renard", antwortete Oranien, „ist meiner Meinung." Der König wusste es. Der Gesandte des Kaisers hatte um Gehör gebeten. Da Philipp, kein Freund der Mahner, ihn nicht empfangen hatte, schrieb ihm Renard: Sire, Sie verspielen England. Jeder Glaubensprozess schafft Ihnen tausend Feinde. England ist nicht Spanien. Üben Sie Gnade! Eine Verschwörung gegen mich?, dachte der König. Seine spanischen Rate, der Bruder Castro, der Professor Carranza, der Herzog Alba, der Graf Feria, der Günstling Ruy Gomez, rieten zur Strenge. Die Rate der Königin Marie, die Bischöfe Bonner und Gardiner, trieben zur erbarmungslosen Strenge. Nun kommen die Rate des Kaisers, der Burgunder Renard und dieser Oranien, halb Deutscher, halb Niederlander, und rieten zur Gnade. Waren sie heimliche Freunde der Protestanten ? Oder sprachen sie wirklich die Meinung des Kaisers aus? Philipp sagte zu Wilhelm: „Treten Sie naher!" Der König wollte den Prinzen einschüchtern. Wilhelm war noch ganz jung, kaum zwanzig, um sieben Jahre jünger als Philipp. Beide waren klein und hatten blaue Augen, aber der Spanier war blond und hatte ein ungewöhnlich weisses Gesicht, der Deutsche hatte die dunkeln Haare und braune Haut eines Südlanders. Wilhelm, dessen Ahne Adolf von Nassau ein deutscher Kaiser war, kam als Knabe an den Hof zu Brüssel und ward der Page Karls, der ihn liebte und wahrend der Audienzen bei sich behielt und kein Staatsgeheimnis vor ihm wahrte, ja, einmal ausserte, der Knabe habe ihm zuweilen besser geraten als die Minister. Karl machte ihn zu seinem Kammerer. Mit achtzehn Jahren erhielt Wilhelm die reichste Erbin der Niederlande, mit neunzehn ein Regiment, mit zwanzig eine Armee. Nun hatte ihn der Kaiser entsandt, damit er den Infanten nach England begleite und berate. Wilhelm, dessen Herrschaften und Güter zusammen schwerer als manches kleine Königreich wogen, war nicht schüchtern. Er lachelte heiter und erklarte: „Man murmelt sogar, man werde das Fraulein Elisabeth köpfen. Sire, die Königin Katharina von Aragon hat fünf tote Kinder geboren, und ihre Tochter Marie ist bald vierzig Jahre alt. Wenn sie stürbe und kein Kind hinterliesse und Elisabeth geköpft ware, erbte Maria Stuart, die Königin von Schottland und morgen von Frankreich. Besser eine Protestantin auf Englands Thron als eine Französin! Elisabeth muss leben bleiben!" „Muss sie leben?" fragte Philipp. „Sie muss sogar in Ihrem Hause leben, Sire!" erklarte unerschrocken Wilhelm, „und Sie müssen sie aus dem Tower befrein! So erwerben Sie ihre Dankbarkeit und eine Geisel. Sire! Hier ist der Platz für Elisabeth! Söhnen Sie die beiden Schwestern aus!" Hochmütig starrte der König den jungen Menschen an, sein kühnes Gesicht, die freie Haltung. Der Mensch missfiel ihm. Machen wir dazu unsere Geschopte gross, dachte er, dass wir anfangen, sie zu fürchten? Mein Vater tat, als sei Wilhelm mein Bruder. Wenn er es ware, hatte ich ihn vielleicht geliebt! Der Kaiser macht Fehler. Zu lange regiert er schon. Er schickt Eilboten zu mir und ruft mich nach Brüssel und schreibt, er will abtreten; so lange spricht er schon davon und verspricht es; aber, wenn ich nach Brüssel fahre, wird er mir alle Kronen geben? Was denkt mein Vater? Sagt er diesem Knaben eher seine Meinung als mir? Überhebt sich dieser kleine Prinz? „Ihr Vater ist Protestant?" fragte Philipp. Er dachte, der Sohn eines Protestanten kann kein Engel sein. Wilhelm schwieg betroffen. Ohne seine Antwort abzuwarten, fuhr Philipp fort: „Und erzog er Sie nicht im Glauben Luthers?" „Der Kaiser erzog mich", antwortete mit Stolz Wilhelm. Philipp sagte nachdenklich: „Er schenkt Ihnen sehr viel Gnade. Ehe ich Spanien verliess. weilte ich eine Nacht in dem Kloster San Yuste. Die Mönche bauen dort ein Haus. Man sagt, mein Vater bereut, dass er nicht mit aller Kraft die Ketzer bekampfte. Er bereut, sagt man, dass er damals nicht den Luther ergriffen und verbrannt hat. Er bereut, dass er nach der Schlacht bei Mühlberg die deutschen Ketzerfürsten, die er gefangen hatte, nicht aufgehangt hat, er bereut das Leben jedes Ketzers, das er geschont hat. Wollen Sie mir zu Entschlüssen raten, die ich im Alter von fünfzig Jahren bereuen werde? Ich bin im Glauben geboren, ich lebe und sterbe darin." Wilhelm dachte erschrocken: Vergass er, dass mein Vater einer dieser protestantischen deutschen Fürsten war? Bereut er, dass der Kaiser meinen Vater nicht gehangt hat? Leise fragte er: „Was kümmert uns der Streit der Priester?" Da schrie aber Philipp: „Verdammt sind die Ketzer. Sie sollen brennen!" „Keine Gnade?" fragte Oranien. "Keine!" sagte Philipp. , „ „Und ware ein ganzes Volk, ware die Halfte der Mensch- heit Ketzer?" „Brennen sollten sie!" Mich schaudert, Sire." ",Sind Sie etwa ein Ketzer, Wilhelm von Oranien? fragte Philipp mit einem gezwungenen Lacheln, wie zum Scherz. Da empfahl sich Oranien. Er lachelte nicht. Philipp blickte ihm nach. War dieser ein Bote des Herrn? Zwei Tage spater kam ein Brief des Kaisers: Mein Sohn, zünde keine Protestanten in England an, schone Elisabeth. Ich sehne mich nach dir, ich habe alles satt. Wann wirst du einen Sohn haben? Wann wirst du kommen? Mein Sohn! Gib dir den Schein, als liebtest du die Menschen, aber tue wie ich: Misstraue allen! Philipp gehorchte. Sein Beichtvater, der gute Bruder Castro, sprach öffentlich über die Gnade und bewies aus hundert Bibelzitaten, dass es nicht gottgefallig sei, Menschen für Meinungen zu verbrennen. Gott habe viele Wohnungen, erklarte er. Sollten die Menschen fremde Meinung nicht dulden, wer bestünde noch? Sage nicht Paulus: Kindlein, liebet einander? Auf viele Arten konne der Fromme Gott dienen. Zehn Jahre war Bruder Castro Inquisitor m Sevilla gewesen. Was bedeuten Meinungen?, fragte forschendder Beichtvater des Königs Philipp. ELISABETH Langsam rumpelte die geschlossene Kutsche durch London, livrierte Laufer schufen ihr Platz in den engen Gassen, sie hielt vor dem Tower, Leibgarden vertrieben ein paar neugierige Bettler, eine Pforte tat sich auf, und Elisabeth schritt zwischen zwei Wachtern heraus, in Freiheit oder Tod, sie wusste es nicht. Seit dreizehn Monaten sass sie im Tower gefangen. Die Wachter führten sie zur Kutsche, der Schlag öffnete sich, eine Hand streckte sich aus, fasste ihre Hand und zog sie sanft. Elisabeth blickte sich um, sollte sie um Hilfe schrein, sie sah nur Garden und Laufer in Blau und Silber, den Farben Aragons. Entführen sie mich nach Spanien?, dachte sie. Bringt man mich zum Schafott? Die ausgestreckte Hand aus der Kutsche zog sie herein, alles ging so rasch, sie blickte zurück, die Pforte zum Tower war schon vermacht, ihre beiden Wachter waren verschwunden. Ich bin verloren, dachte sie und stand schon mit dem linken Fuss auf dem Tritt und wollte den Fuss wechseln, links brachte ihr kein Glück, aber die fremde Hand zog sie herein, unwiderstehlich, sie sank auf den ledernen Sitz und sass neben einem fremden Mann. Die Kutschentür schlug zu, schon rumpelte die Kutsche, schon liefen die Laufer voran. Elisabeth fühlte noch immer die fremde, kühle Hand in ihrer eigenen, heissen Hand, sie machte sich frei und musterte mit einem Bliek den Fremden neben ihr. Er trug einen Anzug von schwarzem Samt, am Barett eine goldene Kette, und lachelte sanft. Es war ein angenehmer, junger Mann, blond und fremdartig. Elisabeth fand ihn seltsam, das war kein gewöhnlicher Mensch. Sie fasste einen kuriosen Verdacht, der von Minute zu Minute sich verstarkte. Sie ward blass und fragte, mit einer hochmütigen Stimme: „Will man mich entführen? Wohin bringt man mich? Das Volk von England wird nicht zulassen, dass man mir etwas antut. Wem gehort diese Kutsche? Auf wessen Befehl führt man mich aus dem Tower? Ich will die Königin sprechen, sofort! Das Parlament wird Ein- spruch " Sie stockte vor dem frechen Lacheln des Fremden. Wer sind Sie?" fragte sie. "ich bin Philipp", entgegnete der angenehme, junge Mann und lüchelte vertraulich. Ich habe es also erraten, dachte sie. Das ist der Mann meiner Schwester Marie, der sogenannte König von England! Elisabeth beugte sich vor und blickte durchs Kutschenfenster. Trotz ihrer Angst sah sie mit unzahmbarer Freude die lieben, vertrauten Gassen und Platze ihrer Stadt London. Es war ein Morgen im Mai. Der Himmel leuchtete, und die grünen Baume strotzten vom frischen Trieb. Ein klaffendes Hündchen sprang eine Weile lang neben den trappelnden Pferden daher. Die Kramer traten vor ihre Buden, aus den Kneipen kamen die Weinküfer und Huren, Handwerker standen im Schurzfell und schauten ihnen nach. Elisabeth zitterte, vor Glück, nicht mehr im Tower zu sitzen, und aus Angst vor dem Ziel ihrer Fahrt. „Wohin bringen Sie mich?" fragte sie den König, mit einer Art schüchternem Stolz. „Nach Whitehall", erwiderte er mit gut gespieltem Erstaunen. So bin ich frei?" "ich gab den Befehl", sagte Philipp. „Marie weissnoch nichts. Es ist der erste Befehl, den ich in England ohne ihre Unterschrift gab. Sie werden vorlaufig in den Zimmern der Herzogin Alba wohnen. Lady Clarence wird Sie bedienen." Elisabeth schwieg verwirrt. Was bedeutete diese angebliche Befreiung? Wusste Marie wirklich nichts? Was wollte Philipp? Sie sah ihn fragend an. Er lachelte gewinnend. Sie erklarte, für jeden Fall: „Ich liebe meine Schwester Marie und bete taglich zu Gott, dass erihr Kraft gebe in ihrer gesegneten Stunde, die nun bald kommen wird." Philipps Lacheln wurde kalt, so schien es ihr. Sie wusste. Nie wird diese gesegnete Stunde kommen. Marie war schon im elften Monat. Vielleicht war sie krank. Vielleicht war sie gar nicht schwanger und betrog diesen Spanier. Sie musterte ihn wieder, mit einem ihrer raschen, scharfen Blicke. Er sah interessant aus, und stolz und schwermütig, er konnte ihr vielleicht getallen, aber dieser hatte sie töten wollen, sie musste lacheln und sanft sein, vielleicht hatte er noch die Macht, ihr Böses zu tun. Sicher war er ein böser Mensch. Wohin führte er sie wirklich? Zum zweiten Mal beugte sich Elisabeth zum Kutschenfenster. Sie fuhren über die Themse, an den gebrechlichen Hauschen vorüber, die auf der Brücke standen, links und rechts, als gabe es an den Ufern nicht Platz genug für arme Leute und sie müssten über der Themse wohnen! Auf dem Fluss, ,der Pflanzschule unserer Matrosen', wie ihn der Hofpoet Wyatt genannt hatte, ruderten graubartige Schiffer, an den Brükkenköpfen zerbröckelten auf hohen Stangen die abgeschnittenen Haupter einiger eigensinniger Politiker und Theologen. Nun kam die Kutsche an einen Markt, sie rumpelte auf dem holprigen Pflaster und fuhr über alte Krautköpfe, Marktschreier riefen heiser, ein Bar tanzte, es stank nach Kohl und Abfallen. Landedelleute, zum ersten Mal in London, stolperten in die Gossen und rannten gegen Sacktrager. Raufbolde, die sich nicht auswichen, schlugen einander mit den Hüten ins Gesicht, bis einer hinfiel. Diebe untersuchten mit grosser Ruhe die breiten Taschen in den Reitanzügen der Landjunker. Gecken ritten vorbei, Hühner entwischten gackernd den Hufen der Pferde, ein Schwein lag grunzend in der Mitte der Fahrbahn, Wunderdoktoren folgten ihren Eseln, Bauern trieben ihr Vieh zu Markt, vor den Brunnen standen Magde, vor den Kirchen Bettler, vor der Börse Juden und Hollander. Elisabeth nahm alles mit Wonne auf. Sie genoss diesen zauberischen ersten Tag der Freiheit und das köstliche, sinnbetaubende Gewühl dieser lebenstrotzenden Weltstadt London; sie liebte wie nie zuvor dieses steinerne Babel, wo ein ganzes Volk an einem Ort lebte, ein Meer von Menschen, zweimalhunderttausend! Elisabeth liebte wie nie zuvor dieses starkknochige, gewalttatige, neuerungs- König Philipp der Zweite. 4 süchtige Volk, die Seerauber und Ketzer, die sanften, bleichwangigen Madchen vom Land und die rotbackigen Lords, die tollen Prediger und nüchternen Handelsherrn, die blèichsüchtigen Weber und die Strassenrauber zu Pferd und die Bauern im Moor. Elisabeth liebte mehr als je diese Stadt London, mit Wind und Nebel, mit dem Gras, grüner als sonst in der Welt, mit den Schwarmen wilder Kraniche und mit den Hahnenkampfen, mit den Viehweiden vor den Toren und der Börse und der Guildhall und dem Parlament und dem Lordmayor, mit dem korrupten Hof und der schwankenden Krone. Und Elisabeth liebte die Londoner, die ohne Mass soffen, ohne Frömmigkeit hurten, ohne Respekt fluchten, ohne Gnade rauften. Sie liebte all das, denn all das wurde ïhr bald gehören, sie fühlte es schon. Denn Marie war krank und würde sterben! Dass Philipp kam und sie heimlich befreite war es nicht der Beweis? Elisabeth war tapfer, denn sie war jung, sie lachte und sagte zum stillen König: Ich bin sehr vergnügt, Sire, mit Ihnen Kutsche zu fahren. Das war ein guter Einfall von Ihnen, an diesem schonen Maitag mir meine Stadt London zu zeigen. Sire, ich heisse Sie willkommen!" Sie gab ihm freundlich ihre schone, weisse Hand. Philipp aber fasste sie um den Hals und küsste sie auf den Mund, wie es der Brauch war im fröhlichen alten England. Elisabeths braune Wangen röteten sich, ihre Augen funkelten, sie legte ein Bein übers andere und schüttelte ihre roten Locken, und Philipp sah, dass Elisabeth schön war und ihm gefiel. Er hatte es nicht erwartet. Ja, Konig Philipp hatte sich sogar vor der Begegnung mit ïhr gefurchtet. Er liebte diese neue, wilde Sorte nicht, diese Spottgeburten einer falschen Volksbildung, verwirrte Nutzmesser der Erfindung des Buchdrucks, Schüler pöbelhafter Volksverführer und rebellischer Reformatoren, diese Protestanten und Ketzer, er hasste sie, er verabscheute sie alle. Sie kamen aus der Hefe der Völker, waren der Abschaum der Menschheit und zerstörten die mühsam befestigte Ordnung, drangen in die Kirchen und stiessen die Altare um, stritten in ihrer vulgaren Sprache über die tiefen Geheimnisse des Worts Gottes, verdarben die Völker, zertrümmerten die alte Kultur, spotteten über die Könige und führten die Menschen in die Irre. So hatte Philipp sich auch diese gefangene Prinzessin Elisabeth vorgestellt, larmend und heidnisch, hasslich und verstockt, wüst und gemein. Was hatte er anders erwarten sollen? Er hatte das Leben dieser Elisabeth studiert und ausgespaht, wie er alles studierte und ausspahte. Seine Frau Marie war wenigstens von Mutters seiten eine Spanierin. Elisabeth war eine Barbarin vom Vater und von der Mutter her. Zwanzig Jahre war sie erst alt und schon am Rande des Lebens. Da kam sie frisch aus dem Tower und stieg vielleicht geradenwegs auf den Thron. ïhr Vater? Um sechs Frauen zu heiraten, verriet er seine Religion, und mit Blut beschmiert, machte er sich zum Haupt seiner Kirche. Ihre Mutter? Durch Hurerei ward sie Königin, durch Hurerei geköpft; mit fünf Mannern, darunter ihrem Bruder, hatte diese Anna Boleyn die Ehe gebrochen; einen Sohn, sagte man, wollte sie um jeden Preis. Als man sie köpfte, war Elisabeth drei Jahre alt. Ihre Geburt schon ward zum Schimpf ihrer Schwester, ihr Geschlecht enttauschte ihren Vater und verdarb ihre Mutter. Nach dem Tod ihrer Mutter erinnerte sich ihr Vater, er habe schon mit ihrer Tante geschlafen, vor seiner Hochzeit mit Anna Boleyn, diese Ehe war also Blutschande und Elisabeth illegitim. Er nahm die dritte Frau, erhielt seinen Sohn Eduard und hiess Elisabeth wieder gültig. Mit vier Jahren trank Elisabeth schon roten Wein, mit zehn Jahren lernte sie in sechs Sprachen ihre Meinung verbergen, ihr Lehrer gehorte zur radikalen Schule von Cambridge und starb an der Pest. Da sie mit dreizehn den Heiligen Cyprian schon im Urtext las, starb ihr Vater, und sie zog zu seiner Witwe Kathe, der sechsten Frau des Königs, und kleidete sich elegant und verliebte sich in den zweiten Mann ihrer Stiefmutter, den Admiral Seymour, der alle Morgen in ihr Schlafzimmer kam und auf ihr Bett sich setzte und sie kitzelte. Als seine Frau starb, im Wochenbett, freite er um Elisabeth. Sie liebte damals die Musik, und er wurde geköpft, ein Rebell, am Abend zuvor hatte er ihr mit dem Blech seines Hosensenkels geschrieben: .Elisabeth! Rebelliere! Revoltiere!' Der Brief, eingenaht in der Schuhsohle seines Dieners, ward gefunden und belastete sie, ohne sie zu überführen. Man warf ihre Erzieherin und ihr en Schatzmeister in den Tower und verhörte Elisabeth. Sie log den ganzen Tag und weinte die ganze Nacht. Schliesslich starb ihr Bruder Eduard an der Schwindsucht, und sie musste zur Krönung Maries nach London reiten. Die Unruhigen und Ketzer wandten sich ihr zu, sie ging nicht zur Messe, sie war eine Protestantin; als Wyatt rebellierte, ward sie beschuldigt und kam in den Tower. Damals schrieb der Kaiser an Marie: ,Es gibt zu viele Tudors!' Und Renard flüsterte: ,Ehe sie nicht stirbt, fühlt sich Philipp nicht sicher und kommt nicht.'Und die Königin wollte, dass sie stürbe, aber die Richter sprachen sie frei, das Parlament hiess sie die Erbin von England und schützte sie, das Volk betete für sie, und sie blieb leben. Und ich kam doch nach England, dachte Philipp erstaunt, und da nun Marie ihren Tod will, wünscht es der Kaiser nicht mehr, und Renard und Oranien raten mir ab, und nun hole ich sie aus dem Tower und führe sie nach Whitehall, um sie mit Marie zu versöhnen. Was für ein Schicksal! Was für eine Figur! Sie hat die eiserne Stirn aller Pratendenten, die ihre Verbrechen ankündigen müssen, um eine Partei zu machen, und sie ableugnen, um ihr Leben zu retten. Wie auf Stufen schreitet sie von Unglück zu Unglück höher. Ihre Freunde verderben sie schier, aber ihre Feinde müssen ihr emporhelfen. Jeder Schritt, den sie tut, geht ins Ungewöhnliche, und doch liebt das Volk sie. Die Fülle der Paradoxe leiht ihrem Leben den Schein der Bedeutung. Schliesslich, wenn sie gewann, würde sie für gross gelten, ausser vor Moralisten vielleicht. Philipp erwartete, ein Monstrum zu finden. Nun er sie sah, rührte sie ihn, sie gefiel ihm. Dieses sanfte, schüchterne, schone junge Madchen, unschuldig und tapfer, konnte so viel Unruhe in diesem England stiften? Hatte Philipp es nicht gewusst, er hatte es nicht glauben mogen. Ich muss mich vor ihr hüten, dachte er. Sie gefallt mir allzugut! Schon rumpelte die Kutsche zwischen Baumen und über das hohe Gras. Eines der sechs Pferde wieherte. Elisabeth versuchte, in Philipps Miene zu lesen, seine Miene war undurchdringlich. Sie wagte nicht, ihn zu fragen. Sie hatte schon zu viel gefragt. Kaum hatte sie die süsse Luft der Freiheit geatmet und ihres Glücks sich gefreut, sah sie schon neues Unheil voraus. Philipp blickte auf ihr rotes Haar, das im Strahl der Sonne golden funkelte. Auch Marie hatte rote Haare. Philipp verglich die Schwestern im Geist. Er dachte an die allzulange Schwangerschaft Maries. Vor vier Wochen schon hatten die Londoner grosse Freudenfeuer angezündet und auf den Strassen getanzt, es hiess, der Sohn sei geboren, die Kanonen hatten im Tower geschossen, die Glocken hatten gelautet. Der Dechant von St. Paul hatte in seiner Predigt schon den Erben beschrieben, er hatte das Gewicht und die Haarfarbe genannt, als hatte er ihn schon gesehn. Und wusste Elisabeth davon? Was glaubte sie? Was glaube ich?, fragte sich Philipp. Wird Marie einen Sohn gebaren? Sie ist schon im zehnten, im elften Monat. Geschehen Wunder? Wenn ich keinen Sohn von Marie erhalte, wird Elisabeth England erben! Und wenn Marie stirbt, habe ich nichts mehr in England zu sagen, und alle Mühe war umsonst? Diese Elisabeth wird erben, dachte er und wusste schon voraus, er würde um sie freien, um England zu behalten. Soll ich sie heiraten?, fragte er sich. Vielleicht ist sie jener Engel, um den ich kürzlich Gott gebeten habe ? Sehen so die Engel aus ? Das heitere Lacheln Philipps trübte sich. „Elisabeth", fragte er plötzlich, „sind Sie ein Engel?" Überrascht sah sie ihn an. Sie verstand ihn nicht. Sie lachelte verwirrt und geschmeichelt. Meine Zeit kommt, dachte sie. Ich werde grösser sein als er und über ihn spotten, wie er heute mich verspottet. Er sieht ziemlich sanft und angenehm aus. Fast könnte er mir gefallen. Aber er ist ein Monstrum, und am liebsten würde ich ihn vergiften. Die Kutsche hielt. Sie waren an Whitehall vorbeigefahren und hielten vor einer Pforte im Garten. Philipp stieg aus dem Wagen und reichte Elisabeth die Hand. In einer Sommerlaube wartete die Lady Clarence. Ihr Lacheln schien zu künden: Ich höre nichts! Heimlich führte sie das Fraulein Elisabeth ins Schloss. Philipp blickte ihr nach und war gar nicht sicher, ob er nicht einen grossen Fehler gemacht hatte, indem er ihr Leben rettete. Da er sie nicht mehr sah, wusste er weniger als zuvor, ob Elisabeth ein Monstrum oder ein Engel war. Der Kaiser hatte sie gerettet, und sein Gesandter Renard, und sein Liebling Wilhelm von Oranien und die Furcht vor dieser Maria Stuart, und viele noch retteten sie. Um einen Menschen zu ver derben, genügt einer allein. Aber um einen Menschen zu retten, bedarf es der Hilfe so vieler. Es bedarf der Duldung. Philipp hatte ihre Rettung nur toleriert. Mit einem Male fühlte er einen schrecklichen Zorn. Es war genug. Immer noch befahl der Kaiser und regierten seine frechen Rate. Und taglich schickte er seine Boten und rief seinen Sohn nach Brüssel und liess ihm sagen, es sei genug, er trage die Last der Kronen nicht mehr. Ja, sagte Philipp und stampfte mit dem Fuss auf: Genug! Genug! Dann stieg er in seine vergoldete Kutsche und fuhr spazieren. Auf den Wiesen blühten die Maiglöckchen und Anemonen. Philipp liebte die Blumen. ABSCHIED VON ENGLAND König Philipp versöhnte die Schwestern. An der Hand führte er das Fraulein Elisabeth in die Zimmer Maries. Zweimal hatte Philipp heimlich und am spaten Abend Elisabeth aufgesucht und lange mit ihr gesprochen, vom Glauben, von der Liebe, von der Hoffnung. Bald, eröffnete er ihr, verlasse ich England. Die Königin Marie ist krank, gestand er ihr. Nur weiss sie es noch nicht. Die Arzte sagen, es sei die Wassersucht, was ihren Bauch wölbe. Die Arzte sagen, sie trage den Tod im Bauch. Sie weiss es noch nicht. (Das war für die Hoffnung.) Die Welt sei gefahrdet, erklarte Philipp der schonen Elisabeth. Die Unglaubigen rüttelten an allen Türen von Europa. Die Türken und Heiden, die Protestanten und Franzosen, es sei alles eins. Philipp warnte die Prinzessin vor den Verführungen Satans und vor aller Versuchung. England sei gemacht, um in Freundschaft mit Spanien und den Niederlanden zu leben. Nur so werde sein Handel blühn, seine Industrie gedeihen! (Soviel sprach Philipp für den Glauben). Zuletzt sprach er von der Liebe. Er habe Marie geliebt und sei ihr ein treuer Gatte gewesen. Wenn er England verlasse, so geschehe es auf Wunsch seines Vaters, des Kaisers. Grosses begebe sich bald in der Welt. Vieles werde sich andern. Immer werde Philipp der Freund Elisabeths bleiben. Er habe einen unvergesslichen Eindruck von ihrer Schönheit, von ihrer Weisheit, von ihren politischen Talenten erhalten. Vielleicht werde er eines nicht allzufernen Tages eine grosse und für beide ehrenvolle Frage an sie richten. Es werde vielleicht in gewissem Sinn eine Bitte sein. Er könne vorlaufig nicht mehr sagen. Aber wenn er ihre Hand ergreifen dürfe, so wolle er sie nun küssen. Sie habe eine sehr schone, eine begehrenswerte Hand, sagte Philipp und lachelte vielsagend und intim. Elisabeth sah ihn an, mit der Aufmerksamkeit einer verliebten Schülerin. Ihre Blicke sprachen: Wie gross bist du! Wie weise bist du! Wie bist du der erste aller Könige, o König Philipp! (Soviel sprachen sie von der Liebe). Philipp und Elisabeth fühlten eine kleine Neigung füreinander. Sie verstanden sich vorzüglich. So schien es ihnen. „Nun versöhne ich Sie mit Ihrer Schwester Marie!" erklarte Philipp und führte Elisabeth an der Hand ins Audienzzimmer Maries. Ruy Gomez, der Kammerer Philipps, begleitete sie. Da Elisabeth eintrat und ihre Schwester Marie sah, kniete sie nieder. Marie sass auf einem Polster. Ihre Wangen waren blutrot geschminkt. In ihrem Haar funkelten riesige Diamanten. Ihre Brust war mit köstlichen Spitzen geschmückt. Ihr Bauch wölbte sich hoch. Im Zimmer roch es nach Baldrian. Durch die Turen drang das eintönige Murmeln der Priester, die tags und nachts für das Kindbett der Königin bet et en. Elisabeth kniete demütig vor ihrer Schwester, stumm blickte sie ihr ins Gesicht und sah den Tod im Antlitz Maries. Da senkte sie erschrocken den Bliek und sah den Tod im vorgewölbten Bauch Maries. So sehn Gottes Wunder aus, dachte Elisabeth betrübt und angstlich. Marie musste sterben, damit sie steige. Sassen überall in der Welt Menschen, die auf den Tod ihrer Schwestern und Brüder warteten ? Sind die Menschen verflucht ? Würde man auch einmal so auf ihren Tod warten? Unverwandt schaute Elisabeth auf Marie und wartete, dass sie spreche und sie aufstehn heisse. Aber Marie schwieg. Ihre Augen blickten fremd, als schlummerte ein Wahnsinn hinter ihnen. Schon schmerzten die Knie Elisabeths. Endlich begann Marie zu lacheln, ein seltsames und unpassendes Lacheln, vergnügt und eilfertig. „Stehe auf", sagte sieundfügtehinzu: „Liebe Schwester." Elisabeth erhob sich, diese zwei Worte hatten sie sehr gerührt. Sie spürte Tranen in ihren Augen. Sie fühlte einen Schauder. Wusste Marie nichts? Und ich?, dachte sie. Vielleicht war auch sie so verloren und wusste es nicht. Vielleicht war auch sie so narrisch? Ihr kam vor, im Irrtum lebten alle Menschen. So grasslich verkennte jeder seine Lage. Marie strich mit der wohlbekannten mütterlichen Gebarde lind über ihren Leib und flüsterte lachelnd: „Das Kind. Es regt sich. Ich spüre es. Ich liebe es schon sehr. Anfangs fürchtete ich mich vor ihm. Ich bin nicht mehr so jung. Und wenn ich stürbe? Alle Menschen sterben. Aber ist das ein Trost? Schwester, haben wir nicht alle verspielt? Und kann man keinem Menschen den Schmerz ersparen ? Die Schmerzen der Menschen sind so gewöhnlich — aber ist das ein Trost? Ich weiss, wir sind alle Sünder! Elisabeth — und nach meinem Tod?" Elisabeth schwieg schaudernd. Hatte Marie ihre Gedanken erraten? Elisabeth senkte den Kopf. Sie konnte nicht antworten. Philipp und Ruy Gomez standen am Ende des Zimmers vor dem Fenster und blickten auf die Baume und das frische Gras und den blauen Himmel. Die kleine Welt schien so vollkommen und friedlich. „Wozu sind wir nach England gefahren?" fragte flüsternd Philipp. „Es war wirklich ein Kreuzzug", erwiderte leise Ruy Gomez. „Wir sind alle ruiniert. Dieses England ist kein Indien." „Wie klug ist mein englischer Sohn", sagte wehmütig Philipp. „Nie hatte ein Mensch so grosse Aussichten! Und dieser zieht vor, nicht geboren zu werden. König der Welt ware er vielleicht geworden, Erlöser der Völker, Hort der Armen, Schild der Reichen! Ihm ward England angeboten, Burgund und Niederlande, vielleicht auch Spanien, Italien, Afrika, beide Indien und mehr noch! Er wirft nicht einmal einen Bliek auf sein versprochen Teil!" „Dafür müssen Sie auch das Seine tun!" erklarte Ruy Gomez. „Die Welt gehort Philipp." „Wirklich?" fragte Philipp, als hörte er davon zum ersten Mal. „Betest du auch für mich?" fragte Marie ihre Schwester. Sie hielt ein Gebetbuch in Handen. „Ich bete immer die gleichen beiden Gebete, für gesegnete Frauen und für die Einheit der Kirche. Hast du dich bekehrt, Elisabeth?" Der Bliek Maries ward strenge. Elisabeth nickte mit dem Kopf. Sie zitterte um ihr Leben. „Alle verraten mich", flüsterte Marie. „Auch du liebst mich nicht. Baust du nicht auf meinen Tod? Aber ich werde lange leben, für mein Kind. Ich frage Gott: Warum strafst du mich so hart? Meine Bischöfe antworten: Weil du die Ketzer duldest. So hat Saul die Amalekitergeschont, und Gott verdarb ihn. Aber ich antworte meinen Bischöfen: Brennt! Brennt die Ketzer ohne Unterschied!, sage ich. Und du, Elisabeth? Will Gott mich verderben? Wann kommt mein Sohn? Wo bleibt das Wunder? Früher kannte ich Gottes Meinung. Ich hing zu sehr mein Herz an einen Mann. Du hast mit Philipp gesprochen, Elisabeth? Was sagte er? Ich will alles wissen. Noch lebe ich! Was hater dirgesagt? Sprach er von mir ? Die Wahrheit, liebe Schwester, oder hast du sie ganz verlernt ? Habe ich denn keinen Menschen auf der Welt? Bin ich ganz allein? Hat Philipp dir gesagt, dass er mich nicht mehr liebt? Hat er dir geschmeichelt? Er ist locker. Warum errötest du? Geh! Fort mit dir! Worauf wartest du? Philipp! Philipp!" rief sie. Elisabeth ging ein paar Schritte zurück, zur Tür. Sollte sie gehn? Durfte sie bleiben? Mit leichten Schritten kam Philipp. „Schwöre mir", bat Marie, „dass du mich nie verlassen wirst!" Philipp schwieg und blickte fort. „Erfüllte ich dir nicht jeden Wunsch?" fragte Marie. „Bin ich schuld, dass mein Parlament dich nicht krönte? Die Kerle haben Angst vor einem Krieg mit Frankreich. Ich jage sie fort. Ich mache alles, was du willst, denn ich liebe dich! Man hat mir geweissagt", erklarte sie, „bald werde ich unsern Sohn gebaren, woran zweifelst du noch, Philipp?" „Ich zweifle nicht mehr", erwiderte kalt und höflich Philipp. Da begann Marie zu schrein und rutschte vom Polster herab und stemmte die Füsse gegen den Boden und schrie wie ein Kalb. Sie tat oft so in diesen Monaten, wenn sie glaubte, ihre schwere Stunde sei da. Rasch eilten ihre Hofdamen herbei und trugen die schreiende Königin in ihr Bett. Lady Clarence folgte dem Zuge. Ihr wohlbekanntes Lacheln schien zu künden: Ich höre nichts! Vier Wochen darauf kam voll Pomp ein Sondergesandter aus Polen mit Glückwünschen zur Geburt des Erben Philipps und Maries. Die falsche Nachricht war zu den Antipoden geflogen, der Gesandte hatte eine lange lateinische Rede auswendig gelernt, man musste ihn anhören, um die Polen nicht zu kranken. Philipp sass auf seinem vergoldeten Thron und sah finster darein, um ihn standen die Grossen des Reiches, der polnische Gesandte dekla- mierte. Es kicherten die Grossen des Reiches. Es kicherten die Diener vor den Türen. Es kicherten die Leute von London. Nur die Spanier standen im Thronsaal, verhöhnte Goldsucher, mit finstern Gesichtern und drohenden Barten, ernste Gespenster. Und unaufhörlich pries der Schlachzize aus Polen den ungeborenen Sohn. Genug!, dachte Philipp. Ganz England machte Witze über ihn, schon lachten entferntere Völker. Philipp ging zu seiner Frau und befahl: „Entlasse die Ammen und Weissager. Schluss mit Prozessionen und Priestern! Schweige endlich von deiner Niederkunft!" Marie blickte verzagt. Endlich fragte sie schüchtern: „Philipp! Liebst du mich noch?" „Genug!" sagte Philipp. „Ich liebe dich." So endete die Mar von dem Sohn Maries. In Wales beteten aber die frommen Hirten noch lange Zeit für die glückliche Niederkunft der Königin Marie, denn kann Gott nicht Wunder tun? „Der Kaiser ruft mich", sagte Philipp zu Marie und rüstete sich zur Reise. Auch Lady Clarence war sehr geschaftig. Ihr ward alles zum Fest. Schmerz und Lust der andern galten ihr gleich. Sie haufte Schatze. Sie verkaufte die Geheimnisse des Hofs und kaufte die billigen Klostergüter, sie lieh Geld auf Wucherzinsen und trieb jeden Handel. Sie war erst sechzig Jahre alt und schrie kichernd jedem ins Ohr: „Ich lebe hundert Jahre!" Sie sammelte Jahre. Sie schatzte den König Philipp. Unter ihm gab es Auftrage in Fülle, für ihn und gegen ihn. Aber als der König aufbrach, freute sich die Lady Clarence, nach Neuem begierig und unruhig wie viele Leute. Sie witterte neue Herren, neue Auftrage. Mit gespielter Sorge verkündete die Greisin, hamisch und geheimnisvoll schreiend: „Marie ist krank!" Sie hielt sich schon an Elisabeth. Hinter der vorgehaltenen Hand schrie sie: „Die künftige Königin!" Der Gesandte von Frankreich glaubte ihr nur die Halfte, ein Kenner der Menschen. „Haben Sie Kinder ?" fragte er sie. „Nein? Wofür sammeln Sie also?" „Für meine alten Tage", sagte die Lady. „Und wenn Sie sterben?" fragte der grausame Gesandte. Die Greisin begann vor Schreck zu husten und schrie böse: „Ich überlebe euch alle!" „Ich bin noch jung", erklarte der Gesandte. „Aber Sie werden gewaltsam sterben", prophezeite so sicher die Alte, dass es den spöttischen Gesandten kalt überlief. Doch folgte er dem Rat der Lady und hielt sich an Elisabeth. Viele taten so. Es geschah, als sei Marie schon tot. Die Königin Marie sass in ihrem Zimmer, tagelang, ohne Laut, ohne Tranen, ohne Mut. ,,Nie sehe ich ihn wieder", sagte sie endlich zu ihrer besten Freundin, der Lady Clarence. „Vielleicht bleibt er noch?" fragte die Clarence. Marie schüttelte den Kopf. „Der König sagt, in einem Monat kehrt er wieder!" schrie die Clarence. „Philipp lügt", sagte Marie. ,,Nie sehe ich ihn wieder. Gute Clarence, ich weiss es: Philipp liebt mich nicht. Dass er doch stürbe!" „Majestat!" rief die Clarence indigniert. „Gute Clarence", sagte seufzend Marie, „ich liebe ihn. Ich liebe ihn mehr als Christum. Gott, vergib mir die Sünde!" „Gott ist taub!" murmelte die Clarence. König Philipp fuhr die Themse hinunter. Marie begleitete ihn mit ihrem Hofe. Philipp schwor ihr zu jeder Stunde: „Ich kehre wieder. Ich lasse dir meinen Beichtvater, den Bruder Castro, ich lasse dir meinen Hofprediger Carranza, ich lasse dir meinen Marschall Feria zum Pfande." „Und liebst du mich?" fragte Marie mit zitternden, weissen Lippen. „Genug!" antwortete Philipp. „Ich liebe dich." Bei Greenwich küsste er alle Damen auf den Mund, auch die lange Madeion, auch die alte Clarence. Zuletzt umarmte er Marie. Seinen Mantel hielt sie mit klammernden Fingern fest, die Nagel grub sie darein. Die Tranen liefen ihr die geschminkten Backen herunter. „Bald komme ich wieder", sagte Philipp zwanzigmal. „Nieseheich dich wieder!" antwortete Marie zwanzigmal. Schliesslich machte er sich los und stieg aufs Schiff. Marie lief mühsam ins Hafenhaus und die Treppen hinauf und zum Fenster im ersten Stock und winkte mit beiden leeren Handen dem fahrenden Schiffe nach. Philipp stand auf Deck und schwang seinen Hut. ZWEITES BUCH KAISER KARL DER FÜNFTE DIE ABDANKUNG Philipp ritt dem Zuge der Wolken nach. Wie einen wüsten Traum liess er England hinter sich. Nochhörte er die krachzenden Liebesseufzer Maries. Sie hatte ihm kein Glück gebracht. Nun ritt er durch Flandern. In Brüssel wollte er die Kronen des grossen Karl empfangen. Philipp liess sich Zeit. In den Pausen des Lebens genoss er die süsse Stille. Die Sonne ging auf, sie schwamm in Blut und Gold. Über seinem Haupt ründete sie sich wie eine Krone. Mit dem genauen Bliek eines Landmessers prüfte Don Philipp sein Erbe. Sein Narr ritt neben ihm, lang und hager, im schwarzen, spanischen Mantel, der düstere Onkel Martin. Wie einfaltige Riesen standen die Kirchtürme in der weiten Ebene und grüssten einander mit erzenem Schall. „Ketzerglocken", murmelte der düstere Narr. Das flache Land glanzte, reingefegt vom salzigen Atem des Meeres. Auf den Kanalen fuhren Segelschiffe. Die hohen Himmel und die breiten Baume spiegelten sich in jedem Dorfteich, das stille Wasser funkelte grünlich und blaulich. In runden Haufen lag das Heu und trug stroherne Hüte. Pferde standen fromm nachdenklich zwischen wiederkauenden Kühen. Die Windmühlen drehten langsam ihre riesigen Flügel. Die festen Stadte funkelten inmitten ihrer Mauern und Türme. „Ein reiches Land", sagte der Narr, „und leicht zu plündern!" In Brüssel empfing der Vater seinen Sohn vor der Schwelle des Palastes. Auf dem Grossen Platz stand der Adel und bückte sich. Philipp kniete, Karl hob ihn auf, Philipp wehrte sich. Die suchenden Lippen Philipps trafen des Vaters Armel. König Philipp der Zweite. 5 Endlich drückte der Kaiser seinen Sohn ans Herz. „Da bist du", sagte er und begann zu weinen. „Deine Hand", sagte Philipp und suchte sie, um sie zu küssen. Da merkte er, der Vater verbarg sie eigens. Gichtknoten sassen an den Fingern. Philipp fühlte eine Wehmut sondergleichen. Er sah das welke Fleisch, das Fleisch des Menschen, das bestimmt ist, zu verderben vom Anbeginn. Philipp spürte ein sonderbares Gelüst, die Gichtknötchen an der Hand seines Vaters zu küssen. Er dachte: Den Tod küssen. Er bezwang sich, um der Scham des Vaters willen. Zusammen gingen sie in den Palast. Philipp setzte sich nicht in Gegenwart des Vaters. Er hob den Hut bei jedem Wort. Die spanischen Granden rühmten den Respekt. Die Barone aus Flandern sahen sich betreten an. Sie glaubten, der Kaiser sei ein Mensch wie ihresgleichen. Philipp liess sich Zeit, aber Karl war eilig. Schon trat der Kaiser seinem Sohn die Niederlande und Burgund ab, im Saai zu Brüssel, angesichts der Staat en von siebzehn Provinzen und der Ritter vom goldenen Vlies, angesichts der Granden und Rate und fremden Botschafter. Danach sassen der Kaiser und sein Sohn, den dritten Tag schon, allein im Gemach, das schwarz ausgeschlagen war. Sieben Fackeln brannten. Auf einem Tisch stieg ein Berg von Papier auf, die Akten einer Welt. Eine Kerze beleuchtete sie. Karl breitete die Geschafte seiner Reiche vor seinem Sohn aus. Der Kaiser hatte riesige Schulden. Die Zinsen überstiegen die Einnahmen beider Spanien. Im Osten drohten die Türken, im Mittelmeer die unglaubigen Piraten. In Deutschland hatte der Mönch gesiegt, der Ketzer Luther. In Rom stieg der Feind des Hauses Habsburg auf den Stuhl Petri, Papst Paul der Vierte. Mit Frankreich war Krieg. Spanien war devot und bankrott. Die Niederlande waren unzufrieden. „Das Glück liebt nur die jungen Leute", sagte der Kaiser nach seinen drei Niederlagen: lm eigenen Haus, wo der Bruder Ferdinand den Anspruch auf die Kaiserkrone nicht hatte abtreten wollen an Philipp; in Deutschland, das nicht katholisch geblieben war; und vor Metz, wo Frankreich gesiegt hatte. „Ich bin müde", sagte Karl. Der Kaiser stützte sein Haupt auf die Hand. Heimlich starrte Philipp auf die Züge seines Vaters. Wie ein ertappter Schüler senkte er den Bliek, wenn Karl einmal die müden Augen aufhob. Demütig sass Philipp vor seinem Vater, wie der verlorene Sohn. Karl trug ein schwarzes Gewand. Seine rechte Hand lag wie tot auf dem Tisch, wie ein Akt unter Akten. Der Kaiser trug Trauer um seine Mutter, die tolle Johanna. Sie war vor kurzem gestorben. Seit vierzig Jahren Königin von Spanien, lebte sie seit vierzig Jahren in einem wüsten Turmzimmer zu Tordesillas, eingesperrt zugunsten ihres Sohnes Karl. Ist das die Stunde des Gerichts?, dachte Philipp und wartete, frierend im kalten Schweigen des Vaters. Was hat der alte Mann noch zu sagen ? Er ist der Erbe, dachte der Kaiser. Wofür habe ich mich vertan ? Er fühlte das Bedürfnis, seinen letzten grossen Gedanken auszusprechen. Das also, dachte der grosse Karl erstaunt, das ist die Stunde des Gerichts? „Mein Sohn Philipp", sagte endlich Karl. „Als ich vor fünf Jahren so krank lag, zu Augsburg, und meine Arzte mich aufgaben, schickte ich dir den Alba mit einem Heft. Darin schrieb ich meine Gedanken auf." „Ich lernte sie auswendig", sagte Philipp. „Diese Ratschlage", erklarte Karl, „waren ausgezeichnet. Aber ich möchte dir mehr sagen als diese simpeln Erfahrungen eines alten Mannes. Mehr, verstehst du, weiter!" „Das ist deine Devise", sagte Philipp. Karl verstummte. Würde Philipp ihn nie verstehn? Karl spürte aber die Lust, zu reden. „So grosse Traume", stammelte der Kaiser und dachte: Wie ein Knabe rede ich. „Ich begehrte alles", sagte der Kaiser. „Als ich vor den Staaten sprach und meine Taten zahlen wollte, merktest du, wie gering alles klang ? Ich prahlte mit meinen Reisen, neunmal war ich in Deutschland, sechsmal in Spanien, siebenmal in Italien, zehnmal in Flandern, viermal in Frankreich, zweimal in England, zweimal in Afrika. Was soll das?" „Die Mühe", sagte Philipp. "Da sassen meine Schwestern, ich machte sie zu Königinnen; meine Neffen, ich schenkte ihnen Herzogtümer; meine Rate, ich machte sie reich; da sass mein Sohn Philipp — nun, alter Mann, sprach ich zu mir, rühme deine Grosse in der feierlichen Stunde des Abschieds, da du ablegst die Macht der Welt wie einen zerrissenen Mantel. Ich fand nichts zu sagen." „Alle weinten wir", gestand Philipp. „Viele weinten", gab Karl zu. „Ich sah es mit Vergnügen." Der Greis ward munterer. „Niederlander", sagte ich, „immer war ich euer! Hiess ich nicht Karl von Gent und war der erste Ritter meiner Zeit und liebte die Damen und focht mit Stieren? Nun wandle ich mühsam, auf einen Stecken und die Schulter Wilhelms von Oranien gestützt; für euch ward ich so schwach. Mich schmerzt nicht", sagte ich, „die Kronen fortzugeben; euch zu verlassen, schmerzt mich. Was ich tat", sagte ich, „tat ich für euch. Vierzigmal brach ich auf, zwölfmal fuhr ich über das Meer, wie oft zog ich zu Feld und litt Hunger und Durst", sagte ich, „und die Mühe, im Kabinett die durchwachten Nachte, ich schwöre, alles für euch. Und zur Rettung des Glaubens! Rottet den Zweifel aus , sagte ich, „diese Libertinage der Vernunft. Die Kirche denkt für euch. Euer Herr tut es." Philipp starrte seinen Vater betroffen an. Wollte Karl nun vor ihm die schone Rede wiederholen, die er vor den Staaten der siebzehn Provinzen gehalten hatte, als er abdankte? Schon weinte Karl bei derselben Stelle, bei der im Saai die leichten Tranen in seinen grauen Bart geflossen waren. Ist der grosse Karl dumm geworden?, fragte sich Philipp. Wie schwer ist ein Mensch zu fassen! Was gehort ihm? Was hat er entliehen? Wann prahlt er? Welche Stufe seines Lebens zahlt ? Oder ist alle Grosse — Gottes ? Philipp seufzte, ohne es zu merken, bei denselben Stellen der Rede Karls, bei denen die ganze Versammlung geseufzt hatte, Rate und Höflinge, Ritter vom goldenen Vlies und alle Staat en. Der grosse Kaiser Karl indes fuhr fort: „Und bitte um Pardon! Und tat ich einem unrecht, hier oder ferne, ich bitt' ihn um Pardon, nie tat ich es wissentlich, und bitte um Pardon, wie ich allen vergebe. Und bitte um Pardon", murmelte Karl und blickte seinen Sohn an, als wollte er fragen: War ich kein guter Vater? Wo will er hinaus?, fragte sich Philipp. Wird er auch seine Worte an mich wiederholen? ,Du', sagte er, ,mein lieber Sohn, danke nicht mir! Liebe deine Untertanen. Das ist es. Künftig tadle mich keiner dafür, dass ich für dich zurücktrat.' Da sah er mir recht ernst in die Augen. Was für ein Redner! ,Der Allmachtige schenke dir einen Sohn, dem du einst im Alter deine Reiche abtrittst, so gutwillig wie ich!' Da hatte der grosse Karl sich die Augen gewischt, schon weinten alle, Karl liess sich auf seinen Sessel unter dem Baldachin von Burgund fallen und hob die Hande und bat mit zitternder Stimme: ,Gott segne euch, meine Kinder!' Und wiederholte stiller: ,Gott segne euch, liebe Kinder!' Dann aber, dachte Philipp zornig, hob er sich auf, in seinem schwarzen Trauergewand, gross und mühselig, das genau studierte Bild müder Majestat, und humpelte davon, gestützt auf einen Stecken und auf Oranien, dem ich so ganz misstraue. Er spielte das grosse Theater und liess mir die Farce. Er trat ab. Und ich stand wie auf leerer Bühne, und spreche nicht flamisch, nicht französisch, sein Beamter sprach für mich, es war alles eins. Ich habe genug von seinen Dienern! Ich brauche neue Leute! Karl überzeugte eine Welt, er sei ihr unentbehrlich! Wirklich? Ist er das wirklich? Plötzlich sagte Karl: „Philipp! Ich bin enttauscht. Das wollte ich sagen. Seit zwanzig Jahren denke ich: Zuletzt bist du frei! Du kannst alles weggeben! Das, dachte ich, sei gross." Philipp ward zornig. Bereute der grosse Karl auf halbem Wege schon? „Einen Fuss", murmelte Karl, „bis zum Knie gabe ich ein Bein, wenn mir einer mein ganzes Leben aufs neue gabe! O Scheiterhaufen meines Glücks! Ich war alles, was ein Mensch sein kann." „Du liebst die Menschen nicht", sagte Philipp. "Du bist weise, mein Sohn. Hüte dich! Eine Sommermücke fliegt uns in die Nase und summt uns so lang im Hirn,bis wir Gras fressen auf allen Vieren. War ich nicht auch ein König von Babel? Und glaubte, die Sonne drehe sich um mich?" „Gewisse Ketzer sagen, die Erde drehe sich um die Sonne", erklarte schaudernd Philipp. „Verbrenne sie!" riet Karl. „Die Wahrheit liegt hinter uns, seit sie offenbart wurde", erklarte Philipp. „Bist du sicher?" fragte Karl und begann zu zittern. Mühsam erhob er sich und lauschte. „Ich höre Stimmen", flüsterte er, „zuweilen höre ich die Stimme meiner toten Mutter. Lass uns beten, Philipp." Achzend liess sich der Kaiser auf die Knie nieder, und schaudernd kniete Philipp; die Kerze war verloschen, die Fackeln wehten plötzlich wie in einem heftigen Wind. „Hörst du? flüsterte Karl. „Riechst du den Moder? Fürchte dich nicht! Was wollt "ihr, Senora Juana? Mutter, ich habe dich nicht umgebracht. Vierzig Jahre lang schonte ich dein Leben. Warst du keine Ketzerin? Hast du mich nicht geboren, auf dass ich gross werde? War ich nicht Kaiser? Musste ich nicht das Reich Gottes schaffen? Also war es deine Aufgabe, im Turm zu sitzen und zu leiden. Wolltest du umsonst die Wonne geniessen, Mutter des Herrn der Welt zu sein? Siehst du, Philipp, siehst du? Sie zieht ab! Stehe auf, mein Sohn. Kein Wind von drüben weht. Setz' dich, Philipp. Sagtest du nicht: Die Stunde des Gerichts? Ich will dir alles sagen. Du bist der Erbe. Welcher Richter ware weniger bestochen? Verurteile deinen Vater, wenn du Mut hast." „Mut habe ich", sagte Philipp. Karl tat einen langen Bliek auf seinen Sohn. „Meine Mutter", erzahlte der Kaiser, „war eine Ketzerin. Ich war drei Jahre alt, als meine Eltern mich in Brüssel liessen und nach Kastilien fuhren, zu ihrer Krönung. Bald darauf erklarte mein Vater meine Mutter für toll und sperrte sie in den Turm von Tordesillas. Ich erinnerte mich nicht an meine Mutter. Niemand sprach von ihr. Ich hatte sie vergessen. Als ich mit achtzehn Jahren, schon Kaiser, nach Kastilien kam, ritt ich zum Turm von Tordesillas. Ich sah meine Mutter. Nun — eine altere Frau. Ich kannte sie nicht. Jemand deutete mit dem Finger auf sie. Es gibt Millionen Frauen. Man hatte mir Millionen weisen können. Ich hatte nicht weniger empfunden. Eine altere Frau, von der man sagte, sie sei toll. Sie benahm sich seltsam. Sie starrte mich an und begrüsste mich nicht. Erst wollte sie mir die Hand nicht reichen, dann meine Hand nicht loslassen. Sie sagte Carlos zu mir, vielleicht siebenzig Mal, und sonst nichts. Hatte man ihr gesagt, ein Mann komme, der Carlos heisse? Wusste sie ihrem Sohn nicht mehr zu sagen? Damals war sie kaum vierzig Jahre alt. Ich schamte mich. Was sollte ich tun? Ihr die Krone von Spanien geben? Ich traumte davon, der Menschheit ein Paradies auf Erden zu schaffen, indem ich ein Reich schuf und den Krieg und die Ketzerei ausrottete. War das nicht das Leben einer Mutter wert? Die Christenheit war mir Vater und Mutter. Eine alte Frau sass im Turm. Wie ich sie ansah, blickten mich keine vierzig kurzen Jahre an, sondern die graue, stumpfe Zeit, die ewig dauern will und jeden grossen Menschenplan mit Parzenaugen anstarrt, die grosse Schere in der Rechten, den dünnen Faden des Menschenlebens in der Linken. Ich empfand vor meiner Mutter Furcht und Hass. Ich erinnere mich. Das Turmgemach hatte ein rundes Fenster, es war Abend, der linde Schein der untergehenden Sonne beglanzte uns. Es war ein Bett im Zimmer, ein Tisch, ein Stuhl, ein Kruzifix. Ist das nicht genug zum Leben? Speis und Trank hatte sie. Und vergiss nicht, sie war eine Ketzerin! Carlos, sagte sie mir, siebzig Mal vielleicht. Ich ging. Vierzig Jahre hielt ich sie im Turm zu Tordesillas, bis sie starb. Bin ich ihr Mörder, Philipp?" „Und fluchte sie dir?" fragte Philipp leise. ,,Mir?" rief Karl erschrocken. „Ihrem Sohn? Niemals." ^Vierzig Jahre?" fragte Philipp. „In diesem Loch zu Tordesillas?" „Was sagst du?" '|und was für Reisen hast du indes gemacht ? Zwölfmal in Vlandern, wie? Oder? Achtmal in Deutschland? Ich habe es vergessen." „Was sagst du, Philipp?" "ich habe nachgedacht. Welch ein Schmerz, die Welt anzuschaun. Wer aber die Wahrheit ausspricht, merkt bald, dass es nicht hilft, auszusprechen; du sprichst, und nichts erfolgt." „Ich verstehe dich nicht, mein Sohn." „Ich meine", sagte langsam Philipp, „seit fünfzehnhundert Jahren ist alles gesagt. Und was geschah? Die Menschen wissen nicht, wie man sie verhöhnt. „Ich verstehe dich nicht, Don Philipp." „Ich meine", erklarte zögernd Philipp, „du warst zu gró'ss. Wer die ganze Welt regieren will, muss nach dem Masse aller Menschen sein." „War ich denn toll?" fragte Karl bebend. „War es toll, die Menschheit lenken zu wollen nach meinem Willen?" „Nach Gottes Willen", sagte leise Philipp. „Die ganze Welt: Ein Reich?" fragte Karl. „Ist das toü?" „Es ist den Menschen versprochen." „Und wird es gehalten werden?" „Ja!" versprach Philipp. JDu?" fragte Karl lachelnd. „Mein Sohn Philipp?" „Ich bin geringer", sagte Philipp. „War Jesus nicht der Geringste?" DIE NARREN Der Kaiser sass in seinem Garten. Er hatte sich ein kleines Haus bauen lassen, am Rande des Parks von Brüssel. Hier brachte er die kurzen Tage zu, ehe er nach Spanien segelte. Karl liebte jeden Baum in seinem Garten. Das Gras zu seinen Füssen schien ihm blutsverwandt. Karl liebte die harten, stechenden Graser und die Halme mit den blühenden Rispen, ihre Biegungen im Wind, ihr Wehn und Neigen. Der Himmel sah blau und gnadig auf den Kaiser herunter. Die Vögel larmten im Gebüsch. Halbverborgen hinter den hohen Baumen lagen zwei Narren im Grünen, am andern Ende des Gartens. Zu den Füssen Karls sass Wilhelm von Oranien. Wenn Karl und Wilhelm schwiegen, konnten sie die lauten Stimmen der Narren hören. Der Kaiser hob seine müden Augen. Seine Züge, von vorne kühn, bedeutend, weise, wirkten von der Seite verkniffen, kleinlich, gerissen. Der Kaiser seufzte tief und sagte: „Philipp versteht mich nicht. Ich habe ihm die halbe Welt gegeben. Mein Sohn Philipp ist undankbar." Dem Kaiser tat es nicht leid um die halbe Welt. Er bereute, dass er vor seinem Sohn Philipp gesprochen hatte. Die paar armen Worte verdrossen ihn. Wilhelm schwieg. Er kannte des Kaisers Gewohnheit, vor ihm Selbstgesprache zu führen. Er spricht wie in seinen Spiegel, dachte Oranien. Tut nichts! Einmal werde ich antworten. Oranien rupfte Grashalme aus und zerzupfte sie. Dem Kaiser gefiel das zerstreute Wesen Oraniens. Es nahm ihm die Scham. „Warum bist du nicht mein Sohn?" fragte Karl leise. „Philipp grollt mir, weil er nicht Kaiser Philipp heisst. Als ich ihn aus England rief, um ihm die halbe Welt zu geben, schickte er seinen Kammerdiener oder Minister und fragte mich durch diesen Ruy Gomez, der ihm abends die Hosen auszieht, wie ich ihn empfangen wollte. Er fragte nach dem Zeremoniell. Er sei der König von England, liess er mir sagen. Er steilte Bedingungen. .Bedingungen?' fragte ich. Bin ich denn ein schlechter Vater? Als ich in diese Hütte zog und die Gesandten fortfuhren, mir die Kuriere zu senden, und einmal oder mehrere Male eine Depesche oder fünf Depeschen liegen blieben, da schickte mein Sohn Philipp durch seine Minister an meine Minister Beschwerden und Forderungen und machte Schwierigkeiten und kam schliesslich zu mir und steilte mir vor, er könne nicht regieren, sahe er nicht alle Akten. Er neidet mir den Stoss Papier! Er lispelte: Was sollte er mit den Niederlanden, Burgund, Mailand, Neapel samt Sizilien, wenn er nicht Spanien besasse und Westindien und die Gewürzinseln und die Kanarischen Insein und das Kap der grünen Insein und Mexiko, Peru, Oran und Tunis, samt den festen Stadten der Berberei und den Philippinen, kurz, die ganze halbe Welt?" Karl versuchte, seine gichtischen Hande zu Fausten zu ballen. Jhm war sehr viel im Laufe seines Lebens gelungen. Das gelang ihm nicht. Ein Saugling, dachte der Jüngling Wilhelm gerührt, ein Saugling kann es. Armer Kaiser! „Noch bin ich am Leben! rief Karl. „Schon verjagt er meine Leute wie Hunde. Er gab mir zu verstehen,ichhatte alles falsch gemacht. Er will es verbessern. Aber ich lebe noch!" Der Kaiser schwieg, als erwartete er eine Antwort. Ein Wind rauschte auf und machte das Gras zittern. Die Narren am Rande des Gartens schrien, als wollten sie einander ermorden. Der Kaiser seufzte tief und blickte zu Boden. Plötzlich schien ihm ein Einfall zu kommen. „Geld", sagte er, „das fehlte mir! Mit Geld ware ich ein grosser Mann, beinahe der Papst geworden. Ich wollte die Tiara und die Kaiserkrone auf einem Haupte tragen. Wer die Menschen regieren will, muss sie ganz besitzen, ihre Freiheit und ihre Angst. Der holde Schein der Erde blendete mich. Ich bin langsam von Natur. Darum rannte mein Leben so. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Warum liebst du meinen Sohn Philipp nicht, Wilhelm? Du liebst mich — sei still. Wenn die Zeit dir günstig ist, werden dich die Leute einen grossen Mann heissen. Mache dir nichts daraus! Wen alles heissen die Menschen nicht gross! Wenn du ein alter Mann sein wirst, mit müden Handen, und dein Leben gutheissen wirst, diese Stunde wird gelten. Ich habe ein schlechtes Gewissen vor Gott. Aber vor den Menschen fühle ich mich nicht schuldig. Habe ich nicht die Niederlander gerettet? Mehr als hunderttausend habe ich verbrannt, um ihre Seelen zu retten. Meine Edikte machten euer Glück: Wer leugnet, dass Christus zu Brot und Wein wird, wer ein Heiligenbild zerbricht, wer Schriften von Luther, Zwingli, Calvin, oder gar die Bibel liest, ich liesssie alle verbrennen, köpfen, lebendig begraben. Gibt es nicht genug Gezank der Theologen? Soll das ganze Jahrhundert in Traktaten ersaufen? Du solist Vater und Mutter anzeigen, Sohn und Bruder, Freund und Gatten, wenn sie Psalmen singen oder miteinander über Gottes Wort reden; sonst verbrennst du mit ihnen. Wer der Kirche nicht gehorcht, wird auch gegen den Kaiser aufstehn und fordert schliesslich gleiches Recht für alle Menschen. Das ist das Ende." Karl hob den Bliek forschend. Ein Page meldete den König Philipp. Wilhelm erklarte, er wolle die Narren schweigen heissen. Indes er ging, kam Philipp. Er beugte sich tief über die Hand des Kaisers und küsste sie. Karl musterte diesen kleinen, magern Mann von dreissig Jahren. Es war sein Sohn in jedem Zug, und doch schien er ihm fremd. Karl fragte sich: Hat mein Sohn Philipp eine Seele ? Auch Philipp musterte seinen Vater. Welches Schauspiel, dachte er, wie Grosse hingeht! Ich will ein anderes Leben führen. Kann keiner ausbrechen aus dem Kerker der gewöhnlichen Taten? Karl sah, dass sein Sohn Philipp wie ein Brabanter gekleidet war und eine Maske in der Hand hielt. Karl lachelte, und Philipp errötete. Seit er König von Spanien hiess, hatte Philipp seinen gewohnten Ernst abgelegt. Er lag den schonen Madchen von Brüssel im Schoss. Er tanzte in den Bordellen. Maskiert ging er durch die Strassen, um Abenteuer zu suchen. In seinem Übermut war er so unbeliebt bei den Niederlandern wie in den Tagen seiner Würde. Der Kaiser lachelte nachsichtig. Mag mein Sohn die kleine Lust geniessen!, dachte er. „Ich liebe dich, mein Sohn!" sagte er und sah ins Gezweige der Baume. „Ich gab dir alles." Philipp dachte: Du hast mein halbes Erbe verspielt, deinem Bruder und seinen Söhnen gabst du die Kaiserkrone, TJngarn, Böhmen und österreich! „Ich habe gefahrliche Depeschen", erklarte Philipp, „aus Paris!" „In einer Stunde", sagte Karl, „kommen die Gesandten Frankreichs in mein Gartenhauschen, damit ich vor ihnen unsern Waffenstillstand mit Frankreich unterschreibe. Ich schenke dir den Frieden für fünf Jahre." „Simon Renard berichtet aus Paris", erklarte Philipp, „der König von Frankreich habe vor drei Monaten einen Geheimbund mit dem Heiligen Vater unddem Grosstürken gegenunsgeschlossen. Sie wollen uns aus Italien vertreiben. Karl lachte. „Renard berichtet Hofklatsch", sagte er. „Frankreich braucht den Frieden mehr als wir. Renard ist ein Narr." „Er ist dein Diener", bemerkte Philipp. Er beugte sich tief über die Hand seines Vaters und ging zu seinem Vergnügen. Er war fröhlich, seit ihm sein Vater auch Spanien abgetreten hatte. Am gleichen Tage hatte Philipp an seine Frau, die Königin von England, geschrieben: ,Ich bin der König von Spanien! Sei stolz, Marie. Yo el Rey.' So hatte Philipp unterschrieben, zum ersten Mal: Ich, der König. So unterschrieb er nun alle Tage seines Lebens, die drei Worte trugen ihn wie Flügel über die Saulen der Erde. Gott lenkt die Welt durch mich, dachte Philipp. Die Zeit und ich, ward sein Wahlspruch. Taglich schrieb er seiner Frau: ,Ich liebe dich, mein Taubchen! Und vergiss nicht, mir die letzten Parlamentsakten aus London zu schicken. Yo el Rey.' Oder er schrieb: ,Das Gerücht, ich lage alle Nachte im Bordell und sei lustkrank, lügt! Wahr ist, dass ich zuweilen maskiert durch die Gassen streiche, nicht um der bösen Lust willen, sondern aus Eifer für unsere Religion: Ich forsche nach Ketzern unter dem gemeinen Volk. Denn ich habe sogleich die Edikte gegen sie erneuert. Sei fleissig, Marie, und schlachte die Ketzer. Wir müssen ein gutes Beispiel geben. Mir lacht das Herz im Leibe. Yo el Rey.' Taglich ritten im sausenden Galopp Sonderkuriere von Brüssel nach Calais, um nach London zu fahren, und von Calais nach Brüssel, die von London kamen. Die Bauern in Flandern und Brabant erschraken zuerst. Nur der Tod reitet so schnell. Nur der Krieg reitet so haufig. Die Bauern gewöhnten sich an die reitenden Boten der echten und der falschen Liebe. , Süsses Herz', schrieb Marie, ,bist Dugesund? Ichtraumte von Dir. Wir ritten durch London und lachten. Ich wachte auf und lief ans Fenster und sah im Nebel einen Reiter. Er trug Deinen Mantel und schwang seinen Hut. Ich rief: Philipp! Da verging die Gestalt. Und ich schlief ein und hörte im Traum Deine Stimme, süsses Herz!' Die Königin von England schrieb und siegelte, der Kurier ritt nach Dover, das Schiff segelte nach Calais, der Reiter ritt drei Pferde zuschanden und kniete vor dem König, Philipp überflog die Zeilen:,Süsses Herz... im Nebel... süsses Herz.' ,Ich bin ziemlich gesund', antwortete Philipp. ,Die Geschafte haufen sich. Wer weiss, wann ich nach London wiederkehre? Und schicke mir die Geheimberichte des englischen Gesandten zu Rom und die genaue Aufstellung der englischen Flotte! Denn ich liebe Dich. Yo el Rey.' Da Philipp fort war, kehrte Oranien zum Kaiser zurück und brachte die beiden Narren mit. „Setzt euch hinter meinen Thron", befahl Karl den Narren, „heute seht ihr euren Meister, den Narren Brusquet!" „Sire", fragte der Narr des Königs Philipp, „Sie glauben doch nicht, dass ein Narr den andern erkennt?" „Oder Brusquet sahe nur einen einzigen Narren", fügte des Kaisers Narr hinzu. „Welchen?" fragte Karl. „Den Narren, der weggab, was keiner besitzt, und der erhalten wird, was alle erhalten." „Redest du von mir?" „Von einem, der die Welt weggab und Undank ernten wird!" rief der Narr und ging mit seinem Mitnarren ins Haus. Mit dem Hut auf dem Kopf schritten die beiden Narren an einem Spalier von flandrischen Baronen vorüber. Da sie hinter dem leeren Thron des Kaisers sassen und auf diesen Brusquet warteten, der ihr Meister sein sollte, fragte gleichmütig der dürre Narr den dicken Narren: „Wirst du den Kaiser toten?" „Ich bin ein alter Mann", antwortete der Dicke, „wovon soll ich leben?" „Hast du nichts gelernt?" fragte der Dürre und seufzte. Er seufzte bei jedem dritten Wort. Er war der Bastard eines Studenten aus Salamanka und sprach so voller Anspielungen von seiner besondern Geburt, als hatte ihn ein Papst gezeugt. Er lispelte vor Feinheit, trug den Degen und goldene Sporen wie ein Ritter, blickte düster wie ein Magister und hustete aus Wichtigtuerei. ,Es gibt Geheimnisse', sagteer zuweilen.,Wenn ichsprechen wollte.. sagte er. Er war der Narr Philipps und hiess Onkel Martin. „Hast du garnichts gelernt ?" fragte er seinen dicken Freund Carel, eines Turmwachters Sohn aus Gent und Narr des Kaisers. „Die Wahrheit lernte ich sagen", murmelte der dicke Carel. „Schon entlasst mich der Kaiser. Vierzig Jahre machte ich ihn lachen. Gelten nur Tranen, die man vergiessen macht? Was geht in so einem Menschen vor? Den Heiligen Vater sperrt er ein und versaumt keine Messe. Er verbrennt die Ketzer, aber seine Soldatenprediger verbreiten unter seiner Fahne die Lehren Luthers. Dem Tizian hebt er den Pinsel auf, aus Respekt vor der Kunst, und zerstört Rom durch seine Landsknechte, so erhabene Tempel, so zauberische Gemalde! Er hat die beste Kapelle, sie musiziert gleich Engeln, ihm aber machen die Kanonen die schönste Musik. Alles tut er aus Liebe, sagt er, für seine Völker, aber hat er nicht Hunderttausend in den Niederlanden verbrannt, Millionen geschlachtet in allen vier Erdteilen, rote, weisse, schwarze, gelbe Menschen, im Wandergewerbe, vierzig Jahre lang, und hat Krieg geführt gegen unseresgleichen, arme Leute, die den Frieden lieben? Ich habe ein Messer im Wams. Wenn er so dasitzt und den Wirt zur grünen Erde spielen wird, dem Gott die Menschheit schenkte, dass er sie wie einen Federball wegwirft an einen Sohn oder Bruder, bloss weil er genug vom Kinderspiel hat; wenn er so dasitzt und sich spreizen wird, vor diesem neuen Narren Brusquet, den er uns als Meister vorführen will, weil jener einen milden König zum Herrn hat, der ihm die Postmeisterstelle von Paris gab, damit auch ein Narr reich und gross werde; wenn der Kaiser uns dann aufziehen wird, da doch er und sein Sohn uns mit Versprechungen füttern, weil sie nur über arme Leute lachen können und vor Geiz stinken, dann ziehe ich mein Messer (solist du sehn!) und stosse es ihm in den Nacken, so oder so! Und wenn du ein Kerl warst, tust du ebenso an deinem Herrn Philipp I Was starrst du mich an? Ist der Kaiser kein Mensch? Kann ihn ein Stück Eisen nicht kalt machen ? Wenn er alle Viere von sich streckt, kann ihm jeder ins Gesicht pissen!" „Vierzig Jahre , sagte seufzend Onkel Martin und deutete auf den Bauch seines Freundes, „sassest du zu Füssen des Kaisers und frassest die geraucherten Fischchen und trankst aus goldenen Bechern?" Betroffen blickte Carel auf seinen Wanst und fragte: „Vermindert ein getrüffelter Schweinebauch unsern Anspruch auf die Gleichheit aller Christenmenschen ?" „Gib acht, armer Freund", sprach warnend Onkel Martin, „oder sie binden dich, wie ich hierzulande sah, nackt an einen Pfahl und hauten dich bis zum Gürtel und lassen einen Bienenschwarm auf dich los, der sticht dich so langsam zu Tode, bis du vergisst, dass du Gottes Ebenbüd vorstellst! Du willst Kaiser und König wie Kegel umwerfen? Das Volk liebt sie. Zu dem Stock, der sie prugelt, beten sie. Sieh einmal die kleinen Leute an! Wie schaun sie aus? Gemacht, geschlachtet zu werden; erzogen, betrogen zu werden!" „Du sprichst wie ein Spanier!" rief Carel. „Du kennst die Freiheit nicht!" „Wir sind alle Sünder", erklarte zufrieden Onkel Martin. „Ich bin unschuldig!" schrie Carel. „In dieser Welt", antwortete Martin, „verderben die Unschuldigen." „Ich höre Stimmen", sagte Carel und machte eine Miene, als lausche er Klangen in den Lüften. „Die Stimmen der grossen Toten hallen herüber aus helleren Jahrhunderten. Die Weisheit spricht griechisch, die Tugend römisch, die Liebe hebraisch. Wie lange lagen sie stumm auf den Friedhöfen der Humanit&t? Die menschliche Vernunft ist endlich aufgewacht." Onkel Martin seufzte und fragte: „Und stellt die alten Narrenfragen? Warum vergiesst der Mensch so viel Schweiss für sein Brot, statt sich von Steinen zu nahren? Warum schlachten sich die Leute im Krieg wie das liebe Vieh, und fressen doch kein Menschenfleisch mehr? Wer bestimmt, welcher ein Skiave und welcher ein Herr sein soll? Warum sind die Weisen ohne Macht? Warum hasst der Schwache den Schwachen ?" Der Kaiser trat ein und überhob den Narren der Antwort. „Du wirst sehn", flüsterte Carel, „ich ermorde ihn!" „Mit dem Messer?" fragte Onkel Martin und lachelte lüstern. Der Kaiser setzte sich achzend auf seinen Thron. Schwarz war das Gewand des Kaisers, schwarzverhangen der Thron, schwarz gedeckt sein Tisch, schwarz die Tapete an den Wanden, weil der Kaiser um den Tod seiner Mutter trauerte, urn Johanna die Wahnsinnige, die Königin von Spanien. Die Gesandten Frankreichs bückten sich vor dem Kaiser, ein Admiral namens Coligny, ein Bischof, zwei Vettern des Bischofs und mehrere noch. Der Admiral rühmte den neuen Frieden zwischen Frankreich und Spanien, vielleicht wusste er nichts vom Geheimbund seines Königs mit dem Grosstürken und dem Papst, abgeschlossen drei Monate zuvor für einen neuen Krieg mit den Spaniern. Der Kaiser schwor feierlich den Waffenstillstand: Fünf Jahre Frieden zwischen Spanien und Frankreich, zwischen den Familien Habsburg und Valois und allen, die ihnen zinsten. Als der Kaiser das Handschreiben des Königs von Frankreich öffnen wollte, vermochte er nicht, den schwachen Faden zu zerreissen und das leichte Siegel zu brechen, so gichtgeschwollen waren seine Finger. Dennoch wehrte er seinem Minister Granvella, der hinter ihm sass und sich vorbeugte, urn den Brief zu entfalten, und strengte sich an, der Schweiss trat auf seine Stirn, es war peinlich anzusehen, endlich zerriss er den leichten Faden und brach das schwache Siegel. Alle sahen, dass er seinen Schweiss vergoss, urn einen Brief zu öffnen. Alle dachten denselben Gedanken. Auf allen Gesichtern lasihn der Kaiser. Mühsam schluckte er das Gefühl seiner schauerlichen Ohnmacht und seinen Neid auf die strotzende Gesundheit aller langer lebenden Menschheit herunter. Mühsam lachelte er und erklarte dem Admiral, was für eingrosser Kaiser, was für ein behender Ritter er gewesen, wie geschickt, zu rennen und die Lanze zu brechen, und nun habe er solche Mühe, einen Brief zu öffnen. Endlich las der Kaiser den Brief, der so log wie die meisten Briefe. Sein Narr starrte indes auf den Rücken des Kaisers, als suche er die tödliche Stelle. Die numerierten Manner, dachte er, verderben die Welt. Erhebe einen Dummkopf, benenne und numeriere ihn, und der illustrierte Schurke macht Epoche. Ferdinand der Erste, Philipp der Zweite, Heinrich der Dritte, Paul der Vierte.' Karl der Fünfte, Marie die Blutige — Blut steht für einé Ziffer! Alle könnten so heissen, Philipp der Blutige, Karl der Blutige, o pfui, wann endlich heisst es Despot der Letzte? Ich stosse zu! Ein Landsmann weniger, was weiter? Der Narr griff nach dem Messer, da sah er im Antlitz seines Freundes die Schadenfreude, ihn fror, und er schalt sich einen Narren, dass er für ein paar lumpige Millionen Menschen sich opfern wollte. Sie werden sagen, nach dem Abendessen, dieser Carel schrie, als man ihn aufs Rad flocht! Was gehn die Menschen mich an? Wer kümmert sich um mich? Der arme, alte, flandrische Narr nahm seine Hand aus dem Wams und schnickte mit den Fingern, als sei alles nur ein Spass gewesen. Der spanische Narr lachelte mitleidig. Er dachte, der Kaiser an der Stelle des Narren hatte zugestossen! König Philipp der Zweite. 6 Der Kaiser fragte nach der Gesundheit des Königs von Frankreich. Der Admiral berichtete, König Heinrich sei vierzig Jahre alt und habe schon graue Haare. Der Kaiser erzahlte von seinen ersten grauen Haaren. „Ich war vierzig und in Neapel, ich kam von Afrika, ich wollte den Damen gefallen und fand im Spiegel ein paar graue Haare. Mein Barbier schnitt sie, da wuchsen zehn für eins. So wird man grau." Der Kaiser schwieg. Plötzlich fiel ihm etwas ein, alle sahen es und erwarteten den kaiserlichen Gedanken. „Mein Bruder Heinrich von Frankreich", sagte Karl, „ich erinnere mich, ich sah ihn doch als kleinen Jungen in Madrid, vor achtundzwanzig Jahren. Er war so ein munterer kleiner Junge, und jetzt hat er graue Haare und schliesst Frieden!" Es war aber Heinrich damals als Geisel für seinen Vater in Madrid gefangen. Die Franzosen machten finstere Mienen. Alle Spanier empfingen sie mit Erinnerungen. Schon König Philipp hatte im Audienzsaal zu Brüssel zum Empfang der französischen Gesandten ein paar hübsche flandrische Tapeten aufspannen lassen mit köstlichen Schildcreien aus der Schlacht bei Pavia, wie Kaiser Karl den König Franz den Ersten von Frankreich fing, wie König Franz in Ketten nach Spanien transportiert ward, wie er als Gefangener zur Laute Klagelieder sang im Schlosshof zu Valladolid. Auf allen Seiten sahen die Gesandten die Schande Frankreichs. Aber der Narr des Königs von Frankreich, der mit ihnen war, rachte den Schimpf. Als am andern Tag König Philipp vor dem Altar der Brüsseler Hofkirche den Waffenstillstand feierlich auf die Evangelien schwor und an die zweitausend Bürger, der Adel, der Hof und die Gesandten von Frankreich versammelt waren, da gingen der französische Hofnarr Brusquet und sein Reitknecht langsam durchs Kirchenschiff und hielt en jeder einen vollen Beutel goldener Dukaten neuester Pariser Pragung und streuten, indes sie unaufhörlich ihren nationalen Ruf ,Largesse! Largesse!' ausstiessen, ihre güldene Freigebigkeit mit vollen Handen so verführerisch umher, dass im Nu die Bogenschützen aus der spanischen Leibwache Philipps in die funkelnden, goldenen Wogen sich warfen, im Glauben, sie empfingen des Königs Philipp Largesse. Schon setzten sie einander die Hellebarden auf die Brust, und indes Brusquet und sein Reitknecht unverdrossen fortfuhren, ,Largesse!' zu schreien, ,Freigebigkeit!' und ihre goldene Flut verströmten, und Philipp, wie von einer Klippe, von den Stufen des Altars herabsah und gekrankt zum Admiral sagte: ,Die Franzosen sind sehr kühn, ihre Freigebigkeit bei mir zu Haus zu üben!' und der Admiral vor Überraschung verstummt war, stürzten sich die Herren und Damen, an die zweitausend, in die goldene Flut und fielen so übereinander her und stiessen sich und schrien und rangen und hüpften den hüpfenden Dukaten gleich und rollten wie sie und krochen unterm Gestühl und zwischen steinernen Sarkophagen und sprangen und funkelten und hauften sich gleich den Goldmünzen, und manche geputzte Dame lag auf dem Rücken und spreizte die nackten Beine, als wollte sie wie Danae Jupiters goldene Flut im Schoss empfangen, und auf manchem gestürzten Bogenschützen sassen und lagen fünf, sechs Damen, als wollten sie ihm mit Gewalt seinen Schatz rauben, und immer noch gingen Brusquet und sein Knecht und streuten Gold mit vollen Handen und schrien, so laut wie hollandische Tulpenhandler, ihren Ruf ,Largesse!', den Triumphlaut der Freigebigkeit, zum Hohn für Karl und Philipp, die geizigen Könige! Philipp starrte in dieses Fegefeuer und begann mit einem Mal, zu lachen, laut und schallend, und sein Gelachter hallte in die höchsten Bogen, von Kirchenfenster zu Kirchenfenster, krumm bog sich vor Gelachter König Philipp und lehnte sich auf den Altar, um nicht umzufallen vor Lachens Wut. Auch Oranien und Egmont lachten, und Ruy Gomez und seine junge Frau, es lachten Spanier und Hollander, die Bischöfe und jene Bürger, die zu stolz waren, um nach dem Gold zu fischen. Das war die Rache des Narren Brusquet für die flandrischen Tapeten. „Nun", fragte der Kaiser die Gesandten, „wer von euch ist der Narr?" Der Admiral sah den Bischof an, der Bischof musterte den Admiral. Brusquet verbeugte sich. Er glich den andern. Niemand hatte es erraten, dass dieser der Narr war. „Du bist freigebig gegen uns", sagte der Kaiser. „Ich kenne deine Streiche. Du bist berühmt. Deine Witzkampfe mit dem Marschall Strozzi erheiterten sogar uns. Erinnerst du dich noch, wie der Marschall dich für einen Esel hielt, weil du Hofkleider trugst, und dich zwang, Disteln zu essen?" „Ja", antwortete Brusquet, „das war damals, als Eure Majestat diese Rubinen und Karfunkelsteine an Ihren Fingern kauften!" Alle sahen auf die Hande des Kaisers. Er trug nur seine Gichtknoten an den Fingern. Da lachten alle sehr. Das erschien ihnen wie ein guter Witz! Und Karl sagte lachend. „Du gabst mir eine Lektion. Man soll sich nicht an Narren reiben. Aber du spielst nur den Narren. Grüsse mir die gute Stadt Paris!" Und der Kaiser schenkte dem fremden Narren einen Ring. Da die Gesandten durch den Garten fortgingen, drehte der Admiral Coligny sich um und sah den Kaiser am Fenster stehn und lacheln. Mühsam hielt sich der Kaiser aufrecht, er hatte sich zum Fenster geschleppt, damit Coligny sahe, dass der Kaiser noch nicht todkrank sei, wie das Gerücht ging. „Noch lebe ich", murmelte Karlböselachelnd. Coligny starrte wie behext. Rechts und links neben dem lachelnden Kaiser sah er zwei Manner stehn, einen düstern Hagern und einen grinsenden Dicken. Ohne zu grüssen wandte Coligny sich endlich fort und ging erschrocken davon. Die drei alten Manner am Fenster sahen aus wie drei Narren am Fenster eines Tollhauses, dachte Coligny und bekreuzte sich. ABSCHIED VOM KAISER An einem strahlenden Sommertag fuhr der Kaiser in einem offenen Wagen von Flandern nach Zeeland. Langsam schritten die Pferde. Eine Staubwolke zog vor ihnen her. Der Wagen rumpelte. Der Kaiser hielt die müden Augen geschlossen; nur manchmal öffnete er sie gierig, als wollte er das Antlitz der Heimat forttragen, die weiten Ebenen, den satten Schimmer der grünen Wiesen, den Schein des Himmels. Hinter dem Kaiser ritt sein Hofstaat, siebenhundertzweiundsechzig Manner, Kammerer und Köche, Mechaniker und Arzte, Chronisten, Stallburschen und Herzöge. Nur einhundertfünfzig folgten ihrem Herrn nach Spanien. Nur fünfzig sollten in San Yuste ihm dienen. Dem Zuge folgte der halbe Adel der siebzehn Provinzen, an ihrer Spitze Oranien und Egmont, es folgten Minister, Bischöfe, Bürger. Neben der Kutsche des Kaisers ritt sein Sohn Philipp durch die blauen Tage. Schweigend standen die Bauern am Saum dec Strasse und zogen ihre Mtitzen. Karl winkte keinem zu, ihn schmerzten die Glieder. Zuweilen sah er im Halbtraum neben seinem Wagen einen Reiter. Ihm schien die Gestalt wunderbar vertraut. Auf einer Brücke sah er mit einem Mal, er war der Reiter, vielmehr, sein Gespenst war es. Karl erkannte seine eigenen Züge aus der Zeit, da er noch ein grosser Mann war. Nun winkte ihm der Reiter. Lange starrte der Kaiser hin, gar nicht entsetzt, nur geriihrt. Endlich seufzte er und sprach: „Warum reitest du nebenher? Warum winkst du mir mit dem Finger? Lauter! Ich verstehe dich nicht! Du willst nochmals dieses Leben versuchen? Ich will nicht! Du lügst! Du bist nicht der wahre Kaiser! Scharlatan! Ich bin der Kaiser! Ich habe Dokumente! Du bist nicht mein Richter!" Dem Kaiser dröhnte seine eigene Stimme in den Ohren, wie Donnerschlage im Gebirg. Philipp beugte sich vom Pferd herab und fragte: „Wünschest du etwas, lieber Vater?" Da merkte der Kaiser, dass der Reiter die Gestalt und Stimme seines Sohnes Philipp geborgt hatte. Das Entsetzen packte den Kaiser. Mühsam hob er den Finger und schlug das Kreuz. Der Wagen rasselte durch das sommerlich glühende Flandern. Philipp schwankte müde auf seinem Gaul. Wie eine Staubwolke schwebte eine tiefe Trauer über seinem Haupt. Er liebte seinen Vat er. An der Starke seiner Schmerzen mass er seine Liebe. Er wünschte, zu seinem Vater zu sprechen. Die Worte versagten ihm. Ich werde ihm schreiben, dachte er. Der Staub drang ihm in die Nase und den Mund, trocknete seine Stimme und hüllte ihn wie in ein graues Tuch. Mein armer Vater!, dachte Philipp. Im Frühling versprachst du mir den Frieden! Nun ist Herbst, der Krieg beginnt. König Philipp hasste seinen ersten Krieg. Spanische Mönche hatten ihn erzogen, er wollte die Welt katholisch machen, zur Ehre Gottes und zu seinem Nutzen. Aber der böse Feind sass auf dem Stuhle Petri, der Papst verfluchte ihn mit hundert Flüchen und drohte, ihn zu exkommunizieren. König Philipp war entschlossen, die Schwachen der Weltordnung zu bekampfen und die Fehler der menschlichen Natur zu verbessern. Philipp glaubte, nur die grosse Ordnung mache glücklich. Ihn verwirrte sehr, dass er seinen ersten Krieg gegen den Papst führen musste. Er berief aus England seinen Beichtvater Castro und seinen Prediger Carranza und legte ihnen fromme Fragen vor. Darf ein König gegen den Papst Krieg führen? Ja, erwiderten sie wie aus einem Munde. Und sie bewiesen alles aus der Heiligen Schrift. König Philipp befahl dem Herzog Alba, gegen Rom zu marschieren. Schon rüstete auch der König von Frankreich gegen Philipp, schon sandte der Grosstürke seine Korsaren gegen Neapel. Die Ketzer allerorten spotteten laut: Kaiser Karl fing den Papst, König Philipp wird ihn verbrennen. Die Stillen im Lande schüttelten die frommen Haupter und zitierten Weissagungen aus dem Jahr der Geburt Philipps, da sein Vater Rom geplündert hatte. Ein böses Omen! Die frommen Leute hatten ihre Zeigefinger aufgehoben und dem Neugeborenen prophe- zeit, er werde die Kirche zerstören! König Philipp erschrak vor dem Gerede der Leute und bat den Kaiser: „Warte noch die Weile und hilf mir gegen die schrecklichen Feinde!" Der Kaiser schüttelte das Haupt. „Ich lasse dir meine Diener", sagte er, „ich lasse dir auch meinen Segen!" Traurig ritt König Philipp neben der Kalesche des Kaisers. Der Prinz Oranien und Graf Egmont sassen vor dem Hause eines reichen Bauern ab, um einen Krug Bier zu trinken. Ein Bach führte am Haus vorbei, sie sassen im Schatten von Pappeln und Ahornbaumen, Hühner liefen um sie her. „Es ist Krieg", sagte Egmont, „und der Kaiser scheidet." Der Graf, ein fetter Adonis von fünfunddreissig Jahren, lachelte fröhlich. „Oranien", rief er, „wir werden Grosses erleben!" Wilhelm schwieg. Er war so jung und hatte in der Schule des Kaisers so viel Greuel gesehen, dass er leicht hatte ein Menschenfeind werden können. Wilhelm aber fuhr fort, seinem ersten Trieb zu gehorchen: die Menschen zu lieben. Er war tolerant. Aber zum Unterschied von den Meisten tolerierte er nur die Verfolgten, nicht die Verfolger. Er liebte das Leben, weil es ihm zu tun gab. Er liebte den Kaiser, weil er eine Welt bewegt hatte. Wie die meisten Jünglinge hielt er den Larm, den ein Mensch machte, für ein Zeichen von Bedeutung und verwechselte Energie mit Grosse. Noch wusste er nicht so genau, dass eine Idee ohne Wahrheit nichts ist, und ein Mensch ohne sittliche Vernunft eine allgemeine Gefahr ist, und dass Völker, die das Böse dulden, verderben. Noch zielte er ins Ungefahre und bewunderte seinen Freund Egmont, der das Leben mit allen Organen liebte, ein gebratenes Huhn mit der gleichen Wollust genoss wie ein Madchen, bei dem er schlief, die Schmeichelei des Kaisers mit gleicher Freude wie die Gunst der Niederlander empfing. Oranien, der die Menschen zu durchschauen liebte, kannte diesen ehrgeizigen und zufriedenen Egmont gut, der wollüstig und Vater von neun Kindern war, unruhig und leichtglaubig. Oranien hatte eine bestandige Neigung ftir ihn. „Welch ein Unglück", erwiderte er dem Grafen Egmont, „bedeutet ein grosser Mann für ein Volk, das ihn unbekümmert schalten lasst! Der Vorteile, die es empfangt, freut es sich bedenkenlos, da doch bald kleine Erben mit dem Riesenschwert ihres Vorgangers Unheil stiften müssen. Wir Niederlander waren zu nachgiebig gegen den Kaiser." „Sie fürchten zuviel", erwiderte Egmont leichthin. „Der König führt einen grossen Krieg. Er braucht uns, seine Generale; die Provinzen liefern Geld. Er wird sich bequemen müssen. Und gaben wir dem Kaiser zu viel? Stiegen wir nicht alle mit ihm? Er hat die halbe Welt gewonnen — und den Niederlandern eröffnet. Ihm verdankt unser Handel die Freiheit in allen Meeren und Reichen. Er war ein Niederlander, wir teilten seinen Ruhm. Er gab uns Frieden und Glanz, nun sind wir reich vor allen Vólkern! Wer wollte uns antasten?" „Vielleicht König Philipp?" fragte beilaufig Oranien. „Ein Krieg geht vorüber. Ein reiches Volk verarmt. Unbequeme Generale sind zu ersetzen. Die spanischen Staatseinrichtungen, so viel bewundert, König Philipp weiss sie zu handhaben. Er kennt die Menschen und spart sie nicht. Er ist kein grosser Mann, aber er hat grosse Absichten! Das macht ihn gefahrlich. Ich erfahre viel, manches missfallt mir. Seine erste Tat war die Verkündung der alten, grausamen Gesetze gegen die Ketzer." „Ich sehe alles anders!" rief Egmont. „Der König wird siegen und nach Spanien heimkehren. Dann endlich muss ein Niederlander Regent werden. Die Nation blickt auf uns, der König wird einen von uns zum Regenten der Niederlande machen müssen!" „Vielleicht", antwortete lachelnd Oranien. „Glauben wir an unsern Stern! Wir Niederlander hatten gute Zeit unter Karl. Ein neuer Herr wird liegen, wie wir ihn betten. Wir sind stark, wenn wir zusammenhalten." „Lieber Freund", sagte Egmont und erhob sich, „rechnen Sie auf mich." „Ist das eine Abmachung?" fragte lachelnd Oranien. „Mehr!" rief Egmont und reichte Wilhelm die Hand. „Es soll ein Bund sein!" Sie gingen zu ihren Pferden. Eintrachtig trabten sie über das weite Land. Die Sonne ging strahlend unter. „Wie schön ist unser Land!" rief Egmont. Wilhelm nickte lachelnd. Am siebzehnten September verliess die spanische Flotte den Hafen von Vlissingen. Bei gutem Wind segelte der Kaiser nach Spanien. Am achtundzwanzigsten September abends um neun Uhr landete er in Laredo. Kaum hatte er den Fuss ans Land gesetzt, erhob sich ein ungeheurer Sturm und schlug die Schiffe. Der Hafenkai lag dunkel und verlassen. Der Wind pfiff schauerlich. Niemand hatte den abgedankten Kaiser erwartet. Die Matrosen fluchten und gingen davon. Fünf oder sechs Fischer standen schweigend und glotzten. Schliesslich begann es zu regnen. Nach einer Stunde trieben die Kammerer eine schlechte Sanfte auf. Vor dem Stadttor traf man einen Alguazil mit ein paar Wachtern zu Pferde. Man befahl ihnen, den Zug des Kaisers zu begleiten. So reiste der grosse Karl durch Spanien, bewacht von der Polizei wie ein Verbrecher. DER FLUCH Der Heilige Vater (Peter Caraffa aus Neapel) trat auf den offenen Saulengang im zweiten Stock der Peterskirche. Er trug auf dem Haupt die Tiara, in der Hand eine brennende Kerze. Ihn umgaben die Kardinale im vollen Ornat. Papst Paul der Vierte, ein dürrer Riese mit tiefen, brennenden Augen, zitterte an jedem Nerv im Rausch einer Wollust, die er in achtzig Jahren nicht empfunden hatte. Zu seinen Füssen sah er das Volk der Römer, auf den Hügeln am Rande Roms die Scharen der Holle, über sich die Heerscharen Gottes. Gierig lauschte er dem eintönigen Gemurmel eines Kanonikus von St. Peter, der die neueste Bulle verlas, lateinisch und italienisch. Mit trockenen Lippen wiederholte unhörbar murmelnd der Hirt der Christenheit den Bannfluch: „ ausstossen wir aus unserer Gemeinschaft den Erzketzer Philipp von österreich, genannt König von Spanien, den Sohn des Unrechts, Auswurf des sogenannten Kaisers Karl...." Nicht genug!, dachte Papst Paul der Vierte. KeinSchimpf genug! Zu arm ist die Sprache. Solche Ungeheuer sah die Menschheit nicht voraus! . wir verfluchen ihn" (tönte die kahle Stimme des Kanonikus) „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, der gesegneten Jungfrau Marie, Johannes des Taufers, Peters und Pauls und aller anderen Heiligen im Himmel. Unser Fluch treffe den Empörer im Haus, im Stall, im Bett, im Feld, auf dem Wege, in der Stadt, in der Burg, im Wald, im Wasser oder in der Kirche " Nie genug!, dachte der Greis und sog die greulichen Worte in sich. Hilf, Gott, diese spanische Brut zu zerschmettem. Hab' ich nicht gelebt, da Italien frei war? Und will es wieder erleben! Wo ist ein Volk wie wir, ein Land Italien gleich? Und soll fremdes Vieh hier weiden? Sollen Herren sein, die vor kurzem unsere Köche und Kutscher waren? Wer machte die Ketzer gross? Der Kaiser! Ein Neapolitaner bin ich, ein Italiener, ein Katholik, ein Papst, vierfach hasse ich ihn! Höher hob der Heilige Vater die brennende Kerze. Lauter tönte die fluchende Stimme: „ verflucht sei Philipp in der Schlacht, im Gebet, wenn er spricht, wenn er schweigt, wenn er isst, wenn er trinkt oder schlaft! Versenge der Fluch seine Augen und seinen Leib vom Scheitel bis zu den Sohlen seiner Füsse. Satan und deine bösen Geister alle, dich beschwöre ich, ruhe nicht, ehe er der ewigen Schande ausgeliefert und vernichtet ist durch Erhangen oder Ersaufen, bis er von wilden Tieren zerrissen oder vom Feuer verzehrt ist...." Zu milde noch!, dachte der Heilige Vater. Neben ihm lachten laut der Kardinal Medici und der Kardinal Caraffa, der gleichfalls eine brennende Kerze hielt. Satan, lachst du?, dachte der Papst. Indes unten die Römer und Römerinnen in Totenstille dem schrecklichen Bannfluch lauschten, als trafe er sie, tönte die eintönige, ruhige Stimme: „....seine Kinder sollen Waisen sein, sein Weib eine Witwe werden. Ich befehle dir, Satan, und allen deinen bösen Geistern, das Licht seiner beiden Augen ebenso auszulöschen, wie wir jetzt diese beiden Kerzen ausblasen. So sei es! So sei es! Amen! Amen!" Der Heilige Vat er hob die brennende Kerze wie eine Fackel (des Krieges Fackel!) und schleuderte sie mitten unter die Römer. Sein Neffe Caraffa warf die zweite Kerze hernieder. Mit Fausten stiess sich das Volk und schlug sich mit Stöcken, um ein Endchen der Kerzen zu erhaschen. Die Schweizer Garden traten an die Brüstung und ergriffen das herabhangende Tuch aus schwarzem Taft. Ein violetter Teppich hing nun herunter und leuchtete im süssen Schein des Tages. Der Heilige Vater hob seine Hande und segnete das Volk. BRUDER KARL Indes Philipp zum zweiten Mal nach England fuhr und im Bett seiner Frau Marie bewirkte, dass sie Frankreich den Krieg erklarte und den Spaniern achttausend englische Soldaten zu Hilfe schickte, und indes er Mühe hatte, nach erreichtem Ziel seiner Frau zu entfliehn, die wieder mit Pomp erklarte, sie sei schwanger, durchquerte sein Minister Meer und Lander, um den Kaiser in den Streit der Welt zurück zu locken. Hastig ritt Ruy Gomez durch das Gebirge von Estremadura. Seine Eseltreiber schworen, in vier Stunden sei er in Yuste. Noch endeten die Berge nicht, schon sank die Sonne hint er die Gipfel, blaue Schatten schwebten schon, als die riesigen, nackten Felsen wie durch einen Zauber sich auseinanderschoben. In einem selig weiten Bliek sah er tief unten die Ebene wie ein grünendes Meer, weit dahinten die Türme der Stadt Placencia, und naherhin, auf einem niedern Hange, das Hieronymitenkloster Yuste, die grauen Mauern halb ver- borgen zwischen Nussbaumen und Eichenwaldern, die hinunterstiegen fast bis zur Ebene. Über der ungeheuren Stille, die in der Tiefe zu wohnen schien, fasste der Minister erst den Frevel seines Auftrages. Vor den Büsser, der eine Welt weggab, um für sich zu leben, sollte er hintreten und vom Krieg handeln, die Namen von Königen aussprechen, von Feldzugsplanen reden, von Festungen, von Korsaren, oder gar in der Klosterstille den Bannfluch des Papstes widertönen lassen? Den frommen Kaiser, der mit Prunk in den Orden der Hieronymiten eingetreten war, den .Bruder Karl' sollte er aufrufen in eine tobend gemeine Welt, zu Blutvergiessen und Finanzgeschaften ? ,Sei demütig vor meinem Vat er', hatte ihm König Philipp aufgetragen. ,Wenn wir nur am Ende gross sind, wird der Sieg unsere staubigen Kniee abwaschen. So werden wir frei für erhabenere Geschafte!' Der Minister ritt vorsichtig zu Tale, zwischen seinen schweigenden Eseltreibern und Geheimschreibern. Er war ein kleiner, behender Mensch, schwarzhaarig, funkelaugig, erst fünfunddreissig Jahre alt und lange schon fertig. Er war am Hofe aufgewachsen, ein Page Philipps. Als er einmal den Infanten schlug und dem Gesetze nach sein Leben verwirkt war, befahl der Kaiser, ihn zu toten. Philipp fiel seinem Vater zu Füssen, bat, weinte, schrie und bettelte so instandig, so verzweifelt hilflos um das Leben seines Pagen, dass der grosse Karl erschüttert sein Söhnchen aufhob und: „So sehr liebst du diesen Gomez?" fragte und kopfschüttelnd wiederholte: „Liebst du so sehr?" und ihm das Leben seines Pagen schenkte, wie man Kindern einen bunten Lappen weggibt. Zartlich kammte er die zerzausten, blonden Locken Philipps mit den damals noch unverbogenen Fingern und strich mit der Kuppe des breiten Daumens die letzte Trane aus dem Augenwinkel seines Sohnes fort. „So sehr liebst du mich also?" fragte der Page seinen Prinzen spater. Der sah ihn nur an. Er hatte nie gewusst, dass er gerade diesen Pagen so liebte. Hatte er aus Liebe geweint? War kein verborgner Kummer hineingemischt, keine ferne Ahnung, dass er einst als König noch viele lebendige Menschen unschuldig schuldig vor ihrer Zeit auslöschen werde, und fürchtete er, diese trübe Zeit schon beginnen zu sehn? Vielleicht aber spürte er zum ersten Male das Grauen der Todesangst und war noch zu jung, zu unerfahren, sein Leben und das seiner kleinen Welt so genau zu scheiden, und schrie, als spürte er das Schwert im Nacken. Seitdem genoss Ruy Gomez de Silva, ein gewöhnlicher Portugiese, die Gnade Philipps, seine Freundschaft, wenn man ein Verhaltnis so nennen darf, wobei einer den andern wie eine brennende Kerze ausblasen kann, ohne Mühe, ohne Folgen. Philipp verfuhr mit diesem geretteten Leben, als ware es sein zweites Leben, ein schlechteres Leben. Er behielt es, wie er alles aufhob, sogar die Locken, die der Barbier ihm abschnitt, — so sehr liebte er sein Leben. Philipp beförderte den Pagen zum Kammerjunker, Staatsrat, Finanzminister, Grafen, zum Fürsten von Eboli, einer Stadt in Italien, die er ihm schenkte. Dennoch blieb der Fürst und allmachtige Minister nur der Kammerdiener seines Freundes. Er schlief in des Königs Kammer, kleidete ihn an und aus, las ihm vor, tags um ihn zu unterrichten, nachts um ihn einzuschlafern, führte ihm Weiber zu, nach denen es den König gelüstete, leitete die Korrespondenz des Königs, die Finanzen seines Haushalts und seiner Reiche, und insgeheim vielleicht auch den König, ein fleissiger Minister, munterer Gesellschafter, geriebener Kuppler, ein vollkommener Kammerdiener. Ruy Gomez gewann die Eleganz von Seiltanzern, ihr stetes, kunstvolles Lacheln, dieses ewig frische, hochbezahlte Wohlwollen, jene nichtige Grazie, die auszudrücken scheint, der Seiltanz sei der natürliche Gang der Menschheit. Ruy Gomez war ewig in Geschaften, immer heiter, unwissend und also gewissenlos, er war ganz Wohlwollen und blass von wenig Schlaf. Philipp liebte ihn, wie man einen abgerichteten Pudel liebt, und Gomez war zu wohlerzogen, um je nach den Waden seines Herrn zu schnappen. Zu Hause in den meisten Geheimnissen seines Herrn, übersah er zwar nicht den Bau des Weltreichs und nicht von ferne den Geist der Untertanen, aber er kannte eine Million Geheimnisse, vermochte, hunderttausend Menschen zu vernichten, und überwachte in vier Erdteilen Worte, Handlungen, Geschafte von Menschen, die er nie von Antlitz gesehen hatte und die nichts von diesem Fernblick wussten. König Philipp hatte von seinen Urgrosseltern, den berühmten Königen Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon, ein wunderliches Instrument geerbt. Es genoss eines heiligen Rufes. Es hatte marchenhafte Vorzüge. Es glich einer Wünschelrute: Wo Gold wohnte, schlug es. Es glich dem Antlitz der Meduse: Wen es anblickte, der erstarrte. Mit Siebenmeilenstiefeln trug es überall Unheil hin. Gleich einer Tarnkappe machte es die Mörder unsichtbar; gleich einer Drachensaat ging es auf und verdarb alle Unschuldigen. Es hiess die spanische Inquisition, und Philipp ward sein Virtuose. Dieses blühende Geschaft, dessen schuldige Teilhaber der König und die Kirche waren, bestand aus einem Spionagehandel und aus offenem Raubmord, dessen Opfer unter kirchlichen Zeremonien und Staatsfeiern auf offenem Platze in Anwesenheit von zehntausend Blutsaufern verbrannt wurden. Mönche und Erzbischöfe waren die Helfer. Der König war das Haupt dieser Geheimpolizisten und Henker. Er machte das grosse Geschaft. Philipp vollendete das Instrument, aber es genügte ihm nicht. Er unterhielt daneben eine Armee von Spitzeln. Er verführte ehrliche Menschen durch die gewöhnlichen Mittel, Ge walt, Bestechung, Erpressung, Heuchelei und Schmeichelei, durch die alte hundertfache Verführung, kostenlos, sozusagen selbstlos ihre Nachsten, Freunde, Verwandten auszuhorchen und an den König zu verraten. Alles wurde ausgeforscht: Gedanken, Worte, Taten, Meinungen, Verbindungen, das Heilige und das Gemeine, das öffentliche und das Private, die eheliche Liebe und die Hurerei. Vieles war verboten in den Reichen Philipps, und das Beste musste im Verborgenen geschehn. Denn nicht nur um zu herrschen, wollte der König alles wissen, er hatte auch seine gemeine Lust daran, Menschen auszuspüren bis in ihre Nacktheit und ihre Scham; er hob jedes fremde Geheimnis auf, bis es verwelkte. Er sass in unnahbarer Ferne und spahte unter die Bettdecken von tausend Menschen. Seine Neugier erschien ihm himmlisch. Wie Gott oder andere gemeine Menschenschöpfer wollte er in alle Verhaltnisse hineinspahen, ein königlicher Topfgucker. Das Böse interessierte ihn ungleich starker; wie alle Spaher gab er die Gerechtigkeit vor. Der Tyrann hatte sich nicht gefühlt ohne Verrat er, die auszukundschaften waren; ohne Spitzel, die man aussenden musste; ohne Rebellen, die man schuldig werden liess; und ohne Leichtsinnige, die man verdarb. Ein Mensch, der sich einmal mit Spahern umgab und nach Geheimnissen jagt, findet so bald kein Ende. Er vergisst seine Absichten. Die Forschung füllt ihn aus. Er kommt zu unwillkommenen und ihn selber schlagenden Resultaten. Er wird zum Werkzeug seiner eigenen Spaher, lockt fremde Spaher an und endet im Verfolgungswahn. Auch den eigenen Vat er hatte König Philipp mit Spahern umstellt, ohne besondere Absichten, die Organisation ergab es, der Apparat bewirkte es automatisch. Pater Juan de Regla, der Beichtvater Karls, sein Arzt Mathys, sein Geheimschreiber Gaztelu, alle lieferten Berichte. Andere, wie der Intendant Don Quixada, schrieben vertrauliche Briefe an Freunde bei Hofe, die wiederum vertraulich diese Briefe dem König oder seinem Minister sandten. Nur wenige Menschen also besassen so ausgebreitete und vielfaltige Kenntnisse über den Kaiser. Da Ruy Gomez sich dem Kaiser naherte, versuchte er, alles Einzelne zusammenzustücken zu einem reinen, scharfen Bild, um danach zu handeln. Kenne ich einen Menschen erst genau, dachte der Minister, so leite ich ihn. Ruy Gomez überschaute Worte und Taten, Gewohnheiten und Krankheiten, Fehler und Freunde. Das Sonderbare war, dass jeder Korrespondent ein anderes Bild des Kaisers lieferte. Der erfahrene Höfling Ruy Gomez kannte das Gesetz, nach dem der Mensch um so mehr vielfaltige Ansichten bietet, je höher er steht. Ja, ihm war auch nicht verborgen, dass man Menschen nicht ganz kennen muss, um sie zu beherrschen, und von ihren edelsten Talenten, von ihrem Verstande sogar absehen darf, weiss man nur ihre Leidenschaften zu treffen und ihren Sonderheiten zu schmeicheln. Karl hatte viele Leidenschaften und starke Eigenheiten. Er hatte einer Welt, aber keiner Leibspeise entsagen können. Er wurde Mönch, aber die politischen Depeschen aus Brüssel und Valladolid anzuhören, ward er nicht müde. ,Ist das alles ?' fragte er gierig am Ende, wenn ihm Gaztelu die Hofdepeschen vorlas. Er war krank und verjagte die Arzte. Er war fromm und glaubte an Amulette. Er war ein grosser Dilettant, er liebte Malerei und Musik, die Technik und die Ruhe, er war ein Gartner und ein Jager, ein Puppenspieler und in den Augen der Mönche ein Zauberer. Er hielt nichts von den Menschen und machte sich viel aus Nachruhm. Er besass sechzehn Kleider aus Seide und sechsunddreissig Brillen. Die Gicht sass in allen seinen Gliedern. Er war der Kaiser von gestern. Ruy Gomez glaubte, ein genaues Bild von ihm zu haben. Da er in Yuste dem Kaiser gegenübertrat, vergass er alles. Hilflos stand er vor einem grossen Mann. Der Kaiser empfing ihn gnadig. „Nun ? fragte er munter. „Wie regiert ihr? Kommt die Welt voran? Da habt ïhr nun die Macht! Was schafft ihr?" Ruy Gomez kannte nur zwei Umgangsformen, die Schmeichelei und die Gewalt. Einem Machtigen schmeichelte er mit Schwache. Er schwieg, als verwirreihn die Majestat. Sie sassen auf der Terrasse. Ein sanfter Wind wehte durch die stufenweise herabsteigenden Garten, die bluhenden Orangenbaume, die hohen Zypressen, die wunderbaren Beete von Nelken, die der Kaiser besanders liebte. Er hatte diese Blume von seinen afrikanischen Feldzügen mitgebracht und als erster in Europa angepflanzt. Verwirrt dachte der Minister: Ich habe die Blumen, ich habe viel mehr vergessen. Er fühlte seinen Plan zerrinnen wie einen Schneemann. Der Kaiser sass behaglich da und lachelte. Er sah gesund aus, wie schon seit Jahren nicht. Er erklarte: „Erst stieg ich euch nicht rasch genug vom Thron! Nun kommt ihr, am ersten trüben Tag, und wollt mich wieder auf den goldnen Stuhl setzen ? Bin ich eine Puppe ? Torriano!" schrie er. „Torriano soll kommen!" Das war der Mechaniker, ein erfindungsreicher Italiener aus Cremona. Er kam unwillig nach einer Weile, ein Jüngling noch, gross und fett und blond. „Sire", sagte er schnaufend, „man holt mich aus meiner Arbeit. Ein Missverstand der Diener." „Still", erwiderte Karl, „da ist ein Freund, der sich auf Wunder versteht. Lass deine Vögel fliegen." Der Künstler, einer der berühmtesten Techniker und Uhrmacher seiner Zeit, verneigte sich vor dem Minister und schickte einen Diener, der bald mit einem silbernen Kastchen zurückkam. Torriano öffnete es und holte Kinderspielzeug heraus, eine Taube, zierlich in Holz geschnitzt, einen hölzernen Sperling, eine Amsel aus Holz. Der Minister sah den Tand mit voller Liebenswürdigkeit an. „Sehr zierlich geschnitzt", sagte er mit seinem aussersten Wohlwollen. Seine Zuversicht stieg. Er erkannte das Bild wieder, das er sich vom Kaiser gemacht hatte. Ein kindischer Greis! Er würde ihn lenken. Er spielt mit hölzernen Vögeln. Wir werden bald mit ihm spielen. „Aber sie fliegen!" rief der Kaiser und lachte trocken, fast schien es dem Minister, als klange das Lachen höhnisch. „Die Vögel fliegen", wiederholte Gomez, ein wenigalbern. Der Torriano nahm die Taube auf die flache Hand. Plötzlich öffnete die Holztaube ihre Flügel und bewegte die Schwanzfeder, und indes der Minister noch lachelte, hob sich die hölzerne Taube auf und flog flatterig und flügelschlagend durchs offene Fenster ins Kabinett des Kaisers und entschwand, und der Minister zeigte ein leeres Lacheln in seinem blassen Gesicht. Und siehe, die Taube kehrte wieder, flatterig und flügelschlagend erschien sie im Fenster des Kabinetts und flog langsam durch die stille Luft zum Kaiser und setzte sich zu seinen Füssen nieder König Philipp der Zweite. 7 und liess ein dumpfes Gurren hören und bewegte zitternd sanft die Schwanzfedern noch einmal und liess die Flügel sinken und fiel um. „Heb' sie auf!" sagte der Kaiser zum Minister. Der tat es vorsichtig, als griffe er ins Feuer, aber er hielt nur ein geschnitztes Holz in Handen. „Ein Zauber , mur- melte er. m „Wirf die Taube mit aller Kraft auf den Stem! forderte der Kaiser. Der Minister gehorchte, und der hölzerne Vogel zerbrach in drei Teile, es war wirklich nur Holz und ein wenig Draht. Da schrie der Kaiser: „Was? Ein Stück Holz blendet dich, und du willst die Welt regieren? Du und mein Sohn, was 'denkt ihr? Sage ihm: Ich will ihm raten, will ihm von ferne helfen, soviel ich noch vermag. Doch kehre ich nie zurück, wie kein Tot er zurückkommt. Wolltest du mit mir spielen', Gomez? Mich hin und herfliegen lassen? Ich zerbreche solche Vögel! Ich zerbreche sie!" Der Kaiser schwieg und starrte ihn zornig an. Plötzlich drehte er sich um und humpelte, auf Torrianos Schulter gestützt, die marmornen Stufen abwarts in den Garten. Bestürzt, verwirrt blieb der Minister stehn, sprachlos. Bald erschien der Intendant des Kaisers, Don Quixada, ein langer, dürrer Greis mit einem weissen Barte bis zum Gürtel, mit einem Degen, der fast auf der Erde schleppte. Er umarmte den Minister und teilte ihm mit, aus besonderer Gnade dürfe er im Hause des Kaisers wohnen, „eine ungewöhnliche Gnade", fügte der Intendant fast tadelnd bei, „wir haben nur acht Zimmer im ganzen Hause, je vier in j'edem Stockwerk; die vier Vorderzimmer, die in den Garten sehen und das Tal hinab, bewohnt der Kaiser. Sie erhalten eines davon, das Zimmer neben dem Schlafzimmer Seiner Majestat. Das Zimmer des Kaisers hat eine Glastüre, die in die Klosterkapelle schaut, auf den Hochaltar. Der Kaiser kann vom Bette den Gottesdienst sehn, die Predigt hören. Auch Sie werden in Ihrem Zimmer noch den Gesang unseres Kirchenchors hören. Wir haben ausgezeichnete Sanger. Der Kaiser singt vom Bett aus schallend mit. Sie werden ihn horen. Er schreit auch, wenn ein Chorsanger einmal falsch singt. Er schimpft wie im Feldlager. O, er ist fromm wie keiner von uns. Sie sollten sehn, wie strenge er darauf sieht, dass wir alle die Fasten halten, kein Fleisch am Fasttag essen, er hat Ablass schon vom vorigen Papst." Don Quixada sprach in einem fort und führte den verstummten Minister die Terrasse empor in die Veranda und durch den Mittelgang zu seinem Zimmer. Prachtige türkische Teppiche lagen ausgebreitet, flandrische Tapeten voll Tierfiguren und Landschaftsfabeleien schmückten die Wande, einige Gemalde hingen da, Don Quixada wies auf zwei von Tizian, ein Bildnis Philipps und ein Gemalde des Kaisers; zwei geschnitzte Armstühle standen da und Toilettensachen aus Silber und Gold, fleissig gearbeitete Gefasse. Auf einem Tischchen lagen ein Bezoarstein in Gold gefasst gegen die Pest und ein englischer Ring gegen den Krampf. Auch ein Ofen war im Zimmer. Don Quixada führte aber den Gast ans Fenster. „Sehen Sie die schone Aussicht", bat er und wies auf die Garten, das Tal und das Gebirge. Der Himmel dunkelte schon. Ein einzelner Stern winkte. Ruy Gomez betrachtete Zimmer, Teppiche und Tapeten, Gemalde, Amulette und die Gegend ohne Ausdruck, mit starrem Lacheln, schweigend. Er sah nichts von allem. Sein Herz schlug heftig. Sein Mund war ausgetrocknet. Er war am ganzen Körper wie zerschlagen. Er fühlte die Qualen seines verletzten Stolzes körperlich, wie Prügel, arger noch. Er hatte fünfunddreissig Jahre gelebt, ohne solche Pein zu spüren. Er war demütig gewesen, um zu herrschen. Er hatte getan, als sei er stolz auf seine Demut. Auf etwas ist jeder stolz, ein Kranker auf seine Schwaren, der Aussatzige auf seinen Gestank, ein Hund auf Tritte. Und er hatte doch genossen, gelebt, geherrscht und hunderttausend getreten. Zum ersten Mal kam ihm sein Leben zu teuer erkauft vor. Zum ersten Mal empfand er Hass gegen die Könige. Er sah, dieser Kaiser verachtete ihn. Gomez hatte sich die Zunge ausreissen mögen, die dem Kaiser nicht erwidert hatte auf diesen Hohn mit dem zerschlagenen Vogel aus Holz. Bin ich nicht Mensch so gut wie der?, dachte der Höfling. Kann ich nicht fortgehn? Ich bin frei. Ich verlasse Spanien. Die Welt ist gross. Nur die Halfte gehort dem Hause Habsburg! Noch lebe ich! Ich kann neu beginnen!, dachte der Höfling und begann zu lachen, seiner selbst nicht bewusst. „Sie lachen?" fragte pikiert der dürre Don Quixada, der immer noch fort erzahlte, „Sie spotten über unser Elend? Ich halte es nicht aus in dieser Wildnis. Sind wir Mönche? Was habe ich gesündigt, dass ich im Kloster enden muss? Wenn Seine Majestat nach Einsamkeit gierig war, da hat er sie! Das ist ein elendes, verlassenes Leben hier! Ein Hund liefe davon. Ich halte es nicht mehr aus! Ich bat um Urlaub. Der Kaiser ward erweicht und nahm einen Mönch zu seinem Proviantmeister. Ach, die Depeschen, die Kuriere, die Expressboten, die Briefe nach Valladolid! Ich verhungere, schrieb mir der Kaiser, ich verdurste. Diese Mönche taugen zu nichts. Komm zurück, lieber Freund, oder ich sterbe. Ich erhielt den Befehl, mit meiner Frau und meinem Pflegesohn hierher zu ziehn. Dort, im Dorfe Cuacos mussten wir Wohnung nehmen. Im Alter muss ich mein Haus verlassen, den Wohnort wechseln, an einen Ort ziehn, wo es nicht zu essen gibt, keine Wohnung da ist, ausser elenden Strohhütten armseliger Bauern, wo ich den Tag verbringe, von meinem Dorf ins Kloster zu rennen, vom Kloster ins Haus des Kaisers, von da nach Cuacos, und zwar bei jedem Wetter, in der Hitze und im Frost, im Schnee, im Regen, alles eins. Am meisten bedaure ich meine Frau, sie sitzt in einer Wüste, tags und nachts im Dörfchen Cuacos, sie hört die Frösche quaken und Grillen zirpen, manchmal zur Unterhaltung muht eine Kuh, grunzt ein Schwein. Und ware noch Lohn zu erwarten. Ich habe ein Leben im Dienste des Kaisers verbracht, ich war sein Page, sein Soldat, Hauptmann, Oberst, ich schlug mich in hundert Schlachten, ich ward Diplomat, ich habe zehn Vertrage geschlossen, ich bin ein armer Mann geblieben, nach einem ganzen Leben. Und was soll ich jetzt erwarten? Der Kaiser knausert. Man weiss es. Sein eigener Enkel, Don Carlos, hat es ihm gesagt. Und dieses Klima hier, sommers die Hitze, im Winter regnet's wie zur Sintflut, der Nebel ist so dick, dass man fast sich selbst verliert, samt Haus und Weg! Wir alle sind krank geworden. Nur der Kaiser gedeiht, taglich wird er dicker. Sein Appetit hat nicht gelitten."' Ruy Gomez hörte obenhin die Klagen an. Er kannte sie alle aus hundert Briefen. Er war voll Arger. Er hatte einen abgestuften Plan ausgetiftelt, wie er den Kaiser langsam hinführte, wo ihn König Philipp haben wollte. Nun hatte ihm Karl alles im ersten Augenblick herausgesagt, die schönsten Plane zunichte gemacht. So genau hatte Ruy Gomez diesen Menschen sich ausgerechnet. Wieso war er ihm nun entschlüpft? Jeder Zug hatte gestimmt. Er hörte es von dem Intendanten schon wieder. Warum war das Ganze anders ? „Der Appetit des Kaisers", sagte der Minister zerstreut „ist gut?" „Gut ? fragte Don Quixada. „Gut ? So lesen Sie unsere Berichte nicht ? Sein Appetit wird ihn in die Grube bringen. Am frühen Morgen isst er Krebssuppe und einen eingemachten Kapaun, mit Zucker, Milch, Gewürzen, und legt sich schlafen. Er erwacht zum zweiten Mal und frühstückt Aalpastete, Froschschenkel, gebackene Austern, Anchovis aus den Niederlanden, Seezungen aus Sevilla, Flundern und Lampreten aus Portugal, Schweineschinken von den Dörfern hier in Estremadura, Oliven aus Perejon; die von der Gegend sind ihm zu gross, zu grob. In Perejon gibt es einen Handier, der hat sie feiner, der hat auch das Rezept, sie einzumachen. Wild, Hirsche, Rehe gibt es hier genug. Der Kaiser kostet alles. Lebhaft erinnert er sich der Rebhühner, die ihm der Graf von Ossorno früher einmal von einem seiner Güter nach Flandern geschickt hat. Ich lasse aus jener Gegend welche kommen. Der Koch bereitet sie köstlich. Karl sitzt da, allein bei Tisch wie immer, ich stehe an die Wand gelehnt, und Mathys der Arzt steht da, falls der Kaiser plaudern wollte; die Majestat kostet die Rebhühner, schmeckt sie, kostet wieder und lasst den Rest forttragen. Drei hat er immerhin gegessen, so fortkostend. Ich bliek' ihn an, verzweifelt. Da aussert er, sie schmeckten jetzt nicht so wie früher! O der Schmerz, mit dem er es aussprach! Er vergass, dass sein Geschmack gealtert ist. Erwagen Sie, lieber Fürst! Die Rebhühner schmecken nicht mehr wie früher! Nach dem Frühstück kommt der Beichtvater, zur Morgenandacht, und spater Torriano, sie treiben ihre Spiele, basteln an den Uhren; um zehn Uhr erscheinen ein paar Kammerlinge und der Barbier, ihn anzukleiden. Mittags hört er Messe; ist er gesund, sitzt er im Chor, sonst am Fenster seines Schlafzimmers. Er liebt die Musik. Gleich nach der Messe speist er zu Mittag. Das dauert sehr lang. Der Kaiser nimmt von zwanzig, dreissig Gerichten, und welche Portionen, o Himmel, welche Portionen, eine siebenköpfige Familie würde satt. Und was er trinkt! Alles vom Besten! Er beha.lt die Nase fünfmal so lange als einer von uns im Glase und trinkt nie weniger als ein Quart auf einmal, die teuren Rheinweine, das schwere, eiskalte Bier! Wie soll ihm das bekommen?" „Wird er also dicker?" fragte wohlwollend Ruy Gomez. „Ja, er wird dicker! Was für ein Tag! Er unterhalt sich gern beim Essen mit Mathys dem Arzt, mit seinem Kammerling Van Male, sie streiten über gelehrte Sachen, der zitiert den Plinius, jener den Aristoteles, schliesslich rufen sie den Beichtvater, Pater Juan, als oberste Autoritat. Nach dem Mittag liest ihm der Pater aus den Schriften des Heiligen Bernhard oder Hieronymus vor, und beide disputieren. Dann die Siësta. Darauf wieder in die Kirche, dreimal in der Woche predigt einer seiner Kaplane, er hat drei. Dann geht er ins Kabinett, der Geheimschreiber liest die Depeschen von den Höfen zu Valladolid und Brüssel, der Kaiser diktiert die Antwort, manchmal, wenn die Gicht ihn schont, schreibt er einen Brief und dabei trinkt er Bier und Wein und isst Süssigkeiten und Saures. Oder er lasst sich vom Pater Bernardo aus der Heiligen Schrift vorlesen, er liebt vor allem den Brief an die Römer, der, sagt er, sei die Summe der Religion. Dann geht er in den Garten, pflegt seine Blumen und Gewachse, sitzt in der Sonne friedlich, isst ein paar Apfel oder Orangen, trinkt ein Glas Wein, bewundert das ewig neue Schauspiel des Sonnenuntergangs, und nach der Vesper beginnt ein neues Essen, das Abendessen, lauter fette und stark gewürzte Speisen, Fische besonders. Der Kurier von Valladolid nach Lissabon muss taglich seinen Umweg über Yuste nehmen und Leckereien bringen. Donnerstags bringt er für Freitags Fische. Die Forellen hier sind dem Kaiser zu klein, der Bote bringt grössere von Valladolid. Aalpastete ist seine Leidenschaft. In Würsten schwelgt er. Kürzlich erinnerte er sich an jene Würste, die seine nun selige Mutter in Tordesillas sich machen liess. Nun muss ich an den Minister in Valladolid schreiben, zwischen politischen Dingen, Ratschlagen so staatsklug, wie sie keiner besser gab, er solle jene Würste besorgen, und fande er sie nicht in Tordesillas, so hatte der Koch des Marquis von Denia das Rezept. Was für ein gastronomisches Gedachtnis! Unseligerweise kommen die Würste spat am Donnerstag Abend, Freitag ist Fasttag, Fischtag. Am Samstag befallt den Kaiser ein schwerer Gichtanfall, der in der rechten Hand beginnt, fortgeht zum rechten Arm, dann ins Genick, dann in den linken Arm, dann in die linke Hand, endlich bis ins Knie herabsteigt; die Majestat, an allen Gliedern lahm, nicht im Stand, zu essen, legt sich ins Bett und bleibt paar Tage in grossen Qualen. Dann nimmt er ein: Gerstenschleim, Eidotter und Sennawein. Er bekommt Fieber, einen bösen Hals und muss völlig fasten. Ach, die Schmerzen, die Gicht, und ach, der Kummer: die Würste aus Tordesillas! Er gesundet, da schickten schon die Bischöfe ringsum Wild, die Bauern Fische, zwei Herzoginnen aus der Nachbarschaft Eingemachtes, und er frisst fort, alles fliegt ihm gebacken, gebraten, eingemacht ins Maul, wie seine Holztauben fliegen!" „Ein Zauber", murmelte selbstvergessen Ruy Gomez. „Glauben Sie?" fragte Don Quixada. „Die Mönche haben den Torriano bereits dem Heiligen Amte der Inquisition angezeigt. Sie sagen, nach dem Tod des Kaisers wird dieser Torriano verbrannt." „Er verdient es", sagte der Minister entschieden. Don Quixada schwieg betroffen und liess den Minister bald allein. Ihm gefiel der Minister nicht. Ruy Gomez hatte eine schlechte Nacht. Er konnte nicht einschlafen. Er hörte neben sich den Kaiser husten, beten, spucken, rufen, schnarchen. Der Wind sauste vom Gebirge her. Ein Fensterflügel schlug. Eine Eule schrie. Der Minister überdachte sein Leben, ihm schien alles verfehlt. Seine ganze Grosse, die er sonst unsaglich bewunderte, schien ihm falsch, und Philipp, den er sonst zu lieben meinte, erschien ihm im Halbtraum wie eine dicke Frau, die sich auf ihn legte und ihn erstickte. Er wird mich umbringen, dachte der Minister schweissnass und wusste selbst nicht, meinte er den Kaiser Karl oder den König Philipp? Am Morgen erwachte der Minister spat, sein Kopfkissen zeigte die Spuren von Tranen. Er hatte im Schlaf geweint. Der Minister wurde rot, als hatte er eine unnatürliche, schamlose Handlung begangen. Er beschloss, noch demütiger vor den Herren der Welt zu sein. Es hatte nicht viel gefehlt, und er ware wirklich davongegangen und hatte Weib und Amt, Titel und Reichtum, Macht und Gunst hinter sich gelassen. Es fehlte nur ein Gran Willen. Dieses Gran macht den Unterschied zwischen den Menschen. DER GROSSINQUISITOR. König Philipp genoss in seiner Stadt Cambrai die linde Ruhe der Sommertage. Er sass in seinem Garten, unter dem grünen Dach einer riesigen Eiche. An ihrem Stamm lehnte schweigend der sanfte Bruder Castro, der Beichtvater Philipps, in seiner weissen Kutte, die zwischen Moos und Laub leuchtete. Daneben stand Philipps neuer Minister, der elegante Granvella, der Bischof von Arras, in einem schwarzen, seidenen Talar. Vor dem König kniete der Prediger Carranza. „Ich bin unwürdig", rief Carranza. „Sire! Ich bin unwürdig!" König Philipp sah, über ihn hinweg, die lange Pappelallee hinab, an deren Ende bald, wie alle Tage, die Kuriere seiner beiden Armeen auftauchen mussten, aus Italien vom Herzog Alba und aus Frankreich vom Herzog von Savoyen. Der König von Frankreich, verbtindet mit dem Grosstürken und dem Heiligen Vater, hatte zwei Heere gegen Philipp ausgeschickt, urn Italien und die Niederlande zu erobern. Der Krieg marschierte von der Nordsee bis Neapel. Carranza blickte demütig auf die Erde. Im Gras, zwischen langfingerigen Wurzeln, krochen Ameisen und Kafer. Hatte ihn der König gehort ? In der Stille ward mit einem Mal der Larm der Vögel laut. Der Bliek des Königs kehrte zu Carranza zurück. Warum widerstrebte dieser Mönch so hartnackig, da ihm sein König Reichtum und Macht anbot? Von neuem erklarte Carranza: „Sire! Ich habe Ihnen die Namen von drei Mannern genannt, die würdiger sind als ich, auf dem Stuhle des Erzbischofs in Toledo zu sitzen. Spanien wird fragen: Wer ist dieser Carranza, dass er im Purpur wandelt? Sire! Wer bin ich? Ein Professor aus Salamanka! Man heisst mich gelehrt. Was kostet Gelehrsamkeit ?" Der König antwortete: „Bruder Castro wird den Brief lesen, den Ruy Gomez aus Valladolid geschrieben hat." Bruder Castro zog aus dem weiten Armel seiner Kutte ein Staatsschreiben und las: „Die kaiserliche Majestat schrieb mit gichtkrummen Fingern an die Hirten der Kirche in Spanien: .Schuldet Ihr nicht alles Uns Königen?' Der brave Siliceo spendete sogleich vierhunderttausend Dukaten, drei Tage spater starb er. Alle opferten nach Kraften; nur der Grossinquisitor, nur Valdes, machte Ausflüchte." Philipp unterbrach die Lektüre des Bruder Castro. Er rief: „Wir machten ihn zum Richter, er macht Ausflüchte!" Castro las: „Er sei arm, erklarte Valdes, er wolle für den König beten. Nochmals schrieb ihm der Kaiser — umsonst. Die Regentin Juana rief ihn. Sie rechnete ihm vor, er müsse seit elf Jahren mehr als dreihunderttausend Dukaten erspart haben. Kein Bettler habe je ein Almosen, kein Grosser Bewirtung von ihm empfangen! Weder baute er Palaste noch sammelte er Gemalde. Wolle er denn sein Gold ins Grab nehmen? Der fünfundsiebzigjahrige Greis zeterte: ,Ich habe nichts! Nehmt mir das Hemd vom Leib', rief er. ,Nehmt die Kutte, macht sie zu Geld!' Und löste den Strick, der seine schmutzige Kutte zusammenhielt, als wollte er nackt zwischen uns wandeln. Die Regentin forderte zweihunderttausend Dukaten, sie drohte schliesslich. Da rief er, zitternd vor Mitleid mit sich, der harte Greis: .Zweihunderttausend Sorgen, zweihunderttausend Schmerzen besitze ich! Schliesslich spuckte er fünfzigtausend Dukaten aus, am Rand beschnitten alle! Dann legte er sich zu Bett und jammerte, er sei verstümmelt, fünfzigtausend Dukaten, er deutete an, auch Siliceo sei aus Gram seinem Gelde nachgestorben. ,Wozu habe ich gelebt?' fragte er. ,Muss ich die Gaben frommer Pilger hergeben für Mordwaffen ? Vor Zeugen, die es mir hinterbracht haben, schrie er aus vollem Hals: ,Ich liebe den Frieden!' Und dieser ist der Fürst unserer Kirche!" Der Mönch stockte und Philipp erklarte: „Zur gleichen Zeit schrieb dieser schamlose Valdes an mich und bewarb sich um das Erzbistum von Toledo, weil es dreimal so reich zinst wie Sevilla. Noch hat er nicht genug! Er sei der Würdigste, so schrieb er mir, der Alteste, der Gerechteste, der Strengste. Willst du also, Bruder Carranza, dass ich diesen auf den Stuhl von Toledo setze?" „Das nicht", erwiderte Carranza, der immer noch kniete, und hob den frommen Bliek, und Bruder Castro sagte: „Diesen nicht!" Und sogar der elegante Bischof von Arras, der Granvella, schüttelte sein Haupt und murmelte: „Den Valdes um keinen Preis!" Und der Beichtvater las: „Valdes nahm seine Kutte und ging wehrufend durch die Gassen von Valladolid, ein neuer Jeremias. ,Wehe dem Zeitalter!' rief er. ,Der Gerechte wird mit Füssen getreten! Die Bösen tragen das Richtschwert. Die Gottlosen setzen sich auf die Stühle der Kirche. Wehe dir, Toledo! Umstürzen werden deine Palaste!' Danach drang der rasende Greis in die Palaste und fasste die Grossen am Zipfel ihres Rocks und fragte: ,Ist keiner von uns würdig ? Krönt der neue König nicht das Verdienst? Geschieht darum so, weil ihn Ketzer umgeben, wie dieser sanfte Franziskanerbruder Castro und dieser Carranza, der sich selber den gelehrten Carranza heisst, aber gelehrt sind sie, um Ketzerei zu verbreiten, und sanft nur gegen die Bösen? Man sagt zu ihrer Entschuldigung, sie wurden in England angesteckt, sonst waren sie fromm. Ich lese in den Schriften dieses Carranza und rieche Satan darm! Verlorenes Toledo! Unseliges Spanien! Armer König Philipp!" Der Mönch stockte, als grauste es ihm. König Philipp erklarte: „Lasst mich erst in Spanien sein! Es ist einfach, die Menschen zu regieren. Ich brauche nur Zeit." Carranza stand auf und antwortete: „Herr! Ich fürchte mich. Wer wird mich schützen?" „Ich",versprach Philipp." Tragen denn andere keine Last ? Ich mag diesen Krieg nicht, den mir Frankreich und das Haus Caraffa aufzwingen. Es ist ein falscher Krieg! Meine Minister Ruy Gomez und Granvella wissen, dass ich nur den Frieden wünsche. Rieten Sie mir nicht beide zum Frieden, Eminenz? Granvella tat einige Schritte vor und verbeugte sich tief vor dem König. „Unser Herr", begann er, „willdie Ketzerei in der ganzen Welt ausrotten. Er ist der geborene Waffenführer aller Katholiken. Er wird das Reich Gottes auf der ganzen Erde gründen: Das katholische und spanische Weltreich. Ich zitiere Seine Majestat." „Sie gönnen mir die Weltherrschaft nicht", erlauterte König Philipp. „Sie wollen meine Reiche teilen. Sie haben ein en Plan!" Granvella erklarte: „Ich zitiere Seine Majestat. Sie haben einen Teilungsplan. Frankreich will Neapel und die Niederlande, die Familie des Papstes will Mailand schlucken. Unserm König will man gnSdig Spanien lassen!" „Mein Vetter Savoyen", erklarte König Philipp, „steht schon vor St. Quentin. Ich warte auf seinen Kurier. Der Marschall Montmorency ist mit der französischen Armee nahe. Vielleicht haben wir schon St. Quentin? Vielleicht kam es zu einer Schlacht?" Wir werden siegen; denn das Recht ist unser! erklarte mit der Si'cherheit des Absurden der Bischof Granvella. „Ich werde siegen", wiederholte der König. „Aber mit welchen Opfern! Ich muss die Publikation aller p&pstlichen Breves in meinen Reichen verbieten, damit das Gewissen meiner Untertanen nicht leidet. Meine Schwester Juana muss alle Schiffe, die in Spanien landen, durchsuchen und alle Personen, die papstliche Bullen tragen, in den Kerker werf en. Mein Feldherr Alba muss die Kirchenglocken von Neapel schmelzen, um Kanonen zu giessen. Und alles um eines falschen Krieges willen! Ist das nicht schwere Bürde? Und du willst mir nicht helfen? Meine Feinde glauben, ich sei noch neu in Geschaften und leicht zu vernichten, weil mein Vater vom L&rm der Welt sich abgekehrt hat! Sie glauben, mich verwirrte dieser dumpfe, grossartige Larm des Lebens, weil ich in die Stille meines Kabinetts die schrecklichen Schreie der Völker nur gedampft eindringen lasse. Sollten sich meine Feinde nicht tauschen? Und da willst du mir nicht helfen? Carranza! Sprich: Ja! Dass ich nach dem Sieg den Glaubenskrieg beginnen kann, weil ich in Spanien sicher bin." „Ja!" sagte Carranza. Er schwankte, als sollte er in Ohnmacht fallen. „Was haben Sie?" fragte Granvella erstaunt. „Ich", murmelte Carranza, „sah mich brennen... ICH SAH DIE TOTEN PhiUpp ritt heiter wie der Himmel aufs Schlachtfeld, der Held des Jahrhunderts! Die Edelsteine funkelten an seiner Rüstung, seine rotseidenen Puffhöschen leuchteten kokett, munter wippte sein Helmbusch. Ein lauer Wind trieb hohe, leuchtende Wolken vor dem König einher, luftige Vorreiter. Seit hundert Jahren gab es keinen solchen Sieg! Als Philipp vom Sieg erfuhr, war sein erster Gedanke: Und ich war nicht dabei! Und sein erstes Wort: Was wird mein Vater sagen? Und sein Schmerz, dass Egmont der Sieger warl Durch die sanfte Ebene der Picardie ritt der königliche Hofstaat gleich einem militarischen Maskenzug. Pagen schleppten rasselnde Rüstungen. Greise schwangen rostige Schlachtschwerter. Tanzer trugen eiserne Sturmhauben. Hoffrauleins zeigten bis zu den runden, rosigen Schenkeln hinauf terpentinduftende Reiterstiefel. Gleichmütig hoben die Bauern auf den Ackern ihre Köpfe und sahen den fremden Siegern nach. Zuletzt ritten gemSchlich auf Maultieren Bruder Castro, Bischof Granvella und Erzbischof Carranza. Gelassen blickten sie auf zertrampelte Felder, umgestürzte Packwagen, zerbrochene Geschütze und verbrannte Dörfer; mitleidig musterten sie verwundete Landsknechte, ausgeplünderte Marketenderinnen, lutherische Feldgeistliche und altgediente Armeehuren. Immer haufiger stiessen sie auf Pferdekadaver und Schmeissfliegenschwarme, immer lauter bellten die Hunde, immer zahlreicher rauchten halberloschene Wachtfeuer und starrten ausgeplündert nackte Leichen mit glasigen Augen. Ein Krahenschwarm folgte im niedrigen Flug den Kirchenfürsten. „Dieser Krieg ist abscheulich", sagte seufzend Granvella, und fügte vorsichtig hinzu: „Ich zitiere den König." „Wir haben gesiegt", erwiderte Castro. „Ist es nicht genug?" „Sollte man nicht Frieden schliessen?" fragte Carranza. Sanft lachelnd wie Auguren ritten sie durch einen kühlen Wald, der anstieg. Da der Wald aufhörte, sahen sie, im hellsten Licht des Sommertages, Tal und Fluss, auf einem Hügel die reiche Stadt St. Quentin, und naher das spanische Feldlager, eine wehende Stadt von Zeiten. Schon begann der Salut der Kanonen. Die spanische Armee stand in Parade. Jetzt trafen Hof und Generale zusammen. Der Herzog von Savoyen kniete. Der König hob ihn auf. Einundzwanzigmal schossen die Kanonen. Die Fahnen von Frankreich lagen im Staub. Der König und die Damen sassen unter ein paar wilden Apfelbaumen im linden Schatten. Die vornehmsten Gefangenen zogen auf der staubig heissen Landstrasse hin, zu zweien und dreien, ohne ihre Waffen und goldgestickten Röcke und Hüte, manchen hatte man sogar die Stiefel geraubt. Barfuss, im Hemd und in Hosen, kamen ein Bourbon und ein Herzog von Longueville, matt und erschöpft der Marschall von St. André und der Sohn des Marschalls Montmorency. Verwundet, vergramt trotteten Grafen und Ritter im Staub, die Beute der spanischen Generale, ein Kriegsschatz. Man schickte alle in die Festungen und behielt sie, bis ihre Familien Lösegelder zahlten. Der König schritt durchs Lager. Die gemeinen Gefangenen, ohne Waffen und Röcke, standen in Haufen, barfuss und böse, von riesigen Fleischerhunden bewacht. König Philipp sah, es waren alle dieselben, die Gefangenen und seine Soldaten, die gleiche Sorte gemieteter Landsknechte, hüben Deutsche, drüben Deutsche, Schweizer in Waffen und entwaffnete Schweizer, wer unterschied sie? Es gab zuviel gemeine Gefangene. Die meisten schickte man auf die Galeeren. Im Zelt des Herzogs von Savoyen lag, am Bein verwundet, der berühmte Marschall Montmorency. Philipp trat ein und grüsste höflich. „Fahr' zur Hölle!" schrie Montmorency, im Fieber. „Antichrist!" schrie er. Er machte das Zeichen des Kreuzes und begann das Paternoster: „Vater unser Dein Reich komme Hangt ihn auf!" schrie er dazwischen und betete weiter „sondern erlöse uns von dem Übel! Schlagt ihn tot, den spanischen Hund!" schrie er und sagte: „Amen!" Philipp ging davon. Im Zelt des Grafen Egmont hielt er den Kriegsrat. Links sassen seine Generale, rechts die Priester. „Frankreich", erklarte Savoyen, „erstarrt vor Entsetzen. Reiten wir nach Paris. In einer Woche hören wir die Messe in ,Notre Dame' und fangen den König Henri und seine Kinder und Weiber." „Mit meinen Reitern bin ich in vier Tagen dort!" rief Egmont. „Und die Festungen in unserm Rücken?" fragte der Bischof Granvella. „Und die Flüsse, die Aisne, die Oise, wenn die Franzosen die Brücken abbrechen? Und die furchtbaren Festungswerke von Paris, wo vierzigtausend Bürger in drei Tagen aufgeboten sind?" „Und wenn das Volk in Massen aufsteht?" fragte der Beichtvater Castro. „Wenn die Bauern die Dörfer anzünden, das Vieh forttreiben, ihre Brunnen vergiften? Haben wir Proviant?" „War nicht der Kaiser mit einer grössern Armee in Frankreich?" fragte der Erzbischof Carranza. „Aber das Ende? Eingangs speisten seine Soldaten Truthühner, ausgangs Waldwurzeln." „Der Kriegsrat", erklarte der Bischof Granvella, „beschloss, zuerst St. Quentin zu erobern. Morgen wird St. Quentin fallen. Und unsere Armee wird, satt an Beute, doppelt tapfer nach Paris marschieren." Der Bischof schwieg. Keiner der Generale antwortete. Zwang man sie, mit langröckigen Klerikern über Strategie zu streiten? König Philipp wandte sich an Oranien: „Was raten Sie, lieber Prinz?" Oranien überlegte. Granvella war sein Freund. Die Priester schienen einig. Dem König missfiel der Krieg. „Wir haben durch Kühnheit gewonnen", sagte Oranien, „was sollten wir, nach dem Sieg, durch Zaudern verlieren?" „Oranien hat recht!" entschied der König. „Ich bin kein Spieier. Wir wollen zuerst St. Quentin stürmen!" Die Geistlichen lachelten fromm. Die Generale schauten betroffen. Die Belagerung begann. Aber siebzehn Tage vergingen, und noch hielt sich die Stadt. Die Spanier schossen unaufhörlich, es rollte wie in einer Kegelbahn. Sie unterminierten die Stadt bis unters Rathaus, die Belagerten gingen schon auf den Köpfen der Belagerer. Die Bürger erklarten: „Jeder Tag, den wir gewinnen, rettet vielleicht Frankreich", und schwangen die Schippe und trugen die Eimer mit Sand. Schon gab es elf Breschen. Am siebenundzwanzigsten August befahl der Herzog von Savoyen den Sturm, um acht Uhr morgens. König Philipp stand mit den Damen auf dem Hügel gegenüber der Stadt, im Schatten einiger Uimen. Die Stadt verfiel der Plünderung, nach alter Sitte. Am Nachmittag ritt König Philipp langsam durch die eroberte Stadt. Wölfe in Rudeln (nur ihre Tracht war noch menschlich) rannten mit heraushangenden Zungen durch die heulenden Gassen und zerrissen mit blutigen Tatzen alles Lebende. Geschwanzte Teufel jagten mit Bockssprüngen nackte Weiber über steinerne Treppen, bis die Weiber auf den Rücken fielen und wie Schakale heulten. Deutschbrummende Baren und spanischbrüllende Stiere sprangen auf das dampfende weisse Fleisch und genossen es. Die Gesattigten schnitten den besiegten Bürgerinnen vonSt. Quentin die beringten Ohren undFinger ab, aus eiliger Habgier, und zuweilen — aus Mitleid — die Köpfe. Die echten Krahen hackten nur den Toten die Augen aus. Die echten Hunde schnupperten nur in den Eingeweiden der Leichen. Auf dem Fischmarkt lag eine fette Marktfrau. Aus ihrem umgestürzten Fischkorb krochen schlangelnde Aale über die entblössten Hügel der mütterlich vollen Brust. Zwischen ihren nackten, gespreizten Schenkeln hüpften fette Karpfen mit angstlich schlagenden Kiemen. Feierlich langsam ritt der König von Spanien durch die heulende Hölle. Zur Linken ritt der fröhliche Egmont, der Sieger von St. Quentin, zur Rechten der stille Oranien. Die spitzen Schreie der Gemetzelten stachen in das sanfte Fleisch Philipps, durch den eisernen Panzer hindurch. Aus allen Fenstern und Türen schauten die Soldaten auf ihren König. Weindunstend rannte seine Armee durch die reiche Stadt, sie liebten mit Gewalt und brannten nieder und mordeten. Und der König sah die Plünderung. An vier Ecken brannte die Stadt. Dicke Wolken aus Rauch, Flammen und Bettfedern verstellten den blauen Sommerhimmel. Blutbeschmiert und beutebeladen glich ein Soldat dem andern. Philipp erkannte ihre Herkunft nur an ihrer Tötungstechnik. Die Italiener mordeten mit Dolchen, die Spanier mit Stöcken, die Englander mit der Faust, die Flamen schossen mit Musketen. Die Deutschen töteten truppweis. Sie spielten die Herren der Armee, die Swarzrotters trampelten zu fünfzig und achtzig, in musterhafter Disziplin, mit ihren gespornten Stiefeln den speichelnden Greis tot, notzüchteten seine Töchter, schnitten prazis die Darme ihrer Opfer auf und suchten gründlich nach Gold darin, steilten die einzelnen flamischen, englischen, spanischen Soldaten, setzten ihnen zehn Piken auf die Brust und plünderten sie aus, rasch und genau, wie auf Kommando. Stumm geschaftig leerten sie ein ganzes Haus in fünf Minuten, erledigten die Bewohner und verbrannten die Reste. Dem König tat es leid um St. Quentin, die reiche Stadt. Schon stank sie nach Blut und Feuer. Da Philipp vor die offenen Portale der Kirchen kam, sah er wieder seine Soldaten. Sie schossen auf die Heiligenbilder. Sie soffen den Messwein. Sie jagten die nackten Nonnen um die Altare und bogen sie über die steinernen Sarkophage. Wie Kinder freuten sie sich an den roten, gelben, grünen, blauen Flammen der Messgewander, die sie mit ihren Fackeln angesteckt hatten. Seine katholischen Soldaten traten die heiligen Reliquien, die frommen Knöchlein. Also, dachte Philipp ergrausend, schande ich die Kirchen, martere ich die Kindlein, schichte ich die Leichen zu stinkenden Hügeln. Auf dem Markte begann der König der halben Welt zu schrein. „Aufhören!" schrie er. Seine Stimme erreichte kaum den Egmont und den Oranien. „Aufhören!" schrie er. Egmont trieb sein Pferd zu Oranien. „Hören Sie?" fragte er. „Ich höre", antwortete trocken Oranien. König Philipp der Zweite. 8 Des Königs Pferd rutschte mit den Hufen im glitschigen Blut. Der arme Gaul zitterte vor Entsetzen. Aus den vermischten Leibern eines halbverbrannten Leichenhaufens ragte mit gespreizten Fingern eine Hand, weiss und schlank, und die Finger bewegten sich. Siehe! sie spielten wie die Finger einer Harfenspielerin. Die Hand!" schrie der König mit grasslicher Stimme und deutete. Egmont und Oranien fühlten ihre Haare aufstehn. Ein Trupp schwarzer Reiter naherte sich, in musterhafter Ordnung. „Rettet!" schrie Philipp ihnen zu, auf spanisch. „Grabt die Hand aus!" rief er. Die Swarzrotters sahen ihn kalt an. Sie rührten sich nicht. „Kennt ihr nicht die Majestat?" rief Egmont auf deutsch. Da lebt noch ein Mensch in dem Leichenhaufen. Zieht ihn heraus!" Die Swarzrotters wandten ihre ruhigen Blicke dem Grafen zu und betrachteten ihn aufmerksam. Der ihr Anführer schien, hob seinen langen Spiess und naherte die stahlerne Spitze langsam und ritzte ganz sachte die weisse, anmutige Hand, als kitzelte er sie nur, bis ein paar Tropfen Blut die zuckende Hand röteten. Da lenkte Philipp sein Pferd um die Kadaver herum, zog sein Schwert und hieb dem Anführer das Ohr vom Kopf. Der Kerl taumelte, einer der Swarzrotters feuerte und verfehlte den König. Philipps Pferd baumte sich auf und ging durch, Egmont und Oranien folgten dem König, ein paar Kugeln surrten wie Bremsen an ihnen vorüber. Es sah aus, als flöhe der König vor Egmont und vor Oranien. „Sire!" schrie Oranien. „Sire!" brüllte Egmont. Alle drei rissen ihre Pferde zurück. Sie waren in einer Sackgasse. Ein riesiges Tor öffnete sich. Herausströmten hunderte nackte, geschandete, blutende Weiber. Sie heulten um Gnade. König Phüipp spornte sein Pferd, die Weiber liefen wie beflügelt, ihr Schrei um Gnade fasste wie eine Hand nach dem König. Ihm graute. Da Egmont an einer Strassenkreuzung einen Trupp Brabanter Reiter anrief, schrie Philipp: „Was haben Sie vor, Graf ?" Schon trieben die Reiter mit den Lanzen den Tross der Weiber zurück und geleiteten die Herren zum Markt. Wieder blickte der König durch die offenen Portale in den Dom. Die heitere Sonne beglanzte die farbigen Scheiben, die Blutbache auf dem steinernen Boden, die nackten toten Weiber, die heiligen Reliquien. Mit einem Male schrie der König: „Rettet die Reliquien! Rettet den Heiligen Laurentius!" Es war der Sieg von St. Quentin gerade auf den Tag des Heiligen Laurentius getallen, der einst auf einem feurigen Roste gebraten worden, ein gerösteter Martyrer. Seine Knochen lagen in einem glasernen Schrein der Kathedrale. König Philipp hatte ihm ein Gelübde getan. König Philipp rief: „Wer Reliquien schandet, sterbe! Wer Greise, Frauen, Kinder, Geistlichetötet, kommevors Standgericht! Löscht die Feuer! Ich verkünde allen Einwohnern meine Gnade. Keine Plünderung! Gehorcht mir! Ich will es, der König!" Eine starke Leibwache, vielleicht dreihundert Brabanter Reiter, und viele Offiziere, standen hinter dem König. „Aufhören!" schrie Philipp. „Die Plünderung soll aufhören!" Betreten betrachteten die Offiziere einander. „Sire!" sagte Egmont, „ich bitte Eure Majestat in tiefster Demut, diesen frommen Wunsch zu verschweigen. Es ist von altersher das gute Recht der Soldaten, eine erstürmte Stadt zu plündern. Das ist ihre Löhnung, ihre Lust! Das ist der Krieg! Dafür wagen sie ihr Leben. Dafür leiden sie Durst und Hunger, Pest und Frost. Es ist unbillig, es ist unmöglich, sie zu hindern. Die Armee würde uns in Stücke reissen!" „Kannte Eure Majestat nicht die Schrecken des Krieges?" fragte mit sanfter Ironie der junge Oranien. König Philipp sah ihn verdutzt an. Dann murmelte er: „Ich wusste alles! Auch die Notwendigkeit gewisser Opfer. Aber sehn! Mit Augen sehn!" Langsam wandte der König sein Pferd. Er ritt zum Stadttor hinaus, durch das Lager zum Hügel, wo sein Zelt glanzte. Die Sonne ging rasch unter. Im Tale nebelte es schon. Auf allen Landstrassen nach Norden und Osten fuhren riesige Ziige von Lastwagen. Das waren die Landsknechte, die auf die Packwagen der Armee ihre Beute geladen hatten und nach Hause fuhren. Philipp trat in sein Zelt. Ein Altar war aufgestellt. Seine Leibwache trug gerettete Reliquien. Neben den Altar legten sie den glasernen Schrein mit dem Heiligen Laurentius. Die Geistlichen murmelten Gebete. Der König und die Damen knieten und sangen feierlich langsam das Tedeum. Traurig schollen die frommen Töne. Vor dem Zelt standen Egmont und Oranien und atmeten die Kühle der Sommernacht. Lange blickten die Freunde zum nachtlichen Himmel empor, der vom Abschein der Flammen rot glühte. Egmont hatte den Arm auf die Schulter Oraniens gestützt, er fühlte die ungeheure, pochende Lust des Lebens, die Wollust: zu atmen und zu schaun. Er fühlte sie trotz dem irdischen Grauen, das sich noch am Himmel spiegelte. Vielleicht vermehrte das ausgestandene Entsetzen diese bunte Lust. Oranien lauschte dem Heer von quarrenden Sumpffröschen. Auch er empfand ein Nachgefühl dieser wollüstigen Wehmut, die unser zartlichster Anteil am Glück ist. Dem Jüngern schien, als hatte er noch nie vorgedachte Ideen dem Freunde mitzuteilen, eine heilige Vorahnung künftiger Humanitat. Oranien d ach te, zu viel ware zu sagen, sicherlich empfinde Egmont wie er und werde es aussprechen. Indes, Egmont schwieg, hingegeben an die selige Ruhe, zwischen der summenden Messe der spanischen Priester und der quakenden Messe der frankischen Frösche. „Ich habe die schönsten Nachrichten", begann Oranien. „Ihr Sieg, mein lieber Graf, hat unserm König nicht nur diese Stadt und den Niederlanden Sicherheit geschenkt, sondern auch Italien uns ausgeliefert. Der Herzog Guise lief mit seiner Armee quer durch die Alpen nach Frankreich, um es vor uns zu schützen. Alba aber fragt, was er mit dem Heiligen Vater beginnen solle? Unser König, ein halber Heiliger, befahl dem Alba, vor dem besiegten Papst zu knien und um Vergebung für die spanischen Siege zu bitten. Der König hat nur einen Wunsch: Den Titel des gehorsamsten Sohns der Kirche. Die Stadte, die der Herzog dem Papste wegnahm, soll er knieend wiedergeben. Der König hat den Alba mit dem Zaum im Munde fortgeschickt, nun heisst er ihn durchs römische Joch kriechen. Alba kriecht schon mit dem Hut auf dem Kopfe!" „Ein sehr braver Soldat", erklarte Egmont, wohlwollend vor lauter Schadenfreude, „ein wenig mittelmassig, man weiss es, aber nicht ohne militarische Kenntnisse." „Still!" mahnte Oranien. „Vorsicht! Man kommt aus dem Zelt des Königs." In diesem Augenblick öffnete sich das Zelt, und der König trat heraus, begleitet von den Herzoginnen von Parma und Lothringen und von Anna Eboli und gefolgt von Granvella, Carranza und Castro. Wie alle, warf auch Philipp einen Bliek auf die brennende Stadt. Das Feuer schien im Dunkel so nah, dass alle meinten, sie horten die Flammen sausen, als ein Wind die Leinwand der Zelte bewegte. „Die schonen Kirchen!" murmelte seufzend der Erzbischof Carranza. „Wir haben die Reliquien gerettet", entgegnete laut Granvella. „Und die Toten?" flüsterte die Eboli. „Wer rettet die Toten?" Vernahm der König diese kindischen Worte? Da ihn alle betrachteten, schien er allen verandert. War es das ungewisse halbe Licht der Fackeln, das sich mit dem Licht der Sterne, der Wachtfeuer und der Brandröte mischte? W ar der König so tief erschüttert ? Er schien alter, grösser, starrer geworden. Der König trat einen Schritt zu Anna. „Die Lebenden ', sagte er mit einer mühsamen Stimme, „die Lebenden wollte ich retten. Ich wünschte ein frommes Leben allen Menschen, befahl den Kampf mit dem Bösen und habe gesiegt; die Leute aber sehen nur Leichen überall. Ich befahl es anders. Man gehorcht uns schlecht. Wir sind nicht zufrieden. Ich sah die Grenzen der Könige und scheue sie fortan. Weint ihr um gemeine Tote und zer- brochene Kirchen? Taglich werden neue Menschen geboren; dieses Geschlecht stirbt nicht aus. Undich tat dem Heiligen Laurentius den Schwur, ihm eine schonere Kirche zu bauen. Ich werde sie bauen und sie soll gross sein und dauern! Aber saht ihr auch, wie man mich antastete?" Philipp schwieg und sah zu den Sternen empor. Die Hofleute sahen sich betreten an. Wovon sprach der König? Zwei Geier flogen niedrig um das königliche Zelt, unheimlich krachzend. Carranza begann zu erzahlen: „Ich durchwanderte am Abend die ganze Stadt und schaute allem zu, den Menschen und den Steinen. Ich ging und glaubte die Zerstörung von Jerusalem zu sehn, der hügeligen, heiligen Stadt. Zwischen den frischen Ruinen fand ich keinen lebenden Bürger mehr, keinen, der sich einen Franzosen hiess. Wie eitel ist diese Welt! Vor ein paar Tagen noch zogen der Reichtum und die Lust durch die Strassen, jetzt steht kein Stein mehr auf dem andern!" „Wer hoch bauen will, muss erst niederreissen!" erklarte Bruder Castro. Carranza schwieg. Der Wind war eingeschlafen. Eine schwere Schwüle lastete. Der Sternenhimmel war ganz bedeckt von niedern Wolken, die feurig glühten. Ein leiser, ferner Donner rollte. Von Zeit zu Zeit rief eine Wache. An den Wachtfeuern lagen die Soldaten, schliefen, tranken, würfelten. Ein Trommeljunge trommelte leise auf einer grossen Pauke. Spater in der Nacht blitzte es einmal, ein ungeheurer Donner krachte, und es begann zu regnen. Es war der Anfang der grossen Herbstregen. Der König zog noch vor die festen Stadte Catelet und Ham, Noyon und Chaulnay, er nahm sie alle, die eine Stadt schonte er, die andre stürmte er, die dritte liess er plündern, die vierte verbrennen. Indes hörte der Regen nicht auf. Es regnete bei Tag und bei Nacht. Die Flüsse wurden gelb und schwollen an, sie traten über die Ufer und überschwemmten die Landstrassen. Es fehlte an Lebensmitteln und an Lastwagen, sie herzuführen. Die flüchtigen Landsknechte hatten die Wagen, mit Beute beladen, entführt. .Sollen wir versaufen oder verhungern?' schrien die Soldaten. Sie froren in der Nasse und litten am Fieber. Die englischen Hilfstruppen, die alle anderen verachteten, vor allem die Spanier, forderten Urlaub. Sie wollten nicht mehr für den König von Spanien sterben. Sie hassten ihn lange. Die Deutschen forderten vergebens ihre Rückstande, der König hatte kein Geld, da liefen sie regimenterweise zum König von Frankreich über, der bar zahlte. Granvella riet dem König: „Wir müssen zurück. Wir haben kein Geld. Wir haben kein Brot. Die Stadte in der Picardie sind erobert, die flamische Grenze gesichert, der Papst gezahmt, Italien unterworfen, der Winter kommt — genug der Siege, ehe alles gefahrdet wird! Entlassen wir die Armee. Senden wir die spanischen Truppen in ihre flamischen Winterquartiere. Reiten wir nach Brüssel zur Siegesfeier!" So endete der erste Feldzug des Königs, der einzige, an dem er in Person teilnahm. Glücklich ritt der neue Kriegsheld in Brüssel ein. Es war ein Freitag, die Stadt roch nach Fischen. Auf den Strassen stand das Volk und liess den Sieger hochleben. Philipp nickte gnadig, neben dem König ritt Egmont. „Hoch der Sieger!" schrien die Bürger von Brüssel. Vor dem Dom ritt Egmont beiseite, zu seinem Palaste. Da folgten die Rufer dem Grafen, ihm schrie das Volk zu: „Hoch der Sieger!" Wo aber der König ritt, schwiegen die Bürger, nur selten rief ein Spanier in der Menge den alten Schlachtruf: „Hispania!" Da gewahrte der König, dass der ganze Jubel dem Brabanter galt. Laut schrie das Volk: „Hoch Egmont, der Sieger von St. Quentin!" Da ging Philipp in seinen Palast. Am Tag darauf empfing er die Staaten. Die Niederlander wollten die Kriegskosten nicht zahlen. „Wir zahlten mit Blut", riefen sie. „Egmont siegte für Spanien. Egmont hat Rom erobert. Nun sollen wir zahlen?" „Für euch", rief Philipp, „habe ich Krieg geführt! Sonst hatten die Franzosen eure Stadte verbrannt!" „Wir hatten uns schon gewehrt", sagten die Niederlander und zahlten nicht. Der König war zornig. DIE SCHREIBER Die Schreiber des Königs sassen in seinem Hause und schrieben in den Tag hinein. Sie wussten, was in allen Landern der Erde gespielt wurde, und hatten Tintenflecke an den Fingern und Flausen im Kopf. Hurtig liefen sie treppauf treppab, bedachtig schnitten sie ihre Federn und hoben prüfend ihre Tintenglaser gegen das Licht. Im obersten Zimmer sassen die jüngsten Schreiber, vier Söhne der Lust: Escovedo hatte eine grosse Nase; der arme Vasquez hatte rotentzündete Augen; der lustige Eraso rühmte sich eines Vaters, der Minister war; der blonde Antonio Perez besass schon ein Haus zu Brüssel, im ersten Stock guckten die fröhlichen Madchen zum Fenster heraus und grüssten mit Kichern und Kusshanden den jungen Antonio. Der ehrwürdige Gonzalo Perez, Erzdiakon zu Sepulveda, ehedem des Kaisers, nun des Königs Minister, ein argwöhnischer und masslos stolzer Priester, der im Zorn raste, im Amte insgeheim nahm und in müssigen Stunden die Verse Homers ins schönste Kastilisch übertrug, berühmt bei Dichtern für seine Sprachkunst, bei Klienten für seine Habgier und bei hübschen Frauen für seine Eigenheit, sie in seinem Bett zu unterweisen, voll christlicher Liebe und eindringlich, dieser sonst so misstrauische Gonzalo Perez vertraute schon nach sechs oder acht seiner gewöhnlichen Unterrichtsstunden den Beteuerungen einer ausnehmend hübschen und jungen Person, der Gattin eines sehr alten, reichen Reeders aus Antwerpen, und erreichte, als nach der gebührenden Zeit die Person gebar, bei dem Reeder den Verzicht auf die gesetzlichen Vaterrechte und beim Kaiser die Anerkennung des in der Ehe geborenen Bastards, ja, der alte Perez hegte sein Söhnchen, das er Antonio taufte und zu einem schwachlichen Jüngling aufzog, mit solcher Affenliebe, dass er ihm sogar seine altmodischen Ideen nachsah. Der junge Antonio schien zu glauben, die Ehrlichen seien in der Mehrheit und Wahrheit mache beliebt. „Mit diesen Grundsatzen", erklarte der erfahrene Minister fast verzweifelt, „endest du im Kerker. Nimm mich zum Beispiel! Blicke dich um bei Hofe!" „Jedermann aussert dieselben Ansichten wie ich", erklarte der verstockte Jüngling. „Aber wer halt sich daran? Oder treibst du deine Kunst, die Menschen zu betrügen, so weit, deinen eigenen Vater zu tauschen?" fragte der Erzdiakon mit einer sparlichen Hoffnung. „Dann ware dein Eifer löblich, wenn auch übertrieben. Hüte dich vor solchen Übertreibungen, mein Sohn, zu denen die Jugend neigt. Sie scheinen spasshaft und schaden nur. Die jungen Leute glauben, ihre Krafte seien unerschöpflich. Spater macht man andere Erfahrungen. Mein Sohn, habe Vertrauen zu mir!" Der Erzdiakon sprach mit der gesalbten Stimme, mit der er jungen Frauen ins Gewissen redete, wenn sie vorgaben, sie fürchteten sich vor der Sünde. „Aber ich bin aufrichtig, mein Vater", entgegnete der junge Antonio, mit sanftem Erstaunen. „Dann werde vernünftig!" bat der Vater. „Und der Glaube?" fragte Antonio. „Und die Gesetze? Und die Vernunft? Und die Humanitat? Und die Furcht Gottes? Gilt alles nichts? Gilt nur der Erfolg um jeden Preis? Mein Vater, ich bin zu stolz, um solche Lehren zu empfangen." Der alte Priester fühlte seinen Zorn nahe. Er fürchtete sich davor. Kalt fragte er: „Bist du vielleicht ein Sohn der Hölle? Ein Protestant? So gabe ich dich dem Hohen Amt an und legte mit eigener Hand Reisig auf den Scheiterhaufen." „Mein Vater", entgegnete Antonio sanft, „ich glaube, wie die Kirche uns lehrt." „Mein Sohn", sagte gerührt der Erzdiakon, „ich will dein Glück!" Dieser Antonio Perez und Eraso und Escovedo waren Günstlinge des Günstlings Ruy Gomez, indes das Findelkind Vasquez dem Herzog Alba sein Stück Brot verdankte. Diese vier Bastarde gelobten als geschworene Freunde beinahe taglich einander, zusammen zu stehn, zu steigen, zu geniessen. Stiege einer rascher, sollte er die andern nachziehn. Am eifrigsten predigte dieses spezielle Evangelium der Nachstenliebe, der die geringsten Aussichten hatte, der arme Vasquez, der Bastard eines Bettelmönchs, im Findelhaus zu Granada bei Wassersuppen aufgewachsen. „Bist du nicht eines Mohren Sohn ? fragten ihn seine Freunde im Übermut. „Bist du gar ein Jude? fragten sie ihn. Der arme Vasquez bekreuzigte sich mit seinen dicken Fingern angstlich geschwind vor so gefahrlichen Scherzen; die spanische Inquisition verstand keinen Spass. Das Büro roch nach Talg. Es war ein schwüler Nachmittag im Juli 1558. Wie Pulverdampf lag die Luft über Brüssel. Die Schreiber standen müssig am Fenster. „Es liegt etwas in der Luft", erklarte Vasquez wichtig. Die andern kicherten. Seit der Nacht gingen durch Brüssel die Gerüchte von einer grossen Schlacht am Meer. Flüchtige berichteten, die ganze Armee sei im Meer ertrunken. „Welche Armee?" fragten die Brüsseler. „Die Unsern? Die Franzosen?" „Ist Egmont geschlagen, hangt man uns, samt unsern schonen Aussichten", erklarte Escovedo und lachte, beinahe triumphierend vor unpassender Schadenfreude. „Wer?" fragte erschrocken Vasquez und griff sich an den Hals. „Wer soll uns hangen?" Die Franzosen oder die Flamen. Es ist alles eins. Wer hatte das vor einem Jahr gedacht, nach diesem Sieg bei St. Quentin, dass Brüssel jetzt vor zwei französischen Armeen zittern muss? Mit Calais begann das Lnglück! Dieser Guise hat gegen alle militarische Gewohnheit, im Winter nicht Krieg zu führen, Calais den Englandern entrissen! Was für Fehler Fortunens!" „Philipps Fehler!" rief Eraso. „Mitten im Krieg entlasst er die Armee!" „Unser König liebt den Frieden!" erklarte mit Überzeugung Antonio Perez. Seine Freunde sahen ihn von der Seite an. „Unser König rechnete mit der Vernunft", fuhr Perez fort. „Das ist ein Fehler der Klugen." „Ach was!" rief unwillig der arme Vasquez. „Philipp hat kein Geld, um Krieg zu führen. Eboli ist schuld. Er hat die reichen Leute in Spanien verargert, sie murren: Die Steuern, die Abgaben, die Anleihen, die schlechten Geschafte, der Amterhandel! Eboli versteigerte die Hofund Richterstellen, bis kein Mensch mehr ein Amt kaufen wollte. Ein schoner Finanzminister!" Die andern lachelten überlegen. Der arme Vasquez, der Schützling Albas, musste dem Eboli am Zeuge flicken. Seit wann sprach ein Spanier von Geld? „Und Alba?" fragte höhnisch Escovedo. „Egmont siegte, und Alba kam zum Triumphe. Da Alba kam, legte sich Eboli ins Bett, um ihm nicht gratulieren zu müssen. Ganz Brüssel lachte. Sogar Philipp lachelte!" „Armseliger Witz", erklarte Vasquez düster. „Der königliche Rat ward darüber zum Kriegstheater. Was Alba rat, widerrrat Eboli. Wenn Alba redet, hustet Eboli. Der König sitzt schweigend da, sieht keinen an, notiert alles." „Wen stört es?" fragte Perez. „Der König macht doch alles allein. Er liest jeden Akt, notiert das Wichtige und scheinbar Unwichtiges. Und nachts fasst er die Entschlüsse." „Im Bette", sagte Escovedo, „und Eboli schlaft bei ihm! So behalt Eboli, nach allem Unrecht bei Tag, nachts immer recht." „Der König", sagte Eraso, „sahe lieber die Frau des Ministers in seinem Schlafzimmer." Perez sagte: „Anna ist schoner als die Welt, schoner als das Leben." „Du bist verliebt", sagte mürrisch Vasquez. Perez starrte ihn an. Wie sollte ein Schreiber in eine Fürstin sich verlieben? „Du bist ein Narr, Vasquez!" murmelte er. Da erhob sich auf dem Grossen Platz ein Geschrei. Die Schreiber rannten zu den Fenstern. „Lauf Eraso!" schrie Escovedo. Eraso lief und kehrte zurück. „Sieg!" schrie er. „Egmont, der Sieger bei Gravelingen! Die ganze Armee der Franzosen tot!" „Das ist eine Gewohnheit des Grafen", bemerkte Perez, „feindliche Armeen ganzlich zu vernichten. Ein gründlicher Sieger!" „Wie die Leute schreien", sagte Perez. Da sahen sie den Egmont und liefen die Stiegen hinunter. „Egmont!" schrieen die Leute von Brüssel. „Egmont!" Auch die Schreiber schrieen: „Egmont! Egmont!" Auch die Wachter vor dem Hause des Königs, die mit den Lanzen das Volk zurückhielten, schrieen: „Egmont! Egmont!" Endlich zogen die Schreiber den Grafen ins Haus. „Ho! Ihr Jünglinge!" rief Egmont lachend und erregt. „Ihr heiteren Jünglinge! Saht ihr meine Niederlander? Sie küssten mir die Hande, die Füsse, sie küssten meinen Gaul. Hörtet ihr? Sie schrieen: Vater des Vaterlandes! Das Volk liebt mich!" „Sie zerstampfen seine Feinde!" rief Perez bewundernd. ",Fortuna hilft mir! Und die Niederlander! Ihr hattet sie sehen sollen, wie sie kampften! Ein braves Volk! Immer bereit, dem Besten sich hinzugeben, und kennen den Wert des Lebens, und lieben die Freiheit und ihre Rechte, weil sie nicht ohne die Würde des Menschen existieren wollen. Es gibt kein braveres Volk, fleissig, nüchtern, weltklug, zu jeder Kunst geschickt, den Fremden ein Asyl, ich wollte kein König anderswo sein! Wollten es nur auch andere begreifen! Es ist leicht, mit uns auszukommen, wenn man uns nach der Vater Sitte leben lasst. Philipp sass in einer schattigen Stube, allein mit Alba. Der König reichte dem Grafen die Hand zum Kuss. „Sire", rief Egmont, „die Armee des Marschall Termes hat aufgehört!" Philipp lachelte zerstreut. „Sie haben Ihre Pflicht erfüllt, lieber Graf", erklarte er, „die Krone weiss Ihnen Dank." Egmont fand den Empfang kühl. „Ich kampfte für mein Land", erklarte er. „Wir hatten Glück", sagte Alba mit tiefer Stimme. Egmont sah ihn kalt an, den spanischen Generalissimus, den vielmachtigen, hochmütigen, kaltherzigen Minister Philipps, den Mann von fünfzig Jahren. Egmont sah den blanken Hass in den Augen Albas. Mein Gott, dachte Egmont erschrocken, was habe ich ihm getan? Und er sagte sich, der altere Mann beneide ihn. Egmont war sechsunddreissig Jahre alt. Alexander war dreiunddreissig, als er starb, dachte Egmont. Auch ich könnte morgen sterben, mein Ruhm würde die Jahrhunderte überdauern. Wer wird in fünfzig, in dreiunddreissig Jahren den Namen dieses Hofgenerals Alba kennen? Egmont tat dem Alba unrecht. Alba war nicht neidisch auf den jüngern Mann, der ihm den Ruhm stahl. Er hasste die Methoden Egmonts. Er hasste diese Art tollkühner Siege, die Geschenke des Glücks waren, statt Resultate genauer, langsamer und kühner Berechnung. Alba hasste den Zufall in der Strategie. Alba wollte auf dem Schlachtfeld nichts Fortunen, einem Weib, verdanken. Er war kein Hofgeneral. Im Feldlager aufgewachsen, Enkel des Eroberers von Navarra, Sohn eines Kriegshelden, der in Afrika fiel, nahm er schon als Knabe an Gefechten teil, diente mit sechzehn Jahren bei der Belagerung von Fontarabia, erbte bald alle Titel und Güter seiner Familie, kam früh an Philipps Hof, ward sein Rat, nahm teil an der Regierung Spaniens, ward vom Kaiser zu seinen Feldzügen nach Deutschland gerufen und erhielt den Oberbefehl. Alba hatte zu Beginn seiner Laufbahn für furchtsam gegolten, weil er Mut und Klugheit einte, zu stolz, nach billigen Effekten zu haschen. Der einzelne Sieg galt ihm nichts, der Endsieg alles. Erst Gouverneur von Mailand, danach Vizekönig von Neapel, hatte er mit den mindesten Mitteln den italienischen Krieg gegen die überlegenen Krafte des Papstes und der Franzosen geführt. Jeder andere ware überrannt worden. Er hatte nicht die Aufgabe gehabt, zu glanzen, sondern auszuhalten, und Philipp wusste ihm Dank. Natürlich hatte der Sieg bei St. Quentin ihn vom Guise befreit, aber er hatte ein grosse Armee, einen glanzenden Feldherrn lange genug aufgehalten, dass die andern in der Picardie Zeit zu leichten Siegen hatten. Das war Albas Meinung. Alba hasste in Egmont den glücklichen Dilettanten, den frechen Sohn des Glücks, der pfuscht und siegt, und alles riskiert und siegt, und jede Dummheit begeht und siegt! „Wir hatten diesmal Glück", wiederholte Alba gewichtig. Egmont lachte höhnisch und rief: „Ich habe Glück, lieber Herzog, und die Welt sagt: Egmont der Sieger von St. Quentin; Egmont der Sieger von Gravelingen; Egmont der Sieger zu Rom!" „In was für einer Welt leben Sie, lieber Egmont?" fragte Alba höflich. „Ein guter Soldat denkt und handelt anders als Egmont, der nur Ruhm gewinnen will. Ihr Sieg bei Gravelingen war ein Knabenstreich. Dem Termes eine Schlacht anzubieten, statt ihm zur Grenze zu folgen, war tollkühn. Hatte Termes Sie überrannt, so lagen Sie im Sand von Flandern verscharrt, und die Niederlande waren die Beute Frankreichs! Ein echter Feldherr würfelt nicht um Siege." . „Armer Falschspieler", entgegnete Egmont nachlassig, der steht und zaudert, und dem bezahlte Hofchronisten Ruhm spenden, weil es ihm zu Metz misslang und er zu Rom kniete. Die Brosamen vom Tische eines grossen Mannes machen noch fett. Armer Rechenkünstler! Indes Andere Armeen zerstampfen, Provinzen befreien, der Krone ganze Reiche retten, sitzen Sie mit den Füssen am Kamin und rechnen und berechnen, dass Casar den Rubikon nicht hatte überschreiten dürfen; denn waren das Wetter anders, Rom nicht Rom, Fortuna nicht launisch gewesen und hundert klassische Zufalle nicht eingetreten, ware Casar alt und vergnügt und des Brutus Freund geblieben, und ein Alba galte vieüeicht als grosser Soldat!" Alba griff an den Degen. Da erhob sich Philipp und bat sie, sich zu versöhnen. Er dulde es nicht, dass seine beiden besten Generale im Krieg stritten. Alba sei Spamens bester Feldherr, Egmont der erste Soldat der Niederlande. Sie mögen sich umarmen! Alba und Egmont taten es zögernd. Da sie einander zum Anschein einer Umarmung berührten, spürte Egmont einen Schauder, und Albas Hande zitterten, sein Degen stiess klirrend an Egmonts Degen. Der König lud beide zum Abendessen und entliess sie mit einem zerstreuten Lacheln. Philipp sah den Generalen nach, als sollte er sie nie wiedersehen. Sein verlorenes Lacheln schien an seinen Lippen haften geblieben. Sein Bliek wanderte langsam durch den düstern, schmalen Raum, über Teppiche, Tapeten, Gemalde, Bücher. Er schickte schliesslich nach Carranza. So siege ich, dachte er, und siege, und bin dreissig Jahre alt, und wünsche ein neue Art, zu leben. Gott vergisst mich? Elende Rasse der Menschen! Seit der Schöpfung lebten Myriaden Mückenschwarme, vollkommen in ihrer Art. Und ebenso die Tiere, Vögel, Fische! Nur der Mensch bleibt fragmentarisch. Und da sagte Er, dass Er uns liebtl Mich schlagt der Herr, da er zulasst, dass Spanier Ketzer werden. Gefalle ich dir nicht mehr, Herr? Ich bin dein Knecht. Die Ketzer spotten unser! Carranza trat still herein, mit vorsichtigen Schritten. Philipp lachelte finster. Ein Schleicher geht so, dachte er. „Sind Sie reisefertig ?" fragte Philipp. Carranza schickte einen schweren Bliek zum König, dringlich, wie Kurzsichtige schaun, misstrauisch wie die Demütigen, lauernd wie Verfolgte. Langsam, als wage er jedes Wort, erklarte er: „Ich bin zu allem gerüstet." Was meint er?, fragte sich Phüipp. Was denken diese Menschen? Rottet keiner die fatale Meinung dieser Leute aus, ihr Wert sei grösser als ihr Nutzen für die Welt? Und wie ersetzlich ist jeder! Vergessen es alle? Der König sagte: „Ich sende Sie nach Spanien. Da war ich stolz auf meine Spanier! Nun schreibt man mir, die Faulnis sasse im Mark meines Volkes. Ich schame mich. Der Spanier Aufruhr gegen Gott trifft mich. Ich lese diese Briefe, lese sie wieder, glaube nichts und doch ist's wahr: Lutheraner leben in Spanien!" Philipp schwieg. Seine Augen glühten. „Es gibt Leute", sagte aus Vorsicht schon in missbilligendem Ton Carranza, „die sagen, der Grossinquisitor Valdes fand, in seiner Furcht vor dem Verluste aller königlichen Gnaden, mehr Protestanten in Spanien, als Gott selber sieht; ja, Valdes, sagen sie, habe den Himmel in seine Geschafte gemengt. Der Valdes wollte nicht nach Sevilla, in seine Diözese, wohin die Pflicht, wohin der König ihn rief; der Valdes blieb in Valladolid, Reichtümer zu sammeln, der abgeschmackte Greis! Nun nachdem die Regentin ihm eröffnet, sie habe bei ihrem Bruder sich bitter beschwert, nun da der König ihn aus dem Staatsrat jagen hiess, nun treffen Briefe ein, düstere Berichte des Grossinquisitors von einer ungeheuren Verschwörung gegen Gott, von der Verhaftung einiger Kleriker und Herrn und Damen von Ansehn aus Valladolid, lauter Anhanger Luthers! So ward Valdes vom Wild zum Jager. Auch die Regentin, düsterblickend, schreibt verzweifelt. Nur die Inquisition kann Spanien retten. Und endlich schreibt der Kaiser aus Yuste und setzt ein Postscriptum aufs Papier, ge- schriebenes Feuer." „Ich werdees nie vergessen", sagte Philipp. „Er schrieb: ,Töte! Töte! Unerbittlich ausrotten bei der Wurzel, Philipp! Verbrenne! Verbrenne sie ohne Gnade, ohne Verzeihung, ohne Rücksicht. Töte die Ketzer unerbitttlich! Dein guter, alter Papa Karl.' Ich schickte Eilkuriere an meine Schwester, sie solle Valdes nicht entsetzen, sondern unterstützen. Ihm schrieb ich: .Spürt die Protestanten mit Hunden auf, jagt sie mit Wölfen, schlagt sie mit Feuer, rottet sie aus, unermüdlich, unerbittlich!' Ich schickte ihm des Kaisers Brief, an den Rand schrieb ich: ,Küssen Sie dem Kaiser die Hande dafür, bitten Sie flehentlich, dass er sich an die Spitze stelle und uns helfe!" Carranza erklarte: „Und der heilige Jager Valdes ergriff zu Hunderten Manner und Frauen und sagte: ,Diese smd Ketzer!' Ja, er erbat vom Papste Paul die ausdrückliche Erlaubnis, sein Gericht auch auf jene ausdehnen zu dürfen, die einzigihm entzogen sind: Spaniens Bischöfe. Schon heisst der Grossinquisitor meine Kommentare zum Katechismus verdachtig. Da der König mich vorzog, sucht Valdes mich so zu verderben. Da ihn der König verjagen will, jagt Valdes Protestanten. Und so frommer Eifer, der zu eigennützigen Zielen so genau passt, ist gewissen Spaniern verdachtig." „Die Namen!" forderte der König. „Sire?" fragte verwirrt Carranza. „Die Namen der Verleumder meines Grossinquisitors!" forderte Philipp laut. Carranza schwieg bestürzt. Hielt der König auch ihn für einen Protestanten? Endlich fragte er: „Verlor ich Ihr Vertrauen, Sire? Halten Sie für möglich, dass in meinen Kommentaren Ketzereien stünden? Und gestern war ich noch die Leuchte spanischer Theologen? Warum blieb ich nicht ein Professor zu Salamanka, berühmt und ohne Feinde, arm und nicht bedürftig der schwanken Gunst der Könige! Wer zwang mich, der wunderlich süssen Stille der Gelehrten zu entsagen? Wer schuf mir Feinde, so wölfisch? Ich bin gemacht, zu forschen, nicht zurVerfolgung. Hier stehe ich, des Streits müde, nehmen Sie Toledo, geben Sie es diesem gierigen Greis, der nur von Gold traumt! Geben Sie ihm alles, was ich besitze!" Philipp hob seine Hand. Die Spitzenmanschette geriet in den schmalen Strahl der Sonne und glanzte. Er sagte: „Ich bin Ihr Freund, Carranza. Beruhigen Sie sich. Der Grossinquisitor wird die Unschuld Ihrer Kommentare erkennen. Sollten Sie gefehlt haben, so widerrufen Sie. Fürchten Sie nichts. Sie haben mein Vertrauen. Ich schütze Sie." Er lügt, dachte Carranza und lachelte sanft. Sollte ich mich in diesem Menschen geirrt haben?, fragte sich Philipp und gestand mit sanfter Stimme: „Ich schmachte nach Spanien. Im Traume sehe ich jede Nacht seine Granatbaumgarten. Wie Heinrich von Kastilien möchte ich zwischen den Bergen Ketzer jagen! Meine Rate sagen, die Niederlander stünden gegenihre Herren auf, gegen Gott und mich, verliesse ich sie jetzt im Krieg. An meiner Statt sende ich meinen besten Diener. Rei- König Philipp der Zweite. 9 sen Sie zu meinem Vat er. Der Kaiser will auch zum Ketzerkrieg Yuste nicht verlassen. Schildern Sie ihm unsere Hoffnungen, unsere Furcht, auch unsere Finanzen. Der Kaiser hatte Kummer. So bitter empfindet er den Niedergang der Zeit, da der Respekt stirbt, wie Karl schreibt, und neue Ideen unser treues Spanien korrumpieren. Auch er trage Schuld, schreibt der Kaiser. Habe er nicht das böse Beispiel gegeben, durch Milde bei seinen Untertanen?Das war falsch. Man müsse dieMenschen tretenlNun werde er hart. Er führe Zucht im Kloster San Yuste ein. jedes Weibsbild, das naher als zwei Bogenschüsse ans Kloster herankommt, lasse er auspeitschen. Sich selber geissele er bis aufs Blut. So schreibt er. Wüsste er uns doch Rat! Fragen Sie ihn, Carranza. Lauschen Sie jedem seiner Worte!" Philipp erhob sich. „Segnen Sie mich, guter Vater!" Carranza tat es. Da er fortging, traf er vor der Türe Eboli. Der Fürst bückte sich über Carranzas Hand und küsste sie inbrünstig und bat: „Segnen Sie mich, mein Vater!" Carranza tat es. Eine Stunde spater verliess er Brüssel. In seinem Wagen fuhr Feria. Beide reisten nach Dünkirchen, wo Carranza ein Schiff nach Spanien und Feria ein Schiff nach England nahm. Zum zweiten Mal in diesem Jahre fuhr Feria nach England. Das erste Mal war er nach der Einnahme von Calais hingefahren. Marie hatte dem König geschrieben, sie sei schwanger. Philipp hatte ihr feierlich Glück gewünscht zu diesem Trost für Englands bittern Verlust der Stadt Calais. „Wenn ich sterbe", antwortete Marie, „wird man auf meinem Herzen Calais mit blutigen Buchstaben aufgeschrieben finden. Zweihundert Jahre besassen wir den Hafen, bis der König von Spanien uns beriet. Was taten wir nicht alles für Philipp! Was verloren wir nicht um seinetwillen! Nun wir ihn rufen, kommt er nicht." Marie nahm eine grosse silberne Schere und zerschnitt dasPortratPhilipps. (Tizian malte es. )Erst stach sie ihm mit der Spitze die Augen aus. „So lösche ich die Sonne , sagte sie bedachtig. Dann schnitt sie ihm den Kopf ab. „Nun denkt er nicht an andre", erklarte sie. Dann zerschnitt sie Beine, Bauch und Brust und Arme, kreuz und quer. „Nun lebt er nicht mehr", sagte sie und schnitt fein sauberlich die Hande aus. „Die lieb' ich noch", bemerkte sie und begann zu lacheln, zu lachen, zu schreien, Schaum vor dem Mund. Schliesslich schwieg sie erschöpft und murmelte: „Das blieb von meiner Liebe." Das ging vorüber und sie schrieb wieder Liebesbriefe an Philipp. Nun fuhr Feria zum zweiten Mal nach London, weil Marie krank war und nach Philipp rief. „Ich sehne mich nach Dir", schrieb sie, „ich schmachte, noch einmal will ich Dein blondes Haar fassen, Deinesanfte Wangein meiner Handspüren. Komm Philipp, komm!" Philipp hatte keine Lust. ,Ich habe keine Zeit', liess er ihr sagen, ,ichliegeim Krieg. Ich schickeDir den Feria. Er bringt Briefe, in denen ich Dir rate, aufs neue Krieg zu beginnen, um Calais zurückzuerobern.' Nun reisten Carranza und Feria in einer offenen Kutsche durch Flandern. Es war heiss und die Grillen zirpten. Indes erklarte Philipp seinem Freunde Eboli zu Brüssel: „Bald werde ich wieder heiraten. Meine Frau lebt noch, denkst du? Lieber Freund, ich sah sie vor einem Jahr zu London. Es tat mir weh. Sie sass im Bette neben mir und weinte. ,Was hast du, Marie?' fragte ich, nach einer Weile. ,Leben, nur leben!' stammelte sie. ,Du lebst ja', sagte ich. Da sah sie mich an, so trostlos, aus rotgeweinten Augen, die zotteligen Haare hingen um ihr graues Gesicht. Unter der Bettdecke wölbte sich ihr Bauch. Sie begann, ihr Unglück aufzusagen, wie ein Kind seine Lektion. ,Ich bin trostlos', sagte sie. .Manchmal weiss ich so sicher, ich werde doch ein Kind von dir haben. Aber die Leute sagen, der Tod sitzt mir im Bauch. Kein Kind soll ich im Arm wiegen? Warum verschwören sich die Leute gegen mich? (So fragte sie.) Elisabeth wünscht mich tot, die Stuart tut es und auch Henri von Frankreich. Und du, süsser Philipp? Bin ich so ganz allein? Viel Sünde geschieht in England, ich verfolge sie, nun verfolgen die Sünder mich. Böse Geister stehn nachts hinter meinem Bett'. So sprach sie." Philipp blickte auf. „Marie stirbt", sagte er. „Soll ich ihre Schwester Elisabeth heiraten? So lenken wir England. Haben wir erst Frieden mit Frankreich, soll mein Sohn Carlos des Henri Tochter heiraten, und wir lenken Frankreich. Wenn nur der Krieg endlich aus ware! Ich mag ihn nicht!" „Er ist abscheulich", bestatigte Ruy Gomez. Plötzlich betrachtete ihn Philipp. „Bist du glücklich, Ruy Gomez?" fragte Philipp leise. Da sah Gomez dem König in die Augen. Selbstvergessen starrten die sonderbaren Freunde einander an, eine ganze unendliche Minute lang. Die Augen schmerzten sie. Endlich sagte Philipp: Wir wollen deine Frau besuchen." Im Hause Ebolis überraschten sie Anna im Gesprach mit ihrem Onkel Mendoza. Anna trug ein leichtes Hausgewand, das ihren Busen halb verhüllte und die Arme freiliess. Sie lag auf einem türkischen Diwan, ihr Onkel sass dicht bei ihr und hielt ein Glas Wein in der Rechten, indes seine Linke die beiden Hande Annas hielt. Da traten der König und Eboli ein. Anna lief fort, vom Flur schon verkündete sie: „Ich kleide mich für den König!" „Ich hole Anna zurück", versprach der Gatte und liess ihn mit dem Onkel. „Sie lieben Ihre Nichte?" fragte Philipp. „Ich liebe die Schönheit", entgegnete Mendoza, „und sammle sie." „Ich hörte von Ihrer Bibliothek." „Die schönsten Manuskripte schenkte mir der Grosstürke, da ich zu Venedig kaiserlicher Gesandter war. Eine griechische Handschrift, des Josephus' ,Jüdischen Krieg', liess ich zu Rom drucken, unterm vorigen Papst, der die Freiheit duldete." „Wir sahen die Folgen", bemerkte trocken der König. „Die Kunst blühte. Wie der Gnade bedarf sie auch der Freiheit." „Sonderbare Vokabel im Munde eines Christen!" „Die Schönheit stammt von Gott. Kunstwerke sind fromm, Künstler sind glaubig, sogar im Rausch." „Ich fördere alle Fertigkeiten in meinen Reichen. Was will man mehr?" „Ihrem erhabenen Bliek entgeht auch nicht des geringsten Untertanen Fortgang. Und nur der Dichter hatte keinen Anspruch?" Philipp lachelte zerstreut. Er dachte an Anna und war ungeduldig. In ihrer Gegenwart vergass er sich. Sonst dachte er nur an Gottes und an seine Grosse. Wenn fixe Ideen genug waren, Menschen gross zu machen, war Philipp gross. Hört er mich noch?, fragte sich Mendoza. Und kennt er sein Dekret, das unsere Literatur vergiften wird? Jeder Inquisitor soll also wirklich jeden Buchladen, jede öffentliche und private Bücherei (auch meine, auch des Königs) nach Ketzerschriften inspizieren dürfen, die man angeblich in Kaufmannsballen nach Spanien schmuggelt? Und ein sichtbar angebrachter Index aller verbotenen Schriften soll wirklich in allen Buchhandlungen Denunzianten locken? Und bei Todesstrafe soll jeder Autor sein Manuskript dem königlichen Rate unterwerfen müssen ? Und ehe nicht jede Seite einzeln erst vom königlichen Sekretar signiert ware, solle keiner sie drucken dürfen? Und auf jeden freien Gedanken Kerker? Auf jedes freie Wort die Todesstrafe? Und wenn dem Valdes mein Reim missfallt, muss ich ihn andern oder sterben? „Sire", begann er, „in Ketten stirbt die Muse. Das Zensuredikt, das einer Ihrer Minister nach Spanien sandte, wird tödlich wirken. Ich bin sicher, Sie können es nicht kennen!" „Es stammt von mir", erklarte Philipp und lachelte über den Einfall, es könnten Gesetze nach Spanien ohne seine Kenntnis kommen. „Ich bitte um Vergebung, Sire. Können Sie wirklich alle Schatze des spanischen Geistes ausliefern an den frommen Eifer Unwissender? Soll der Niedre den Hohen, das Lamm den Hirten lehren?" „Wenn es Gottes Lamm ist?" fragte Philipp. ".Sire, wollen Sie herrischer als Gott der Herr sein? Er duldet, dass man in hundert Sprachen ihn rühmt. Und der König von Spanien will seine Literaten auf die arme Sprache seiner Inquisitoren beschranken ?" „Scheint Ihnen meine Sprache so arm ? Ist Seine Wahrheit nicht mehr gross genug für so erhabene Geister? Gott schuf mit Seinem Wort die Welt. Und Affen der Gottheit ist Sein Wort zu enge? Mit dem sanftesten Winke Seines Fingers schuf er unnachahmliche Schönheit, und daran haben Menschen nicht genug ? Da Sein Wind vom Meer zum Gebirge saust, wollt ihr mit halbgefügen Worten summen, wie Fliegen summen, und sprecht stolz von Geist und Witz und Schönheit, weil euresgleichen herausgefunden hat, dass dieses Wort jenem ahnlich klingt oder dass manche Worte schön klingen? Der Gesang der Grillen ist schoner als das eitle Summen eurer gefügten Worte. Ein Affe drückt mit einer Gebarde deutlicher sich aus!" „Sehr schön, Sire!" sagte Anna, die unbemerkt eingetreten war. „Zügeln Sie den Stolz der spanischen Poeten!" Philipp sah sie lachelnd an. Dasselbe entzückte Lacheln zeigte Mendoza. „Sehr schön!" wiederholte Philipp. Seine Augen sagten, was dieses Echo bedeutete. Er liebte sie, aber er vergass keinen Augenblick, dass ein ganzer Hofstaat ihn belauerte, um ihn sündigen zu sehn. Bald verliess er das Haus seines Freundes. Mit Bestürzung und verschwiegener Lust dachte Philipp: Ich liebe! Und Anna weiss es! DER TOD DES KAISERS Endlich, gegen Abend, kam Carranza. Er ritt auf seinem Esel zwischen den Feigenbaumen. Die Kutten der beiden Mönche hinter ihm flatterten. Don Quixada führte ihn ins Sterbezimmer. Die Tür stand offen. Durchs Fenster schaute der gelbe Abend. An der Schwelle stockte Carranza. Er sah lauter Feinde, die Mönche Regla und Villalba, Beichtvater und Prediger des Kaisers; und Karls Freunde, den Avila und den Jesuiten Borgia — lauter Feinde! Langsam trat Carranza ein. Er roch die Luft der Krankenstube, Weihrauch und Wachs, Rhabarber und saures Bier. Er roch den Tod. Er tat noch einen Schritt und sah das Antlitz Karls. Da fiel er auf die Kniee. Sein Herz schlug dumpf. Er vergass alles vor diesem leidenden Gesicht. Er sah die spitze Nase des Kaisers, die schweissige Stirn, die glasern starren Augen. Wo war die Grosse hin? Wo war dieser berühmte Held, der Papste und Könige fing, die Tür ken und Deutschen schlug, in vier Erdteilen der Herr war, der Brautigam der Welt, der Mann seines Jahrhunderts ? Nun schmolz sein Fleisch wie schmutziger Schnee. Ein Hund stirbt nicht anders. Tranen verdunkelten den Bliek Carranzas. Was bleibt nach uns? Und vom grössten Sohn der Menschheit? Carranza empfand ein unchristliches Mitleid mit dem abgelebten Fleisch vor ihm, ein böses Mitleid, das wie ein Messer ihm ins eigene Fleisch schnitt. Tief beugte er sich über die schlaffe Hand des Kaisers und küsste sie mit seinen Lippen und Tranen. Vor langen Jahren war Carranza Karls Prediger. Da hatte er zuweilen vom Tod zu ihm gesprochen, aus Pflicht und Übung. Nun sass der Tod in der Stube. Damals sass der Kaiser lachend zu Pferde, das Schwert zur Seite. Nun lag er eingewickelt im Hemd, im Schlafrock, in Kissen und Leinenlaken, die spitze Nachtmütze auf dem Kopf, Socken an den Füssen und das unsichtbare Schwert im Herzen. Carranza sah den Kaiser an. Wohin reitest du jetzt ?, dachte der Erzbischof. Hörst du anderer Trompeten Schall? Wappnest du dich nicht mehr gegen neue Völker, die du deine Feinde nennst, um sie zu toten? Deine Mutter hieltest du im Turm und machtest feie wahnsinnig, um zu regieren. Die Welt schreitvfort naoh Brot und Lust, re- giere, regiere! Du setztest den Heiligen Vater in den Kerker, du ludest Luther vor deinen Thron, du tötetest Myriaden Falschglaubige; noch auf deinem letzten Schmerzenslager schreist du: ,Töte! Töte!' Die Sünde wachst, der Glaube schwankt. Wo sind deine Kerker, deine Scheiterhaufen, deine Blutgesetze; für kleinen Fehl: Kopf ab? Nun, grosser Richter, richte! Nun, du Gerechter, schaffe Recht! Wie? Du zitterst, du wirst schwach! Ja, hattest du vergessen, dass du sterben wirst? Nun zahlst du also? Bist du zufrieden? Ich lese Furcht in deinem Bliek. Und warst so lange fürchterlich ? Noch kniete der Erzbischof, noch schwieg der Kaiser, seine glasernen Augen starrten wie Papageienaugen auf den Knieenden, peinlich lange, grausam lange. Gilt das Schweigen dem König Philipp? Bedeutet es Prüfung, ein Urteil ? Oder tönte Karls schwacher Atem nicht mehr? Hast du genug, Kaiser? Carranza wandte sein Gesicht zu Quixada, der zu Haupten Karls stand, ein Wachter, ein gramlich liebender Freund, der keinen Bliek vom Kaiser wandte. Carranza drehte seinen Hals weiter. Am Fenster stand ein blonder Knabe, von zehn oder zwölf Jahren, ein Page, neugierig und blühend. Daneben lehnten drei gleichgültige, rosige Grafen aus der Gegend, die in die Luft starrten. Weiter drehte Carranza sein Haupt und sah die Feinde. Ihre Blicke sagten: Lies deine Schuld in deines Richters Augen! Sterbende sind schlechte Richter, dachte Carranza. Ihr habt unrecht, meine Feinde! Er kannte sie wohl. Dieser Beichtvater Regla, dieser Prediger Villalba waren Kreaturen des Grossinquisitors Valdes, der in Sevilla und Valladolid die verhafteten Protestanten peinlich folterte, Töchter von Herzögen oder ehemalige Hofgeistliche Karls, die mit dem Kaiser in Deutschland waren und dort manche neue Lehre vernommen hatten. Und die Gefolterten fragte Valdes: .Verführte dich Carranza?' Und auf der Folter gestanden viele: ,Ja, Carranza!' Sie hatten jeden Namen gestanden, sie gestanden auf der ;?olter alles, die Folter gestand für sie, die Folter wiederholte der Folterknechte Lügen. Und die Mönche Regla und Villalba hinterbrachten sie dem Kaiser. Karl hatte den Carranza einst aufs Konzil zu Trient gesandt, den Ruhmesmarkt so vieler Kleriker; auch Carranza schuf sich Ruhm in Europa; zweimal hatte ihm Karl danach die Bischofsmütze angeboten, zweimal hatte Carranza sie abgelehnt; nun ward er Erzbischof von Toledo! Die höchste Würde verschmahst du nicht? Falsche Bescheidenheit, falscher Glauben? Prüfte der Sterbende den Lebenden? Endlich fragte Karl: „Dich schickt mein Sohn Philipp?" „Der König sendet mich", erklarte Carranza. „Alles steht gut. Bald ist Frieden. Auch König Henri brennt vor Gier nach tausend Ketzerfeuern in Frankreich. Die Leute von Paris, seine Kaufleute, seine Gelehrten heisst er Ketzer. Noch stehn die beiden Heere gegenüber, Frankreich gegen Spanien, Philipp gegen Henri, schon aber trafen sich in der Abtei Cercamps ihr Kardinal Guise und unser Bischof Granvella. Alles geht gut. Es kommen schonere Tage der Menschheit." „Glaubst du, Priester?" fragte Karl. „Geh, ruhe aus!" Carranza ging in den Garten. Die Nacht war Musik. Die Frösche quakten heiter, fast melodisch. Funkelnd hoch standen die Sterne, wie Bilder goldener Töne. Die Nachtigallen sangen knospend, als trillerten die blühenden Büsche. Der Mond stieg blutrot über den nahen Hügeln herauf; der flötende Wind schien seiner Marchenschritte Echo. Unter dem riesigen Nussbaum, wo der Kaiser zu ruhen liebte, stand der Jesuit Borgia, Bruder Franz der Sünder, wie er sich hiess. Carranza sah ihn und blieb stehn. Er dachte: Ein Horcher! Ein Denunziant! „Ich kam, um Sie zu warnen", erklarte der Borgia. „Der Grossinquisitor verfolgt Sie. Sie redeten kühn, da Sie den Fuss auf Spanien setzten." „Klingt die Wahrheit so verwegen in Spanien?" fragte Carranza. „Zum Schimpf der Kirche kümmert sich dieser sonderbare Erzbischof Valdes um alles in Spanien, nur nicht um das Heil seiner Diözese, und Sevilla mag seinetwegen zur Hölle fahren. Hatte er die schone Stadt gehütet, wie er sollte, er brauchte dort nicht die Verirrten zu verbrennen. Ich, Primas von Spanien, musste es rügen, auch König Philipp tat es." „Sie hatten recht", gab Bruder Franz der Sünder zu, „darum tobte Valdes. Er schwarzte Sie beim Kaiser an." Zu spat", erklarte Carranza, „Karl stirbt." Valdes ist Ihr Feind", mahnte Borgia. Der böse Feind!" rief Carranza im Zorn. Borgia lachelte. „Wir sollten eine Strecke zusammen gehn", schlug er vor. Carranza blickte sich urn. „Durch den Garten , fragte er, im Dunkeln ?" Es war so dunkel nicht. Die Sterne funkelten. Der Mond schien. Die Zitronen schimmerten im schwarzen Laub. Nur der Wind rauschte melancholisch. „Ich spreche bildlich", entgegnete Borgia. „Der Grossinquisitor blickt auf meinen jungen Orden mit Misstrauen. Viele misstrauen den Jesuiten", erklarte Carranza. Christ will eine gute Herde, keine Regimenter. Es war der frömmste Einfall nicht, Soldaten Chnsti zu werben. Ich misstraue der Kompagnie Jesu." „Auch der Kaiser tut es", gestand Borgia. „Man hat unrecht Sie sehen einen kahlen Mönch, geschaftig, verdachtigt, arm, barfuss. Einst war ich der erste Junker der Kaiserin, Vizekönig von Katalonien, Hofmeister des Infanten Philipp, schön, reich, Herzog, ich hatte einen Bart und die flatternden Locken der Jugend. Ich hatte Frau Söhne, Töchter, fühlte mich vollkommen, als Hofling, Kunstkenner, Soldat, als Vizekönig; ich liebte den Kneg, die Staatskunst, die Tandeleien des Geistes, hundert Eitelkeiten, ja sogar meinen Bart, den ich zwanzigmal im Tage kammte. Ich liebte hitzig und rannte durch mein Leben. Eines Tages, auf der Strasse, drei Schntte von memem Haus, wo schon die Wachter standen und mich grüssten, blieb ich stehn, am Anfang einer dunkeln Gasse,und dachte: Wenn ich fortginge, alles weggabe? Eine Stunde stand ich oder ein paar Minuten, mir schien es ein halbes Leben. Noch hatte ich nicht die Kraft, obwohl die Lockung wehtat vor grosser Wollust. Ich will auf die Stunde warten, sagte ich und ging in mein Haus. Ich sah alles mitneuen Augen. Wie Stroh schmeckte alles. Kein Ding war seinen Preis wert. Nun sah ich es, zauderte, dachte: Gott schickt mir noch ein Zeichen. Meine Frau starb. Das Zeichen! Ich schrieb dem Kaiser, bat ihn, aus allen Amtern mich zu entlassen. Einst im Jahre 1542 hatten wir zu Monzon gesprochen, wie gut es sei, fortzugehn, ohne des Todes Peitsche, in Freiheit. Wir hatten uns verstanden. Der Kaiser entliess mich. Jetzt, sagte ich, jetzt! Da sahn mich meine Söhne und Töchter an. Der Vogel im Busch hütet seine Vögelchen, bis sie flügge sind. So setzte ich mir die neue Frist. In Gandia, meiner herzoglichen Stadt, hatte Ignaz Loyola sein erstes Kolleg in Spanien gegründet. Sein Orden gefiel mir. Da war neue Jugend, Armut, Demut, Gehorsam, Tatigkeit! Ich trat heimlich ein. Der heilige Vater sandte mir ein Breve, dass ich Mönch und Herzog bleiben dürfe, bis ich die Kinder eingerichtet. Ich machte mein Haus zum Kloster, schlief statt im Bett auf dem Boden, stand taglich zwei Stunden nach Mitternacht auf und betete bis zum Morgen in Wonnen der Verzückung. Endlich hatte ich Söhne und Töchter vermahlt, liess Familie und Haus hinter mir. Ich stieg aufs Schiff und sang den Psalm, da Israël aus Agypten auszog, und voll süsser Wollust sagte meine Seele zu mir: Die Ketten sind zerrissen. In Rom lebte ich mit Loyola, tauschte mein Gewand mit der Kutte, schor Haar und Bart, kehrte nach Spanien zurück, hielt auf den Feldern vor vielem Volk meine erste Messe. Loyola liess mir die Hut unseres Ordens in Spanien und Portugal, barfuss wandre ich durch Eis und Glut von Spanien, zur Verteidigung der Kirche, zum Unterricht der Jugend, predigend und Kollegien gründend, nur mit zwei Mitmönchen, Vater Marcu und Vater Justamente. Willkommen in der Gunst der Königin Katharina zu Lissabon und der Regentin Dona Juana zu Valladolid, in zwei Königreichen bei Hofe der Rat, der Prediger des Volks, der Lehrer der Jugend, erntet dennoch die Gesellschaft Jesu, die Töchter Spaniens, Misstrauen auf dieser Halbinsel. Ja, als ich in Yuste, nach vierzehn Jahren, wieder vor ihn trat, vor ihm kniete, um seine Hand zu küssen, hiess Karl mich Herzog und schalt mich, dass ich nicht Dominikaner, Franziskaner war. Ich floh die Ruhmeskranze des Jahrhunderts, suchte den niedrigsten Orden, weil ich in den alten Orden fürchtete, auf einem Umweg die feilen Ehren des Jahrhunderts neu zu finden. Ich wollte wieder die bittere Armut, den blöden Hass fühlen, der die ersten Christen traf. Ich wollte Gott naher sein, in den Tiefen des Lebens. Mein lieber Carranza, Sie verstellen mich. Ich spüre in Ihnen die gleiche Verachtung aller Ehren, die ein Mensch austeilt. Und fühlte Karl nicht gleich uns? Dennoch verlor der Kaiser sein Misstraun nicht. Mein Orden ist ihm zu neu, unser knechtisch blinder Gehorsam vor dem Heiligen Vater scheint ihm gefahrlich, da er sich erinnert, dass er und sein Sohn Papste bekriegten. Doch war das gut? Spater erinnerte mich der Kaiser an jenes Gesprach zu Monzon, vor sechzehn Jahren. jetzt, Freund Carranza, spüren wir die tiefste Wollust, und auch sie ist nur ein verbramter Schmerz. Das Leben lauft auf Schmerz hinaus. Langes Leben: viele Schmerzen! „Sagen Sie mir das alles", fragte Carranza, ,,zum allgemeinen Trost oder als besondere Vorbedeutung?" „Viele Martyrer wird es in Spanien geben, nach dem Tod des Bruders Karl!" rief Borgia. , Hat Gott unsere Leiden nötig?" fragte Carranza sehr leise. „Philipp wird strenger als sein Vater sein", erklarte Borgia. „Die sich nicht hüten, werden umkommen!" Und die sich hüten, fallen in unsichtbare Netze , sagte Carranza. „Was nützen Warnungen, versteht man nicht, ihnen zu folgen ? Ich war langst gewarnt! Carranza schwieg und starrte in die Sterne. Da kam ein Diener gelaufen, der in den dunkeln Garten rief: „Senor Carranza! Senor Carranza! Ein Engel ruft!" sagte lachelnd Borgia. Was will der Borgia? fragte sich Carranza. Ein Jesuit! Mögeder Name zum Schimpfwort werden! O Verrater! Ist Spanien voll von solchen ? Ein Christ ? Ist das ein Christ ? „Senor Carranza!" rief der Diener überlaut durch den nachtlich stillen Garten. Die Stimmen der Natur verstummten vor diesem gewaltsamen Schrei. Carranza schwieg. Will er nicht antworten? dachte Borgia und sagte: „Was immer, ich bin Ihr Freund, Carranza." Da schrie der Diener, laut wie ein wilder Esel, zum dritten Mal: „Senor Carranza!" Schweigend und langsam ging der Erzbischof ins Haus. Vor der Tür erwartete ihn der blonde Knabe und führte ihn ins Sterbezimmer. Wieder standen die Mönche um Karls Bett, Bruder Regla, Bruder Villalba, wieder sah Carranza den Avila und den Haushofmeister Don Quixada. Das Gesicht des Kaisers hatte sich nochmals verwandelt, als probte der Tod gleich einem unzufriedenen Künstler aus, welche Maske seine verborgenen Intentionen trafe. „Sire", begann Carranza laut, „da bin ich. Riefen Sie mich?" Der Kaiser verzog den Mund, als störte ihn die grelle Stimme. Quixada flüsterte empört: „Sprechen Sie leiser!" Der Kaiser bewegte die Lippen. Seine glasern starren Augen schauten gradaus zu Carranza. Sprach der Kaiser? Quixada beugte sich über die fahlen Lippen. „Den Psalm ,De profundis", sagte er. Carranza sprach: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr. Höre meine Stimme! So Du willst Sünden zurechnen, wer wird bestehen? Denn bei Dir ist die Vergebung, dass man Dich fürchte. Meine Seele wartet auf den Herrn von einer Morgenwache bis zur andern. Denn bei dem Herrn ist die Gnade. Und er wird Israël erlösen aus allen seinen Sünden." Der Kaiser lauschte lechzend. Carranza fiel auf die Kniee und zeigte dem Kaiser das Kruzifix. Er las die schreckliche Angst der Kreatur in den glasern starren Augen. Carranza fühlte diese Angst mit, er empfand das erbarmliche Leid mit und hob das Kreuz hin und sagte mit seiner geilen Stimme: „Siehe hier diesen, der für alle gestorben ist. Es gibt keine Sünde mehr. Alles ist vergeben!" Und langsam erhob sich Carranza, er hielt das Kreuz höher und höher. Karl folgte seiner Hand und machte schreckliche Anstrengungen, zu sprechen. Es gelang ihm nicht. Seine Augen rollten. Der Anblick war fürchterlich. Was wollte der Kaiser? Sah er den Tod? Fühlte er Angst oder Reue? Glaubte er dem Erzbischof Carranza? Oder empörte er sich gegen Ketzerworte, wie die Mönche glaubten, Fray Regla und Fray Villalba, die zum Freund des Kaisers, Don Luis de Avila, traten? Der Kaiser sieht Luthers feiste Fratze vor seinem Bett!" flüsterte Bruder Regla. „Das ist nicht die Todesangst", flüsterte Bruder Villalba. „Das ist Gewissensangst. Hörtet ihr die Ketzerworte Carranzas? Der Kaiser will sagen: ,Schlagt den Luther tot! Ich lese es in seinen Augen." „Der Kaiser", flüsterte Don Luis de Avila, ein alter Schlachtgefahrte Karls, der reich geheiratet und sich ein Schloss zu Placencia errichtet hatte, in dem lauter Bilder aus dem Leben des Kaisers an den Wanden hingen, „der Kaiser fürchtete nie den Tod. Er zittert vor der Ketzerei. Die Rechtfertigung durch den Glauben in Christ allein, wie der dort sagte, das ist die Lehre Luthers, und sie ertönt am Sterbebett des grössten Fechters der Kirche? Bruder Villalba, tröstet seine Seele! Predigt ihm unserer Kirche Wahrheit!" Bruder Villalba und Bruder Regla drangten sich vor, fast stiessen sie den Erzbischof Carranza mit Gewalt zurück, und Bruder Villalba begann mit seiner geübten, schmeichelnden Stimme vom Tod zu reden und vom Heil, auf katholische Weise. Er sagte: „Schöpfe Ew. Majestat Trost; denn heut ist St. Matthiastag! Am Tag des Heiligen Matthaus ist Ew. Majestat in die Welt gekommen. Am Tag des Heiligen Matthias verlasst Ihr sie. St. Matthaus und St. Matthias waren zwei Apostel, zwei Brüder, gleichnamig fast, beide Jünger Christi. Mit solchen Fürsprechern können Sie nichts zu fürchten haben!" Selig lachelten die Mönche Regla und Villalba, als hatten sie die Seele des Kaisers gerettet. Die Angst im Antlitz Karls losch nicht aus. Was wollte er noch? Das ganze Jahrhundert hallte vom Larm unnützer Theologen, vom eiteln Wortgezanke. Rechtfertigung durch den Glauben, Rechtfertigung durch Werke, Rechtfertigung durch Christum! Damit füllten sie das schone Jahrhundert, mit Worten über der Seele Heil, indes handelten sie mit Sklaven und töteten wegen Meinungen. Die Papste hüben;drüben Abgefallene, Luther, Calvin, Zwingli! Zum letzten Male traten sie vor sein Bett und schrien ihre fatalen Meinungen vor dem Sterbenden! Vergeblich brachte Quixada sein Ohr nahe. Mit einmal glatteten sich die Züge Karls, der Knabe sah es zuerst. Er sagte in die Stille, in der das Flackern der Kerzen hörbar war: „Er lachelt." Der Kaiser blickte zum Knaben, er lachelte wirklich. Plötzlich sagte er vernehmlich: „Quixada. Bleibe allein mit mir!" Da verliessen alle den Raum, und der Kaiser blieb allein mit Quixada. „Wie fühlen Sie sich, Sire?" fragte voll angstlicher, unermüdeter Hoffnung Quixada. „Wohl! Sehr wohl!" sagte Karl. „Ich sterbe. So gross war meine Gier nach Leben, mir schien sie wie ein Meer voll Lust! Nun könnte ich die letzte Pfütze von Lebenslust in einer Hand versammeln, da halten die schwachen Finger nichts mehr. Genug, Quixada! Genug, alter Freund! Mein Gott! Ich war so begierig, auf den Grund zu kommen. Ich zerriss den vererbten und erworbenen Purpur um meine Schultern und warf die Fetzen einzeln fort, Kronen, Macht, Herrschaft, alle Lüste und Gelüste, zuletzt vor ein paar Monaten, als die Kunde nach Yuste drang, dass ich nicht mehr Kaiser bin und mein Bruder Ferdinand an meiner Stelle schon gekrönt ist, zuletzt befahl ich, die W appen vor meinen Gemachern fortzunehmen, ich zerbrach meine kaiserlichen Siegel, ich sagte zum Bruder Regla: Nun habe ich nur noch meinen Namen Karl; denn ich bin nichts mehr. Ich bin nichts mehr! O Prahlerei! Noch war ich reich. Jetzt erst verarme ich. Unser bestes, einziges Gut soll ich hergeben? Ihr Schurken, braucht ihr auch das? Wem soll es nutzen? Mein Sohn Philipp nahm mir alles, will er auch das?" Wovon redet Eure Majestat? fragte Quixada zitternd. "Schuft! Von meinem Leben! Ihr habt mich vergiftet! Viëlleicht auf Philipps Befehl! Rette mich, Quixada! Rette mich rasch! Ich schenke dir dafür meine dreissigtausend Dukaten im Turme zu Simankas, ich werde neue Kronen erobern und alles will ich mit dir teilen, du warst mein Schlachtgefahrte, du kanntest mich in meinen Jugendjahren, da ich noch hold war; du musst noch ein Gefühl für mich behalten haben, ein Krümlein Liebe. Gibt es in allen meinen Reichen nicht einen guten Menschen? Und keinen, der mich liebt? Sind alle zum neuen König übergelaufen ? Philipp hat mir das Leben vergiftet! Sie reden im Fieber, Sire! sagte schluchzend Quixada. Mehr als der Tod des Freundes verstörte ihn sein Sturz. In seiner Sucht, sich zu entblössen, erschien Karl allzunackt. „Was für Gift?" fragte Quixada. „Was für Rettung?" Du hast recht", sagte stöhnend Karl. „Die Gifte meines Sohnes sind zu fein. Ich bin verloren. Ich sehe die Hölle." Herr!" rief Quixada verzweifelt. "still!" sagte Karl und lachelte. „Ich sterbe. Worte sagen nichts. Ich sterbe. Horst du mich kalt an und schauderst nicht? Und stirbst nicht? Plötzlich hob der Kaiser sein Haupt, und indes Quixada ihn stützte, brach ein Strom unflatiger Worte aus dem Schlund des Kaisers, er sprach mit seiner alten, starken Stimme und lachte dazwischen höhnisch und spie Wortkaskaden aus, eine breite Überschwemmung, Sturzfluten, ein kleines Meer von Worten, sinnliche Wut, monströse Bett-Traume voller Wollust, Lasterungen, Flüche, wüste Ketzereien, teuflischen Gottesschimpf, den aufgestauten Wust und Abhub eines Lebens zwischen Messe und Beichte, Kirchenstuhl und Stuhlgang, Schlachtfeld und Hofbordell, Palast und Kloster! Quixada schauderte und verlor den Respekt. Wer so sich vergass, der hiess nicht mehr Kaiser. „Karl", sagte Quixada, indes die Tranen in seinen Bart rannen und seine Finger den zuckenden Leib des Sterbenden hielten, „Karl, dein ganzes Leben lang warst du ein Christ!" „Und noch nicht genug?" schrie Karl. „Achtundfünfzig Jahre Christ und nicht eine Stunde lang ein Heide? Soll ich nicht einmal frei sein, frei reden?" „Du redest dich in die Holle, Armseliger!" „Ich lebte in der Hölle!" „Du rasest. Wie? Ein solcher Kaiser, Held des Jahrhunderts...." „Halt's Maul!" schrie Karl. „Wischwasch von Altweibern und Altmannern! Kinderschnack! Einfaltige Marchen für Erwachsene, denen nichts vergönnt wird, weder Genuss, noch Macht, noch Traume, und nicht einmal die Wahrheit, unser einziger, abgeschmackter Besitz. Ich selber liess mich irreführen. Ich bedaure mein Leben! Hatte ich wenigstens Ziegen beschlafen, Stuten, Barinnen, da ich jung war! Ein Trost noch, dass ich mich überfrass und über meinen Durst trank. Also hatte ich das vom Leben! Sonst? Mir fallt nichts ein. Seit zwanzig Tagen walze ich mich krank im Bett, ein Schauspiel für Narren, und besinne mich: Was lohnte? Die Lust am Weibe, an Menschen, am Gebet, an Musik, an der Menschenstimme, an Künsten, am Gras, an der Sonne warmem Licht ? Was lohnte wirklich ? Mir fallt nichts ein. Eine Weile halten einige Gewohnheiten vor. Die meisten trosten sich damit und sterben. Ich hielt es nicht aus, schon oft starb ich in Gedanken, aber wirklich und ganz fortgehn: Quixada, es ist bitter." „Beten Sie, Herr!" „Ja, alter Freund. Gleich will ich weiterbeten. Wir trieben's eine Weile! Vergiss, mein Süsser, vergiss. Ich schenke dir mein altes Pferd, es ist einaugig und wenig wert, füttre es in deinem Stall, und wenn es wiehert oder wenn du es einmal aufs Hinterteil klopfst, dann erinnere dich an deinen Kaiser!" „Herr!" bat Quixada. „Nun ist's aber genug. Fahren Sie so fort, lasse ich Sie allein und gehe nach Quacos." König Philipp der Zwei te. 10 „Schon gut, alter Freund, schon gut. Wenn ich's bedenke, bringen wir einander viele Opfer, vor allem das Opfer der Tollheit. Es ware zuweilen so süss, toll zu werden. Dennoch habe ich mein Leben lang davor mich gefürchtet. Warum eigentlich? Nun sterbe ich also bei leidlicher Vernunft. Du machst so ein unglückliches Gesicht. Habe ich dich so erschreckt, alter Freund. Nun siehst du, ich lachle wieder." Der Kaiser zog eine schmerzliche Grimasse. „Ich will mehr für dich tun", sagte er, „ich will das Übliche tun. Gewohnter Wahnsinn erscheint der kurzatmigen Vernunft euresgleichen vernünftig. Sei es! Ich füge mich nochmals den Brauchen. Meinem Sohne Philipp also sage, was du Liebreiches erfinden kannst und was der Gelegenheit gemass ist. Wenn ich es recht bedenke, liebte ich nicht ihn, sondern das in ihm, was meine Torheit forttreibt. Es war Irrtum. Sei es. Erfinde die konventionelle Lüge. Er wird Fratzen schneiden, wenn er hört, dass ich endlich tot bin, er wird im Kloster beten und im Kabinette lachen! Armer Knabe ! Er ist kein Genie wie ich! Er ist nicht viel. Sag' ihm das Gegenteil, Quixada. Was noch? Meine Tochter in Böhmen, die der König von Böhmen qualt, sie tut mir leid. Was noch? Meine Schwester Marie, grüsse sie, ach, es war traurig, als sie in mein Haus trat, kürzlich erst, nach dem Tod unserer Schwester Eleonore, sie liebten einander so, die letzten Jahre sah ich sie nur gemeinsam, ich sagte noch, ich glaubte erst an den Tod unserer Schwester Eleonore, wenn Marie allein in mein Zimmer tritt, nun kam sie allein, wir weinten beide, über Eleonore und uns, nun, das ist vorbei, ich prophezeite noch: Um fünfzehn Monate war Eleonore alter als ich, in fünfzehn Monden folg' ich ihr nach. Ist es schon so weit?" „Vor sieben Monaten erst starb die Königin Eleonore", berichtigte Quixada, mit der bekannten Leidenschaft der Menschen fürs Richtige. „Starb sie?" fragte Karl. „Auch gut. Meine Schwester Marie versprach, was versprach sie doch? Guter Quixada?" „In die Niederlande zu reisen und Regentin zu sein", erinnerte Quixada. „Will sie regieren? Sag' ihr meinen Gruss! Sie war gescheit. Ich hatte sie gern. Fort damit! Was noch, Quixada?" „Geronimo", sagte Quixada. „Freilich", erklarte Karl, „mein Bastard Geronimo, der süsse, blonde Knabe, steht er noch am Fenster, ganz Jugend, ganz Leben? Quixada, ich beneidete ihn. Nichts ist am Leben daran; aber welche Wonne, es noch vor sich zu haben! Steht er noch da? Ist er fort? Lass ihn nicht mehr herein. Sein Anblick tut mir weh! Ich könnte ihm fluchen vor Lebensneid. Segne ihn Gott! Ein hübscher Junge!" „Und so gescheit", sagte Quixada, „so anstellig, sorasch und flink und mutig, unter allen Dorfjungens ist er der König. Kürzlich...." „Lassnur", bat Karl. „Freu' dich nur, er wird dir bald Stösse geben. Nimm dich in acht. So lieblich sieht der Mensch aus, zuletzt verdirbt er seinesgleichen. Was noch? Den Geronimo liess ich der Gunst seines Bruders Philipp. Es ist am besten so. Empfiehl ihn dem König. Was noch?" „Ihre Töchter Juana und Margareta, Ihre Enkel Don Carlos und Dom Sebastian von Portugal, Ihre Schwester Katharina! Ihr Bruder Ferdinand, die Neffen...." „Genug!" bat Karl. „Sie werden kürzer trauern, als ich mich um sie sorgte. Ich bin müde, Quixada." „Beten Sie, Herr!" „Rufe die Priester. Vergiss! Wir wollen fleissig beten. Quixada, du kennst mein Leben. Glaubst du, so einer wird Gnade finden?" „Herr", begann Quixada verlegen.... „Ja, ja, alter Freund, schon gut! Ich weiss schon! Ich hatte nicht abdanken sollen! Wenn man als Kaiserstirbt, haben die Freunde mehr Respekt und lügen. Gut. Gut. Der Rest steht in meinen Memoiren. Mein Kammerer Van Male bewahrt sie. Wenn man sie drucken wird, kann man meine Taten lesen und was ich davon dachte. Ich liebte die Geschichte sehr, mehr als Arzneien und die Gicht. Du siehst erstaunt. Die Geschichte ist eine Pille für die Menschheit, sie ist ein Krankheitsjournal; umsonst und unnütz und Traume, und wer vermag es? Mein Sarg, dachte Karl und erinnerte sich an seinen Streit mit Quixada. ,Ich will in der Klosterkirche begraben sein, unterm Altar, so dass der Priester beim Gebet auf die Stelle tritt, wo mein Kopf und mein Herz liegen'. ,In Granada', rief Quixada, ,man wird Eure Majestat in Granada begraben, wo Ferdinand und Isabella, Philipp und Juana ruhn, Ihre Eltern und Grosseltern. Da soll Ihr Leib liegen!' ,Nein!' hatte Karl gebrüllt. ,Hier will ich begraben sein, allein für mich! Ich habe für meine Familie gelebt. Genug davon! Unterm Altar will ich liegen! Der Priester trete auf meinen Kopf!' ,In Granada, Sire!' rief Quixada beschwörend. ,In Granada!' ,In Yuste! Just in Yuste!' schrie der Kaiser. So unterhielten sich die guten Freunde in Karls letzten Tagen, da er die Speisen und Getranke nicht mehr mit seinen Handen an den Mund führen konnte, weil die Hande von der Gicht und die Mundhöhle vom Fieber geschwollen und eitrig waren und Karl nur noch gefarbtes rotes Wasser trinken konnte. Der Kaiser liess sich die gewohnten Speisen auf schonen Tafeln ans Bett bringen und zeigen, mit den Augen speiste er gebratene Wachteln, frische Austern, Erdbeeren mit Sahne, Muschelsuppen, Anchovispasteten, geeistes Bier, viele Sorten Weine, Hammelbraten, Mastochsenfleischbrühen; mit der Nase schnupperte er alle Gerüche; dann liess er die Speisen unberührt forttragen. Am letzten Tage hatte er nochmals verboten, dass seine Schwester Marie oder die Tochter Juana oder sein Enkel Carlos kamen. Keine Familie, allein will ich sterben. Kaum kann ich ja und nein sagen! Ich fürchte mich vor dem Tod! Soll das mein Enkel Carlos sehn? Soll er sehn, dass ein so grosser Kaiser stirbt, gleich den Hasen, die mein Enkel lebend zu rosten pflegt, gleich den Katzen, die er lebend siedet? Ich bin vom Tod geschlagen. Es steht schlimm. Mein Testament ist gemacht, auch ein Kodizill, ich schenke dreissigtausend Dukaten meinen Dienern, dem Kloster und Armen. Was mehr? O Nachte voller Angst! O Durst! O Fieber! Mein schwarz verdorben Blut! Matthys, der Arzt, soll mir zur Ader lassen! Mehr Blut, Matthys, nimm mehr, ich bin zu schwer, zu voll! Zu viel Angst, Matthys! Legt mir meine Bibel neben mich. Sie ist in gutes Französisch übersetzt. Der Grossinquisitor Valdes hat mir erlaubt, sie zu behalten und darin zu lesen. Alle andern Bibeln wurden verbrannt, auch deine, Matthys. Gottes Wort zu übersetzen ist Ketzerei, sagt Valdes! Du sagst, es sei schade um die schone flandrische Ausgabe, Matthys? Und deine Seele, Matthys? Wir Christen bringen viele Opfer unserer Seele. Die Alten steilten sie als Fledermaus dar, tagscheu und flügelschlagend. Sprecht die Sterbegebete alle! Sprecht! Sprecht! Gebt mir die letzte ölung. Du willst nicht, Quixada? Die Arzte wollen's. Du fürchtest, mich zu erschrecken? Törichter Freund! Ich will nochmals beichten, Bruder Regla, höre! Ich will nochmals kommunizieren. „Sie schlucken die Hostie nicht mehr, Sire!" rief Quixada. „Sie haben schon genug getan." „Für diesen langen Weg rüstet sich keiner genug, Quixada. Gebt mir nochmals!" „Sie schlucken's nicht, Herr!" „Ich schluck' es!" sagte Karl zornig. „Gebt schon. Ich bin so heiter, so vernünftig. Gebt rasch!" Da der Kaiser fürchtete, nicht mehr die Zeit zu haben, bis Fray Regla in seinem Zimmer die Messe sagte und die Hostie weihte, befahl er, das Heilige Sakrament vom grossen Altar der Klosterkirche zu holen. Pater Regla, von allen siebenunddreissig Mönchen des Klosters begleitet, brachte in Prozession das Viatikum, Karl empfing es mit höchster Glut und sagte: „Gott der Wahrheit, der uns erlöst, ich lege in deine Hande meinen Geist." Dann hörte er mit Lust die Messe, und als der Priester sprach: „Lamm Gottes, das die Sünden der Welt tilgt!" schlug der Kaiser mit Freude und Demut seine Brust mit der vergehenden Hand. Gegen zwei Uhr morgens, da die Kerzen schon heruntergebrannt waren und durchs Fenster der erste fahle Schein des angekündigten Morgens am Himmel sichtbar ward; in jener Stille zwischen Nacht und Dammerung, da alle Vogel, alle Tiere schweigen; in dieser schwachsten, toten Minute der Natur fühlte Karl sein Ende. Er fasste mit der Linken seinen eigenen Puls und bewegte das Haupt, als wollte er sagen: Aus! Dann bat er die Priester, mit den Sterbelitaneien zu beginnen, und den Quixada, die geweihten Kerzen von Montserrat anzuzünden. Der Erzbischof Carranza gab ihm das Kreuz, das auch die Kaiserin Isabella in ihrer letzten Stunde in Handen gehalten, und er presste es zweimal an die Brust; dann, die brennende, geweihte Kerze in der Rechten, die Quixada stützte; die Linke ausstreckend nach dem Kreuz, das Carranza vor ihm hielt; sprach der Kaiser plötzlich mit lauter, gesunder Stimme: „Das ist der Augenblick!" und „Jesus" und stiess zwei oder drei Seufzer aus. Sie liessen den Toten allein! Manche gingen in andre Stuben. Manche gingen in den Garten. Die Helligkeit wuchs. Die ersten Vogel jubilierten schon. Quixada, den Bart von Tranen feucht, lief zehnmal, zwanzigmal ins Totenzimmer zurück. „Ich kann's nicht glauben", stammelte er, „dass er tot ist." Und kniete neben dem Bett seines Kaisers und küsste die kalte Hand mit Lippen und mit Tranen. Und lief in den Garten und hielt Mönche und Diener und Freunde an und auch den blonden Pagen Geronimo und fragte jeden, mit verstörtem Antlitz: „War je ein Mensch so gross wie der? Wann kommt solcher wieder?" Niemand gab Antwort. Nur die Vogel trillerten, die Sterne erbleichten, der Mond war blass wie sein eigen Gespenst und die Maulbeerbaume rauschten im Frühwind. Den ganzen Mittwoch, den 21. September 1558, blieb der Leib des Kaisers auf seinem Totenbette. Vier Mönche hielten Wache. Karl trug sein Nachthemd. Ein schwarzer Taft bedeckte seine Brust. Das Kruzifix lag auf seinem Herzen. Das Bild der Jungfrau hing über ihm. Im Zimmer war es still. Die Mücken summten. Am andern Tage kamen die Arzte Matthys und Corneille Baersdorp, legten die behaarten Ohren auf des Kaisers Brust und hielten einen Spiegel vor seinen Mund und schüttelten die gelehrten Haupter und konstatierten betrübt: „Tot ist der Kaiser, reell tot." Da legte man ihn in den Sarg aus Blei, und den Bleisarg in einen Sarg aus Kastanienholz, und trug alles in die Kapelle, die schwarz ausgeschlagen war. In der Mitte der Kapelle erhob sich ein Katafalk, geziert mit den Insignien der kaiserlichen verschollenen Grosse. Der Erzbischof Carranza leitete die wahre Trauerfeier, die neun Tage dauerte; der Klerus von Quacos, die Mönche der Nachbarklöster, Hieronymiten, Dominikaner und Franziskaner sangen, und Fray Villalba predigte so rührend, dass er befördert ward, spater, und Philipps Prediger ward. ,Leichen bringen Glück', pflegte Fray Villalba zu zitieren. Don Quixada stand mit verhülltem Haupt in der Kapelle, in seiner Hand hielt er die Hand des jungen, blonden Pagen Geronimo. Der Page Geronimo dachte traurig, wie er den Kaiser vor ein paar Wochen im Garten unter dem Nussbaum aufgesucht. ,Geh nur zum Kaiser', hatte Quixada zum Pagen gesagt, ,die Majestat liebt solche Knaben.' Der Kaiser liebt meinesgleichen ? hatte Geronimo gedacht und war stolz, wie nur ein Knabe es sein kann, so voll reinen Stolzes, so zweifellos. Da er vor dem Kaiser stand, wie schon mehrmals, und glaubte, der Kaiser kenne ihn, wie er den Kaiser, sah Karl ihn an, fremd, müd und majestatisch und fragte: „Wer, wer bist du? Ach so der Kleine vom Quixada. Und — ein hübscher Junge und? Willst lange leben? Wie? Alt werden? Was? Siebzig, achtzig, hundert Jahre ? Warum nicht ? Und mich überleben ? Geh in den Garten! Spielen! Du tragst doch eine Armbrust. Schiess auf Regenwürmer oder auf Steckenpferde und Holztauben! Fort! Weg! Troll dich!" Und da Geronimo zögernd fortging, mit geballten Fausten, wehend blonden Locken, und Tranen der Scham in den Augen, hörte er den Kaiser murmeln: .Hübscher Junge! Das lebt! Und lebt! Und überlebt! Ich esse den Tod! Ich trinke den Tod! Noch einen Tag! Noch ein Stück Leben. Das Alter bricht mir Zahne, Knochen und Verstand, und so lebe ich den Tod!" Das hatte der Knabe Geronimo gehort, das vergass er nicht. Nie, dachte er, vergesse ich das! Und er lauschte den summenden Gesangen der Mönche. Geronimo dachte: Vielleicht sterbe ich jung? Ich will mehr Taten tun als sieben Kaiser. Ich will alle Jungens der Welt besiegen. Ich will einen Adler schiessen, oder eine Feldkrahe. Ich will Der Knabe wusste nicht, wie er seine Ehre rachen sollte. Er hasste den toten Kaiser. Der Knabe weinte. Und Don Quixada, dessen Antlitz verhüllt war, spürte die Schmerzen Geronimos am Zucken der kleinen, schwieligen, heissen Hand des Knaben. Und Don Quixada hörte laut und nahe die Stimme seines toten Herrn, heil wie in Karls gesündesten Tagen, die Lieblingsverse des Kaisers sprechen. So sprach der Kaiser: ,Ich tat grosse Dinge, ich baute Hauser, ich pflanzte Weingarten Und die künftigen Tage vergessen alles. Und wie der Narr stirbt, also auch der Weise. Es ist das Licht süss und den Augen lieblich, die Sonne zu sehn. Es ist das Licht süss Es ist das Licht Denn wo viel Weisheit, da ist viel Gramens. Und wer viel lernt, der muss viel leiden. Ich sprach.... Wohlan, ich will wohl leben und gute Tage haben. Aber siehe, das war auch eitel. Ich sprach zum Lachen: Du bist toll! Und zur Freude: Was machst du? Und die künftigen.... und die künftigen Tage vergessen alles...." Am Zucken der grossen, schweren, kühlen Finger des Pflegevaters erkannte der kleine Page Geronimo die Schmerzen Quixadas. Und er redete ihn an, wie er sonst nie tat: „Mein Vater, warum weinst du?" Da schluchzte der alte, graubartige Don Quixada laut. Spater erblickte Don Quixada, wie einer der Grafen aus der Gegend, ein betagter, schwacher Greis, auf einem Stuhle in der Kapelle sass, da sandte er seinen Pagen, den Stuhl hinauszutragen; denn es zieme nicht, sagte er, in Gegenwart des Kaisers zu sitzen, ob der Kaiser lebe oder tot sei. Neun Tage dauerte die Leichenfeier. Danach begrub man die Leiche unter dem Altar, nachdem die Mönche lange und hasslich miteinander gestritten hatten, ob es erlaubt sei, da nur Heilige unter Altaren ruhen dürften; fast hatten die Mönche einander geschlagen, schliesslich fand man einen Ausweg: Der Kopf kam in eine Mauerhöhlung, die Zehen der Füsse des toten Kaisers durften an die heilige Stelle rühren. Nun reisten der Erzbischof Carranza und Bruder Borgia und viele fort. Den Tag darauf kam der Richter von Placencia, Don Osorio, ein Bruder des Schatzchens Philipps, und forderte kraft seines Amtes, dass man den Sarg heraushole und den Deckel öffne und des toten Kaisers Antlitz enthülle, damit vor dem Richter die Testamentsvollstrecker Quixada und Fray Regla und die Arzte Matthys und Baersdorp und der Abt und der Prediger Villalba alle feierlich bezeugten, der Tote sei wirklich der Kaiser Karl und liege wirklich nahe dem Altar in der Obhut der Mönche von Yuste. Schaudernd gehorchten sie, gruben den Kaiser heraus, öffneten den Deckel, sahen das Antlitz Karls, schworen, er sei es — da er es wirklich nicht mehr war, nicht mehr Karl, nicht mehr Kaiser, nur noch Staub und Wurmfrass! Er ist nicht mehr Karl, dachte der arme Quixada schaudernd und schwor, er sei es. Ich schwöre einen Meineid, dachte er. Aber diesmal mussten sie dem Richter von Placencia gehorchen. Vor kurzem war der Richter von Placencia fast davongejagt worden. Karl hatte Streit mit den Bauern von Quacos, die, arm und wild, keinen Respekt vor ihm hatten, obwohl er ihnen reiche Almosen gab. Sie rauften mit seinen Dienern, raubten seine Kühe, fischten seine Forellen. Da setzte Karl einen Richter in Quacos ein, den Lizentiaten Murga. Den Richter von Placencia krankte dieser Eingriff in seine Rechte; denn Quacos unterlag seinem Gericht. Einmal schickte er Beamte, um Gerichtssteuern in Quacos zu erheben, und als Lizentiat Murga sich widersetzte, kam Don Osorio mit seinem Leutnant, seinem Gerichtsdiener, zwei Gendarmen und zwei Unterrichtern ins Dorf Quacos und liess den Lizentiaten Murga einsperren, da er sein Recht bestritten un Widerstand gegen die richterliche Gewalt geübt. Zornig forderte der Kaiser den Staatsrat zu Valladolid auf: Setzt ab meinen Feind, den Korregidor von Placencia Don Osorio! Einst hatte der Kaiser grössere Feinde, den Konig Franz, den Sultan Soliman, den Papst Clemens; die grossen Feinde hatte der Kaiser besiegt; mit dem kleinen Feind, dem Richterlein von Placencia, ward er nicht fertig; denn Don Osorio hatte Freunde in Valladolid, und die Höflinge fürchteten, er werde durch seine Schwester, das Schatzchen Philipps, sich an ihnen rachen. Die Entlassung Don Osorios zog sich hin, der Kaiser starb, nun kam der kleine Feind von Placencia und grub ihn aus und ein, nach richterlichem Belieben. Doch erhielt der Kaiser noch viele Leichenfeiern, die ihm viel Lust bereitet hatten, wenn er sie lebend mitgefeiert, sei es auch in einem Sarge liegend, nur lebend, lebend! Zu Valladolid, vor dem Hof, sprach Bruder Franz der Sünder, der Borgia, Grossneffe des Mörders Cesar Borgia, der fromme Jesuit. In Toledo predigte Carranza, in Sevilla Valdes, in Tarragona ein andrer, in Rom der Papst, in Lissabon ein Jesuit, in Wien und Neapel predigten sie, und zuletzt in Brüssel. In vielen Landern lauteten die Glocken. Don Quixada führte den Pagen Geronimo und das alte, einaugige Pferd des Kaisers fort. Schon war in Spanien, auf der Reise in die Niederlande, die Königin Marie von Ungarn dem kaiserlichen Bruder nachgestorben. Der Sohn des Kaisers vernahm den Tod seines Vaters mit sanfter Trauer. Philipp ging in ein Kloster. Mir fehlt sein Schatten, dachte er, darunter ich so lang gelebt. Ich weine um den Schatten meines Vaters. Er war ein grosser Kaiser. Er war der Erbe von vier königlichen Hausern: Aragon, Kastilien, Österreich, Burgund. Wie ein Kurier lief er durch die Welt, hin her, hin her. Er war ein grosser Politiker. Er kampfte stets fürs Kreuz! Und für die Familie Habsburg. Er und der Papst Paul warteten auf ihren Tod. Ist Karl schon tot? fragte Paul. Ist Paul krepiert? fragte Karl. Nun starb er zuerst. Karl wollte die laute Welt verlassen und blieb im Larm der Welt. Er hatte Angst, den Himmel zu verlieren. Aber dauert der Himmel nicht ewig? Nun ist der Kaiser tot, dachte Philipp, und es ist gut so! DIE TOTENFEIER Philipp traumte im Kloster. Bald war er Herr der ganzen Welt. Er strich mit der Handflache über die steinerne Wand seiner Zelle. So kleiner Stein umschloss so grossen König! Die Ratsel seiner Herrschaft verwirrten ïhn. Er besass so viele Reiche mit allen Schatzen der Erde und hatte nie Geld genug. Er besass so viele Soldaten, Richter, Polizisten, Priester und konnte den Freiheitsdurst von ein paar niedrig geborenen Ketzern nicht zahmen. Es ïst also leichter, die Welt zu erobern, als sie zu erkennen. Besitz ist billiger als Wissenschaft ? Dass Gott mich segnen möchte! schrie Philipp nachts in seiner Zelle, da er im Hemd am Fenster stand und in den verschneiten Klostergarten sah. Im Mondlicht glitzerten die beschneiten Zweige der Baume. Am Morgen kam ein Bote aus England. Mane starb. Da setzte sich Philipp an seinen Tisch. ,Liebe Marie , schrieb er mit schwarzer Tinte auf weissem Papier und stockte und überlas die beiden unsaglich armen Worte, und sah in ihrem fernen Bett die aufgedunsene, fa wangige, miserable Marie. Ihre Augen starrten ins Kloster Philipps. ,Tat ich dir weh?' fragte Philipp. Die Augen starrten. Bin ich ein böser Mensch? fragte Philipp. .Liebe Marie', schrieb Philipp, ,ich hatte immer ein freundliches Gefühl für Dich.' (Ich lüge, dachte Philipp und sagte sich: Die Armste stirbt!) ,Ich liebte Dich, wie ein frommer Gatte soll.' (Was sage ich ihr? Was hat sie davon?) ,Liebe Marie, wir müssen uns alle in Gottes Willen fügen. Der Herr tröstet uns und führt uns und Er schrieb noch viel vom Herrn. Sein letztes Wort war .Philipp.' Marie stirbt, dachte er,so viele sterben inmeiner Nahe. Der Tod spinnt fleissig sein Netz. Zuletzt zappeln wir alle darin und ersticken. Es ist, als sparte Gott am Stoff und wollte nicht neu bilden, ohne zu zerstören. Ich lebe nicht gern allein. In der Halfte meines Lebens stehe ich entlaubt da, ohne Eltern, zwei toteGattinnen.... ach, gemein macht uns Könige der Kummer! Da Philipp schon satt war der Gebete, der Klosterstille und der Tranen, kam ein neuer Brief Ferias. ,Als ich nach London kam', schrieb der würdige Graf, .empfing man mich wie den Bullenboten eines toten Papstes. Seit England weiss, dass Marie stirbt, herrscht Fröhlichkeit; die Kirchen stehen leer, alle Theater sind voll, auf den Strassen spottet das Volk über die Geistlichen und schlagt Mönche und Nonnen. Jedermann tadelt Eure Majestat. Der König von Spanien tötete für die Religion, sagen sie, machte der Königin kein Kind, trieb die Englander in den Krieg, verlor Calais, meldete Siege für sich, schliesst Frieden, verrat England und tötet die Königin Marie, die vor Sehnsucht nach ihm stirbt! Das sind schlimme Worte und schlechte Vorzeichen. Ich ritt dreizehn Meilen von London und speiste mit dem Fraulein Elisabeth zu Hatfield, es gab Rindfleisch, rot und halbroh, und französischen Wein. ,König Philipp ist Ihr Freund', sagte ich der Prinzessin. ,Er freit um Sie. Sie schulden ihm Dank.' Die Prinzessin trug ein grünseidenes Kleid und einen goldenen Reif im Haar. Sie lachte viel und sang und tanzte vor mir. Sie zeigte mir ihre runden Kniee beim Tanz und ihren spitzen Witz bei Tisch. ,Ich schulde ihm keinen Dank!' rief sie, zornig mitten im Gelachter. ,Schuf Philipp mich? Hob er mich? Gab er mir Leben und Krone? Nichts bin ich dem König von Spanien schuldig!' rief sie. ,Dem Volk von England danke ich alles.' Ich lachte laut und fragte, von wem sie rede, vom Klerus, vom Adel? ,Nein', sagte sie zornig, ,nichts danke ich dem Klerus, nichts dem Adel von England, nur dem Volk!' ,Volk?' fragte ich und musste herzlich lachen. ,Sind Sie nicht morgen Königin von England? Und wollen Sie dann in den Strassen von London schmutzigen Pachtern die Hand drücken oder Strumpfwirkern, Wirten und Seekapitanen?' ,Ja', rief sie jubelnd, ,auch Betteljungen und Pfefferhandlern, ja, dem Volk von England drücke ich die Hand!' Ich brauche Eurer Majestat nicht erst zu versichern, wie bedenklich mir solche Redensarten erscheinen. Um mehr handelt es sich glücklicherweise nicht. Das Fraulein ist zweiundzwanzig jahre alt, sehr hübsch, sehr übermütig, sehr verliebter Laune. Sie liess zwei Musikanten kommen und sang vor mir ein Lied, sie schwor, sie habe es eben gemacht, die Reime sind wenig wert, ich schreibe sie Eurer Majestat nur um des pikanten Details willen. Übrigens singt die Prinzessin so übel nicht. Die Verse lauten: Der König von Spanien ist mein Held. Er siegt auf allen Feldern. Und hat den schönsten Teil der Welt Von Granada bis Geldern. Der König von Spanien freit um mich. Seine Frau liegt noch im Sterben. Er hat so blaue Augen und ich Soll morgen England erben. Der König von Spanien liebt so heiss Und schickt schon seinen Grafen. Ich kenne sein Herz — um diesen Preis Will ich nicht bei ihm schlafen! ,Nun', schrieb Feria, ,das sind kindische Verse, ich sagte dem Fraulein: ,König Philipp erkennt Sie als Kömgin an. Er erklart Ihre religiösen Ansichten für zufriedenstellend.' Das Volk', rief Elisabeth, ,das Volk von England erkennt mich als Erbin. Das Volk liebt mich.' Ich konnte diese stinkende Vokabel schon nicht mehr hören, Volk, Volk! Ichweiss, wie eitel das Fraulein ist! Ich sagte: ,Der König war stets vernarrt in Ihre Reize, er will Sie in sein ehelich Bett führen, wenn Sie nur immer den katholischen Glauben verteidigen.' Da fing sie an, mit Worten zu spielen, wie es die jüngern Leute in England neuerdings lieben, ohne das Talent der Spanier oder der Italiener für solche Concetti. ,Ins Bett?' fragte sie und wurde rot und kicherte wie ein lasterhaftes Schulmadchen. ,Ist Eures Königs Bett breit genug? Was mischt er den Papst mit mir und den Heiligen? Ist sein Bett so breit für alle Heiligen und eine englische Jungfrau? Denn ich schwöre, ich bin jungfraulich, bei allen Heiligen schwöre ich!' Undsoweiter. Danach schalt sie Eure Majestat ein wenig. Sie waren ein Gatte ohne Herz, hatten England ruiniert, missfielen ebenso wie der Papst dem Volk von England. (Mir verging schon das Gelachter über die Vokabel!) ,Von wem reden Sie, Prinzessin?' fragte ich. ,Von den reichen Leuten? Von den Armen? Von Papisten? Lutheranern? Von Trunkenbolden? Ehrlichen Leuten? Von Taschendieben? Was für ein Volk?' Sie lachte fröhlich und klopfte mich auf die Backe, zweimal ganz sanft, und antwortete: ,Diese alle, lieber Freund, gehören zum Volk. Das Volk aber ist mehr. Ich will Ihnen vortanzen, was das Volk ist.' Sie raffte ihre Röcke und winkte den Musikanten und tanzte lange, ich sah aber kein Volk, sondern nur, dass sie sehr schone Beine und Hüften hat, und dass ihre Brüste wie zwei junge Zicklein hüpfen. So waren wir zufrieden. Ich bin sehr bedenklich. Trotz ihrer schonen Beine neigt Elisabeth zur Ketzerei. Ich sehe Gefahr. Sie umgibt sich mit Revolutioneren und Protestanten, lauter kompromittierten Figuren, Abenteurern, Verseschmieden, Gelehrten! Sie ist voll Tücke und entsetzlich eitel. Verrater und Ketzer wachsen um sie, wie Pilze im Wald nach Sommerregen. Die Protestanten spotten über Eure Majestat; die Katholiken klagen den König an, er habe sie vergessen und verraten. Freilich ist Elisabeth sehr stolz darauf, dass der grösste Mann der Welt um ihre Hand freit. Nun, ich ritt nach London zurück, acht Tage spater liess die Königin Marie an ihrem Bette die Messe lesen, erhob sich bei der Anrufung Gottes und fiel tot um. Es war sechs Uhr morgens. Die Leute von London sagten: Sonst werden Tote zu Staub, unsere Königin ward zu Wasser. Zur gleichen Stunde starb der Kardinal Pole. Elisabeth liess die Papiere Poles ergreifen. Die Frommen zittern. Der junge Herr Throckmorton schlief, da seine Königin starb, im Bette ihrer Ehrenjungfrau und schlich danach ins Totenzimmer, hob die Bettdecke der Königin von England und Spanien, Marie der Katholischen, indes die Diener die Totenkerzen anzündeten, und zerrte, riss und raubte vom Finger, der eben noch über Leben und Tod in England gebot, den goldenen Ring mit schwarzem Email, den Eure Majestat der Königin zur Hochzeit geschenkt. Der junge, verliebte Fant trug den Ring zum Fraulein Elisabeth als Pfand ihrer Freiheit und Herrschaft. Abscheuliche Beleidigung des Todes und der Majestat! Die stummen Fische fühlen mehr als solche Menschenherzen und Menschenfinger! Nun regiert also das Fraulein Elisabeth und ist recht höflich gegen uns. Sie braucht uns. Ihre Autoritat ist gering. Ihr Land steekt noch im Kneg mit Frankreich und Schottland, ihre Kasse ist leer; ihre Katholiken sind für Maria Stuart, sie verspricht, die katholische Kirche zu schützen; sie hofft, wir werden ihr Calais wiederschaffen. Sie spricht nicht mehr vom Volk. Ich erklarte ihr, die katholische Kirche billigt die voükommene Gewalt der Fürsten, das gefiel ihr, ,auch ich', sagte sie mir ,bin Absolutistin.' Als ich ihr alle Juwelen der Konigin Marie auf Befehl Eurer Majestat schenkte, sogar die Eurer Majestat persönlich gehören, freute sie sich sehr un trast sie seither taglich. Ich sagte ihr, Eure Majestat konne nicht schriftlich werben, nur Aug' in Auge. Eure Majestat, sagte ich, könne nur selten und kurz in England weilen. König Philipp bittet in Gottes Interesse um Ihre Hand. Sie sagte, sie müsste ihr Parlament fragen. Ich sagte die Frage der Religion sei entscheidend. Sie sagte, sie habe Skrupel, den Heiligen Vat er um Dispens wegen der nahen Verwandtschaft zu bitten. Es sei Inzest! Mein Gewissen, sagte sie. Der Grund geht ihr nahe; denn solch em Dispens machte ihre Geburt verdachtig, da ihr Vater Hemrich der Achte, trotz solchen Dispenses, die Frau seines Bruders, die er geheiratet, Katharina von Aragon, Eurer Majestat Grosstante, verstiess und die Mutter Elisabeths zur Frau nahm. Ich erklarte ihr noch, Eure Majestat sei bereit mit Englands Hilfe um Calais zu kampfen. Elisabeth lachelte nur Sie weiss, dass ihre Kassen leer sind, kennt vielleicht auch die Blösse unserer Kassen, denn sie ist klug! Philipp verliess das Kloster. Dreimal am Tage lauteten alle Kirchenglocken im ganzen Land zum Gedachtms des Kaisers. Verboten war alle öffentliche Lust. An emem finstern Dezemberabend zogen dreitausend Monche mit brennenden Fackeln und summenden Trauergesangen feierlich langsam durch die schwarzverhangten Strassen von Brüssel. Ihnen folgten vierundzwanzig panaschierte Gaule, traurig nickten ihre Federbüsche, ungesattelt trugen sie die Wappen aller Reiche Karls. Nach den Gaulen kamen Ritter, nach den Rittern die Minister mit des toten Kaisers Insignien: Degen, Krone, Szepter, goldne Kette und Weltkugel. Nach den Ministern kamen barhaupt Herzöge, nach den Herzögen kam ein Mönch allein, zu Fuss, überm Antlitz die Kapuze, wallend seine schwarze Kutte, die Schleppe trug Fürst Eboli. Der Abend dunkelte so winterlich verlassen; so gespenstisch flackerten, im Schneewind, der Mönche Totenfackeln; wie Gestorbene zogen sie so langsam, schmerzumfangen langsam bis zur Kirche von St. Gudula, viele Stunden scholl langverhallend der gedampften Trommeln lechzende Musik. In der Kirchenmitte hob sich die Kapelle. Dreitausend Wachskerzen flackerten. Auf dem schwarzsamtenen Sarkophage blinkten klaglich Krone, Reichsapfel, Szepter. Auf den golddamastenen und sammetschwarzen Galerien blühten alle Damen des Hofes. Prachtig aufgeschmückte Kirchenfürsten und die Granden Spaniens und der Niederlande sassen auf vermummten goldenen Stühlen zu des Thrones Füssen. Da trat durch das ungeheure Schweigen Wilhelm von Oranien auf die oberen Stufen des Thrones, der schwarze Mönch mit dem verhüllten Antlitz stand bei ihm. Wilhelm hob den Degen des Kaisers hoch, schlug den Sarkophag und rief hallend: „Er ist tot!" Dom und Menge schienen in dem Schweigen aufzuschweben, wie die machtigen Schwingen eines Adlers. Noch einmal schlug Wilhelm den Sarkophag mit dem Degen und schrie: „Und wird bleiben tot!" Zum dritten Mal, in die schrecklichste Erwartung, schnitt das scharfe Sausen des Stahls und traf den Stein, und scholl die helle Stimme Wilhelms: „Er ist tot und an seine Stelle trat ein Grösserer!" Und mit der freien Linken streifte Wilhelm die dunkle Kapuze vom Gesicht des demütigen Mönches neben ihm. Und die Welt sah das bleiche Antlitz Philipps. König Philipp der Zweite. 11 Drittes Buch DER SPITZENKRAGEN DIE GENERALSTAATEN Für Geld sass Philipp auf diesem Stuhl zu Gent. Der König hatte den Krieg und den Frieden gewonnen, er besass Silberbergwerke, Goldflotten, beide Indien — und sass da, um bei Kramern zu betteln. Was ist Grosse? dachte Philipp. Das letzte Mal für ein ganzes Leben musterte er diese unruhigen Untertanen. Vier unwiederbringliche Jahre hatte er unter ihnen verbracht. Lohnte es? Der König dachte nicht an die drei Millionen Dukaten. Ihretwegen lachelte er gnadig diesen verschuldeten Baronen, lasterhaften Abten und ketzerfreundlichen Kramern. Aber ihm lag nichts am Gold, wenngleich es ihm immer fehlte. Philipp war ein Menschenfreund, ein Seelenfanger. Ihm schien, er führe zeitlebens nur einen Kampf: Gegen den bösen Feind, der mit seinem Schmetterlingsnetz die Seelen der Sünder fangt und das grösste Lager unterhalt, die Massenrepublik der Hölle. Auch Philipp, der die Menschen liebte (im allgemeinen), war willens, die Ketzer zu braten. Da sass er im Ratssaal zu Gent, auf dem vergoldeten Thron neben seiner Halbschwester Margareta. Sie hatte er zur Regentin der Niederlande gemacht. Vor den Stufen des Thrones stand der Minister Granvella, den der König seiner Schwester als Ratgeber und heimlichen Regenten der Niederlande zurückliess, und sprach: „Niederlander! Gehorcht den Edikten! Da neue Sekten besonders die angrenzenden Lander heimsuchen; da der König seine Reiche vor solchen Übeln wahren will; da jeder Religionswechsel, wie die Erfahrung lehrt, die Völker verdirbt, befahl der König der neuen Regentin Margareta von Parma, einer frommen Niederlanderin, die euch liebt, alle Ketzer zu köpfen oder lebendig zu begraben oder zu verbrennen. So ihr gehorcht, ist der König zufrieden." Granvella setzte sich. Der König stützte gnadig seinen Arm auf die Schulter des Graf en Egmont. Gnadig winkte Philipp dem Prinzen Oranien zu, indes er die Spuren der verlorenen Illusionen in der Miene Wilhelms suchte, der nicht der Regent der Niederlande geworden. Kürzlich, da der König und Wilhelm unter den hohen Baumen im Park zu Brüssel spazieren gingen, hatte Philipp ihm ohne Umschweife eröffnet: ,Die Niederlande erhalten Sie nicht, lieber Vetter.' Mit Interesse hatte Philipp beobachtet, wie Wilhelms Antlitz grünlich ward, als hatten die Blatter ihre Farbe auf ihn getraufelt. Philipp misstraute diesem Menschen. Er fühlte sich von W ilhelm durchschaut, ja, ihm kam manchmal vor, als mache sich Wilhelm über ihn lustig. Der König umgab ihn mit Spitzeln. Da erfuhr er, dass Wilhelm seine geheimen Plane kannte und den Niederlandern verriet. Aber der König liess sich Zeit. Noch hatte er seine Rechnung mit Oranien nicht geschlossen. Philipp glaubte, er sei der Sieger. Der Prasident von Artois, ein berühmter Jurist, antwortete zuerst: „Wir danken dem König für den Frieden. Wir sind bereit, dem König die letzten Reste unseres Vermogens zu spenden. Unser Herzblut für ihn, Tropfen um Tropfen!" Der Prasident machte eine Pause. Alle sahen Philipps Lacheln; so selten glanzte es vor seinen Vólkern. „Ja", fuhr der Prasident fort, „den letzten Blutstropfen, aber nie unsere Freiheiten! Da endlich Friede ist, brauchen wir in unseren Provinzen keine viertausend Spanier, die unsere Dörfer plündern, unsere Töchter vergewaltigen, unsre Bürger aus ihren Stadten treiben! Darum bitten wir den König, bevor wir die Steuern zahlen, die fremden Truppen fortzuschicken!" Philipp warf sich in seinem Sessel zurück. Der dicke Syndikus von Gent, ein Mann wie ein Fass und rotbackig von weinseligen Erinnerungen bester Jahrgange, schrie: „König Philipp hüte sich! Jedes Volk hat seinen eigenen Charakter. Ein Joch, unter dem Spanier vielleicht glücklich scheinen, ist uns unertraglich. Wir würden das Ausserste wagen! Will man uns im Frieden durch Mietlinge mürbe machen? Wir werden sie ausspeien! Tausche sich der König nicht! Hier spricht keine Partei der Missvergnügten. Hier sprechen die Niederlande. Unsere Bauern kommen durch dieses spanische Ungeziefer an den Bettelstab. Sie wollen nicht mehr ihre Damme und Deiche ausbessern. Lieber ersaufen, sagen sie. Wir dulden keine Fremden bei uns. Wir wollen keine Religionsverfolgungen. Der König will seinen Grafen Feria in unsern Staatsrat senden. Behalte ihn die Majestat! Und weiss der König nicht, dass dieser Redner Granvella, dieser Enkel eines Grobschmieds aus Besangon, dieses Wunderkind, dieser Sohn eines Winkeladvokaten, der verhassteste Mensch in den ganzen Niederlanden ist? Wir Bürger sagen es frei heraus. Sollen wir unsere Ketten bezahlen?" Schnaubend setzte sich der Syndikus von Gent. Das fette Fleisch seiner rosigen Wangen zitterte. Das war sonst ein fröhlicher und ruhiger Mann. König Philipp kehrte sich zu Egmont und fragte: „Habe ich nicht den Oranien, diesen Deutschen aus Nassau, zum Gouverneur von Holland gemacht? Warum dulden die Staaten den Auslander Oranien? Und ich, ein Spanier und also auch ein Auslander: Will man mich aus dem Land jagen?" Da stieg Egmont drei Thronstufen herunter, Oranien und Horn, der Admiral der Niederlande, stiegen drei Thronstufen herauf. Philipp fragte: „Was noch?" „Die Stimme des Adels, Sire", sagte Horn und schwenkte ein Pergament. Und Oranien sagte: „Unterschrieben vom Adel der Niederlande." Und Egmont murmelte beklommen: „Eine Bittschrift, Sire!" Horn entrollte das Pergament und las, rasch und frech. Philipp verstand einzelne Satze: ... „und wolle gnadig geruhn, die Privilegien der Nation zu respektieren. Philipp hörte die Stimme Horns sehr fern, als kame sie von der Strasse. Er vernahm: ... „und die fremden Truppen fortzusenden, woher sie kamen..." Noch hörte Philipp : ... „Unordnung... fremde Soldateska... unertraglich ... Samtliche Einwohner der Grenzstadt Marienburg..." Schweigend stand Philipp auf, stieg die Stufen herunter, verliess die Generalstaaten. Herzog Philibert empfing die Denkschrift und zerknüllte sie. Er nehme Abschied, sagte er, er sei tief enttauscht. Die Staaten schwiegen zu den verlorenen Illusionen Savoyens. Am dritten Tag erschien statt des Königs Granvella; Philipp verzichtete auf Feria; er versprach, die spanischen Truppen in vier Monaten heimzuführen. In der Religion gab der König kein Jota auf. „Ketzern den Tod!" schrie Philipp durch den Mund Granvellas. Die Staaten schwiegen. DAS GARTENFEST König Philipp schrieb dem Papst: ,Bevor ich dieses Nebelland verlasse, wo Ketzer und Rebellen wohnen, bitte ich den Heiligen Vater um die Erlaubnis, drei Erzbistümer und fünfzehn Bistümer in den Niederlanden neu einrichten zu dürfen. Für drei Millionen Nieder lander gibt es nur vier Bischöfe, und diese stehen unter der Hut der Erzbischöfe von Reims und Köln, von Auslandern also, die allzunahe der Ketzerei wohnen, Nachbarn von Luther und Calvin. Kein Richter befolgt meine Ketzeredikte, die alten Plakate meines Vaters. ,Wir wollen unsere Landsleute nicht zu Tausenden verbrennen', sagen sie insgeheim zu ihren Vettern, von denen manche meine Spitzel sind. Ich erfahre alles und habe keine Macht, dem Übel zu steuern. Ich will gute Hirten einsetzen, treue Wachter des Glaubens, ich will viele Inquisitoren ernennen. Die Ernte ist reich, der Arbeiter sind wenige im Weinberg. Doch muss alles sehr geheim gehn. Denn das argwöhnische Gemüt der Niederlander wirft schon Blasen. Tags scheinen sie nüchtern, nachts sehn sie Gespenster. In diesen blonden Köpfen und schweren Körpern wohnt ein böses Geheimnis, halb Meerdunst, halb Ketzerei. Das sind Traumer voll Berechnung. Die Abte bangen um ihre Pfründen, die wir den neuen Bischöfen geben wollen. Der Adel zittert um seinen Einfluss; er fürchtet, die neuen Bischöfe würden im Staatsrat nach meinem Willen stimmen. Sie verbreiten den Larm, ich wolle den Niederlandern die spanische Inquisition auf zwingen. Und so verstockt ist dieses Volk, dass ihm Hirten wie Henker erscheinen! Sie bilden sich viel auf ihre müssigen Freiheiten ein und sind stolz auf den Boden, den sie dem Meer abrangen. Das Meer wird wiederkommen, wenn wir nicht ihre sündigen Seelen retten! Sie faseln von der Freiheit der Religion oder des Gewissens, wie sie es nennen. Wenn jeder Mann in seinem eigenen Hause glauben darf, was er will, so werden wir wieder Laren und Lemuren, Herd- und Hausgötter bekommen, das Land wird von tausend Sekten wimmeln und schliesslich alle Religion verachten. Das führt zum Atheismus. Es sind unser nur wenige in der Welt, welche sich um die Religion kümmern. Wir müssen also um so wachsamer sein und, wenn nötig, alles opfern. Das ist des Menschen Schuldigkeit. Yo el rey.' Philipp wartete lange auf die Antwort. Endlich schrieb Paul, vom Kriege satt und nach Reformen durstig, er billige diese weisen Massnahmen, und schickte die Bulle. Philipp schenkte den Niederlanden neue Hirten: Drei Erzbischöfe, fünfzehn Bischöfe, einhundertzweiundsechzig Inquisitoren, tausend Schergen, zehntausend Denunzianten, genug, um ein freies Volk zu knechten. Granvella ward Erzbischof. In seinem Park zu Vlissingen gab er dem König ein Gartenfest. Abseits vom Larm sass Mendoza, auf dem Sockel einer Diana, am Rand des ausgedehnten Gartens, und blickte auf die grellfarbigen Sanddünen. Hinter den Dünen war das Meer. Wenn die Floten schwiegen, hörte er den Prall der Wogen. Er roch den Atem des Meeres. In der Höhe sah er die glanzend weissen, dem Schaum des Meeres entstiegenen Sommerwolken. Zur Seite lag, zitternd im Licht, ein Birkenwaldchen, das die Sicht auf die hundert Schiffe im Hafen verstellte, ungeduldige Seepferde, die seit vierzehn Tagen vergeblich auf den König warteten. Der weise Nostradamus, nach andern der Narr Nostradamus, der die Natur duzte, hatte den König vor Schiffbruch im August gewarnt. Philipp und die Matrosen zitterten. Endlich gab der Weise nach, klüger als die Natur. Morgen sollte die Flotte die Anker lichten. „Noch verheisst der Himmel Unheil", drohte Nostradamus, „ich lese es in den Büchern der Natur; doch beschwor ich die Geister, das Unheil wird nicht des Königs Person treffen!" „Also wird der Schaden ersetzlich sein!" entschied Philipp. „Ich gab den Befehl, Nussbaume in meinem Garten zu Aranjuez zu pflanzen. Nach diesen Nussbaumen sehne ich mich." Auch Mendoza sehnte sich heim nach Spanien. Geduldig sass er in der Warme und zahlte die Wolken. Endlich kamen Egmont und Oranien. „Meine Freunde", sagte Mendoza mehrmals und umarmte sie" den Egmont zweimal. „Meine armen Freunde!" „Sie sind gerührt ?" fragte Egmont verlegen. '(Jch fürchte für euch. Euer unversöhnlicher Feind.. Reden Sie vom Tod?" fragte Egmont lachend. „Schützen uns nicht unsere Verdienste?" fragte Oranien. „Vor diesen Augen gilt kein Verdienst." ",Sie reden vom König?" fragte Egmont. "Musstet ihr ihn reizen?" antwortete Mendoza. „Er kann fürchterlich sein. Und Sie fürchten ihn nicht?" Egmont schwieg. Oranien deutete auf den Palast hinter ihn en und sagte: „Der Granvella hat weite Taschen. Palaste, Amter, Statuen, Gemalde, bald vielleicht Provinzen, er hebt und sammelt viel. Sahen Sie die beiden neuen Maler, die er dem König vorst elite, diesen Coello und den Antonio Moro? Granvella entdeckte sie, ein Mazen. Philipp entführt sie, ein Kenner. Manche lieben die Kunst und hassen die Menschen." „Hüten Sie sich!" bat Mendoza. „Wer diese Genter Petition unterschrieben, wird büssen." „Alter Freund, Sie sehen zu schwarz", erwiderte lachelnd Egmont und hatte unwillkürlich sein erstes Wort betont. Aber Oranien verbeugte sich vor Mendoza wie vor dem König. „Niemand geht fortan", erklarte er, „ungewarnt in die Schlingen dieses spanischen Vogelstellers." „Wir wollen lustige Vögel sein", verkündete Egmont, „und frech in den Tag hinein singen." „Arme Singvögel", sagte Mendoza. „Zu Siena sah ich, wie man sie briet, und speiste selbst davon." „Das Fleisch gewisser Vögel schmeckt bitter", antwortete Oranien. „Leben Sie wohl!" sagte Mendoza. Lange blickte er beiden nach. Da spürte er eine leichte Hand auf seinem Armel und lachelte. Anna stand neben ihm. „Liebste", sagte er. „Wer verliess dich!" fragte sie. „Freunde", erklarte er. „Ich sass hinter dieser Diana", gestand sie. „Du warntest Spaniens Feinde. Wenn ich es dem König sagte! Und was liegt dir an diesen Menschen? Es sind Fremde!" „Sie gefallen mir." „Der muntere Schlagetot? Der unzufriedene Brüter? Was für Interesse hast du?" „Ich liebe ohne Grund. Liebt man sonst?" „Du schwarmst", bemerkte tadelnd die siebzehnjahrige Nichte. „Wohin führt das?" „Und du?" fragte Mendoza und legte mit der Freiheit eines alten Onkels, aber mit der Empfindung eines verliebten Knaben seinen Arm um Annas Hüfte. „Wohin gehst du?" fragte er. „Siehst du das Ende?" „Ich bin siebzehn Jahre alt", antwortete Anna und ging mit dem Onkel unter den Baumen auf und ab. „Das Ende ist für alle gleich." Das sind Worte!" rief Mendoza. Anna blieb stehn und sah ihn gross an. „Ein Poet bist du und nimmst Worte leicht?" fragte sie. „Wenn ich das Leben dieser tatenreichen Manner anschaue, sehe ich nur einen Haufen Worte. Ich spreche von deinem Leben", rief Mendoza unge- du'l'dig. „Du liebst den König nicht und willst..." „Nicht aussprechen!" bat Anna. „Armer Onkel Mendoza! Was weisst du vom Leben?" „Du wirst kindisch, Anna! "über die lastigen Erwachsenen!" rief sie. „Immer haben sie recht. Wir Kinder sind ein Volk von weisen Zwergen, kennen keine Sorgen, neu ist die Welt, neu unser Genuss!" Mendoza setzte sich auf den Sockel Dianas und zog Anna auf seinen Schoss. „Du rühmst die Faulheit", sagte er, „wie ein Spanier!" Gefallen dir die Niederlander?" fragte Anna. „Vieriahrige Kinder verdienen hier ihr Brot in Fabnken. Was für ein emsiges Volk, im Schlaf noch zahlt es Traumdukat eni" Mendoza küsste Anna auf die Haare und den Hals. „Im Schweisse deines Angesichts...", begann er. Nichts von der Religion!" bat Anna mit komischer Angst, „die Baume haben Ohren; der Wind ist vielleicht ein Konfident der Inquisition; schon verbrennt man uns! Lieber Onkel, du redest zu frei. Eines Königs Geduld ist fadendünn." . , , „Wenn ich nicht denken darf und sagen, was ich denke, mag ich nicht leben! ,Es ist nicht die Zeit", sagte Anna. "ich kann nicht auf bessere Jahrhunderte warten. Und wer kennt ihre Fratzen?" Anna lachelte, und Mendoza küsste ihr Lacheln. Liebste Anna!" sagte er und war in diesem Augenblick mit dem Jahrhundert ein verstanden. „Keine Liebeserklarung!" bat Anna und glitt von ïhres Onkels Schoss. „Der König!" „Immer er!" murmelte Mendoza verdriesslich und erhob sich. „Nur er!" erwiderte Anna und ging mit dem König voran, durch eine Pappelallee, indes Granvella seine Schützlinge, die Maler Coello und Moro, dem Mendoza prasentierte. „Ich komme auf die Nachwelt", erklarte lachend der neue Erzbischof von Mecheln, „Coello und Moro malten mich, und einer von beiden wird bald berühmt sein. Talent haben beide. Aber zum Ruhm gehort auch Glück. Und Fortuna ist sparsam!" Philipp führte Anna in ein Rondell von Rosenbüschen. Als der König von Frankreich, nach der prokurativen Vermahlung seiner Tochter Elisabeth mit Philipp, einige Lanzen brach, um seine Lust zu zeigen, und ein bloder Gegner ihm oberhalb des Auges ein Holzstück seines abgebrochenen Lanzenschaftes in die Stirn trieb, worauf der König vom Pferde fiel und seine Chirurgen, um sich die Hand zu üben, fünf oder sechs Gefangenen oberhalb der Augen Holzsplitter in die Stirnen stiessen, danach die Köpfe der vivisezierten Opfer der Wissenschaft zerlegten und doch nichts lernten, hatte Philipp eilig seinen berühmten Chirurgen Vesalius und seinen Minister Eboli nach Paris gesandt, den Chirurgen, damit er den König behandle, und den Minister, dass er Einfluss auf den neuen König übe, damit Frankreich fortfahre, die Ketzer zu verbrennen und so teils Gott, teils der Politik Philipps zu dienen, der Frankreich durch innern Zwist und Religionsstreit schwachen wollte. Der Minister und der Chirurg langten an, und der kranke König Henri starb; zwei Tage danach verbrannte man in Paris einige Protestanten, aus Pietat gegen Henri, der kurz vor seinem Tod bereut hatte, zu wenig Ketzer verbrannt zu haben. „Zu kurz lebte ich", hatte bedauernd der sterbende Henri geklagt, „zu kurz!" Er hatte im Glauben gelebt, die Menschheit sei vollkommen und jede Neuerung sei ihr Verderb. Dem König Philipp, seinem Schwiegersohn, hatte er geschrieben: ,Wir zwei katholischen Könige können zusammen jede Neuerung ersticken!' Nun war er erstickt. Philipp, um solche Aussichten betrogen, wollte wenigstens die Eboli verführen. Philipp hatte schon viele Frauen gehabt, Anna schien ihm neu. Sie ist anders, dachte er, gemass der Liebesformel junger Leute. (Alte Leute suchen in der Liebe das Ahnliche.) Wie gewöhnlich ging Philipp unmittelbar von Komplimenten zu Staatsgeschaften. Philipp glaubte, in der Politik zu glanzen. „Morgen", sagte er, „segeln wir heim. In der Mitte Spaniens baue ich mir eine Hauptstadt. Die Luft soll sehr gesund sein in Madrid. Dort wollen wir die Welt regieren." Warum sagt er das nicht meinem Mann? fragte sich Anna. Philipp erklarte: „Sie sollen mich regieren sehn. Wenn ich könnte, Anna.. „Ihre Braut, Sire, ist bezaubernd, sagt man." „Ein Madchen von vierzehn Jahren", murmelte Philipp verlegen. „Dessen Portrat in des Königs Schlafzimmer hangt!" „Sie haben ein gewisses Lacheln, Anna, — so lachelte manchmal der grosse Karl." „Sie vermissen Ihren Vater, Sire?" „Die Welt ist leer ohne ihn." „Liebten Sie ihn, Sire?" „Ein Teil von mir", rief Philipp, „liegt zu Yuste. Karl stand mir im Weg. Da er tot ist, fehlt er mir überall." „Sie besitzen eine Welt, Sire!" „Wie klein ist die Welt", klagte Philipp. „Manchmal, im Traum, fürchte ich, den Arm zu strecken, um nicht ans Gehause der Welt mit dem Ellenbogen zu stossen. Was bleibt, wenn die wegsterben, die wir lieben? Die leere Welt. Anna, die Menschen sind böse." Anna lachelte spöttisch. Wandelnd waren sie zu einem Tempelchen gekommen und traten ein. Verborgen hinterm Efeu sassen sie auf einer kühlen Steinbank. Philipp zog einen Brief heraus und reichte ihn der Eboli. „Lernen Sie", bat er, „wie böse die Menschen sind." Anna las die Aufschrift: Dem Grafen Horn. Sie las die Unterschrift: Wilhelm von Oranien. „Ich zahle den Schreiber Horns", erklarte Philipp. Anna errötete. Sie kannte die Reihe der Masken Philipps. Erst spielte er den Politiker, den Theologen, den Weltfreund, den Menschenfeind, dann den Sentimentalen, dann den Einsamen. Zuletzt liess er die Masken fallen, und es erschien der Sinnliche. Wozu diente dieser Brief? Anna las: „Paris, den 21. Junius 1559, p. Chr. n. Lieber Horn, ich schreibe Ihnen und Egmont und Montigny ein Abenteuer, das ich mit dem König von Frankreich hatte. Da wir einen Hirschen jagen, und vor und hinter uns Tross und Meute klaffen, folgen der König und ich einer Schneise, verlieren den Hirsch, die Meute, den Tross und reiten im Wald bis zu einem Bach, neben Eichen, und steigen ab und ruhn im Gras und blieken zu den Wipfeln, und uns ist wohl. Wer kennte nicht das süsse Gefühl der Ruhe, tief im Wald, nach scharfem Ritt, die Pferde grasen in der Nahe, die Erde ist kühl unterm Moos. Da lachelte Henri und sagte, er geniesse es, die feinsten Köpfe der spanischen Reiche kennen zu lemen, den Alba, mich, die andern Geiseln, die er von Philipp erbat zur sichern Erfüllung aller Friedensklauseln von Cateau Cambresis. Er hoffe, sagte Henri, Paris gefallle uns. Er machte mir Komplimente, rühmte seiner Tochter Glück, statt des Infanten Carlos den König Philipp zu erlangen, er rühmte den Alba, was für em Kriegsheld und so weiter, so grad, so spanisch! Neulich (erzahlte Henri), da er dem Alba vorschlug, die untreue Stadt Genf samt dem Calvin in einem spanisch-französischen Kreuzzug auszurotten, — um denen, die wegen der Religion flüchteten, ihr bestes Asyl zu nehmen, da hatte der Alba freilich leider eine gewisse Enge der Auffassung kundgetan und kalt erwidert, es sei praktischer, die Fluchtlinge zu hindern, nach Genf zu gelangen. Was sagen Sie? fragte mich Henri. Nun, was sollte ich sagen? Weiss der Henri nicht, dass diese Spanier ihr Land mehr heben als Gott ? Und dass Alba die Rache der Schweizer furchtet, die ihm die Alpenpasse und damit den Weg von Mailand in die Niederlande schliessen könnten? Ja, dass Alba den Franzosen die unruhige Nahe der Sektiererstadt Genf gönnt? Ich schwieg und kaute meinen Grashalm. Da sprach Henri von den Sektierern in Frankreich, sie wuchsen ohne Mass; er schwor, er fühle sein Gewissen nicht eher ledig, als er nicht sein Land von jenem verfluchten Gewürm befreit hatte, er fürchte einen bürgerlichen Umsturz unterm Vorwand einer religiösen Reformation, schon seien viele Grosse, schon Prinzen von Geblüt angesteckt ; gleichwohl hoffe er, mit seines ,Sohns und Bruders' Philipp und mit Gottes Hilfe die Rebellen abzutun. Und nun begann er zynisch genau die Einzelheiten einer Verschwörung darzutun, die er mit Alba abgesprochen hatte, einer Verschwörung der Könige gegen ihre Völker. Henri und Philipp wollen den Protestantismus durch eine Ausrottung der Protestanten ausrotten. Nach einem fixen Plan wollen sie alle Ketzer, hoch oder niedrig, am gleichen Tag gemeinsam niedermetzeln, der Henri in Poitou, in der Gascogne, in Paris, und Philipp in Brüssel, in Antwerpen, in Amsterdam, wo ihm die spanischen Regimenter nützliche Dienste leistén sollen. Philipp hat fertige Listen, um unsre Bürger, um Unschuldige in Haufen zu verderben! Das alles erzahlt mir Henri lachelnd, und ich höre es, und schreie nicht vor Entsetzen, ja ich schweige, um mehr zu horen, um dem naiven Henri nicht zu verraten, dass ich, PhlllPPs Unterhandler, weniger weiss als Alba oder Granvella oder Eboli, die andern Unterhandler Philipps. Freunde, was fur Empfindungen! Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Ich sah die nackte Menschheit! So heiter sass der Henri neben mir im Wald von St. Vincennes, der Himmel schien so gnadig auf ihn herunter; rührte es ihm nicht das Herz. Den Jagdspiess in der Hand, plapperte er wie ein Madchen, wie ein Star alles Unheil aus, das die beiden infamen Tyrannen in ihren geistlichen Hexenküchen ausgekocht Dafür diesem Philipp den schönsten Frieden ausgehandelt dafür dem Vat er und ihm so brav gedient, dass er mich durch seinen Alba wie einen Buben verkauft, samt meinen Freunden, meinen Niederlanden! Nie solist du siegen, Tyrann, schwor ich mir und lachelte, wie ein Spiessgesel e von Mördern, und erwog: Wen jagt man? Hirsche, Hasen. Oder dich, Oranien! Dich, Egmont! Dich, Montigny! Dich, Hom, Dich! Der Henri ahnt nichts von spanischer Staatskunst. Ein Unterhandler Philipps gilt ihm gleich andern. Ich unterhandelte und ward verhandelt, Jager und Wild zugleich! Freunde — ich lachelte. Ich bin entschlossen, heimzukehren und unsere Niederlande von diesem spanischen Ungeziefer reinzufegen. Die spanischen Truppen müssen weg! Mit ihrer Hilfe will Philipp die Inquisition bei uns einrichten, arger als in Spanien! Wer ein Heiligenbild im Trunk schief ansehn wird, kommt auf den Scheiterhaufen! Ich bin ein Katholik wie Ihr, wie Philipp, wie alle guten Christen. Aber ich fühle Mitleid mit so viel tugendhaften Mannern und Frauen, die man niedermetzeln will, wegen nichts, wegen des puren Glaubens! Letzthin gab mir Philipp geheime Instruktionen für meine Statthaltereien zu Holland, Friesland, Utrecht, ich solle die Sekten ausrotten, die Edikte strengstens und so weiter, ja der königliche Denunziant nannte mir persönlich die Namen mancher ausgezeichneten Personen, welche der neuen Religion verdachtig seien und die ich hinrichten lassen sollte, schleunigst! Allmachtiger Himmel! Sie waren nur Verdachtige! Ich warnte diese alle, damit sie entflöhen, da es mir nötig schien, Gott mehr als den Menschen zu gehorchen!" „Und so weiter", sagte Philipp, der über Annas Schulter mitgelesen hatte und sie berührte und die sanfte Berührung genoss, in einer tiefen Freude, die ganz Lust, ganz Unschuld war, jenes ruhige Schweben der Lust, das in der Erinnerung die Schönheit der Liebe ausmacht. „Genug!" sagte Philipp. „Sind die Menschen also böse? Alles verdankt dieser Prinz meinem Vater. Sein Herz schweigt. Sagt ihm sein Verstand nicht, wo sein Nutzen liegt? Wer sind die Sektierer? Farber, Gerber, abtrünnige Mönche! Und ich bin der König von Spanien! Wen wahlt der Wilhelm? Arme Kreatur! Soll ich ihn mit Gewalt nach Spanien führen ? Den Prozess ihm und seinen Spiessgesellen machen ? Drei empfingen diesen Brief: Horn, Montigny, Egmont. Keiner von dreien kam zu mir, nicht Egmont, nicht Mon- König Philipp der Zweite. 12 tigny, nicht Horn! Sie alle sind bemerkt, beurteilt und gerichtet. Nur Geduld! O Verrat!" Wessen Verrat? fragte sich unwillkürlich Anna. Sie war zu jung, um befangen zu sein. Sie wusste noch nicht, dass der Verrater immer der andere ist. „Geduld!" schwor Philipp. „Ich koche meinen Zorn und diesen Wilhelm auf demselben Feuer. Ich will ihn würzen, schmalzen, garkochen und bei gutem Appetit verspeisen. Merken Sie sich, Anna! Nichts macht so lustig wie eine reife Rache." Anna fühlte eine gewisse Befremdung. Sie war die Blicke in die Herzen der andern Menschen nicht gewohnt. Sie las vielleicht ihre eigenen Gedanken und Empfindungen falsch. Sie war erst siebzehn, noch nicht stumpf, noch nicht erwachsen. So einer liebt mich? fragte sich Anna und zitterte. Bald fasste sie wieder Mut. Sie war aus kraftigem Stoff und wollte hoch hinaus. Philipp legte den Arm um ihre Hüfte, wie der gute Onkel Mendoza getan hatte. Die gleiche Gebarde hatte verschiedene Wirkung. Anna stand auf, atmete mühsam, stammelte: „Sire." Philipp sagte: „Anna." Aber sie verliess das Tempelchen. Philipp folgte ihr. „Ich habe kein Glück bei Frauen", sagte er. „Mein erstes Weib starb mit sechzehn Jahren im Kindbett. Meine zweite Frau, Marie von England, war krank und seltsam. Meine dritte Frau, Elisabeth Valois, ist ein Kind von vierzehn Jahren." Anna lachelte spöttisch. Philipp sah es, misstrauisch. Der König liebte keine Kritik. Dieses unzeitige Lacheln kostete die Eboli Jahre ihrer Laufbahn. „Es wird Abend", sagte Philipp. „Es wird kühl." DER SPITZEN KRAGEN Am andern Morgen brachten die Herren den König zum Hafen. Die Sonne schüttete ihre ganze Kraft aus. Das überschwappende Licht überschwemmte die Ebene und das Meer. Alles verspritzte Licht, alles blendete vor Licht. Der breite Hut des düstern Nostradamus, der vor der Schiffsbrücke stand, warf den einzigen Schatten. Auf dem Schiff des Königs warteten schon seine Gemalde, Teppiche, Tapeten, sein Paradebett, die goldenen Gerate, die ganzen Sammlungen von Karl und Philipp, samt fünfzehntausend lebenden Kapaunen, die man mit Körnern fütterte, um spater den König mit den Kapaunen zu füttern. Die Segel leuchteten. Die See war wie ein blauer Spiegel, der ganze Himmel lag darin. Die aberglaubischen Matrosen spuckten vor Nostradamus aus und sangen Marienlieder. Philipp stand im Sand und sah zurück, über Felder und Dörfer, Kirchtürme und Kanale, tief in die weite Ebene. Hinter sich wusste er das Meer, das mütterliche, das ihn endlich heimtrug. Philipp warf den letzten Bliek auf die Niederlande und die Niederlander. Vorne standen die Barone, hinten stand das Volk. Philipp sah zwischen lauter Feinden nur wenige Wachter, seine Schwester Margareta, den Erzbischof Granvella, die neuen Bischöfe, eine Kompanie seiner spanischen Soldaten, die er entschlossen war nicht fortzunehmen, er sah die neuernannten einhundertzweiundsechzig Inquisitoren, jeder Bischof durfte neun Inquisitoren ernennen. Philipp fasste Vertrauen vor seiner geistlichen Polizei. Er musste über diese niederlandischen Barone lacheln, die sich über die Inquisition beschwerten. Die Narren, dachte Philipp. Die Inquisition bin ich! Und diese Barone machten Schwierigkeiten, voran die Egmont, Montigny, Horn, Oranien. Sie missfallen mir, dachte Philipp zum hundertsten Mal. Sie sind höchst ausschweifend, Verschwender, Trinker, Spieier und verschuldet, im Zechen tapfer, schwach in der Religion, die ruhigen Tage verbringen sie mit Orgiën und mit Planen, neue Unruhe zu schaffen. Ob ich sie jemals zahme? Sogar ihre Frauen saufen. Da reden sie vom unruhigen Volk, das neue Sitten wünsche, das die alten Freiheiten liebe. Gelogen alles! Sie sind die Schuldigen! Ward darum die Neue Welt entdeckt, die antike Welt neugeboren, die Buchdruckerkunst er- funden, das Tribunal der Inquisition so prachtvoll ausgestaltet, dass Fischer, Weber, Saufer mir den Weg verstellen und mich hindern, endlich die streitmüde Welt zu einen, unter meiner Herrschaft, die Gott dient und das Gute fördert? Philipp sah die unzahligen Menschen und fühlte die Ohnmacht des machtigen Individuums vor dieser unfasslichen Menge der Menschheit, die man so leicht knechten, aber so schwer erziehen kann, die man dezimiert und die nachwachst. Seine Werke auf den Stoff der Menschheit gründen, heisst auf Sand, ja auf Wasser baun. War diese Menschheit nie zu greifen? Da löste sich aus der tausendgesichtigen, gesichtslosen Menge der Prinz Oranien, und Philipp sah ihn. Das Gesicht Oraniens wuchs ihm zur Fratze der halben Menschheit, zur Fratze Satans. Da war der böse Feind, der war schuld, solche waren schuld, solche mussten stürzen! Philipp fragte ihn mit heiserer Stimme, unvermittelt: „Planen Sie neue Ranke gegen Ihren Herrn? Maulwurfschliche gegen deinen König?" Und der König fasste wie schmeichelnd den weissen Spitzenkragen Wilhelms und bewegte ihn sehr sanft mit den Fingern, wie ein Verliebter mit einer Schleife seines Madchens tut. Wilhelm antwortete demütig: „Alles, was geschah, Sire, geschah nach der Natur der Dinge und durch die Staaten. Was vermag ein Einzelner? Die Staaten berieten, die Staaten beschlossen!" „Nicht die Staaten!" schrie Philipp und zerrte und riss am Kragen Wilhelms, als wollte er ihn abreissen oder den Prinzen am Kragen schütteln, wie einen Bedienten, doch hielt der schmachtige Wilhelm stand, unerschüttert, und an seiner starken Haltung ward das Toben des Königs kindisch, wie das Toben eines kleinen Jungen, der an einer Fichte zerrt, und nur ein paar Nadeln zittern. Philipp spürte die ganze Lacherlichkeit seiner wütenden Geste, seine Wut wuchs, starker riss und zerrte und schüttelte er den Spitzenkragen Wilhelms und zerknüllte ihn und schrie: „Nicht die Staaten, sondern du, du, du!" Oranien war sehr blass geworden. Fast grünlich leuchtete seine dunkle Haut, olivengrünlich. Wie traumend hob er langsam seine Hand, und ohne des Königs Hand zu berühren, machte er in der Luft eine wegwischende Bewegung, wie man eine Mücke fortscheucht. Sogleich liess der König den Spitzenkragen los und tat unwillkürlich einen Schritt zurück. Oranien verneigte sich, sehr höfisch, doch seitlich, am König vorbei, als ware er kurzsichtig und trafe die Richtung des zu Ehrenden nur ungefahr. Er kehrte dem König den Rücken, gegen die Sitte, und ging fort, den langen Hafenpier, die lange Hafenstrasse entlang. Philipp stand und sah ihm nach, dem ruhig fortschreitenden Wilhelm nach, er sah den Rücken und die Beine. Wilhelm ward kleiner und kleiner zwischen den Hausern, die emporwuchsen, und er ging und ging, als schritte er immer fort und entschwande nie, schon war er klein wie ein Hund, wie eine Katze, wie eine Fliege, und ging und schwand nicht. Und Philipp sah ihm nach. STURM Das Schiff knirschte in allen Fugen. Es schoss an den Wellenbergen und Wellentalern vorüber. Der Wind pfiff. Mendoza sass in Annas Kajüte. Beide waren blass und munter. „Was wollte Philipp?" fragte Anna. „Der König speit!" rief lachend Mendoza. „Er lag in Kleidern auf seinem Paradebett. Sire! rief ich. Pööh, machte der König und grunzte wie ein Kamel. Sire! rief ich. Sire! Pööh! machte der König von Spanien. Sein Gesicht war grün, sein Rock beschmutzt, sein Bett rollte, seine Hande waren feucht. Philipp roch schlecht. Sire! rief ich zum dritten Mal. Pöööh! machte der König von Spanien, König von Galicien, König von Leon, König von Kastilien, König von Navarra, König von Aragon, König von Neapel, König von Sizilien, König von Jerusalem, König von Ungarn, König von Dalmatien, König von Kroatien, König von Sardinien, König von Korsika, König von den Kanarischen Insein, König von Majorka, König von Minorka, König beider Indien und der Terra firma, Erzherzog von österreich, Herzog von Burgund, Herzog von Mailand, Herzog von Lothringen, Herzog von Brabant, Herzog von Limburg, Herzog von Luxemburg, Herzog von Geldern, Herzog von Calabrien, Herzog von Athen, Marquis von St. Empire, Marquis von Oristagni, Marquis de Gozzo, Graf von Barcelona, Graf von Roussillon, Graf von Cerdagne, Graf von Flandern, Graf von Artois, Graf vom Hennegau, Graf von Holland, Graf von Zeeland, Graf von Namur, Graf von Zutphen, Graf von Burgund, Graf von Habsburg, Graf von Tirol, Herr von Biscaya, Herr von Molina, Herr von Friesland, Herr von Mecheln, Herr von Utrecht, Herr von Overissel, Herr von Groningen. Er machte Pöööh." „Was sagst du?" fragte Anna. Der Wind pfiff so laut, dass Mendoza warten musste. Eine Sturzwoge ging übers Schiff. Die Luke stand im Wasser. Jetzt sah man wieder die Wolken. Das Schiff knarrte, als zerbrache es. „Gehn wir unter?" schrie Anna. „Noch nicht!" schrie Mendoza und lachte schallend. „Neben uns sind schon fünf Segler gesunken." „Wie spat ist es?" fragte Anna und versuchte tapfer, zu lacheln. „Es muss Mittag sein!" „Es ist schwarz wie bei Nacht", sagte Anna. „Wie lange dauert das?" „Bis der Wind sich dreht", antwortete Mendoza. „Was sagtest du vorhin?" fragte Anna. „Ich spottete über diese kleinen irdenen Götter. Wenn ein Wind weht und eine Woge stürzt, liegen sie auf dem Bauch und machen pöööhhh. Wie töricht ist die Eitelkeit der Menschen! Wie spreizt sich so ein König! Und auf dem Wasser macht er pööh." „Bei Sturm!" sagte Anna. „Freilich", antwortete Mendoza. „Wenn der Himmel blau ist, bin ich auch ein Held. Im Hafen spotte ich auch der Stürme." „Wir sind doch vor dem Hafen von Laredo!" rief Anna. „Wir sehen schon die spanische Küste, die Berge Spaniens, die ölbaume. Sollen wir Spanien sehn und untergehn?" „Ware es schade?" fragte Mendoza. Da kam eine Woge und schüttelte das Schiff und schleuderte Mendoza und seine liederliche Nichte in die Ecke. Stumm lagen sie da, eine kleine Weile. Endlich öffnete Mendoza die Augen. Es war finster. Er achzte. An seinen Seufzern merkte er, er lebe noch. Der Raum war verrutscht, die Erde lag schief, vielmehr, er wusste nicht, wo unten und wo oben war. Wo der Kopfist, dachte er, ist oben. Aber seine Beine lagen höher. Er wollte aufstehen, gehen, „ich muss zur Kajüte heraus", sagte er laut, aber die Tür war nicht zu öffnen, er rutschte und sass auf der Tür, er hielt sich mit der rechten Hand an einer Hangematte und öffnete mit aller Kraft die Tür, und stieg heraus. Da sah er, das Schiff stand schief. Er merkte, gleich würde es untergehen. „Verloren", sagte er laut; ich, ein Soldat, ertrinke. Schwimmen, dachte er und hörte die Matrosen schrein. Da fiel ihm ein, auch König Philipp war auf dem Schiff, auch Philipp ertrank jetzt, also ersauft die Welt, pah, ein Kerl wie ich ersauft, ob Philipp schlottert? Warum steht das Schiff schief? Die Ladung, fiel ihm ein, die Schatze des Kaisers und des Königs, das rutschte, wir sinken, dachte er, sinken, sinken. Ihm fiel Egmont ein, das Gartenfest, ich warnte ihn, mich warnte keiner, Egmont lacht jetzt, mich fressen die Fische, er lacht! Da fiel ihm Anna ein, und da packte ihn der schrecklichste Schmerz, nicht ihretwegen, sondern seinetwegen. Ich will leben, leben! dachte er, und auf dem Trockenen sterben, im Stroh und zwischen Lausen, doch trocken, trocken. Und schon war er umgekehrt, Anna zu retten. Und endlich fand er die Sprache wieder, er schrie: „Anna! Anna!" Und seine Stimme war ihm so fremd, dass er sich umsah, wer schrie. Ihn schauderte. Ist Anna tot? dachte er und stiess mit dem Fuss an ein Weiches und hörte ein Wimmern und schrie: „Anna!" und fasste nach ihr, sie wimmerte, er schleifte sie, trug sie auf Deck, an die Reeling, er stiess an Matrosen, an Höflinge, an Hunde, an flatternde Kapaunen, er sah ein Boot, er stiess zwei, drei Menschen mit den Fausten, es war fast dunkel, der Wind schrie (oder schrie der Kapitan?), er sass im Boot, Anna auf dem Schosse. Der Wind schrie. Der Regen schlug. Das Schiff sank langsam mit der Spitze voran, plötzlich tauchte es wie eine Ente und war verschwunden. Das Wasser schaumte und gurgelte. Bald darauf liess der Sturm nach und das Boot stiess ans Ufer. Spater kam ein zweites Boot. Auch auf diesem fehlte der König. DER SCHIFFBRÜCHIGE Philipp stand auf einer Klippe und starrte aufs Meer. Nahebei bargen der Lotse und sein Knecht ihr Boot. Der Knecht murmelte: „Was glotzt der? Soll lieber helfen!" „Halt's Maul!" sagte der Lotse. „Morgen kaufe ich mir ein Haus. Ich habe ihn gerettet!" „Und ich?" fragte der Knecht. „He!" schrie Philipp. „Lotse! Siehst du sie?" „Herr!" schrie der Lotse. „Die sieht keiner mehr!" „Sind alle ertrunken?" schrie Philipp. Er stand im Regen und fror. Seine seidenen Hosen, seine schwarzen Kniestrümpfe, sein weisses Hemd klebten an ihm. Er war ohne Rock, ohne Hut, ohne Mantel, ohne Degen, um den Hals trug er das goldene Vlies. Da er in seiner Kajüte seekrank lag, hatten ihn alle plötzlich allein gelassen, allein mit seinem Entsetzen. Er hörte Schreie, das Gebrüll der Wogen, er war nicht mehr seekrank, er raffte sich auf, am Deck traten ihn Höflinge, der Sturm schleuderte ihn an den Mast, jemand fasste ihn um den Leib, er lag in einem Boot, zu dritt sassen sie darin, schon war das Schiff weit, die beiden andern im Boot ruderten, „wer seid ihr?" schrie Philipp. Da sahen sie das Schifï sinken und schwinden. Das Boot schwankte himmelauf, abgrundtief, und Philipp zitterte mit ihm. „Zu früh!" schrie er, „zu früh!" Zwischendurch gefielen ihm der sausende Sturm und der regenschwarze Himmel mit den wechselnden Lichtstreifen und der ohrenfüllende Larm der Wogen und die ungeheure Leichtigkeit der turmhohen, tonnenschweren Gewasser, die wie Federballe stiegen und stürzten. Ein brausendes Gefühl des Lebens betaubte die taumelige Angst. Lebenssicher stand er nun auf der Klippe, der König der halben Welt, triefend im Regen, mit frostklappernden Zahnen, und schüttelte am Ufer des lautaufbrüllenden Meeres die erhabene Faust und drohte auf dem felsigen Trockenen dem aufgeregten Feuchten und schrie zu Gewölken und Gewassern: „Verschlagener Feind! Bist du ein Sohn des Todes, der gleichfalls sein schmutzig Handwerk ohne Wahl treibt ? Einen König wolltest du ertranken und ersauftest nur vierzehntausend flatternde Kapaunen (den Rest verspeisten ich und meine Diener). Ach, und so viele Kammerer, so viele Pagen verschlangst du — und Anna! Dich liebte ich, Anna. Und erschienest du mir, im triefenden Gewand der Ertrunkenen, Seetang im Haar, ich öffnete meine Arme. Wanke ich einst als Greis am Stabe, zu Boden blickend, als suchte ich mein vertanes Leben in der Erde, wird mein Stöhnen dir gelten, ungenossene Geliebte! Hörst du mich? Solang ich rede, schlaft noch mein Schmerz mit verhülltem Antlitz." Der König schwankte, als sollte er von der Klippe ins Meer stürzen. Da setzte er sich nieder; er hielt den Schmerz nicht mehr aus. Im Gesicht fühlte er salziges Nass: Meersalz ? Salz der Tranen ? „Der Regen", sagte Philipp, „der Regen ist es, Anna." Plötzlich schluchzte er laut wie ein Kind. Ist das der Schmerz? dachte er. Aber ihm war schon wohler. Er seufzte: „Anna!" und der Klang seiner Stimme beruhigte ihn wie eines Bruders Stimme. Tut Wehtun nicht langer weh ? fragte er sich zweifelnd und empfand eine namenlose Leere. War sie der eigentliche Schmerz? Philipp vergass sich und starrte lange auf die schmutzig weissen Wogen. Sein Schmerz ward gestillt. Er dankte Gott für seine Rettung und betete ein Vaterunser für die Seelen der Ertrunkenen. Die vertrauten magischen Worte taten ihm wohl. Eine süsse Resignation erfüllte ihn. Unmerklich gingen seine Gedanken die gewohnten Strassen. Er walzte seine grossen Plane, den Traum vom Weltreich. Er bedachte seine Jahre. Er übersah seinen Weg. Welche Armee von Enttauschungen! Wie reiche Opfer! Wie arme Siege! Seit fünf Jahren trug er die Krone, erst König von England, danach König von Spanien. Schiffbrüchig bin ich, dachte der König der halben Welt, ein junger Mann von zweiunddreissig Jahren. Zweimal schiffbrüchig! In England wollte er aus eigener Kraft ein Reich erobern. Er setzte seine Person ein. Er marktete mit der Liebe. Er schlief im Bette der Wassersucht und zeugte zum Erben den Tod. Arme Marie Tudor, sie starb, und sein Traum zerrann wie Wasser. Mit dem Vater führte er den andern Krieg, den Krieg um die Grosse der Könige. In England sollte der Sieger ,ein Mann namens Philipp' sein. Im Reich des Kaisers sollte ,der Erbe' siegen. Zum zweiten Male begann er den rasenden Wettlauf mit der Zeit. Sein Vater war ein grosser Mann, Philipp wollte die ganze Erde gewinnen. Er wollte die Menschen einen, die Seelen retten. Philipp gewann Schlachten, schlug den Papst, entriss Frankreich Provmzen, siegte, siegte, rannte, rannte, zappelte, taumelte und blieb weit dahinten, tief in der Tiefe, im Schatten des grossen Karl. Endlich starb der Kaiser und machte Platz. Und Philipp lebte. Er lebte, entronnen zwei Schiffbrüchen und nun der Wasserwüste. Zu viel, dachte Philipp. Ich wollte zuviel. Erst rang ich nackt. Danach hüllte ich mich in den Mantel meines Vaters. Nun will ich die dritte Probe ablegen. Erst kampfte ich wie Prometheus gegen die Ketten der Menschheit. Dann flog ich wie Ikarus auf des Vaters Flügeln zur Sonne. Nun will ich auf der Erde leben. Ein gelassener Sohn der Zeit, will ich meinen Garten hüten, meinem Gott dienen, mit den Brüdern das Brot Gottes teilen. Ich und die Zeit, wir wollen zuletzt ernten. Also wird es mir in meinen hohen Tagen gelingen. Gott ist für mich! Was kann mir f ehlen ? . Da er seine Rechnung abgeschlossen hatte, stieg Komg Philipp von der Klippe herunter. Da standen schon Reiter aus Laredo, der Bürgermeister, der Alguazil, der Corregidor, Grafen und Ritter. Sie knieten im Sand. Sie reichten ihm einen Mantel, einen Hut, einen Degen. Er stieg auf ein Pferd und ritt davon. Schon lagen Meer und Klippe, Reflexion und Demut hinter ihm wie Tagtraume. Der dumme Lotse und sein Knecht liefen im Sande hinterdrein und keuchten und riefen: „Herr! Und vergiss unser nicht!" Da hielt einer der Reiter und sagte zum Lotsen und seinem Knecht: „Kommt in die Stadt. Da erhaltet ihr beide euren Lohn!" Der Lotse umarmte seinen Knecht. „Ich werde Hofmann!" schrie er. „Ich kaufe mir eine Wiese und züchte Stiere!" erklarte der Knecht. „So packte ich ihn, so schmiss ich ihn ins Boot!" „Wie sprichst du von der Majestat?" fragte der Lotse. „Auch Schafe will ich züchten!" rief der Knecht. Da standen vier Manner vor ihnen, in schwarzen Manteln und mit Waffen. „Was wollen die?" murmelte der Knecht, da sie schon zwischen den Vermummten zur Stadt gingen. Der Lotse begann zu lachen. Da erst erschrak der Knecht wirklich. „Herr", keuchte er, „warum lachst du?" „Über uns!" schrie der Lotse. „Wir müssen bald im Feuer brennen, weil wir den König nicht Meerwasser trinken Hessen. Die Inquisition..." „O Gott!" schrie der Knecht in Wind und Regen hinein. Sie gingen unter dem finsteren Himmel. Da sie durchs Stadttor kamen, sagte der Lotse: „Ich verstehe den Philipp. Der schamt sich, dass Leute wie du und ich sein feines Leben retten konnten." „Schweig, Herr!" „Warum? Auf der Folter lassen sie uns schon reden. Und im Feuer lassen sie uns schrein!" „Du redest uns in den Tod, Herr." „Wir sind schon tot." „Wenn der Regen aufhört", sagte der Knecht, „und es ist wieder ein Tag und die Sonne scheint, vielleicht begnadigt er uns, und wir kommen nur auf die Galeeren. Da standen sie schon vor dem Haus der Inquisition, mitten in Laredo. „Wie die Leute schaun!" sagte der Knecht. „Die bekreuzen sich vor uns! Sind wir Heiden? „LiebeYeute", schrie der Lotse hallend über den Platz. „Lasst euch warnen! Keiner rette den König!" Da stiessen die Vermummten sie ins Haus. In der Nacht wachte Philipp auf. Er sah schon Gespenster, alle die Ertrunkenen: Anna, ihren Onkel Mendoza, die Kammerlinge, die Pagen. Philipp hörte einen dumpfen Larm. Das war sein Herz, das schlug. Er öffnete aber seine Arme nicht vor Anna. Er stöhnte: „Wache!" Die Wache stand aber schon da . Anna kniete nieder. Sie flüsterte: „Wir leben. Wir sind gerettet. Und leben, Sire!" Auf den Knien rutschte sie naher zum Bett des Königs und flüsterte: „Philipp!" Ihm war unheimlich. Schon so viele Stunden hatte er geglaubt, Anna sei tot. Auf der Klippe hatte er schon die Totenklage urn sie gehalten und geweint urn sie, er hatte sie schon von den Lebenden abgeschieden. Ihm war sie ertrunken im toten Meer, im Meer des Todes. Da kam sie wieder, ein Gespenst, das mit Fleisch und Blut prahlte und vorgab, zu leben. Ihn schauderte. Mit ihr zu buhlen, erschien ihm nun als Todsünde. Er spürte die verbotene Lockung. Ihn grauste vor der Buhlschaft mit emer Toten. Der Atem hob ihre Brüste, ihr Busen zog ihn fast unwiderstehlich an, er wollte den Arm schon ausstrecken. Da glaubte er, den welken Duft von Grabblumen zu nechen und die Süsse nie genossener Früchte zu schmecken. Da winkte er ihnen mit dem Finger zur Türe, sie sollten alle fortgehn. Alle gingen, der Onkel Mendoza, die Kammerer, die Pagen die Wachen. Nur Anna kniete noch, als galte der Wink nicht auch ihr. Da deutete Philipp wieder zur Tur. Anna fiel auf die Hande, raffte sich auf und floh in nacktem Entsetzen aus dem Schlafzimmer des Königs von Spamen. Viertes Buch DON CARLOS UND DON JUAN DIE OHRFEIGE Im Vorzimmer musste Carlos warten. Hurtig hinkend ging er die Wande entlang, wie ein Rauber, der Dekkung nimmt. Unvermutet stand er still und blickte mit seinen traurigen Augen auf einen Höfling oder Bittsteller, als hatte er ihresgleichen nie gesehn. Mit einer vertrackten, rührenden Gebarde hob er seine dünnen Hande und liess sie sinken, schmerzlich lachelnd wie über eine neue Enttauschung. Unvermutet nahm er seinen beunruhigenden Marsch wieder auf. Vom Herzog AIba bis zum letzten Türsteher schien keiner sein sonderbares Benehmen zu bemerken; indes spahte jeder verstohlen in den Mienen des Infanten, als suchte er dort das Geheimnis des Tages zu entziffern. Der ganze Hof zu Madrid litt vor Neugier. Seit vielen Stunden sass der Grossinquisitor, der greise, fürchterliche Valdes, allein mit König Philipp im verschlossenen Kabinett. Die meisten Minister und Sekretare standen im Vorzimmer; jeder tat, als sei er im Geheimnis; jeder vermutete ein anderes Geschaft. Philipp glaubte an die Macht des Geheimen. Nur stückweise teilte er den Ministern seine Geschafte mit. Aus dem Geheimnis machte er sich seine Maske, sie ward sein Wesen. Zwischen den Mauern seiner Sorgen versass er seine Tage im Kabinett, am Ufer eines Meers von Akten, regierend mit dem geschriebenen Wort, ein König und ein Schreiber. Bei Hofe gab es, wie stets, zwei Parteien. Nach der Meinung Albas ging das Gesprach des Königs um das Schicksal der Niederlande. Der Staatsrat zu Brüssel, der eine Revolution fürchtete, hatte den Grafen Egmont nach Madrid gesandt, um Milderungen der Glaubensgerichte zu erlangen. . Eboli indes erzahlte zum zehnten Mal dem kaiserlichen Gesandten, einem Baron von Dietrichstein, die offizielle Geschichte des Prozesses Carranza. Demütig lauschten die Geheimsekretare des Königs, Antonio Perez und Escovedo. Eboli behauptete kühn, der Heilige Vater habe auf des Königs Wunsch die drei Kardinale nach Madrid entsandt, als Richter im Prozess Carranza. Seit sechs Jahren sass der gelehrte, fromme Carranza in einem lichtlosen Loch zu Valladolid, im Gefangnis der Inquisition. Vor sechs Jahren, als König Philipp von den Niederlanden nach Spanien segelte, hatte Valdes um Mitternacht durch seine Familiare den Carranza aus seinem Bett im erzbischöflichen Palaste zu Toledo reissen, auf einen Karren werf en und nach Valladolid schleifen lassen. Seitdem folterte der Grossinquisitor den Erzbischof wegen Feinheiten der christlichen Lehre. Er hiess gewisse Wendungen im Katechismus Carranzas ketzerisch. Er warf dem Carranza vor, er glaube nicht ans Fegefeuer. Valdes inquirierte unermüdlich, folterte alle Zeugen, die nicht gegen Carranza aussagten, hielt ihn so abgesperrt, dass vierhundert Hauser in einer Nacht verbrannten und Carranza erst sieben Jahre spater es erfuhr; die Stadt Valladolid brannte, Carranza sass im Dunkeln. Valdes folterte die Freunde Carranzas, haufte in tausend Faszikeln die Protokolle zu Bergen von Papier und liess den Feind nicht los. Spaniens Klerus beteuerte Carranzas Unschuld; die Vater auf dem Kirchenkonzil zu Trient weigerten den Empfang der Briefe und Gesandten Philipps, ehe Carranza nicht wieder frei auf seinem Stuhle zu Toledo sasse; der Papst legte den Katechismus Carranzas der Indexkongregation vor, die einstimmig erklarte, er sei der Kirche nützlich; der Papst befahl, auf seine Kosten den Katechismus Carranzas zu Rom zu drucken, und schickte nach Spanien ein Breve, worin er Carranzas Befreiung forderte; Philipp verbot, das Breve zu ver- öffentlichen, und machte so den Papst für Spanien stumm ; der Papst forderte sein Recht, den Prozess in Rom zu führen; und als Philipp ein neues Breve einfach für gefalscht erklarte, drohte der Heilige Vater, ihn zu exkommunizieren. Das wollte Philipp nicht. Er lenkte ein. Der Heilige Vater sandte die drei Kardinale. Als Valdes von ihrer Ankunft erfuhr, ging er in die dunkle Zelle Carranzas, mit zwei Mönchen, die Fackeln trugen. Carranza, über sechzig schon, mit weissen Haaren, weissem Bart, sass auf den Steinen, angekettet. Valdes, dürr, greis, betrachtete ihn lange, den Kopf schüttelnd. Endlich sagte er: „Was noch, Carranza? Worauf wartest du, Bruder?" Da ihn Carranza schweigend anblickte, trat der Greis naher und stiess ihn mit dem Fuss sanft in die Seite. „He, Carranza!" sagte er. „Du machst grossen Larm, Bruder. Umsonst! Der Heilige Vater ist fern. Bruder! Willst du nicht bald brennen ? Gestehe: Du liebst die Folter nicht ? Was hoffst du, armer Narr? Gerechtigkeit ? Ich bin die Gerechtigkeit. Gnade? Ich bin die Gnade. Den Tod? Ich bin der Tod!" Carranza schwieg, reglos in seinen Ketten wie ein Toter. Valdes nahm einem Mönch die Fackel fort und leuchtete dem Erzbischof ins Gesicht, als wollte er ihm die Nase anzünden. Die Wimpern Carranzas knisterten. Valdes starrte auf Carranzas Gesicht, bis ihm das Bild seines Hasses verschwamm. Ohne eine gewisse Distanz ist es schwer, das arme Geschöpf, das der Mensch ist, zu hassen. Unzufrieden verliess Valdes die Zelle. Carranza blieb allein. In der Ecke sass der Tod. Seit sechs Jahren sass der Tod in der Ecke und schaute ihn an. Carranza sah ihn. Der Tod hielt die Arme offen. ,Komm', sagte er, ,komm endlich!' ,Es ist zu früh!' antwortete Carranza. ,Was hoffst du?' fragte der Tod. ,Mein Recht!' antwortete Carranza. Der Tod sah ihn an. Im Zorn ging Valdes zum König. An der Tafel Ebolis hatte der Jesuitenpater Tablaris geaussert: ,Ob Carranza ein Ketzer ist, wird man sehn. Dass ihn der Neid verfolgt, sieht man!' Valdes war entschlossen, den König König Philipp der Zweite. 13 zum hundertsten Male um die Erlaubnis zu bitten, den ganzen Ketzer-Orden der Jesuiten zu verbieten. Nun sass er im Kabinett des Königs. Schon wieder war Carlos stehngeblieben, vor einem graubartigen, glatzköpfigen, klugaugigen Mann, der in armseliger Kleidung neben den niedern Bittstellern stand. Mit dem Zeigefinger berührte er ihn. „Kenne ich Sie. fragte er. Der Alte schüttelte lachelnd den Kopf und sagte. „i-s ware ein Wunder, Hoheit. Ich heisse Simon Renard." Warum Wunder?" fragte der Infant strenge. "Weil ich im Elend bin", antwortete Renard. Der Infant war schon weiter gegangen. Hastig zog er den Fuss nach, blieb vor einem Fenster stehn, sah in den Hof, trommelte mit den Fingern an die Scheibe und drehte sich brüsk um, als aus dem Kabinett Stimmen drangen. Man unterschied des Königs Stimme. Da ward es im Vorzimmer still. Eine qualende Neugier stand auf den Gesichtern der Höflinge. Carlos, schon wieder vor dem armseligen Alten, fragte: „Kenne ich Sie? Renard lachelte heiter. Gut" antwortete Carlos, „wer zahlt Sie? Sind Sie auch so ein Spitzel meines Vaters?" Und mit einer umfassenden Gebarde bezeichnete der Erbe Spaniens die Höflinge. Ich, Hoheit, war zu London der Gesandte des Kaïsers Karl!" entgegnete gekrankt der Alte. Kanntest du den Kaiser in seiner Jugend? fragte Carlos und lispelte vor Eifer. „Glich er mir wirklich? Er war ein grosser Mann, nicht wie gewisse Andere nur in ihrer Einbildung!" Und Don Carlos deutete nachlassig höhnisch aufs Kabinett seines Vaters. Im selben Augenblick drang durch die verschlossene Tür ein kurioser Laut, am nachsten dem Geplarr emes kleinen Kindes. Der Wartenden bemachtigte sich eine sonderbare Unruhe, zwischen Furcht und Neugier. Carlos schritt heftig hinkend zur Tür. Angesichts des ganzen Hofstaats des Königs Philipp bückte sich der Erbe Spaniens vor das Schlüsselloch, um seinen Vater auszuspahn. Inmitten des Vorsaals sagte Alba halblaut deutlich zum Erzbischof Espinosa: „Die Schande!" Eboli, der seit einem Jahre, neben seinen andern zahlreichen Amtern bei der Person des Königs, auch das Amt eines Hofmeisters des Infanten bekleidete, trat mit einer Art verlegener Entschlossenheit zu ihm, vor gut gemimter Peinlichkeit trippelnd. Schon im voraus spielte er die Rolle eines Opfers aus Pflichtgefühl. Schliesslich bückte er sich mit der leichtsinnigen Gravitat eines Prinzenerziehers zum Ohr des Infanten und flüsterte allen vernehmlich: „Ich bitte, Hoheit, ich bitte sehr. Wenn Se. Majestat die Türe öffnete!" Langsam richtete Don Carlos sich auf, langsam hob er seine Hande und sah sie an, mit einem eigentümlich genierten Ausdruck. Plötzlich klatschte seine Hand im Gesicht Ebolis. Der Minister hatte seine Hande zum Schutz zu spat gehoben. Seine rechte Backe flammte. Er sagte, plötzlich heiser: „Das verdiente ich nicht." „Ich habe auch andere Münze", erklarte mit seiner feinen Stimme der zwanzigjahrige Erbe der halben Welt und holte eine Handvoll Dukaten aus seinem Beutel. „Schmerzensgeld", erlauterte er, munter lachend. Eboli wich einen Schritt zurück und presste sich an die unheilvolle Tür. Er stammelte: „Nur der König kann meine Ehre wiederherstellen. Und tilgen seines Sohnes Schande!" „Schande!" wiederholte Alba. Galt der Tadel dem Schlager, dem Geschlagenen ? „Was sagte ich", rief Carlos und wandte sich zu Renard, „lauter Angeber meines Vaters!" Da öffnete sich die Tür und der zweiundachtzigjahrige Grossinquisitor Valdes stiess an Eboli. Er taumelte wie blind durch den Vorsaal, achzte, fiel um, lag reglos. Einige Pagen in der Nahe sprangen fort. Im Fall hatte sich die Kutte des Greises verschoben. Seine unbehaarten Beine, dünn wie Kinderschenkel, und der hagre Leib sahen so erbarmungswürdig aus, so aller Macht und Furcht ent- blösst und wiederum so fern dem gemeinen Leben, dass alle in einem scheuen Kreise standen; nur Alba und Renard traten naher. Gleichzeitig langten beide vor dem erloschenen Leibe an. Alba strich seinen spitzen Bart. „Tot?" fragte mit gepresster Stimme der Erzbischof Espinosa. „Ein Kadaver", erklarte Alba. Indes kniete Renard nieder und gab dem Greis einen respektlosen Nasenstüber. Da nieste der .Kadaver', hob das eingetrocknete Köpfchen und schrie mit quakender Stimme: „Ich bin nicht tot!" Mit Renards Hilfe stand er auf und musterte alle. In seinen Augen sahen sie den blanken Hass. Seit zwanzig Jahren kontrollierte dieser Greis die Meinung aller Spanier. Er nahm den Reichen ihr Vermogen und teilte es mit dem König. Er verbrannte alle, die einen Gedanken ausserten. Er verbrannte vierundzwanzighundert Christen bei lebendigem Leib, begrub zwölftausend Christen im Kerker, verbrannte die Bilder von zwölfhundert entronnenen Christen, ein Christ im Namen Christi. Dieser Greis, das Haupt von Philipps Geheimpolizei, die Puppe Philipps, hatte Erzbischöfe verfolgt, Poeten gefoltert, Heilige verurteilt, Millionare ausgepresst, Nonnen visitiert, Theologen angekettet und, ausser seinem, alle Orden gedemütigt. Er war der Schrecken aller Auslander in Spanien, die Wünschelrute Philipps und die Zuchtrute des Herrn. Noch einmal schien der Greis am Anblick der Zitternden sein Herz weiden zu wollen. Plötzlich spuckte er vor ihnen allen aus, mitten auf den Brabant er Teppich, und murmelte im Fortgehn mehrmals vernehmlich: „Ich bin nicht tot!" Kaum war er am Ausgang, rief schon ein Page schallend: „Der Kardinal Espinosa!" Da drehte sich der greise Valdes um. Er sah dem Kardinal, der seine neue Würde erst durch des Pagen Ruf erfuhr, ins Gesicht und grinste, es sah abscheulich aus. Wie gebannt starrte Espinosa seinen alten Gönner an, der ihn vor ein paar Jahren zu Hof gebracht. Damals war er der Diener des Valdes, jetzt schon sein Erbe. „Du bist es!" sagte Valdes und ging. Eboli war der erste, dem neuen Kardinal zu gratulieren. Hochmütig lachelte Espinosa. Philipp sass zwischen seinen Papieren. „Sahen Sie", fragte er, „den abgesetzten Grossinquisitor?" Wie Osterglocken hallten diese Worte in Espinosas Ohren. Darum Geschrei und Ohnmacht: Valdes war abgesetzt. Und er war der Nachfolger. Welcher Triumph! Philipp erklarte: „Ich dulde viele Fehler meiner Diener. Ich bin auf Menschen angewiesen. Ich kann sie nicht selber machen, leider! Sie, mein Espinosa, sind mit dreiundsechzig Jahren im besten Alter. Der Eboli will mir seine Jünglinge aufschwatzen, den Antonio Perez, den Escovedo, andere. Ich mag sie nicht. Junge Menschen nehmen zuweilen so sonderbare Entwicklungen. Ich hasse die Sprünge der Natur. Die alten Manner sind schön fertig. Als Greis will ich im Himmel einst mit Greisen die Ewigkeit verplaudern. Seit mein Vater starb, sammle ich Vater. Auch Valdes hat Verdienste. Er sauberte Spanien von Protestanten. Nur vergass er, dass er meinen Planen dient, mein Werkzeug! Jeder ist ersetzlich!' sagte Valdes oft und vergass — sich. Seit sechs Jahren führt er den Prozess Carranza. Heut erst erfuhr ich, dass Valdes mich sechs Jahre lang belog. Ich hatte ihm verboten, den Carranza zu verhaften. Ich hatte dem Carranza Schutz versprochen, falls er nicht den Heiligen Vater um Schutz vor mir bat. Da ich nun von den Niederlanden heimkam, gesteht mir Valdes, er habe den Carranza verhaftet. ,Ich versprach dem Carranza Sicherheit', sagte ich. ,Die hat er nun', antwortet Valdes und schwört, Carranza habe mit dem Papst verhandelt und nach Rom entfliehen wollen. Nun, da die Kardinale, die Richter aus Rom, dem Valdes zürnen,' weil er wie zum Hohn ihnen statt der Akten tausend unnütze Dokumente übergab, nun erzahlen sie mir, dass Valdes mich belog. Nie hat Carranza dem Papst geschrieben! Ja, die Kardinale erklaren, der Valdes wolle den Carranza im Kerker vergiften; sie fordern, dass ich den Carranza in ein sicheres Gefangnis überführe. Wieviel Fehler dieses Valdes! Der Dummkopf verstand nicht, recht zu behalten. Und Carranza lebt, und seine Freunde sind zahlreich und sagen zu mir: Unser Freund ist unschuldig. Er schreit wie unser Herr auf dem Berge! Er liegt gefesselt neben seinem Kot und achzt: ,0 meine Würde! Meine verlorene Menschenwürde!' Ich war gerührt. Espinosa lachelte fein. Er sagte langsam: „Wir sind alle Christen. Das Mitleid ist unser bestes Teil. Ist es ratsam, einem Gestürzten neue Macht zu geben? Es geht urn die Autoritat des Heiligen Amts. Die Institution gilt mehr als ein Einzelner." Er tut mir leid", erklarte Philipp und stütztesein Kinn in "die Hand. „Ich hatte ihn recht gern. Nach der Folter soll er ausgerufen haben: ,0 falscher Philipp! König aller Vipern!' So berichtete Valdes. Freilich, der gute Valdes ... Da ich ihm eben das Kloster nenne, in dem er seinen Abend verbringen darf, verwirrt ihn Gott, er plarrt wie ein kleines Kind, kniet, bettelt: ,Sire! Lassen Sie mich noch ein wenig Gold sammeln, lassen Sie mich meine Rache enden!' Und da ich ,nein' sage, bettelt er: ,Nur ein Jahr, einen Mond lang, drei Tage noch!' Und da ich ,genug' sage, schreit er sinnlos laut: ,Mem Gold! Meine Rache!' und stürzt fort. Er hat vertan. Aber Carranza? Freilich ware es politisch klug, ihn festzuhalten. Wir wollen mehr als klug, wir wollen gerecht sein. Sie studierten den Prozess. Ist er ein Ketzer? Espinosa sah seinen König an. Sündigen kann jeder kleine Schuit. Aber mit reinem Gewissen sündigen? Das ist die Kunst. Dafür bezahlt man meinesgleichen. Oder stellt mir Philipp eine Falie? Prüft er mich? Bedeutet dieser ganze Prozess Carranza-Valdes nur ein Muster für einen grosseren Fall? Geht es vielleicht ... um wen? Espmosa, warte! Sei klug! . T_ Wie ist es?" fragte der König. „Ist Carranza ein Ketzer. Können wir ihn an Rom ausliefern, ohne unsere Schande fürchten zu mussen? Wird man ihn zu Rom freisprechen ?" Espinosa erwiderte: „Ob Carranza ein Ketzer ist? Er ist unbequem! Ein Ketzer? Er ist sehr berühmt als Theo- loge. Ein Ketzer ? Ich will ihn gerne so heissen. Man regiert mit Worten die Menschen. Das Volk versteht, und denkt gleich an sein Vergnügen, ans Autodafé! Die Religion zahlt allen mit gleicher Münze, mit Worten. Nur wird im Munde eines Weisen so ein armes, verstaubtes Wort zuweilen ein Zauberschlüssel." Philipp lauschte ungeduldig. Er rief: „Enthüllungen! Enthüllungen!" Espinosa erwiderte: „Es gibt nichts zu enthüllen. Wir machen die Geheimnisse!" „Also, mein lieber Grossinquisitor ?" fragte Philipp. Espinosa schwieg. Philipp wartete nicht auf Antwort. Er bot die Hand dem Kardinal zum Kuss. Er sagte heiter: „Ich baue auf Sie. Aber hüten Sie sich, Kardinal! Keine Lügen!" DIE STICHE Als Eboli eintrat, legte der König die Feder hin. „Madame von Parma , erklarte er, „beklagt sich über uns. Aus einem geheimen Brief, den sie eigenhandig schrieb und siegelte, und den ich öffnete und seitdem hier in meiner Rocktasche trage, aus diesem Brief zitierte im Staatsrat zu Brüssel Oranien wörtlich ganze Satze. Er prahlt, mit meinen Geheimnissen! Ein Drittel seiner Einkünfte, gesteht er, gebe er hin, mich zu bespitzeln. In der Tat kennt er den Inhalt meiner Taschen!" „Höchst seltsam!" sagte Eboli. „Ein Heide dachte an Zauberei." „Ein Christ", rief Philipp, „denkt an Verrat!" Eboli lachelte, im Innersten verdrossen. Wo gab es einen so misstrauischen Machtigen wie Philipp? Machtige sollten trotz ihrer Gebrechlichkeit vertrauensselig sein! Denn die Getretenen sind ohne Rachsucht. Manchmal war Eboli schon müde seines steten Studiums eines einzigen Charakters. Schon kannte er jede Falte Philipps. Waren alle Opfer umsonst? Merkte er vielleicht seinen Sturz als letzter? Ich gebe ihm alles, dachte Eboli und meinte Anna. Der König sagte: „Früher wusstest du alles. Bist du krank?" Ebolis Lacheln bekam einen bittern Beischmack. Da war das böse Wort: Krank. Plötzlich fühlte Eboli seine Stiche, links in der Seite. Seit einiger Zeit angstigten sie ihn. Er rief die Arzte, es gab zwei Schulen, die eine purgierte, die andere liess zur Ader; Eboli folgte beiden, umsonst! ,Anna', gestand er heimlich seiner Frau, ,ich bin sehr krank.' ,Unsinn!' sagte Anna. Eboli eröffnete sein Herz vor seinem jungen Günstling Perez, den er in sein Haus zog. .Antonio', sagte er ihm insgeheim zuweilen, ,wie soll ich es schildern? Ich spüre es mitten in der Arbeit von fern und will es nicht merken, anfangs sind die Stiche lind, plötzlich spüre ich, nicht einen starkeren Stich, sondern die Lindigkeit starker, mir ist wie zum Sterben, ich schwitze, verschreibe mich und muss den Akt neu anlegen. Philipp ist so heikel. Ich beneide jeden, der nicht leidet. Nur Gesunde leben! Antonio, sticht mich der Tod? Ich werde nicht alt. Ich bin sehr krank. Krank! sagte Philipp. Hat ihn Anna verraten? Oder Antonio? Stürze ich? Keine Panik, Eboli! Dass mein Freund Valdes stürzte, war schlecht. Dass Albas Freund, dieser Espinosa, Kardinal und Grossinquisitor wurde, das ist schlecht. Aber noch kennt Eboli die grosse Kunst, zu gefallen! Er lachte herzlich und einen Augenblick zu spat. „Sie durchschauen jeden Menschen, Sire! rief er. „Aber nicht krank bin ich, sondern geschlagen!" Er erzahlte die Geschichte der Ohrfeige. „Es geht nicht urn den körperlichen Schmerz", erklarte Eboli. „Es geht urn meine Ehre. Die Wunde brennt. Woraus bilden Menschen ihren Stolz? Gesetze machen sie füreinander, Strafen brauchen sie voreinander, miteinander leben können sie nicht ohne Furcht. Obendrein schaffen sie sich ein luftiges Bundel Vorurteile und heissen's ihre Ehre!" Ein Spanier, erwog Philipp, raisonnierte nicht so kühl wie dieser Portugiese. „Was tun?" fragte Eboli, der das Ressentiment Philipps spürte. „Geduld!" bat Philipp. „Ich und die Zeit!" zitierte er sich und ging auf und ab und blieb vor Eboli stehn und murmelte: „Werden wir schon alt, mein Freund? Eben war ich noch der Sohn, schon bin ich der Vater. Eben war ich zu jung, und soll schon fertig sein? Eben stand mir mein Vater Karl im Weg, jetzt bin ich dem Carlos unbequem? Ist denn keine Pause da für uns arme Menschen? Eben hoffen, schon fürchten wir alles. Die Natur betrügt uns. Nur die Kindheit hat einen Schein von Dauer, und meine Jugend war kahl. Bin ich also schon endgültig betrogen? Ist es schon aus? Oder irrt mein Sohn Carlos? Deine Ehre, mein lieber Eboli? Rufe meinen Sohn!" Philipp sass allein an seinem Schreibtisch und überdachte wieder das Leben seines einzigen Sohnes Carlos. Habe ich Schuld? fragte sich Philipp. Habe ich irgendeine Schuld? Nein! antwortete der König dem Vater. Nein! antwortete der Vater dem König. Was für ein einfaltigés Leben! dachte Philipp. ,EIN EINFALTIGES LEBEN.' Carlos war das Kind vonKindern.SeineMutterstarbmit sechzehn Jahren an seiner Geburt. Fünf Jahre schwieg er. ,Nein!' war sein erstes Wort. Als seine Tante Juana Abschied nahm, um in Portugal zu heiraten, schlang er seine dünnen Armchen um ihren Hals und fragte: ,Was soll aus dem Kinde werden, so allein — Grossvater in Deutschland, Vater in Monzon bei Cortes?' Im Witwenschleier kehrte Juana nach einem Jahre heim. Sogar in Audienzen hob sie ihn nur einen Augenblick. ,Sie sehn genau', sagte sie, ,ich bin die Regentin!' Ihren Sohn Sebastian musste sie in Lissabon lassen. Da liebte sie ihren Neffen. Ihn erzog der gelehrte Honorato, ein Edelmann aus Valencia, der in Flandern studiert, in Deutschland diskutiert, in Italien sich gebildet hatte, ein zwergenhaft kleiner, flinker Mann von fünfzig Jahren, mit kindlich staunenden, grossen Augen und dünnen Lippen, die von der Weisheit der Alten überströmten. Honorato glaubteandas Gute in jedem Menschen. Durch Erziehung war es zu fördern. Nicht Eltern und Gefahrten, nicht Klima und An- lagen — die Lehrer modelten die Menschheit. In seiner Jugend liebte Honorato ein grosses Madchen aus Bologna, das mit ihm tandelte und einmal in Gesellschaft ihn in die Lufthobund lachend den Kleinen zappeln liess. Seit damals mied er Frauen. Mit fünfzig war er prof und wie eine Bücherei, genaschig wie ein Katzchen, wie Tauben sanft und, trotz Bart und Bildung, ein Knabe voller Illusionen. Eine echte, schwarmerische Knabenfreundschaft verband den zwölfj ahrigen Carlos mit dem Fünfzigjahrigen. Honorato vermengte mit seinem Glauben an die Allmacht der Erzieher die schone Meinung, man müsse den Zögling nur gewahren lassen, seine Neigungen entwickeln, seine Fehler nie züchtigen. Beide, Honorato und Carlos, waren Fresser und grosse Wassertrinker. .Wasser heilt!' erklarte Honorato zum Gelachter aller Weintrinker bei Hofe. Beide liebten zu traumen, Honorato von der fortschreitenden Verbesserung der Menschheit, Carlos von seinem künftigen Weltreich. ,Liebe die Menschen!' lehrte der Lehrer seinen Zögling. ,Gib ihnen jede Freiheit. Ziehe die Menschen allen Prinzipien vor! Bringe deinen Prinzipien nie das Leben anderer zum Opfer.' Honorato hegte im stillen einen Lebenswunsch. Errötend wie ein Madchen und als verberge er obszöne Triebe, umschrieb er in wolkigen Wendungen seinen Wunsch vor dem Infanten. Er wollte die Mitra tragen. Carlos bat ihn: .Geduld, mem Kleiner! Ich mache dich zum Bischof.' Des Infanten grösstes Erlebnis war der Kaiser. Karls Taten waren des Enkels Marchen. .Auch ich heisse Karl! sagte bedeutsam Carlos. Dem Herzog Alba, der ihm vorwarf, dass er lebende Katzen briet, erwiderte der Infant: ,Auch der Knabe Karl war grausam!' Hauptleute nahm er beiseite. ,Schwören Sie', bat er, ,mir auf meinen Feldzügen zu folgen!' Und er notierte ihre Namen. Um des Knaben W ildheit zu zügeln, las Honorato den Cicero mit ihm, besonders de officiis. Hartere Strafen verboten sich durch das Quartalsfieber, an dem Carlos zeitlebens litt. Als der Kaiser und der Infant einander zum ersten Male sahen, waren beide enttauscht. Der Kaiser, der seine letzte Reise tat, sagte zu seinem Freund Quixada: ,Mein Enkel hat tote Augen. Sein rechtes Bein ist zu kurz, die linke Schulter zu hoch, sein Kopf zu gross, er stottert, lispelt ... Soll ein Krüppel meine Reiche erben?' Der Kaiser lud seinen Enkel zu Tisch. Carlos war so stolz, dass er nicht barhaupt bleiben wollte. Gleich setzte er seine Pelzmütze wieder auf und sagte ,Vater' zum Kaiser, seinen Vater hiess er den ,Bruder Philipp'. Als der Kaiser bei Tisch seine Abenteuer erzahlte, unter anderm seine Flucht vor Moritz von Sachsen, rief Carlos heftig: ,Ich ware nie geflohn!' Als der Kaiser wie gewöhnlich frass, fragte Carlos staunend: ,Liess dich also Bruder Philipp hungern?' Als der Kaiser ihm lachend riet, auch so viel zu essen, um so gross zu werden wie er, erklarte Carlos: ,Ich werde grösser sein. Und so gut regieren, dass man dich und Philipp vergessen wird!' Als der Kaiser zuletzt den Knaben fragte, was er zum Abschied wünsche, wies Carlos auf einen tragbaren Ofen, ein Kunstwerk des Mechanikers Torriano, das dem gichtkranken Kaiser unentbehrlich war; Karl erklarte es. ,Bist du also wirklich geizig?' fragte empört der Knabe. .Spricht man so zu mir? Ich bin der Kaiser!' ,Du lügst! Man nahm dir alles!' ,Den Ofen habe ich noch!' sagte Karl trocken. ,Gib ihn schon!' rief der Knabe mit dem Fuss aufstampfend. ,Du solist ihn erben, wenn ich tot bin.' >Und wann stirbst du?' fragte Carlos ungeduldig. ,Carlos!' rief seine Tante Juana und hob den Schleier und sah ihn still an, Tranen in den Augen. Da ging der Knabe hurtig hinkend fort. Der Kaiser sah ihm lange nach, kopfschüttelnd. Als man ihm spater vorschlug, den Infanten nach Yuste zu nehmen, damit Carlos von seiner Nahe profitiere, lehnte er erschrocken ab. Die Luft von Madrid bekam dem Infanten schlecht. Die Arzte empfahlen einen Aufenthalt auf dem Lande. Philipp schrieb aus Brussel, er sei zu arm. Also behandelten die Arzte den Infanten ,gegen seine Galle.' Zu Valladolid sah er seinen Vater wieder. Er sass neben Philipp auf der Tribüne. Zweihunderttausend Spanier (sagte man) waren zum grossen Autodafé herbeigelaufen, zur Feier der Heimkehr Philipps. Carlos, von der Sonne berauscht, musterte kühn den König. Nun, hoffte Carlos, würden ihm die Cortes schwören, nun würde er bald heiraten und mitregieren. Bei vierzehn Jahren war es Zeit, mit dem Leben anzufangen. Er dachte: ,Wie haben sie mich gequalt!' Neben ihm sassen zwei Knaben in seinem Alter. Der eine war des Kaisers Bastard, gestern noch Geronimo und Quixadas Page, heute — Juan d Austria und Philipps Bruder, mit Haus und Pferden und Pagen; ruhig heiter sass er da, ein schoner, blonder Knabe, wie ein Sohn der Marchen. Der andere Knabe war der Neffe Philipps, als Geisel in Madrid für seine Mutter Margareta, die Regentin der Niederlande. Er hiess Alexander und blickte aus seinen feurigen, schwarzen Augen so heiter, so gesund! Die sind lustig — die wissen nichts vom Leben! dachte der blasse, abgezehrte Carlos und bückte sich flüsternd: .Wollen wir Freunde sein, fürs Leben Freunde?' Da traf ihn ein Bliek seines Vaters. Wie sieht er mich an? dachte Carlos. Er behandelt mich wie ein Kind! Gestern hatte der Ferrara ihnen beiden ein Dutzend Gaule geschenkt, und Philipp nahm alle für sich. Da Carlos sich beschwerte, sagte Philipp: ,Du bist zu schwach zum Reit en!' Gut, dachte Carlos, aber warum nimmt er sich alle Gaule? Carlos schrieb es auf. Er führte Buch über seines Vaters Handlungen. Die Schreiblust hatte er von ihm geerbt. Der Pferdedieb! schrieb Carlos, und fügte das Datum und den genauen Bericht hinzu. Auch Philipp führte Buch über Carlos. Der Vater hatte ein schlechtes Gewissen. Er glaubte, einen unheilbaren Schmerz in den Mienen seines einzigen Sohnes zu lesen. Liebte er seinen Sohn nicht genug? Auf der Tribüne sass in des Königs Nahe die Guzman. Sie war achtzehn Jahre alt, schon wie die Jugend, ein Hoffraulein Juanas. Philipp liebte die Guzman schon einen Tag lang. Er starrte sie an, schamlos wie Liebende. Mich liebt er nicht, dachte Carlos eifersüchtig und spürte ein Würgen im Hals. Da hob Philipp sein Schwert. Der Grossinquisitor schrie: ,Domine, adjura nos! Hilf uns, Herr!' Auch Carlos hatte viele Jahre zu Gott geschrien: ,Hilf, Herr, mach mich gesund!' Nun wurden die Opfer vorbeigeschleift, in den gelben Hemden mit rotgemalten Flammen, dreizehn Opfer. Plötzlich, vor der Tribüne des Königs, redete ein Opfer: ,Sind Sie von Adel, Sire, und können zusehn, wie das Pack mich, einen Herrn, anzündet?' Zweihunderttausend blickten zum König auf. Der König sah, das Opfer war ein Patenkind des Kaisers, ein Edelmann aus Florenz, Carlos von Sesa, ein reicher Ketzer, zum Flammentod verurteilt samt seiner Frau, einer Jugendfreundin Juanas. Der Ketzer ging gradaus zur Hölle. „Und ware mein Sohn wie Sie", schrie Philipp schallend, „trüge ich Holz zu seinem Scheiterhaufen mit diesen beiden Handen!" Und Philipp hob die Hande auf. Das Volk bewunderte den frommen König. Carlos sah weisse Schlangen aus schwarzsamtenen Armeln kriechen. Er flüsterte: „Abhacken!" (Die Hande.) „Will er mich opfern?" Er drehte sich um und übergab sich. Der lange Quixada, Juans Hofmeister, und der kleine Honorato hielten ihm den Kopf. Philipp ritt nach Guadalajara, um Elisabeth zu empfangen, seine dritte Frau. Sie war vierzehn Jahre alt, ein Kind. Philipp führte sie nach Toledo. Im Dom huldigten die Cortes von Kastilien dem Infanten Carlos. Alba vergass, ihm die Hand zu küssen. Die Königin bekam die Pocken. Der französische Gesandte schrieb nach Paris: ,Die spanischen Arzte machen dem Infanten den Garaus. Ein Valois wird Spanien erben! Don Carlos überlebt das Jahr nicht!' Das Jahr darauf ging Carlos auf die Hohe Schule zu Alcala. Sein Onkel Juan und sein Vetter Alexander ritten fröhlich mit ihm. Der lange Quixada und der kurze Honorato folgten heftig schreiend; die beiden Hofmeister unterhielten sich über Erziehung. Es ging zum Herbst. Die Tage glanzten blau. Die drei Studenten waren sechzehn alt. O heitere Tage von Alcala! Die Professoren wandelten wie Türme durch die Gassen. Die Madchen auf den Balkonen lachelten so neu. Die Prinzen spielten Ball. Ihre Hofmeister diskutierten. Der dürre Quixada pries die Autorit at. Der kurze Honorato schwarmte für die Freiheit. „Sind Sie nicht ein wenig zuchtlos?" fragte lachelnd der Quixada den Honorato. Und Honorato zwinkerte, strich seinen grauen Bart und prahlte: „In unserer Jugend, Senor! Da war man wild! Die jungen Leute verstehn nicht mehr zu leben!" Und errötend dachte der alte Knabe an die Riesin aus Bologna. Carlos lebte seine schönsten Tage. Das Fieber war fort. Nur manchmal überfrass er sich. Dann purgierte ihn sein Arzt, Doktor Dionisio. Manchmal gingen die jungen Herren zu den Huren. Juan, freundlich mit aller Welt, scherzte mit den Madchen. Alexander entschwand mit einer üppigen Grossen. Carlos kicherte vor Aufregung, seine Hande glühten, die Madchen hatten Angst vor ihm. Er ging als erster fort. Juan folgte ihm bald. Alexander, der nicht im Palast der königlichen Prinzen wohnte, übernachtete. Die Hofmeister durften nichts von diesen Ausflügen erfahren. Philipp erfuhr sie. Er hatte, wie überall in Europa, auch in Alcala, eine Stunde von Madrid, seine Spitzel. Was für schone Zeiten! Was fur Streiche! Ein Perlenhandler, aus Indien heimgekehrt, bot eine Perle für dreitausend Skudi dem Infanten zum Kauf. Der nahm sie zwischen die Zahne, um zu prüfen, ob sie echt sei, und verschluckte sie kichernd. Was für Humore! Drei Tage zitterte der Perlenhandler und kam jeden Morgen, ob Seine Hoheit .... Schliesslich eruierte man die Perle. Und die Prinzen lachten, das heisst, Carlos lachte, Juan und Alexander lachelten verlegen. Sie haben keinen Humor, dachte Carlos, die Schulfüchse sitzen über den Büchern ganze Stunden lang. Am 19. April fiel Carlos die Treppe hinunter. Schuld war des Pförtners Tochter. Sie war fünfzehn alt. Carlos liebte sie. Sie hatte ein hohes Stimmchen und lachelte, wenn sie ihn sah. Er bestelite sie für den Abend an ein Pförtchen am Fusse einer Hintertreppe. Er brachte ihr Geschenke, eine Kette aus bunten Steinen, eine Straussenfeder. Die Kinder standen eine Stunde im Dunkeln bei- sammen. Carlos zitterte, das Madchen erwartete, es wusste nicht was. Zum Abschied küsste die Kleine die Hand des Infanten. ,Komm morgen wieder', bat er. Am andern Tag fand der Pförtner die Geschenke, verhörte seine Tochter, führte sie samt den Geschenken zum Majordomus der Prinzen, einem jüngern Bruder Albas, der das Madchen in ein Kloster schickte, die Geschenke dem König sandte und das Pförtchen versperren liess. Als Carlos am andern Abend, zur bestimmten Stunde, alle Diener bis auf einen entlassen hatte und mit seiner gewöhnlichen Hast die Treppe hinunter eilen wollte, die wegen der versperrten Pforte finster war, fiel er kopfüber mit vielem Larm herunter. Der vertraute Diener hörte das Gepolter, kam mit Licht, fand ihn bewusstlos, schleppte ihn zu Bett, trocknete mit Spinnweb eine kleine Wunde an der linken Seite des Hinterkopfs, gestand zwei Stunden spater, da der Infant schon fieberte und das linke Bein gelahmt war, alles den beiden Hofmeistern, Don Quixada und Don Honorato. In der Nacht stiegen beide zu Pferde und ritten nach Madrid. Man weckte den König, Philipp ritt nach Alcala, gefolgt von den Lehrern und einigen Arzten. Die Nacht war warm. Der Mond schien. Als Philipp ans Bett seines Sohnes trat, erkannte der ihn nicht. Die Arzte fürchteten fürs Leben des Infanten. Der Doktor Olivarez liess ihm zur Ader, der Doktor Dionisio purgierte ihn. Philipp lag auf den Knien vor einem Kruzifix und betete. Er blieb Tag und Nacht am Bett des Sohnes. Der Knabe war leichenblass. Philipp sass auf dem Bett und hielt die heisse Hand seines Sohnes. Carlos öffnete den Mund. Er wollte etwas sagen. Mit Mühe lispelte er ein paar unverstandliche Worte. „Stille", bat Philipp. Er hatte Tranen in den Augen. Carlos lispelte mit grosser Mühe nochmals. Philipp glaubte ihn zu verstehn. Er glaubte, Carlos wollte sich entschuldigen. „Stille", bat er, „es strengt dich an. Ich vergab dir alles. Ich liebe dich, mein Sohn. Schlafe!" Carlos lispelte ungeduldig, unverstandlich fort. Das Fieber stieg. Die Arzte erweiterten die Wunde und ent- blössten den Schadelknochen. Eine Gesichtsrose folgte. Neue Arzte kamen, darunter der berühmte Anatom Vesalius, Philipps Leibarzt. Vesalius verbot die Aderlasse und Purgationen. Die Doktoren Dionisio und Olivarez verfassten lange lateinische Berichte. Sie warnten dringend vor dem Versuch, den Rotlauf, der schon Brust und Arme erreichte, heilen zu wollen. Die Krankheit würde nach innen schlagen! Man müsse vielmehr den Patienten von seinen bösen Saften befreien. Dionisio gab dem Infanten drei Unzen Sirup aus neun Infusionen, Olivarez setzte Blutegel an. Philipp sass auf des Patienten Bett. Elf Arzte standen herum. Jeder sprach erst auf des Königs Geheiss. Einstimmig protestierten alle gegen Vesalius, der den Schadel trepanieren wollte. Olivarez erklarte zum Beifall aller, nur erprobte Medizinen heilten. Die Glocken lauteten in ganz Spanien. Die Tante Juana ging barfuss zu einer berühmten Kapelle auf den Feldern. Prozessionen fanden im ganzen Lande statt. Dreitausendfünfhundert Fromme geisselten sich auf den Strassen zu Toledo. Viele wallfahrteten zur schwarzen Muttergottes von Atocha, manche rutschten auf Knien, manche hüpften rückwarts, manche sprangen auf einem Bein, viele gelobten dies und das, die Bischöfe hielten Messen, die Armen spendeten, die Reichen beteten. Philipp sass wie ein Toter auf dem Bett seines Sohnes. Ein Höfling trat vor den König. „Sire, ich rief aus Valencia einen berühmten Mohren, der Tausende geheilt hat. Er wartet vor der Tür." „Ein neuer Arzt?" fragte Philipp. „Neue Qualen?" „Kein Arzt", erklarte angstlich der Höfling. „Ein „Was?" fragte der König. "Ein Zauberer, Sire!" gestand der Höfling zitternd. "Ein Zauberer?" fragte Philipp. Er schrie: „Ein Mohr, ein Ketzer!" Und fragte leise: „Und er versteht zu heilen?" Schliesslich bedachte er sich und sagte: „Niemals!" Eine Stunde spater gab er Befehl, den Zauberer zu rufen. Er ging in eine andere Stube. Die Höflinge horten durch die Türe sein lautes Schluchzen. Der Zauberer war ein kranklicher Greis im Burnus. Er bückte sich vor jedem Höfling, vor den Wachtern, vor den Doktoren. Er hiess Pinterete. Ein schoner, taubstummer Mohrenknabe trug ein Kastchen hinter ihm drein. Pinterete nahm eine grüne Salbe, die einen durchdringend süssen Geruch verbreitete, und strich sie dem Infanten auf den Schadel und die Brust, „Kühl", sagte Carlos, „schön kühl." Der Zauberer empfing hundert Dukaten. Er bückte sich tief. Die Geschwulst am Gesicht ging zurück. Am Abend delirierte Carlos. In der Nacht empfing er die Sakramente. Die Arzte hatten ihn aufgegeben. Philipp baute auf ein Wunder. Alba holte aus dem Kloster Maria Jesus in feierlicher Prozession die Reste eines Kochs namens Diego, der vor hundert Jahren in der Klosterküche Engel gespeist hatte. Man legte den Koch ins Bett des Infanten. Carlos schlief Bein an Bein mit dem Gerippe. Am Morgen erzahlte er, ihm sei im Traum der Koch erschienen und habe ihm aufgetischt. Das schmeclcte! „Und?" fragte Philipp. „Diego sagte: ,Nicht an dieser Wunde stirbst du!" Am Abend gaben die Arzte dem Infanten noch drei, vier Stunden zu leben. ,Der Todeskampf begann', erklarten sie. Eboli beschwor den König, zurückzufahren. „Sie schulden Ihren Untertanen ein Leben!" „Ich bleibe bis zuletzt!" erklarte Philipp und liess sich widerstrebend zur Kutsche führen. Nachts, wie er gekommen, fuhr er durch die Walder. Die Sterne funkelten kalt. Am Morgen bestellte der König Trauerkleider für den Hof und ging ins Kloster. Es war der achte Mai. Philipp fror. Am gleichen Morgen führte Vesalius seine Trepanation aus. Er entfernte ein dreieckiges Knochenfragment in der Grosse eines Dukaten. Mittags fühlte sich Carlos besser. Das Fieber fiel. In der Nacht schlief er sechs Stunden. Am sechzehnten Juni trat er gesund ins Zimmer seines Vaters. Philipp umarmte ihn heftig, lange. „Mein Sohn, mein Sohn!" stammelte er. „Mein Sohn!" Carlos lud den Nuntius zum Essen. „Macht mir den Diego zum Heiligen!" bat er. König Philipp der Zweite. 14 „Den Klosterkoch?" fragte der Nuntius. „Er rettete mich! Nur Heilige können Infanten heilen! Die Meinungen gingen auseinander. Das Volk schrieb die Heilung der schwarzen Madonna von Atocha zu. Die dreitausendfünfhundert Flagellanten von Toledo hielten sich für die wahren Arzte. Der französische Gesandte, ein Bischof, schwor auf die grüne Salbe des Mohren Pinterete. Der Doktor Olivarez erklarte: „Keine Wunder, Blutegel heilten den Prinzen!" Heimlich fluchte er der Schmutzkonkurrenz der Heiligen. Der englische Gesandte, ein offenbarer Ketzer, ein Mönch, der Pfarrer ward und eine entlaufene Nonne zur Frau nahm, schrieb die Heilung der Trepanation des Vesalius zu. Vier Wochen spater wies der König den englischen Gesandten aus Spanien aus, der Unbesonnene hatte um die Erlaubnis gebeten, bei sich zu Haus die Bibel lesen zu dürfen. Den Vesalius sperrte die Inquisition ein, aus andern Gründen. Geheilt sollte Carlos endlich den Treuschwur der Cortes von Aragon, Valencia und Katalonien empfangen. Im Juli traten die Cortes von Aragon in Monzon zusammen, im August die Cortes von Katalonien zu Barcelona, im September die Cortes von Valencia zu Valencia. Zum Abschied von Alcala gab Carlos den Studenten von Adel ein Mahl, ass allein, auf einen Hieb, dreizehn Pfund Hammei, fieberte in der Nacht und blieb mit Fieber liegen. Philipp ging allein nach Monzon, allein nach Barcelona, allein nach Valencia. Carlos glaubte, nun sei es aus nut ihm. Er machte sein Testament, mit Hilfe des beruhmten Suarez. Dem Töchterchen des Pförtners vermachte er eine Mantilla, dem Honorato seine Hemden. Im Oktober endete das Fieber, und Carlos ritt heiter nach Madrid. Die Baume am Rande der Strassen redeten zu ihm. Er sprach zu den Wolken. Vor Baumen und Wolken, Gras und Gestirn vergass er seine körperlichen Mangel; er fühlte sich vo kommen. Nur Menschen messen mit scheelen Blieken emander nach Fuss und Elle und lesen aus der Farbe der Haut, der Haare, der Augen lacherliche Vorwande einer falschen Überlegenheit. Zwischen Baumen war Carlos ein Mann. „Du bist gewachsen", sagte der König und gab ihm Sitz und Stimme im Staatsrat und umgab ihn mit einem üppigen Hofstaat, nach burgundischer Sitte, den Majordomus teilte der König mit dem Erben. Durch Eboli band er den Sohn an sich, Carlos musste im Haus des Vaters wohnen. Die Ehre war ihm eine Last. Seine Kammerer schienen ihm Spione. Seinen Lehrer Honorato ernannte der König zum Bischof von Osma und entfernte so einen Freund von Carlos. Er ward vor lauter Unzufriedenheit munter, spielte bei Festen wassertrinkend den Trunkenen, stand vom Mahle auf und setzte sich gleich zum neuen Mahl, in toller Schlinglust, als wollte er eine Welt verzehren, die anders ihm nicht gehorte. Im Grunde ging er hungrig von allen Tischen des Lebens. Er liess den Staatsrat in seinen Zimmern halten, führte seinen Onkel Juan ein, bekam alles satt. Ihm mangelte die Kenntnis der Geschafte, er übersah den Sinn der Debatten nicht; ihm kam vor, die Minister stritten nicht für den Nutzen der Völker, sondern um ihren Kurs beim König zu heben. Ihm schien, Philipp behandle eine Welt mit frecher Willkür. Das Bürobild, das der Staatsrat von der Welt entwarf, schien ihm ein Höllenspiegel. Mitten unter Philipps Ministern ward Carlos erst gewahr, dass er den Vater hasse. Kaum seiner Empfindung bewusst, war er ihrer schon so gewiss, dass ihm vorkam, er habe immer den Vater gehasst. Besonders die Sicherheit Philipps verdross ihn. Philipp tat, als spielte er mit den Geschaften, dem Infanten kam vor, Philipp sei nur ein Spielball seiner Minister. Im Kabinett ist er ein Held, sagte Carlos bitter, da sind seine Schlachtfelder. Da reitet er, von Akt zu Akt, ein Aktenreiter. Carlos wollte fort, am liebsten in die Niederlande, um sie zu regieren. Die öffentliche Meinung der Niederlande erwartete ihn. Er atmete schwer in Spanien. Die Luft, pflegte er zu sagen, riecht nach Tyrannen. Er beklagte die schonen Tage von Alcala. Juan d'Austria versprach, es würden bessere Tage kommen. „Glaubst du?" fragte Carlos. „Glaubst du?" Die Könige von Europa boten ihm ihre Töchtcr an. Der Heiratsmarkt war klein; aber dynastische Intrigen waren von je ein Talent des Hauses Habsburg, Philipp gefiel sich sehr darin. Ein erfahrener Hochzeiter, sass er in seinen) Kabinett, ein königlicher Kuppler, über kühnsten Kombinationen, verschmitztesten Offerten. Philipp hatte Zeit und nutzte sie; Gelegenheiten, Intrigen, Hochzeiten, Kriege, Todesfalle, alle waren nur Steine in seinem politischen Spiel. Carlos war dafür zu naiv. Seine Krankheit gebot ihm Eile. Er wollte rasch geniessen, was er keineswegs sicher war, je sonst zu erhalten. Er hatte klare Absichten und ging ihnen gerade nach. Er wollte nicht mehr wie ein Kind von seinem Vater behandelt werden. Er hoffte, als Gatte fortzukommen aus Spanien, zumindest von Philipp. Carlos prüfte von ferne alle Braute. Da waren Witwen, altere Madchen, junge Madchen, ein Kind. Elisabeth Tudor brachte England; Maria Stuart Schottland und Anhanger in England und Frankreich; die Erbin von Kleve brachte Kleve; Anna, des Kaisers Tochter, vielleicht den Titel König von Rom, den Titel Kaiser; Marguerite von Frankreich, die jüngere Schwester der Königin von Spanien, neuen Einfluss in Frankreich; die Tante Juana besass den Beifall der Cortes. Ihm gefiel des Kaisers Tochter! Der Kaiser würde ihm helfen. Aber was wollte Philipp? Eboli, der Königin zuliebe, riet zu Marguerite. Alba riet zu Anna von Österreich. Margareta von Parma riet zur Erbin von Kleve, so gewannen die Niederlande die achtzehnte Provinz. Der spanische Gesandte am Kaiser hof zu Prag, der offizielle Werber um des Kaisers alteste Tochter Anna, schrieb dem König Philipp. ,Jetzt, Sire, können Sie Herr der Welt werden. Mit Maria Stuart gewanne Don Carlos Schottland und die Katholiken von England und von Frankreich. Das ist der Weg zur Um- versalmonarchie!' „Hübsche Rechnung", sagte Carlos. „Schon Philipp machte sich auf diesen britischen Insein lacherlich. Bin ich Casar, dass ich Britannien erobern soll?" Philipp schwieg eisern. Als seine Frau für ihre Schwester Marguerite Fürsprache tat, im Auftrag ihrer Mutter Ka- tharina de Medici, erklarte Philipp: „Das hat Zeit, bis Carlos ein Mann wird!" „Aber", sagte errötend die junge Elisabeth, „mit zwanzig Jahren Philipp fiel ihr ins Wort: „Er ist es nicht, noch nicht!" „Niemals", gestand Eboli dem französischen Gesandten, „es müsste denn ein neuer Wunderkoch neue Mirakel tun. Es gibt gewisse Mangel. Sahn Sie seine Handschrift? Eine Kinderschrift! Horten Sie ihn reden? Die Gedanken eines Kindes, eine Kinderstimme! Sie sagen, er gehe allnachtlich ins Bordell? Er tut's! Ein freches Kind!" Katharina de Medici liess die Werbung fallen. Der König ging in die Gemacher seiner Schwester Juana. Er erklarte: „Nie kannst du mit Carlos Hochzeit halten." Juana weinte. Nach Kleve, nach England, nach Schottland gingen abschlagige Botschaften. Dem Kaiser schrieb Philipp: .Geduld!' „Warum verleumdet er mich?" fragte Carlos. „Ich habe den Beweis geliefert!" Drei Arzte, ein Apotheker und der Zauberer aus Valencia, der Mohr Pinterete, hatten zusammen einen Saft gemengt. Den trank Carlos und legte sich zu einem Madchen. Auf den Tag, neun Monde spater, gebar das Madchen ein Madchen. Carlos liess den Suarez eine Urkunde anfertigen. Alle unterschrieben, Suarez, Carlos, der Doktor Olivarez, der Doktor Dionisio, der dritte Doktor, der Apotheker, der Mohr Pinterete und das Madchen (des Madchens Mutter). Der Infant wies triumphierend dieses sonderbare Schriftstück allen bei Hof, eine Abschrift übergab er dem Baron Dietrichstein, dem kaiserlichen Gesandten. „Schicken Sie diesen Beweis dem Kaiser, schicken Sie ihn der Prinzessin Anna!" Dietrichstein versprach es. Spater bestürmte ihn Carlos. „Was sagte Anna zum Beweis? Was sagt mein Baschen?" Schliesslich erwiderte Dietrichstein: „Hoheit, die kaiserliche Prinzessin ist noch ein frommes Kind, verstehen Sie wohl. Sie hat keine Ahnung von solchen Sachen." Carlos verstand. Er war sehr enttauscht. „So ein schoner Beweis!" murmelte er. „Vielleicht zeigt man ihr spater", sagte er zögernd .... Dietrichstein tand den Infanten ganz angenehm. Er schrieb nach Prag: ,Man macht zuviel her von des Infanten Streichen. Die Luft von Spanien bekommt ihm nicht. Vielleicht reift er spat, wie sein Grossvater Karl." „Die Luft bekommt mir nicht", sagte Carlos. Er wollte fort! Was wollte Philipp? Als der neue König von Frankreich um des Kaisers Tochter Anna warb, warb Philipp aufs neue für seinen Sohn um Anna. Als Frankreich nun um Elisabeth, die jüngere Tochter des Kaisers freite, schlug Philipp die Verbindung dieser Elisabeth mit seinem Neffen Sebastian von Portugal vor, obgleich der um Marguerite von Frankreich warb. Das Haus Habsburg, schrieb Philipp dem Kaiser, habe nichts von Frankreich zu erhoffen; auch er habe eine Französin, und doch bedrohe ihn Frankreich von allen Seiten. „Was will der Philipp also?" fragte Carlos. „Alle Könige und Königinnen freien über Kreuz, bestechen die Minister der andern, schliessen Bündnisse und intrigieren gegen die Verbündeten, spionieren Freund und Feind aus, offerieren jedem ihre Tochter, und das heisst grosse europaische Politik, darin ist mein Vater Meister! Ich bewundere ihn nicht!" Wenn Carlos aus verwirrtem Ehrgeiz, aus Langerweile, mit betrunkenen Gefahrten abends in den Strassen von Madrid irgend eine hübsche Grafin festhielt, küsste und ,He, Hündin!' rief, oder wenn der König einem Menschen namens Damian Martin hundert Dukaten zahlte, weil der Sohn des Königs des Damian kleine Tochter hatte auspeitschen lassen, oder wenn Carlos nachts in Bordelle ging, oder wenn er jahzornig Miene machte, seinen Kassierer zum Fenster hinauszuwerfen, oder ein andermal den Dolch gegen Eboli zückte, oder einen Kammerer ohrfeigte, den andern schlug, dem dritten mit dem Messer, dem vierten mit der Faust drohte, nach lauter solchen Kindereien, wie Carlos lachend alles abtat, machte Philipp seine bekannte finstere Miene. „Philipp", schilderte Carlos, „setzt sich auf seinen Stuhl, brütet lange, legt einen Akt an, ruft den Staatsrat, lasst alle hochnotpeinlich darüber reden, macht sich genau Notizen, schlaft ein, erwacht, liest alles Geschriebene nochmals, murmelt: ,Ich und die Zeit', korrigiert am Rand eine schiefe Wendung, lasst mich kommen und sagt, man weiss schon, was er sagt", (sagte Carlos und fuhr fort:) „Hatte Philipp nur keine grössern Laster! Er sagt, die Könige in Europa sprechen über mein schandlich Treiben. Er irrt. Sie halten sich über seine Verbrechen auf. Philipp sagt, ich fluche unsern Dienern. Und er? Er verbrennt sie. Und ging er nicht zu Brüssel in Bordelle? Ist er denn besser als ich? Ist er gut? Mir rechnet er jeden Faustschlag nach. Und seine Rechnung? Ist sie kleiner? Weil er mein Vater ist, glaubt er, im Recht zu sein, und sagt von mir: Ein entsetzlicher Mensch! Und warum? Wegen eines Paars Stiefel!" Carlos trug nach der Sitte der Studenten von Alcala auch bei Hofe Stulpenstiefel. Philipp, der auf alles merkte, sah die Stulpenstiefel. Der König gab seinem Schuster Auftrag, ein Paar schickliche Schuhe dem Infanten anzufertigen. Carlos liess die neuen Schuhe in schmale Striemen schneiden und abkochen und zwang den Schuster, das Fricassée zu speisen. „Schmeckt's?" fragte der Infant und schwenkte seinen blanken Degen. „Gut!" erwiderte der Schuster, mit beiden Backen kauend; der Schweiss auf seiner Stirn glanzte. „Gut schmeckt's." „Aufessen!" befahl der Infant. Der Schuster ass. „Nun rühme dich, beim Infanten gespeist zu haben!" sagte ihm Carlos zum Abschied. „Und darum", fragte empört Don Carlos, „nennt er mich darum einen entsetzlichen Menschen?" Carlos entbehrte seinen Lehrer Honorato. Die Tridentiner Beschlüsse geboten allen Bischöfen den strikten Aufenthalt in ihrer Diözese. Carlos schrieb an den Papst: ,Der Bischof von Osma, der gute Honorato, fehlt mir. Mit Schmerzen entbehre ich seinen vaterlichen Rat, die süsse Gewohnheit seines Gesprachs.' Pius der Fünfte erlaubte dem Bischof von Osma, sechs Monate im Jahr bei Hofe zu weilen. Carlos schrieb dem Bischof Honorato: ,Mein bester Freund, den ich im Leben habe, ich freue mich auf Ihre Ankunft. Kommen Sie bald. Und wenn Sie kommen, melden Sie sich gleich. Ich werde tun, was Sie mich lehren.' Honorato antwortete, er sei krank und schwach. Er wolle spater kommen. Er riet dem Prinzen, Gott auch ausserlich zu folgen, zur Kirche zu gehn, die Messe anzuhören, die Mönche zu ehren! Honorato schrieb: ,Die Inquisition ist Ihre Sache, Don Carlos, sehn Sie es doch ein! Was schimpfen Sie auf Ihre Polizei? Morgen sind Sie diese Polizei! Ehren Sie Ihren Vater! Seien Sie gütig zu Ihres Vaters Dienern! Morgen sind es Ihre Diener! Horen Sie jeden freundlich an! Antworten Sie kurz und klar! Fragen Sie nicht viel! Ein Fürst soll zu viel nicht wissen wollen über seiner Diener Leben und ihre Fehler. Das gabe Unruhe. Zuviel Unruhe ist in der Welt! Ruhe, Hoheit! Ich empfehle Ruhe! Gehorsam! Schonung! Erwerben Sie die Liebe Gottes und der Menschen Liebe! Ihr alter Lehrer Honorato, Bischof zu Osma.' Gleichzeitig mit diesem Brief empfing Don Carlos die Nachricht vom Tode Honoratos. Carlos war sehr betrübt. ,So klein war er', klagte er, ,und doch fand ihn der Tod! Seine sanfte Stimme soll ich nie wieder hören ? Auf alles im Leben hatte Honorato einen Spruch! Zitierend lebte er. Mit Worten hatte er stets recht. Er lebte wörtlich. Er wollte Bischof werden, ward Bischof und starb. Armer, guter Honorato! Sterben in meines Vaters Haus nur meine Freunde? Trefflicher, kurzer Honorato! Sollen nur die Langen übrig bleiben ? Carlos ging in den Garten und weinte. Er hatte zwei Listen angelegt, die Freunde notierte er auf der einen Liste, auf der andern seine Feinde. An der Spitze der Feindesliste stand ein Kreuz. Das Kreuz bedeutete den König, dann folgten Eboli, Alba, Espinosa, die Eboli, die Guzman. Die Liste der Freunde hob mit Elisabeth an, der sanften Stiefmutter des Infanten, einmal für kurze Zeit seine versprochene Braut. An zweiter Stelle folgte Honorato. Ihn strich er nun sorgfaltig aus und setzte an seine Stelle den Juan d'Austria. Carlos liebte seinen gleichaltrigen Onkel, trotzdem Juan jung, schön und strahlend war, der Liebling Philipps, des Hofs, der Madchen. Er liebte ihn neidlos für seine Schönheit, seine Kraft, seine Gesundheit, sein hallendes Gelachter, und besonders für Juans versteckte, grosse Traume. Der Kranke und der Gesunde brannten beide vor Ehrgeiz. Die Hauptstadt Philipps schien ihnen ein finsteres Büro inmitten einer kühnen Welt voll von Entdeckern, Siegern, Erfindern, neuen Insein, Schlachtfeldern, Wilden, die zu zahmen, Kontinenten, die zu finden, Reichen, die zu erobern, Ruhm, der zu pflücken. Die Welt schien ihnen eine laute Schlachtwelt, ein glühend goldener Garten voll von Früchten, die herüberhingen. Sie aber lebten eingeschlossen hinter papierenen Mauern, in einer papierenen Welt. Wagten die jungen Prinzen, vereint mit ihrem Vetter Alexander Farnese und den beiden jungen Söhnen des Kaisers, die für einige Jahre am Hofe zu Madrid lebten, um gut katholisch erzogen zu werden, wagten die jungen Leute einmal in Gegenwart Elisabeths, der jungen Königin, die den König mild stimmte, dass er sanfter lachelte als sonst, wagten die jungen Leute schüchtern fern von grossen Taten zu reden, auf ihre ungenützte Jugend hinzuweisen, im Feuer ihrer sechzehn, siebzehn, ja zwanzig Jahre, lachelte der König Philipp freundlich, strich den kleinen Erzherzögen übers blonde Haar, klopfte seinem Bruder Juan die glühende Wange, warf einen ratselhaften Bliek auf Carlos, lachelte seinem Neffen Alexander zu und sagte freundlich seufzend :„Die jungen Leute! Ach, die jungen Leute!" Und der Bliek des Königs blieb auf dem süssen, holden Antlitz seiner zwanzigjahrigen Frau haften, und Elisabeth errötete und blickte sanft zu Boden. Einmal hatte Juan versucht, auszubrechen. Als die Türken gegen Malta ihre riesige Flotte sandten und alle Jünglinge in Europa mit dem kleinen Hauflein der belagerten Johanniterritter zitterten und der Papst umsonst um Hilfe für sie schrie und alle Könige von Europa weghörten und Philipp, einzig Philipp zur Hilfe rüstete, aber langsam, wie gewöhnlich, denn er hatte Zeit, ,Gott und die Zeit!' zitierte er wie stets, da hatte eines allzufrühen Morgens Juan d'Austria sich aufs Pferd geworfen und war nach Barcelona geritten, heimlich, zur Angst des Hofes und zum Zorn des Königs. Unterwegs freilich ward der Jüngling krank, fiebernd brachte man ihn auf ein Schloss; als er genas und in der Reede von Barcelona sich einzuschiffen suchte, um nach Malta zu segeln und gegen die Unglaubigen zu fechten, war das strenge Verbot Philipps ihm vorangeeilt, und kein Schiff wagte es, des Königs flüchtigen Bruder aufzunehmen. Beschamt kehrte er zum Hof zurück, und schon der Liebling aller jungen Spanier. Im Staube kniete er vor Philipp. Elisabeth lachelte dem König zu. Philipp hob gnadig den Bruder auf und verzieh ihm. „Auch ich will fliehen", sagte Carlos zu Juan, im ersten, vertraulichen Gesprach nach Juans Heimkehr. Sie waren durch die Walder bei Madrid geritten, hatten Pagen und Wachen vorausgeschickt und sassen unterm blauen Himmel zwischen stillen Pinien und silbernen, sauselnden ölbaumen. Die Luft glanzte. „Auch ich will fliehen", sagte Carlos. „Und weiter als du!" „Vorsicht!" riet Juan. „Die Flucht schmeckt anfangs süss, aber bitter ist die Heimkehr, das Gelachter der Schadenfrohen und die Gnade, die fast schwerer zu ertragen ist als die Strafe! Und ich beging nur einen Jugendstreich. Deine Flucht hiesse Rebellion!" „Ich bin toll", gestand Carlos, „zur Halfte bin ich toll. Ich gehe im Hause meines Vaters hinab, hinauf, hinab, ein Blinder. Nachts am offenen Fenster höre ich eine Marchenstimme: .Stille! Bald bist du Herr. Deine Felder reifen. Die Türe steht schon angelehnt.' Warum schreite ich nicht hindurch? Juan, ist es nicht elend, auf seines Vaters Tod zu warten? Scheint man nicht besser ein Re- bell? Gewisse Hoffnungen trügen. Wenn ich vor ihm stürbe und hatte mein wahres Leben nur im Spiegel gesehn? Und wenn ich grauhaarig und ausgelaugt (denn er wird lange leben!) auf seinen blutverkrusteten Thron endlich steige (denn er ist nicht wie Karl; mit Zahnen und mit Klauen halt er sich fest an dieser Welt!), was dann? Bin ich nicht dann erst gründlich betrogen? Indes ich entfliehend steige, aufgebend einnehme, verlustig gewinnen muss? Ein Erbe ist die Hoffnung aller Unzufriedenen, also der Mehrheit! Philipp wird mit mir rechnen, mit mir teilen müssen. Hier in seinem Hause fühle ich mich nicht mehr meines Lebens sicher. Juan, ich habe dich gewarnt! Heut Hebt er, morgen opfert er dich. Vom Lacheln bis zum Messer ist bei ihm nur die Breite eines Messerrückens! Du schaust spöttisch, denkst: Der arme, tolle Carlos! Ich bin nur halbtoll! Juan, in gewissen Zeitlauften und Verwirrungen muss einer wie ich sein, um die Vernunft zu behalten vor dem gemeinen Wahn. Man muss krank sein wie ich, um so allen Menschen die Gesundheit zu wünschen; abgesperrt allein sein, um so die Menschen zu lieben; betrogen um eine Welt, um den Betrug zu hassen; von Heuchelei umzirkt, um so nach Wahrheit zu dürsten wie ich! Ich war bestimmt, ein böser Mensch zu werden. Tyrannei und Krankheit machten mich mild. Künftig will ich gut sein. Mag der König immer .Philipp von Gottes Gnaden' heissen, ich begnügte mich mit dem Titel ,der gute König Carlos'!" Um Gottes willen? fragte sich Juan d'Austria. Halt sich der Herr Neffe für einen guten Menschen? „Wir sollten Brüder sein!" sagte Carlos. „Lieber Juan, würde ich sagen, welches meiner Reiche willst du? Soll ich dich zum König von Neapel machen, willst du Mailand, ziehst du Sizilien vor, oder Indien, oder willst du lieber die Niederlande? Nimm sie, sagte ich, wenn ich einen Bruder hatte! Und wer hinderte den König Carlos, seinen Onkel Juan als einen Bruder zu behandeln? Höre, Juan! Keiner, keiner wird mich hindern! Was verhiess dir Philipp? Heraus mit der Sprache! Schame dich nicht!" Juan errötete. „Er versprach mir", gestand er leise, „mich zum Admiral von Spanien zu ernennen." „Sieh an!" rief Carlos, „zum Admiral! Ein Posten! Mit zwanzig Jahren, recht hübsch! Freilich, sagt man nicht, dass du des Kaisers Sohn bist? Vielleicht hatte der grosse Karl sehr viele Söhne? Nur zwei, zwei Söhne nur? Und der eine besitzt die halbe Welt, und der andere ist sein Admiral! Philipp spottet über uns! Ich habe ihn studiert! Es ist wahr; wenn ich vor ihm stehe, scheine ich verdattert. Er erscheint in jedem Punkte überlegen; er Vat er, ich Sohn; er König, ich Erbe; er wahrt den aussern Anstand, ich nur den innern. Er ist unermesslich reich, ich unermesslich arm. Ihm dient eine Menschheit, ich stehe allein. Er ist still und bedachtig, ich bin offen und laut. Ich bin ausgelassen, er gefühllos. Er spricht langsam, ich stottere sogar. Er ist nicht sehr klug; ich aber, sagt man, bin einfaltig. Aber ich, ich habe recht. Gehort soviel Kopf dazu, ein guter Mensch zu sein?" Juan dachte: Er glaubt sich gut, in der Tat! Wie seltsam Menschen sich betrügen! „Da hast du", sagte Carlos, „Philipps ohnmachtige Wi'ssbegier! Er will wissen wissen! Im Kern gefallt mir dieser Trieb. Auch ich bin neugierig! Auch mich interessiert dieses Geschlecht der Menschen brennend. Sie zu kennen, ist himmlisch. Ich möchte sie beherrschen, um sie tiefer zu erkennen. Philipp will sie durchschaun, um zu herrschen. Er forscht und forscht und wird nie die ganze Wahrheit wissen! Gut, aber welche Mittel wahlt er! Wie gemein wird er! Der Neugierige sinkt zum Schnüffler herab, der Forscher wird ein Spitzel, der König ein Polizist, der Vater ein Tyrann, der Freund ein Intrigant. Und Philipp steht erst am Anfang. Ich sage dir, Juan, schaudernd werden wir die Folgen sehen. Lass ihn altern! Lass ihn erstarren! Mit blutigen Handen sehe ich ihn, mit mordendem Auge, mit erbarmungslosem Herzen! Er wird schrecklich wüten. Denn er hat Imagination! Verstehst du, Juan? Ein Tyrann mit Phantasie! Blutdurst mit Variationen! Gewöhnlich sind Tyrannen einfaltig. Unser Wüterich straft jetzt schon Worte, Gesinnungen, Gedanken. Morgen wird er imaginierte Verbrechen strafen, eingebildete Personen jagen, Traume hinrichten! Ja, er wird Blut traumen. Und erwacht er in der Nacht, und hat ein Stück fetter Hammelbraten ihn gedrückt (denn Traume kommen aus demBauch),undtraumteerzum Beispiel, sein Bruder Juan oder sein Sohn Carlos wollten vom Thron ihn stürzen, wird der finstere Traumer noch in der Nacht seine Bluthunde von der Kette lassen, die Schergen seiner Inquisition oder andere Schurken, und wird uns packen und zerreissen wie ein wilder Eber im Forst, und sollten wir hinter Gebirg und Meer geborgen sein, schickt er dir Gift und Dolch, Juan — was hast du?" schrie plötzlich Carlos. „Du wirst blass. Was fehlt dir, Juan?" „Du bist fürchterlich, Carlos!" sagte Juan halblaut. „Lass uns heimreiten!" Langsam ritten die Prinzen in den sinkenden, goldenen Abend. Vor der Stadt wartete ihr Gefolge auf sie. Ich bin fürchterlich? dachte Carlos. Warum? Weil ich ihm das wahre Bild eines Menschen zeige? In diesem Augenblick traf ein Guss Wasser den Kopf des Infanten. Er blickte auf. Jemand schloss ein Fenster. Des Infanten bester Hut war nass. Der Heilige Vater hatte ihm aus Rom diesen Hut und einen Degen geschickt, beide zu Weihnachten geweiht. Der Hut war vielleicht verdorben. Keinen andern hatte der Guss getroffen. Ein Attentat auf den geweihten Hut! „Will man an meine Ehre?" schrie Carlos und rief: „Wache! Das Haus anzünden! Sofort! Alle Einwohner über die Klinge springen lassen!" Die Wache, voran ihr junger Offizier, ein Neffe des Fürsten Eboli, drang ins Haus. Es dauerte lange. Das Haus lag dunkel in den abendlichen Schatten. Von ferne kam der Hall von Kinderstimmen. Eines der Pferde wieherte. Carlos blickte zum Dach des Hauses. Loderten schon die Flammen empor? Warum dauerte alles so lang? Endlich kam die Wache zurück, samt dem jungen Offizier. „Was gibt's?" fragte Carlos wütend. „Das Heilige Sakrament kam soeben ins Haus", meldete der Offizier. „Ein Sterbender liegt drinnen." Carlos fluchte und bekreuzte sich. „Anzünden?" fragte der Offizier kalt. „Fort", befahl Don Carlos, „zum Palaste!" Langsam folgte ihm sein Onkel, der heitere Jüngling Don Juan d'Austria. Wie gewöhnlich fühlte er sich von den Widersprüchen seines Neffen verwirrt. Im Walde hatte Carlos mit allem Anschein der Vernunft gesprochen, hatte so laut der edelst en Gefühle sich gerühmt, urn gleich darauf, wegen einiger Tropfen Wasser, als böser Narr sich zu gebarden. Seltsam! dachte Juan. Und gefahrlich! Ich wollte, er liebte mich weniger! Sein Vertrauen kann mir den Hals brechen IM KABINETT Eboli zog den vergoldeten Schlüssel aus dem Gürtel und öffnete die Tür des königlichen Kabinetts. Carlos hatte keinen Schlüssel zu seinem Vater. Nur drei Menschen genossen diese Schlüsselfreiheit, Eboli, der Grossinquisitor und Alba. Philipp, wie stets in seinem schwarzen, samtenen Anzug, den schwarzen Hut auf dem Kopf, sass vor seinem Schreibtisch zwischen unendlichen Papieren. Zwei Wachskerzen erhellten das weisse Papier vor ihm. Der golden glühende Abend sah durch die hohen Fenster. In schweigender Erwartung schaute der König den Sohn und den Minister an, ein finsterer Richter. Hurtig hinkend trat Carlos zum Vater und erwartete Philipps Hand zum Kuss oder ein Wort. Der Infant, in einer Wolke von Jasmin, schillerte vor Buntheit wie ein martialischer Geck, mit seiner koketten, goldfarbenen Scharpe um den Leib und in Stulpenstiefeln, in denen er zu ertrinken drohte, mit gekrauselten Locken und einem riesigen Rauferdegen, mit Reiherfedern auf dem zitronengelben Hut und zwei Pistolen im Gürtel. Da Philipp schweigend ihn anstarrte, setzte er trotzig seinen Hut auf, zögerte, wie um dem König eine neue Frist für Reverenzen zu geben, dachte erbittert, da schweigt er mich also wieder in Grund und Boden hinunter, kehrte sich um und trat so nahe vor Eboli und musterte ihn so drohend frech, als wollte er ihn zum zweiten Male am gleichen Tag ohrfeigen. Eboli lehnte sich so intim an einen Bücherbord, als waren diese Bücher seine Vettern. Er lachelte so hold, so hingegeben, dass sein bleiches, erschöpftes Gesicht heller ward durch die Kraft des Lachelns. Philipp schwieg noch immer. Carlos, mit einmal höflich, fragte: „Viel Arbeit, lieber Fürst?" Eboli schwieg, fortlachelnd glich er fast einer Tapetenfigur. Carlos wandte sich verwirrt ab und ging hastig hinkend zum Fenster. Am illuminierten Abendhimmel las er seine Empfindungen. Die dünne Blaue erschien ihm angstlich, die dunkle Röte zornig, das fahle Gelb voller Wehmut. Er drehte sich um und bat: „Lassen Sie sich ja nicht storen, Fürst!" und da nichts erfolgte, sagte er leiser: „Braucht es zwischen Vater und Sohn einen Kuppler?" Und da alle schwiegen, stampfte er mit dem Fuss auf und befahl: „Gehn Sie, Fürst!" Eboli sah den König an, aber Philipp blickte wie gewöhnlich zu Boden, Eboli wollte sprechen, er verliess langsam das Kabinett. Sogleich eilte Carlos zum Sessel seines Vaters, kniete nieder, streckte die Hand aus. Da rückte Philipp ein wenig fort. Carlos stand auf. Im gegenseitigen Bliek sahen sie ihre Ahnlichkeit, beide fühlten eine dunkle Scham; jeder empfand des andern Züge als Karikatur. Beide hatten das Herz voll und so nahe voreinander die Lippen verschlossen. Philipp half sich in gewohnter Geduld mit seinen üblichen Mitteln. Wie vor gemeinen Supplikanten, die vor der Majestat zitterten, sagte er sein altes Zauberwort, mit dem halben Lacheln: „Beruhigen Sie sich." Und nach seiner leutseligen Sitte schaute er, da des Königs Bliek schwer zu tragen ist, zu Boden. Genauer hatte er den Sohn nicht treffen können als mit diesem sprichwörtlichen Apparat. Böse sah Carlos seinen Vater an, wie der finster dasass im sonderbar gemischten Licht der Kerzen und des Abends. Eine unpassende, jahe Rührung fasste den Infanten. Das Mitleid, das Carlos sonst immer mit sich selber hatte, empfand er für eine Minute mit dem Vater. Er dachte, und das Mitleid stach ihn schmerzlich: Der alte Mann, so böse, so allein, so alt! Philipp war mit achtunddreissig Jahren nicht alt, trotz seiner Gicht und den grauen Schlafen. Alt wirkten nur die sparsamen Gebarden, die leise Art, der schwere, grüblerische Bliek. Dass er ganz nach der Schnur lebte, dass er seine Krafte schonte, aus Furcht vor dem bösen Beispiel seines Vaters, der allzufrüh gealtert, dass der Ablauf seiner Tage für immer abgezirkelt gleich schien, dass er allen Redenden immer starker misstraute und mit den Vertrautesten, den Nachsten im selben Palaste am liebsten nur schriftlich verhandelte und die Menschen nur aus Aktendetails und Spitzelberichten, nur von ferne kennen lernen wollte, das liess ihn alt erscheinen. Sein Hof verstummte im starren Prunke wie ein Kloster. Von Neuigkeiten wagte keiner mehr zu sprechen, da jeder, angehalten zur Denunziation, im Freund, im Bruder, im Gatten den Konfidenten der Inquisition vermutete. Angstlich schwieg, wer etwas erfuhr; denn Geheimnisse nicht entdeckt zu haben, war so strafbar, wie sie auszuplaudern. Der König machte sich immer seltener, bei Hof und vor dem Volk. Sein Vergnügen ruhte im Schosse der Familie, im Aufenthalt auf dem Lande, in seinen Sammlungen, in seinen Bauten. Vom Prado ging er nach Aranjuez, vom Gehölz zu Segovia zum Escorial, wo er ins Grosse baute. Schon hatte er den Grundstein gelegt zu einem kolossalen Bau, der Kloster und Retiro, Grabmal der Könige Spaniens und Denkmal seines grössten Sieges, zu St. Quentin, werden sollte. Zwischen den jungen Leuten seines Hauses, zwischen Malern und Mönchen und Architekten ruhte er vom Kampfe um die Welt aus. Die Welt, pflegte er zu sagen, komme zu ihm, er habe nicht nötig, ihr entgegenzugehn. Meist nur am Abend ver liess er seinen Palast zu Madrid, meist nur durch die Pradopforte zum Park, meist in geschlossener, mit schwarzem Wachstuch innen verhangter Karosse. Ein hartes Leben! dachte Carlos. „Was will ich?" fragte Carlos schüchtern leise. „Mehr Freiheit und Anna von Oesterreich! Lass mich heiraten und in die Niederlande, und ich will deinguter Sohn Carlos sein." Er hatte kaum ausgesprochen, als er schon misstrauisch überlegte: Da mustert er mich und denkt, ich bin schiefschultrig, hinke, stottere! Und er dünkt sich so gross. Ich aber habe recht. Der Schiefe hat recht. Mich lieben seine Völker. Laut sagte er: „lm Norden heissen sie dich den Damon des Südens." Das, dachte Philipp, das ist mein Sohn und soll die Welt regieren? Wie gegen seinen Willen fragte er: , Bist du krank Carlos?" Um mich zu demütigen, erinnert er mich daran, sagte sich Carlos. Soweit waren sie schon beide. Sie hatten sanft zueinander reden wollen. Das war starker als sie. „Soviel Larm? fragte Carlos, „um eine Ohrfeige im Vorsaal?" „Der Larm dieser Ohrfeige geht durch Europa", erklarte der König. „Man vernimmt ihren Schall an allen Höfen. Und der Schlag trifft mich!" „Du schlagst mich mehr!" rief Carlos. „Massige dein Betragen!" bat der König. „Wohin sollen deine Streiche führen?" „Auf den Thron!" antwortete Carlos spöttisch und bat demütig: „Gib mir zu tun! Mit sechzehn regiertest du. Karl in meinem Alter war Kaiser." Philipp murmelte, es war zu leise. „Sprich lauter! bat Carlos. Er ging durchs Zimmer, die Bücherborde entlang, griff hastig ein Buch, ein andéres, blatterte hurtig, steilte eins zurück, aber verkehrt, das andere liess er gar zu Boden fallen, schliesslich ging er ans Fenster und trommelte an die Scheiben. Der Abend war schon verloschen, schon funkelten die Lichter der Stadt König Philipp der Zwei te. 15 Madrid, noch sah man aber den dunkeln Fluss und die Ebene bis zum Escorial und zum Gebirge von Guadarrama. Carlos drehte sich um, schon war es Nacht im Zimmer. Nur das Papier vor Philipp glanzte weiss im Schein der beiden Kerzen. Philipps Gesicht war im Dunkel. Carlos fragte in bitterm Ton: „Und warum bin ich noch nicht in Aragon gekrönt, noch nicht in Valencia, nicht in Katalonien ? Erinnerst du dich noch, wie ich mit meinem englischen Bruder kampfen wollte, weil du ihm die Niederlande versprachst? Jener Bruder ward nie geboren. Sparst du für einen neuen ? Auf meine Kosten hofft vielleicht die Königin?" „Du hattest Fieber", erinnerte der König. „Deinetwegen ritt ich die rauhen, unwirtlichen Strassen zu den Cortes nach Monzon. Du aber gabst ein Mahl zu Alcala und lagst lange krank, von dreizehn Pfund Hammei. Ich bat die Cortes, in deiner Abwesenheit dich zu kronen. Niemals! erwiderten sie. Was sollte ich tun? Weigerten sie dir nicht auch die Million und zweimalhunderttausend Dukaten, die du so dringend fordertest?" fragte Carlos spöttisch. „Steilten sie nicht sogar Bedingungen, bevor sie zahlen wollten? Und zahlten sie nicht ohne diese Bedingungen? Fragtest du da auch: Was soll ich tun?" Du redest von Geld?" fragte Philipp. Und er begann seine alte, verwirrte Klage, seinen geheimen Schmerz auszuplaudern. Der König sprach von seinen Schulden. Alle Einkünfte waren verpfandet. Er hatte siebenundzwanzig Millionen Schulden. Er holte Zettel hervor, auf denen er sein Budget geordnet hatte. Er las dem Infanten viele Zahlen vor, deren Klang den Sohn und den Vater verwirrten. Er jammerte über die hohen Zinsen der Bankiers von Antwerpen und Genua, die er bald Hunde, bald Ketzer hiess. Er rief, er habe seine Mitgift verpfanden müssen, sowie die Silberbergwerke von Almaden, die Salzlager, die Quecksilberminen, alle Zölle und Muhlen und Monopole für Papier, Spielkarten, Sklaven. Die ganzen Lizenzen für den Negerhandel nach Indien hatten ihm gerade fünfzigtausend Dukaten gebracht. Wo fande er Millionen? In der Luft? Er rufe nach Erfindern. Sie kamen in Scharen und kosteten nur Geld. Man habe schon so viel gesucht! Ein Deutscher schlug einen neuen Fasttag pro Woche für Philipps Untertanen vor, das am Essen ersparte Geld sollte die öffentlichen Kassen füllen. Ein Italiener bot ein Wunderpulver an, um aus Quecksilber Silber zu machen. Man habe schon grössere Wunder gesehn! Diese waren Marchen. Ob man mit Marchen Schulden zahlen könnte ? Er musste Geld von den Cortes haben, und dennoch habe er ihre Bedingung, die Inquisition in Aragon einzuschranken, nicht erfüllt. Vor Krankung über die Frechheit der Aragonesen sei er krank geworden. Sein Fuss sei ganz gelahmt gewesen. Er habe weder gehn noch stehen können. Durch eine List habe er das Geld schliesslich erhalten, indem er ihnen namlich vorschlug, eine Untersuchungskommission gegen das heilige Uffiz zu bilden. Mit solchen Kommissionen ge wanne man Zeit und narrte Parlamente, Konzile, alle grossen Versammlungen. Der Infant möge sich die Ausflucht merken. „Schon gut", sagte Carlos, „und warum lasst du mich nicht heiraten ? Schon lerne ich Deutsch, um zu Anna auf deutsch zu sagen: Ich liebe dich. Du hast ihr Portrat erhalten. Der Kaiser schickte es mir. Gib es heraus, ich will mit Anna schlafen!" Carlos keuchte. „Schriftlich", antwortete Philipp, „reiche das schriftlich ein. Mache ein Gesuch. Ich will deine Wünsche prüfen." Carlos kehrte sich um und ging zur Tür. Er hatte Angst vor seiner Wut. Da er schon an der Tür stand, rief ihn der König an. Carlos wandte sich hin. Philipp sah betrübt zu Boden. „Lerntest du mich endlich verstehen, lieber Carlos! Sind dir meine Absichten zu gross ? Sie sind einfach, fast gewöhnlich. Ich will das Erbe erhalten: Das Reich und die Kirche. Die Unordnung ist unser Feind. Die Protestanten und den Islam, die Revolution und die Neuerer will ich ausrotten. Das sind meine Feinde. Sind sie gross, so will ich sie mein Leben lang bekampfen; ohne Schonung! Hilf mir, Carlos. Selber muss ich alles prüfen, selber alles tun, das Wichtige selber schreiben. Ich misstraue allen. Alles muss ich wissen. Es gibt keine kleinen Geschafte für mich. Das Kleine ist das Grosse." Ein Bürokrat, dachte Carlos. So macht er unsere Familie, so das Amt der Könige lacherlich. Gratifikationen von sieben Dukaten schreibt er eigenhandig. „Warum führst du keine Kriege mehr?" fragte er laut. „Warum reisest du nicht in deinen Reichen, wie Karl tat ?" „Du schreibst Bücher?" fragte Philipp mit halbem, undeutlichem Lacheln. Carlos lachte larmend. Der König spielte auf einen Spass an. Carlos hatte ein Heft aus vielen weissen Blattern gemacht und den Titel daraufgesetzt: ,Die grossen Reisen des Königs Philipp'. Auf die einzelnen Blatter hatte er geschrieben: Von Madrid zum Escorial. Vom Escorial zum Prado. Vom Prado nach Aranjuez. Von Aranjuez nach Segovia. Von Segovia nach Madrid usf. Dieses Heft zirkulierte bei Hofe und allen Diplomaten. „Ich hatte die Absicht", erklarte Philipp, „dich hart zu strafen für diese Ohrfeige, die du in meinem Vorsaal meinem Freunde Eboli gabst." Carlos verstummte mitten in seiner larmenden falschen Heiterkeit. „Du willst mich strafen?" fragte er ernsthaft, ja trocken. „Ich habe dich studiert, Philipp. Pedanten deiner Sorte " „Ich bin einzig", erklarte Philipp schneidend. „Du hast keine Freude an Menschen", schrie Carlos. „Du könntest Tausende opfern, im blossen Gedanken an deine Würde." „Millionen", sagte Philipp, „für Gottes Ehre! Alles opfere ich für sie!" „Du bist ein Egoist", schrie Carlos, „und nicht einmal fromm. Deine Gebete, deine Messbesuche, dein Fasten und Festgeprange sind hohl. Vielleicht betrügst du dich, wie du alle Menschen betrügst. Du bist in Wahrheit der grosse Ketzer in der Christenheit!" Philipp stand auf. „Genug!" sagte er. „Jetzt kenne ich dich. Die Königin, die von deiner Untat hörte, schickte zu mir und bat um Gnade für dich. Ich versprach sie. Geh, bedanke dich bei der Königin!" Carlos stand noch unentschieden. „Geh!" sagte Philipp. Zögernd verliess Carlos das Kabinett seines Vaters. Da der König allein war, löschte er die beiden Kerzen aus und ging zum Fenster und öffnete es. Die Nacht hing blau und golden über der Ebene. Philipp suchte im Dunkel die Richtung der Höhe, wo er sein Haus baute, sein Kloster, sein Monument, die Ruhestatte seiner Toten. DIE JUNGEN LEUTE lm innern Hof traf Carlos den Alten wieder. Renard stand mit zwei Kavalieren vor einer der Buden in den Saulenhallen, wo Juweliere Steine, Maler Bilder, Buchhandler Bücher feilboten. Den altera Kavalier kannte Carlos. Es war ein Mensch, der Verse schrieb, Mendoza. Der jüngere, dem Infanten fremd, kam ihm vertrauter vor. „Ich kenne Sie?" fragte er den Fremden. „Hoheit", erklarte Renard, „alle Welt kennt den Sieger von St. Quentin und Gravelingen." „Egmont!" rief Carlos begeistert. „So sehn grosse Manner aus. Wir müssen zusammenhalten. Hasst ihr Niederlander nicht die Tyrannen? Soeben komme ich vom König, ich gab ihm Ratschlage. Speisen Sie mit mir, ich zeige Ihnen Madrid bei Nacht, wir gehn zu Madchen. Mein Vetter Alexander wird uns begleiten, bald halt er zu Brüssel Hochzeit. Und ich.... könnte ich nach Brüssel! Ich habe Ihnen viel zu sagen, auch zu raten. Wir haben Feinde, Graf; gehn wir essen!" „Die Prinzessin Eboli erwartet mich zu Tisch, Hoheit." „Die fesche Eboli!" rief Carlos und schüttete sich vor Gelachter aus. „Gehn wir zu ihr! Nur fünf Minuten, liebe dreunde; ich fliege zur Königin, in fünf Minuten bin ich hier. Ich will's notieren: Heute abend sah ich den grossen Egmont! Unter uns, ich will Ihr Land glücklich machen. Wir müssen ausführlich darüber reden. Zweimal tagte der Staatsrat der Niederlande in meinen Gemachern. Sie werden einen Fachmann an mir finden. In fünf Minuten, teuerster Graf!" Hurtig hinkte der Infant von dannen. Egmont blickte zweifelnd von Renard zu Mendoza und fragte: „Das also ist der Erbe?" Im Vorzimmer hörte Carlos Gesang. Er sah die Königin inmitten ihrer jungen Französinnen. Juan stand vor Elisabeth und sang, Alexander begleitete ihn auf der Laute. Da Carlos eintrat, unterbrach Juan seinen Gesang; Carlos kniete vor der Königin, küsste feurig ihre Hande und rief: „Dank! Schonen Dank!" „Der König hat verziehen?" fragte sie. „Philipp?" fragte Carlos, stand auf und ging durchs Zimmer. „Er ist misstrauisch, ich kenne ihn..." „Sie sind zu offen, lieber Carlos!" erklarte die Königin. „Der König", begann Carlos... „Wird gleich hier sein", sagte Elisabeth geschwind. „Ich will ihn nicht sehn!" rief Carlos. „Ich speise bei der Eboli. Kommst du mit, Juan? Und du, Alexander?" „Nach dem Essen!" versprach Alexander. „Wie ihr wollt!" rief Carlos. „Egmont wartet auf mich! Der Egmont wartet!" Eilig humpelte er fort. Die jungen Madchen begannen zu zwitschern. Elisabeth bat Juan, sein Chanson zu singen. „Mignonne", sang Juan, „allons voir si la rose Qui ce matin avoit déclose La robe de pourpre au soleil..." Elisabeth kannte den Text, sie kannte den Dichter. Das war der weltberühmte Ronsard, der Günstling ihrer Schwagerin Marie, der Königin der Schotten. „Las!" sang Juan. „Voyez comme en peu d'espace Mignonne, elle a dessus la place, Las, las, ses beautés laissé cheoir!" Hübsch war Juan, er schüttelte seine langen, blonden Haare, er hatte schone Beine und sang von Rosen, die welken, er hatte so blitzende Augen, so rote, volle, fröhliche Lippen. „Las! Las..Elisabeth spürte Tranen. Seit ihrer ersten Kindheit fürchtete sie sich vor dem Alter. Alte Leute, kam ihr vor, sitzen im Theater, das Stück auf der Bühne ist ihr Leben, es geht zum fünften Akt, die Toten liegen auf den Brettern, ein kalter Wind weht, das Stück scheint durchzufallen, und die alten Leute sehn gleichzeitig im Theater sich sitzen, auf der Bühne agieren, und den Vorhang, der herabzufallen droht. „Cueillez", sang Juan, „cueillez votre jeunesse. Comme è. cette fleur, la vieillesse Fera ternir votre beauté." Elisabeth fühlte den Schmerz des Lebens. Pflücket, pflücket die Jugend — das Alter... „Cueillez", sang Juan, „tandis que votre age fleuronne en sa plus verte nouveauté." Da rief der Page an der Tür: „Der König!" Philipp kam, in schwarzem Anzug, mit silbrigen Schlafen und tiefen, beschaftigten Blieken, mit den langsamen Schriften eines gichtischen Mannes. „Pflückt", sang Juan, „pflückt die Jugend..." ELISABETH In der Nacht erwachte Elisabeth. Im Schein der Kerzen sah sie den wohlbekannten, bunten Schlafrock, den langsam feierlichen Gang, die komische Majestat des Königs Philipp. So tauchte er zuweilen auf, wenn er tief in der Nacht von seinen Königssorgen sich losriss und wie ein Sultan aufbrach, um durch die geheimen Gange des Palastes dahinzuziehn, im Schwarm der Pagen und Kammerer, beim Licht der Fackeln und unterm Waffenlarm der königlichen Leibwachen, bis ihn am Eingang der Gemacher der Königin ihre nachtwachenden Hofdamen umringten und ihn geleiteten. So pflegte die katholische Majestat feierlich langsam durch Elisabeths halbfinsteres Schlafzimmer zu ihrem breiten Bett zu wandeln, so schritt er nun dahin, zwischen der betagten Hofmeisterin, die einen Armleuchter mit zwei brennenden Kerzen hielt, und der halbkindlichen Prinzessin des Ursins, die des Königs Degen, seinen kleinen Rundschild und seinen goldenen Nachttopf trug. Aus dem Grunde des Schlafes tauchte der Bliek Elisabeths auf und traf das zerstreute, sinnliche Lacheln Philipps, die vergramte Grandezza der Hofmeisterin und die heiter kecken Augen ihrer siebzehnjahrigen Pariser Freundin. Nun steilte mit einem leisen Klirren die Hofmeisterin den silbernen Armleuchter auf den Nachttisch, nun schob die kleine Prinzessin den Nachttopf des Königs unters breite Bett der Königin, nun legte sie den Degen auf den Sessel, nun den leichten Schild, der nur in den Stadten diente, ein Instrument des Friedens gleichsam. Nun entfernten sich ihre Damen. Nun setzte sich der König auf ihr Bett, gedankenvoll, ja wie bestaubt von seinen Akten, der Nachtwachter seiner Völker, ihr Reichshirt, der gute Vat er Philipp. Mit jenem hochmütigen und entfernten Bliek, den er in Audienzen seinen Untertanen schenkte, musterte der König die üppige Unschuld der blossen, weissen Brüste seines Weibes, ihre sanften, schwarzen, grossen Augen, die holdverschlafenen Haare. Der graubartige, dürre, komisch strenge Herr kam seiner Frau wie ein Eroberer vor. Sie liebte ihn aus Gehorsam. Er kam aus wohlberechneter Neigung. Einen bessern Sohn als Carlos wollte er machen, einen bequemern Erben. Sie ergab sich ihm. (Aus Gehorsam). Mit vierzehn Jahren war sie aus Frankreich in diese fremde Welt hinter den Pyrenaen eingezogen. Sie ritt auf einem Esel. Die Berge stiessen an den Himmel. Die Treiber schrien im Schneesturm. Tief bückten sich die Baume. In weiten Abstanden, wegen der Lawinen, ritt das Gefolge. Die heitern Franzosen sahn in ihren Pelzen wie berittene Eisbaren aus. Mitten auf dem Saumpfad erblickte Elisabeth sonderbar verkrüppelte, verschneite Baume, deren vordere Aste im Wind wie mit Armen winkten. Elisabeth deutete, und die Treiber lachten. Sie schrien rasch und unverstandlich. Endlich erfasste sie ein Wort, das wiederkehrte: Espana! „Wo?" fragte sie. Der Schnee wirbelte sanfter, der Himmel hellte auf, ihr Maultier lief schneller, da war sie schon mitten unter den winkenden Baumen, da waren es verschneite Spanier, sie knieten im Schnee, der vorderste trug eine Tiara und sprach, Elisabeth bat sie (französisch), aufzustehn, die Manner knieten und redeten fort (spanisch), endlich kamen die Herren vom Gefolge, voran der Vetter Anton Bourbon, der in Frankreich König von Navarra hiess, in Navarra hiess Philipp König von Navarra. Nun erhoben sich die Knieenden, der mit der Tiara war der Erzbischof von Burgos, daneben stand sein Bruder, der Herzog von Infantado, feierlich redeten sie, mit sparsamen Gebarden, ohne Aufhören (spanisch). Endlich ruhten sie ein wenig, der Vetter Bourbon erwiderte (französisch), das verstanden die Spanier nicht, sie antworteten (spanisch), das verstanden die Franzosen nicht. Die Spanier hiessen die Königin im Namen Philipps willkommen. Nun begannen neue Zeremonien, neue Ansprachen. Es schneite starker. Schon dunkelte es. Elisabeth lachelte unter Tranen, die der Schneewind trocknete. Sie fror in ihrer ersten Stunde auf spanischer Erde. Zu Guadarrama, der Stadt der Winde, wartete Philipp auf einem goldenen Stuhl. Er sass vor einem Altar. Seine Schwester Juana, tief in Schleiein, führte das kleine Madchen an der Hand zu ihm. Die Granden in den silbernen Rüstungen, die Pralaten in den roten und weissen Rocken schlugen die Augen nieder, die Granden aus Furcht vor des Königs Eifersucht, die alten Pralaten aus Angst, ihr Fleisch nicht zügeln zu können. Philipp sass klein und still da, alles an ihm war Majestat. Elisabeth sah ihn mit grossen Blieken an. Der König fragte: „Suchen Sie meine grauen Haare?" Da lachte das junge Madchen, ihr bescheidener Jubel klingelte. Die Priester und Granden sahen erschrocken auf den König. Verpönt war alles Lachen vor Philipp. Aber der König lachte mit seinem Weibe. Da vergassen die Priester ihre Gelübde, die Granden ihre Furcht, und schauten freundlich auf das heitere Madchen. Nach der Trauung gingen sie zum Stierkampf. Zwölf Stiere karapften, zwölf starben. Am Abend brachten die Hofdamen das kleine Madchen zu Bett. An der Tür ihres Schlafzimmers fand Elisabeth geschrieben: ,Vergiss Dein Volk und das Haus Deines Vaters, so wird der König nach Deinen Reizen trachten! Am Morgen ritten sie nach Toledo. Mohrinnen tanzten auf den Strassen, fremd tönten die Tamburine, frech schmetterten die Kastagnetten. Die Orangenbaume dufteten. Der Himmel blaute. Elisabeth traumte vom Hause ihres Vaters; der König weidete auf fremden Triften und trachtete nach den Reizen der Guzman. In Toledo bekam die kleine Königin die Pocken. .Stirb nicht, Töchterchen!' schrieb ihr die Mutter. ,Und werde nicht hasslich!' Mit geschlagenem Eiweiss wuschen sie die Königin vom Kopf bis zu den Füssen. Die treue Hofmeisterin Luise aus der Bretagne schrieb der Königin von Frankreich: .Elisabeth hatte grosse Lust, aber da sie seit zwei Tagen nicht gegangen war, tat es sehr weh und war sehr hart. Das süsse Kind litt an argen Schmerzen am Hintern. Der Hof von Spanien fürchtete schon, sie habe Hamorrhoiden. Ich gab ihr Milch, ich gab ihr Safran, ich gab ihr ein Klistier, da machte sie so sanft, die Arzte empfehlen ihr auch Pflaumen aus Tours und baden sie, damit sie endlich die Periode bekommt. Sie hat sie noch nicht. Der König kam noch nicht, mit ihr zu schlafen.' Die arme Mutter sandte Schwefel, sie sandte Quecksilber, sie fürchtete, ihr süsses Kind hatte die Syphilis vom Vater oder Grossvater geerbt, beide hatten die schone Diana von Poitiers gehabt. Elisabeth ward gesund, und Frankreich wartete auf ihre Regel. Mit sechzehn Jahren war sie noch kein Weib. Ihre Regel, dachten die Pariser, mache Geschichte. Im Bett ihrer Tochter wollte Katharina Frankreichs Vor- herrschaft erigieren. Sie schrieb ihrer Tochter: ,Frankreich erwartet, dass Du endlich Deine Unschuld verlierst.' Sie verlor sie. Nun erwartete der König von Frankreich Hilfstruppen vom Schwager Philipp. Er bekam sie. Nun erwartete Katharina, ihre Tochter werde den Gatten lenken. ,Du treibst Kinderspiele', schrieb die Königin von Frankreich an die Königin von Spanien. ,Deine leichtsinnigen kleinen Französinnen lehren Dich nur Dummheiten. Erwache! Das Schicksal der Welt liegt in Deinen Handen!' Aufmerksam betrachtete Elisabeth ihre schonen Hande. Sie glaubte weder an Macht noch an Schicksal. Heimlich lachelte sie über die Intrigen ihrer Mutter und ihres Mannes. Beide wollten die Welt gewinnen und zappelten wie Hampelmanner. Elisabeth wuchs und ward voll, schon war sie einen Kopf grösser als Philipp. Behendé war ihr Gang, schön ihr Gesicht. Philipp regierte viel, er hatte Freundinnen in der Stadt. Elisabeth speiste oft'im Garten, mit Juana oder den Prinzen, sie sang zur Laute vor den jungen Leuten, sie tanzte mit ihren Madchen. Nachts lag sie in ihrem breiten Bett, unterm gemalten Himmel, und wartete. Und schlief ein. Sie hatte siebzehn Hoffraulein, sechsundzwanzig Kammerfrauen, vier Arzte, und zitterte vor den Briefen ihrer Mutter wie ein kleines Madchen. Katharina de Medicis schrieb: ,Deine Aufgaben, Elisabeth! Deine Pflichten! Erwache! Frankreich wartet!' Elisabeth begann zu malen. Taglich nahm sie eine Stunde bei den Hofmalern Coello und Mor, die in der Schatzkammer des Palastes ihre Ateliers hatten. Elisabeth malte den blauen Himmel, die hohen Zypressen, die grüne Stille im Wald. Manchmal kam der König im Schlafrock, unangemeldet, und gab den Malern Ratschlage, dem Coello, dem Mor, der Königin. Er liebte es, den Malern zuzuschaun. Schon der Kaiser Karl hatte dem Tizian den Pinsel aufgehoben. Coello und Mor hüteten sich, ihre Pinsel fallen zu lassen. Sie klagten heimlich über ihre Bezahlung. Die Türsteher bekamen mehr Geld. Philipp schalt die Faulheit der Maler. Coello wartete auf die Muse, Mor auf dielntuition. „Was Intuition!" schalt Philipp. „Arbeitet regelmassig! Es gibt keine Musen! Nur Fleiss, nur Pünktlichkeit!" „Wir sind keine Handwerker!" sagte Mor spöttisch. Coello murmelte verdrossen, Huren seien pünktlich. Philipp tat, als hatte er nichts gehort. Winkend und lachelnd ging er zu seinen Geschaften, in tiefsinniger Zerstreutheit. Katharina war mit ihrer Tochter unzufrieden. ,Du musst auch die Freundinnen Philipps gewinnen! riet sie, und schickte der Eboli einen Diamanten. Elisabeth machte die Eboli zur Freundin. Anna war frech. „Der König ist ein grosser Mann", sagte Elisabeth zu Anna. „Ein starker Mann", antwortete Anna. „Ware ich nicht seine Frau", sagte Elisabeth, „wollte ich seine Geliebte sein." „Sie sind es", erwiderte Anna. Elisabeth errötete. Mit neunzehn Jahren ward Elisabeth schwanger. Sie hatte eine Fehlgeburt. Philipp besuchte sie. Blass war sie, verzagt. „Ich bin nicht enttauscht , erklarte er. „Wir sind noch jung!" „Sie sind gütig, Sire!" erwiderte die Königin. Vor ihrem Lacheln schlug Philipp die Augen nieder. Er argwöhnte überall Rebellion. Las er nicht in den Augen seiner Frau den Schein der Aufsassigkeit ? „Gehorsam!" murmelte Philipp. Aber sie war ihm ergeben. Katharina wollte sie zur Agentin Frankreichs machen, sie ward Philipps Agentin. Philipp sass auf dem Bett seiner Frau. Er hatte ihr viel zu sagen. „Komm!" bat sie und öffnete die Arme. DER ARME FUCHS Egmont war guter Laune. Er umarmte den Eboli, küsste die Prinzessin des Ursins auf den roten Mund, die Fürstin Eboli auf den weissen Arm, ging vom Tanzsaal in den Spielsaal, setzte sich zur Musik, nahm dem Trommler die Schlagel fort, trommelte, warf die Schlagel hin, ging zu Renard, der an der Wand lehnte, und schlug ihn auf die Schulter. „Alter Fuchs", rief er und lachte schallend, „warum leben Sie nicht gern?" „Ich lebe gern", erwiderte düster der alte Renard. „Ich will Sie aufheitern, lieber Freund", sagte Egmont lachelnd. „Ich bin lustig", erwiderte Renard ernsthaft. Aber Egmont flüsterte ihm ins Ohr: „Alles steht gut, Renard. Man ist mir gewogen. Ich bringe einen neuen Sieg nach Hause!" Renard lachelte. Er wusste es besser. Philipp wollte die Freiheit in den Niederlanden abwürgen; Renard kannte die langsamen, tödlichen Schlage des Königs. Wenn er sein Leben liebte, musste er den Egmont stehn lassen. Er liebte sein Leben, aber mehr die Lust, zu durchschaun und mitzuteilen. Seit er diplomatische Berichte nicht mehr schreiben durfte, berichtete er sie sozusagen mündlich. Satt der Lügen, fand er seine Lust an der Wahrheit — eine selbstmörderische Lust mitunter. Renard führte den heiteren Grafen in ein stilleres Gemach, zu einem Fenster, sah in den gestirnten Himmel und empfand Neid auf Egmonts Blindheit und Mitleid mit diesem leichtsinnigen Sohn des Glücks. So glücklich sein wie der, dachte Renard und atmete den ziehenden Duft der Orangenbaume unterm Fenster. Die Marmorstatuen leuchteten im dunkeln Garten. „Graf", sagte der alte Mann, „Philipp ist bankrott. Geben Sie acht. Nun sieht er die Niederlande an und denkt: Die fette Beute!" „Erklaren Sie", bat Egmont, „das Unwahrscheinliche!" Renard lachelte bitter. Nur weil er gestürzt war, galt seine Meinung für unwahrscheinlich, da sie ehedem Epoche gemacht. Wusste erst Egmont, dass Renard hungerte — aber war es gut, sein Elend auszubreiten vor einem Manne, der das Glück liebte? „Graf", begann er, „ihr im fetten Flandern kermt nicht den Hunger; die Spanier treibt er durch Europa und in die Neue Welt. Ein spanischer Kavalier tragt den Mantel mit Gold verziert, darunter ein zerrissenes Hemd; er isst in seinem dumpfen Zimmer Zwiebeln und Brot; im Prado, dem Salon von Madrid, wirft er den Damen schmachtende Blicke zu, zwischen den Pappelalleen und Rosenbüschen, am frühen Abend, wenn die Springbrunnen rauschen und andere im Schatten der Baume tafeln und lieben. Dieser Korso im Prado! Die Spanierinnen, Graf: Engel und Grazien! Aber die Halfte davon hungert! Der Hunger macht die Spanier so gefahrlich. Der Hunger macht die Weltgeschichte." Egmont war schon nüchtern. Flüchtig betrachtete er den Renard. So sah gestürzte Grosse aus, so vulgar! Engel und Grazien! Hunger und Geschichte! Dieser las einst den Macchiavell und lenkte Könige. Nur nicht stürzen! beschloss Egmont. Renard fasste den prachtigen Egmont ins Auge, die dunkeln Locken, die glatten Wangen, den kleinen Schnurrbart, die niedre Stirn, die zarten Züge. „Ich reiste hin und her in Spanien", erzahlte Renard. „Was für eine pittoreske Welt! Wer anders glaubt, wer anders aussieht, gilt als ein Feind. Für Rasse und Religion schnitten sie ihre Fruchtbaume ab, vernichteten ihre guten Römerstrassen, verdarben die Bewasserungswerke der Mohren. Warf man Sie nicht mit Steinen auf dem Lande? Sahn Sie nicht die verlassenen Felder, die armseligen Erdhütten? Die Spanier sterben Hungers, wenn sie nicht Mönche, Diener oder Soldaten sind! ,Man hat nicht alle Tage Brot!' sagen sie. Aus Madrid gehn Statthalter in die halbe Welt. Madrid ist ein Universalplatz, ein Vaterland für jedermann, ein Weltbazar, das neue Babel, das Hospital der Sünden, voll von Fremden und Liebhabern der Kunst — Kulisse für ein Volk von Konquistadoren. Hier lebte ich, in der Kolonie der Laster, ein Augur der Mienen von Philipps Günstlingen, hier im Kerker, wo der Ehrgeizige stirbt und dem Klügsten graue Haare wachsen. Ich kenne die Spanier und ihren König. Die Luft ist hier gesund, sagt Philipp. Aber ein Wind tötet hier! Um die Luft rein zu halten, bauten die Madrider keine Abtritte, so ward Madrid die stinkendste Stadt. Die Wagen rasseln den ganzen Tag durch diese offene Stadt, die ohne Wall und Graben im Mittelpunkt des grössten Militarreichs, der geplanten Universalmonarchie liegt, ein Port des Friedens! Alles trügt! Hier schmiedet man die Fesseln einer Welt, zwischen Getafe und Alcala, in der Mitte von Forsten, wo Baren hausen. Hier sitzt Philipp und spinnt sein grosses Netz." „Lieber Renard, Sie werden alt", entgegnete Egmont. „Haben wir nicht schon manches durchgesetzt ? Stürzte nicht Granvella? Bin ich nicht da, um Grösseres zu schaffen?" „Es war Zeit, dass Granvella stürzte", entgegnete Renard. „Er zielte auf unsre Köpfe. Durch ihn verlor ich meine Gesandtschaft in London. Durch ihn meine Gesandtschaft in Paris. In Brüssel empfing er mich wie einen Bittsteller. Da ich das Unrecht sah, das man den Niederlanden antat, denunzierte er mich in Madrid, ich hatte aus Geldgier die flamische Partei ergriffen. Er hetzte, bis Madrid mich fortrief! Er hatte uns verdorben, ware es mir nicht geglückt, dem König die Augen zu öffnen. Der arme Granvella! Er jagte den unbequemen Zeugen aus Flandern fort und schickte den Anklager vor den Richter. Ich bin entsetzt, sagte ich zu Philipp. Diesen Granvella leitet sein Profit. Ich sagte, die Niederlande seien wie Reisig im Sommer, ein Funken — und das Feuer brennt. Ich sagte, nur Egmont, nur Oranien könnten ihre unruhigen Landsleute im Zaume halten. Ich sagte alles, wie mir Gott eingab. Drei Monate spater rief Philipp den Granvella ab." „Achtlos wandelten wir am Abgrund!" erklarte Egmont. „So geschieht es kein zweites Mal! Der König meint es gut. Morgen empfangt er mich. Es ist vorgesehn, dass er mir bis zur Tür, vielleicht bis zur Treppe entgegenkommt!" Renard lachelte. Der arme Egmont! DER ESCORIAL Langsam ritt Philipp mit Egmont vom Gehölz bei Segovia zum Escorial, zu dem kahlen Ort, wo er den Riesenbau aufführen liess, Residenz, Monument, Kloster und Mausoleum, nach den Planen des Bautista. „Ich", sagte der König mit Bescheidenheit, „korrigiere die Plane. Ich liebe nicht den Zierat. Man muss das Skelett eines Kunstwerks, seine Idee muss man sehn. Vor allem bedarf die Kunst der Gnade. Kein Maurer darf mauern, der nicht ein geprüfter Katholik ist. Wer nicht zur Messe geht, fliegt! Ein Trunkener kommt auf die Galeeren. Schon wohnen fünfzig Mönche hier. Ich liebe, den Maurern zuzuschaun. Menschen, die baun, sind gute Menschen." Philipp und der Graf standen auf einer Höhe hinter dem Bauplatz, in einem kalten Wind, und sahn auf die halben Mauern. Es schien dem Egmont etwa eine halbe Stunde lang reizend, solch einen Riesenbau wachsen zu sehn. Aber der König vergnügte sich Wochen damit. Der gute König 1 Egmont musterte ihn, der gebückt stand, in seinem schwarzen Wams, mit dem Reiherhut auf den grauen Haaren. Vor sechs Jahren, in Flandern, war Philipp, anfangs dreissig, ein junger Mann; jetzt, noch nicht vierzig, schien er schon ein alterer Herr. Wie rasch! Und was hatte sich in Flandern begeben! Und noch kein Frieden! Wie langsam! BRIEFE UM DIE NIEDERLANDE (Aus den Jahren vor Egmonts spanischer Reise) Oranien schrieb einem Freund in Deutschland: Wind ist gesat worden. Die Ernte ist reif. Philipps Halbschwester Margareta von Parma, einer Zofe Tochter, Beichtkind Loyolas, Schülerin Macchiavells, die den Hirsch jagt, wie ein Gendarm reitet, ein Schnurrbartchen und die Gicht hat, gerne Zoten hört, ganze Nachte lang ihrem Bruder schreibt und ihm kein Detail schenkt, — hat zum Minister den Granvell, der ist der Regent unserer Regentin. Granvellas Talente überwiegen seine Prinzipien. So wird man ein reicher Mann; an Pfründen, Grundbesitz und Kunstwerken hat er nicht seinesgleichen in den Provinzen. Er will, dass alle Welt von seiner Hand lebe, halt sich für den Monarchen der Welt, Simonie ist sein taglich Laster. Wo eine Abtei vakant wird, schickt er den königlichen Kommissar zur Wahl. Öffnet der künftige Abt nicht seine Börse, wird der Kommissar unangenehm und stellt Gegenkandidaten auf. Granvella nimmt mit beiden Handen: Goldne Becher, Ketten, bares Geld; Versprechungen gelten nicht. Der Kommissar, Granvella und der Prasident Viglius teilen. Uns Herren heisst der Granvella Hurer, Saufer, Schuldenmacher. Er sagt, wir seien gierig auf die fetten Abteien und bauten auf einen Umsturz. Aber nicht wir toten, Philipps Gebot tötet Tausende. Philipp pflanzt Bistümer wie Baume, er überstreut das Land mit Henkern und Inquisitoren, wie man Kuchen zuckert und Speek salzt. Mit Tinte und Lack sind unsere Freiheitsbriefe geschrieben und gesiegelt, mit Tinte und Lack wehren wir uns gegen Schwert und Feuer. Der Kardinal Granvella lehrt den König, das Volk speise man mit Worten ab, es vergesse über dem hohlen Klang Taten und Zustande. Das Volk duldet die Verfolger stumm leidend. Nur Herren protestieren. Egmont ohrfeigte den Kardinal, er zückte den Dolch gegen ihn. Granvella behandelt uns wie Buben. Unter dem Kaiser waren wir Freunde, der Granvella kam haufig des Morgens an mein Bett. Wir lachten laut über Weltlauf und Leute. Mein Leben lang fand ich es süss, im Bette liegend liebe Freunde zu empfangen; im Bette ertragt man die Sensationen des Lebens leichter. Ich machte eine Revolution am liebsten im Bett. Als neulich die Bürger von Antwerpen dem Einzug der Inquisitoren in ihre Stadt offen sich widersetzten, beschloss Margareta Parma Massregeln, °hne mich, den Burggrafen von Antwerpen, zu horen. König Philipp der Zwei te. 16 Mit der Liste der Neuernannten teilte man mir mit, ich sei zum Kommissar für den Vollzug dieser verdachtigen Ernennungen ernannt. Ich liess der Herzogin sagen. ,Ich bin nicht Ihr Lakai, Madame!' Und wiederholte es im Staatsrat. Granvella rief: .Insubordination! Indolenz! Intrigant!' ,Meinc Vorfahren , sagte ich, ,besetzten den Magistrat Antwerpens! Ein Granvell will mich schicken ? Kennt man seinen Grossvater?' ,War er nicht Schmied? rief Egmont. Granvella stürzte aus dem Ratszimmer, die Türen schlugen, er rief den Kanzier von Brabant und hob an, mich zu verfluchen. So begann der Krieg zwischen mir und dem Kardinal. Egmont und Oranien schrieben dem König: Wir wollen aus dem Staatsrat austreten. Man beschliesst viel ohne uns, wofür wir die Verantwortung tragen sollen. Der Admiral Hora schrieb dem Egmont aus Madrid: Da ich mich von Philipp verabschiede und dem Granvella schuld an allen Unruhen in den Provinzen gebe, brüllt Philipp: ,Was! Elender! Ihr klagt über den Kardinal, und keiner kann trotz meinen Fragen auch nur einen Grund nennen. Ihr seid besoffene Ketzer! Ich fand kaum die Tür. Das ist die Antwort auf Euren Brief. Granvella schrieb dem König Philipp: Bei einem Nachtmahl in Egmonts Haus hat man die neuen Bischöfe gescholten. Man plant eine Petition. Philipp antwortete dem Granvella: Nur jetzt nicht temporisieren ! Wir wollen diese Schurken züchtigen. Nur Furcht macht gehorsam. Diese Unruhen machen mich bankrott! Ich bin oft wegen zehn Dukaten in Verlegenheit. Meine Schulden wachsen mir über den Kopf! Was tun? Man rat, die Münze zu verschlechtern. Alba und mein Beichtvater sind dagegen! Sorgen Sie dafür, mit allen Mitteln die Heirat Oraniens zu verhindern! Er soll nicht die Tochter jenes Moritz von Sachsen heiraten, der den Kaïser über die Tiroler Berge gejagt, die katholische Kirche in Deutschland gestürzt und meine Wahl zum Kaiser hintertrieben hat. Granvella schrieb dem König: Wilhelm heiratete die Sachsin. Er ist katholisch, sie lutherisch. Wegen der künftigen Religion der Braut wird gestritten. Oranien hat erklart. ,Meine Frau soll mit melancholischen Dingen nicht bemüht werden. Statt der Heiligen Schrift lese sie den Amadis von Gallien. Statt zu stricken, tanze sie! Am St. Bartholomaustag feierten sie die Hochzeit, zu Leipzig, der ,Seestadt . Die berittene Wache von Leipzig, zwei Mann hoch, ward auf zehn Mann gebracht, um nachts mit Laternen durch die Gassen zu reiten. Wilhelm ritt mit tausend Reitern ein. Superintendent Doktor Pfeffinger vermahlte sie. Darauf legten sich gleich in derselben Halle Braut und Brautigam auf ein vergoldetes Bett; dann assen sie Konfekt. Spater kleideten sie sich zum Festmahl. Der erste Gang bestand aus fünfundzwanzig Gerichten. Grafen reichten die Servietten. Nach dem Mahl raumte man die Tische fort zum Tanz. Dann geleitete man das Paar zur Hochzeitskammer. Die Braut ist schlecht gebaut und geil. Sie wird den Prinzen Wilhelm betrügen und behandelt ihn wie einen Neger. Vor seinen Augen scharmutziert sie mit Dienern und Fremden. ,Ich werfe mich weg, sagte sie. Und: ,Er könnte mein Hausbursch sein.' Wilhelm schrieb seinem Freund nach Deutschland: Der Inquisitor Titelmans rennt durch Flandern wie der Blitz, grausam scherzhaft, ein sengender Humorist. Tags und nachts reitet er, ein Riese, durchs stöhnende Land, schlagt die Bauern mit seinem Knüttel übern Kopf' reisst die Verdachtigen aus dem Bett, foltert, drosselt! verbrennt, ohne Zeugen und Prozess, ohne Beweis und Schuld. Der Gerichtsvogt, nach seinem roten Gerichtsstab „Die Rote Rute" genannt, fragte den Titelmans, da er ihn allein auf der Landstrasse traf: ,Wie wagst du, allein herumzugehn und überall Leute zu verhaften, da ich mein Amt, an der Spitze einer starken, bewaffneten Macht, nur mit Lebensgefahr übe?' ,Ach, rote Rute', sagte Titelmans, ,du hast es mit bösen Leuten zu tun. Ich habe nichts zu fürchten, ich verhafte nur die Unschuldigen und die Gerechten, die sich wie Lammer greifen lassen.' Gut', sagte die rote Rute, ,aber wenn du alle Guten verhaftest und ich alle Bösen, wer in der Welt soll ohne Züchtigung bleiben?' — Lieber Freund, so lacht man über uns! Wegen müssiger Worte und geargwöhnter Gedanken verbrennt dieser Titelmans die Leute. ,Ich warte nicht erst die Taten ab', gesteht er. Der Schulmeister von Oudenarde, Geleye de Muler, las in der Bibel. Titelmans rief ihn und sagte: .Schulmeister, du bist em Ketzer!' ,Ich habe das Recht, vor meinem Stadtrichter gehort zu'werden!' sagte der. ,Du bist mein Gefangener', erklarte Titelmans, ,steh' Rede!' Und er katechisierte ihn und fand einen Ketzer an ihm. .Widerrufe!' befahl Titelmans. ,Nein!' sagte der Schulmeister. ,Liebst du nicht Weib und Kinder?' ,Und ware die Welt aus Gold und gehorte mein', sagte der arme Schulmeister, ,ich gabe sie hin um ihretwillen, und sollte ich von Wasser und Brot leben, weiss Gott.' ,Also entsage deinem Irrtum! bat Titelmans. ,Weder für Weib und Kind, noch fur die ganze Welt kann ich dem wahren Glauben entsagen', antwortete der Gefangene, man verbrannte ihn. Der Teppichweber Thomas Calberg von Tournay hatte Hymnen aus einem in Genf gedruckten Buch abgeschrieben, man verbrannte ihn. Einen Mann, dessen Namen ich vergass, hackte man mit sieben Streichen eines rostigen Schwerts in Stücke, seine Frau stand dabei und gab vor Entsetzen den Geist auf, ihr Mann war Wiedertaufer. Den Walter Kapell verbrannte man für seine Meinung. Er hatte zu Dixmuyde gelebt und die Armen gespeist. Ein Blödsinniger, den Kapell oft bewirtet, rief den Dienern des Titelmans zu, als sie den Kapell an den Pfahl banden: ,Ihr blutigen Mörder, dieser Mann tat kein Unrecht, er gab mir Brot zu essen!' und stürzte in die Flammen, man zog ihn heraus. Zwei Tage spater schlic er zum Pfahl, nahm das halbverbrannte Skelett seines Wohltaters auf die Schultern, schleppte es zum Rathaus, wo die Herren Beamten sassen, warf das Skelett auf den Ratstisch und schrie: ,Ihr blutigen Mörder habt sein Fleisch gegessen, fresst jetzt seine Knochen!' Zu Tournay bat der Samtweber Bertrand le Bias seine Kinder, für ihn zu beten, und ging am Christtag in die Kathedrale neben den Altar und riss dem Priester die geweihte Hostie, da der sie emporhob, aus den entsetzten Fingern, brach die Oblate in Stücke und schrie: ,Missleitete Menschen, haltet ihr das Ding da für Jesus Christus, euren Erlöser?' Und trat die Stücke mit Füssen. Und waren alle entsetzt, er hatte fliehen können, und wich nicht. Nach einiger Zeit griffen sie ihn. .Bereust du?' fragte Titelmans. ,Ich rühme mich!' sagte der Samtweber, man schleifte ihn auf einer Hürde zum Markt, ein eiserner Knebel verschloss seinen Mund. Mit zwei glühenden Eisen zwickten sie ihm die rechte Hand und den rechten Fuss ab; dann rissen sie ihm die Zunge mit der Wurzel aus, knebelten die restlichen Glieder hinterrücks, hingen ihn um die Mitte des Leibs mit einer eisernen Kette und Hessen ihn über einem langsamen Feuer pendeln, bis er fertig geröstet war. Er lebte fast bis zum Ende, standhaft! Den Robert Ogier aus Ryssel, seine Frau und zwei Söhne verbrannte man lebend am Pfahl, weil sie in ihrem Haus beteten. ,0 Gott', betete der jüngere Sohn am Pfahl, ,ewiger Vater, nimm das Opfer unsres Lebens im Namen deines Sohns!' .Schurke! Du lügst!' schrie der Mönch und schürte das Feuer, ,Gott ist nicht dein Vater, ihr seid des Teufels Kinder!' Als die Flammen emporschlugen, schrie der Sohn: ,Sieh Vater, der ganze Himmel tut sich auf und ich sehe hunderttausend Engel über uns jubeln; lass uns froh sein: Wir sterben für die Wahrheit!' ,Du lügst! Du lügst!' schrie der Mönch, ,die ganze Hölle tut sich auf, und ihr seht zehntausend Teufel, die euch in die ewigen Flammen stürzen.' Zu Ryssel brach Titelmans, den sie ,Saul der Verfolger' heissen, in das Haus Johanns de Swarte ein und verbrannte ihn, seine Frau, seine vier Kinder, zwei neuvermahlte Ehepaare und noch zwei Personen, weil sie die Bibel lasen. Granvella schrieb an Philipp: Das Volk würde nicht den Mund auftun, machten die grossen Herren nicht das Geschrei, weil sie mit Leib und Seele verschuldet sind; weil re- volutionare Bewegungen ihnen dienen könnten, ihre Schulden loszuwerden und Mittel für ihre Maskeraden und Bankette zu schaffen; weil der Prinz von Oranien ehrgeizig, weil Egmont auf mich eifersüchtig ist; das gemeine Volk ist namlich ein verachtlich und boshaft Tier. Oranien schrieb seinem Freund: Zu Tournay erhielt heute der Meister Jaques Barra, der Henker, für zweimaliges Foltern des Jean de Lannoy zehn Pfennige. Demselben zahlte man für Hinrichtung des besagten Lannoy durch Feuer sechzig Pfennige. Dafür, dass er dessen Asche in den Fluss geworfen, erhielt er acht Pfennige. Blutige Pfennige, Vetter! Philipp schrieb seiner Schwester Margareta: Feierlich protestiere ich gegen die Verleumdung, ich wolle die spanische Inquisition in den Provinzen einführen. Weswegen, schrieb der König seinem Beichtvater, dem dicken Bischof von Cuenca, sollte ich die spanische Inquisition einführen? Die Inquisition der Niederlande ist erbarmungsloser als die spanische. Granvella schrieb dem königlichen Sekretar Perez: Es ist zum Lachen, dass der König uns aus Spanien Denunziationen mitteilt, um mit ihrer Hilfe hier nach Ketzern zu spüren, als ob wir derer nicht Tausende kennten. Ich wollte, ich hatte ebensoviele Dublonen jahrlichen Einkommens, als es öffentliche erklarte Ketzer in den Provinzen gibt. An den König schrieb Granvella: Die grossen Herren wollen Ew. Majestat zu einem Schatten in den Niederlanden machen, zu einer blossen Ziffer. Montigny, der Gouverneur von Valenciennes, sagt laut, es sei nicht recht, um des Glaubens willen Blut zu vergiessen; nirgends in der Heiligen Schrift stehe, dass man Ketzer töten solle. Mit solchen Mannern wollen wir Fortschritte machen? Und so geschah es zu Valenciennes: Als man die beiden Prediger Faveau und Mallart an den Pfahl band, auf dem Markt, rief Simon Faveau: ,0 ewiger Vater!' Da zog eine Frau aus dem Haufen ihren hölzernen Schuh aus und warf ihn nach dem Scheiterhaufen. Da stürzten viele gegen die Schranken, zertraten die brennenden Reisigbündel, rissen das Pflaster auf, brachen die hölzernen Schranken in Stücke, sangen die Psalmen Davids (in Marots Übersetzung), drangen vors Gefangnis (wohin die Inquisitionsdiener vom Pfahl die Prediger geschleift), befreiten die Gefangenen, führten sie vor die Stadt und sagten: ,Lauft, Brüderlein, lauft! Ich sandte Berittene und liess hinmetzeln. Die Behörden versaumten nichts, was zur Besserung der armen Leute dienen konnte. Montigny fordert, man solle die Bekehrten nicht strafen und die Obstinaten leben lassen, vielleicht bekehren sie sich noch! Monströse Doktrin! schrieb Philipp an den Rand. Granvella schrieb dem König: Diese Rhetoriker, welche Farcen machen, sind böse auf mich, weil ich ihnen vor zwei Jahren verwehrte, die Heilige Schrift zu verspotten. Auf die neuen Bischöfe und mich schütten sie Reime, Epigramme, Karikaturen, Scharaden und Pasquille aus, das klebt an allen Mauern, das geht von Hand zu Hand. In jeder Strasse spielt man Farcen, in denen wir Geistlichen als Narren figurieren, als ob das Volk nur durch Hohn über Kirche und Gott sich amüsieren lasse. Ich verbot die Farcen. Der Kardinal schrieb dem Philipp: Sie haben ein Spottgedicht auf mich gemacht. Nur ein Burgunder sticht so fein, nur der Renard konnte das anfertigen. Er ist der Verführer des Egmont, der von Natur schwach, ein Freund des Dunstes, leicht zu missleiten und in der Hauptsache loyal ist. Ich möchte schwören, dass die Satire aus der Feder Renards stammt. Sie ist falsch und infernalisch und bedroht nicht nur mich, sondern auch den Heiligen Vater mit ebensolcher Schmach, wie sie in Deutschland übüch ist. Egmont weiss von dem Pasquill. Renard besucht das Haus des Grafen, geht mit ihm auf einem vertrautern Fuss um, als sich ziemt. Acht Tage, bevor die Satire in Umlauf kam, fand in Egmonts Haus ein Gesprak ganz ahnlich dem Pamphlet statt. Der Mann, in dessen Handen man zuerst das Machwerk erblickte, ist ein Schwertfeger, ein Patenkind Egmonts. Dieser Mann erklart, er habe das fliegende Blatt im Tor der Stadthalle gefunden; gebe Gott, dass er es nicht war, der es dort hingelegt. Man erzahlt, Egmont habe sich mehrmals von dem Schwertfeger Kopien des Gedichts holen lassen, das mehrt den Verdacht gegen ihn. Philipp schrieb an den Rand dieses Briefes: Interessant! Granvella schrieb dem König: Oranien und Egmont haben sich berichten lassen, ich hatte Ew. Majestat gesagt, Sie werde der Provinzen niemals Herr werden, wenn Sie nicht wenigstens ein halbes Dutzend Köpfe abschlagen lasse; und Ew. Majestat beabsichtige, da ein solches Vorhaben hier schwer auszuführen ware, die ausersehenen Opfer nach Spanien zu rufen und dort hinzurichten. Ew. Majestat kann urteilen, ob mir je so etwas eingefallen ist. Ich habe darüber gelacht. Es ist eine der groben Falschungen Renards. Dieselben Herren erzahlten mir, der Herzog Alba habe zu Paris, da er als Geisel dort war, einen Bund zwischen Frankreich und Spanien zur Ausrottung der Ketzerei mit dem Schwerte geschlossen. Meine Absicht ist, die Grossen mit aller Nachgiebigkeit zu behandeln. In einem Punkte bin ich eisem: Die Autoritat Se. Majestat. Mein Leben dafür! Sehr gut!, schrieb Philipp an den Rand. Es ist dringlich, schrieb Granvella, dass Ew. Majestat obigem Gerücht förmlich widerspreche! Widersprechen!, schrieb Philipp an den Rand und schrieb seiner Schwester Margareta nach Brüssel: Der Kardinal riet mir nicht, das halbe Dutzend Köpfe abzuschlagen; aber vielleicht ware ein solches Verfahren so übel nicht! Granvella schrieb dem König: Graf Brederode, toll, wenn es je einen Tollen gab, besucht als Kardinal verkleidet jeden Mummenschanz; nie sah ihn einer nüchtern. Er und sein Vetter, ein Urenkel des berühmten Ebers der Ardennen, trieben den Spass so weit, dass sie Fuchsschwanze statt der Federn auf ihren Hüten trugen. Auch ihre Diener mussten an allen Stellen Fuchsschwanze tragen. Das sollte heissen, bald hatten sie den alten Fuchs Granvella zu Schanden gejagt. Ein Jagerwitz! Die Herren wollen an mein Leben. Man sagt, ich trüge ein Panzerhemd verborgen, lebte in Todesfurcht, sei vor Egmont und Oranien auf die Knie getallen — Fabeln! Fabeln! Ich habe Mut. In mein Landhaus vor den Toren von Brüssel gehe ich jeden Abend allein. Morden mich die Herren, so morden sie ihren besten Freund. Mein Landhaus heissen sie „die Schmiede" und wollen auf meinen Grossvater anspielen, der angeblich zu Ornans ein Schmied war. Ew. Majestat wissen es besser. Sehr gut!, schrieb Philipp an den Rand. Ich gehe jetzt, schrieb Granvella, mit den Herren vom niedern Adel um. Diese empfehle ich Ew. Majestat. Es macht mich lachen, dass die grossen Herren von meinen Gastmahlern sich fernhalten; ich habe immer zahlreiche Tischgaste, Adlige wie Beamte. Ich lade bisweilen sogar Bürger ein. Über das Haupttor meines bescheidenen Landhauses, das ,La Fontaine heisst, habe ich eine weibliche Marmorfigur von einem jungen, tüchtigen Künstler setzen lassen. In der einen Hand halt die Figur einen leeren Weinbecher, in der andern Hand eine Urne, aus welcher Wasser fliesst. Auf das Piedestal liess ich mein Motto schreiben: Durate! Denn meine Macht wird dank Ew. Majestat langer als diese Herren dauern! Und mein Wirken, nie versiegend und rein wie Quellwasser, wird ruhig fortfliessen, wenn der Wein ihres Lebens langst bis zur Hefe geleert ist. Sehr gut!, schrieb Philipp an den Rand und fügte spater hinzu: Was denkt dieser Mensch eigentlich? Oranien schrieb seinem Freund nach Deutschland: Als in Frankreich der Bürgerkrieg ausbrach, bat der König von Frankreich seinen Schwager Philipp um Hilfe. Philipp schickte dreitausend spanische Fuss-Soldaten und dreitausend Italiener und befahl der Herzogin von Parma, zweitausend flandrische Reiter zu senden. Wir im Staatsrat tobten. Wir mussten schliesslich Gelder für fünfzehnhundert Soldaten bewilligen und baten um Berufung der Generalstaaten. Der König verbot es und forderte neues Geld. Wir weigerten es und sandten den Montigny. Ungern fuhr er in die Höhle des Löwen. Die Niederlander haben Rechte! Und Philipp bricht sie! Es gibt keinen König in den Provinzen. Philipp ist König von Spanien, oder von Jerusalem, aber in Friesland heisst er Herr, in Flandern Graf, Herzog in Brabant, anderswo anders. Die Herren, schrieb Granvella, sagen ihren Glaubigern, sie hatten ihr ganzes Vermogen im Dienste Ew. Majestat ausgegeben und niemals Gehalt bekommen. Dies tun sie, um Ew. Majestat verhasst zu machen. Es sind Demagogen, die ihre Landsleute nicht verbrennen wollen, weil sie um des Pöbels Gunst buhlen. Dieses Gerede von der Inquisition ist ein Vorwand. Es soll nur dem grossen Haufen Staub in die Augen streun und den Pöbel in den Aufruhr hetzen! Ich kann Beleidigungen gegen mich vergeben. Wollte Gott, die Herren entschlössen sich, die Autoritat Ew. Majestat zu verteidigen. Ich will sterben, wenn es nicht mein Wunsch ist, auch dem geringsten dieser Herren Gutes zu tun. Ew. Majestat weiss, dass ich es nie verschweige, wenn einer von ihnen etwas im Interesse Ihres Dienstes getan hat. Trotzdem sind sie nun einmal so gesinnt. Ich hoffe doch, diese Laune wird vorübergehn, und wenn Ew. Majestat kommt, so wird Sie alle Adligen des besten Lobes würdig finden. Sehr richtig!, schrieb Philipp an den Rand. Sehr gut gesagt! Aber wozu in die Provinzen kommen ? Ich mag die Seereisen nicht. Ich mag die Niederlander nicht! Ich bedaure, schrieb Granvella, Ew. Majestat unterrichten zu müssen, dass der Egmont neuerdings lau wird. Eines Tages werden ihm die Augen aufgehn. Sehr richtig!, schrieb die Majestat an den Rand. Ich will, schrieb Granvella, für alles Gesagte nicht einstehn. Ich hoffe, schrieb Granvella, die Herren andern ihr Betragen noch. Dem Oranien schreibt man folgendes Wort zu: ,Höre ich Katholiken diskutieren, will ich Lutheraner werden, und bin ich unter Lutheranern, beschliesse ich, Katholik zu bleiben. Die Lauen, schrieb Philipp an den Rand, hasse ich zumeist. Ich mag diese Toleranz nicht! Gut zu Guten, böse zu Bösen sein! Ich habe, schrieb Granvella, eine Geschichte gehort, die ich mich verpflichtet fühle, mitzuteilen, obgleich ich sie nicht völlig glaube. Ich halte es für meine Schuldigkeit, die Nachricht nicht zu verschweigen, weil sie genau mit einer Angabe übereinstimmt, die ich aus einer andern Quelle habe. Die Geschichte ist die, dass einer dieser Herren, (ich weiss nicht, welcher) gesagt hat, ehe man den König seinen Willen gegen die Privilegien durchsetzen lasse, werde der Adel lieber einem andern Prinzen des Hauses die Souveranitat übertragen. Dies ist vielleicht mehr ein Einfall als ein Entschluss. Graf Egmont wechselt jedenfalls unaufhörlich Briefe mit Maximilian, dem König von Böhmen, und deswegen glaubt man, dieser sei der Prinz des Hauses Habsburg, der zum Regenten der Niederlande gewahlt werden solle. Der Plan lautet, dass man erst die Wahl Maximilians zum römischen König durch gütliche oder gewaltsame Mittel durchsetzen und dass dann Maximilian eine Armee zum Angriff auf die Niederlande sammeln solle, wahrend man in den Provinzen gleichzeitig eine Bewegung zu seinen Gunsten vorbereite; das Volk solle zur Empörung bewogen werden, indem man ihm in der Religion die Zügel schiessen lasse. Der Briefwechsel zwischen Egmont und Maximilian kann freilich nicht in Erstaunen setzen, da schon zur Zeit des verstorbenen Kaisers eine grosse Vertraulichkeit zwischen ihnen bestand. Die Haufigkeit der von ihnen gewechselten Briefe scheint mir deshalb noch kein Beweis dafür, dass die Absicht, ein Heer zur Eroberung der Pro vinzen zu sammeln, existiert. Im Gegenteil, Maximilian wird einen solchen Plan nicht ohne den Beistand seines Vaters, des Kaisers Ferdinand, ausführen können, der doch um keinen Preis an einer solchen niedertrachtigen Intrige gegen Ew. Majestat wird teilnehmen wollen. Überdies glaube ich nicht, dass irgend einer der grossen Adligen Macht genug hat, dergestalt nach Belieben über die Provinzen zu verfügen; es müsste denn das Volk durch die schlechten Ratschlage, die man ihm taglich gibt, erst noch arger verdorben werden. Aus diesen Gründen ist diese Geschichte als unwahrscheinlich zu verwerf en, obwohl sie aus dem Hause des Grafen Egmont herstammen soll. Alles zusammen, betrachte ich den Grafen Egmont als einen der loyalsten von allen Seigneurs, wenn der Schein nicht trügt. Philipp schrieb an den Rand: Achtung auf den Schein! Ich vergesse nicht, schrieb Granvella, dass die Rache Gott gehort. Ich rate Ew. Majestat, sich zu verstellen und zu tun, als wisse Sie nicht, was in den Provinzen vorgeht. Ich lege Ihnen Entwürfe für Ihre Briefe an die Niederlander bei und Anregungen für Ew. Majestat Gesprache mit dem Montigny. Granvella schrieb dem König: Der Prinz von Oranien soll gesagt haben: ,Eines Tages werden wir die Starkern sein!' Im Herbst 1562 schrieb Montigny aus Madrid an Egmont: Philipp empfing mich gnadig. Er habe, sagte er mir, nicht die Absicht, die spanische Inquisition in den Niederlanden einzuführen. Ich fahre unzufrieden nach Haus. Es wird weiter verbrannt, doch unter der Versicherung, das mache nicht die spanische Inquisition, sondern die heimische. Bei der Abschiedsaudienz hat Philipp mich gebeten, aufrichtig über die Ursachen des Missvergnügens in den Niederlanden zu sprechen. Ich sprach von der Tyrannei Granvellas und sagte: ,Alle guten Niederlander denken so. Granvella ,und die Inquisition sind schuld.' Montigny schrieb an Oranien aus Paris: Hier sagt man, Egmont und Oranien fechten für die Hugenotten. Wilhelm schrieb seinem Bruder Ludwig: Ich geriet in Wut über dieses Gerücht. Ich bin ein Katholik. Ich hob im Staatsrat an, zu schrein: ,Das stammt von Granvella! Der Kerl verleumdet mich!' ,Ruhe! Ruhe!' bat Margareta mit ihrer tiefen Stimme. Ich und Egmont und Horn und Montigny und Bergen erklarten: ,Wir oder Granvella! Entweder Granvella stürzt oder wir verlassen den Staatsrat.' Am 11. Marz 1563 schrieben Oranien, Egmont und Hom dem König: Alles liegt in Granvellas Hand. Darum muss er fort. Der Kardinal ist verhasst. Die Gefahr ist dringend. Will man alle verletzen, um einen zufrieden zu stellen? Wir sind frei von Ehrgeiz und Gewinnsucht. Wir bitten, uns aus dem Staatsrat zurückziehn zu dürfen. Die Rücksicht auf unsern Ruf und das Interesse des Königs verbieten uns, mit dem Kardinal die Regierung zu teilen. Wir sind pflichtgetreue Untertanen, katholische Vasallen. Ohne uns gabe es keine Ruhe im Land. Das gemeine Volk erleidet zu viel Unrecht. Der Kardinal führt sich schandlich auf. Man gebe uns keine Schuld, wenn ein Unglück kommt! Granvella kündete dem König einen Tag zuvor dieses Schreiben an und legte den Entwurf einer Antwort bei. Am 6. Juni antwortete Philipp: Er anerkenne den löblichen Eifer; sie hatten die Gründe zu nennen vergessen; solche Dinge bespreche man besser mündlich; er sei nicht gewohnt, Minister ohne Untersuchung zu verurteilen oder ohne Grund zu entlassen. Vielleicht komme einer der Herren nach Madrid und erklare alles! Granvella schrieb dem König: Man sagt, die Grossen und das Volk verabscheuen mich. Stimmt. Aber warum? Weil ich für den König stehe! Darum dulde ich viel! Ich spotte darüber wie über eine Schnecke. Aber des Königs Dienst leidet! Philipp schrieb an Margareta: Ich möchte, dass Egmont, der tratabelste der drei, nach Madrid komme. Ich habe die Absicht, Uneinigkeit unter den Grossen zu stiften. Ich will Zeit gewinnen. Philipp schrieb an Egmont: Kommen Sie nach Madrid! Raten Sie mir! Ludwig von Nassau schrieb seinem Bruder Wilhelm von Oranien: Das ist ein kalter Bescheid nach so langer Frist. Der Brief kommt aus des Kardinals Schmiede. Der Kardinal leitet alles. Margareta und Philipp, wir und die Niederlande sind seine Puppen. Der rote Puppenspieier stürze, sonst... Margareta schrieb ihrem Bruder Philipp: Egmont erklarte, er sei nicht abgeneigt, nach Spanien zu fahren, müsse aber erst Hom und Oranien fragen. Danach erklarte er, es sei nötig, alle Herren, die den Brief gebilligt, zu Rat zu ziehn. Ich habe die Versammlung zu Brüssel erlaubt, weil ich sie nicht verbieten konnte. Bald sende ich meinen Sekretarius nach Spanien, zur bessern Unterrichtung. Egmont schrieb dem König: Ich lehne es ab, bloss wegen des Kardinals die lange, beschwerliche Reise nach Spanien zu machen. Ich bin bereit, zu jedem andern Zweck nach Spanien zu kommen. Vier Tage spater schrieben Oranien, Egmont und Hom zum zweiten Mal dem König: Wir sind zu Rate gegangen. Uns scheint es gefahrlich, dass einer von uns nach Spanien reist. Granvella ist kein Anlass zu einer Reise. Wir sind im Prozess gegen Granvella keine Anklager. Wir meinten, eine kurze Mitteilung reiche hin, Ew. Majestat zu bewegen, den Kardinal in einer andern Stellung, wo seine Talente von Nutzen sein könnten, zu verwenden. Wenn Ew. Majestat die Bemerkung machte, dass wir den Kardinal anklagten, ohne unsere Beschwerde zu nennen, so erwidern wir, es ist nicht die Rede von einer Anklage, sondern von der Notwendigkeit, den Kardinal seines Amtes zu entheben. Dass wir keine Ursache angeführt, hat seinen Grund nicht in einem Mangel solcher Ursachen. Wir erwarteten, im Vertrauen auf unsere frühern Verdienste werde Ew. Majestat ohne Beweise uns Glauben schenken. Wir bitten, uns vom femern Dienst im Staatsrat zu dispensieren. Der Streit zwischen uns und dem Kardinal im Staatsrat ist nicht erspriesslich für die Geschafte Ew. Majestat. Zum Schluss bitten wir den geraden Stil unserer Briefe zu entschuldigen, da wir von Natur keine Redner, sondern zum Handeln geschickt sind, wie das Personen unserer Stellung geziemt. Die Regentin Margareta sandte ihren Privatsekretar Thomas de Armenteros mit einem Brief nach Madrid. Er war ihr Liebling und ihr Lakei, verwegen und üppig, er sollte vom Fortschritt der Ketzerei und von der Armut der Schatzkammer reden. Granvella war zu stolz, um ihn zu kaufen. Sie schrieb: Ich will beide Seiten vorstellen, die Erfahrung Granvellas und die Bedenklichkeit, ihn gegen das ganze Volk zu halten. Die Herren haben einen förmlichen Protest übergeben und ausgesprochen, dass das Land auf dem geraden Weg zum Verderben sei: Die Schatzkammer leer; das Volk unzufrieden; die Grenzfestungen verfallen; die niederlandischen Kaufleute im Auslande in Gefahr, für die Schulden des Königs in Haft genommen zu werden. Da gebe es nur ein Mittel: Die Berufung der Generalstaaten. Seit diesem Protest blieben Horn, Oranien, Egmont dem Staatsrat fern. Armenteros an Margareta: Nach einem Monat langte ich schon in Madrid an. Ich kam in Audienz, vier Stunden lang; ich las dem König Urkunden und Briefe vor und geheime Berichte und Spitzelberichte und las und las und bat um eilige Entschliessung. Philipp hat andere Sorgen. Er schickte alle Briefe der Herren und mehr Papiere noch an den Herzog Alba. Alba schrieb dem König: So oft ich die Depeschen jener drei flamischen Herren ansehe, gerate ich in solche Wut, dass ich bald, nahme ich mich nicht zusammen, wie ein Rasender erschiene. Sie klagen den Kardinal an, nur weil er sich gegen die Einberufung der Generalstaaten wehrt. Den Herren soll man die Köpfe abschlagen; bis das geschehen kann, möge Ew. Majestat sich gegen sie verstellen. Ich empfehle solche Behandlung nicht als ein wahres Heilmittel, sondern nur als ein Palliativ. Den Kardinal abzuberufen, was sie vorzuschlagen die Unverschamtheit gehabt haben, rate ich ab. In der Zwischenzeit, bis man zu jener angedeuteten kraftigen Züchtigung zu schreit en imstande ist, möge man die Grossen veruneinigen, indem man den Egmont, der sich leichter als die andern wird fangen lassen, mit Schmeicheleien betört. Granvella schrieb dem König: Seit der Rückkehr Montignys haben die Herren eine Liga gegen mich geschlossen. Wer nicht beitreten will, den heissen sie Kardinalisten. Meine Devise lautet: Ruhe, Ruhe! Es betrübt mich, dass Zerwürfnisse um meinetwillen entstanden sind. Unter der Hand treffe ich Massregeln, das Volk gegen die Herren einzunehmen. Ich lege einen Entwurf für eine Antwort an die Grossen bei, bitte aber, mich zu opfern, wenn es das Interesse des Landes erheischt. Granvella schrieb dem König: Um der Liebe Gottes willen nehme Ew. Majestat die Inquisition kraftig in Ihre königliche Hand; sonst können wir nur rufen: Hilf, Herr, wir gehen zugrunde. Es ist sehr schlimm, wenn das Interesse regiert. Oranien hat neunmalhunderttausend Gulden Schulden und fünfundzwanzigtausend Einkommen jahrlich, indes er neunzigtausend ausgibt und Grafen in grosser Zahl in Diensten halt. An einem Tag entliess er neunundzwanzig Köche und behielt genug. Es ware gut, einige dieser Grossen in Spanien anzustellen, vielleicht nahme Oranien die Würde eines Vizekönigs von Sizilien an. Granvella schrieb dem König: Wir haben so viel Larm gemacht, dass Bergen endlich gezwungen worden ist, ein paar Ketzer zu Valenciennes zu verbrennen. So zeigt sich deutlich, dass sich viel ausrichten liesse; dass wir aber nur wenig machen können, so lange er seine Statthalterschaft behalt. Montigny gar hat zur Fastenzeit Fleisch gegessen, wie mir der Bischof von Tournay durch einen reitenden Boten mitteilt. Wir haben endlich wieder einmal einen Prediger lebendig verbrannt. Der Ketzer heuchelte Reue, um sein Leben zu retten; da er entdeckte, dass wir ihn auf jeden Fall enthaupten würden, nahm er seinen Widerruf zurück. Und so verbrannten wir ihn denn! Der Oranien, der Egmont, der Horn, der Montigny, der Bergen hielten eine sehr geheime Zusammenkunft in der Abtei La Forest bei Brüssel, ich weiss nicht, was vorging, ich kann es nicht erraten, auch zu Weerth hielten sie eine Konferenz, ich weiss nicht worüber, das ist verdachtig. Philipp schickte diesen Brief an Alba, an den Rand hatte er geschrieben: Sehr verdachtig! Granvella schrieb dem König: Sie wollen eine Republik errichten! Oranien soll gesagt haben: ,Die christliche Religion ist eine Erfindung, um das Volk zu zahmen.' Granvella schrieb: Mit Sorge sehe ich so viele deutsche Truppen an der Grenze versammelt; sollen sie den Herren dienen? Oranien und Egmont verleumden mich schamlos. Sie behaupten öffentlich, ich verdachtigte sie bei Ew. Majestat. Haben die Kerle einen bessern Freund als mich? Oranien prahlt ewig mit seinem Einfluss in Deutschland und von den grossen Dingen, die er durch seine Verbindungen dort bewirken könne, so dass wir kein anderes Lied horen als dieses. Die Herren wollerx alle Rate bis auf den Staatsrat beseitigen. Der Bergen steekt dahinter. Sie wollen die Staatsform andern. Bergen will schon jetzt in allen Stücken befehlen, die Herzogin wird bald nichts mehr zu tun haben. Ja, sie wollen Ew. Majestat unter Vormundschaft stellen. Auf eine Subsidienforderung würden die Generalstaaten heute mit einem Volksaufstand antworten. Das ist die einfache Wahrheit. Obendrein wird in kurzer Zeit auch keine Religion mehr im Lande sein. Granvella schrieb dem König: Ein Edelmann aus Burgund hat neulich beim Prinzen von Oranien, wahrend Horn und Montigny dort logierten, gespeist. Bei Tische fragte Montigny den fremden Kavalier, der weit von ihm entfernt sass, mit sehr lauter Stimme, ob es viele Hugenotten in Burgund gebe. ,Nein', antwortete der Burgunder, ,auch würde man ihnen dort nicht gestatten zu sxistieren. ,Dann kann es nur sehr wenig Leute von Verstand dort geben', sagte Montigny darauf, ,denn die, welche einigen Witz haben, sind meistens Hugenotten.' Der Prinz von Oranien bemerkte, um dem Gesprach sin Ende zu machen, die Burgunder hatten ganz recht, König Philipp der Zweite. 17 zu bleiben, wie sie seicn j worauf Montigny versicherte, er habe in der letzten Zeit so viele Messen gehort, dass er für drei Monate genug daran habe. Das mögen Spasse sein, aber es sind sehr schlechte Spasse im Munde eines Mannes, der die Religion in Tournay bewachen soll. Ich flehe Ew. Majestat an, schrieb der Granvella, alles streng für Sie zu behalten. Ein Bandit aus Genua, von der Herzogin wegen eines Mordes des Landes verwiesen, erhielt zu Weerth ein Asyl beim Graf en Horn; man will ihn anstiften, mich zu ermorden. Ich freue mich, schrieb Granvella dem König, dass das Gerücht, Ew. Majestat sei ermordet worden, log. Auch ich, im Vergleiche nur ein Wurm, werde von so vielen Seiten bedroht, dass mich mancher schon als tot betrachten mag; trotzdem will ich mit Gottes Hilfe versuchen, so lange zu leben, als ich kann. Und wenn sie mich töten, so hoffe ich, werden sie damit nicht alles gewinnen. Ich sage diese Dinge nicht, um Ew. Majestat gegen irgend jemanden einzunehmen. Gott weiss, dass ich immer mit Achtung von den Herren rede, was sich von ihren Reden über mich nicht sagen lasst. Aber Gott verzeihe ihnen allen. In Zeiten wie diesen muss man seine Zunge hütten. Man muss stillhalten, wenn man nicht in ein Hornissennest stechen will. Philipp schrieb an den Rand: Obiges zur falschen Nachricht aus Flandern, dass sie mich mit einem Büchsenschuss gemordet haben! Das Mittel, schrieb Granvella, das ich empfehle, um dem künstlich erregten, öffentlichen Missvergnügen zu begegnen, ware der Besuch Ew. Majestat in den Provinzen. Ew. Majestat wird die ganze Krankheit mit einem Mal heilen, sobald Sie nur erscheint und das Zeichen des Kreuzes macht. Für den Prinzen von Oranien könnte man einen Kopfpreis aussetzen, dreissig- bis vierzigtausend Dukaten für seinen Mörder, wie es von je die Fürsten in Italien tun. Vielleicht genügt schon diese Ankündigung, um ihn vor Furcht zu töten, er ist feige. Macht man die Auslobung in Frankreich oder Italien, findet man vielleicht sogar einen Narren, der es für Geld versucht. Granvella schrieb dem König: Der Kaufmann Kasper Schetz, Ew. Majestat Finanzagent an der Antwerpener Börse, gab den Herren ein Essen, wobei der Wein und der gemeine Witz in Stromen flossen, sie scherzten ob dem Pomp, den ich angeblich entfalte, besonders in Livreen meiner Diener. Genug des Geschwatzes Trunkener! Einer tat den Vorschlag, eine gemeinsame Livree für alle Diener der anwesenden Herren zu erfinden, eine schlichte Livree. Sie würfelten, den Egmont traf es, die Livree auszuhecken. Paar Tage spater zeigten Egmonts Bediente die neue Tracht: Jacke und Hose vom gröbsten grauen Tuch, mit langen, hangenden Armeln, ohne Gold und Silbertressen. Eine Mönchskapuze oder Narrenkappe mit Schellen ist auf beide Armel gestickt. Die Narrenkappe soll darauf deuten, dass ich die Herren Possenreisser hiess. Auch Brutus trug die Kleider eines Narren! wollen sie sagen. Arme Brutusse! Die neue Tracht wird Mode. Erst trugen nur die Diener sie, schon tragen's die Herren, an die Stelle der Kappen tun sie ein Biindel Pfeile oder eine Weizengarbe, offenbar ein Symbol der Verschwörung! Hat Granvella recht?, schrieb Philipp an den Rand und zeigte den Brief dem Alba. Was meinen Sie, Herzog? Ist es nicht besser, den Kardinal gehn zu lassen? Und den Egmont nach Madrid zu rufen? Der König Philipp schrieb an die Regentin: Züchtige die Ketzer! Berufe keinesfalls die Staaten! Wegen Granvella bin ich noch mit Erwagung beschaftigt. Ich bin erstaunt, dass die Herren aus dem Staatsrat wegbleiben und gebiete ihnen peremptorisch, auf ihre Posten zurückzukehren. Philipp schrieb eine geheime Note an die Herzogin: Ich schrieb an die drei Herren, liess aber den Brief noch nicht abgehn, weil ich wünsche, dass Armenteros vorher ankomme. Ich schliesse diesem Briefe zwei Briefe an Egmont bei. Übergib ihm jenen, welcher den Umstanden nach der beste scheint. In dem einen Brief nehme ich Egmonts Anerbieten einer Reise nach Madrid mit Freuden an; in dem andern lehne ich es höflich ab. Ich habe, schrieb Philipp eigenhandig und geheim dem Granvella, nachgedacht. Ich habe auch berücksichtigt, dass die Verrater bei einer Empörung mit Ihnen nur anfangen werden, um sodann weitere Plane auszuführen. Besonders habe ich das in Betracht gezogen, was Sie in Betreff des Mörders aus Genua vernommen haben, den der Hom zu Weerth bewirtet. Das alles erfüllt mich mit grosser Sorge. Ich will Ihr Leben, dessen Fortdauer für mein Interesse so wichtig ist, erhalten sehen. Ich habe daher gedacht, um dem Hass Zeit, auszutoben, zu vergönnen, werde es das beste sein, wenn Sie das Land für einige Tage verlassen, um Ihre Mutter zu besuchen, mit Wissen der Herzogin, meiner Schwester, und mit ihrer Erlaubnis, welche Sie erbitten werden, und die ich ihr befohlen habe, Ihnen zu erteilen, ohne dass sie merken lasse, dass Sie von mir Befehl zu jenem Schritt erhalten haben. Sie werden sie auch bitten, an mich zu schreiben, um meine Billigung dessen, was sie tun wird, einzuholen. So wird weder meine noch Ihre Autoritat leiden; und je nach der Wendung, welche die Dinge spater nehmen mogen, lassen sich Massregeln treffen, sowohl für Ihre Rückkehr, wenn sie ratlich erscheint, als auch für alles andere, was einer Regelung bedürfen wird. Die Regentin übergab dem Egmont jenen Brief Philipps, der des Grafen spanische Reise ablehnte. Oranien an seinen Bruder Ludwig: Am 13. Marz verliess der Kardinal Brüssel. Ein Witzbold klebte ans Tor des Palastes Granvellas ein grosses Plakat mit der Inschrift .Sogleich zu verkaufen'. Der Kardinal fuhr mit Gefolge, Equipagen und Prunk. Die Regentin lieh ihm ihre Maultiere. Brederode und Hoogstraaten sahen zusammen vom Fenster eines Hauses am Caudenberger Tor der Abreise zu. Als der Kardinal das Tor nach Namur passiert hatte, liefen beide Grafen auf die Strasse, setzten sich zusammen auf ein Pferd, Hoogstraaten (der Stiefel trug) in den Sattel, Brederode hintenauf, und galoppierten hinter Granvella drein und schrien wie Schulknaben und eskortierten den gestürzten Minister ein gut Stück Wegs. Einmal kamen sie seinem Wagen, da der eine Schlucht passierte, so nahe, dass sie ihn von der Höhe des Abhangs, wo sie Halt machten, hatten anreden können; aber sie zogen die Kragen ihrer Mantel über ihre Gesichter und liessen ihn unangefochten ziehn. Von Namur schrieb Granvella der Herzogin: Bitten Sie Se. Majestat um gnadige Entschuldigung für meine Abreise aus Brüssel, zu der mich Gründe privater Natur veranlasst haben. Von Besan^on schrieb Granvella dem König: Um meine Mutter, die ich seit neunzehn Jahren nicht sah, einmal aufzusuchen, machte ich einen Ausflug nach Burgund. Die nötige Erlaubnis erhielt ich von der Herzogin, die mir freundlich versprach, mit dem ersten Kurier an Ew. Majestat zu schreiben und Ihre Billigung zu erbitten. Von Besan9on schrieb Granvella der Regentin: Einige Herren wollen von Armenteros erfahren haben, ich hatte auf des Königs Befehl das Land für immer verlassen; das ist eine boshafte Erfindung Renards, über welche ich natürlich nur lachen kann. Philipp schrieb seiner Schwester: Ich kann es nicht übel nehmen, dass Sie dem Kardinal Granvella für zwei oder drei Monate Urlaub zur Erledigung einiger Privatgeschafte gegeben haben. Diesen Brief liess die Herzogin im Staatsrat verlesen. Philipp schrieb dem Kardinal vertraulich: Eben erst habe ich vernommen, dass Sie von der Regentin Urlaub erhielten für einen Besuch bei Ihrer Mutter. Diesen Brief wies Granvella allen vor, zum Beweise, dass sein Abschied nur ein Ausflug war. Auch dem Sekretar des Königs, dem Perez, schrieb Granvella das einstudierte Marchen von der Mutter. Perez hatte Philipps Abberufungsschreiben aber aufgesetzt. Ein grosser Mann, schrieb Granvella dem Perez, gleicht einem See, aus welchem eine durstige Menge trinkt, bis das Wasser trübe wird und endlich zur Neige geht. Die Macht sieht nur von vorne reizend aus. Das, was man besitzt, scheint immer von geringerm Wert, als was man erhofft. Ich lebe hier an einem reizenden Ort, schrieb er an einen Freund, und habe Sie mir schon tausendmal hergewünscht; denn ich bin gewiss, dass Sie mein Landgut würdig finden würden, der Sitz der Musen und der Philosophen zu sein. Wir haben schone, himmelhohe Berge hier, mit fruchtbaren Hangen, reich an Weinbergen und Obstbaumen; wir haben reizende Taler mit kühlen Forellenbachen, deren kristallhelles Wasser in unzahligen Kaskaden schaumt. Wir haben schattige Haine, liebliche Wiesen; dort grosse Warme, hier trotz der Glut des Sommers köstliche Kühle. Auch fehlt es keineswegs an guter Gesellschaft von Freunden und Verwandten, und die Weine sind, wie Sie wohl wissen, die besten in der Welt. Das ist meine Philosophie, so fröhlich wie möglich zu leben und über die Welt zu lachen. Freilich ware ich auf meines Königs Befehl bereit, nach Indien, nach Peru oder ins Feuer zu gehn oder auch in die Niederlande zurück. Hier lebe ich wie ein Philosoph und trage den Bart bis zum Gürtel. Die Herzogin Margareta schrieb ihrem Bruder Philipp: jetzt bin ich besser unterrichtet. Granvellas Absicht ging auf eine Revolution. Er wollte im Trüben fischen. Er war gegen die Generalstaaten, weil er fürchtete, man werde sein Spiel durchschaun und seine Rauberei entdecken; deswegen nahrte er die Zwietracht. Ich lege ins Einzelne gehende Akten über seine Unterschleife und seinen Amterhandel bei. Granvella ist ein fürchterlicher Lump! Gleichzeitig schrieb sie dem Granvella: Ich bereue tief, für einen Augenblick auf Oraniens Rat gehort zu haben. Überall will ich öffentlich erklaren, dass Sie in Ihren Sitten ein Ritter ohne Tadel und in Ihrer Verwaltung ein höchst uneigennütziger Diener des Königs sind. Ich weiss, welche Dankbarkeit ich Ihnen schulde. Ich liebe Sie wie einen Bruder. Wenn die flamischen Herren mich verleitet haben, Sie aus Ihrer Stellung zu drangen, so bereue ich diesen Schritt aufrichtig und bekenne, mein Fehler war so schwer, dass der König, mein Bruder, mir von rechtswegen das Todesurteil sprechen sollte. Freilich hassen die Herren Sie sehr, sie würden Sie lebendig essen, wenn man Sie bekame. Graf Mansfeld richtete zu Luxemburg anlasslich der Taufe seines Sohnes eine Mummerei aus, wo die Figur eines Kardinals, mit dem roten Hut auf dem Kopf, zu Pferde ritt. Vor ihm schritt ein Eremit mit langem, weissem Bart und betete den Rosenkranz. Hinter der Kardinalsfigur ritt der Teufel und schlug mit einer Peitsche aus Fuchsschwanzen auf Ihr Abbild. Damit spielten sie auf die Pasquille des Simon Renard an. Oranien schrieb seinem deutschen Freund: Granvella fuhr nach Rom. Er ist ein Skiave dem Schein nach, in Wahrheit ein Despot. Er will die Welt regieren, indem er den König Philipp beherrscht. Er schreibt und spricht sieben Sprachen und ist sehr belesen. Er ist ein Kunstkenner, baut schone Palaste, sammelt Gemalde, ein eleganter Mann. Er lebt üppig. Er ist habgierig und grausam. Sein Motto ist: Durate. Er will Papst werden. Der Kaiser Maximilian behauptet bis heute, Granvella habe einst versucht, ihn zu vergiften. Der Mann ist zu allem fahig. Wir waren früher, zur Zeit des Kaisers Karl, Freunde. Spater erkannte ich ihn. Er ist unser gefahrlichster Feind! Oranien, Egmont und Hom schrieben dem König: Da der Kardinal ging, kehren wir zurück, gehorsam wie immer. Oranien schrieb an seinen Bruder Ludwig von Nassau: Erstens die Berufung der Generalstaaten! Zweitens die Abschaffung der Ketzeredikte! Drittens die Aufhebung des Finanzrats und des geheimen Rats zugunsten des Staatsrats! Schluss mit dem Absolutismus Philipps, Schluss mit der Korruption seiner Beamten, die alle kauflich sind! Kauflich sind seine Richter, eine Ware ward sein Recht! Ein Armer hat nur Schaden, Schande und Tod zu erwarten. Meine Hande sind rein. Ich darf es aussprechen, wie verrottet unsere Provinzen unter Granvella und Margareta wurden. Ich spreche es aus, auf die Gefahr, dass man mich einen Intriganten, ja einen Ehrgeizigen heisst. Ich bin dreissig Jahre alt, mein Antlitz ist von Sorgen zerfurcht, mein Fleisch fiel ab, meine Nachte sind ohne Schlaf. Ich bin traurig, und man liest es in meinem Gesicht. Ich kann nicht wie der Egmont kindisch werden; im kurzen Wams mit den Weizengarben an beiden Armeln speist er an der Tafel der Herzogin; mit den Handwerkern schiesst er nach dem Vogel, nennt jeden Kellner bei Namen und scharwenzelt in den Zunfthallen um Schneider und Schuster. Ich kann einem Armenteros nicht schöntun. Ich muss zuweilen eine Stunde im Vorzimmer der Herzogin warten, da niemand in ihrer Stube ist als dieser Schreiber. Was treibt sie mit ihm? Er ist ein Dieb öffentlicher Gelder. Er handelt mit Pfründen und Amtern. Die Leute heissen ihn ,Argenteros , wegen seiner Geldgier, oder .Madames Barbier', wegen Margaretens Schnurrbart usw. Man sagt, die Regentin teilt mit ihm. Sie stürze sich mit verhangtem Zügel in das Geschaft, Stellen an den Meistbietenden zu verkaufen. Oft, wenn der Staatsrat grosse Geschafte abhandelt, tuschelt Margareta mit Armenteros, sie kichern oder streiten halblaut. Das sind die Haupter der Niederlande. Als ein Staatsrat kürzlich redete, fragte die Herzogin mit gelangweilter Miene: ,Wovon spricht der Mann?' Bruder, Wölfe hausen unter uns! Die Gefangnisse sind mit Unschuldigen gefüllt; eine Hinrichtung folgt der andern. In Madrid tobt der König. In Flandern tobt der Titelmans. Im Staatsrat brachten wir eine Adresse der vier Staaten von Flandern gegen den Titelmans zur Sprache. Aber Margareta wollte nichts in der Sache tun. In Wahrheit zittert sie vor Titelmans in tödlicher Furcht. Er steht vor der Tür ihres Schlafzimmers, in der Frühe, wenn die Vögel erwachen und die Herzogin noch zu Bett liegt, und klopft an die Tür, und ruft: ,Der Titelmans, Frau Herzo- gin! Audienz für den Titelmans!' Und die Herzogin öffnet ihm, wider Willen. Im August 1564 schrieb Philipp seiner Schwester Margareta: Ich befehle, die Beschlüsse des Konzils zu Trient in allen Niederlanden unverzüglich auszuführen. An der Unfehlbarkeit des Konzils, wie einige getan haben, zu zweifeln, ist die teuflischste aller Ketzereien. Daher hat der Erzbischof von Granada dem Bischof von Tortosa mit vollem Recht erklart, dass sie ihn verbrennen würden, wenn er seine Zweifel in Spanien ausserte. Die Beschlüsse beziehn sich auf der Kirche Lehren, auf die Reformation der geistlichen Moral und die Erziehung des Volks. Die Ketzer sind ausgeschlossen aus dem Volk. Wirtshauser sollen keine Gaste, Schulen keine Kinder, Hospitaier keine Armen, Kirchhöfe keine Leichen aufnehmen, wenn nicht Gaste, Kinder, Leichen und Arme ihre Orthodoxie beweisen können. Nur orthodoxe Hebammen dürfen saugen, binnen vierundzwanzig Stunden müssen sie jede Geburt anzeigen, um der katholischen Taufe willen. Im Himmel und auf Erden sollen Ketzer ausgeschlossen sein. Margareta schrieb dem königlichen Sekretar Perez: Ich fürchte den Aufstand der Niederlande! Ich beschloss, den Egmont nach Spanien zu senden. Der Prasident Viglius ausserte, das Volk habe sich nicht in die Theologie zu mischen, und legte einen Entwurf zur Instruktion des Grafen vor. Das Konzept war massig. Wilhelm von Oranien sagte: ,Wir schicken einen Abgesandten vom Range des Grafen Egmont, um dem König die Wahrheit zu sagen. So sage man sie denn! Und eröffne ihm geradeheraus, dass seine ganze Maschinerie von Edikten und Schafotten, von neuen Bischöfen und alten Henkern, von Dekreten, Inquisitoren und Denunzianten ein für alle Mal kaputt ist. Die Niederlande sind freie Provinzen, umgeben von freien Landern, und entschlossen, ihre alten Privilegien zu verteidigen. Ausserdem muss Se. Majestat vollstandig von der furchtbaren Korruption unterrichtet werden, welche dem Gericht und der Verwaltung die Achtung des Volkes raubt. Die Kauflichkeit herrscht notorisch, auf der Gerichtsbank, im Ratszimmer, in allen Amtern. Ich klage an den Kanzier von Brabant, Engelbert Maas, ich klage ihn der Schurkerei und Bestechung an. Die zwei untern Rate sind voll von korrupten Kardinalisten, und abzuschaffen. Der Staatsrat muss durch zehn oder zwölf Patrioten verstarkt werden. Die Trienter Beschlüsse, von der ganzen Welt und sogar von den katholischen Fürsten Deutschlands verschmaht, können niemals den Provinzen aufgezwungen werden; schon der Versuch schafft die ausserste Gefahr. So müssen wir den Grafen Egmont instruieren. ,Ich selber', sagte der Oranien, ,bin ein Katholik und gedenke, bei diesem Glauben zu verharren. Ich kann es aber nur mit Kummer ansehn, wenn ein Fürst die Seelen beherrschen und den Menschen ihre Gewissensfreiheit und ihre Religionsfreiheit nehmen will.' (Damit meinte er den König.) Oraniens Rede wahrte bis sieben Uhr abends. Da ich schon hungrig war, vertagte ich die Sitzung, mein Koch hatte Krebse bereitet, Krebse liebe ich vorzüglich. Der Prasident Viglius ging zitternd nach Haus, legte sich zu Bett, erhob sich nach einer schaflosen Nacht, bei Tagesanbruch, ein Schlaganfall warf ihn um, die Diener traten ins Zimmer und fanden ihn für tot. Leiblich erholte er sich bald. Joachim Hopper, Friese, Gelehrter, Freund des Viglius, Professor zu Löwen, ersetzt ihn. Hopper ist ein Kriecher, sein Verstand ist beschrankt, sie heissen ihn den ,Rat Ja Madame', weil er in allem mir zustimmt. Er gefallt mir nicht, aber er ist brauchbar. Nur Menschen, die getallen, sind gefahrlich. Ach, diese Welt! Die Instruktion des Viglius ward verscharft, der Staatsrat bittet um eine Milderung der Edikte und um grössere Nachsicht mit den Leiden des Volks. Was sagen Sie zum Herzen unserer Grossen? ,Die Leiden des Volks!' Es sind schlechte Christen. Anfang Januar reiste Egmont endlich. Mehrere Herren unterschrieben mit ihrem Blut eine Urkunde, sie würden, wenn dem Egmont in Spanien etwas Menschliches zustiesse, Rache nehmen an allen Anstiftern. Diese Urkunde übergaben sie mir. Brederode schwor mit tausend Schwüren, er würde, um dem Egmont zu dienen, nötigenfalls Gott verlassen. Bleibt mir gewogen. Egmont schrieb aus Madrid seiner Frau, einer bayrischen Prinzessin: Meine Liebe, der König ging mir bis zur Treppe entgegen. Er ist mir gnadig. Die königlichen Abgaben auf unserm neuen Gut Gaasbecque — erlassen! Die Schuld auf unserer Herrschaft Ninove — bezahlt! Aus des Königs Schatulle! Und bares Geld in die Hand, Liebste, ich sehe die Engel im Himmel! Ich dürste nach Dir, und einem Krug bayrischen Bier. Es ist sehr heiss. Sind die Kinder gesund? Philipp will unsere Töchter verheiraten, ich habe es aus seinem Munde: .Vetter', sagte er, ,lieber Vetter! Die Madchen sind meine Sorge!' So sagte er vor einem Dutzend Höflingen. Sabine — man verleumdet den König. Ich empfing von ihm etwa hunderttausend Taler! Wilhelm von Oranien schrieb seinem deutschen Freund: Kein Volk lebte so glücklich wie die Niederlander. Was für Seefahrer! Und königliche Kaufleute! Was für grosse Maler! Sie führen keine Kriege, sie haben keine bösen Nachbarn. Fünfzigtausend Schüler im Jahr lemen Latein, Bauerinnen können lesen und schreiben, und was für hübsche Bauernmadchen! Die Flamen sind verwaltet von ihren Erwahlten, besteuert von ihren Staaten, beurteilt von ihren Richtern, beherrscht von ihren Gesetzen. So leben sie frei und reich und stolz. Doch Philipp duldet keine Macht neben sich. Ein absoluter Monarch kennt keine Duldung. Die Spanier hungern, sind steif und aberglaubisch, knechtselig und grausam. Die Niederlander leben gern, sie fressen, lachen, huren, saufen und lieben die Freiheit. Bei den nüchternen Spaniern wimmelt das Land von Heiligen. Hier leben die Nonnen wie die Huren. Zu Hoyedonk taf ein die Herren in den Zeilen der Nonnen, und im Kloster von Nivelles musste kürzlich jedes zweite Fraulein im Hemd und barfuss vom Schlafsaal zur Abtissin wandeln, vor ihr niederknien mit einer Rute in der Hand, und die Abtissin nahm die Rute und schlug die Nonne siebenmal auf den nackten Hintern, es war wegen der verlorenen Jungfernschaft, dass man sie strafte! Ich freue mich solcher Leichtigkeit der Sitten. Kam der Mensch zur Welt, um Busse zu tun? Freilich gelte ich unter Katholiken und Lutheranern und Calvinisten für verdachtig. Ich fürchte keinen, auch nicht die spanische Inquisition, die schlimm genug ist. Da halt man dich lange Jahre fest, foltert Dich endlos, vereint Hunger, Finsternis, Frost und Entsetzen, private Krankung mit öffentlicher Schmach, Peitschenhiebe mit Feuersqualen, da ist der Anklager geheim, das Verbrechen geheim, jeder Zeuge geheim, die Denunzianten blühn. Und so verbrennt man Menschen! Die Schlacht für den Glauben wird zum Kampf gegen Handel und Industrie, gegen Reichtum und Rechte. Die Gebildeten und die Reichen, Volk und Adel werden zu Feinden der Spanier. Die Religion hat keinen Profit. Die Calvinisten im Süden, die Lutheraner im Norden wachsen. Weder König noch Henker halten sie von der Predigt ab. Die Flamen jubeln den Opfern zu, nicht den Henkern, wie die Spanier tun. Philipp muss auf sein Theater verzichten und die Bibelleser im Kerker umbringen. Man bindet ihnen den Kopf zwischen die Beine und ersauft sie in hölzernen Wannen. Man tut ihnen Knebel in den Mund, so werden sie nicht mehr Psalmen singen! Aber Philipp von Spanien betrügt sich. Der stumme Gesang dieser geheimen Opfer erhebt sich aus der finstern Holle ihrer Kerker und schwebt über den Niederlanden wie ein erhabener Chorus der Freiheit und empört landauf, landab die Guten und die Gerechten, Lammer werden zu Löwen! Die Richter finden keine Zeugen mehr. Macht der Pfarrer Notizen, schleichen Weiber in seine Stube und stehlen sie. Es geschehen Dinge, die kein Fühlender ohne Tranen vernimmt. Ein sanfter, schoner Junge von zwanzig Jahren sass im Gefangnis zu Valenciennes. Er hiess Gratiën Wyart und hatte im Wald einem französischen Prediger zugehört. Sein Wachter hatte zwei Töchter aus erster Ehe, die unter der Stiefmutter litten. Die alt ere Tochter hatte als Kind mit Gratiën gespielt, sie hiess Jaqueline und war siebzehn. Eines Abends, da ihr Vater und seine Frau in die Kirche gingen, nahm Jaqueline die Schlüssel und öffnete dem Gratiën. Beide liefen zur Mauer. Man musste durch den Graben schwimmen. Gratiën stiess Jaqueline. Aber die hatte Angst vor dem Schlamm, ihres neuen Kleides wegen. Sie drangte ihn, allein zu entfliehn. Er sprang und entkam nach Antwerpen. Jaqueline versteckte sich im Haus einer Nachbarin, der Witwe Delledalle. Spater sah sie ein Nachbar, von seinem Fenster, wie sie im Gartchen hinterm Haus sass und nahte und leise sang. Er gab sie an. Den Abend kamen die Hascher. Sie umringten das Haus, durchsuchten's. Jaqueline sprang aus dem Bett und kroch im Hemd unter einen Rosenstrauch. Es war Anfang November, der Busch schon kahl, die Wachter suchten im Garten und fanden das Kind halb erstarrt vor Kalte, sie banden es, trugen's vor den Richter. Jaqueline erklarte (um ihren Vater zu schonen), Gratiën habe sie verführt. So hatte sie ihm nichts mehr zu weigern. Der Richter schalt: ,Hast du deines Vaters Liebe vergessen?' Am selben Tage führten sie das Kind auf den Markt. Sie banden es nackt an den Pranger, peitschten es, würgten es. Das Kind, mit Namen Jaqueline, war, wie die Leute sagen, sehr hold. Dem Henker zahlten sie etwa hundert Pfennige. DIE TUCHWEBER UND DIE TÖCHTER Philipp und Egmont sassen am Fenster des königlichen Kabinetts. Blitze zuckten an den Randern des Himmels. „Ich andere nichts", erklarte Philipp. „Es ist nicht meine Gewohnheit." „Achttausend Tuchweber", erwiderte Egmont, „sind nach England ausgewandert, nur weil diese schlichten Köpfe über das Erhabene grübelten. Die Tuche, die wir den Englandern lieferten, liefern nun die Englander uns. So verarmt ein reiches Land. Achttausend emigrierte Tuchweber: achttausend gestürzte Pfeiler des öffentlichen Wohlstands!" Der Himmel gilbte wie von Schwefeldampfen. Langgezogene Donner schienen in der Ferne zu murmeln. „Acht Töchter haben Sie, lieber Graf?" fragte Philipp. „Lassen Sie alles meine Sorge sein. Sie verstehen mich richtig, Vetter. Ich will Ihre Töchter ausstatten, alle acht." Ein breiter Blitz zündete. Es begann zu regnen. Den Grafen ritt der Teufel, oder erinnerte er sich vielleicht, dass ihn der Brüsseler Staatsrat nicht wegen der acht Töchter auf die weite Reise geschickt hatte? „Der Titelmans", begann der Graf schüchtern, „verfolgt mehr reiche Fromme als arme Ketzer. Der Titelmans...' „Graf", sagte Philipp und seine sanfte Stimme zitterte. „Sprechen Sie von Ihren Töchtern, von Ihren Verdiensten. Ich liebe die Niederlande in Ihnen. Sind Sie kein Katholik? Merken Sie nicht die Barbarei dieses ungebildeten Pöbels, der sich in seinen engen Stuben versammelt und will Gottes Wort predigen, aber die Zwiebeln, die er frisst, predigen aus seinem Maul? Wie war das mit diesen Narrenkappen auf Ihren Armeln, Graf, mit diesen Pfeilbündeln auf Ihrem Wams?" Egmont lachte laut. „Eine Grille!" rief er. „Wir Niederlander treiben Spass. Lustiger Mann, guter Mann, sagt man bei uns. Nie, bei meiner Ehre, nie vergass auch einer von uns niederlandischen Baronen den schuldigen Respekt vor Ew. Majestat. Und wenn ein flamischer Edelmann ein freches Wort gegen Ew. Majestat ausserte, ich stiesse ihn auf der Stelle nieder, und ware es mein Bruder!" „Sie haben keinen Bruder?" fragte Philipp. „Nein, Sire", erwiderte Egmont verwirrt. „Grillen also", sagte der König. „Grillen? Graf, lassen Sie es nun genug sein!" Egmont wurde rot. Es stand ihm gut. Die sanfte Röte verjüngte ihn. Das Gewitter war schon fortgezogen. Der Himmel heiterte sich auf. „Mein lieber Vetter!" sagte Philipp und erhob sich. „Begleiten Sie mich!" Im Audienzsaal trafen sie die berühmtesten Doktoren und Geistlichen Spaniens versam- melt. Die Doktoren erklarten, die Rechte des Königs in Spanien erlitten Einbusse durch die Beschlüsse des Konzils von Trient. „Und meine Geistlichen?" fragte Philipp. Der Beichtvater des Königs forderte strikten Gehorsam. Der Erzbischof von Burgos gab zu bedenken. Da kniete der König vor einem Kruzifix und betete: „Erhalte mich, Gott, in meiner Gesinnung! Nie will ich Herr heissen derer, die den Herrn verleugnen. Wenn ich Ketzer dulde, lösche mich aus, Herr!" Verwirrt verabschiedete sich Egmont. „Reisen Sie mit Gott", sagte die Majestat. „Mein Neffe Alexander Parma begleitet Sie bis Brüssel. Die Herzogin will den guten Jungen verheiraten. Hier empfangen Sie die schriftliche Instruktion. Ich lobe Ihre Klugheit sehr in diesem Schriftstück, mein lieber Vetter. Lieber will ich tausend Tode sterben, als einen Religionswechsel in meinen Reichen dulden. Ich bin der Kirche Saule. Die Herzogin soll sogleich den Staatsrat berufen, um die Sache der Trienter Beschlüsse zu beraten und ein neues Exekutionsverfahren für die Ketzer zu finden, welches ihnen jede Hoffnung auf Martyrerruhm abschneidet. Der Eigensinn, mit dem die Verurteilten singen, solang ihr Atem reicht, ist ein sehr schlechtes Beispiel für manche schlichten Köpfe, die sich skandalisieren und bezaubern lassen könnten. Als ich in England war, sah ich, wie man in ahnlichen Fallen einen Knebel oder sonstwas ins Maul der Ketzer stopfte. Daran erinnerte ich mich und dachte, es ware nicht so übel, das Gleiche zu tun. So lernt man auf Reisen. Sind Sie befriedigt, Graf, von Ihrem Aufenthalt in Madrid?" „Vollkommen", sagte Egmont. Hatte er zugehört? Auf der Treppe hielt ihn ein Page an. „Der Infant!" flüsterte der Page und führte den Zaudernden durch geheime Gange. Don Carlos umarmte den Grafen feierlich, schweigend. Dann verschloss er die Tür seines Zimmers, vermachte die Fenster und setzte den Grafen auf ein Polster, das in die Mitte des Zimmers geschoben war. „Hier hört uns keiner", erklarte finster lachelnd der Erbe. „Graf! Ich bin Ihr Retter!" „Was ist geschehen, Hoheit?" fragte der erschrockene Egmont. „Sie sind der Erste, der es hört. Ich sage es Ihnen, weil wir Freunde sind. Ich komme bald in die Niederlande und befreie sie!" „Hoheit?" fragte Egmont und schauderte vor der Gefahr, ertappt zu werden bei diesem entsetzlichen Gesprach. „Von den Niederlanden", erklarte Carlos, „wird die Freiheit ausgehn. In sechs Monaten bin ich in Brüssel. Sagen Sie Ihren Freunden: Don Carlos bittet euch, in Sachen der Freiheit nichts zu tun, nur auf ihn zu warten! Alba will euer Regent werden, er wird mit Blut regieren. Sagen Sie Ihren Freunden: Carlos duldet 's nicht. Umarmen Sie mich, Graf!" Egmont tat es, eingeschüchtert. „Jetzt", rief der Infant und presste krampfhaft den Grafen, „jetzt fasse ich euch, Niederlande! Ich greife dich so, Flandern, und küsse euch, der Freiheit Sohn die Söhne der Freiheit! Egmont, Grosses bereitet sich vor in Spanien! Geduld! Die Welt kennt mich noch nicht!" Man hörte einen Schritt, der sich naherte. Carlos zuckte zusammen, stiess die Fenster auf, befahl dem Grafen flüsternd, das Polster an die Wand zu schieben, zog ihn hinter einen staubigen Samtvorhang, drückte sich an Egmont, stotterte unverstandlich, keuchte schliesslich. Der Schritt ging vorbei. Carlos zog den Grafen hinter dem Vorhang hervor; er begann stürmisch zu lachen, wie ein Knabe. Egmont wollte mitlachen, er vermochte es nicht. Trübe blickend verzog er den Mund zu einem traurigen Grinsen. Plötzlich ward der Erbe Spaniens ernst. „Es ist gut, lieber Graf", sagte er und öffnete die Tür. „Reisen Sie mit Gott!" Egmont lief aus dem Palaste. Von Valladolid schrieb er dem König: ,Sire! Wie war ich entzückt vom Escorial! Wie reizend ist Madrid! Ich trete meine Rückreise an als der zufriedenste Mann der Welt!' BESUCH IN BAYONNE Seit sechzig Tagen ritt Elisabeth ihrer Mutter entgegen. Schon stiegen die Berge auf, das Meer stiess an die Klippen. Elisabeth atmete die Luft Frankreichs. Zwischen den Dünen sah sie eine Reiterin und lag schon an den Brüsten Katharinas. Sie hielten einander fest, mit schwachen Armen, wie ein Mensch nach dem Leben greift. Elisabeth hatte Tranen im Gesicht, Katharina lachte, beide redeten, und schwiegen mit einem Mal. Furchtsam blickte Elisabeth auf ihre Mutter. Nicht ihre Strenge fürchtete sie, sondern die Strenge der Zeit, die Menschen zerstört. Das ist nicht meine Mutter, dachte Elisabeth und spürte wieder Tranen, das ist eine alte, fremde Frau. Wohin haben sie meine Mutter gebracht? So stolz ritt sie durch die grünen Walder. Elisabeth lachelte, zerstreut und gnadig. Sie ritt auf einem weissen Maultier, die Schabracke war mit Perlen verziert. Katharina sass zu Pferde wie ein Mann. Hinter den Königinnen ritten wie Brüder traulich Alba und Montluc, die beiden gloriosen Infanteriegenerale, alte Feinde von vielen Schlachtfeldern. Angesichts des Montluc war Alba vom Gaul gesprungen und hatte den alten Gegner umarmt, wie einen Bruder. Zuvor hatten sie am liebsten die Haut einander abgezogen, zwei fromme Katholiken, die vor der Schlacht beteten und abertausende gegeneinander geführt hatten, die schon in der Er de lagen. „Bruder", flüsterte der Alba ins Ohr des Montluc und deutete auf die Königinnen und den Knaben, der König von Frankreich hiess, und auf die Herzöge, Hofdamen und fremden Gesandten, und sagte: „Bruder! Von dem ganzen Larm und grossartigen Aufwand bist du der Autor!" (Am Abend schrieb er dem Philipp: ,Das König Philipp der Zweite. 18 war mein erstes Wort, als ich ihn umarmte, denn ich habe ihn umarmt!') Der Montluc sagte nur: „Hatten alle wie ich gehandelt, das heisst, keinem Lebenden Pardon gegeben, ware man heut ruhig; aber Katholiken und Calvinisten gaben einander die Hand; sagten: Mein Vetter, sagten zueinander: Mein Bruder!, taten ihre Waffen weg; sagten, wir sind alle Franzosen. So führt man keinen Bürgerkrieg. Hab' ich recht? Ernsthaft ist nur ein Krieg ohne Gnade für die Kanaille. Wer über Gott falsche Meinungen hat, ist ein Vieh, ist schlachtreif. Patriotisch ist nur der Pöbel. Ich gebe Ihnen eine langere Note, schwören Sie Diskretion! Ich vermute, Sie lesen französisch ?" Der Alba steckte hastig das Papier zu sich und schrie schmetternd: „Nur die Infanterie taugt zum Krieg!" „Die Infanterie", schrie Montluc, „ist das Salz der Erde." Wie Brüder ritten sie unter den ölbaumen auf der Strasse nach Bayonne. Ihre Rüstungen flammten in der Abendsonne rot wie vom Blut der Erschlagenen. So ein braver Infanterist, dachte Alba und musterte den Montluc, und so ein schwarzer Verrater! Montluc hatte sein Vaterland verraten, weil man ihn nicht zum Marschall ernannt hatte. Nach dreissig Schlachten gegen den König von Spanien setzte sich der Montluc, sozusagen in der gewöhnlichsten Regung alter Generale, nieder und schrieb dem neusten König von Spanien, es gehe schlimm, übers Jahr sei der König von Frankreich ein Ketzer. Nachdem aber der König von Spanien des Königs von Frankreich Schwester zum Weibe habe und vielleicht einmal der Erbe würde, waren alle Patrioten aus der Gascogne, aus Béarn und aus der Guyenne bereit, sich für den König von Spanien zu erheben. Philipp, der gerne Frankreich haben wollte, schickte seine besten Spitzel zum Montluc, zwei Brüder Bardaxi (Emigranten und Gottesleugner, denen in Spanien der Flammentod drohte), damit sie erkunden sollten, wann der Aufstand anfangen und welcher Vorwand gelten sollte. Nur nicht die Religion zum Vorwand nehmen, liess Philipp sagen, sonst hatte man alle Ketzer zu Feinden. Sie sollten den kleinen Jungen fangen, der gerade König in Frankreich hiess. Mit einem König in der Hand sahen Revolutionare ziemlich legitim aus. In ihrem Hotel zu Bayonne ging Katharina barfuss ins Schlafzimmer ihrer Tochter. Elisabeth lag wach, sie schien auf etwas zu warten. Katharina setzte sich aufs Bett und seufzte. „Dein Gatte", begann sie, „hat kein Vertrauen zu mir und deinem Bruder. So fangt man an und kommt zum Krieg. Was wird dann aus uns, liebes Kind? Keine Briefe mehr, keine Besuche..." Elisabeth lachelte so trüb, dass die Kerzen dunkier schienen. „Was sagst du?" fragte Katharina und schauderte. „Ich weiss nicht", sagte Elisabeth, „ob er mich liebt?" Da schwieg Katharina, beschamt und eifersüchtig. Ihr Gatte hatte sie nie geliebt. „Und du?" fragte sie. „Liebst du ihn?" „Es ist meine Pflicht", antwortete Elisabeth. „Und bist ihm treu?" „Ich schwor es", antwortete Elisabeth. „Sieh da, meine Tochter, eine echte Spanierin? Warum dienst du ihm?" „Er will vielleicht das Gute?" sagte Elisabeth. „Philipp?" schrie Katharina empört. „Ein Mörder, ein Heuchler, ein Schuft! Der? Der vergiftet dich, wenn es /ihm einfallt!" „Glaubst du?" fragte Elisabeth. „Ich schwör 's", schrie Katharina. „Bei allen Erzengeln, er vergiftet dich!" „Und hast mich hingeschickt ?" fragte Elisabeth. Katharina blinzelte. Was für ein unvernünftiges Kind, dachte sie. Was man alles geboren hat! Ist das mein Kind? „Sei ruhig!" bat Elisabeth. „Wir haben nicht die schlechten Plane, die dein Kanzier uns unterschiebt. Ich bleibe immer deine gute Tochter." „Wer weiss?" fragte Katharina. Elisabeth schloss die Augen. Katharina löschte die Kerzen aus und seufzte. Auf Zehenspitzen schlich sie fort. Elisabeth sah ihr aus den Augenwinkeln nach. Es sah aus, als tanze die dicke Katharina Ballett. Am andern Morgen kam der Alba zur Katharina. Sie lag zu Bett und trank einen gewürzten Wein. Zwei Friseure kammten die Haare der Königin. Alba fragte ohne Umschweife: „Was ist's mit dem Türken?" Kitty besah ihre Haare in einem Handspiegel. Die Königin brauchte den Philipp, um ihre Katholiken zu beruhigen. Sie lud ihn nach Bayonne. Philipp war so gut wie ein Engel des Herrn. Wohin er kam, war er ein Zeuge des wahren Glaubens. Philipp empfing den französischen Gesandten, der ihn einlud, mit unendlicher Geduld, er hörte die langsten Reden an, machte sich Notizen, nahm huldvoll lange Memoranden und ging ins Kloster, als Katharina dringlich wurde, kurz vor Weihnachten. Erst am zwanzigsten Januar kehrte er zurück. Da begannen alle Anstrengungen des französischen Gesandten aufs neue. Philipp war entschlossen, den Boden Frankreichs nicht zu betreten. Er fürchtete, seine Schwiegermutter würde ihm Gift geben. Alba, vor dem Bett Katharinas, fragte: „Was ist's mit dem Türken?" „Was für Türke?" fragte Katharina und gahnte. „In Marseille", erzahlte Alba, als wüsste es die Königin nicht, „ist ein Gesandter des Grosstürken gelandet und fordert die alte Allianz mit Frankreich. Er bittet um Schutz der türkischen Flotten in Euren Hafen, indes er Malta belagert und Krieg gegen uns führt. Soll ich es glauben? Ihr Sohn empfing den Türken? Da Ihnen Gott in dieser schonen Stadt Bayonne eine Tür zum Himmel auftut, öffnen Sie die Pforten dem Boten Satans, dem Unglaubigen?" Katharina war überrascht. Verwechselte dieser Alba Philipps Hilfe mit Gottes Hilfe? Katharina schrie plötzlich: „Satanischer Alba, wissen Sie denn, dass Türken- schiffe mir soeben vierhundert Untertanen an den Ufern der Provence geraubt haben!" Das war gelogen, aber Katharina erfand verblüffende Einzelheiten, sie schilderte ausführlich mehrere Vergewaltigungen, darunter einer siebzigjahrigen Abtissin; sie schwor, der König, ihr Sohn, habe keinen Türken gesehn, höchstens werde der General der Galeeren so einen Türken empfangen, aus seetechnischen Gründen, Herzog Alba werde schon verstehn. Und Katharina lachelte schlau und zwinkerte mit den Augen, wie in einem lasziven Einverstandnis. Plötzlich brach sie in Tranen aus und bat: „Bei der Grosse Gottes, diese Bagatelle wird doch nicht unser Gesprach vereiteln?" Weibertranen, dachte Alba und sah auf ihren Busen. Zeigte sie ihm ihren Busen mit Absicht? „Glauben Sie mir nicht?" fragte Katharina mit tranenerstickter Stimme. „Gestern", antwortete kühl der Alba, „gestern empfingen Sie den Türken, zur Stunde, da seine Piraten vielleicht eines der Reiche meines Herrn plünderten. Das ist ein Skandal." Katharina machte eine schmerzliche Miene. „Ich bin zu treu", gestand sie, „auch zu meinen perversen Freunden. Übrigens wollen wir dem Türken nicht einmal antworten, wenn wir uns mit Ihnen einigen." „Wie leicht ware das", begann Alba eifrig. „Schnitten Sie nur ein paar Köpfe ab..." „Spater die Geschafte", bat Katharina. „Heut lassen "Sie mich ganz meiner mütterlichen Lust! Das liebe Kind! Zwei Monate ritt sie, um ihre Mutter zu sehn. Warum maltratiert ihr sie? Was für Arzte habt ihr in Spanien? Meine Arzneien, die ich schickte, warfen sie fort. Das sind arrogante Narren! Das gute Kind! Weil sie schwanger war, zapften ihr eure Arzte Blut ab! Natürlich hatte sie eine Fehlgeburt und fiel in Lethargie, und die Elisabeth Tudor schickte schon Werber aus London, um Philipp in ihr jungfraulich Bett zu schleifen. Und eure Arzte setzten Blutegel und liessen zur Ader, Elisabeth ist von Eisen, um solche Kuren zu überleben. Und was für ein düsteres Leben! Arme Elisabeth! Was für Mühen und diplomatische Verhandlungen, bis euer Hofmarschall ihr erlaubte, zu Fuss im Palast und im Garten zu wandeln, statt stets im Tragstuhl und in der Sanfte zu welken, ihr Spanier seid ja schlimmer als Turken!" Alba erklarte finster, Spanien liebe seine Königin. „Ein wundervolles Land", gestand Katharina und seufzte. Am Abend schlichen die alten französischen Generale in Albas Hotel, einer nach dem andern, geheimnisvoll und mit knarrenden Stiefeln, der martialische Bourdillon, der dumme Sipierre, der glatte Montpensier, und warfen sich dem Alba an die Brust und sagten, alle guten Franzosen liessen sich für den König von Spanien vierteilen, und schnitte man ihr Herz auf, lase man Philipps Namen darin. Alba ging ins Stadthaus zum Ball. Im Schein der Fackeln schritt Herzog Alba wie ein König durch die Sale, seine düstere, kluge Stirn glanzte wie gelber Marmor, er ging finster lachelnd und betrachtete die Gekauften und die Ketzer, als ihr künftiger Herr. Die Schellentrommel schellte, die sanften Hörner bliesen, süss wehmütig trillerten die trunkenen Floten. Elisabeth tanzte vor dem Hofe Frankreichs, schön wie der Morgenhimmel. Sie tanzte mit ihrem kleinen Bruder Karl, dem König von Frankreich, sie tanzte mit dem Infanteriegeneral Montluc, mit dem martialischen Bourdillon, mit dem dummen Sipierre, mit dem glatten Montpensier, sie tanzte mit dem Prinzen Condé. Das hatte Philipp sich ausbedungen, dass keine Protestanten nach Bayonne kamen; ihren Anblick könne er seiner Frau nicht zumuten. Katharina meinte, ihre Tochter habe Schlimmeres gesehn, und bat, den Prinzen Condé auszunehmen, sonst vermute seine Partei, man schmiede Komplotte gegen sie. Elisabeth tanzte, erhitzt und heiter. Lustig klingelte der Schellenbaum und klimperten die Trommeln. „Condé", fragte die junge Königin, „Sie lieben unsere frommen Lieder nicht?" „Wir haben unsere Lieder", erwiderte der Condé und lachelte spöttisch. Was geht es mich an?, dachte Elisabeth. Der ist von der neuen Religion, er tanzt so leicht. Hat Philipp recht ? „Lieber Condé", sagte sie und schritt im Kreis, „sind wir nicht alle Gottes Kinder?" „Manche sind seine Bastarde", erwiderte der Condé. Elisabeth lachte heiter. „Es ist heiss", sagte sie. Vor der Tür des Saais erstickten in ihren Panzern sechs Soldaten vor Hitze. Alba sass neben Katharina. Er erwahnte, sein Herr werde keine Ketzer in Frankreich dulden, von Frankreich nach Spanien hatte die Sünde nur einen Schritt. Eher wollte Philipp Krone und Leben verlieren, als über Ketzer herrschen! „Traumt unser Eidam oft so?" fragte Katharina grob. „Die Religion", erklarte Alba, „ist in Frankreich nur durch den Bund mit Philipp zu retten!" „Das ist so kompliziert", klagte Katharina. „Morgen reden wir weiter. Ich bringe meine Minister und Generale mit." Am andern Tag empfing Katharina den Alba in einem engen Salon, wo alle alles horten und die Höflinge wie Fliegen an der Wand klebten. Katharina trug eine weinrote Robe. Alba sprach von der Religion. Katharina sagte, sie könne ihn nicht verstehn. „Wir sind alle Christen", erklarte sie und blickte zum Plafond, wo nackte Jünglinge ïus Stuck gipserne Knaben kosten. Alba sagte, er erwarte Vorschlage. Sie seien zu ernst en Dingen zusammen gekommen. „Sind wir in Amerika?" schrie Katharina. „Halt der Herr Eidam uns für Indianer und will uns mit Bluthunden hetzen?" Alba forderte in entschiedenem Ton die Entlassung des Kanzlers von Frankreich, des 1'Hospital. Das sei ein Feind Spaniens. „Er hat recht", rief Katharina, „nur an Frankreichs Nutzen zu denken! In Frankreich regiert der König, und niemand hat ihm darein zu reden." Und sie winkte dem blassen, kranklichen Knaben zu, der an einem Fenster lehnte, dem neunten Karl. Philipp wollte Frankreich haben; und Katharina buhlte mit Philipps Feinden, mit Türken und Reformierten. Sie tolerierte die neue Religion in Frankreich; Katharinas Kinder lasen verbotene Bücher; die Ketzer lebten im Frieden. Philipp schrieb dem Papst, er weine blutige Tranen darüber. Da in Frankreich der Krieg um die Religion begonnen, hatte Philipp nie genug an Greueln gehabt. Nur keinen Frieden in Frankreich, betete Philipp zu Gott; ich muss Frankreich haben! Aber Katharina machte Frieden und schrieb Philipp: „Freust Du Dich?" Als die flandrischen Provinzen unruhig wurden, bot Katharina ihrem Eidam Truppen und Geld; wahrend sie beides heimlich den Rebellen sandte. Philipp erwiderte, es gibt keine Unruhen, wo ich herrsche, ich brauche kein fremdes Geld und keine fremden Truppen, und Frankreich unterstützt heimlich die flandrischen Rebellen; ich weiss alles. An alle vergangenen Intrigen erinnerte sich Alba in dem viel zu engen, heissen Salon. Er sagte sich, diese Katharina wird so leicht nichts Gutes tun. Überhaupt war es zu heiss, und die ganze Reise war umsonst; gestern hatte der Montluc erklart, es sei zu spat zum Aufstand. Alba stand auf. Am dreissigsten Juni, da Alba zur Abreise fertig war und die Pferde schon wart eten, kam die Königin Katharina mit allen Kardinalen, Marschallen und Prinzen von Geblüt in Albas Hotel. Der Wirt war im Stall, die Diener standen auf der Strasse. Katharina lachte aus vollem Halse. Sie rückte dem Alba auf den Leib und kitzelte ihn mit ihren schweren Briisten. „Wir bieten dem König von Spanien einen Bund gegen die Türken an!" schrie sie. „Herzog, ich meine es ernst diesmal. Wir wollen vier Ehen schliessen zwischen Valois und Habsburg. Nun, Herzog, ist das kein Triumph fiir Sie? Man wird Ihren militarischen Ruhm vergessen und Sie als Diplomaten feiern!" „Ich bin General der Infanterie und bleibe es", erklarte Alba. „Da ich in Ungarn focht, ritt ich einmal in siebzehn Tagen von Ungarn nach Kastilien und zurück, um die Herzogin eine Stunde zu umarmen. Damals war ich jung und traumte von Ruhm. Ich werde meinen Herrn von Ihren Vorschlagen unterhalten. Von den Türken erzahlt man, wir hatten sie vor Malta vernichtet." „Leere Gerüchte!" rief Katharina. „Grüssen Sie die Herzogin. Wer beneidete sie nicht um solchen Reiter!" „Ich bin Infanterist", murrte Alba. Vor den Toren von Bayonne, unter den Ölbaumen, weinte Elisabeth an den Brüsten Katharinas. Neben ihr stand das weisse Maultier; die Schabracke war mit Perlen bestickt. „Warum weinst du?" fragte Katharina. „Sieh deine Mutter. Vor Freude über dich lache ich." Und Katharina begann zu lachen, bis ihr die Tranen die Backen herunterliefen. Ihr Gelachter war schon lange ein Schluchzen gewesen. Das schreckliche Schluchzen schüttelte die machtige Witwe von Frankreich. Und Elisabeth griff nach den grossen Brüsten Katharinas, wie ein Sterbender nach dem Leben greift, dem milchbusigen. „Weine nicht", bat Katharina und schluchzte laut. Die Verrater rundum wischten sich die Augen, der martialische Bourdillon, der dumme Sipierre, der glatte Montpensier und der Infanterist Montluc. Lange stand Katharina und winkte den Staubwolken nach. Dann ritt sie nach Bayonne zurück und erliess das Verbot, nichts ohne königliche Erlaubnis zu drucken, bei Strafe des Hangens und Würgens, des Beispiels halber liess sie gleich einige Bücher samt Autoren verbrennen. Da Philipp in seinem Kabinett verdriesslich den Bericht Albas las, erhielt er einen expressen Brief seines Vizekönigs von Sizilien, des Don Garcia de Toledo. ,Wir haben', schrieb Don Garcia, ,den grössten Triumph über Sultan Soliman erfochten. Die Christenheit wird ausser sich vor Wonne sein. Malta ist gerettet. Die Flotte der Türken ist zerstreut. Es ist ein Wunder.' Don Garcia schilderte die Einzelheiten des Wunders ausführlich. Philipp las den Brief einmal, zweimal, endlich hatte er es: Das Datum fehlte! An den Rand schrieb König Philipp: Dieser Brief, der nicht datiert ist, muss vom vierten oder fünften September sein! EUGEN Philipp ritt glücklich neben Eugen. Glühend und geduldig hatte er sieben lange Jahre nach ihm verlangt. Er hatte Diener und Abgesandte ausgeschickt zur Witwe von Frankreich, er hatte verhandelt, geboten, gezahlt, nun hielt er den Schatz. Ihm schien, nur darum war im Grunde sein langer Streit mit Frankreich gegangen. Seinen Jubel verkündeten die Glocken. Wie ein süsser Tau traufelte das Wohlsein auf den langsam reitenden König. Wie ein Lidschlag schien ihm der Tag, wie ein seliger Atemzug. Der Novemberhimmel schimmerte gelb wie der Ginster weithin über die Ebene. Für Eugen war Philipp vor sieben Tagen eilends ausgezogen und nach Toledo geritten, um ihn feierlich fröhlich nach Madrid zu geleiten. „Endlich hab' ich dich", sagte Philipp zu Eugen. „Schon mein Vater verlangte nach dir. Alba forderte dich in meinem Namen von der Witwe von Frankreich. Sie sagte, das Opfer sei zu gross. Nie vergass ich dich über allen Handeln der Welt. Der Domherr von Toledo fuhr nach Paris, um dich nach Spanien zu geleiten. ,Es geht gut', schrieb er mir, ,ich habe ihn.' ,Es geht gut', schrieb ich ihm, ,halte alles geheim, dass ihn keiner raube, schicke mir jeden Tag einen Boten!' Und ich dachte Tag und Nacht an dich und glühte für dich. Mit einfaltigem Herzen bete ich dich an, o lieblicher, geliebter, siebenmal gesalbter Eugen! Ich küsse dich in der Demut und im Glück, heilig schoner Eugen! Wie gefallt dir dein Spanien? Habe ich es nicht gross gemacht? Bist du mit mir zufrieden, Eugen? Siehe, mir gefallt es in Spanien. Hier fühle ich mich zuhause in der Welt. Neben dir ist mir so wohl. Ich sehe weit hinaus ins Leben. Ich sage dir, ich und die Zeit gegen irgend zwei andere! Wie liebe ich dich! Wie habe ich dich begehrt. Nun bist du mein, — ewig, Eugen! Ich habe dir ein grosses Haus gebaut! Ich will dich reich beschenken, mit Gold und Edelsteinen, geschnitzten Hölzern, Gemalden, mit tausend Gelüsten. Ich will gross an dir tun; du verdienst es, Eugen!" Zu Getafe, zwei Meilen von Madrid, kam die Königin von Spanien beiden entgegen, für Eugen und für Philipp ritt sie zwei Meilen auf ihrem weissen Maultier und kniete unter den Ölbaumen und küsste die Füsse Eugens. Die Königin Elisabeth sprach: „Mein Herz schwimmt in Jubel, weil du da bist. Alle meine Sinne sind voll von dir, Eugen. Segne mich, ich kniee im Staube, unter den ölbaumen. Nach dir will ich meinen Erstgeborenen heissen, dir schenke ich Weihrauch und die Spezereien Arabiens." Errötend erhob sich Elisabeth aus dem Staube und ritt an der Seite Eugens in Madrid ein. Feierlich schollen die Glocken im bronzenen Jubel. In der Nacht kam Philipp zu seiner Frau. Da der König eintrat, dachte sie: Ich habe gebadet! Es war nicht einfach gewesen. Da sie ausreiten sollte bis Getafe, kamen ihre Dienerinnen und Damen, um sie zu schmücken. Die Freundinnen aus Frankreich, leichtfertige Jungfern, warmten Wasser und mischten Essenzen, um der Königin ein Bad zu bereiten, in ihrer grossen, silbernen Wanne, die über die Pyrenaen gezogen war, im Schneesturm vor sechs Jahren. Die Herzogin Alba, die Oberhofmeisterin der Königin, gewahrte die Wanne aus getriebenem Silber und sah, dass sie Wasser warmten, und entdeckte die Essenzen und erfuhr, es werde ein Bad bereitet für die Königin, und sie lachelte und sagte, das sei vorzüglich, und lief zum Beichtvater und meldete ihm die Schande, der Beichtvater berief sogleich die drei Hofarzte der Königin, alte, gelehrte, fromme Manner, mit Doktorenhüten und weisen Barten, die Arzte taten sich zusammen und fassten Mut und gingen, geleitet vom Beichtvater, zur Königin und erklarten ihr, sie dürfe nicht baden, da sie nicht krank sei. „In Spanien badet man nicht", erklarte der Beichtvater. „Bader wecken die Wollust. Eine fromme Spanierin hasst Bader." „Baden ist nicht christlich", erlauterte der alteste der Arzte, ein Greis von achtzig Jahren, der kleine Madchen liebte. „Nur Mohren baden. Sie sind Heiden. Auch ihnen hat es der König verboten, durch harte Gesetze. Baden ist Gesunden schadlich. Nur Kranke baden!" Elisabeth dankte ihnen und entliess sie und ass Schweinernes und Blutwurst zu Abend und hatte Bauchweh bei Nacht und liess die Arzte wecken und sagte ihnen, sie sei krank. „Ich bin krank!" sagte die Königin befehlend. „Sehen Sie nicht, dass ich krank bin?" rief sie zornig. Eben wankte verspat et der dritte Leibarzt herein, der Achtzigjahrige, mit der Linken hielt er seine Hose, mit der Rechten seinen Bart. Er hatte von kleinen Madchen getraumt. „Fühlen Sie meinen Puls!" befahl ihm heftig die Königin. Das tat der Alte und vergass sich, halb in Traumen noch, und griff der Königin an den nackten Arm, hoch überm Ellenbogen, und streichelte sanft. „Sehen Sie", sagte Elisabeth empört, „rnein Puls ist fort, schon sucht er ihn!" Und sie schlug dem Greis auf die Hand und rief ungeduldig und drohend: „Ich bin krank!" „Was fehlt also Ihrer Majestat?" fragten die verschlafenen Arzte, der eine hielt ein Windlicht, der Alte seinen Bart, der jüngste fühlte der Königin den Puls. Endlich verschrieben ihr die Arzte viele Krauter. „Und ein Bad!" forderte die Königin. Drohend blitzten ihre Augen. Da verordneten die Arzte ein heisses Bad. Ich habe gebadet!, dachte Elisabeth in den Armen des Königs. Und sie lachelte inmitten ihrer Wollust. Und empfing. Es war der 13. November 1565. „Denk an Eugen!" flüsterte Philipp. „Ich denke an ihn", erwiderte Elisabeth und schloss die Augen. Also liebten sie sich, indes sie an das zerfallende Gerippe des Heiligen Eugen dachten, des Apostels der Spanier, der in der Kirche zu St. Denis unter Steinen gelegen und nun in seiner Kirche zu Madrid ausruhte von seiner beschwerlichen Reise. Wie lange ruhen die Heiligen! Um seinetwillen also hatte der König Philipp mit der Witwe von Frankreich, Katharina von Medici, die grossartigen Intrigen geführt, auf Tod und Leben, um den echten Glauben und den falschen Glauben, um Frankreichs Bestand und Frankreichs Ende, um die Universalmonarchie und den ganzen Plunder von Weltherrschertraumen ? NEUE BRIEFE UM DIE NIEDERLANDE Oranien an seinen deutschen Freund, den Grafen Günther von Schwarzburg-Sondershausen: Antwerpen, den 13. Oktober 1565 p. Chr. n. Lieber Freund — in kurzem sehen wir den ersten Akt der Tragödie, und wenn meine Ahnung nicht trügt, wird keiner, der heute lebt, ihr Ende schaun. Und zehntausend, die an diesem Abend vor der Tür ihres Hauses sitzen und den Larm der Welt behaglich von ferne hören und denken, was geht's mich an, werden übers Jahr brennen oder flüchten. Bruder, es ist keine Lust, so genau die Menschen zu kennen. Bei uns ist es entschieden: Auf dem Marktplatz in jeder Stadt und in "jedem Dorf haben sie die Inquisition förmlich verkündet. Arme Niederlander! Sie schreien des Nachts aus dem Schlaf, und die Schreie hallen durch alle Provinzen wie ein Donner und ein Sturm. Die Fischer erzahlen, die See sei blutig; die Bauern sehn am Himmel wütige Heere kampfen; und in den Stadten sahn sie den Engel der Verwüstung auf dem Winde reiten. Antwerpen liegt tot, die Schiffe fliehn aus dem Hafen, keiner kauft mehr, der Grundbesitz fallt im Preis, die fremden Kaufleute und Handwerker fliehn aus der Stadt, als hoekte die Pest in ihr, die Strassen sind leer, und die Huren gehn zur Messe. Wie rasch ging alles. Ende April war der Egmont aus Madrid zurück, am 5. Mai berichtete er vor dem Staatsrat, ich höre ihn noch: Philipp ist ganz Milde, ganz Wohlwollen, sagte er, und die Provinzen lagen an des Königs Herzen. (Es muss ein giftiges Herz sein!) Nur wegen der Belagerung von Malta durch die Tiirken könne der Philipp nicht kommen, so berichtete uns der Egmont. Bald komme aber Philipp. Zuvor schicke er Sacke voll Gold in die Niederlande, um unsere Schulden zu zahlen. Der gute Egmont! Er kam ganz verandert aus Spanien zurück, ganz fleissig mit einem Mal. Er sprach wie ein König, verhandelte Staatsgeschafte bei Tag und bei Nacht und liess sich von aller Welt den Hof machen. Die Hofleute, die Geschaftemacher, die Bittsteller liefen ihm die Türen ein. Er schwor recht oft, um die Befehle Philipps zu erf tillen, gabe er Leben und Vermogen, und wer anders handle, sei Egmonts Feind. So weit, so gut. Da kam das königliche Handschreiben, und nur Verfolgung stand darin, nur Scheiterhaufen, Galgen und Ersaufung. Das, fragten wir die Regentin, das ist die Milde, die unser König dem Grafen Egmont zugesagt, sollen wir Henkershelfer spielen ? Auch Egmont war ausser sich. Er schrie: ,Man hat mich betrogen!' Er schrie: ,Gilt kein Wort mehr?' Er schrie: ,Arme Welt, wo Könige wie Spitzbuben reden!' Ich sagte ihm ins Gesicht: ,Sie dachten mehr an Ihre Töchter als an die Provinzen.' ,Wie?' fragte er und wurde weiss wie eine gekalkte Wand. ,Sagt mir das mein Freund Wilhelm?' Ja', sagte ich, ,ich sage es, Sie haben in Spanien die Ansichten Ihrer Partei und Sie haben die Interessen Ihres Landes vergessen, aber Ihrer privaten Zwecke waren Sie recht gut eingedenk!' — Er hat mir kein Wort erwidert und ging in sein Haus und vermied den Hof zehn Tage lang und ging zu keinem Bankett und strich traurig durch die Strassen und erzahlte, er wolle auf seine Güter gehn und für sich leben. Er tat es nicht. Der König hat ihm kürzlich einen eigenhandigen Brief geschrieben, worin er ihm befiehlt, an der Ausrottung der Ketzer mitzuwirken. ,In Religionssachen', schreibt ihm Philipp, ,sind Verstellung und Schwache eine Schande. Mit den Ketzern gibt es keinen Vergleich. Ohne Beil, Scheiterhaufen und Folter werden die Niederlander die echte Religion verlieren. Wenn ich die Züchtigung der Ketzerei fallen liesse', schreibt unser Philipp, ,actum est de religione Catholica, ist's geschehn um die katholische Religion; denn die meisten Menschen sind unwissende Dummköpfe, und so werden die Ketzer bald die grosse Mehrzahl ausmachen, wenn nicht die Furcht vor der Strafe sie auf dem rechten Wege halt.' Auf diesen Brief hat Egmont nicht mehr geantwortet und lief wie ein brüllender Löwe durch Brussel und war wieder der Alte, und also sind die hunderttausend Taler Philipps vertan! Egmont schrie, die Rasse der Inquisitoren sollte ausgerottet sein wie die grünen Hunde. Das Jahrhundert ertrage solche Pest nicht mehr! Und da sollte er freilich recht haben! Unsere Niederlander haben auch endlich begriffen, was gespielt wird. Das Volk spricht von nichts anderm mehr. Sie sagen (leise, versteht sich), es sei besser, mit dem Schwert zu sterben als durch das Schwert, besser auf einmal als in steter Sklaverei und ewiger Furcht vor Folter und Scheiterhaufen. Viele Beamten weigern sich, zu requirieren, manche schlossen die Gefangnisse zu. Das Volk schreit, zu Bayonne habe man es verkauft und seinen Untergang beschlossen. Als gar der Brief des Philipp an den tollen Titelmans, den bösen Inquisitorenhund, bekannt ward, jvorin der Philipp schrieb, er halte seine Hand über den Titelmans, ihm lache das Herz wegen des Eifers des Titelmans, er sei dem Titelmans dankbar, und der Titelmans solle nur so zumachen, da schneite es Flugzettel in den Strassen, und jede Nacht hingen Plakate an unsern Haustüren, dass Egmont, Horn und ich uns kühn an die Spitze des Volks stellen und für die Freiheit der Religion fechten sollten. Und auf unsern Banketten tauschen unsere jüngern Herren Schwüre aus, und im Staatsrat schalten Horn und Egmont des Königs Politik, und ich sagte, ich wolle meine Hande in Unschuld waschen, und es gebe keinen Mittelweg mehr zwischen blindem Gehorsam und nacktem Aufruhr. Die Proklamation der Edikte und der Inquisition ward erlassen, aber Bergen, Mansfeld, Montigny weigerten sich, in ihren Provinzen die Edikte durchzuführen, und andere Herren redeten laut gegen die Tyrannen und rieten offen zum Aufstand. Wir Niederlander, sagten sie, sind nicht so unvernünftige Tiere, um nicht zu wissen, dass des Königs Pflichten gegen seine Untertanen gerad so heilig sind wie unsre Pflichten gegen den König. Die vier Hauptstadte von Brabant protestierten schriftlich gegen die geistlichen Gerichte. Das stehe nicht in den Freiheitsbriefen, dass man einen Mann aus seinem Haus holen und nach einer summarischen Untersuchung verbrennen dürfe; der Philipp habe ihnen geschworen, ihre Wohnung sei unverletzlich und sie dürften ihrem ordentlichen Richter nicht entzogen werden. — Jeden Tag hört man neue Spottverse und Lieder auf die Patrioten, sie sollten reden, handeln, dreinschlagen! Es ist ein offener Brief an den König herausgekommen, den fand man am Morgen an alle grossen Hauser in Brüssel angeklebt, da heisst es: ,Wir sind bereit, für das Evangelium zu sterben, aber wir lesen darin: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Wir danken Gott, dass unsere Feinde selbst unsere Frömmigkeit und Unschuld bezeugen müssen; denn es ist eine gewöhnliche Rede: er flucht nicht, er ist ein Protestant — er ist weder ein Hurer noch ein Trunkenbold, er ist von der neuen Sekte. Und doch schenkt man uns keine Art von Strafe, die man zu unserer Qual ausdenken kann. — Es sind diese von der neuen Religion meist kleine Leute, Handwerker, die in der Furcht Gottes leben, und viele Herren vom Adel schützen sie. Ich halte mich still. Ich will das Unrecht nicht dulden, aber ehe wir nicht Geld und Waf f en haben die Feinde der Freiheit sind fürchterlich. Mein Herz ist schwer. Der Prasident Viglius an den Kardinal Granvella zu Rom: Ich bin ein alter Mann. Ich sage es oft, ich habe den Königen gedient, es ist wenig Lohn darin. Gut, gut. Ich gehe zur Ruhe. Ich will in Friesland mein Gartchen hüten. Hier geht es kopfüber, kopfunter, Kopf ab! Sie werden alle nach uns weinen, wenn wir nicht mehr da sind! Dieses Volk ist ein bissiger Hund, es hat uns die Hande geleekt, nun schnappt es nach den Fingern. Gut. Gut. Man wird sie hangen. Man wird sie zersagen. Sie brennen! Was haben sie davon? Ich wundere mich über das, was die armen Schlucker hierzulande ihren Glauben heissen. Dafür stirbt einer? Ist es nicht schon genug, dass unser Herr Jesu Christ gestorben? Und er war Gottes Sohn! Aber diese Tagelöhner und Winkelschuster und Flickschneider stehen Schlange, um rascher in die Hölle zu kommen, die alle Zweifler, Grübler und aparte Narren so sicher erwartet! Mein lieber Anton, wann werden Sie endlich der Heilige Vater sein? Ich küsse Ihnen schon heute die Füsse. Mein Herz ist schwer. Aber lustig, alter Bruder, lustig! Wir haben kürzlich zwei Hochzeiten gefeiert, für diesen Oberketzer Montigny und für unsern kaiserlichen Jungen, den Alexander von Parma. Von des Montigny Hochzeit lassen Sie mich schweigen, seine Frau ist die Tochter des Prinzen d'Espinay! Aber unser Junge, unser Alexander, unser bastardiertes Kaiserenkelchen, das hübsche Sprösschen ohne Habsburgerlippe, was für ein zierer Junge, die Regentin ist ganz vernarrt in ihn, sie sieht sich heimlich im Spiegel an und seufzt und will's nicht glauben, dass sie die Mutter zu einem so strahlenden Jüngling ist, und beide, Mutter und Sohn, tragen doch dasselbe Bartchen auf der Oberlippe. Unser Alexander ist zwanzig Jahre alt, und sie haben in Madrid einen ganzen Spanier aus ihm gemacht, er hat den richtigen Hochmut! Haha!, er gibt's unsern Grossen. Er halt sich zurück wie ein König, speist meistens allein in seinen Zimmern, und zieht er schon ein paar unserer niederlandischen Herrchen an seine Tafel, sitzt er aufgeputzt obenan am Tisch, im Lehnstuhl, indes seine Gaste auf Schemeln am Tische sitzen, unterhalb des Salzes, wo sonst das König Philipp der Zweite. 19 Gefolge sitzt, und unser Prinzchen sagt zweimal beim Mahle: Es regnet heute. Oder: Morgen ist Sonntag. Sonst schweigt er. Sogar den Egmont nimmt er von oben herab. Niemand will mehr an seine Tafel kommen. Der Hom sagte kürzlich vom Prinzen: Es steekt nichts in dem Menschen! Auch die Mutter wird langsam traurig. Vor der Hochzeit sass sie tagelang in ihrem Zimmer und heulte ohne Aufhören jammerlich, dass die ganze Stadt von dieser Plarrerei redete. Ihr Alexander hat namlich vor ihren Ohren geaussert, er hoffe, die ganze Brautflotte samt dem Inhalt werde auf den Meergrund sinken! Margareta hat eine Flotte nach Lissabon geschickt, um die Prinzessin Dona Maria von Portugal zur Hochzeit zu holen. Sie verschleuderte für diese Hochzeit soviel Geld, dass der Herzog von Parma seiner Frau wütend schrieb: ,Margareta, was für verrückte und masslose Geldausgaben für diese Hochzeit!' ,Wieviel Söhne habe ich?' schrieb ihm die Regentin. Die Braut ist eine Pracht. Sie ist achtzehn Jahre alt und schön wie ein Apfel. Sie hat ein Ingenium, alles zu verstehn, Latein redet sie fliessend, griechisch flüssig, die Philosophie kennt sie wohl und die Disziplinen der Mathematik hat sie inne und weiss alle göttlichen Sprüche der beiden Testamente auswendig. Sie zitiert die Kirchenvater wie ein Bischof. Und so keusch, Anton, so keusch! Als der Sturm ihre Schiffe nach England trieb und die Königin Elisabeth in der Nahe auf einem Jagdschloss weilte, legte sich das Brautchen für krank zu Bett, um nicht einer Ketzerin die Hand zu reichen. Als ihr Schiff zu brennen begann und ein portugiesischer Ritter sie durch die Flammen tragen wollte, wies sie ihn stolz zurück; denn die Berührung der Flammen scheute sie weniger als die Berührung eines Mannes. Zum Glück verlosch der Brand. Am 11. November hat man sie getraut. Der Prinz, sagt man, hat mit ihr noch nicht geschlafen. Sie ist so keusch, oh, Anton... Brief des Prinzen von Oranien an seinen Freund in Deutschland. Nun sind also der Montigny und der Bergen wegen der Moderation nach Madrid gefahren. Sie fuhren ungern. Das ist eine lange Geschichte, und sie geht auf das Kompromiss zurück. Im Bad zu Spa entwarfen mein Bruder Ludwig und der Nikolaus Hammes und noch ein paar vom Adel eine Urkunde und schickten sie umher im Land und brachten in zwei Monaten einige zweitausend Unterschriften zusammen, meistens junge Leute. Es ist viel Kühnheit unter ihnen und leider Gottes wenig Verstand. Was werden sie schaffen? Ihr Manifest klagt die Tyrannen an. Sie schworen einander, die Inquisition auszurotten, Plakate und Edikte zu vernichten. Sie schworen, sie wollten nicht dulden, dass einer von ihnen durch die Inquisition leide. Sie schworen, ihr Bund werde ewig sein. So weit, so schön! Aber was für Mittel haben sie gegen den machtigsten Mann der Welt? Mich hat keiner gefragt oder um Beitritt gebeten. Die jungen Leute werden taglich tumultuöser. Bei ihren allabendlichen Banketten messen sie weder Wein noch Worte, dabei laden sie in ihrer gewöhnlichen Höflichkeit Spanier dazu, die mit ihrer gewöhnlichen Nüchternheit dasitzen und sie wie wilde Völker ansehn und jede trunkene Prahlerei ans Kabinett des Königs berichten. Ich kenne die Absichten Philipps. Er lasst heimlich Truppen ausheben, er wird bald ein Heer in die Provinzen schicken. Ich zahle gute Leute beim Hofe. Die Briefe, die der König abends in seinem Puit verschliesst, gelangen zu mir in Kopien, die bis zum Morgen angefertigt wurden. Die Staatsberichte, die er nachts in seinem Schlafrock halt, kommen zu mir in Abschriften, die bis zum andern Morgen verfertigt wurden. Ich zahle alles. Ich verteidige die Freiheit der Niederlander gegen fremde Tyrannen, das ist nicht billig. Margareta hat endlich den Ernst des Lebens eingesehn. Wir Provinzialstatthalter erklarten ihr rundheraus, wir wollten nicht helfen, sechzigtausend Niederlander zu verbrennen. Der Egmont hat erklart, nie werde er die Waffen gegen seinen König kehren. Das ist gut, um es auszusprechen. Bald wird sich weisen, wer ein freier Mann ist! Die Menschen hungern in den Provinzen, nicht weil diese arm sind, sondern weil die Verfolger wüten. Dreissigtausend sind nach England gezogen, nach Sandwich und Nordwich. Die Tuchmacherei, die Seidenweberei und die Farberei verfallen bei uns und blühn in England auf. Die Franzosen wollen unsere Stadte überrumpeln, die Englander beuteln unsre Taschen aus. Man hat infolge der Edikte an die fünfzigtausend bei uns hingerichtet. Das ist ein Anfang. Eines Nachmittags sitzen Egmont und ich bei Margareta von Parma, da tritt der Graf Meghem herein und erzahlt, einer vom Adel, den er nicht nennen könne, habe ihm verraten, eine Verschwörung von Ketzern habe eine Kriegsmacht von fünfunddreissigtausend auf die Beine gestellt und wolle das Land plündern oder die Gewissensfreiheit erzwingen; binnen sechs bis sieben Tagen würden fünfzehnhundert Bewaffnete vor der Regentin erscheinen. Egmont erklarte, ja, ein Aufruhr steht bevor, man will einen Regierungswechsel. Die Herzogin fragt, was zu tun sei. Krieg, erwidert Egmont, oder Konzessionen! Der Meghem meint, man solle die verbündeten Verschwörer in den Palast lassen und zusammenhauen. Der Egmont stimmt zu. Ich sage mit Unwillen, die Verbündeten hatten Anspruch auf Achtung. Viele seien meine Freunde, ja Verwandte, und es gebe keinen Grund, Edelleuten ein Recht zu verweigern, das der Armste im Lande geniesse. Der Egmont stimmt zu. Am 3. April gegen sechs Uhr abends zog die Kavalkade in Brüssel ein, etwa dreihundert Adlige zu Pferde, mit Pistolen im Halfter, vornean unser Athlet Brederode mit seinem hübschen Gesicht und den vollen, blonden Locken, die ihm auf die Schultern fallen, das Volk stand wie Mauern. Vor meinem Haus stiegen der Brederode und mein Bruder Ludwig ab, der Brederode sagte: ,Sie dachten, ich würde nicht nach Brüssel kommen. Nun gut; da bin ich; und vielleicht ziehe ich anders ab, als ich gekommen bin.' Am Morgen des 5. April versammelten sie sich auf dem Sandplatz und gingen kurz vor Mittag, zu Fuss und zwei zu zwei, zum Palast, lauter junge Leute, mit den prachtigsten Namen, herrlich ausstaffiert. Das Volk stand wie Mauern. In der Halle sass Margareta. Der Brederode sagte: ,Wir sind da wegen einer Bittschrift. Es ist gelogen, dass wir einen Thronwechsel wollen. Ich bitte die Frau Herzogin, alle solche Verleumder exemplarisch zu bestrafen.' Danach übergab er die Petition, die Regentin liess sie vorlesen. Die Petenten baten die Herzogin, einen Gesandten an Philipp zu senden, um die Abschaffung der Edikte zu erbitten. Einstweilen baten sie die Herzogin, die Inquisition einzustellen. Da zu Ende gelesen war, sah man Tranen auf den Wangen der Regentin. Lange Zeit blieb sie stumm. Schliesslich murmelte sie, sie wolle sich mit ihren Raten beraten. Die Knaben gingen, der Staatsrat debattierte. Ich sagte, das sind keine Aufrührer, das sind loyale Edelleute von gutem Charakter, ehrenwerte Patrioten, die ihr Vaterland vor der Gefahr schützen wollen. Egmont zuckte mit den Schultern und sagte, er habe eine Entzündung am Bein und gehe in die Bader von Aachen. Der Herzog Berlaymont schrie: ,Was, Madame! Eure Hoheit fürchtet sich vor diesen Bettlern, diesen gueux? Sie hatten nicht Verstand genug, um ihre eigenen Güter zu verwalten, und wollen nun den König das Land regieren lehren? Beim lebendigen Gott, wenn es nach mir ginge, prügelte man sie die Palasttreppe rascher herunter, als sie heraufgestiegen sind!' — Am 6. April kamen Brederode und viele seiner Freunde wieder. Ein Schreiber gab ihnen die Petition mit einem Randbescheid zurück. Ihre Hoheit, hiess es, werde einen Gesandten an Se. Majestat senden. Die Inquisitoren sollten inzwischen bescheiden walten. Das waren blanke Worte, aber die Verbündeten waren zufrieden, und der Brederode gab ein Bankett im Kulemburgschen Haus, am 8. April, für dreihundert Gaste. Sie tranken und stritten über den Namen ihres Bundes: ,Bund der Eintracht' oder ,Die Erretter der verlornen Freiheit' sollte er heissen. Brederode rief: ,Sie nennen uns Bettler; wir nehmen den Namen an. Kampf der Inquisition und Treue dem König bis zum Bettelsack!' Er winkte einem Pagen, liess sich den ledernen Schnappsack und die grosse, hölzerne Trinkschale der fahrenden Bettler reichen, hing den Sack um die Schultern, die hölzerne Flasche füllte er mit rotem Wein, hob sie empor, leerte sie auf einen Zug und schrie: .Vivent les Gueux!', wischte sich den Bart, setzte die hölzerne Flasche auf den Tisch, dass es schepperte, und indes die Dreihundert ,Hoch die Geusen!' wie aus einem Munde schrien, hing Brederode den Schnappsack seinem Nachbarn um und prasentierte ihm die hölzerne Flasche, der Nachbar schob seinen goldenen Becher zur Seite, füllte die Bettlerflasche zum Rand und leerte sie zum Wohl der Geusen, und so reihum, und alle lachten und schrien donnernd: .Vivent les Gueux!' Schliesslich hingen sie Sack und Flasche an einen Pfeiler, jeder tat etwas Salz in seinen Becher und alle sangen den Reim: ,Bei dem Bettelsack hier, beim Salz und beim Brot, Wir Geusen wanken nicht bis in den Tod.' Nun Larm und Schwüre, ungeheure Humpen, umgestülpte Mützen und Wamser, Tanze auf Tischen und Stühlen. Der hiess den einen ,Herr Abt!', der andere den andern: .Ehrwürdiger Prior!' und sie nannten die Namen der Klöster, deren Schatze sie begehrten. Damals kam ich mit Hom und Egmont in den Saai, wir hatten das Gelage gern abgekürzt! Da wir eintraten, umringten sie uns, hiessen uns einen Becher leeren und schrien: ,Die Bettler hoch!' Wir verstanden's nicht — die jungen Leute, dachten wir und blieben kaum die Dauer eines Miserere da, es ware besser unterblieben. Die Tage drauf begannen die jungen Herren ihre seidenen Hosen und samtenen Wamser auszuziehn und das Kleid der Bettler zu tragen: aschgraues Wams, aschgraue Hosen, kurzen Mantel, grobe Filzhüte auf dem Kopf, Betteltaschen und hölzerne Trinkflaschen an der Seite; und sie liessen Medaillen aus Kupfer und Blei schlagen, den Kopf Philipps auf der Vorderseite und auf der Rückseite den Bettelsack, zwei verschlungene Hande und das Motto: ,Treu dem König bis zum Bettelsack'. Diese Münzen trugen sie um den Hals oder auf dem Hut. Und rasierten sich das Gesicht glatt bis auf den Schnurrbart, den sie lang hangen liessen wie die Türken, die braven Buben! All das und mehr berichteten hundert Spitzel und tausend Fromme dem König. Philipp erfuhr auch, dass Brederode am Karfreitag zu Antwerpen Fleisch gegessen und sein Neffe Mansfeld sich eine Wurst in seinem Zimmer gebraten habe. Solche Leckereien zur Unzeit brachten schon manchen an den Galgen. Der Brederode und sein Neffe leugnen auch. Zu der Zeit ging die Rede, der König wolle die Inquisition abschaffen und die Gewissensfreiheit wieder herstellen. Auf diese Gerüchte hin begannen die Verbannten und Flüchtigen und alle die versteckten Ketzer von neuem den Kopf zu heben. Man wusste, dass der geheime Rat an einer Moderation arbeitete. Endlich kam sie, dreiundfünfzig Artikel stark. Und was war ihre Massigung? Statt des Scheiterhaufens: Der Strang. Man verbrannte nicht mehr, man hing die Leute auf, die anders glaubten als der König. Die Niederlander hiessen die .Moderatie' bald .Moorderatie', Mörderei statt Massigung. Aber der Bergen und der Montigny erhielten diese Moderation zur Instruktion. Damit reisten sie nach Madrid, höchst ungern. So steht es um uns. Bruder, bald siehst Du mich bei Dir in Deutschland. Verstehst Du? Aber ich werde wiederkehren, in freiere Niederlande! Still! Erwarte mich recht bald. Dein Wilhelm heut und immerdar. Der Jesuitenpater Josef Genspichler an den Jesuitenpater Alonzo del Belcanto: Mein teurer Bruder in Christo, als einen Fischer (blaue Hose, rotes Wams) habe ich mich dahingestellt in der Kirche Unserer Lieben Frauen zu Antwerpen und betrachtete still das Werk dieser neumodischen Ikonoklasten. Bruder, ich sah die Heiligen fallen, die Mutter Gottes bespien, die steinernen Graber Fesudelt, ach, Bruder, da — ich will's der Reihe nach erzahlen, Ordnung muss sein, auch bei Greueln, weil nichts auf der Welt verloren ist, solange eine gewisse Ordnung existiert. Ich schreibe aus der Betrübnis meines Herzens und auch, damit Du befördert wirst, sobald Dein vorzüglicher Bericht das fühlende Herz Sr. Majestat zerrissen haben wird. Aus den Schmerzen der andern ist gut Speek schneiden. Womit fange ich an? Die Unordnung ist gross, und sinnt man den Ursachen nach, kommt man auf den sechsten Tag, wann unser Herrgott sich selber hat loben müssen und danach es versehn hat, indem er das menschliche Geschlecht schuf, halb aus Lehm, halb aus der Rippe. Eine goldene Regel für alle Künstler: Ist ihr Werk gut und gefallt es ihnen, nur nicht daran rühren! Um aber nicht weitschweifig zu werden, was die Menschen wie den Tod und die Sünde hassen, also halb ja, halb nein, begonnen hat's mit den falschen Predigern auf den Feldern, das hatte der König nicht dulden sollen, dass landauf, landab Zehntausende sich zusammentun, Bürger und Bauern, Edelleute und Handwerker, und über Feld ziehen mit Spiess und Schwert, um unter freiem Himmel Hymnen in der Landessprache zu singen, und abtrünnige Mönche und Farber, Gerber oder Hutmacher predigen zu hören. — Eine Epidemie! Was tat die Regierung? Sie bot für einen toten Prediger siebenhundert Kronen. Die lebenden Prediger bieten mehr. Der de la Grange reitet zu seiner Kanzei, seine Predigt beginnt er mit einem Pistolenschuss! Und zwanzigtausend, trotz der Todesstrafe, kommen und haben Arkebusen und Heugabeln, gegen den König sozusagen; und sie machen ein Feldlager, geschützt durch Barrikaden aus umgestürzten Wagen, aus Asten und Brettern, und durch Reitertrupps, die alle Strassen bewachen; und Höker und Hausierer verkaufen, trotz der Todesstrafe, die verbotenen Gesangbücher; und es ist ein bewaffneter Aufstand gegen den König; und angeblich nur, um Jesu Wort zu lehren! Aber vielleicht begann die Revolution erst zu Antwerpen, als der Oranien hinkam. ,Vater Wilhelm!' ruft das Volk auf allen Strassen. Der Prinz verhandelte mit allen, mit dem Senat, dem Rat der Alten, dem Kollegium der Quartiermeister, den Dekanen der Zünfte, den Offizieren der militarischen Gilden, den fremden Kaufmannsgesellschaften und den rhetorischen Kammern, dem .Veilchen und dem .Tausendschön'. Manche sagten, er sei der einzige Mann in den Niederlanden, der die Revolution aufzuhalten vermöge; andere sagten, er sei ein Verrater von Haus aus und entfache heimlich den Brand, den er zu löschen vorgab. Er ist ein interessanter Mensch, immerhin, und ein Freund der Ketzer! Die Regentin erklarte öffentlich: Der Prinz leistete dem König zu Antwerpen ausgezeichnete Dienste. Am 17. August verliess er Antwerpen. Am 18. fand der .Ommegang' statt, voran die Heilige Jungfrau aus der Kathedrale Unserer Lieben Frau. Der Pöbel schrie: ,Mayken! Mayken, deine Stunde hat geschlagen! Das ist dein letzter Spaziergang, Mariechen! Die Stadt ist deiner müde!' Am andern Morgen zog die Menge vor die Kathedrale und drangte hinein. Sie suchten das Bild der Jungfrau, das die Domherrn aus der Mitte der Kirche fortgenommen und in einem Chor hinter einem eisernen Gitter aufgestellt hatten. Vagabunden und Gassenjungen hingen sich ans Gitter und schrien: .Mayken! Mayken! Hast du Angst? Bist so früh ins Nest gekrochen? Nimm dich in acht, Mayken! Deine Stunde kommt!' Danach schrien sie: ,Hoch die Geusen!' und riefen: ,Mayken, rufe mit!' Die Heilige Jungfrau schwieg. Da höhnten sie über Kruzifix und Altar. Einer in Lumpen, einen Strohhut auf dem Schadel, stieg auf die Kanzei, schlug ein heiliges Buch auf und fing an, wie ein Mönch zu predigen. Er war von der Sorte derer, die ihre Dummheit für Witz halten. Ein paar klatschten Beifall, ein paar protestierten, ein paar schrien: ,Hoch die Geusen!' Ein paar warfen mit Stöcken nach dem, der predigte. Ein paar zogen ihn an den Beinen. Er wich aus, bog vor den Stöcken weg, wehrte sich, witzelte fort. Da erstieg ein junger Matrose die Kanzei von hinten und packte den Schalk und kollerte, mit ihm ringend, zu Boden. Ein Pistolenschuss traf den Matrosen afn Arm, Messer blitzten, die Knüttel sausten, am Abend trieben die Kirchendiener alle fort und schlossen die Turen für die Nacht. Zu der Zeit herrschte schon die Pest in den Provinzen und schlich wie auf Katzenfüssen durch Antwerpen. Schon löste sich alle Ordnung auf. Der Senat fürchtete sich und schickte Boten nach Oranien aus und tat nichts. Am andern Morgen kam mehr Volk zur Kathedrale. Da zog der ganze Senat herbei, redete dem Pöbel gut zu, sich zu zerstreuen. Die Ratsherren meinten, sie müssten mit gutem Beispiel vorangehn und gingen nach Haus. Aber der Pöbel sprengte alle Kirchentüren. Die Kirchendiener flohn. Auch ich ging in die Kathedrale. Da es finster ward, begannen die Scharen einen Psalm zu singen, ein paar brachen das Chorgitter auf, schleiften das Bild der Jungfrau herab, stiessen ihre Messer herein, zerfetzten die Figur, rissen ihre goldenen und juwelenbestickten Kleider herab und zerstückelten sie. Die Heilige Jungfrau sagte kein Wort. Es war so still, dass man das Reissen der Seide hörte und das Klieken der Rubine und Türkise auf den Steinen. Ich stand ganz nah und sah, Bruder, sah, sah! So aus der Nahe schaut die Holle recht ordinar aus! Es war alles so niedertrachtig, die stumme, grossaugige, leidende Figur und diese siebenzig Mörder, und kein Blut floss, und nur Fetzen blieben und sahen so arm aus j Bruder, was bleibt schon nach einem Mord? Ein paar schwangen Axte, ein paar hoben Schmiedehammer, ein paar trugen Leitern, Winden, Stricke, Hebebaume. Mit Methode, als war s ihr taglich Handwerk, holten sie die Statuen aus den Nischen, die Gemalde von den Wanden, zertrümmerten die schweigenden Statuen, zerschnitten die leuchtenden Gemalde, zerschlugen die funkelnden Fenster, zerstiessen die stillen Sarkophage. Wie hamische Affen kletterten sie in die schwindelnden Höhen und holten jeden Zierat herab, und zerschmissen ihn. Es ging wunderbar rasch. Die höchste Unordnung geschieht wie nach der höchsten Ordnung. Überall walten die Gesetze Gottes. Was am Boden lag, ward mit Hammern zerhauen, mit Handen zerrissen, mit Füssen zertreten. Strassenhuren, praktisch, wie ihr Gewerbe fordert, hatten Wachskerzen von den Altaren angezündet. Huren leuchteten in der Finsternis. So wurden siebzig Kapellen geschandet, alle Schatzkisten gesprengt, der Pöbel zog die Priesterröcke an, zerbrach die Hostiën, trank den Abendmahlswein aus den goldenen Kelchen zum Wohl der Geusen, verbrannte Messbücher und Schriften, salbte seine schmutzigen Stiefel mit dem geweihten Salböl. Der Zerstörer waren keine hundert, der Zuschauer viele tau- send. Auf dem Hochaltar stand der gekreuzigte Heiland zwischen den beiden Schachern. Mit Stricken rissen sie Jesum herunter und zerstiessen ihn. Die Schacher rührten sie nicht an. Das Repositorium ruhte auf einer einzigen Saule, von wo es, Bogen über Bogen, Pfeiler über Pfeiler, dreihundert Fuss hochstieg. Sie zerschellten es. Nun stürzten sie mit brennenden Fackeln und Wutgeheul durch die schlafenden Gassen, schrien: ,Hoch die Geusen!' und zertrümmerten jedes Marienbild, jeden Heiligen, jedes Kruzifix und plünderten dreissig Kirchen aus. Es war eine prachtige Sommernacht. Die Sterne schienen so gross und ruhig. Ich ging nach Haus, um alles aufzuschreiben. Noch zwei Tage und Nachte raste der Bildersturm durch Antwerpen, sie drangen in die Klöster, verbrannten die Büchereien, zerschlugen die Kellereien, stürmten Nonnenklöster, öffneten Kerker. Das Gesindel, sagt man, war von den Verbündeten des Kompromisses gemietet, für zehn Heller per Mann und Tag. In Flandern wurden vierhundert Kirchen geplündert. In Mecheln plünderten siebenundachtzig Buben die Kathedrale. In Tournay und in Gent zerstörten sie alle Kirchen und Klöster. Dabei sangen sie die Verse des Marot: .Tailler ne te feras imaige De quelque chose que ce soit Sy honneur luy fais ou hommaige Bon Dieu jalousie en refoit!' Gut, mogen sie ihre Verse singen und unsere Bilder stürmen, dafür werden wir sie in Stücke schneiden! - Bruder, wir werden sie brennen sehn; wir werden sehen, wir werden sehen.. . ich schreibe das mit meinen blutigen Tranen und auf dass Du befördert wirst, wenn Philipp von Spanien Deinen vorzüglichen Bericht lesen und vor Jammer und Wut den duftenden Bart sich raufen wird — den siebenmal gesalbten. Bruder, mir tut es im Herzen weh um die unschuldigen Bilder und die schonen, stillen Statuen, die zerbrochen daliegen im Staube. Aber jene sollen es büssen! Sie werden's büssen!' MIT SECHS PFERDEN „Antonio!" rief Philipp und streckte die Hand nach der Klingel aus. Er fieberte, seit langen Wochen. Er sass in seinem Bett, zwischen vielen Kissen, und suchte mit den Blieken die Wande, sie schienen ihm weggeschoben, an ihrer Stelle sass die Finsternis. Er hatte Durst. Perez sollte ihm zu trinken geben, sein neuster Liebling, Antonio Perez. Vor lauter Verlangen sah Philipp den Schatten Antonios an seinem Bett sitzen, deutlich erkannte er das kluge Lacheln, den schwarmerischen Bliek, die sinnliche Gestalt. Der Schatten war taub. Philipp, sonst so leise, schrie wie der Sturz von Gebirgen, mit der Königsstimme, die er für seines Lebens höchste Stunden aufgespart hatte. „Antworte, Antonio!" Die königliche Stimme war zu laut für gemeine Ohren. Vielleicht schien sie dem Perez ein hinschwebend süsses Schweigen, die Musik der Spharen, oder ein stechender Glanz wie von den grossen Sternen. Philipp hatte es geahnt, seine wahre Stimme hörte keiner. Also flüsterte er: „Antonio!" „Ja, Sire!" erwiderte Perez, neben des Königs Bett, kein Schatten, nun sah es Philipp und wollte die Hand ausstrecken, um ihn tastend besser zu merken, aber eine zarte Scheu, die eigene Schwache zu gewahren, hielt den König ab. Er fasste Mut und flüsterte: „Antonio, ich muss sie haben. Dahin ist es mit mir gekommen. Ich spucke meine Scham aus wie die Schalen der Trauben. Ich spüre einen glühenden Wind in den Spitzen meiner Finger. Nur mein Gefühl rettet mich. Die glauben alle, ich habe die Eboli. Lachelst du, Antonio? Denkst, so ein gewaltiger König und geniesst nicht seines Günstlings Weib? Elisabeth glaubt, ich betrüge sie mit Anna. Je höher wir stehn, um so niedriger denkt man von uns. Einen Freund betrügen? Ich liebe Anna seit dreizehn Jahren und widerstrebte. Ich hatte Angst vor ihr. Es gibt Weiber, die einen Mann verwandeln. Es sind Zauberinnen. Anna zieht mich an, ich schaudere entzückt wie über einem Abgrund. Sie ist Circe. Ich tat Wachs in die Ohren meines Herzens. Ich will ganz Philipp sein. Endlich ward ich unwandelbar. Solang mein Schatten auf die Erde fallt, bleibt Philipp Philipp. Antonio, ich will sie haben!" „Heute nacht?" fragte Antonio. „Bist du mir böse, Antonio? Bin ich deines Vaters Mörder? Mein Fieber raffte ihn weg. Er zitterte zeitlebens vor Todesfurcht. Ich liess ihn tags und nachts auf meinem Bett sitzen, vor Angst ward er witzig. Da sass er, nahm das Fieber an und starb sitzend, hier auf meinem Bett. Mein armer Minister Gonzalo! Liebtest du deinen Vater? Renard sagt, ich habe ihn vergiftet. ArmerRenard! Ichmusste ihn verhaften lassen. Und du, Antonio, was glaubst du?" Seit zehn Tagen war Gonzalo tot und sein Bastard Antonio Minister. Er hatte den lebenden Vater mit Spott geliebt, wegen der Superklugheit, die den Sohn verrucht und glücklich hatte machen wollen; Antonio liebte mit Wehmut den toten Vater, der ihm ein Ministeramt hinterlassen hatte. Für Spott und Wehmut lachelte Antonio. Für Philipp lachelte er sanft. Sass er auf der Bank der Prüfungen, ein Schulknabe? Begann der König, statt wie bislang die Menschen zu nutzen, mit ihnen zu spielen? Welche Antwort wollte er hören? Hat er den Alten wirklich vergiftet? Soll man seinen toten Vater mehr lieben als sein eigenes Leben? Philipp winkte ihm mit dem Finger. „Naher!" flüsterte er. „Dein Vater starb vor Angst. Aber Eboli hatte schon den Auftrag, ihn zu vergiften, sein Einfall war es." Perez stand auf, ohne es zu merken. Seine Wut hob - ihn auf. Nun merkte er, wie sehr er den Alten geliebt hatte. „Wohin gehst du?" fragte Philipp. Perez, schon an der Tür, erklarte, er rufe die Arzte, das Fieber Sr. Majestat steige. „Nein!" flüsterte Philipp, aber Perez ging und kam mit den sieben Leibarzten wieder. Vesalius fehlte. Er sass zu Toledo, im Kerker der Inquisition. „War der Vesalius nicht der Klügste unter euch?" fragte Philipp. Die Arzte sahen einander betreten an. Ungefragt durfte keiner vor dem König reden. „Antwortet!" befahl Philipp. „Der Ketzer?" murmelten die Doktoren. „Der Neuerer? Der Schulverderber ?" Sie waren brave Arzte. Nach den einen rührten die Krankheiten vom Überfluss, nach den andern vom Mangel der Humore her. Das waren die beiden spanischen Schulen, die Blutzieher und die Stuhlmacher, Propheten der Schröpfköpfe und Dogmatiker der Abführmittel. Ehe sie zu Werke gehen und in Streit geraten konnten, meldete ein Sekretar die Stunde des Staatsrats, und Philipp verscheuchte mit einem leichten Handeklatschen die Doktoren, dass sie wie eine Schar aufgeregter Hühner fortflatterten, ohne Federn zu lassen. Der Staatsrat trat im Gansemarsch herein. Erst kamen Fackeltrager, sie steilten sich langs der Wande wie Kandelaber auf, finstere Leuchter. Dann kamen Alba und Eboli; Freisneda, der dicke Bischof von Cuenca, Philipps Beichtvater, und der dürre Don Quixada; der Feria und mehrere Geheimschreiber. Die Diener setzten Stühle. Man wartete eine Weile auf den Grossinquisitor, wegen der Mohren. Seit Ferdinand und Isabella das Mohrenreich von Granada unterworfen und die überlebenden Mohren mit Zwang getauft hatten, waren die guten Mohren schlechte Christen, die spanischen Priester sahn es mit Grausen, der spanische König fühlte die Schuld. Der feurige Espinosa lieferte nun eine Abhandlung über die Methoden, aus schlechten Christen rasch und billig gute Christen zu machen. Espinosa hatte die rechte Stunde getroffen. König Philipp stand auf dem Punkt, die Geduld zu verheren. Er verlor die Geduld mit seiner Frau Elisabeth, die ihm tote Kinder oder Madchen gebar. Er verlor die Geduld mit seinem Sohn Don Carlos, der höhnte, es sei aus, Philipp könne keinen Sohn mehr machen. „Ich erbe alles", schrie der Infant den Höflingen und fremden Gesandten ins Ohr und erstickte fast vor Gelachter. König Philipp verlor schon lange die Geduld mit seinen Untertanen, im Norden mit den flamischen Ketzern, und mit seinen Morisken im Süden. Wie gewöhnlich sassen die Rate in zwei Lagern, um Eboli scharten sich die Freunde des Friedens, auf Albas Seite sass die Gewalt. Mit Hohn blickten die Freunde Albas auf die andere Partei. Alle wussten, heute unterlag der grosse Günstling, heute verlor Eboli, vielleicht war er schon verloren. Nur ein Schritt war vom Lacheln Philipps bis zu seinem Dolch. Viele sahen schon das Gleissen des Dolches. Alle fühlten die Unruhe der grossen Tage, die gewitterig dumpfe Schwüle. Nur Philipp sass still in seinem Bette, seine blauen Augen blickten freundlich, sein Bart, grau und blond in trüber Mischung, schwebte ruhig unter seinem allzu weissen Gesicht. Eboli sprach mit leidender Stimme, müde im Vorhinein. Langsam geriet er in Feuer und Schweiss. „Der König versprach, nach Brüssel zu reisen! Ich ziehe an der Spitze einer Armee voran, nicht zum Krieg gegen Untertanen, nur zum Beweis für des Königs Starke! Philipp der Kluge, wie sogar Feinde ihn heissen müssen, siegt stets in der Glorie der Gnade. Ein Kompromiss ist klüger als Gewalt, die Aufruhr zeugt. Wirksamer als Gewalt ist ihre Manifestation. Man verspreche eine Moderation, die der König nach Brüssel bringen mag, und einen Generalpardon. Statt eines Kriegs, der Geld kost et, gewinnen wir durch Gnade Frieden und bereichern den König. Warum will man unser wahres Indien, namlich Flandern, in Blut ersaufen?" Der König schwieg und machte sich Notizen. Alba, den die Zeit noch magerer, trockener, cholerischer gemacht zu haben schien, hatte zu Boden geblickt. Sein „kleiner Kopf, den der zweispitzige graue Bart verlangte, schien zu schwer, er stützte ihn mit beiden Handen. Erst als Eboli endete, legte Alba die Hande auf den Griff seines Schwerts und erklarte: „Den Fürsten Eboli gelüstet s nach dem Ruhm eines Heerführers. Ihn dauern die Bilderstürmer. Besser siebzehn Herren köpfen als siebzehn Provinzen verlieren! Ohne Gewalt kein Gehorsam! Ohne Grausamkeit gegen Einzelne keine Liebe für alle. Besser ein kurzer Krieg als lange Not. Wir werden die Niederlander mit spanischen Truppen regieren, dass sie ihre berühmten Freiheiten, ja die Namen ihrer Gesetze vergessen sollen. Nur eine bewaffnete Intervention kuriert die Niederlande." Philipp schwieg und machte sich Notizen. „Also will man ein ganzes Volk zum Tode verurteilen ?" fragte Eboli, zitternd vor Hass. „Ein grosser Gedanke", entgegnete kalt der Herzog. „Der Herzog", rief Eboli, „wird mehr Geld kosten, als er je einbringen kann!" Philipp schwieg und machte sich Notizen. Alba fragte, wie lange Eboli noch zur Gnade raten wolle ? Hatten die flamischen Gesandten Bergen und Montigny nicht das Ende der Inquisition gefordert und gedroht, sie seien nicht so leichte Opfer wie Neapolitaner und Mailander? Sei es nicht endlich Zeit, auch einmal des Königs Interessen zu bedenken, statt ewig an die Freunde Ebolis, Niederlander und Bilderstürmer, die unnütze Gnade zu verschwenden ? Die andern Minister schwiegen. Sie sahn alles entschieden. Nur der König machte sich noch Notizen. Eboli lachelte mühselig. Seine Freunde betrachteten ihn mit Unruhe. War er schon so krank? Verlor er seine Geschicklichkeit, dieses unnachahmliche Talent des gutgesinnten Höflings, der bescheiden fragt, bündig antwortet, wenig diskutiert, nie mehr als sein Herr zu verstehen scheint und alles, sogar seine wahre Meinung, geheim halt? Als Kammerdiener war er gross geworden, bequem und geschmeidig. Er hatte stets getan, als ziehe er die Würfel den Geschaften vor und spiele lieber Ball als mit Königreichen. Nie schien er Interessen zu haben, stets leugnete er seinen Einfluss. Ich kann zum König sprechen, sagte er wohl, die Majestat sieht mich, aber hört sie mich? Nun schien Eboli verandert. Sah er nicht seines Sterns Verdunkelung? Mit einem fremden, krankenden Eigensinn bestand er auf seiner Politik gegen Niederlander und Mohren und gönnte seinen taglich machtigeren Feinden Alba und Espinosa schamlos leichte Siege. War der Feinste grob geworden? Eboli lachelte mühselig. Die Stiche in seiner Seite stachen ihn starker als Albas Spitzen. Minuten- weise vergass er über seinen Stichen seinen Einfluss und den Frieden, die Niederlander und die Mohren, den Alba und den Espinosa. Schliesslich nahm er sich zusammen. „Meine Freunde die Niederlander", sagte er mit jener offenen Bitterkeit, die sonst Albas Merkzug war, „meine Freunde die Bilderstürmer, und der Grossinquisitor wird sicher gleich eintreten, um von meinen Freunden den Morisken zu reden! Ist es eine Schande, die Menschen zu lieben? Ich sehe den Aufruhr sein leichenschandrisch Haupt heben, Aufruhr im Norden, Aufruhr im Süden, und ringsum lauern Feinde auf Spaniens Schwache. Nicht die Flamen und Mohren, die schlechten Ratschlage Albas und Espinosas werden den Aufruhr entfesseln. Muss man die Morisken mit so finsterer Gewalt zu Christen machen ? Ihre Sprache, ihre Kleider, ihre heissen Bader, ihre Urvaterbrauche verbieten, heisst, ihnen das Leben verbieten. Espinosa heisst die Morisken friedlich. So urteilt ein Priester. UnserFreund Don Quixada, der lange unter den Morisken lebte, heisst sie geborene Krieger. So denken Soldaten. Der Grossinquisitor sagt..." „Was sage ich?" rief Espinosa, der eben eintrat wie von einem Windzug hereingeweht; hastig machte er drei Schritte zum König, blieb stehn, verbeugte sich, Philipp wies ihm einen Stuhl und zog die Nachtmütze vor ihm, der Kardinal setzte sich, fasste an sein Herz, stand auf, blickte zur Tür zurück, furchtsam oder bewusstlos, sagte mit atemloser Stimme: „Sire!" vergass sich, wandte sich zu Eboli, höflich und zerstreut, und fragte wie von Sinnen: - „Was sage ich?" und indes die Minister Erstaunens voll auf ihren Stühlen rückten und Philipp sich an den Bart griff, mit der Gebarde vornehmer Araber, wenn ein Gefühl sie machtig anweht, setzte sich Espinosa nieder, stand sogleich wieder auf und sagte: „Sire! Don Carlos stach nach mir, mit einem Dolche!" und schwieg, es war still, man vernahm der Fackeln Wehen, und Espinosa sagte mit dumpfer Stimme: „Sire! Es ging ums Leben. Fast war ich hin und schwamme da vor der Tür in meinem Blut. Es ging um einen Komödianten, er heisst Cisneros, ich verwies ihn König Philipp der Zweite. 20 aus Madrid, er ahmte mich nach, er ahmte viele nach, auch Se. Majestat, er sollte heute vor Don Carlos seine Lieblingsrollen sprechen. Da ich zum Staatsrat gehe, tritt der Infant hinter einer Saule vor, auf einem Treppenabsatz, und zieht den Dolch, stumm, ich weiche schweigend zur Treppenbrüstung aus, er fasst mich an, fuchtelt mit dem spitzen Dolch und schreit: ,Mönchlein, bei meines Vaters Seele, ich mache dir den Garaus!' Und will es tun! Und schreit: ,Wie? und Was? Meinen Cisneros hast du verwiesen, nur weil er Witz hat?' Ich, auf die Kniee stürzend, rufe ,Gnade!' Hatte ich ihn anfassen sollen, den Erben, dem ich geschworen habe? Lieber sterben, lieber mag der kluge Philipp seiner geringsten Diener einen verlieren. Zittert ein Christ vor dem Tode? ,Gnade!' schrie ich und dachte an die Morisken. Du bist nichts, dachte ich, aber viele hunderttausend Mohren werden ohne dich in der Hölle brennen, ohne Gnade! und: ,Gnade!' schrie ich, und mein Engel half mir: Der Infant trat mich nur mit dem Stiefel! Dann lachte er verachtlich, trat hinter seine Saule zurück und spahte mir nach, wie ich eilfertig ein Stossgebet murmelnd mich aufraffe und unter zitternden Gebeten zu meinem Herrn finde. Sire, noch spüre ich des Infanten dolchspitzen Bliek in meinem Rücken, ich lief und betend dacht' ich: Das ist nicht gut! und dachte: Meines Königs einziger Sohn! und: Lacht Don Carlos über seines Vaters Diener?" Philipp schwieg und machte sich Notizen. Der Grossinquisitor strich sein Gewand herab, als gelte es, viel zu glatten, und blickte von unten auf den König, demütig und schlau. Der König prüfte seine Notizen. Endlich murmelte er: „Bin ich kein guter Vater?" Die Minister blickten zu Boden. Philipp murmelte, vielleicht im Fieber: „Ist meine Absicht zu gross? Und sind alle Menschen böse? Will keiner nach unserer Weise leben, heiter fromm?" Der Grossinquisitor blickte strenge prüfend dem König ins Gesicht. Alba lachelte. Eboli bedeckte mit den Fingern seine Augen. Philipp sagte mit seiner gewöhnlichen Stimme: „Unsere Zeitgenossen halten uns für einen Zufall. Es gibt keinen Zufall. Eher stirbt die Zeit. Sie bauen auf Brauche und Gesetze, und wagen's, eine Welt ohne mich zu denken. Und das Heil? Alba zieht in die Niederlande! Espinosas Entwurf dient zu der Mohren Edikt! So haben wir's beschlossen." Der König schwieg. „Was sage ich?" murmelte der Grossinquisitor und blickte auf Eboli. Der König entliess den Staatsrat. Espinosa ging als erster, hochmütig lachelnd. Vor ein paar Jahren hiess er noch der Doktor Diego und war ein unbekannter Jurist. Heut war er Prasident von Kastilien, Prasident von Italien, Grossinquisitor, Kardinal, der König tat an ihm wie an seinesgleichen, kam ihm vor der Tür entgegen, zog den Hut vor ihm, gab ihm einen Stuhl. Das Volk hiess ihn den Monarchen Spaniens, wie der Hof einst den Ruy Gomez den Re y Gomez geheissen hatte, den ,König und Gomez'. Espinosa gefiel dem König, weil er seine Familie nicht bereicherte. Minister und Hof hassten seinen Stolz, seine Unbestechlichkeit. Espinosa, so hochgestiegen, hielt sich für unverwundbar. Lachelnd folgte Alba dem Grossinquisitor. Finster folgten Ebolis Freunde Feria und Quixada. Als Letzter ging gebückt der arme Eboli. Nur seinen Liebling Perez behielt der König bei sich. „Noch keine Nachricht von der Königin?" fragte Philipp. „Keine!" erwiderte Perez. „Es wird ein Sohn sein", sagte Philipp. „Heut stach Carlos nach meinem Grossinquisitor; und morgen? Ich will einen neuen Sohn haben." Der junge Minister schwieg. Königin Elisabeth hatte schon drei Fehlgeburten. Warum sollte das vierte Kind leben ? „Ich bin ganz allein", flüsterte der König. Er spürte das standige Zittern seiner Seele. Perez überlegte, wie er den König trosten solle, wenn ein Bote die Nachricht von der vierten Totgeburt bringen würde. Das erste Wort, das Perez sagen sollte, war sehr wichtig. Da kam die Prinzessin des Ursins, fast ohne Atem. „Es lebt!" rief sie vor der Türe schon. „Das Kind lebt!" Philipp fasste seinen Bart an. „Ein Knabe?" fragte er mit ruhiger Stimme. „Das Kind ist ganz gesund", rief die kleine Prinzessin, „es lebt und ist gesund." „Kein Sohn also?" „Ein Madchen, so hübsch und ganz lebendig! Es schreit schon!" „Und die Königin?" „Recht wohl", sagte die Ursins und lief fort. „Antonio", sagte Philipp, „ich will Anna haben." „Heute nacht?" fragte Perez. „Wird sie kommen?" „Wenn ich handeln dürfte..." „Gut", sagte Philipp. Perez ging schon. Er war fünfundzwanzig Jahre alt und hatte aus halber Liebe die Schwester des Malers Coello zum Weib genommen. ,Du machst Fehler', hatte sein Vater kopfschüttelnd bemerkt. ,Liebst du das Fraulein?' ,Wie mein Leben', antwortete Antonio, sein Weib glich in Gang und Stimme der Eboli. Philipp sass still in seinem Bett. Nur das Laub vor dem Fenster rauschte. Philipp liess die Kerzen anzünden. Er schrieb in ein besonderes Heft die neuste Untat seines Sohnes Carlos: ,Dolch, Saule, Grossinquisitor, Mönchlein, Cisneros, Blicke.' Danach schrieb Philipp mit eiliger Feder seinem jüngsten Minister Antonio Perez: ,Vorsicht!'schrieb der König. .Niemand darf etwas erfahren! Und spahen Sie nach den Mienen der Fürstin. Sagen Sie meinem Freund Eboli, ich liebte ihn mehr als alle Mohren und Niederlander. Du hast es leicht, sagte Don Carlos zu mir, deine Feinde auf Frankreichs und Englands Thronen sind Weiber. Hab' ich es leicht, Antonio? Manche heissen mich den Erben, weil ich langsam bin wie Karl, und das Reich baue wie er, und glaube gleich ihm. Der Glauben macht uns zu Menschen. Ich fechte für Gott. Ich bin sein Stempel, ich stemple die Völker. Es ist schwer, Antonio. Er ist übermachtig. Alle Zeugen sterben, so ich Recht will. Und die Mitlebenden verurteilen mich, den Gerechten. Ich bin unschuldig. Warum hat man mich auf den Schoss gesetzt und an Brüsten gesaugt? So lage ich doch nur und ware endlich still. Noch braucht man mich. Wer hat je solch ein Reich besessen? Ich mache Ordnung! Wer soll den Leuten helfen? Ich zittere, Antonio, dass Du Fehler machen könntest. Anna ist engelhaft, Eboli so zart! Bin ich König, um nicht zu geniessen? Philipp! sage ich zu mir. Zerreisse den Schleier! Bald habe ich vierzig Jahre gelebt. Und war es nicht mehr? Ich will Anna um jeden Preis haben. Ich vergesse um ihretwillen meine Tage, meinen Namen. Meine Füsse fangen zu hüpfen an, die Haare auf meiner Haut erbeben. Meine Stimme steigt empor. Freunde, gebt sie mir! Antonio, ich zittere, dass Eboli missverstehen, Anna zürnen könnte! Verschiebe alles auf spater, auf morgen, Antonio. Aber werde ich so lange warten können? Ich der König' Philipp begann zu traumen. Da kam Anna. Es war drei Uhr morgens. Der König hatte den Eboli geschaffen. Der Eboli schuf den Perez, Eboli machte ihn zum Schreiber, Eboli empfahl ihn zum Minister, Eboli zog ihn in sein Haus und sein Vertrauen. Nun stand Eboli vor dem Fall, und Perez stieg. Perez ging vom Schlafzimmer des Königs in den Palast Ebolis. „Heute nacht", sagte er, und da Eboli tat, als verstünde er ihn nicht, aber schon erblasste, sagte Perez, intimer als ihm zustand: „Anna!" „Ich bin gerettet!" rief Eboli und umarmte den jungen Freund. „Ich", rief er, „werde heute nacht über Alba und Espinosa lachen!" „Und Anna?" fragte Perez, aus Diskretion oder Schamlosigkeit. „Anna?" fragte Eboli, töricht vor Lust, vom König gehörnt zu werden. „Anna brennt darnach!" „Se. Majestat", erklarte Perez, „wünscht absolute Diskretion." „Anna muss in Mannskleidern kommen", schlug der Gatte vor. „Die Fürstin", erklarte Perez, „hat meine Grosse. Ich hole ein Kostüm. Als mein Freund geht sie an meiner Seite durch die geheimen Gange." Sie gingen zur Fürstin. „In Antonios Hosen?" fragte Anna spöttisch und musterte ihn, bis Perez errötete. Eboli schwitzte vor angstlicher Erwartung. „Du lachst?" fragte er empört. „Ich war schon verloren. Wir standen vor dem Sturz; Antonio, wir beide sollten stürzen." Perez lachelte ruhig. Warum ich?, dachte er. „Du musst dich verkleiden", erklarte Eboli seiner Frau. „Philipp liebt das Geheimnis. Niemand, auch er nicht, darf vor der Welt wissen, was ich weiss. Das ist seine höchste Staatskunst: Das Weltbekannte als Geheimnis zu behandeln. Philipp fürchtet das ausgesprochene Wort. Seine Kunst ist: zu verhüllen, zu verschweigen, scheinbar zu übersehn. So gewinnt er den majestatischen Anschein einer langsamen Allwissenheit. Ich habe ihn studiert. Ich bin sein Schüler. Maskiere dich, Anna! Verkleidungen kitzeln verwöhnte Sinne. Man muss hinter die kleinen Schliche grosser Könige kommen, will man mit ihnen auskommen. Ich kenne die Gesetze ihres Handelns bis zu den Rülpsern ihrer Wollust, und diskret befolge ich ihre Gebote." „Ich lebe nach eigenen Gesetzen", erwiderte Anna. Eboli ward still. Er kannte seine Frau seit dreizehn Jahren, selten hatte er sie durchschaut. Er liebte ihre starken, erfahrenen Glieder, er bewunderte ihren herrschsüchtigen, unabhangigen Geist, er hasste ihre freche Gescheitheit, er verabscheute ihre grossartige Geduld. Anna war schön und gefahrlich. Er argwöhnte hinter ihren geistreichen Gesprachen mit ihren Freunden oder ihrem Onkel Mendoza intellektuelle Ausschweifungen, die ihm unbekannt waren und darum unanstandig, ja aufrührerisch erschienen. Er wusste genau, wieviel er der Klugheit seiner Frau und der Verliebtheit seines Königs verdankte. Anna sprach furchtlos über alles. Ihre Kühnheit war ein Reiz am Hofe eines Tyrannen. Der Höfling Eboli wusste nichts in geraden Worten zu sagen, er fand nie gerade Wege. Niemals hatte er seiner Frau in dürren Worten geraten, den König zu verführen. Sein Amt war es, die neuen Matressen Philipps mit kundiger Hand ins königliche Bett zu geleiten. Er kannte die Grosse der Gefahr, dass eine herrschsüchtige Matresse den alternden König bestrickte und unterjochte; desto grösser ward die Gefahr, je sicherer der König sich fühlte. Vor seinem jungen Günstling Perez gestand Eboli seine Hoffnungen und Angste. „Philipp liebt sie", sagte er einmal zum Antonio. „Er liebt sie seit langem. Sie wissen, wie langsam Se. Majestat ist. Philipp hat unmenschliche Geduld. Niemals gibt er eine Absicht auf. Dennoch: wie alt wird Liebe ohne Nahrung? Gewiss, er schmachtet und geniesst es, zu schmachten. Dennoch ... Ob nicht im richtigen Augenblick ein halbes Wort, ein halbes Gestandnis Annas.. . Solche hingezogenen, unausgetragenen Liebesromane enden oft gewaltsam.. . zuviel aufgesparte Bitterkeiten, zuviel erstickte Empfindungen ...ich bin bedenklich, Antonio. Und hat Anna einen Plan? Sie ist sehr gescheit, gewiss, aber warum schweigt sie vor mir? Misstraut sie mir? War ich je kleinlich? Neulich sagte ich ihr, mit Bedeutung: Echte Liebe überwindet gemeine Vorurteile. Sie lachelte und schwieg; Antonio, in finstern Stunden fürchte ich, sie geize nach der dummen Ehre, eines Königs Bett verschmaht zu haben. Die Königin Elisabeth zeichnet sie aus. Kürzlich fragte ich Anna: Liebst du sie so, bis zu gewissen Opfern? Anna schwieg. Lehre mich, bat ich sie. Ich will dein Schüler sein! Sie schwieg. Indes hofiert schon alle Welt sie und lachelt über mich, den bequemen Gatten. Und Philipp scheut noch immer den Larm der Spotter und die bösen Zungen. Und Anna zieht ihn an, stösst ihn zurück, sie spricht geistreich mit ihm und über die erhabenen Gegenstande, und Philipp kommt sich neben ihr geistreich und sehr erhaben vor, sie besitzt die Kunst, zu tun, als liehe sie ihren Witz vom Partner, und Philipp schenkt ihr Blicke, die der Hof für Erinnerungen halt, aber sie sind nur Ankündigungen, bestenfalls. Anna ist heute Mitte zwanzig, nie waren ihre Blicke tiefer, ihr Lacheln reifer, ihr Leib verführerischer. nur ihre Stirne ist noch ganz weiss und Unschuld. Was erwartet sie? Misst sie sich an Geduld mit Philipp? Sie ist kein König. Sie ist nur ein Weib." „Ein königliches!" hatte Perez gemurmelt, der eine seltsame, stechende Wollust empfand, so von Anna sprechen zu hören. „Was hat sie vor?" fragte Eboli. „Ich bin an ihrer Klugheit irre. Ich verliere die Geduld; meine Feinde, die Alba, die Espinosa werden taglich einflussreicher, taglich frecher. Wartet Anna auf meinen Sturz? Liebst du den König?, fragte ich sie. — ,Wer sonst soll ihn lieben?' — Millionen lieben ihn, sagte ich. — .Keiner wie ich!' sagte Anna, und mit solch kuriosem Ernst. Was hat sie vor, Antonio?" Endlich war nun Perez aus dem Schlafzimmer des Königs herbeigeeilt und sagte: „Diese Nacht!" Perez erzahlte: „Der König schmachtet — und zittert. Er ist am letzten Ende der Geduld — und spricht sich selber Mut zu. Er redet Unsinn und vergisst seine Geschafte. Er hat seine Papiere fortgeschoben. Er schreibt nicht, liest keine Akten mehr. Sein Fieber wich so lange nicht. Endlich nahm er den Entschluss — und ist gesund und fühlt sich stark. Ich könnte diese Nacht Berge versetzen, sagte er zu mir. Er spricht nur von seiner Liebe, nie wird er müde, davon zu reden, wie ich nie müde, davon zu hören. Er fragte mich oft, wie er dem Fürsten seine Liebe noch deutlicher beweisen könnte. Der König liebt das Geheimnis. Er gelobt ewige Diskretion und nahm mir jeden Schwur, zu schweigen, ab, fürchterliche Schwüre. Er klagt, er möchte einmal glücklich sein dürfen, ohne dass Greise in zweiundzwanzig Landern die politischen Folgen in klugen Staatsgesprachen abwögen." Eboli verbeugte sich geschmeidig wie vor der Majestat und schwor, auch er liebe das Geheimnis. „Ich", erklarte Anna und stützte das schone Haupt wie nachdenkend auf die weisse Hand, „ich liebe das Geheimnis nicht." „Der König befahl", begann ungeschickterweise Perez, doch Anna unterbrach ihn. „Auch den Gehorsam liebe ich nicht. Bin ich eine Nonne, eine Barfüsserin, unter der Rute der frommen Mutter Teresa von Avila, der heiligen Freundin des Königs und der Jesuiten, die so seltsame Gesichte hat? Der König befahl? Kennt Liebe Befehle? Hat sie einen Preis? Ist Liebe zu verbergen? Sie leuchtet weiter als die Siegesfeuer von Hügeln zu den Hügeln. Armes lautes Geheimnis! Kehren Sie zurück, Don Antonio, zu Sr. Majestat!" „Gut", erklarte Eboli gemessen. „Gehn wir nach Italien, auf unsere Besitzungen. Baun wir Wein und Korn! Der König ist grossmütig. Er sendet unsern Freund Antonio zu unserer Gesellschaft, dass wir nach italienischem Brauch zu Dreien leben und zufrieden altern." „Du bist unzufrieden?" fragte Anna erstaunt. „Ich bitte dich. Rate mir; nach deinem Herzen handle ich." „Ich verstehe dich nicht", gestand Eboli seufzend. „Was ist deine Absicht? Bewunderst du den König weniger als wir? Hat Philipp deine Neigung nicht mehr? Sagtest du nicht erst neulich.. „Was? Dass ich einen grossen Geist liebe, ein einzigartiges Herz, einen Mann, der so kühn die Geschafte der Menschheit betreibt wie kein Kaiser vor ihm, der die Menschen nach seinem Antlitz formen will, der in der Rechten das Schwert des Weltkönigs und in der Linken der Liebe Kreuz hochhebt, der edel und liebenswürdig wie keiner ist, der gross von mir denkt und mich liebt, ja diesen Mann liebe ich mit der Seele, der Mann sollte mein Freund sein, und wenn er mich an sein Lager bate, mir einen Freund als Boten sendete, da sollte ich nicht zu ihm fliegen? Aller Rücksicht ledig, wie echte Liebe, mich nicht fromm an sein königliches Bett setzen, um meiner Seele Wonnen mit seinen zu vermischen? Der Mann, wenn der mich riefe.. „Was sprichst du?" fragte Eboli, von einem Dutzend Empfindungen hin und her gerissen. „Der Mann", fuhr Anna begeistert fort, und die Begeisterung verschönte sie noch, „der verstünde meine Laune und liebte mich nach meiner Art, vor den Augen der Welt, wenn dieser Mann Sie einst zu mir sendet, Don Antonio..." „Fürstin", rief Perez begeistert, „der Mann schickt mich!" „Wie heisst er?" fragte Anna. „Ist er ein machtiger König?" „Er heisst Philipp", antwortete Perez, „und ist Ihr Skiave." „Rasch", rief Anna und sprang auf, „o eilt euch, wieviel Zeit verloren! Rascher! Rascher! Meine Sklavinnen ruft! Weckt meinen Frisör! Lasst mir ein Bad bereiten! Wo sind meine Perlen, meine schönsten Diamanten? Weckt meine Lakaien, meine Heiducken alle! Lasst meine Prachtkarosse anspannen, und mit sechs Pferden, hörst du, Gomez! Don Antonio, mit sechs Pferden, den feurigsten in meinen Stallen! Und meine Lakaien sollen ihre besten Livreen antun und Pomade in ihr Haar und auf ihre Stiefel streichen, und alle sollen meine Farben tragen, die Farben der Mendoza und der Eboli! Und fünfzig Fackeltrager sollen die dunkeln Strassen vor mir erleuchten, und ruft Flötenblaser, sie sollen mir aufspielen. Don Antonio, Sie sollen mich führen, vor die Rampe des Schlosses, und auf der grossen Treppe, und bis zum Bette dessen, der in Demut auf mich wart et und mich mit Myrten kronen wird vor aller Augen!" „Hüte dich", bat Eboli, halb drohend und halb schon lachelnd, „heut krönt er dich vielleicht, spater wird er vielleicht dich köpfen lassen." „Besser spat geköpft als früh verworfen!" rief die Eboli heit er. Von drei Uhr morgens bis neun Uhr abends stand die stadtbekannte Prachtkarosse der Eboli mit sechs Pferden bespannt und umgeben von Dutzenden von Laufern, Heiducken, Fackeltragern vor dem Hauptportal des königlichen Palastes zu Madrid für aller Augen wie zum Triumphe da, verraterisch. DIE LIEBESNACHT Um drei Uhr morgens. Philipp: „Fürstin..." Um vier Uhr morgens. Philipp: „Anna..." Um fünf Uhr morgens. Philipp: (schlaft). Um sechs Uhr morgens. Philipp: „Süsses Herz..." Um sieben Uhr morgens. Philipp: „Noch..." Um acht Uhr morgens. Philipp: „Alba ist ein Esel. Espinosa, sagst du, heisst der Monarch von Spanien? Nur Geduld, mein Taubchen. Glaubst du, ich liebte diesen Alba? Und Espinosa stürzt! Nur ein paar Jahre Geduld." Um neun Uhr morgens. Philipp: „Antonio! Heut keine Geschafte! Keinen vorlassen! Was? Den Fürsten Eboli? Der gute, der ausgezeichnete Eboli! Du bist der Engel mit dem Schwert, Antonio!" Um zehn Uhr morgens. Philipp: „Ich liebe dich. Ich liebe dich. Anna!" Um elf Uhr morgens. Philipp: „Schmeckt's? Nimm diese Seezunge. Deine Zunge, Anna... Süsse Zünglerin! Nimm vom gebackenen Krammetsvogel. Anna, o süsse..." Mittags. Philipp: (schlaft). Um ein Uhr nachmittags. Philipp: „Depeschen aus den Niederlanden? Was schreibt Margareta? Ist der Kurier aus Rom da?" Um zwei Uhr nachmittags. Philipp: „Carlos, musst du wissen..." Um drei Uhr nachmittags. Philipp: „Carlos, musst du wissen..." Um vier Uhr nachmittags. Philipp: „Carlos, musst du wissen..." Um fünf Uhr nachmittags. Philipp: „Solchen Busen sah ich nie..." Um sechs Uhr nachmittags. Philipp: (lacht, lacht, lacht...) Um sieben Uhr abends. PhiUpp: „Dein Knie... so..." Um acht Uhr abends. Philipp: „Diese Smaragden schenkte der Jude Don Isak Abravanel der Königin Isabella der Katholischen. Sie stammen aus Damaskus. Isabella trug sie am Tage, da sie in das eroberte Granada einritt. Nimm sie. Ich bitte dich. Zwei Herzen eins in Liebe. Deine Küsse sind schmelzender... Nur einen Ring, geliebtes Herz, mehr nicht?... deinen Ring, ich tue ihn an, ich will ihn alle Tage tragen, mein Herz ist so umschlossen von dir wie mein Finger von deinem Ring. Ach, meine Laïs, Engel vor aller Welt, in meinen Armen Laïs, Kleopatra, Dido, Venus!" Um neun Uhr abends. Philipp: „Perez wird dich führen, Taubchen, ganz insgeheim, ganz stille. Auf bald, auf übermorgen, Liebste! Komm morgen!" Um zehn Uhr abends. Philipp: (schlaft und spricht im Schlaf, aber zu undeutlich, als dass sein Sekretar Vandenesse, der im Sold Oraniens des Königs Rocktaschen untersucht, mehr vernahme als den Namen Anna.) Vandenesse schreibt dem Oranien... ,und sagt man, dass er sein Weib Elisabeth vergiften will, weil sie ihm keinen Sohn gebart, und dass er seine Nichte, des Kaisers Tochter Anna heiraten wird, die Braut des Infanten Carlos, dem er schon Elisabeth gestohlen hat. Im Schlafe spricht er den Namen Anna mehrmals mit zartlicher Betonung aus. Manche bei Hofe fürchten für das Leben des Infanten Don Carlos. Heraufsteigt zu voller Gunst der neuste Minister, der glatte Bastard Perez, ein Jüngling in hoher Gunst bei der Fürstin Eboli (auch sie heisst Anna...), des Königs machtiger Matresse.. ANGST Montigny schrieb an seine Frau nach Brüssel: .Madrid, in der Nacht. Liebste, ich kenne unsern Sohn noch nicht! Manchmal in der Nacht wache ich auf und denke: Nie wirst du deinen Sohn sehen. Ich schlafe ein und finde am Morgen mein Kissen von Tranen feucht. Die Angst! Die Granden behandeln mich wie einen simpeln Ritter. Schlimmer, der König ist ewig freundlich, ja weich vor lauter Gnade, gezuckert wie ein Kuchen. Ich bat ihn dreimal um einen Pass. Er sagt, er könne mich nicht entbehren, ich müsse ihn auf seiner Reise in die Niederlande begleiten. Gestern war ich den Tag lang traurig. Die Trauer war wie eine Wand ohne Tür, ich fühlte Dich ganz nahe, und hatte ich die Tür gefunden, die da war, die ich nur nicht sah, so hatte ich Dich fassen können und glücklich sein. Den Bergen sehe ich nicht mehr. Er ist krank, heisst es, die spanischen Arzte lassen keinen zu. Es schadet ihm, sagen sie. Ich weiss nicht, was ich denken soll. Sehr seltsame, sehr zeitige Krankheit — der steht nicht mehr auf? Nur Eboli geht zu ihm. Eboli ist eine vornehme Natur, bei aller Höfischkeit treu, er hat mich gern, er hat auch den Bergen gern, der König hat uns gleichfalls gern. Gestern ging ich abends durch die Strassen, am Himmel leuchteten die Sterne so gut und alt, so niederlandisch, zwischen den Hausern gingen Ritter und schone Damen, ganz junge Huren und ihre Zuhalter, letztere tragen bunte Scharpen, Büffelkoller, breite, flatternde Hosen, lange Rapiere und Schnurrbarte wie die Türken, recht hangend, und rote Strümpfe. Hinterm Schloss sassen zwei Madchen im Gras, beide glichen ein wenig Dir und sahn einander gar nicht ahnlich. Der ernste Bliek der einen, ihre Augen blieben ganz still, auch als sie lachelte. Da glich sie Dir ganz. Das Madchen trug einen strohernen Hut und ein Kleid wie Sonnenblumen gelb. ,Hast du einen Liebsten?' fragte ich es. Das Madchen lachelte. Das war fast alles. Und danach meine Traurigkeit und die Tranen in der Nacht. Der König hat sich sehr verandert seit seinen Brüsseler Tagen. Er hat wirklich eine Art Grosse. Das stille Lacheln, die wenigen Worte, die grüblerischen Blicke, die feierliche Strenge, man spürt die ungeheure Anstrengung, und auch ein gewisses Gelingen! Man sagt, er liebe jede Nacht, er soll sehr verliebt sein. Er hat Bastarde, man kennt sie. Ich sehne mich fort von hier. Wozu bin ich hergekommen? Die Edikte, die Inquisition? Die Freiheit, die Niederlande? Mir dünkt alles so wenig. Es ist verrauscht. Ich denke nur an Dich. Und spüre mein Leben. Und dass ich es weggeworfen habe, für grosse Worte: umsonst. Es ist ausgemacht, der Alba kommt mit einem Heer nach Flandern, der König soll ihm folgen, er hat schon gross gerüstet, Schiffe, Armeen, sein Gefolge, Offiziere. Er hat seine Reiseplane allen Königen und dem Heiligen Vater gemeldet, den König von Frankreich bat er um freien Durchzug, seinen Vetter von Savoyen um Rat, der Strassen wegen. Er liess ein Verzeichnis aller Stadte unterwegs machen und ihre Entfernungen ausmessen. In allen Kirchen liess er für gute Fahrt beten. Wir dachten schon, er fahre. Da bekam er ein Tertianfieber und befahl dem Alba, vorauszuziehn. Log Philipp? Die Inquisition gab reichlich Geld für Alba, alle Vizekönige sandten Truppen, die Regentin soll gleichfalls Truppen sammeln. Ich will heim. Ich bat um Urlaub. Philipp lachelte ein steifes, dünnes Lacheln, so verloren liegt es über seiner schweren Unterlippe, er ist ein Faun, ein Fanatiker, offenbar toll. Keiner will es wahrhaben, weil er König ist. Ist es nicht Tollheit, alle Welt katholisch und spanisch zu machen, alle Welt zu Sklaven zu machen? Gestern ritt ich aus Madrid, beim ersten Kreuzweg stiess ein Trupp von vierzig Reitern, schwer in Waffen, zu mir. Der Anführer lachelte, da lacheln viele wie Philipp, den Philipp ahmt sein ganzer Hof nach, lauter finstere Tyrannen. Bin ich gefangen?, rief ich und lachte ein falsch Gelachter. Die Strassen sind sehr gefahrlich, entgegnete der Anführer höflich. Es soll Rauber geben. Darum?, fragte ich. Der Anführer lachelte sein dünnes Lacheln. Ich habe Ahnungen. Ich wollte, ich sasse am Meer, vor einer Fischerhütte, und asse gebackene Fische mit Dir; komme ich davon, will ich nie wieder um die Geschafte der Welt mich kümmern. Sei heiter, geliebtes Weib, sei stille, ich denke an unsern Sohn, sei vergnügt. Auch ich bin es, Dein guter Freund Montigny, Dein Gatte, der Vater Deines Kindes und der Dich lieb hat. So kurz war unsere Liebe, nur einen Sommer lang. Schon ein Jahr bin ich fern von Dir. Wie gut hat es mein Bruder Hom, er ist so stille in seinem Haus zu Weerth in den Niederlanden, da lebt er so sicher...' Der Montigny überlas den Brief und zerriss ihn. Der Brief gefiel ihm nicht und war gefahrlich, wenn er des Königs Spahern in die Hande fiel. Er schrieb einen zweiten, kürzern Brief. Von seinem Heimweh, seiner Sehnsucht und von des Königs grosser Gnade... DER EMIGRANT Zu Villebroeck, einem Dorf an der Rupel, in der Stube des reichen Bauern Absolon, eines heimlichen Calvinisten, sass Wilhelm von Oranien und wartete auf seinen Freund Egmont, um ihn noch einmal zu sehn. Absolon, ein runder Mann mit roten Handen und blauen Augen, stand an der Stubentür und sah auf die Strasse, die von Brüssel nach Antwerpen führte. Es war ein Tag im April, und es regnete, es war ein dünner, nebelnder Regen, ohne Glauben, Liebe und Hoffnung. Trage gackernd liefen die Hühner zwischen den Beinen des Bauern in die geraumige Stube. Wilhelm sass auf der Ofenbank. Auf dem Tisch standen ein Krug Milch, ein Laib Brot und ein Schinken. „Ist es also wahr", fragte mit heller Stimme der Bauer Absolon und kehrte sich zu Wilhelm. „Ihr seid lutherisch geworden, Herr?" Der Oranien schwieg, und der Bauer drehte sich wieder zur Strasse hin. Von Zeit zu Zeit horten sie schrille Pfiffe. „Das sind meine Buben, sie liegen auf der Lauer", sagte Absolon plötzlich mit einer ganz tiefen Stimme, als sprache ein anderer Mann. „Niemand wird Euch überrumpeln, Herr. Seid ohne Furcht!" „Ich bin es", erwiderte Oranien und empfand einen leisen Verdruss. Seit je warfen ihm Feinde und Freunde diese Vokabel wie einen Knüppel zwischen die Beine. Immer er- scheint der Menge die Vernunft wie Furcht. Oranien fühlte den Unmut. Das Wort dieses Bauern war nur ein Tropfen in die volle Schale, da floss sie über. Ihn bedrangte der Schmerz, davonzugehn, ins deutsche Land, das schon die Fremde war und noch die kleine Heimat. In den Niederlanden war er gross; zu Haus, in Dillenburg, einer mehr unter den Nassauer Grafen, war er ein Flüchtling, ein davongejagter Bankrotteur des Lebens, ein Hilfeflehender, der Mann seiner bösen Frau, der Sachsin, die ihn vor aller Ohren heruntermachte, vor aller Augen betrog, schon sass sie zu Wesel und trieb es mit dem Schöffen Johann Rubbers oder Rubens, oder wie solche Kanaille hiess. Da sass Oranien und wartete auf den grossen Egmont, den Liebling der Wallonen, des Königs von Spanien treuesten Diener. Oranien fühlte den Unmut. Der Egmont war schuld, dass Wilhelm fliehen musste, ein Einzelner vor dem herannahenden Heere Albas, dessen Schatten schon auf die schneeigen Gipfel der Alpen fiel. Der Egmont war schuld, dass der Philipp die Niederlande bald mit Ruten peitschen würde. Aber den Egmont sahen sie alle verliebt an, wie ein Madchen in den Spiegel schaut, die Niederlander liebten ihn mit allen Fehlern und rechneten ihm jedes Laster als Tugend an. Nun gehe ich fort, dachte der Oranien, und alle liessen mich im Stich, und der Bauer redet von meiner Furcht. Da überkam ihn ein falscher Eifer, und ihm schien, er müsse den Bauern überzeugen, der Bauer, schien ihm, sei ein echter Sohn des Volkes, und gebe der ihm recht, so gabe das Volk ihm recht, es war alles töricht, er wusste es genau, und doch bat er den Bauern, sich an den Tisch zu setzen und ihn anzuhören. Der Bauer setzte sich an den Tisch und stützte den Arm auf. „Wieviel Söhne hast du?" fragte Oranien, er hatte vergessen, dass er diese Frage schon einmal an den Bauern gerichtet hatte. Aber der Bauer antwortete gleichmütig und ohne Krankung, wiederum wie schon das erste Mal: „Sechs Söhne habe ich noch, einer starb voriges Jahr für den Glauben." „Gib mir", bat Oranien, „deinen altesten Sohn! Ich will ihn nach Deutschland nehmen und einen Patrioten aus ihm machen. Ich habe den Jungen gern." „Ich kann nicht, Herr. Ich habe einen andern Glauben." „Bin ich kein Christ?" fragte Oranien empört. „Bist du kein Niederlander? Es ist gut", fügte er hinzu. „So seid ihr alle. Was man für euch tut, ist euch gewöhnlich wie das Salz im Brot. Im Dulden seid ihr gross. Die Knechte Philipps foltern euch, und ihr singt Psalmen. Aber wenn einer da ist, und er liebt eure Freiheit und euren Wohlstand, und will euer Gut und Blut schützen und er fordert euer Geld oder euren Sohn, um zu kampfen für die gute Sache, so sagt ihr einer wie der andere: .Nicht ich, Herr, mein Nachbar, Herr, ich kann nicht, Herr!' und habt alle einen anderen Glauben." Der Bauer legte seinen Kopf in die Hand und starrte finster in die Ecke. „He!" sagte Oranien. „Absolon!" „Ihr hattet nicht lutherisch werden sollen!" sagte der Bauer. „Schweig!" bat Oranien. „Und war nicht mein Vater Lutheraner ? Ihr seid alle wie einer. Ihr liebt nicht die Menschen. Ihr habt kein Gefühl. Ihr habt nur Vorurteile, nur Interessen, nur Nachgefühle, nur Nebenempfindungen, nur Beigedanken. Seht ihr euren Bruder, so ist euer erster Gedanke, wie teuer verkaufe ich ihn ? Und bei eures Bruders Weib denkt ihr nur, wie sie zu Fall zu bringen. Und bei eures Bruders Töchtern und Söhnen, wie ihr sie schmackhaft röstet und siedet — im Dienste Gottes, das versteht sich von selbst in solchen Zeitlauften." Oranien schwieg. Der Bauer fragte: „Herr, bist du ohne Schuld, dass du uns so heftig schiltst ? Da gehst du also und wir bleiben. Es ist doch wahr, dass der Alba mit zehntausend spanischen Veteranen heranzieht? Und bei uns in Villebroeck glaubt keiner, dass der König von Spanien hernachkommt. Und wir sind hilflos. Viele verlassen Herd und Acker. Die Soldaten der Regentin ziehn umher und frohlocken. Sie jagen die Flüchtigen in die Flüsse, ersaufen König Philipp der Zweite 21 sie wie Hunde, schlagen sie auf dem Felde wie Ratten tot, hangen uns, brennen uns. Die vom neuen Glauben wandern in grossen Schwarmen aus wie Kraniche und Störche oder sie verkriechen sich wie Füchse und Dachse in Erdhöhlen. Aus allen Stadten verbannt man die Religion, unsere Prediger hangt man, unsere Weiber streicht man mit Ruten, unsere Acker verteilen sie an die Verrater, heimische oder landfremde. Kaum ist ein Dorf so klein und liefert dem Henker doch viele Opfer. Aus den Balken unserer neugebauten Gotteshauser, die sie umwerfen, machen sie Galgen. Das sind ihre Spasse. Manche von uns laufen aus Angst in die katholischen Kirchen, zweimal im Tag, zur Messe, und laden zu jedem Mahl den Papisten ins Haus. Ja manche verdammen jetzt laut unsere Brauche, an denen sie gestern ihr Teil hatten. Und warum zittern sie alle so? Weil sie fühlen, dass man sie allein liess. Wo sind unsere grossen Herren ? Wo die lauten Konföderierten, die lustigen Geusen ? Der Bakkerzeel, der Sekretar vom Egmont, zieht umher und hangt uns als Ketzer. Der Hammes ward Artillerist für den Kaiser und nahm dreihundert Gulden Reisespesen von der Regentin. So sind sie alle! Und sollen alle braven Niederlander das Land verlassen? Da bleiben wir also fein stille, und du reitest fröhlich davon." „Fröhlich?" fragte Oranien und lachelte bitter und schalt sich einen Narren, dass er mit dem Bauern rede, mit dem steifnackigen Calvinisten, aber der Stachel sass ihm im Fleisch, die bösen Worte des Bauern juckten ihn; wenn man den Absolon hörte, hatte er nicht recht? Und soll der Flüchtige sich nicht einmal verteidigen? Ich werde meine Apologie schreiben, beschloss Oranien. Bald. Und er sagte: „Höre mich an, Absolon. Ich spreche zu dir, weil du mein Freund bist. Es ist wahr. Ich habe mich verrechnet. Zu Beginn des Jahres 66 stand die Regentin verzweifelt da, am Ende triumphierte sie. Die neue Religion war gross geworden, da brach der Bildersturm herein und vernichtete alle Hoffnung. Die Freunde der Regentin hoben ihre Köpfe so hoch wie Kamele und gaben Festschmause, sie leerten die Humpen beim Schmettern der Trompeten und bei den süssen Klangen der Floten und Zymbeln, indes die vaterlandischen Truppen und lutherischen Landsknechte der Regentin unsere Kinder nackt auszogen und über die eisigen winterlichen Acker jagten und unsere Weiber und Töchter bei Trommelwirbel öffentlich verauktionierten und sieche Bauern lebendig verbrannten, alles zum Spass. Und Margareta Parma, die eben die neuen Prediger zugelassen, staupte sie und forderte alle Beamten vom Statthalter bis zum letzten Korporal auf, einen neuen Eid zu leisten, als waren Treueide wie Salatköpfe und welkten. Jedermann sollte die Befehle der Spanier gegen jedermann ohne Ausnahme vollziehen. Viele Herren schworen, und Egmont schwor. Ich habe nicht geschworen. Ich legte meine Amter nieder, ich entsagte feierlich des Königs Dienst, dessen Politik ich verdamme. Ich veröffentlichte eine Flugschrift und forderte vom König Gedankenfreiheit. In einem Land, wo keine Duldung da ist, kann ein Mann nicht leben. Ich bin vierunddreissig Jahre alt, in den besten Jahren, um für die Gedankenfreiheit zu emigrieren. Zuvor wollte ich für sie fechten. Mit Egmont, dem alle Niederlander nachlaufen, dem Sieger von Gravelingen und St. Quentin, und mit Horn, dem Admiral, wollte Oranien die Freiheit retten! Gut, dachte ich, so wagen wir es und stellen uns dem Alba entgegen und fechten für unsere Rechte. Also schreibe ich an Horn und Egmont und die beiden Mansfeld, Vater und Sohn, und lade sie zu einer geheimen Zusammenkunft nach Dendermonde. Mein Bruder Ludwig und ich empfingen sie um elf Uhr vormittags, eine Stunde lang sprachen wir, dann assen wir zu Mittag, die Speisen waren nahrhaft, wir tranken roten Wein und gingen auseinander. Es war umsonst. Ich habe gesagt: Der König rüstet gegen uns wie gegen sieben Könige. Ich, sagte ich, will nicht hier bleiben als Zeuge der blutigsten Schlage, die ein Volk empfangt. Ich will nicht f allen als ein hilfloses Opfer einer abscheulichen Rache. Wenn ich auf Horn und Egmont bauen könnte, sagte ich, sei ich bereit, den Widerstand gegen Alba zu organisieren. Manner wie wir, sagte ich, dürften kein Gras unter ihren Füssen wachsen lassen. Jetzt ist der Augenblick zum Handeln da. Zwischen der Bigotterie des Königs und der Religionswut des Volks ist mein Platz, sagte ich, der Platz der Gewissensfreiheit und der Duldung, wo ich mit der Waffe in der Hand die Ordnung und die Freiheit verteidigen werde. Sosprachich. Horst du, Bauer?" „Gut", sagte der Bauer Absolon, der still und finsterblickend zugehört hatte, „gut, und was sagte Egmont?" „Was sagte Egmont?" wiederholte spöttisch Oranien. „Höre weiter! Der Hom las einen Brief seines Bruders Montigny vor, der aus Madrid schrieb, der König Philipp habe wegen der Bilderstürmer sich den Bart gerauft." „Er raufte sich den Bart?" fragte der Bauer Absolon. „Den Bart", antwortete Oranien. Sie schwiegen. „Je nun", sagte endlich Absolon. „So sprach ich auch", erklarte Oranien lachend. „Ich hatte da einen Brief abgefangen, den der spanische Gesandte zu Paris, der Alava, unserer Regentin schickte. Nichts, was mich erstaunte! Dass der König den Egmont, den Hom und mich wie drei Teufel hasst; dass er uns nützen, dann schlachten will; dass die Regentin gegen uns gehetzt; dass Philipp entschlossen sei, unsere Gesandten Bergen und Montigny nicht mehr lebend aus Spanien zu entlassen. Das alles wusste ich lang. Doch da stand es hübsch aufgeschrieben, schwarz auf weiss, verstehst du; so, dachte ich, macht es doch Effekt. Ich las den Brief und sah sie an, den Hom, den Egmont..." „Und was sagte Egmont?" fragte der Bauer Absolon begierig. „Der Egmont ? Da ich den Brief vorgelesen hatte, lachte der junge Mansfeld laut auf. Sein Vater, dem nichts am Sohn gefallt, obwohl er ihn mit Affenliebe hegt, fragte ihn unwirsch: ,Was soll es, Karl?' Der Bursche sagt, vor Lachen prustend, dieser Brief trafe so ins Schwarze, dass er unwillkürlich denken musste, den Brief hatten nur zwei schreiben können. Zwei?, fragt der alte Mansfeldböse. Nun, sagt Karl und quietscht schon vor Lachen, entweder Alava oder — Oranien!" „Jetzt sprach also der Egmont?" fragte der Bauer Absolon. „Nein, mein Bruder Ludwig schlug vor, Trappen in Deutschland anzuwerben, die Deutschen, sagte er, kampfen für alles gern und besonders für fremde Freiheit. Da endlich sprach der Egmont, er sagte, man tate unserm guten König Philipp bitter unrecht, so schlimm von ihm zu denken, der niemals ungerecht gewesen. Wenn aber dieser oder jener Furcht um sein Leben habe, tue er besser, das Land zu verlassen. Der Brief Alavas sei unbetrachtlich." „Und?" fragte der Bauer Absolon. „Und weiter?" „Und so gingen wir auseinander." „Und?" fragte Absolon. „Und weiter?" „Seit damals weiss ich: Ich stehe allein. Egmont zog gegen die Stadt Valenciennes, wo ihr Calvinisten regiertet, und stieg unter Lebensgefahr in den Festungsgraben, um seine Bravheit dem König von Spanien zu beweisen. Er hat begonnen, die Ketzer mit solcher Wut zu verfolgen, als wollte er im Blut seiner Landsleute sich reinwaschen; je mehr er peinigt, desto reiner wird sein Gewissen. Euer Egmont ist ein mordender Vogel Strauss. „Und der Hom?" fragte Absolon und bedeckte sein Gesicht mit den grossen, roten Handen. „Der Hora hüllte sich in seine Tugend. Er sagte, er habe nichts zu fürchten, er sei kein Hochverrater. Der Hof sei nicht sein Feld, der Philipp habe ihn getauscht, ruiniert verleumdet. Er habe zu Madrid allen Forderungen entsagt und alle Stellen aufgegeben, um für den Rest seiner Tage Einsiedler zu werden, so gut wie einst der Kaiser Karl. Habe er wenig, lebe er von wenig. Das habe er dem Philipp geschrieben. Zu Weerth lebe und sterbe er, ein Bauer unter seinen Bauern." „Ein rechtschaffener Mann", erklarte Absolon, „und bleibt im Land!" Oranien schwieg. Niemand begreift mich, dachte er. „Und Ihr, Herr, wie werdet ihr Euch zum Philipp verhalten?" fragte der Bauer. „Still, ausser er geht gegen meine Ehre und gegen mein Gut vor." „Und worin seid Ihr besser, Herr? Was tatet Ihr noch? Schriet Ihr nicht zu Antwerpen: Lang lebe der König!" „Zum letzten Mal", erklarte Oranien, „und um Antwerpen zu retten! Als Marnix von Thoulouse, der junge Gelehrte, mit dreitausend Soldaten vor Antwerpen lagerte, um Valenciennes zu Hilfe zu kommen, liess ich die Tore schliessen, damit die Antwerpener Katholiken ihn nicht schlugen; als eine Armee der Regentin seine Schar zusammengehauen hatte und die Antwerpener auf ihren Mauern standen, und vierzigtausend Reformierte schauderten, und ebensoviele Katholiken jauchzten über den Untergang ihrer dreitausend Brüder, und als danach die feindlichen Brüder von Antwerpen sich zusammenrotteten in drei Heeren, Katholiken gegen Lutheraner, Lutheraner gegen Calvinisten, und alle einander mit Pulver in die Luft sprengen wollten, da ging ich allein unter die Rasenden und sprach zu ihnen, ohne Furcht, mein guter Absolon, und meine Beredsamkeit, mein Mut retteten Antwerpen vor dem Untergang. Damals vor dem Volk, das sich betrogen wahnte (meist betrügt man das Volk), damals rief ich: Es lebe der König! Und ungern vernahm ich als donnerndes Echo: Vive le roi! Was soll ich tun, wenn alle blind sind, und nur ich sehe! Wenn alle fühllos handeln, muss der Fühlende trage scheinen. Ihr seid heute eine Schar von Blinden, morgen werdet ihr scharfsichtige Opfer sein. Was für eine kuriose Welt! Da sitzen Grafen und machen viel arme Leute, unterm Schein einer vermeinten Religion, Niederlander gegen Niederlander, Christen gegen Christen, wegen Gott, gegen Gott! Und morgen kommt der Alba und beutelt die Grafen. Da freun sich Niederlander, dass Alba kommt, nach dem Plan Granvellas und dem Rat Espinosas, um die alten Freiheiten zu zertrampeln. Ich schaue nicht still zu. Die Herzogin lud mich nach Brüssel, angeblich damit ich meine Amter behalte. Mich fangen sie nicht. Ich verlasse das Land, ich erklare es laut. Da schickte die Regentin einen Sekretar zu mir, eine trockene Schreibfeder namens Berti. Der plapperte die eingelernten Worte von Pflicht und Dienst, vom Kummer des Königs und dem bösen Beispiel, vom Landeswohl und Heil. Ich fragte ihn: Soll ich durch den zweiten Eid gestehn, dass ich den ersten brach ? Ein unbedingter Eid ist ein Schimpf. Will man mich zwingen, meinen Eid gegen die Provinzen, meinen Eid gegen den Kaiser zu brechen? Soll ich eure abscheulichen Edikte ausführen ? Christen wegen ihrer Meinungen verfolgen? Wogegen meine Seele sich empört? Soll ich die eigene Frau dem Henker ausliefern, weil sie lutherisch ist? Blind allen Befehlen des Königs gehorchen, wenn vielleicht sein Stellvertreter ein Schuft ist ? Kann Oranien von einem Alba Befehle empfangen ? So sprach ich. Zum Abschied bat mich der Berti, einzuwilligen in eine Begegnung mit Egmont, den beiden Mansfeld und Aerschot. Egmont soll mich überreden. Die Herren lassen warten!" „Der Regen", sagte der Bauer, „macht die Strassen schlecht." Oranien blickte unruhig auf. Die Stube hatte sich verdüstert, die Regenwolken hingen tiefer, ein Wind pfiff im Kamin, der Bauer war hinausgegangen, in den Hof oder auf die Strasse. Wo blieben die Herren aus Brüssel? War alles eine Falie? Habe ich Furcht?, fragte sich Oranien und lachelte. Ein Huhn, von einem andern mit hackenden Schnabelhieben verfolgt, hüpfte plötzlich in der höchsten Lebensangst auf den Tisch und starrte von der Seite, mit jenem furchtsam superklugen Ausdruck gewisser alterer Hennen, so durchdringend angstlich und übertrieben schlau, dass Wilhelm, selbstvergessen hinstarrend, für einen Augenblick an alle Ammenmarchen glaubte, an Hexen, die zu Hühnern werden; an Damonen in Tiergestalt; an Teufelinnen, herausgeschlüpft aus Fabel-Eiern; an den ganzen tollen Spuk. Flügelflatterig hüpfte die Henne zum Tisch herab, zur Tür hinaus, und Wilhelm, müde der Zweifel und böser Zeiten gewiss, legte den Arm auf den braunen, hölzernen Tisch, neben den Krug mit kalter Milch, den aufgeschnittenen Laib Brot, den geraucherten Schinken und bettete die müde Stirn in die Hand und entschlief. Er traumte leicht und selig, da fasste ihn einer übermachtig an, er fuhr auf, es war heil in der Stube, er erblickte seinen Freund Egmont, sagte: „Da bist du also", stand auf, umarmte ihn und sah den Sekretarius Berti, schon sass der und hielt die Feder zum Schreiben gezückt, stets trug er Schreibutensilien mit sich, vielleicht war er mit ihnen zur Welt gekommen, auch die beiden Grafen Mansfeld standen da, Oranien begrüsste sie freundlich, Egmont sagte: „Aerschot lasst sich entschuldigen." „Freilich!" erwiderte"Oranien und lachelte höflich, sein Lacheln stammte noch aus der Schule des Kaisers Karl, das Lacheln zeigte gleichsam alle Zahne, es schien der Anfang des heitersten Gelachters, nahe allen Lebenswonnen. Auch Egmont lachelte höflich, er ahmte, wie meistens seit seiner Heimkehr aus Madrid, des Königs Philipp fatales Lacheln nach. Die neuere Schule des Lachelns lehrte, bei ernstem, fast starrem Bliek die geschlossenen Lippen herabzubiegen, was Freundlichkeit zum Ausdruck brachte, Wohlwollen, gemischt mit Strenge und einer Spur von Überheblichkeit, ja fast Verachtung, das ganze Lacheln war eher ein Grinsen, dem Gelachter ferner als Tranen. Die Freunde blickten, so verschieden lachelnd, einander an. Oranien trug einen grauen Reisemantel und einen Reiterhut; nichts ausser seiner persönlichen Würde zeugte noch von seinem verschwendeten Reichtum, von seinen abgelegten Amtern, von seiner angesehenen Geburt. Schon schien nichts mehr den einstigen Liebling des grossen Kaisers auszuweisen. Schon nahm er in Tracht und Gebarde seine Emigration vorweg. Da stand der Landflüchtige, der Fremdling, der Geduldete, der ewig Hilfeheischende, der Ruhelose. Und vor ihm spreizte sich im vollen Glanze, in bunten Farben, in Seide, Samt und Spitzen, in Gold gefasst der Liebling der Menschen und Götter, der strahlende Höfling des Königs Philipp, der Sieger von Gravelingen und St. Quentin, (auch von Valenciennes, wo sie die nackten Kinder über die eisigen Felder dahintrieben, weil die Vater der Kinder an Gott auf ihre Weise glaubten). „Ja", sagte Oranien, „ich gehe nach Deutschland." Egmont begann in schonen Worten die Pflicht zu preisen und die Gnade Philipps. „Ja", sagte Oranien, „ich gehe nach Deutschland", und tat seinen Arm um die Schulter des Freundes und führte ihn fort vom Tisch, wo Berti sass und aufschrieb, Oranien zog den Freund ans Fenster, sie blickten auf den Regen hinaus und sahn die aufgeweichte Strasse, ein paar kahle Baume, den Kirchturm. „Ja", sagte Oranien, „ich lasse alles, ich gehe nach Deutschland." „Es wird dich deine Güter kosten, Oranien!" erwiderte herzlich Egmont. „Und dich dein Leben, Egmont, wofern du bleibst. Du wirst Freunde und Vaterland in ein Verderben mit dir herabziehn. Siehst du nicht deinen Tod, wie er die Gebirge heruntersteigt und durch Burgund, Lothringen, Luxemburg heranmarschiert, zehntausend Mann stark, mit Namen Alba? Erwache! Sei ein Mann! Schenke dich deinem Volk wieder, komm an die Seite deiner Freunde, dein Arm kann noch alles retten, deine Stimme sammelt eine Armee in Flandern. Wo du aber nicht kampten magst, rette dich, Freund; rette dein Leben; fliehe, komm mit mir nach Nassau, ich habe Brüder, Freunde, Hilfe in Deutschland; wir werden wiederkehren. Egmont! Wir sind geachtet, das Urteil ist gefallt und trifft auch dich! Heute gehn wir in die Verbannung, morgen kehren wir zurück, Vorkampfer der Freiheit!" „Nie wirst du mich bereden, Oranien! Nie werde ich die Welt so trübe schaun. Deine Klugheit schwarzt, statt zu erhellen, sie schwarzt dich an. Gib acht, Oranien, so verschwendest du ein reiches Leben und warst am Ende nur klug, nur furchtsam, wo andere wagten und genossen und gross waren. Habe ich erst alle öffentlichen Predigten abgestellt, alle Bilderstürmer gezüchtigt, alle Rebellen zu Boden getreten und den Provinzen ihre vorige Ruhe wiedergeschenkt — was kann der König mir anhaben? Philipp ist klug und gütig, er ist gerecht, ich habe schonen Anspruch auf seine Dankbarkeit. Soll ich vergessen, was ich mir selbst schuldig bin?" „Wohlan!" rief Oranien, „wage es denn auf diese königliche Dankbarkeit. Aber ich ahne, du wirst die Brücke sein, worüber die Spanier in unser Land setzen, und die sie abbrechen werden, wenn sie darüber sind!" „Umarme mich", bat Egmont. „O Wilhelm, wann sehen wir uns wieder?" Da drückte Oranien den Freund so innig an sich, er fühlte ihn so ganz lebendig — und so ganz verloren. Betroffen merkte Egmont Tranen an den Wangen Oraniens. „Mut!" sagte Egmont, und gegen seine Meinung: „Bald kehrst du wieder!" Danach ritten sie fort, Egmont nach Brüssel, Oranien heim nach Deutschland. Es regnete nicht mehr. Die Wolken drückten schwer auf die rauschenden, dunkeln Walder. Bald kam die Nacht. DER HERZOG ALBA Um drei Uhr nachmittags hörte die Tochter des Kaisers einen Larm im Schlosshof, lief zum Fenster und sah den Verhassten. Auf den ersten Bliek erkannte sie die steckensteife Figur, die eifersüchtig gelben Wangen, den zweispitzigen graulichen Bart. Margareta stöhnte vor machtlosem Zorn und sah mit Lust, wie ihre Palastdiener die Leibwachter des Herzogs schlugen, wie Alba seinen Degen zog, wie er den Mund öffnete, um zu schreien. So gern hatte sie zum Fenster hinaus gerufen: Schlagt ihn tot, den spanischen Hund! Da wichen ihre Leibwachter vor dem neuen Herrn zurück. Da trat er ein. Drei lange Tage hatte sie vor ihren Raten bewiesen, warum sie ihn nicht empfangen könnte. Sie klingelte und bat die Rate zu sich, den Aerschot, den Berlaymont, den Grafen Egmont, ihren Sekretar Armenteros. Steif zwischen ihren regungslosen Raten stand sie da, vor ihrem breiten, enthüllten Bett, in der Mitte ihres Schlafzimmers, wo sie ihn empfing wie einen Frisör, und tat keinen Schritt, als Alba mit seinen Generalen und beiden Söhnen so langsam eintrat, so langsam seinen verbeulten, grünen Reiterhut vom Kopfe nahm und vor der unbewegten Frau sich bückte. „Den Hut auf!" befahl mit ihrer barschen Mannsstimme Margareta. „Ich kenne jedes Vorrecht unserer Diener." Zögernd, als müsste er ganz Spanien bedecken, tat Alba den Hut aufs Haupt. Alle sahn nun Europas berühmtesten Feldherrn, Spaniens fürchterlichen Popanz, von nahe. Es war ein magerer, alterer Herr mit feierlichen Mienen und klugen Augen. Nur die sehnigen Hande verrieten den ergrauten Mörder. Margareta musterte ihn ausführlich, ohne Scham und Gnade, noch als er höfisch wohlgesetzte Worte mit einer überraschend sanften, wohllautenden Stimme sprach. Als merkte sie seine rednerischen Mühen nicht, fragte sie dumpfstimmig barsch: „Wo haben Sie die Vollmacht? Wie weit geht sie? Zur Sache, Herzog! Sie haben eine Vollmacht?" Wie verlegen blickte Alba zu Boden. Jeder sah, er wollte nur sein freches Lacheln verbergen. „Gewiss", murmelte er, „die Vollmacht, in der Tat, da war so ein Papier, ich erinnere mich so genau nicht, ich werde Eurer Hoheit, so bald es mir nur passt, die Vollmacht zeigen; ich eilte so, Eurer Hoheit mich vorzustellen; Graf Egmont weiss es, wie rasch wir von Tirlemont bis Brüssel ritten; bis Tirlemont kam Egmont mir entgegen, um mir ein Paar Gaule zu schenken; wir trennten uns am Löwener Tor, wo ich vor mein Quartier zog und ohne abzusteigen, staubig, im schlechten Roller, zum Palast ritt, allzueilig, merke ich! Fehler eines Greises! Was, dachte ich, bedarf es einer Vollmacht zwischen meines Raisers Tochter und dem Alba?" „Zur Sache, Herzog!" rief Margareta, rot vor Zorn, und warf dem Egmont einen Bliek voll Mordlust zu. Der Hund Egmont rat ihr, den Alba nicht vorzulassen, und reitet viele Meilen, um vor seinem argsten Feind als erster zu schweifwedeln. Egmont verstand den Bliek Margaretens recht gut und errötete auch, doch er bereute nichts. Sein Weg war peinlich, aber er führte zur Rettung der Niederlande. Sollte er, kein Verrater, aus Furcht verraten? Hunderttausend flohen vor Alba über Sand und See — was war abgetan ? Da sassen die lauten Rufer von gestern verloren im weiten, breiten Deutschland, der tolle Brederode soff, der kleine Hoogstraaten sprach gross, der ungestüme Nassau fluchte und der stille Wilhelm intrigierte wie je — war das nicht die Holle? Und der beste Niederlander, der grosse Egmont sollte, mit sechsundvierzig Jahren, da sein Haar schon weiss war, davongehn wie ein Pferdedieb bei Nacht und mit elf Kindern und seinem Weib, der Wittelsbacherin, als frommer Katholik bei kleinen, lutherischen deutschen Fürsten das brüchige Brot der Gnade brechen? So war er also, pochend auf sein Verdienst, auf seine Tugend, seinen Namen, im Land geblieben, und schlief in seinem Bett, unterm Kopfkissen zwei geladene Pistolen. So war er also dem neuen Herrn entgegengeritten, bis Tirlemont, warum nicht bis Tirlemont? Und hatte nicht Alba, bei Egmonts Ankunft, zu seinen Generalen gesagt: ,Es kommt ein grosser Ketzer!' und ihn doch umarmt, hatte er ihn nicht gefragt, sozusagen scherzhaft, weshalb Se. grafliche Gnaden ihm alten Mann nicht die Mühen so weiter Reise ersparen wollen, und ihm doch zulacheln müssen? Und durfte Egmont nicht bei solcher Mischung aus privatem Hass und offiziellen Ehren schlagend schliessen, dass König Philipp seinen neuen Generalkapitan den Egmont ehren hiess? Bei schlimmern Absichten ware der Höfling Alba höflicher gewesen! Und hatte Egmont nicht erst dieser Tage ein Handschreiben Philipps erhalten, das vom Honig königlicher Schmeichelreden troff, und wie des Kuckucks Ruf nicht ablasst, so scholl auf jeder Zeile als Liebesecho die Vokabel: „Vetter! Vetter! Vetter!" Hatte Egmont nicht also recht gehandelt, auch wenn er vor Margaretens Bliek erröten musste? Ist die Scham der einzige Spiegel unseres Gewissens? Ist das Gewissen unser einziger Richter? Egmont war seiner Sache sicher. „Zur Sache!" rief Margareta zornig und zitternd. Den Bruder Philipp kannte sie, Demütigungen sah sie voraus. „Zur Sache!" rief sie. „Haben Sie die Vollmacht?" „Welche?" fragte Alba, als hatte er ein Dutzend, und wandte sich an seine Söhne, den zarten, finstern legitimen Friedrich von Toledo, der eine goldene Rüstung trug, und den breiten, fröhlichen Bastard Fernando de Toledo, im Ordensmantel der Johanniter. „Wer hat die Vollmacht?" fragte Alba scheinbar bekümmert seine schweigenden Generale. Schliesslich wandte sich Alba wieder der Herzogin zu, die trotz ihrer fröhlich grünen Jagertracht steif wie eine dorische Saule dastand. „Ja so, die Vollmacht!" sagte Alba, als erinnere er sich erst, griff in sein Koller, holte ein pergamentenes Blatt, schwenkte es, sagte: „Da ist so eine Vollmacht!" und reichte das Blatt dem Armenteros, der tief sich bückend es der Herzogin hinhielt, eine Minute lang, bis sie langsam die Hand hob, das Blatt erfasste und in der Hand wog, geringschatzig lachelnd, als fande sie das Blatt und den es betraf allzuleicht, worauf sie laut zu lesen anfing: „Madrid, den 1. Dezember 1566" (inzwischen war man spat im August des andern Jahres). „Herzog Alba", las sie, „soll unserer teuern Schwester, der Herzogin von Parma, gehorsam zur Seite stehn." Die Herzogin wiederholte, wie unwillkürlich: „Gehorsam zur Seite stehn..." Langsam losch das Lacheln in ihrem Antlitz. Der Bruder Philipp hatte ihr lange ins Jahr 67 hinein geschrieben, er sei vollkommen mit ihr zufrieden, er werde in die Niederlande kommen, er werde den Eboli vorschicken, spater schrieb er, die Cortes hatten ihm vorgeschlagen, den Don Carlos zu entsenden, und die Majestat erwage es pflichtgemass, spater schrieb er, nie werde er den Alba senden, er wisse, wie verhasst Alba in den Provinzen sei, schliesslich schrieb er, wenn Alba vielleicht kommen würde, so nur mit ein paar Regimentern, als Vorhut des Königs, endlich teilte er ihr mit, Alba bringe eine Armee zu ihrer Hilfe, ihrem alten Wunsch gemass, und komme als Generalkapitan der Niederlande, der König habe lange gezögert und den passenden Mann gesucht, er finde keinen bessern. Der gute Bruder Philipp! Margareta las fort und fort: „... und so befehlen wir allen Stadten in unsern Provinzen, nach des Herzogs Alba Weisung Garnisonen aufzunehmen, ihm die Torschlüssel auszuliefern, die Trappen zu verköstigen." Immerhin, dachte Margareta, Alba hat das Schwert, mir bleiben Verwaltung, Justiz, Finanzen immerhin. „Schrieb ich Ihnen nicht nach Italien", begann sie in strengem Ton und klopfte mit der flachen Hand auf die pergamentene Vollmacht, „schrieb ich Ihnen nicht, dass Sie hier schon überflüssig wurden? Und dass Sie an der Spitze Ihrer Armee den neuen Frieden meiner Niederlande nur in neue Unruhen wandeln würden? Wozu soviel Soldaten? Ich dulde nicht, dass Sie nach Gent, Antwerpen, gar nach Brüssel Garnisonen legen und Ihre zügellose Soldateska unsern Handel, unsern Reichtum, Heuschrecken gleich, vertilge!" Alba erklarte lachelnd: „Das entzieht sich den Geschaften Eurer Hoheit. Das ordne ich schon mit den Stadtbehörden, ohne Madame mit solchem Kleinkram zu behelligen. Die Resultate teile ich das nachste Mal Madame mit." „In Brüssel dulde ich keine Garnison!" rief Margareta mit zorndumpfer Stimme. „Ihre Vollmacht unterstellt Sie mir." „Jene, vielleicht?" gab Alba zu. „Hier zum Beispiel habe ich grössere Vollmacht." Er reichte dem Sekretar ein neues Blatt. Margareta las hastig, halblaut: „Segovia, den 31. Januar 1567. Die Niederlande (las sie) stehn im Aufruhr. Gelindere Arznei versagte. Nun müssen die Waffen sprechen. So befehle ich dem Herzog Alba, dem widerspenstigen Volk..." Margareta verstummte. Still las sie für sich fort: „...dem widerspenstigen Volk den Krieg zu machen, erbarmungslos, bis es sich absolut unterwirft. Ferner soll Herzog Alba alle Verdachtigen vor sein Gericht ziehn, mit voller Gewalt, zu strafen oder zu begnadigen." Als Margareta aufblickte, las sie in den Gesichtern Neugier oder Schadenfreude, sie reichte in einem heftigen Impuls das Blatt dem Grafen Egmont hin, der schon die Hand ausstreckte, sie sagte, „das betrifft auch Sie, mein teurer Egmont", da besann sie sich, zog das Blatt zurück und fragte mit falschem Hohn: „Und das ist Ihre ganze Vollmacht?" Da holte Alba schweigend ein drittes Blatt aus dem Kol- Ier, er übersah die ausgestreckte Hand des Armenteros und reichte das Blatt geradezu der Herzogin, er neigte sich auch nicht mehr, steif nun auch er. „Aranjuez, den ersten Marz 1567", las sie und verstummte. Das Blatt verlieh dem Alba die oberste Kontrolle der Niederlande im Krieg und Frieden. Personen jedes Standes, die Regentin eingeschlossen, hatten dem Herzog Alba wie dem König zu gehorchen. Ein hübscher Bruder, dachte Margareta, so witzig entlasst er mich. Den leeren Titel darf ich noch tragen, eine Weile. Vielleicht hat der Alba ein viertes Blatt, das mir auch den Titel nimmt ? Sie liess das Blatt sinken. Raschelnd fiel es auf den Teppich. Armenteros kniete, hob das Blatt und reichte es der Herzogin. Sie empfing es und liess es fallen, als hielte ihre Hand, die neun Jahre die Herrschaft der Pro vinzen festgehalten, nun nichts mehr. Armenteros wagte nicht, ein zweites Mal sich zu bücken. Da spiesste Alba mit seinem Degen das Blatt auf und reichte es auf des Degens Spitze dem Armenteros,dem vertrauten .Barbier' der Herzogin, und sagte dem tief sich Neigenden: „Stecke das Blatt zu dir, Bursche!" „Und", fragte Margareta (ihre Backen flammten wie vom Schein der Jagdfeuer) „und ist das alles, Alba?" „Für heute", antwortete Alba ungerührt, „für heute, Madame." „Vielleicht sind Sie müde?" fragte die Herzogin und deutete wie von ungefahr zur Tür. „Sie hatten eine weite Reise?" Der Herzog Alba lachte schallend, steilte das linke Bein vor und rief aufgeraumt: „Das war die lustigste Reise meines Lebens. Der König von Frankreich schickte ein ganzes Armeekorps, das an seinen Grenzen jeden Schritt mir nachtat, um mich vor den bösen Hugenotten zu wahren. Auf der andern Seite wachten sechstausend Schweizer, dass die Calvinistenstadt Genf mich nicht überfalle. So zittern fremde Völker um mein Heil. Wie Hannibal zog ich über den Mont Cenis. Wie eine Riesenschlange zogen Mann nach Mann meine zehntausend Veteranen durch weglose Walder, über drohend enge Gebirgspasse; fünfzig entschlossene Feinde hatten uns wehtun können. Alba hat keine Feinde, oder sie sind nicht entschlossen. In zwölf Tagesmarschen durchzogen wir Burgund, in selber Frist Lothringen, nur einmal stahl ein Soldat einen Hammei, er schlachtete den Hammel, ich den Soldaten. Mannszucht, Madame! Herr von Brantóme, ein Kenner, wie wenige zu Paris, ritt eigens nach Burgund, um uns zu sehn. ,Für Prinzen', sagte er mir, .könnte man Ihre Musketiere halten, so fein, so graziös, so arrogant ist jeder.' Da führt jeder seinen Sklaven mit, der ihm auf dem Marsch die Muskete tragt. Hier stehn die Obersten: Don Sancho de Lodrono, Don Gonzalo de Bracamonte, Don Julian Romero, vor sieben Jahren kommandierte er schon in den Provinzen, und hier Alfonso de Ulloa. Wir alle wollen Eurer Hoheit so gefallig dienen wie einst dem Kaiser." „Und die zweitausend Huren Ihrer Armee", schrie Margareta, „dienten auch schon meinem Vater?" „Die Madchen", erklarte Alba, zog den Hut und neigte sich tief, „die Madchen hielten Mannszucht, sie zogen unter ihren Bannern, vierhundert zu Ross, achthundert zu Fuss, in Bataillonen und Kompanien, nach strenger Etikette, zu Ross die Generalshuren, die Hauptmannshuren und reichen Soldatenhuren auf Mauleseln, zuletzt das gemeine Fuss volk. Herr von Brantóme geriet, trotz seinen weissen Haaren, in Feuer und verglich manche mit Herzoginnen!" „Das ist zuviel!" schrie Margareta und stampfte mit dem Fuss auf. „Befahl mein Bruder solchen Spott ? Niederlander! Seht des Königs Dank! Und ich bin seines Vaters Tochter! Neun Jahre diene ich dem König. Egmont, sieh mich an! Da steht dein künftiger Herr, da stehn seine Helfershelfer. Seht ihre Hande! Bis zum Ellenbogen tauchen sie bald in der Niederlander Blut! Niederlander! Ihr kennt den Alba nicht. Kenntet ihr ihn, flöget ihr Wildenten gleich dahin, wo Sümpfe und Gewasser Schutz vor Jagern bieten. Weint, Niederlander, weint! Ich nahm nicht teil an solcher Jagd! Das war mein ganzer Fehler! Sollte ich unschuldige Menschen jagen? Klagt, klagt um die arme Margareta. Ich danke ab. Noch heute schreibe ich dem König. Arme Niederlande! Undankbarer Bruder! Meine schönsten Jahre! Die Früchte meines Fleisses wirft er dem dazuFüssen!" Sie ging. Ihre Rate folgten ihr langsam, zuletzt der Armenteros, nach rückwarts blickend, ob Alba ihn nicht zurückbehalten wolle, im Abgehen lachelte er nach rückwarts, ungern liess er hinter sich die neue Zeit samt ihrem neuen Herrn. Alba blickte still zu Boden. Da er aufschaute, sah er Margaretas breites Bett. Halblaut brummte der breite Bastard Albas, aufs unverhüllte Bett deutend: „Ging so der hannibalische Zug meines Vaters über den Mont Cenis: Von Bett zu Bett?" Die Generale schmunzelten; so zögernd war der verliebte sechzigjahrige Alba von Madrid aus dem Bett der schonen Dona Maria Manrique aufgebrochen. Alba überhörte den Scherz, er fand ihn nicht sehr fein. Doch liebte er den Bastard mehr als den Legitimen. „Zu den Geschaften!" rief er. „Soll man uns trage heissen?" Er war nicht trage; da zwanzig Tage spater in Albas Palast der Kapitan seiner Leibwache, Don Sancho d'Avila dem Egmont im Vorzimmer das Schwert abforderte, sah Egmont ihn wie von Sinnen an und murmelte verstört: „Freund, willst auch du mich warnen?" Aber als die Türen des Nebenzimmers sich auftaten und eine Abteilung spanischer Musketiere sichtbar wurde, die ihre Musketen auf den Egmont richteten, da fasste sich Egmont, lieferte sein Schwert aus und bemerkte bitter: „Es hat dem König von Spanien mehr als einmal gedient." Dann bat er um Don Fernandos baldigen Besuch. Die Wache führte ihn in ein Zimmer im obern Stock des Hauses, alle Fensterladen waren vermacht, alle Wande schwarz ausgeschlagen, es war gegen sieben Uhr abends. Vierzehn Tage wartete Egmont auf den Besuch des Bastards. Solange durfte er keine Zeile schreiben, keinen Freund sehn, keinen Brief empfangen, tags und nachts brannten Kerzen, spanische Soldaten trugen ihm schweigend Speis und Trank auf, schweigend standen sie Wache. Keiner gab auf seine Fragen Antwort. Um Mitternacht zog jeweils der Kapitan der Leibwache König Philipp der Zweite 22 den Bettvorhang und weckte den Grafen aus dem Schlaf, damit der ablösende Offizier genau sah, dass er keinen andern als den Egmont bewachte. Vierzehn Tage, vierzehn Nachte blieb Egmont in dieser Grabkammer, er lag, schlief, wachte, ass, trank, atmete und starrte blind ins künftige Dunkel. Ungern dachte er zurück. Wie man im Traum dumpf sinnend nach einem vergessenen Namen sucht, so suchte er den Fehler seines Lebens. Manchmal trug Egmont eine Kerze vor den Spiegel und prüfte zweifelnd seine Miene. Sah so der grosse Egmont aus? Da Tag wie Nacht schien, verlor er die Zeit. Eine schon historische Empfindung seines Selbst lieh ihm Starke. „Ich bin der Egmont", sagte er laut zu sich, zu den Wanden, zu den schweigenden Spaniern, „der Egmont... der Egmont...die Silben dehnend und wiederholend, bis ihm der süssvertraute Klang unheimlich fremd ward. Ihn tröstete, die Warnungen zu zahlen. Wer hatte ihn nicht gewarnt? So viele Freunde hatte er also? Alles warnte ihn. Er war nicht zu warnen. Oranien hatte also recht? Und der Seigneur de Billy, der Portugiese, der am Tage vor Albas Ankunft in Egmonts Haus kam und in der Türe noch erklarte: „Vögel im Freien singen lustiger als Vögel im Kafig. Reisen Sie morgen!" Und der spanische General Julian Romero, der abends im schwarzen Mantel zu Egmont schlich und feierlich dringlich ihn bat, bevor der Morgen graute, ausser Lands zu gehn? Egmont hatte gelacht, und stets gelacht. Woher kam ihm in jenen letzten Wochen solche entsetzliche Heiterkeit? Den andern Tag ging er zum Festmahl Fernandos. Da Egmont dort den Mansfeld fragte: „Und Ihr Sohn?" schaute Mansfeld ihn bedeutend an und murmelte: „Der Junge ist krank, ich schickte ihn zur Kur nach Deutschland." Aber Fernando fasste ihn unter, setzte ihn auf den Ehrenstuhl, trank seine Gesundheit und sah ihm so bedeutend in die Augen, dass Egmont lachelnd zu sich sagte, die Zeit macht viele wunderlich; Fernando sah ihn lacheln, errötete, und flüsterte (da Don Sancho alle ins Haus des Herzogs zur Beratung lud) dem Egmont ins Ohr: „Verlas- sen Sie, Herr Graf, sogleich diesen Ort, nehmen Sie das geschwindeste Ross in Ihrem Stall und entfliehen Sie unverzüglich!" Da endlich hatte Egmont nicht gelacht, er stand vom Tisch auf, ging nachdenkend ins Nebenzimmer und sagte dem Noircarmes, der mit zwei Niederlandern ihm gefolgt war, dass er nun zu fliehen entschlossen sei. Aber Noircarmeserwiderte: „Ha! Graf! Ich warne Sie, so leichthin einem Fremden zu traun! Was wird der Herzog Alba von so übereilter Flucht halten? Das böse Gewissen, heisst es dann, das böse Gewissen trieb Euer Exzellenz fort!" So kehrte Egmont zum Bankett zurück, ging gegen vier Uhr Arm in Arm mit Horn zum Herzog, der gegen sieben Uhr sie entliess, um im Vorzimmer ihn verhaften zu lassen. Nun sass Egmont, wie lange, beim Kerzenschein, sein eigener Totenwachter. Und war gewarnt. Was war geschehn? Ein Übergriff Albas? Was wird geschehn? Sie wagen's nicht! Egmont wagte nicht, auszusprechen, was er fürchtete. Einmal, da die schweigenden Soldaten Speisen auftrugen und er mit Appetit zu essen anfing, trat Fernando ein, der muntere Bastard, der Freund auf den ersten Bliek, mit dem Egmont so fröhlich gewürfelt, getrunken, gelacht hatte. Dem Egmont blieb der Bissen stecken. Die Wache ging, aber Egmont hörte, wie sie von aussen die Türen abschloss. Er schob den Teller fort, wischte die Hande in seine Serviette, hob sein Weinglas, als wollte er es dem Fernando an den Kopf schmeissen, und presste den Kelch, bis er zerbrach und ihm die Finger schnitt. Da bückte sich Fernando und saugte mit den Lippen das Blut auf, so die Hand Egmonts vielmals küssend. Eine fürchterliche Empfindung überfiel den Graf en, als stünde der Henker vor ihm. Sanft entzog er seine Hand, stand auf, fühlte einen jahen Schwindel, setzte sich und sprach den Bastard an. „Fernando! Ich bin gefangen. Siehst du das? Und bedachte Alba? Sieh meine grauen Haare. Und wird König Philipp den Alba nicht schelten?" Fernando hatte sich in einen Sessel geworfen, wie in ausserster Verzweiflung. „Ach, Egmont...", stammelte er. Der Graf beugte sich vor und sah mit Unwillen Tranen auf des Bastards Wangen. „Sie traumen, Egmont. Philipp hat vor Jahren das Todesurteil gegen Sie unterschrieben." „Ohne Prozess?" schrie Egmont. Fernando nickte. „Hund!" schrie Egmont. „O ewige Gerechtigkeit! Ist das der Nachhall des munteren Gelachters, um dessentwillen ich dich liebte PAushorcher, steilst du mich auf die Probe? Hoffst auf Gestandnisse, durch Angst erpresst? Nie liebte ich einen so rasch wie dich, Bube. Ich sagte mir, das ist eine andere Sorte Spanier, nicht jene finstern, hagern Baumler, wie frisch abgeschnitten vom Galgen. Fast ein Niederlander, dachte ich. Kann einer so breit, so fröhlich sein, so ungeheuer lachen, so offen schaun und doch ein Spitzel sein? Gefallen Verrater auf den ersten Bliek? Du, des Spasses Sohn, du mimtest zwanzig Tage Freundschaft, und alles war abgekartet, gemeine spanische List?" „Besinnen Sie sich, Graf!" „Auf Fernandos Freundschaftsschwüre?" „Warnte ich Sie nicht?" „Warnung über Warnung! Ich war nicht zu warnen! Wen fingt ihr noch?" „Den Horn!" „Horn! O meine Schuld, meine strafwürdige Schuld I Horn! Horn gefangen!" „Als er hörte, dass man Sie festgenommen hatte, erklarte er seufzend, er habe kein Recht, besser zu fahren. Zur gleichen Stunde hatte man den Bürgermeister von Antwerpen festgenommen, den van Stralen, Oraniens Freund. Auch Ihren Sekretar halt man gefangen, den Bakkerzeel." „Auch in so possenhafter Haft?" fragte Egmont. „Unwürdige Folterkünste Albas!" „Der König hat es ausgedacht", antwortete Fernando, „nicht mein Vater. Der König fallte das Urteil. Und nun sucht man in Ihren Papieren nach den Beweisen Ihrer Schuld!" „Meine Papiere!" rief Egmont und verstummte. „Sie werden nichts finden", sagte er endlich, „ich bin kein Rebell." „Philipp sagt, dass Sie ein Ketzer sind." „So lügt er! Und meine Niederlander werden aufstehn gegen solchen Lug." „Totenstille das Land!" „Ich lebe noch!" schrie Egmont drohend. „Heute abend", antwortete Fernando, „führt Sie ein Regiment spanischer Infanterie, an der Spitze zwei Kompanien berittener Büchsenschützen, in einer von Maultieren gezognen Sanfte in die Festung Gent. Drei Kompanien leichter Reiter folgen." Egmont ging wie von Sinnen im Zimmer umher. Er sprach laut zu sich: „O ware ich unsterblich! Und hielte mich der blasse Tyrann Jahrtausende, ich wollte lachen! Böse Menschen! Bringen einander in Haufen um, wie Mükken am Sommerabend hinfallen, und wissen, dass sie sterbblich sind. Fernando! Hilf mir heraus! Ich bin gewarnt. Ich will fliehn." „Zu spat. Mein Vater kennt mein Gefühl für Egmont. Ich versuchte alles. Ich bat, ich drohte, ich schwor Rache. Ich riet ihm, durch Grossmut die Herzen der Niederlander zu bestechen." „Und, Fernando?" „Er lachte mich aus. Das Zeitalter sei fortgeschritten, meinte er. Der letzte Ritter war der Kaiser Karl. Philipp sei nur ein mittelmassiger Mensch, nur ein Rasender; sein Wahnsinn zeige nicht einmal den Schein der Grosse, nicht einmal die schonen Spuren der Vernunft, die im Wahnsinn grosser Manner auftauchten. Philipp sei humorlos. Ich sagte meinem Vater: Also machst du einen Schuft aus mir. Schenke mir das Leben Egmonts oder du vergiftest meines." „So sprachst du, Fernando?" „Und Alba lachte. Ich sei ein Dilettant. Ein Bastard der Vernunft! Der Kaiser Karl hatte zuweilen der Laune der Erhabenheit nachgegeben. Aber Philipp? Dieser König Philipp? Diese Pfennigsseele, dieser Negersklavenhandler, diese leuchtende Mediokritat, der halt Grossmut für Ketzerei, und Vernunft heisst er Rebellion. Auch er habe seine Grosse, vielmehr seinen Durst nach Grosse: Er sei ein Lebensspieler. Er spiele mit Menschenleben, mit den Schicksalen der Völker, mit grossen Gedanken anderer, mit eigenen bösen Lüsten. Dem sei kein Opfer zu entreissen. Und werde er hundert Jahre alt, der vergesse keine Beleidigung. Das sei kein Christ, der vergebe niemals. Mein Vat er sagte: ,Töte ich nicht den Egmont, tötet Philipp mich!' Mein Vater meinte noch, die Könige hatten ein angesehenes Geschaft, er ziehe vor, Könige zu regieren!" „Tut er das?" fragte Egmont und trug eine Kerze vor den Spiegel und betrachtete sich ernsthaft und vergass den Fernando und fragte sein Spiegelbild, den andern Egmont in der Tiefe, den grossen, berühmten Egmont, der ihm fast schon aus entschwundenen Zeiten entgegenschaute: „He! Herr Graf! Gibt es Menschen auf Erden mir gleich? Und gleicht der Egmont, der ich vor sieben Wochen war, dem Egmont von heut?" Ein Narr, dachte Fernando erschüttert. Er starrte auf den Grafen und des Grafen Bild im Spiegel, die beide nun zu feixen begannen, zwei Grimassenschneider, und welcher war der echte? Fernando erinnerte sich, wie sein Vater ihm einen Brief Egmonts gezeigt hatte, worin Egmont sich über Alba lustig machte. Alba hatte höhnisch ausgerufen: „Armseliger Egmont! Mit dem Glück verliert so einer alles. Das entwertet den Soldatenstand so sehr, dass ein Hohlkopf Ruhm gewinnen kann, wie unsereiner, und er hat nicht Verstand, und nicht Talent, und nicht Charakter, und keine Spur von Grosse. Dass Mühen, Studium, Verstand, Ingenium zuletzt nicht höher gelten sollen als ein paar Glücksstreiche, ja dass ein Schuft mit Glück so oft dem tugendhaften Talent herablassend auf die Schultern klopfen darf; Fernando, das verdriesst mich." Da bleekte Egmont vor dem Spiegel die Zahne. War er also ein Narr, wie Alba wollte? Nein, sagte Fernando zu sich, er ist nur unglücklich. Er machte zwei Schritte zu Egmont, um ihn zu umarmen, zu trosten, nach Wünschen zu fragen, da sah ihn Egmont im Spiegel, und ohne sich umzudrehn, hob er den Zeigefinger und schrie: „Hinaus! Keine Silbe mehr, Spanier!" Erst ein Jahr spater sah Don Fernando den guten Egmont wieder. Da stand der vielgeliebte Graf auf dem Schafott, auf dem zwei Stangen mit eisernen Spitzen bereitstanden, die abgeschlagenen Köpfe Egmonts und Horns zu tragen. Dreitausend spanische Soldaten umstanden das Gerüst; zweiundzwanzigmal flatterten Kastiliens Insignien auf dem grossen Platz zu Brüssel, wo sonst Markt war mit Blumen, Früchten, duftenden Würzkrautern, schonen Artischocken und tauig schimmernden Salatköpfen. Fernando stand neben seinem Vater, dem Herzog Alba, an einem Fenster des Brothauses. Alba sass auf einem vergoldeten Thronsessel, finster schweigend. Seit einem Jahre war er Regent der Niederlande. Er hatte die Inquisition in aller blutigen Strenge erneuert. Der Grossinquisitor hatte das Todesurteil über die ganze niederlandische Nation ausgesprochen. Der König hatte dieses Urteil bestatigt, der Nachwelt zum Beispiel und dem König zum Ruhm. Keiner war unschuldig vor Alba, keiner; und aller Geld war sein, aller Güter fielen an den König, aller Leben an den Henker — wenn Alba befahl. Alba liess Blutströme durchs Land, Goldströme ausser Landes nach Spanien fliessen, ellentief. Um dem blutigen Geschaft, das immer weiter prosperierte, nachzukommen, setzte er ein Sondergericht ein, den Rat der Unruhen, den das Volk bald den Blutrat nannte! Prasident war der Herzog. Der Beste noch unter den Blutrichtern war der Rat Hessels, der an heissen Nachmittagen sein Mittagsschlafchen auf der Richterbank sitzend abtat, und wenn die Reihe an ihn kam, sein Urteil abzugeben, aus dem Schlaf gestossen, die Lider sich rieb und nachdrücklich unabanderlich ausrief: „Ad Patibulum! Zum Galgen! Zum Galgen!" Es ging um den rechten Glauben und um das bare Geld. Die Spanier köpften die Niederlander, vierteilten sie, hingen sie auf, verbrannten sie. Alba erklarte, Juristen pflegten die Angeklagten nur nach be- wiesenem Verbrechen abzuurteilen, wahrend Staatssachen nach ganz anderen Regeln zu behandeln seien. Ein Gewisser ward hingerichtet vor seinem Prozess. Man sah die Akten durch und entdeckte seine Unschuld. ,Tut nichts', sagte Blutrichter Vargas scherzhaft. ,Ist er hüben unschuldig gestorben, wird es ihm bei seinem Prozess drüben, in der bessern Welt, zugutekommen.' So ward das Land ein Schlachthaus. Alba hiess der Metzger. Die Totenglocken tönten taglich. Schafotte, Galgen, Scheiterhaufen reichten nicht aus. Türpfosten, Feldzaune, Pfahle, Saulen trugen zerstückte Teile exekutierter Menschen. Viglius sagte zu Alba: ,Alle Welt bewundert Ihre kluge Milde.' Als eineDeputation der Antwerpener den Herzog um Gnade für ihren Bürgermeister van Stralen bat, schrie Alba: ,Wagt dieses Mistbeet der Rebellion, wagt Antwerpen für Hochverrater zu bitten? Gebt acht, dass ich nicht alle Antwerpener zum Exempel für die Niederlande hangen lasse.' Der Blutrat rüstete den Prozess gegen Horn und Egmont. Am vierten Juni fallte Alba das Urteil. Beide Grafen sollten öffentlich hingerichtet, ihre Köpfe auf Spiesse gesteckt, ihre Güter dem königlichen Fiskus zugesprochen werden. Lang zuvor und in Madrid war das Urteil dieses possenhaften Prozesses gesprochen worden. Philipp vollstreckte Gottes Zorn an Ketzern, Alba an Feinden Albas. An der Eile, mit der Alba den Egmont und den Horn hinrichten liess, war Oranien schuld. Er trat vor die Schranken des Jahrhunderts als Racher des Unrechts. Alles schien gegen ihn verschworen. Oranien sprach: .Beginnen auch ohne Hoffnung! Beharren auch ohne Glück! Der Mensch ist nicht geboren, Menschen zu dienen.' Oranien sammelte Geld und Truppen. In England hatte er Aussichten, in Holland Kontribuenten, in Frankreich Freunde, unter den deutschen Fürsten Bundesgenossen, am Kaiser einen Gönner, an allen Verbannten Verbündete. Da er gegen den Tyrannen seine Stimme erhob, jubelten zehntausend in allen Landern. Oranien sandte Hauptleute aus, um Soldaten zu werben. Oranien gab sein Geld, verkaufte Juwelen, Silbergeschirr und sonstigen Hausrat. Er wagte alles dran. Sein Bruder Nassau erschlug beim Kloster Heiliger Lee sechzehnhundert spanische Veteranen, samt dem Grafen Aremberg. Das war der erste Sieg der Freiheit. Da Alba davon hörte, griff er, nach Philipps Weise, an seinen Bart und sagte, nach seiner Gewohnheit: „Es ist nichts! Es ist nichts!" und beschloss, selber gegen die Rebellen zu marschieren, um sie aufs Haupt zu schlagen. Er fürchtete eine Revolution in Briissel und die gewaltsame Befreiung Egmonts, er handelte Schlag auf Schlag, aus Grundsatz grausam. Am 28. Mai verbannte er durch Edikt Oranien, Nassau, Hoogstraaten, Kulemburg und andere bei Todesstrafe und konfiszierte ihre Güter. Den Kulemburgschen Palast, wo die Revolution begonnen hatte, liess er den gleichen Tag niederreissen und an seiner Stelle einen Schandpfahl errichten. Am ersten Juni liess er achtzehn Adlige enthaupten, am zweiten Juni noch vier Adlige und den Bakkerzeel, am dritten Juni eskortierten dreitausend spanische Infanteristen die Grafen Egmont und Horn von Gent nach Brüssel, ins Brothaus am Grossen Platz, in zwei Wachtstuben. Am vierten Juni, nachdem Alba das Urteil unterschrieben hatte, liess er aus Ypern den Bischof Martin Rithov kommen, zeigte ihm das Urteil und befahl ihm, dem Egmont die letzte Beichte abzunehmen. Auf Knieen, unter Tranen, bat der Bischof um Erbarmen, um Aufschub. Alba fragte kalt: „Rief ich Sie um Rat aus Ypern?" Am selben Abend hörte die Grafin Egmont im Zimmer der Grafin Aremberg, der sie zum Tod des Grafen Aremberg kondolieren gekommen war, vom Befehl zur Hinrichtung ihres Mannes. Die Röcke raffend rannte sie im Regen durch dammerige Gassen zu Albas Haus, drang in seine Stube, fiel vor des Herzogs Füsse, und vergoss, seine Kniee umfassend, bittere Tranen, so laut klagte die Schwester des Kurfürsten von der Pfalz, so erbarmlich schrie die Enkelin von Kaisern, so mitleidheischend schluchzte die arme Mutter von elf Kindern. Alba hob sie auf, geleitete sie höflich zur Tür und murmelte zwischen den Zahnen: „Der Graf wird morgen frei sein." — „Der Kaiser", stammelte die Grafin, „der Kaiser schrieb mir, fürs Leben Egmonts, fürs Leben bürge mir Se. Majestat!" — „Nun wohl!" sagte Alba. „Nun gut!" Eine Stunde vor Mitternacht weckte der Bischof von Ypern den Grafen Egmont und zeigte ihm das Todesurteil, sprachlos. Egmont las, er las und sagte ruhig: „So weit treibt es der Alba? Nun also, Herr Bischof, nun zu Ihrem besondern Auftrag!" Da der Bischof aufblickte, verwirrt von des Delinquenten Kalte, fragte Egmont, dem die grauen Haare struppig über die Augen hingen: „Ja, bringen Sie mir nicht die Begnadigung?" „Nein", sagte der Bischof. „Keine Gnade?" fragte Egmont. Der Bischof berichtete sein Gesprach mit dem Herzog Alba. Egmont schüttelte den Kopf. Er sagte schliesslich mit einem sonderbaren Lacheln: „Der Alba geht weit. Da ich denn aber sterben muss, danke ich dem Herzog für einen so hohen Beichtvater." Plötzlich sprang Egmont auf und schrie: „Das Urteil ist ungerecht! Meine Kinder sollen hungern, mein Weib betteln? Das ist ungerecht! Was soll ich tun, Herr Bischof?" „Denken Sie an Gott!" Da kniete Egmont vor dem Bischof, beichtete, empfing nach der Messe das Sakrament, und dankte nochmals dem Bischof. Plötzlich riss er seine grauen Haare und weinte. „Meine unschuldigen Kinder, mein Weib!" stammelte er. Der Bischof deutete nach oben. „Wie schwach sind Menschen, dass sie in der Stunde, da sie an Gott denken sollen, an Weib und Kinder denken müssen", rief Egmont heftig schluchzend, und er weinte laut. Endlich setzte er sich nieder, klingelte um Tinte und Feder und schrieb Briefe an seine Frau, an seine Kinder, an den König Philipp. Zwischen zehn und elf Uhr morgens kam der General Julian Romero mit dem spanischen Hauptmann Salinas und einer Kompanie. Sie brachten Strange, um dem Grafen die Hande zu binden. Er verbat sich die Stricke. Er erklarte, er sei fertig, zu sterben. Schon hatte er vom Wams und Hemd den Kragen abgeschnitten. Zwischen Romero und dem Bischof trat Egmont in einem rotdamastenen Nachtrock und einem schwarzen spanischen Mantel mit goldenen Tressen die paar Schritte zum schwarzverhangten Schafott, auf dem zwei Samtkissen sich befanden, zwei eiserne Spitzpfahle und ein Tischchen mit einem silbernen Kruzifix. Der Generalprofoss Spelle mit seinem roten Stab in der Hand sass zu Pferde am Fusse des Gerüsts. Der Henker war unter dem Vorhang des Gerüsts versteekt. Egmont las laut auf seinem letzten Weg den 61. Psalm: Höre mein Geschrei, Herr... Du gibst dem König langes Leben, dass er immer sitzet.. Auf dem Gerüst, wohin ihm der General, der Hauptmann und der Bischof gefolgt waren, ging Egmont unruhig hin und her. So schmal war der letzte Schritt zum Tod. Er fragte den Romero: „Sollte ich nicht besser mit dem Schwert in der Hand fallen als durchsSchwert des Henkers ?" Die schwarzen und weissen Federn auf dem schwarzseidenen Hute Egmonts wippten so munter bei jedem seiner Worte. Er fragte den Bischof: „Erwartet man, dass ich zum Volk rede?" Der Bischof sah ihn seltsam an. Egmont entsetzte sich vor diesem Bliek, er schien ihm tödlich. Egmont ging bis zum Rand des Schafotts. Durch einen Spalt sah er unter sich den Henker, in dem roten Rock, im schwarzen Mantel und mit den gleichen goldenen Tressen, wie Egmont sie trug. Ich war nicht zu warnen, dachte Egmont. Ich bin mein Henker! So stumm standen hinter den spanischen Soldaten in ihren eisernen Hosen und Rocken, so stumm die Brüsseler samt Weibern und Kindern, so stumm stand der blaue Sommerhimmel über Egmont, kein Pferd wieherte, an allen Fenstern standen stumme Larven. Vergeblich spahte Egmont mit hastig angstlichen Rucken seines Halses. Die Stunde rückte vor. Wo blieb der Gnadenbote? Die Stunde rückte vor. Wie er vergeblich umherblickte, wie der Bischof das letzte Sakrament schon hinreichte, und Egmont wartend hierhin, dorthin spahte, und alles umsonst war, fasste er den Romero am Rock und stammelte: „Kommt denn keiner, Herr General, kommt keine Gnade?" Und als Romero die Schultern zog, zu Boden blickte und schwieg, horten er und der Hauptmann und der Bischof den Egmont mit den Zahnen knirschen, und sie zitterten. Da erst begriff Egmont. Und er wandte sich zu den Brüsselern und tat einen Schritt naher zu ihnen, den Lebenden, und schrie: „Brüder, helft..da begannen die hundert spanischen Trommler auf ihre grossen Trommeln zu hauen. Alle sahen Egmonts geöffneten Mund und horten die hundert Trommeln wie hundert schreiende Grafen. Endlich bezwang sich Egmont. Er kehrte sich ab. Er zog den Mantel aus, legte den Rock ab, nahm die Insignien des Vlieses vom Nacken, kniete auf eins der Kissen und, indem die hundert Trommler mit einem Schlag verstummten, sprach er mit fester Stimme und laut das Vaterunser. Dann bat er den Bischof, der neben ihm kniete, dreimal das Vaterunser zu wiederholen. So lebte er noch drei Vaterunser lang. So sehr liebte der Egmont sein Leben, dass auch die winzige Frist ihm viel bedeutete. Der Bischof reichte ihm das silberne Kruzifix zum Kusse, Egmont küsste es und wischte sich den Mund. Er hatte das Blut Christi gespürt. Dann stand er noch einmal auf, taumelnd auf seinen beiden guten Beinen, die ihm siebenundvierzig Jahre treu gedient hatten, er warf Hut und Taschentuch hin, zog ein Mützchen über die Augen, faltete die Hande und wartete. Gebückt trat der Henker unter dem schwarz verhangten Gerust hervor, dumpf scholl sein schwerer Schritt auf dem Schafott, schnell schritt er, und lange, so furchtbar lange. Fernando, am Fenster neben seinem Vater, sah von fern ein graues Büschel Haare unterm schwarzen Mützchen des armen Egmont hervorquellen. An dieses armselige Büschel graue Haare heftete Fernando seine starren Blicke. Doch sah er den breit en Glanz des Schwertes sausen. Doch hörte er den dumpfen Larm des Kopfes, der fallend aufschlug. Doch sah er noch den Henker, der gebückt dastand. In diesem Augenblick fürchterlicher Stille wandte sich Fernando zu seinem Vater und hob den Finger, um dem Alba den abgeschnittenen Kopf Egmonts zu zeigen, damit der Herzog seine Tat anschaue. Da sah Fernando, ergrausend vor der Hölle im Menschenherzen, auf Albas hagern, vergilbten Wangen Tranen rollen, echte, mitleidsvolle Tranen, und Fernandos Finger irrte ab, sichtbar allem Volke stand er im hellen, blauen Schein des schönsten Sommertages, und sein ausgestreckter Finger zeigte der Welt eines Mörders Trane. Genter Vaterunser Höllischer Teufel, der du in Brüssel bist, Dein Name vermaledeiet ist, Dein Reich vergeh in Ewigkeit, Gewahrt hat es zu lange Zeit. Dein Wille soll dir niemals werden, Weder im Himmel noch auf Erden; Du nimmst uns heute das tagliche Brot, Weib und Kinder leiden grosse Not; Niemand vergibst du seine Schuld; Hass und Neid wohnt in dir statt Geduld; In Versuchung führst du jedermann, Niemand vor dir bestehen kann. O himmlischer Vater in deinem Reich, Erlös uns von dem höllischen Teufel, zugleich Von seinem blutigen, falschen Rat, Damit er treibet schandliche Tat, Von ihm und seiner spanischen Kriegerschar, Die wie des Teufels lebt fürwahr. Amen. (Flugblatt der Geusen, angeschlagen an hundert Hausern zu Gent, drei Tage nach der Hinrichtung der Grafen Horn und Egmont.) DER LEBENSSPIELER Als Don Carlos am Weihnachtsabend seinen Onkel Juan in sein Zimmer rief, es absperrte und stehenden Fusses ihm die Krone von Neapel oder Sizilien anbot, blieb Juan stumm; denn er kannte die sonderbaren, hurtigen Einfalle des Infanten. „Du zögerst?" fragte Carlos und fasste ungeduldig seinen Freund an der Schulter. „Ich mache dich zum König von Neapel! Oder ziehst du Sizilien vor? Ich willnur ein Schiff von dir! Ja, du verstehst mich. Ja, ich will fliehn! Soll ich warten, bis er mich vergiftet? Er tut's! Kennst du ihn nicht? Was für Grimassen? Verweigerst du den geringen Dienst, den ein Fremder nicht verweigern möchte? So bringe ich ihn um!" ,,Er ist dein Vater, Carlos!" „Armselige Vokabel, wo nicht Ehrfurcht und Liebe walten! Juan! Auf welchem Sterne lebst du? EinesKaisers Sohn, — und nicht einmal den Titel Königliche Hoheit gönnt Philipp dir, nur Excellenza darfst du heissen! Erst versprach er dir den Kardinalshut, flüsterte dir ins Ohr, du könntest Papst werden! Aber der Heilige Vater weigert's, weil Philipp einen Streit um den Vortritt des spanischen vor dem französischen Gesandten an der Kurie begann! Höchst gelegener Streit! Nun ernennt dein Bruder dich gnadigst zum Grossadmiral! Ein besserer Matrose! Was erwartest du von ihm? Wie behandelt er mich, seinen Sohn? Immer wirst du arm sein, abhangig, gering. Ich lohne mit Königreichen. Merkst du was, Juan? Erkennst du Philipps Grundsatz: Alles fordern, nichts bieten? Ich hörte ihn sagen: Wenn ich einst scheide, tue ich es wie die Sonne, hinter mir Nacht! Der Hochmütige! Er fürchtet, unser künftiger Schein verfinstre sein mageres Licht! Ich bat ihn: Gib mir zu tun! In meinemAlterempfingst du Königreiche zu verwalten. In deinem Alter, erwidert er, war ich hundertmal so klug. Er soll es mir beweisen! Klüger war er! Wie stolz Menschen auf Unterschiede sind! Was tat er gross? Er hurte, betete und unterdrückte. Ich bat ihn: Schick' mich in die Niederlande! Ich und der Kaiser und die niederlandischen Grossen sind für Milderungen. Ich hatte manchen stillen Plan; Montigny und Egmont vertrauen mir. Die Cortes schlugen mich vor. So verkündet er, er gehe selber. Da wünschten die Cortes mich zum Regenten und meine Heirat mit der Tante Juana. Du weisst, dass ich in den Sitzungssaal der Cortes eindrang. „Frechheit!" rief ich, „wer das will, ist mein Todfeind, den ich mit allen Mitteln vernichten werde. Ich gehe nach Flandern!" rief ich. Er aber schickt den Alba, den Metzger in die Niederlande. Und Alba hat die Frechheit, zu Aranjuez in mein Zimmer zu kommen! Wenn meine Diener auf des alten Manns Geschrei nicht herbeigelaufen waren, hatte ich ihn erstochen, und es ware besser! Wie lustig wir auf dem Teppich rollten, gleich römischen Ringern! Ich kratzte, biss ihn, stiess sein Köpfchen an Stuhl und Tisch; da ich ihn nach Philipps Absichten gefragt hatte, weist mich der Tropf an meinen Vater! Ich ging zum Philipp, sagte ihm, da siehst du! Ich ersticke in Spanien! Was meinst du, erwidert er, ich bitte dich, Juan, was sagt er drauf, der Sittenprediger ? O himmlischer Hohn! Er greift an seinen schimmeligen Bart und zahlt gewissenhaft jeden Knabenstreich auf, den ich im Lauf der Jahre beging. Meinen Freund Lobon hatte ich zum Fenster hinausgeworfen, das zeige Brutalitat! Meinen Kammerer Alonso hatte ich geohrfeigt, und ihm gesagt, seit einem halben Jahre brannte mir die Hand danach. Das zeige meine Rachsucht. Vom Oberstallmeister hatte ich des Königs Lieblingsstute entliehn, drei Tage spater sei sie eingegangen; das zeige meine Roheit. Im königlichen Marstall hatte ich mich fünf Stunden eingesperrt und dreiundzwanzig Pferde fast zu Tod gequa.lt. Das zum Beweis meiner Grausamkeit! Ich hatte gedroht, die beiden kleinen Töchter meiner holden Stiefmutter umzubringen, hatte sie Hurenkinder geheissen, hatte gesagt, der König finde keine Zeit, an die Niederlande zu denken, weil er den ganzen Tag seine Töchterchen auf Knien wiegen müsste. Das beweise meine Herzlosigkeit. Zu Philipps Lieblingsstute hatte ich vor den Stallknechten gesagt: ,Was? Tragst ihn, Stute? Den Tyrannen? Bist du Elisabeth?' Das beweise meinen Mangel an Geschmack. Der Menschenmetzger Philipp ist voll Takt, ein Tierfreund. Ich bin lieber ein Menschenfreund! Weil ich ein paar Schuldgefangene losgekauft, ein paar hübschen Madchen Geld gegeben, ein paar armen Kindern Renten zahlte, gutmütig Almosen reichte, nennt er mich Verschwender! Wer soll denn geben, wenn nicht ein Prinz? So führt er über jeden Bettel Buch, die Schreiberseele, verleumdet mich vor meinen Freunden, macht mich lacherlich vor einer Welt. Er beleidigt mich taglich tödlich. Er betrügt mich, der grosse Menschheitsbetrüger, um mein versprochen Teil. Er hat einen Pakt mit dem Teufel, ich sehe den Schwanz! Wie sagt Elisabeth ? ,Mein guter Philipp!' Und ihre Betonung, die unbeschreibliche! ,Mein guter Philipp', sagt sie und lachelt so schmerzlich süss, man möchte niederknien, weinen, dieses Lacheln küssen, genug, Juan, du verstehst mich, sie ist eine Heilige, ich liebe sie wie einen Engel, ganz himmlisch, ganz rein, wie eine Schwester, wie ich dich liebe, Juan. Leih mir ein Schiff! Es rettet mich — und dich! Er hat eine Totenliste, wir stehn drauf, du, ich, Elisabeth; auch die englische Elisabeth, seine Schwagerin von neulich; auch seine Schwiegermutter von Frankreich; auch Wilhelm von Oranien, Egmont, Horn, Montigny, der Renard, Carranza, Alba, Espinosa, Eboli; seine samtlichen Huren; noch viele, die ihm dienten; er ist ein Moloch, ein fürchterlicher; wer ihm naht, den schlingt er, langsam und geduldig; er gibt keinen auf, er wird uns alle töten; oder einer kommt ihm zuvor." „Carlos, deine Gedanken sind tödlich!" „Waren sie es doch! Ich sendete stündlich tausend zum Escorial, dass ihn endlich einer trafe! Du bist verliebt, Juan! Gestehe, das hübsche Baschen der Eboli, du hast sie geschwangert, brav, Juan; aber können Manner wie wir die Welt über einem Weiberschoss vergessen?" „Alles gut", murmelte Juan und blickte von Fenster zu Tür und von der Tür zum Fenster, als wollte er lieber durchs Fenster springen, als das fürchterliche Gesprach fortsetzen. „Aber hast du es reiflich überlegt ? Um Gottes Willen, lass dir Zeit!" „Wie lange noch?" rief Carlos und rannte wie ein Rasender vom zugemachten Fenster zur versperrten Tür. ,,Juan, ich habe auf der Welt keinen bessern Freund. Dir allein vertraue ich mich und mein gefahrliches Geheimnis! Das Jahrhundert blickt auf uns. Die Menschen lernten endlich Tyrannen hassen, ein neuer Geistesfrühling glanzt; sind wir beide frei, sind wir unwiderstehlich. Sein Reich ist morsch, sein Spanien bankrott, seine Religion vergreist, seine Untertanen rebellisch, sein Geist umdüstert! Philipp macht Fehler!" „Was für Mittel hast du?" fragte leise Juan. „Entscheidende!" rief Carlos. „Ich habe die Hilfe der Granden. Sie hassen die Herrschaft seiner bürgerlichen Juristen und Pfaffen! Ich habe die Hilfe des Kaisers, der mir seine Tochter Anna zur Frau geben wird! Ich habe die Hilfe meiner Niederlander und aller, die auf schonere Zeiten hoffen. Ich bringe die besseren Zeiten, das weiss jeder. Und mehr als alles: Meine Sache ist gut und rechtmassig. Bin ich einmal seinem ungeheuern Netz entschlüpft, bin ich dem Philipp zumindest gleich an Ansehn. Und er muss mit mir teilen; spater werde ich Kaiser! Zweifelst du?" „Ich, nein! Gewiss nicht!" rief Juan. „Solch ein Entschluss, den man einmal im Leben fasst, sollte nur auf keinen Fall übereilt sein!" „Fühlt keiner des andern Schmerzen? Denkt der Edle an seine Sicherheit? Sind die Zeiten endgültig um, da ein Freund den Freund zu retten seine Haut zu Markte trug? Menschen sehn Menschen hingeschlachtet und verziehn keine Miene? Juan, bist du nur für Lust empfanglich?" Juan errötete. „Vergib", bat Carlos und schlang den Arm um seinen Nacken. „Ich hab' dich lieb, Juan. Der Philipp sagt, das sei mein argster Fehler, dass ich alles aussprache, was andere an meiner Stelle nur dachten. Er erklart: Ein Fürst, der offen sagt, was er tun will, tut es in der Absicht, das Gegenteil zu tun. Höchstweiser Philipp! Wenn man ihn hört, König Philipp der Zweite 23 scheint er recht zu haben. Er sagt, er gab mir den Vorsitz im Staatsrat, er erhöhte meine Apanage von sechzigtausend auf hunderttausend Dukaten, er werde nach des Kaisers Wunsch mit Anna mich vermahlen, ich solle nur fleissig, nur regelmassig sein. Was soll der Bettel? Der Staatsrat besteht aus Pedanten. Philipp entscheidet alles. Nach österreich oder Flandern, wo ich den Kaiser und Anna treffen könnte, lasst er mich nicht. Dagegen holt er Hofhaltsrechnungen und halt mir vor, ich verschwendete meine Einkünfte für falsche Barte, verlorene oder verbrannte Hemden, so könnte mein Geld nie reichen (Ein Hemd! Ein falscher Bart!), ich machte Schulden und genösse nicht einmal — o Pharisaer! Du gehst in Bordelle, sagte er zu mir. Und du? fragte ich. Gingst du zu Brüssel nicht in Bordelle? Wieviel Bastarde hast du? Schweig! schrie er. Neulich rief ich den Genuesen, den Bankier Grimaldi. Er schwört, er stehe ganz zu meiner Verfügung! Topp! sage ich. Ich brauche hunderttausend Taler. Bring sie heut abend. Er wird blass und rot und schwitzt und bettelt, es ware nur eine Redensart gewesen. Tier! schrie ich. Lügst du vor mir? Er jammert, er habe nicht so viel, er sei ruiniert. Auch gut! sage ich. Ein Grimaldi mehr oder weniger! Aber mit dem Infanten von Spanien Scherz treiben! Du zahlst, oder gehst ins Loch! Er schreit: Hunderttausend Taler für ein Wort? Das Leben sogar! sage ich. Er weint. Ich lache. Er wendet sich an Eboli. Der Lump kommt und bettelt für den Lumpen. Ich, sanftmütig von Natur, gebe nach. Grimaldi zahlt nur sechzigtausend Taler. Ein guter Spass, nicht? Auch das halt Philipp mir vor. Und treibt seine Reiserüstungen nach Brüssel. Ich soll in Rom den Papst, in Innsbruck den Kaiser und Anna sehn. Danach nach Brüssel! Ich bitte den König von Frankreich um einen Pass für fünfzig Pferde, rüste für den 26. Juni, den 15., den 21. Juli. Ende August fallt dem Philipp ein, es ware toll, im September, dem Sturmmonat, zur See zu reisen. Wusste er das nicht früher? Nur war die Nacht zuvor der Bote aus Brüssel eingelaufen, vom Alba, aus Brüssel! Merkst du? Am achten September mahnte der Nun- tius den König zur Reise, am 19. September meldete Albas Kurier Egmonts Verhaftung. Philipp lasst dem Heiligen Vater sagen, er reise im nachsten Frühjahr. In Wien ist Anna trostlos, der Kaiser ratlos. Ich verzweifle, Anna je zu sehn, zu haben, zu geniessen, und loszukommen von Philipp. Ich sage ihm, du hast alle Welt, du hast mich belogen. Er sagt: Dummkopf! Ich will mehr sagen, gehe, nehme meine Büchse, lade sie, sitze mit ihr im Arm und brüte. In solchen Stunden denkt man viel. Philipp sagte zum Nuntius, ich sei gleich impotent fürs Bett wie für den Thron. Ich habe keine Wahl. Bei meinem Todfeind leben? Also muss ich fliehn, nach Rom, nach Wien, nach Brüssel, gleichviel! Er hat Mordplane. Seine Augen töten! Ach, alles ist gegen mich verschworen. Der Himmel hilft den Tyrannen. Wo finde ich Kredit, wo Freunde? Inzwischen schlafe ich mit Waffen unterm Kopfkissen, gehe nachts mit geladenem Gewehr herum. Meine Kammerer fragen: ,Wen fürchtet Eure Hoheit?' — ,Wen?' antworte ich, ,Mörder!' Mein Zimmer ist ein Arsenal. Der Pariser Mechaniker der Königin machte diese Vorrichtung, dass ich vom Bett aus die Türe öffnen und schliessen kann, und hier dieses Buch aus zwölf Steintafeln, zwölf Pfund schwer, das schlagt den starksten Mann kaputt. Ja, Juan, ich lebe im Krieg mit Philipp. Er oder ich! Fliehn oder töten! Ich schickte meinen Kammerer Osorio auf die Messe zu Medina, um für meine Rechnung sechshunderttausend Dukaten aufzutreiben, ich gab ihm Blankowechsel. Er brachte hundertfünfzigtausend Dukaten. Ich schrieb mehreren Granden, sie sollten sich bereit halten, auf einer wichtigen Reise mich zu begleiten. Ich schrieb dem Heiligen Vater, dem Kaiser, an alle christlichen Könige und Fürsten, an die grossen Stadte Spaniens und an die andern Kronlander. Ich schrieb, dass ich die Unbilden des Königs langer nicht ertrage, der mich nicht einmal heiraten lasst. Ich fordere meine Untertanen auf, ihrem rechtmassigen Thronerben treu zu bleiben, wenn ich auch flüchten müsste. Ich verspreche Nachlass vieler Steuern. Ich ersuche das gesamte Ausland um Gunst und Hilfe gegen meinen Vater! Ich bitte um Rat, wohin ich fliehen soll. Ich schreibe, dass ich davonreiten will." „Die Briefe gingen schon heraus?" fragte trocken Don Juan. „Sie liegen unterschrieben und gesiegelt. Du siehst, ich habe alles vorbereitet. Ich bin nicht toll." „Keineswegs", sagte Juan. „Keineswegs." „Aber dein Bruder Philipp ist langst ein Narr, er weiss es nur nicht, keiner weiss es, ausser mir!" „Ein Narr?" fragte Juan. „Du sagst es!" frohlockte Carlos. „Ein Narr aus Durst nach Grosse!" „Sprichst du vom König?" fragte Juan. „Er verschleudert mein Erbe", rief Carlos. „Er ist der Affe des grossen Karl! Er soll abdanken wie Karl, ins Kloster mit ihm! Taugt er zu mehr? Genug! ich sehe, du bist meiner Meinung, Juan. Ich habe dich überzeugt. Du gibst mir die Galeere?" „Wohin willst du?" fragte Juan, wie gegen seinen Willen neugierig. „Gehe ich nach Deutschland, — des Kaisers Maximilian Eidam? Zur Grossmutter Katharina nach Portugal, mein Vetter Sebastian denkt wie ich? Nach Genua, Italien aufwiegeln, ein Königreich Italien schaffen? Soll ich die Niederlande befrein? Führe ich mit Waffen Krieg? Was meinst du? Jetzt ist die Stunde da. Philipp betet im Escorial. Er weiss nichts von meinen Planen. Er baut und betet. Jetzt muss ich handeln. Leihe mir zwei Galeeren!" „Seit sechs Wochen binichAdmiral",erklarte Juan. „Noch nie habe ich Galeeren ausgeliehen. Die Übung fehlt mir." „Juan!" rief Carlos in bitterm Ton. „Ich will es überlegen. Bis morgen! Vierundzwanzig Stunden!" „Gut", sagte Carlos. „Aber keine Minute langer!" Schon am Abend empfing er einen Zettel, Juan müsse in dringenden Geschaften zum König reiten. Geschafte ? fragte Carlos und ass sechzehn Pfund Früchte, aus Angst. Spat langte Juan an, vor den öden Hügeln des Escorial, trotz der Behendigkeit seiner zwanzig Jahre und seiner eiligen Angst. Philipp stand auf dem Hügel, hinter dem halbfertigen Riesenbau. Die Nacht war kalt. Der Mond schien. „Herr", sagte Philipp. „Ein grosser Gedanke fiel in ein mittelmassiges Herz. Ich bin ein Dilettant, ein Weltliebhaber, ein Lebensspieler, wie der unverschamte Alba sagt. Da mein Vater lebte, sah ich echte Grosse. So bin ich nicht. Aber Du, Herr, liebst die mittleren Masses sind. War nicht Dein Knecht Mose ein Stammler? Und Dein Sohn eines Tischlers Pflegekind?" Langsam kehrte Philipp zum Escorial zurück, sah ohne Staunen seinen Bruder, hörte ohne Bewegung den fürchterlichen Bericht. Juan klapperte mit den Zahnen. Erst da er alles gesagt hatte, merkte er sein eigenes Entsetzen. „Sosegaos", sagte der König, die Hand am Bart. „Beruhige dich!" Er behielt den Bruder im Escorial. Er kürzte seinen Aufenthalt nicht ab, wegen einiger unruhiger Traume seines Sohnes. Langst wusste er alles. Mehrmals am Tag meideten Kuriere dem Vater jedes Wort, jede Handlung seines Sohnes. Schon hatten berühmte Juristen Gutachten angefertigt, angesichts welcher Staatsgefahren ein König seinen Sohn beseitigen dürfe. Philipp sass in der Stille. Er lauschte dem vieltönigen Sausen der Winde, die wie Rebellen larmten. Er betete. Das war sein Trost. Er wartete schweigend. Das war seine Weisheit. Er geisselte sich. Das war sein Glauben. In der Stille fühlte er die Nahe Gottes. In der Stille regierte Philipp. Sein furchtbares Auge schaute das Erhabene und das Winzige an. Was war Grosse vor dem König, was nicht gering? Die Leute sahn nur die Allüre. Gemeine Könige schauten nur das Allgemeine. Im Einzelnen lag das Humane. Philipp studierte jede Einzelheit. Er schuf sich einen neuen Begriff von der Grosse der Könige. Nicht durch die Starke der Armeen, durch die Macht des Glaubens lenkte er die Welt. Er schuf seine Par- tei quer durch fremde Reiche. Er war das Haupt aller echten Christen. Durch ihre eifernden Untertanen regierte er die fremden Könige. Durch ihre Minister, die er besoldete, erfuhr er ihre geheimen Gedanken. „Sie schelten mich Heuchler, heissen mich Mörder. Ich tue meine Pflicht", erklarte Philipp seiner Freundin Anna, die ihn heimlich im Escorial besuchte. „Kein falsches Mitleid mit Einzelnen oder Vólkern! Ich bin nicht im Kreis der Menschheit eingesperrt. Und verlöre ich meine Reiche darüber und verdürben meine Völker, ich tue meine Pflicht." „Wie gross!" flüsterte Anna. Philipp sass über seinem Haufen Akten, der ihn stets begleitete, und las und schrieb, der tatigste Geschaftsmann seiner Zeit. ,Ich kenne meine Zeit', prahlte er, ,und meine Zeitgenossen. Einsam, bin ich mit der Welt vertraut; bewegungslos selber, bewege ich sie.' Er suchte alles zu erfahren; alles hielt er geheim, noch wenn das Geheimnis schon auf allen Strassen laut war. Aus jedem Kirchensprengel erhielt er von einem geistlichen Korrespondenten, von jeder Universitat durch einen Pralaten Geheimberichte. Jahrelang reisten Gelehrte durch seine Reiche und sammelten Bande voll von Statistiken. Philipp studierte sie. Philipp eröffnete seinem Bruder Juan, er werde ihn gegen die Piraten vom Mittelmeer senden. Er schrieb ein Memorandum für Don Juan: so sollte er Vizekönige, so Galeerensklaven behandeln, so seine Leute kleiden und nahren, für kein Eskader den Doktor und den Kaplan vergessen, er und seine Leute sollten regelmassig beichten, für die Galeeren sollte er eigene Inquisitoren bestellen, er sollte Piraten kreuzigen, seine Kanonen hüten, so und so dieBeute verteilen. Der König schrieb dem Grossinquisitor, er brauche für Don Juans Armada mehr Ruderer, jeden für mindestens fünf Jahre, für geringere Zeit sie zu ernahren, lohnte nicht. Wer ,Gottsdonner!' oder ,Potzblut!' schwöre, verdiene fünf Jahre Galeere. Espinosa moge sich sputen! Und kraftige Flucher wahlen, keine blasphemischen Schwachlinge. Es gebe Krieg gegen Mohren und Türken! Er schrieb dem Heiligen Vater: Ehe ich die geringste Krankung der Religion dulde, opfere ich die Niederlande samt meinem Sohne Carlos! Er schrieb an Alba: Konfiszieren Sie, was Sie finden: Felder, Schiffe, Stadte, Herden, Tapeten, Gold! Widersprechen Sie dem Gerücht, dass ich alle Niederlander als Sklaven im Gesicht brandmarken wolle. Er schrieb an Teresa von Avila, sie solle für ihn beten. Er schrieb den Cortes, er erwage freundlich ihr Gesuch, alle Bankiers auszuweisen, da sie durch Zinsknechtschaft die Spanier drückten. Er schrieb den Admiralen, Korsaren überfielen die Schlösser an der Küste und raubten sogar Grafenkinder, um sie auf Sklavenmarkten zu verhandeln. Er schrieb seinen Vizekönigen in Amerika, er höre, dass die Sklavenbesitzer ihre roten und schwarzen Sklaven schlügen, verführten, ansteckten, in Bergwerke trieben, mit Hunden jagten. Er schrieb seinen Generalen, sie sollten ihren Landsknechten Kindsraub zum Zweck des Kinderhandels verbieten. Er schrieb den Alkalden, sie sollten die Komödianten weniger Prügelszenen spielen lassen, stattdessen sei die Titelsucht der Spanier zu geisseln, ihr Blutdurst, die übertriebenen Gefühle, die Grossprecherei! Er schrieb den Bischöfen, sie sollten gegen den Unfug allzuvieler Sklaven predigen. Jeder kleine Herr von Adel besasse mehr Sklavinnen als Kühe, seit durch die Piraterie ein Mohrensklave billiger sei als ein Hund, eine Italienerin weniger koste als eine Ziege. Er schrieb den Abten, sie sollten nicht an Klostersklaven Gifte ausproben. Er schrieb den Granden, noch müsse er vernehmen, dass ihre Weiber sich gleich Kurtisanen taglich wüschen. Er schrieb den Hurenweibeln, die Madchen trieben zu grossen Luxus mit Seide, Samt und Spitzen. Lieber sollten sie ihren Zehnten pünktlicher in den königlichen Fiskus zahlen. Er schrieb dem Grossinquisitor, die gelehrten Weiber nahmen überhand, sie seien schamloser als Soldatenhuren, und lauter Ketzerinnen. Er schrieb den Rektoren, verboten sei den Studenten, im Ausland zu studieren, sie brachten nur gefahrliche Gedanken heim. Er schrieb dem Espinosa: Zu Sevilla soll es eine Geheimgesellschaft zum Zweck schamloser Ausschweifungen geben! Eröffnen Sie die Untersuchung gegen den Lyriker Fray Luis de Leon! Achten Sie darauf, dass in Romanen die Regierung nicht angegriffen werde! Er schrieb dem Heiligen Vater, er meine, der Heilige Paraklitus sei Parakletus zu schreiben. Er schrieb dem Grossinquisitor: Teresa von Avila parodiert das Sakrament der Beichte; sie befiehlt den Barfüsserinnen, öffentlich zu beichten. Auch sollen in den Heften, in denen sie ihr Leben aufschreibt, sehr kühne Gedanken stehn. Manuskript ergreifen! Prüfen! Wollen Sie dem ganzen Orden der Jesuiten den Prozess machen? Prüft ihre Schriften, ihre Doktoren! Ich höre, Sie wollen dem Heiligen Vater den Prozess machen, in Sachen des Carranza. Vorsicht! Wann wird das Heilige Amt in Neapel und Mailand zur Macht gelangen? Ich bin nicht zufrieden, solange nicht die Inquisition dié Welt beherrscht. Philipp schrieb an Eboli: Dem Mendoza zwanzig Dukaten für seine Glückwunschverse zur Geburt unserer zweiten Tochter Katharina! Dem Maler Coello für mein Portrat fünfzehn Dukaten, zwölf für das Portrat meines Vaters, das er nach dem Tizian kopiert hat! Dreihundert Dukaten an Arias Montano für antike Manuskripte und die Chronik Froissarts! Dem sizilischen Kloster für das Marienbild Raffaels viertausend Dukaten, anzuweisen auf die Einnahmen des Nachbarklosters, dessen Abt mit dem Versprechen der nachsten Vakanz abzufinden! Der Montano soll die Bibel bei dem Antwerpener Plantin auf bestem Papier mit schönsten Lettern drucken lassen! Meinem Organisten Cabezon sechzig Dukaten für seine neue Messe, die er sehr schön komponiert hat! Pünktlich alle Arbeiter für den Escorial bezahlen! Den Montigny in den Turm von Simancas schaffen, in Ketten, geheim! Dem Palestrina für die beiden Messen danken, die er mir widmete, und fünf Exemplare seiner Messe senden, die ich drucken liess. Dem Theotocopuli, genannt el Greco, sechzig Dukaten für drei Gemalde, und keine Auftrage mehr! Den Tizian und den Tintoretto an die empfangenen Vorschüsse mahnen! Der König blieb im Escorial, bis die neue Klosterkirche eingeweiht und ein neuer Klosterbruder eingekleidet worden. Da kam ein Mönch aus dem Hieronymitenkloster zu Atocha. Ihn sandte sein Prior. Der Mönch berichtete, vorigen Abend sei Don Carlos in ihre Klosterkirche gekommen und habe gebeichtet, dass er einen hasse und ihn morden wolle. Der Beichtvater habe ihm die Absolution verweigert, ebenso ein zweiter Beichtiger. Als der Infant darauf sehr erschrocken um die Absolution fast gebettelt habe, weil er am Tage der Erscheinung Christi mit der königlichen Familie öffentlich zum Abendmahl gehn müsste, hatten die Mönche zwölf gelehrte Theologen aus dem nahen Dominikanerkonvent berufen. Mit vierzehn Mönchen habe der Infant lange gestritten, ob er trotz mörderischer Plane die Absolution erhalten könnte. Schliesslich habe er gefragt, ob man nicht eine ungeweihte Hostie ihm reichen wollte, dass er zum Schein kommuniziere, damit bei Hofe kein Skandal entstünde. Ein solcher Vorschlag hatte die ehrwürdige Versammlung entgeistert. Schliesslich habe der Prior erwahnt, der Name der zu mordenden Person könnte den Entschluss der ehrwürdigen Versammlung beeinflussen. Da sei der Prinz in ein düxres Gelachter ausgebrochen, hatte sich abgekehrt, sei durch die fast dunkle Kirche hin und her geschritten, hatte laut zu sich gesprochen, unverstandlich leider. Schliesslich hatte er die Mönche gefragt: ,Muss ich es aussprechen? Ja, ich hasse meinen Vat er, ihm will ich ans Leben! Habt ihr das hören wollen?' Da habe der Prior trocken gefragt: ,Und Ihre Helfer, Hoheit?' Doch da habe der Infant nur wiederholt, und es habe wie ein Schluchzen geklungen: Ja, seinen Vater hasse er, ihn wolle er weghaben! Da sei das Konklave zwei Stunden nach Mitternacht in unaussprechlichem Entsetzen auseinandergegangen. So lautete die Botschaft des Priors von Atocha. Der König schrieb die Namen aller Mönche auf und sandte den Boten zum Grossinquisitor. Drei Tage spater, an einem Samstagmorgen, fuhren Philipp und Juan in einer geschlossenen Kutsche nach Madrid. In vielen Klöstern beteten die Mönche feierlich, dass Gott den König bei einer schweren Entscheidung leite. Vor der Stadt wartete Carlos vergeblich auf Juan. In den Zimmern der Königin Elisabeth sahn sich Vater und Sohn, und grüssten sich gemessen. Elisabeth hatte beide Töchterchen auf dem Schoss und Tranen in den Augen. Sie hatte wiederum Beschwerden, von neuer Schwangerschaft. Ihre Schönheit ward sinnlicher und zarter, sie weckte Lust und Rührung. Neben ihr stand die Eboli triumphierend da. Ihr Bliek schien zu fragen: Wer ist hier Königin? Ihr Gatte erschrak vor dieser unverhüllten Wonne. Don Carlos versuchte unauffallig, seinem Onkel Juan ein paar Worte zuzuflüstern. Aber Juan wich nicht von Philipps Seite; so strahlend sah Juan aus, so unbekümmert schien sein Lacheln, so stark glanzten seine Glieder. Da standen auch die beiden Erzherzöge, zwei Knaben noch; da stand Alexander Farnese, Philipps Neffe; da stand Espinosa, da Mendoza, da Antonio Perez, da standen Hofdamen und Pagen — alle lachelten gerührt, als der König sein Lieblingstöchterchen Klara Eugenia aufs Knie nahm und schaukelte und das kleine Madchen lachend in des Königs grauen Bart griff und daran zerrte. Wie glücklich schien das Lacheln des königlichen Familienvaters, als er dasass zwischen Frau und Töchtern, Bruder und Sohn und Neffen, zwischen Freunden und Freundinnen, am 17. Januar 1568. Den Tag darauf kam Juan vor der Messe ins Zimmer seines Neffen Carlos. Der versperrte wie gewöhnlich die Türen und fragte mit schiefem Lacheln: „Du hattest Geschafte im Escorial?" Juan schwieg. Plötzlich zog Carlos seinen Dolch, und liessihn fallen, mutlos. Zwei Stunden sassen sie beisammen, die langste Zeit schweigsam. Ein paarmal fragte Carlos: „Leihst du mir die Galeeren?" Das erste und das zweite Mal erwiderte Juan: „Unmöglich!" und „Ich kann nicht!" Spater schwieg er ganz. Endlich öffnete Carlos die Tür und sagte kalt: „Geh!", und da Juan schon durchs Vorzimmer schritt, rief Carlos: „Geh zu deinem Bruder!" Und lief ihmnach, biszum Korridor, und flüsterte: „Komm mittags wieder, gegeneinUhr, willst du?" Juan nickte und ging rascher fort. Kopfschüttelnd sah Carlos ihm nach. Dann humpelte er in sein Zimmer und machte sich zur Messe fertig. Es war ein Sonntag. Ein eisiger Wind kam vom Gebirg. Philipp hatte schon in der Frühe den französischen Gesandten empfangen, in feierlicher Heiterkeit wie gewöhnlich. Danach ging er zur Messe. In der Kirche sahen alle, wie Don Ramon de Taxis, der Generalpostmeister von Spanien, eilig zum König trat und ihm ins Ohr flüsterte. Am Portal der Kirche hatte der Infant dem Generalpostmeister befohlen, ihm für den Abend sieben Postpferde bereit zu halten. Als Taxis in grosser Verwirrung erwidert hatte, es sei gerade kein Pferd in den Stallungen, hatte Carlos zornig den Befehl wiederholt. Carlos prüfte nun die Miene seines Vaters. Hatte Taxis denunziert? Philipp lachelte, der Generalpostmeister entfernte sich lachelnd. Carlos verliess die Kirche zu früh, eilte in seine Gemacher und wartete auf Juan. Gegen zwei Uhr kam ein kleiner Page Juans, mit einem Zettel. ,Vergib', las Carlos, ,ich kann nicht.' Da legte Carlos sich zu Bett, zahneklappernd. Er rief seinen Arzt und sagte ihm: „Ich bin krank." Er fürchtete, Philipp werde ihn rufen, der Sittenprediger werde ihn schelten, Mord im Bliek, Moral im Mund. Bald kam ein Kammerling vom König, ihn zu rufen. Carlos liess sagen, er sei krank. Gegen sechs Uhr abends stand er auf, ass einen Kapaun in Gelee, trank Schneewasser, legte sich zu Bett und entschlief. Philipp sass in seinem Kabinett und liess sich stündlich melden, was der Infant sagte oder tat. Alle Zugange und Korridore waren doppelt bewacht. Philipp hörte, der Infant sei krank, der Infant könne nicht kommen, der Infant liege zu Bett, der Infant sei aufgestanden, um einen Kapaun in Gelee zu essen, der Infant schlafe. „Einen Kapaun ass er?" murmelte Philipp. „Und in Gelee? Er schlaft?" Nachts gegen elf Uhr versammelte der König den Grossinquisitor Espinosa, des Infanten Hofmeister Eboli, den Kapitan der Leibgarden Herzog Feria und des Prinzen Stallmeister Quixada. Der König trug den Helm, den er zuletzt nach der Schlacht von St. Quentin für seine Maler aufgesetzt hatte, einen Panzer unterm Rock, den blanken Degen in der Hand. Einzeln hintereinander stiegen sie die Haupttreppe herab zu den Zimmern des Don Carlos. Als erster kam Feria, er trug eine Fackel. Zwölf ausgewahlte Monteros, des Königs Leibnachtwachter, folgten, schwer in Waffen. Dann Philipp. Hinter ihm der Grossinquisitor, Eboli und Quixada. Zuletzt zwei Handwerker, im Schurzfell, mit Hammern und Nageln. Im Vorzimmer des Infanten wachten Graf Lerma und ein Jüngling namens Roderich Mendoza, seit einigen Monaten Kammerer bei Don Carlos und sein Freund. Der König befahl den erschrockenen Kammerem, die Türen zu schliessen. Das Spezialschloss hatte derselbe französische Mechaniker, der es verfertigt, so gestellt, dass es unwirksam war. Eboli öffnete die Tür. Feria schlich zum Bett des schlafenden Infanten und nahm den Degen, den Dolch und eine mit zwei Kugeln geladene Muskete fort. Zwischen dem Grossinquisitor und dem Stallmeister trat Philipp auf Zehenspitzen ein. Über dem Gerausch erwachte Carlos. Er zog die Bettgardinen zurück und sah im düstern Schein der abgewandten Fackel einige Manner im Dunkeln. „Wer da?" fragte er. „Der Staatsrat!" antwortete Philipp. Da erkannte ihn Carlos. Er sprang aus dem Bett, suchte die Waffen, fand sie nicht, schrie: „Was! Willst mich umbringen, Vater?" und lief zum Kamin, wo noch ein Feuer brannte, um sich hineinzustürzen. Quixada hielt ihn auf. Das kurze Hemd des Infanten zerriss. Er wand sich aus den Handen seines Stallmeisters, kniete, schlug seine nackte Brust und schrie: „So bring' mich schonum! Mörder!" Und er deutete auf den nackten Degen Philipps und auf die eigene nackte Brust. „Sosegaos!" sagte Philipp, in der Rechten hielt er den Degen, mit der Linken seinen Bart. „Leg' dich zu Bett. Alles geschieht zu deinem Besten!" Da begann es zu hammern. Carlos sah die Manner im Schurzfell, die alle Fenster und Türen zunagelten, wie einen Sarg, und er wich bis zur Wand, humpelnd, und flüsterte: „Ich bin nicht toll! Ich bin nur verzweifelt." Und er wiederholte fast tonlos: „Nicht toll! Nur verzweifelt!" Indes legten die Arbeiter die schweren Hammer nieder und begannen die Tische und Stühle aufzuheben und hinauszutragen. Behend und schweigend raumten sie das Zimmer aus, Teppiche, Bilder, Möbel, auch einen Koffer mit des Infanten samtlichen Papieren, die der König sogleich in sein Kabinett zu tragen befahl. Mit schweren, schamlosen Handen zogen sie das Zimmer nackt aus, schnell und gründlich. „Baust du einen Kerker?" fragte Carlos stöhnend. „Bring' mich lieber um! Sonst tue ich es." „Selbstmord", erklarte der König, „ist ein Akt des Wahnsinns." „Ich bin nicht toll. Du willst mich toll haben, Vater!" ,,Von nun an werde ich als König an dir handeln, nicht mehr als Vater." „Was wird aus mir ?" fragte Carlos leise. Der König wandte sich um. Allein ging er zurück, die Treppen hinauf, durch den unruhigen Palast, wo Türen offenstanden, Fackeln umherirrten, Schritte gingen, Licht aus den Gemachern der Königin und der Infantin Juana schien. Philipp ging an Zeichen und Larm schweigend vorbei, bis in sein Kabinett, wo er den Helm abnahm und sogleich von Perez die Papiere des Infanten sich vorlesen liess. Carlos war ein Gefangener. Feria war sein Wachter. Tags und nachts brannten Kerzen. Das Zimmer ward schwarz ausgeschlagen. Lerma und Roderich Mendoza bedienten den Infanten. Sie durften keine Frage, die ihn oder den Hof anging, beantworten, keine Nachricht befördern. Der Kamin ward vergittert. Der König hatte Madrid konsigniert. Keiner durf te die Stadt verlassen, auch die Postwagen warteten drei Tage. Der König versammelte alle Minister und Sekretare und teilte ihnen mit, im Dienste Gottes und im Interesse seiner Völker habe er sich genötigt gesehen, seinen Sohn gefangenzunehmen. Der König vergoss Tranen. Die Minister und Sekretare gingen. Der König schrieb viele Briefe, an den Papst, an den Kaiser, an seine Tante Katharina von Portugal, an die fremden Könige, an seine Untertanen. Eboli empfing die fremden Gesandten. Er erklarte: „Die Gerüchte, Don Carlos hatte seinen Vater töten, oder protestantisch werden und die Niederlande aufwiegeln wollen, sind absurd. Wir hatten ganz andere Grande, sehr ernste von ausserst dringlicher und gewichtiger Natur, von einer Beschaffenheit sozusagen, dass ihre Natur in Anbetracht der Dinge eine solche heissen muss, dass man sagen kann, ja muss, es ist eine ausserst gefahrliche Beschaffenheit der Dinge und von überaus ernster Natur." Der Minister schwieg erschöpft. Jeder Gesandte hatte seinen Geheimbericht schon in der Tasche. Nur der englische Gesandte schrieb wörtlich Ebolis Ausserungen nach London. ,Mir war alles so klar', schrieb er dem Staatssekretar Cecil, ,die angeführten Gründe erscheinen so durchschlagend.' Der englische Gesandte wusste, dass der König von Spanien alle Briefe nach England öffnen liess. Am 20. Januar tagte der Staatsrat acht Stunden lang. Philipp, der wie gewöhnlich nicht teilnahm, empfing mündlichen und schriftlichen Bericht von beiden Hofparteien. Der Grossinquisitor Espinosa erhielt den Auftrag, dem Prinzen den Prozess zu machen. Erhebungen fanden statt, Akten wuchsen, der König studierte sie. Er las die Akten über den rebellischen Prinzen von Aragon, Carlos von Vi- ana, Ferdinands des Katholischen Bruder, den der Vater vergiftet hatte. Philipp fand Interesse an der Familiengeschichte. Elisabeth weinte zwei Tage lang, bis ihr der König verbot zu weinen. Vor Staunen versiegten ihre Tranen. „Mein Philipp", sagte sie, „liebt nur die Miene der Empfindung nicht. Er eir.pfindet um so tiefer." Die jungen Hofdamen nickten stumm. „Mein guter Philipp!" sagte Elisabeth langsam, als klangen ihr die Worte mit einmal neu, als spürte sie einen verdachtigen Geschmack, bitter oder giftig. Elisabeth war dreiundzwanzig Jahre alt, so alt wieCarlos. .Inmeiner Jugend', sagte sie haufig, sie meinte ihre Kindheit. Errötend fügte sie jedesmal hinzu, ein wenig hastig: ,Ich bin ganz glücklich. Nur, in meiner Jugend.. Tante Juana legte sich vor Gram zu Bett. Sie hatte Carlos erzogen, sie hatte um ihn gefreit, sie liebte ihn. Er war ein Kind, man musste ihn noch hüten, aber nicht auf diese Weise! Der eilige Onkel Juan, mit der Behendigkeit seiner zwanzig Jahre, erschien in tiefer Trauer. Seine Jugend lieh noch der Trauer Glanz. Philipp fragte: „Was soll der Unfug?" und schickte Juan gegen die Piraten und Juana auf die Jagd. Am 7. Februar meldete der österreichische Gesandte Baron Dietrichstein dem Kaiser: ,Des Prinzen halber, so ist es ganz still, als ob er tot war.' Die Grossmutter des Infanten schrieb aus Lissabon, sie wolle in ihren alten Tagen nach Madrid kommen und ihren Enkel pflegen. Der portugiesische Gesandte wollte den Infanten sehn. Der Heilige Vater forschte nach den wahren Gründen. Der Kaiser fragte wegen seiner Tochter Anna nach der Frist der Haft; er schrieb, er schicke, des Infanten und der Niederlande wegen, seinen Bruder Karl nach Madrid. Die Niederlander sagten laut, er war unser, ein Freund der Freiheit. Eboli verteilte neue Erlauterungen. Die Haft sei ewig. Der Infant sei toll. Die Majestat sah die Krankheit seit drei Jahren und schwieg und hoffte. Katharina de Medicis und Elisabeth Tudor lachten. So endete der Riesentraum von der Universalmonarchie? Das war die Blüte der köstlichen Familie, deren Töchter ausser Vettern, Neffen, Onkeln keine Gatten an Europas Höfen fanden? Urn diesen Prinzen zu heilen, musste kürzlich ein neuer Heiliger geschaffen werden, der berühmte Klosterkoch Diego? Das unendliche Gelachter der Feinde des Tyrannen sauste in den Ohren Philipps. Damals ward sein Kopf kahl. Renard, dessen böse Worte durch seine Kerkermauern den Weg fanden, sagte: „Den Haaren Philipps graut's. Sie wollen seine schrecklichen Geheimnisse nicht mehr hüten und fallen ab wie Prinzen und Provinzen!' Am 2. Marz kam Carlos in ein Turmzimmer. Die Fenster wurden vernagelt. Das Licht fiel durch Luken. Der Kamin ward vergittert. Zu einem anstossenden Zimmer ward ein starkes Holzgitter gemacht, damit Carlos in seinem Kafig der Messe beiwohnen konnte. Niemand, ausser dem Leibdiener, dem Kammerer und dem Arzt, durfte das Turmzimmer betreten. Die Wachter durften mit ihm nicht über seine Sache reden. Sie mussten antworten: .Eshilft nicht, davon zu reden. Es schadet.' Keine Minute war Carlos allein. Seine Wachter sahn alles, horten alles. Die Türe zum Vorzimmer musste immer halb offen stehn. Die Wachter trugen die zerschnittenen Speisen auf einen Tisch im Vorzimmer, der Kammerer trug sie ins Turmzimmer. Eboli ward Oberwachter. Um sein Amt leichter versehen zu können, erhielten er und Anna Zimmer nahe dem Prinzenkafig angewiesen. So sparte Anna die nachtlichen Kutschenfahrten zu ihrem Liebhaber. Philipp konnte von seinem Kabinett die vernagelten Fenster des Turms sehn. Er verbot den Predigern, den Namen des Infanten zu erwahnen. Er besuchte weder den Prado noch Aranjuez, kam nicht mehr zum Escorial, lief bei jedem Larm ans Fenster und spahte, ob nicht das Volk oder die Granden oder Freunde des Infanten anrückten, um ihn zu befreien. Der König entliess den ganzen Hofstaat des Infanten, verkaufte seine Pferde. Auch Roderich Mendoza ward entlassen. Carlos sagte zu seinem Kammerer Lerma, dem einzigen, zu dem er noch zuweilen sprach: „Philipp beerbt mich schon." Damals reichte man dem Infanten gewisse dicke Suppen, mit Ambra und andern starkenden Mitteln, und in den Zimmern Ebolis eigens gekocht. Der Infant weigerte sich einige Tage lang, zu essen. Als man dem König berichtete, seit fünfzig Stunden habe der Infant nichts mehr gegessen, erwiderte Philipp: „Wenn er Hunger haben wird, wird er schon essen." Einmal schrieben verschiedene Cortes, sie wollten in Madrid eintreffen, um des Thronerben Kerker zu besichtigen und für seine Freiheit zu bitten. Der König fand es seltsam. Er sei kein Prophet, aber würden so neugierige Untertanen nicht eines Tages als Reichsruhestörer enden? In jenen Tagen begann Carlos zu erbrechen und an Durchfall zu leiden. Da reichte man ihm Lektüre: Breviere, Andachtsbücher. Anfangs hatte Carlos gehofft, die Haft werde kurz sein. Nun begann er zu verzweifeln. Er sagte zu Lerma, indem er auf seinen Kerker wies: „Ein Vater hat das ausgedacht?" Um ein Ende zu machen, verschluckte er seinen Diamantring, ohne Schaden kam der Ring unten heraus. Carlos sagte zu Lerma: „Der Diamant ist tödlich. Ich schluckte ihn und lebe! Noch ein Diamant kann Mitleid zeigen..Er brach ab. Er sah, er sollte für toll gehalten werden. Er wollte also seine Zunge hüten. Er weigerte sich, zu beichten. Er sagte zu Lerma: „Genug gebeichtet! Wer zahlt die Mönche, wer sendet sie? Es gibt zu viele in Spanien. Jeder Vierte ist Mönch. Wastunsie?" Am andern Tage hatte Lerma Auftrag, den Infanten zu fragen, ob er sich nicht mit Gott versöhnen wolle. „Ich?" fragte Carlos mit Festigkeit. „Habe ich den Streit begonnen? Keine Versöhnung mit Gott! Auch Gott ist Vater. Keine Nachsicht mit Vatern!" Sein Almosenpfleger Suarez schrieb ihm geheim: ,Was wird die Welt sagen, wenn sie erfahrt, dass Sie nicht beichten wollen? So verlieren Sie die öffentlichen Sympathien. Schon haben Sie fast keinen Freund mehr. Es liegen Anklagen so schreckensvoller Art gegen Sie vor, dass das hohe Gericht der Inquisition jeden andern nicht mehr einen Christen nennte und Scheiterhaufen aufschichtete!' König Philipp der Zweite 24 Philipp liess diesen Brief ausnahmsweise passieren. Carlos klebte den Brief an die Wand seines Kafigs und betrachtete ihn wie ein Gemalde von verschiedenen Stellen aus, und in wechselnden Abstanden, seinem Vat er nachaffend, der Gemalde liebte. „Blinder Freund Suarez!" murmelte Carlos. „Mag dein Brief hier hangen, damit du nicht bald am Galgen hangen musst, weil du des Carlos Freund warst!" Endlich, zu Ostern, verlangte Carlos nach den Sakramenten, beichtete, versöhnte sich mit Gott und bat auch den Vater um Vergebung. Er hoffte Freiheit. Philipp gewahrte nur Vergebung. Grossmütig bot er seinem Sohn an, seinen Kafig um ein paar anschliessende Stuben zu erweitern. Carlos sagte zu Lerma: „Dem Gefangenen genügt sein Kafig. Dem Freien war Spanien zu enge." Die Hitze wuchs. Der Kafig brannte im Feuer der grossen Sonne. Carlos fieberte. Sein Arzt zapfte ihm Blut ab. So ward Carlos schwacher. Er magerte ab. Langsam schwand er hin. Er schrieb viel auf, zerriss alles wieder. Da die Erde in der Umarmung des Sommers erglühte, liess Carlos viele Eimer kaltes Wasser auf den Boden ausgiessen, fusshoch, kniehoch, und lief barfuss und im Hemd in diesem eisigen Bad umher, er schlief nackt bei offenen Fensterluken und halboffener Tür, in der guten Zugluft, er trank ganze Eimer voll Eiswasser, ass pfundweis frisches Obst, kühlte sein Bett mit Eisflaschen, fieberte und fror. Sein Arzt Olivarez erklarte, die letzte haltende Kraft, die Warme weiche. Carlos lag im Bett und seufzte. „O Garten von Aranjuez, schattige Gehölze von Segovia, o frische Luft von Alcala. Winde im Gebirg. Wind im Wald, nach heissen Krautern duftend!" Am 13. Juli ass er eine Pastete aus vier stark gewürzten Feldhühnern samt der Kruste, trank Eiswasser und hatte nachts die Ruhr. Am 14. Juli kam Doktor Olivarez, ein kleiner, spitzbartiger, bebrillter Valencianer, devot, verstandig und gehorsam. „Nun, Doktor?" fragte Carlos. „Zufrieden? Haben wir's geschafft?" Der Arzt seufzte. Er war kein guter Mensch, gewiss nicht. Aber er hatte keinen Spass daran, Menschen zu qualen. „Hoheit", sagte er, „wenig Hoffnung! Ihr Magen will nichts mehr annehmen." „Mein Magen, Doktor? Mein Herz will nicht mehr!" Alba schrieb aus Brüssel: Mehrere verschworen sich, den König umzubringen. Ich habe sie. Am 19. Juli erklarte Doktor Olivarez, es sei keine Hoffnung mehr. Der König gab seines Sohnes Krankheit bekannt. Er sandte seine sieben Leibarzte. „Was wollt ihr?" fragte Carlos, „Ich bin schon vergiftet. Mein Vater kommt nicht?" fragte Carlos. „Sagt ihm, dass ich sterbe und ihn noch einmal sehn will." Der König hatte seit der Nacht vom 18. Januar seinen Sohn nicht mehr gesehn. Er erklarte: „Nein. Ich komme nicht, und keiner!" Doch trat er einmal im Nebenzimmer ans Holzgitter; heimlich, hinterm Rücken von Espinosa und Eboli, streckte er seine Hand aus und gab, indem er das Zeichen des Kreuzes machte, seinem sterbenden Sohn hinterrücks den vaterlichen Segen. Auf Verlangen des Infanten wurden sein Beichtvater Chavres und sein Almosenier Suarez gerufen. Am 21. Juli diktierte Carlos sein Testament. Er zahlte Schulden und bat um Almosen für seine Diener. In der Nacht vom 23. auf den 24. Juli fragte er nach der Uhr. Es war zwei Stunden vor Mitternacht. Er wünschte bis zum 25. Juli, dem Tag von San Jago, zu leben, um des Heiligen Fürsprache zu geniessen. Er hielt sein Kreuz, das er auf der Brust trug. Sein Beichtvater Chavres sagte ihm zehnmal, hundertmal vor: „Ich verzeihe dem König, meinem Vater." Carlos schwieg verstockt. Der Beichtiger wiederholte unermüdlich: „Ich verzeihe dem König, meinem Vater." Carlos spuckte Blut aus. Der Beichtiger in steter Hoffnung: „Ich verzeihe dem König, meinem Vater!" Carlos murmelte: „Weg, schwarzer Papagei!" Der Beichtiger schrie: „Ich verzeihe. Ich verzeihe dem König, meinem Vater!" Da endlich gab Carlos nach und flüsterte: „Ich verzeihe ihm, der mir die Freiheit raubte. Ich vergebe meinen Todfeinden, die mich morden, dem Giftmischer Eboli, dem Metzger Alba, dem Folterknecht Espinosa, dem Dieb Granvella." „Er hat vergeben", schrie der Beichtiger. „So vergebe ihm Gott!" Er drückte dem Sterbenden die Sterbekerze in die Hand und schrie: „Er hat vergeben!" Carlos, den vielleicht der Larm verdross, oder der zu schwach war, die brennende Kerze zu halten, hielt sie schief, dass sie ihm die Hand versengte und schliesslich sein Kopfkissen anzündete. Es flammte auf, darüber entstand ein Geschrei, es fehlte nicht an Eiswasser, man schüttete den Eimer über den Infanten und sein Kissen, die Flamme verlosch. Über der Unruhe vergass man den Infanten. Da man endlich nach ihm sah, war er tot. Es roch nach verbrannten Bettfedern. Der Beichtiger schrie: „Seine letzten Worte waren lateinisch. Sie lauteten: Gott sei mir Sünder gnadig! Der Infant ist als frommer Katholik gestorben!" Der Beichtiger wandte sich zum Graf en Lerma und sagte mit kalter, geschaftsmassiger Stimme: „Lassen Sie die Leichenwascher rufen. Ich gehe zum König! Es war ein Uhr morgens, den 24. Juli 1568. Zur selben Stunde sagte im Korridor vor dem Kabinett des Königs der junge Höfling Antonio de Leyva zu Mendoza, seine Verse taugten nichts. Mendoza zog den Dolch, Leyva sein Schwert, der König trat über dem Larm im Schlafrock auf den Flur und hiessdie Majestatsbeleidiger in den Kerker schaffen. Die Fechter entwischten zum Altar der nahen Kirche. Da schickte Philipp einen Alkalden, der beide von ihrer Freistatt fortschleppte, den Leyva auf die Festung von Madrid, den Mendoza in den Turm von Simancas, wo schon des Königs Archiv und Montigny schliefen. Ein Fussfall der Eboli rettete Mendozas Leben. Anna ritt zum Turm von Simancas. Da Mendoza am Fuss des Turms noch einen Bliek auf den Turm warf und lachend rief: „Rasch nach Madrid!", lachelte Anna trübe und bat: „Geduld! In seiner grossen Gnade verbannt der König dich für zehn Jahre nach Granada." „Verbannt!" schrie Mendoza. „Nach Granada — fern von dir, von der grossen Welt! In einer öden Provinzstadt leben... Poetenschicksal unter Philipp! Bin ich wirklich verbannt?" „Armer, lieber Freund! Was alles kann geschehn! Rechne mit fünf Jahren! So denkt auch Eboli!" Mendoza schlang die Arme um sie und küsste sie. „Anna!" rief er. „Ich bin ein alter Mann! Fünf Jahre, sagst du?" Da Anna zurückkam, war Carlos schon begraben. So rasch begruben sie ihn. Am Abend seines Todestages, gegen sieben Uhr, trugen sie den Sarg fort. Eboli, die Herzöge von Infantado und Rio Seca, und der Konnetabel von Kastilien trugen den Sarg. Der König blieb zu Haus. Im Hof des Palastes standen die Bischöfe, die fremden Gesandten, die Grafen und Höflinge, lauter Feinde des toten Carlos, seine Wachter und Verfolger. Ehe der Zug sich fortbewegte, begann ein Streit zwischen Toledo und Feria über den Vorrang, die Schwerter blitzten, schon schien Blutvergiessen unvermeidlich. Da öffnete sich ein Fenster des Palastes, man sah den König am Fenster, im Schlafrock, die Nachtmütze auf dem Kopf. Mit seiner gewöhnlichen, ruhigen Stimme rief er: „Herzog Feria folgt zuerst, danach Toledo!" So schlichtete er den Streit und schuf die schone Ordnung, an der sein Herz hing. Zufrieden blickte er dem ganzen Zug nach, bis der Schlosshof im süssen Licht des Sommerabends stille lag. Da seufzte Philipp und ging in sein Kabinett und begann zu schreiben. Schreibend vergass er seine Trauer. Er schrieb an den Heiligen Vater, an den Kaiser, an die vielen Könige, an seine Untertanen. Er schrieb: ,Mein Sohn ist tot. Mein Sohn war toll. Ich musste ihn fangen. Er war toll. Er starb als guter Christ. Mein Sohn ist tot. Carlos ist tot.. Der König schrieb, bis die Friihe ihn schreckte. Da schritt er langsam zum Fenster und sah hinüber zu dem leeren Kafig, dem blinden Turmzimmer. Er murmelte: „Mein Sohn ist tot." DAS GESTANDNIS Am Tage vor der Verhaftung des Don Carlos hatte die Königin Elisabeth erklart, das Kind in ihrem Leib höre nicht auf, zu hüpfen. Sie spüre, es sei ein Sohn. Die Arme der Königin schwollen an. Am 18. Juni fiel sie in Ohnmacht und lag eine Stunde für tot. Oft musste sie lange weinen. Sie konnte nicht sagen warum. Zuweilen stockte ihr Puls, ihr Kopf schwoll an, sie hatte Nierenschmerzen und Fieber und erbrach Galle. Seit Carlos tot war, siechte die Königin im Bett dahin. Die Arzte erklarten sie für schwanger, setzten ihr Blutegel an und purgierten sie. Die Königin fiel in lange Ohnmachten. Ihre Hande und Füsse wurden steif. Nun gaben ihr die Arzte Pulver und Infusionen. Aber der Magen der Königin, rebellischer als sie, wies alles zurück. Nun geschahen feierliche, grossartige Prozessionen. Philipp liess aus dem Escorial die Überbleibsel vom Heiligen Justus und vom Heiligen Pastor holen, ferner einen Arm vom Heiligen Lorenz und den Kopf der armen Adelina, Königin von Sizilien, einer Heiligen aus der Schar der elftausend Jungfraun. DieFragmente liess der König neben dem Bett seiner kranken Frau aufstellen. Zuletzt gaben die Arzte der Königin Pillen. Um ihre Wirkung nicht zu beeintrachtigen, durfte keiner die Königin besuchen, auch der französische Gesandte nicht, auch der König nicht. Im September erklarten die Arzte in finsterer Entschlossenheit der Königin, nun habe die Wissenschaft alles getan, jetzt möge der Himmel sprechen. „Muss ich mit dreiundzwanzig Jahren sterben?" fragte Elisabeth. Da begannen die herumstehenden Hofdamen laut zu weinen. Einer der drei Arzte, ein Greis, versah sich und vergoss gleichfalls Tranen. Seine Kollegen führten ihn stille weg. Am Abend des zweiten Oktober kamen die Arzte und der Kardinal Grossinquisitor Espinosa und Philipps Beichtvater, der dicke Bischof von Cuenca, und brachten vier Notare und forderten die Königin auf, ihr Testament zu machen, nach der Vorschrift der spanischen Etikette. Der französische Gesandte hatte unter dem Vorgeben, die Etikette passé eher für Menschenfresser als für eine junge Frau, umsonst dagegen protestiert. So machte Elisabeth also ihr Testament. Die Notare waren gründlich und genau. Sie schrieben jedes Juwel auf, jeden silbernen Nachttopf. Sie fragten: „Was befiehlt Ihre Majestat, dass nach Ihrem Tod mit der silbernen Badewanne, siebenzig Pfund schwer, geschehe? Was befiehlt Ihre Majestat, dass nach Ihrem Tod mit den drei goldenen Fingerhüten geschehe? Was befiehlt Ihre Majestat, dass nach Ihrem Tod.. „Kann man die Formalitat nicht abkürzen?" fragte empört der anwesende Gesandte Frankreichs. Niemand beachtete ihn. „Was befiehlt Ihre Majestat, dass nach Ihrem Tod mit den vier Sesseln geschehe, die mit Mechelner Sammet bezogen sind?" fragten die Notare. „Was befiehlt.. Danach kamen drei Ammen, unter denen die Königin, da sie schwanger war, nach der Etikette wahlen musste. Elisabeth bezeichnete eine Dame namens Beatrice, ein schönes, grosses Fraulein von fünfundzwanzig Jahren, das viel Milch sprudelte und dessen Vorfahren keiner ein Jud noch ein Mohr war. Danach beichtete Elisabeth, empfing das Sakrament und die letzte ölung. Darauf gingen alle fort. Elisabeth blieb mit einigen Hofdamen allein. Im anstossenden Gemach beteten die Mönche für das von den Arzten aufgegebene Leben der Königin. Spater, in der Nacht, sandte Elisabeth nach dem König. Sie schickte alle ihre Pagen. Der König kam nicht. Sie schickte ihre Hofdamen, die Herzogin Alba, die Wachterin der Etikette; die Herzogin Feria, eine Englanderin; die Prinzessin des Ursins — der König kam nicht. Da befahl die Königin, die Eboli zu wecken und zu rufen. Als Anna kam, bat Elisabeth, sie möge neben ihrem Bett niederknien, ganz nahe. „Anna", flüsterte Elisabeth, „ge- hen Sie zu Philipp. Ich schickte so viele nach ihm aus. Er kam nicht. Sie sind unsere Freundin. Sagen Sie ihm, ich sterbe. Ich wolle ihm ein Gestandnis machen. Sagen Sie ihm, wenn er nicht kommt, lasse ich mich zu ihm tragen. Anna ging weinend. Endlich kam der König, im schwarzsamtenen Schlafrock und in schwarzsamtenen Pantoffeln. Er kniete am Bett seiner Frau nieder. Elisabeth blickte ihn an, mit ihren grossen, blauen Augen, die ihren Glanz noch nicht verloren hatten. „Philipp", flüsterte sie. „Ich muss dir ein Gestandnis machen." „Still!" bat er. „Bete, Elisabeth. Der Herr vergebe dir deine Sünden!" „Philipp!" sagte sie, der Schweiss stand ihr auf der weissen Stirn. „Ich muss gestehn: Ich weiss, was die Leute von dir sagen. Sie sagen Schlimmes von dir. Sie sagen, dass du ein böser Mensch bist. Sie heissen dich einen Heuchler. Sie nennen dich den Menschenjager, den Sklavenhandler, einen Schelm und einen Schinder. Sie schelten dich Mörder! Sie sagen, du hast deinen Sohn Carlos umgebracht." „Schweig!" flüsterte Philipp und stand auf, um fortzugehn. „Bleib!" rief mit schwacher Stimme Elisabeth. „Ich beschwöre dich! Philipp, ich liebe dich. Die Leute sagen, du hattest mich mit einer Limonade vergiftet. Ich habe nie den Leuten geglaubt. Ich glaube an dich. Du bist der grösste aller Könige, du bist der beste aller Menschen. Du bist immer ein guter Vater und treuer Gatte gewesen, ich schwöre es angesichts des Todes. Immer warst du mir treu, Philipp, ich schwöre es ins Gesicht meines Gottes, dem ich bald begegnen will!" „Schweig', Unselige!" flüsterte Philipp entsetzt. „Du schwörst dich in die Hölle!" „Philipp! Ich habe es nie aussprechen dürfen. Jetzt muss ich es sagen. Ich war so selig bei dir. Die Leute sagen, ich hatte mich nach Frankreich gesehnt. Ja, ich liebe mein Land. In meines Vaters Haus war es so angenehm zu leben, so heiter rannten meine grünen Tage, so süss ge- schwatzig. So gerne war ich Elisabeth von Frankreich, liebte so treulich meine Brüder und meine liebe Mutter. Aber mehr als alles habe ich dich geliebt. Philipp, ich war so selig in deinem Bett! Du warst mein Abgott. Ich bete dich an, mein Geliebter! Mein guter Philipp!" Der König lief aus dem Schlafzimmer Elisabeths, er verlor die schwarzsamtenen Pantoffeln, barfüssig lief der König von Spanien durch die halbfinstern Gange seines Schlosses, keuchend kam er in sein Kabinett. Auf seinem Stuhl sass er und klapperte mit den Zahnen. Endlich fasste er sich und begann, die Anzeige des Todes seiner Frau zu schreiben. Schreibend fand er Trost. Zwei Stunden spater kamen die Arzte und meideten, die Königin habe einen Sohn geboren, aber zu frühe. Mutter und Kind waren tot. Schweigend wies Philipp die Arzte hinaus. Schweigend schrieb er, an die Königin von Frankreich, an den Kaiser, an den Heiligen Vater, an seine Untertanen. Er schrieb bis zum Morgen und den folgenden Tag lang bis zur Mitternacht. Dann rief er seinen Bruder Juan und seinen Kammerer Eboli und Albas Sohn, Don Ferdinand, zusammen gingen sie zur Palastkapelle, wo Elisabeth aufgebahrt lag, im Schein der Totenkerzen. Lange betrachtete Philipp sein totes Weib. DER THRON ZU ANTWERPEN Seit fünfzehn Jahren war er König von Spanien. Gestern (schien ihm) war er durch London mit der rotlockigen Elisabeth zu ihrer Schwester Marie Tudor gefahren; gestern war er mit seinem Narren (der Narr war tot) an den hohen flandrischen Kirchtürmen vorbeigeritten; gestern hatte der Maler Mor zu St. Quentin den Sieger Philipp im Panzer und Helm gemalt; gestern hatte Philipp zum ersten Mal mit seinem jungen französischen Weib Elisabeth geschlafen; gestern hatte er am Bett seines gestürzten Sohnes Carlos ge\veint; gestern die Osorio, die Guzman, die Eboli erschaut, geliebt, besessen, an einem Tag; gestern, gestern hatte er gelebt. So sahen fünfzehn Jahre aus? Wie ein Wind im Staub? Wie Schatten auf dem Wasser? Was hatte er getan? Begraben hatte er seinen Vater und seinen Sohn, den grossen Karl, den tollen Carlos; begraben sein englisch Weib Marie und sein französisch Weib Elisabeth. Gezeugt hatte er mehrere Bastarde und zwei Töchter. Gegen ihn waren aufgestanden seine Untertanen in Flandern und Andalusien, Reformierte und Morisken. Bankrott hatte der Herr beider Indien gemacht. Umsonst hatte er rund in Europa philippische Parteien bezahlt, im Namen seines Gottes. Da sass er und wog sein Leben. Und er empörte sich gegen sein Los. Und er klagte sich an. Trage war er und betrog und wurde betrogen. Philipp fühlte die schlimme Ungeduld. Er begehrte die grosse Veranderung. Da beschloss er, ein neues Leben zu beginnen. Er freite um des Kaisers Tochter Anna, die versprochene Braut seines toten Sohnes Carlos, und bewirkte die Hochzeit des Königs von Frankreich mit des Kaisers zweiten Tochter Elisabeth, damit die drei katholischen Machte Frankreich, Spanien und der Kaiser eine Liga Gottes bildeten. Er schloss einen Bund mit Venedig und dem Papst gegen die Türken. Er schickte seinen Diener Alba gegen die flandrischen Rebellen und seinen Bruder Juan gegen die aufsassigen Morisken. Er verhandelte mit dem Agenten Ridolfi über eine spanische Invasion in England. Er riistete neue Expeditionen nach Amerika. Nach langen Friedensjahren begann er mit einem Mal und an vielen Stellen den Krieg um die Eroberung der ganzen Welt. Bevor er nach Avila ritt, um sein viertes Weib zu umarmen, die österreicherin, versammelte er seine Rate. Misstrauisch musterte er seine kuriosen Kreaturen. Er hatte sie lange studiert, bis in ihre Blossen. Wer darf sich vermessen und sagen, er kenne einen Menschen ganz? Mit diesen sollte er die Welt gewinnen? Mit Espinosa, dem greisen Polizisten im Purpur? Mit diesem seidenen Jüngling Perez, der nach Ambra duftete und um Hals und Hande goldene Gehange trug und ein Kuppler, ein Spieier, ein Madchenhirt war? Mit dem plumpen Nachtwachter Feria im Kleid von Eisen? Mit dem honigsüssen, entfarbten Kammerdiener Eboli, in des Königs abgelegtem, schwarzsamtenen Anzug? (Philipp trug seine Kleider einen Mond lang und verschenkte sie.) Vor ihm zappelten seine Diener wie an Schnüren. Dem hatte er ein Fürstentum, dem andern den roten Kardinalshut, jenem den Titel Herzog, dem vierten sein Vertrauen geschenkt. Zog Philipp finster die Braue, verblichen die bunten Puppen wie vor dem Wind von Madrid, der zu schwach ist, um eine Kerze, stark genug, um eines Mannes Leben auszublasen. Forschend prüfte Philipp das subalterne Gewimmel der Sekretare hinter den Grossen, die ehrgeizigen Vipern von der Kanzei und der Kanzlei. Aus welchen wollte er eines Tages neue Grosse machen? Perez, der aus den Briefen an den König zuwahlen hatte, welche geheim zu halten, welche dem Staatsrat vorzulegen waren, las mit fröhlich tanzelnder, gleichsam schmunzelnder Stimme aus Albas Brüsseler Briefen Hymnen auf Alba vor, wahre Triumphgesange. Der König fror, trotz Pelzmantel, Hut und Samtschuhn, da noch die Trauben auf den Feldern und die Himmel über ihnen blau und golden im Lichte glanzten. Philipp war sehr abgemagert, seit er zu Almagro auf seiner Arzte Rat einen Sauerbrunnen getrunken hatte, der berühmt war, viele Krankheiten zu heilen, ihm aber eine langwierige Diarrhöe beschert hatte, bis er sich endlich purgiert. Er fühlte sich nicht wohl; zum vierten Male Brautigam, schien er zum ersten Mal bang zu misstallen. Am frühen Morgen hatte er wehmütig lachelnd im Spiegel sich betrachtet. ,,Da hast du", hatte er zu Eboli gesagt, ,,da hast du den Brautigam einer Neunzehnjahrigen, den Kahlkopf, den graubartigen, von der Gicht gekrümmt, dreiundvierzig Jahre alt — kommt nun das wahre Leben?" Da sass er, sorgenvoll und feierlich, mit der Feder in der Hand und lauschte dem muntern, wohlduftenden Jungen und den geschriebenen Prahlereien des wilden Greises Alba. „Genug!" sagte der König. „Der Herzog Alba", begann handereibend Eboli, „be- grüsst uns mit taglich lautern Siegesfanfaren. In seinen Briefen geht die Sonne seines Triumphes nicht unter. Eitel Wonne! Er ist rührig. Gestern schlug ihn der Nassau bei Heiliger Lee, heut vernichtet er bei Jemmingen den Nassau. Oranien, der mit dreissigtausend Deutschen in Brabant einfallt, bietet, dreissigmal das Lager wechselnd, dreissigmal dem Herzog Alba die Schlacht vergebens an, bis seine unbezahlten Mietlinge meutern und nach Deutschland heimkehren. Nassau und Oranien, die nach !• rankreich flohen, um unter den Fahnen des Rebellen Coligny zu f echt en, sahn auch ihn geschlagen und sitzen nun zuhaus im Elend, in ihrem Deutschland, von seinem bösen Weib der eine, von Glaubigern beide gepiekt. Alba baut in den grossen Stadten Flanderns Zitadellen, Tyrannennester heisst sie das Volk, Alba tötet und konfisziert. Die Provinzen werden wie Totenacker still, der grosse General steht auf dem Gipfel, riesenhaft. Wird er sich oben halten? Wo blieben die versprochenen Goldströme, ellentief? Flossen sie in die Taschen seiner Blutrichter oder seines Sekretars, des einaugigen Albornoz? Es gibt Briefe, die den Alba anklagen, aus Oraniens konfisziertem Brüsseler Palast Gemalde beiseite getan zu haben. Der Herzog hat von vier Amnestieentwürfen, die wir ihm vor geraumer Zeit gesandt, endlich einen, man sagt den hartesten, verkündet. Der Pomp war gross. Auf dem Markte zu Antwerpen erhob sich in der Mitte einer glanzenden Tribüne ein goldener Thron. Auf diesen Thron hat Alba sich gesetzt. Hinter ihm funkelten die Generale, die hohen Beamten, auf dem Markt die Truppen, dahinter Bürger. Auf der Tribüne Stufen stehen die beiden schönsten Weiber von Antwerpen nackt, die eine halt die Wage der Gerechtigkeit, die andere des Friedens ölzweig. Alba tragt Hut und Schwert, die ihm der Heilige Vater zum Geschenk gemacht hat. In allen Briefen, die wir empfangen, steht derselbe Satz: ,Der Herzog sass wie ein König da.' Er sprach wie ein Prophet. ,Heute', sagte er, ,beginnt ein neues Zeitalter!' Danach verlas ein Herold die Amnestie, hastig leise. Es war der 14. Juli. Die Sonne, schreibt man mir, stand so heiter am ho- hen Himmel. Der rohe Pöbel klatschte abwechselnd den nackten Weibern und dem erhabenen Vizekönig zu. Für einen Alba mag es eine schone Stunde gewesen sein." „Es ist nichts! Es ist nichts!" sagte Philipp auf die bekannte Art Albas. Eboli fuhrt fort: „Auch ein Denkmal in Erz hat Alba sich errichtet, in der neuen Zitadelle zu Antwerpen, eine kolossale Bildsaule aus den erbeuteten, eingeschmolzenen Kanonen Oraniens. Der grosse Alba setzt seinen erzenen Fuss auf eine liegende doppelköpfige Figur, es ist symbolisch. Der Künstler heisst Jongeling. Auf den Sockel liess Alba in Erz graben: „Dem grossen Herzog Alba!" „Es ist nichts!" wiederholte der König. Eboli fuhrt fort: „Die Kassen des grossen Herzogs sind leer, er schreibt es taglich, die Amnestie hat keinen Hund in Flandern gerührt; Albas siegreiche Regimenter, sechsundfünfzigtausend Veteranen, seit zwei Jahren nicht bezahlt, meutern schandlich, der Herzog schreibt es taglich. Die riesigen Konfiskationsgewinne sind verschleudert. In Valenciennes, fast leer geplündert, blieben, nach allen Unkosten, für die Staatskasse dreihundertzwanzig Dukaten, zehn Sols, drei Pfennige, laut Albas Rechnung. Alba kostet Spaniens Kassen schon sechzehn Millionen Dukaten. Nun wird der Soldat Finanzmann. Von allem, was der Niederlander hat, soll er für einmal ein Prozent zahlen, fünf Prozent vom Erlös jedes Grundstücks, zehn Prozent vom Erlös aller Waren. Strömt nun das Gold? In Brüssel öffnen sie die Laden nicht mehr, die Brauer brauen kein Bier mehr, die Backer backen nicht, die Schlachter schlachten nicht. Nehmt unsere Waren, sagen die Ladner, macht euch bezahlt! Brauen Sie, sagt der Magistrat zu Alba, wir liefern Ihnen die Bottiche, die Knechte, die Schankkonzession. Dem Prasidenten Viglius, der erklart, die Steuern seien nicht einzutreiben, schreit Alba ins Gesicht, er habe das Gegenteil gesagt, und als der Prasident ableugnet, schreit Alba: „Aber Sie haben es, Sie haben es, Sie haben es gesagt! ' und schwört, ihn zu züchtigen, dass es zum Stadtgesprach wird, Alba wolle dem Viglius ans Leben. Uns ver- spricht Alba zwei Millionen Dukaten jahrlich aus diesen ingeniösen Stcuern, obendrein die Kosten der Verwaltung der Provinzen und der Okkupationsarmee. Man schreibt mir: ,Der Handel stirbt. Der Kredit schwindet.' Soll von den ganzen Niederlanden nichts uns übrig bleiben ausser Albas Bildsaule?" „Also absetzen", fragte Philipp, mit seiner Schreibfeder spielend, „den Vizekönig absetzen?" Eboli erwiderte mit heiterer Festigkeit: „Was ich immer riet, Sire, gegen Untertanen: Milde und die Ostentation der Macht!" Da fragte, rot vor Zorn, der hochmütige Espinosa, Albas letzter Freund bei Hof: „Ist das der Dank für hundert volle Siege? Schickt man ihn in die Wüste, weil er triumphiert? Wer hat Horn und Egmont und fünfhundert ihresgleichen geköpft? Wer Nassau und Oranien, die französischen Calvinisten und deutschen Lutheraner hinausgeprügelt und die Provinzen gestillt? Schreibt nicht der tiefe Kenner niederlandischer Verhaltnisse, der kluge Vizekönig von Neapel, Kardinal Granvella, es sei mit dem stolzen Oranien aus? Und sogar Wilhelms Freunde, der Landgraf von Hessen und August von Sachsen und die kaiserliche Majestat, die soviele Ketzer freundlich hütet, schreiben sie nicht alle dem Oranien: ,Eure Hoheit müssen still sitzen!' Da sitzt er nun zu Dillenburg, verschuldet, vertan, sein Stern ist verloschen, da sitzt er nun auf seinen vergilbten, frechen und feigen Manifesten, der ,Rechtfertigung', der .Warnung', der .Kriegserklarung an den Herzog Alba', was hat er nun zu rechtfertigen, wen will er warnen, wem seinen Krieg erklaren, der Armselige? Er ist verloren für immerdar! Und wer traf ihn so tödlich ? Alba, der Vielgeschmahte, der Grosse!" „Als der Kaiser", erwiderte langsam der König, „unsern Vetter Karl, den Erzherzog, nach Madrid geschickt, um für Oranien und die Niederlande unsere Grossmut anzugehn und den Erzherzog zum Vizekönig anzubieten, hielten wir am Alba fest und rühmten seine Taten und erwiderten, wir brauchten Vizekönige, denen wir notfalls den Kopf abschneiden könnten, und wir schickten hunderttausend Dukaten dem Vetter Karl, damit er um unsere Nichte Anna für uns freie. Wir kennen die Verdienste unserer Diener." ,,So straft man den Erfolg?" fragte Espinosa. „Und schandet das Verdienst? Ich besitze Brüsseler Briefe, die beweisen, dass dieser Schwall von Klagen aus dem Mund geheimer Ketzer sich ergiesst. Der Teufel ist der Vater der Unzufriedenen. Und war es bei Granvella anders? Man zielt nach dem Diener und trifft den Herrn. Will König Philipp seine treuesten Diener ungeprüft fortjagen?" „Ungeprüft? fragte Philipp gekrankt und drohend. Die Minister blickten betreten zu Boden, die Schreiber zitterten, der Grossinquisitor verstummte. Der König erklarte: „Wir wollen unsern Gesandten Don Alava, der Paris verlasst, nach Brüssel gehen heissen, um den Herzog zu besuchen und insgeheim an Ort und Stelle sich umzutun und uns Bericht zu geben. Nach seinem Rat werden wir beschliessen." IM RAT DER MÖRDER In der Nacht führte Perez den Ridolfi vor den König. Gross und finster standen vor den Türen die deutschen Leibwachter, gestützt auf riesige Lanzen. Frech trat Ridolfi ein und stockte vor des Königs schwe- rem, nachtigem Bliek. Benommen bog er das Knie. Wie Schatten sah er hinter dem König den Grossinquisitor und Eboli stehn. Ridolfi, ein junger Bankier aus Florenz, der für England und Spanien mehrere Staatsanleihen abgeschlossen hatte, stand zum ersten Mal vor Philipp, über dessen gezahlte r inanzkenntnisse und zahllose Liebesabenteuer er so oft schon gespottet hatte. Ridolfi glaubte den ganzen Apparat er Konige zu kennen, den nachgemachten Zauber, den Theaterdonner. Possen! dachte er, soll ein Republikaner aus Florenz, ein zynischer Geschaftsmann, ein Italiener, der alle Spanier verachtet, vor diesem Philipp zittern, nur weil die halbe Welt ihm zinst? Ridolfi dachte: Mir zinsen Könige! „Sire", begann er, endlich lachelnd, „ich komme als Geheimagent der unglücklichen, von Blut und Liebe wunderbar verschönten Maria Stuart, Königin von Frankreich, Schottland, England, die zu ihrer heuchlerischen Base Elisabeth Tudor fliehend Schutz gesucht und ein Gefangnis gefunden hat." Ridolfi stockte. „Die Majestat hört Sie!" sagte Perez. „Man muss diese Elisabeth kalt machen", begann Ridolfi, „es ist so leicht! Im August geht sie von London aufs Land. Da langt man sie und schlachtet sie, besetzt den Tower, verbrennt die Flotte in der Themse, befreit Maria Stuart, vermahlt sie mit dem Herzog Norfolk, der sie vom Hörensagen liebt, setzt sie auf Englands Thron, söhnt England mit dem Heiligen Vat er aus und gewinnt so ein ganzes Reich dem wahren Glauben, dem katholischen zurück." Ridolfi wartete auf ein Wort des Königs. „Die Majestat hört Sie!" sagte Perez. „Der Heilige Vater", begann Ridolfi, „kennt unser Projekt und schrieb mir, arm wie er sei, wolle er seine Abendmahlskelche, ja seine Garderobe verkaufen, um uns Geld zu schaffen. Wir brauchen sechstausend Arkebusiere für England, zweitausend für Schottland, zweitausend für Irland, viertausend Arkebusen, zweitausend Brustharninische. Die englischen Katholiken und Emigranten warten, die Iren sind bereit, der Heilige Vater liefert Geld, wir brauchen nur ein paar flandrische Regimenter!" Wieder schwieg Ridolfi. Er hatte seine Stunde gut gewahlt. Mehrere spanische Schiffe mit einem Goldschatz von zweimalhunderttausend Dukaten, die Philipp in Genua zu hohen Zinsen geliehen hatte, um sie an Alba zu schicken, flohen nach Plymouth und Southampton vor den Meergeusen, niederlandischen Religionsflüchtlingen, die mit Kaperbriefen Oraniens oder Colignys dem Alba den Krieg geschworen hatten und mit ihren Feluken und Brigantinen fromme Piraterie trieben. Auf den Rat Cecils, der dem Oranien helfen wollte, raubte die Königin von England, mitten im schönsten Frieden, die spanischen Schiffe und liess Gold, Matrosen und Kapitane nach London schaffen, das Gold in ihre Kassen, die Leute ins Gefangnis, wo sie vor Hunger fast umkamen. Elisabeth, sozusagen das Haupt der Reformation, war schon lang die Partnerin des Piraten Hawkins, dem sie das Kaperschiff Jesus' ausgerüstet hatte, und der auf Halbpart mit der jungfraulichen Königin von England die Bevölkerung ganzer Orte an der Küste von Spanisch-Guinea raubte, um sie auf den Sklavenmarkten anderer spanischer Koloniën gegen Gold und Gewiirze umzutauschen. Dem spanischen Gesandten, der zu London gegen den Raub der zweimalhunderttausend Dukaten im Namen des Völkerrechts protestierte, antwortete Elisabeth, sie hatte das Gold vor den Meergeusen retten wollen, ausserdem brauche sie eine Anleihe so gut wie Alba, und die Genueser Bankiers hatten alles Interesse, das Gold ihr zu leihen, da es nun in ihrer Hut sei. Alba verhaftete in den Niederlanden alle Englander, konfiszierte ihre Schiffe und Waren, Philipp tat desgleichen in Spanien. Elisabeth tat ebenso mit Spaniern und Niederlandern. Alba sandte zwei Neapolitaner Meuchelmörder nach London, Philipp zwei Schotten nach Brüssel, die geschworen hatten, Elisabeth zu vergiften, Alba gab den Schotten und Neapolitanern viel Geld und reichliche Versprechungen, Elisabeth fing und hing die beiden Schotten und die zwei Neapolitaner. Da keine englische Wolle mehr nach Flandern kam, fehlten in Sevilla die flandrischen Tuche, für die man in Amerika Gold und Gewiirze einhandelte. So blieben Philipps Goldflotten aus und Alba musste gütlich mit Elisabeth verhandeln. Philipp war zornig. Schon hatte der Papst Pius die englische Königin exkommuniziert, als verstockte Ketzerin, die alles Gesindel von Europa um sich sammle. Nun kam Ridolfi. Er gefiel dem König von Spanien. Philipp dachte: Fangen, diese Seerauberin Elisabeth; an ihren roten Locken sie herunterreissen vom Throne Englands; schlachten die Feindin Gottes! Perez sagte: „Seine Majestat will über die Sache nachdenken. Der König hofft, Gott, dessen Sache es ist, König Philipp der Zweite 25 werde ihn erleuchten. Wir wünschen feurig das Gelingen Ihrer Plane." „Und die flandrischen Regimenter?" fragte Ridolfi unruhig, der schon in Brüssel vergeblich mit Alba verhandelt hatte. Da sprach der König endlich. Er sagte: „Vor einer Stunde kam ein Kurier. Elisabeth hat den Herzog Norfolk festgenommen, Maria Stuart kam in hartere Haft, unser Gesandter ist aus England ausgewiesen." Prüfend forschte Philipp in den Zügen Ridolfis. Wie trug der Florentiner den Schlag? Philipp brannte vor Begier, ins Herz der Menschen zu schaun. Ridolfi hielt sich tapfer. Nur sein Lacheln starb. Er sagte: „Ein Zwischenfall, Sire! Im Grunde hat sich nichts geandert. So werden wir also diese Elisabeth fangen und abschlachten müssen, um auch den Herzog Norfolk zu befrein." Ridolfi gefiel dem König. Beharren bis zuletzt, niemals die Plane wechseln, das schien dem König der Grosse Merkmal. Gnadig reichte er dem Mörder seine Hand zum Kusse. Der König schrieb an Alba: ,Ich schicke Ihnen den Ridolfi. Er ist kein Maulheld, wie Sie schrieben, auch wenn die Börse von Antwerpen seine Projekte kennte. Schon vor fünfzehn Jahren sagte man an der Börse zu Antwerpen, ich wollte die Elisabeth Tudor umbringen. Bereiten Sie insgeheim die Invasion vor, ohne mit England offiziell zu brechen! Diese Sache mit Ridolfi kann, seit der Erscheinung Christi auf Erden, die wichtigste Entscheidung für den wahren Glauben bedeuten.' DAS HEIMLICHE GERICHT Montigny sass im Turm zu Simancas vor einem leeren Blatt Papier. Wie verhext starrte er auf die halb herabgebrannte Kerze vor ihm, die so langsam wegschmolz. Schon hundertmal hatte er die Feder angesetzt, um seiner Frau den letzten Brief zu schreiben. Vor der Tür stand der Henker. „Deine letzte Stunde!" sagte leise mahnend der Mönch neben ihm. In der vorigen Nacht war Montigny aus dem Schlaf gefahren. In der Tür hatte er die schwarze Kutte gesehen. Der Mönch hatte gesagt: „Fasse Mut, Montigny! Vor der Tür steht der Henker." Da waren vier Manner eingetreten. Nur den Festungskommandanten kannte Montigny. Die andern hatte ihre Tracht verraten, den Richter, den Notar, den Henker. Der Henker trug eine Fackel. Der Richter hatte gesagt: „Montigny, du musst sterben!" Der Notar hatte ein gesiegeltes Papier entfaltet und das Urteil gelesen. Alba hatte es gefallt, zu Brüssel. „Montigny", las der Notar, „du bist ein Hochverrater, wie dein Bruder Horn, wie Egmont. öffentlich solist du mit dem Schwert enthauptet werden. Deinen Kopf soll man auf einen Pfahl stecken, solang es dem König gefallt. Deine Güter zieht er ein." Der Richter sagte: „Das Urteil ist gerecht. Aus grosser Gnade mildert es der König. Heimlich wirst du im Kerker hingerichtet. Zur Schonung deiner Ehre wird der König schreiben, das Fieber habe dich getötet." Der Gefangene hatte ein gewisses starres Lacheln bewahrt. Als der Henker die brennende Fackel genahert, hatten alle gesehen, dass den Gefangenen ein fürchterlicher Krampf hielt. Der Richter hatte den Krug vom Fensterbrett genommen, der Notar hatte ihn dem Mönch gereicht, der Mönch hatte das Gesicht des Gefangenen mit dem schalen Wasser besprengt, als wollte er das Lacheln Montignys ersaufen. Endlich war der Herr Gesandte der Niederlander zur Besinnung gekommen, mit den Lidern schlagend und tief seufzend. Sein krampfiges Lacheln hatte sich in einem Strom von Tranen gelost. Um der Ordnung der Gesetze willen hatte der Notar mit sehr lauter Stimme, als sei Montigny inzwischen ertaubt, das ganze Todesurteil nochmals vorgelesen. Auch der Richter hatte ein zweites Mal seine anbefohlenen Erklarungen gegeben. Danach hatte der Kommandant mit gewohnter Barschheit erklart, aus grosser Gnade empfange der Verurteilte vom König vierundzwanzig Stunden Frist, um seine Geschafte mit dem Himmel abzuschliessen. Ein neuer Strom von Tranen hatte sich aus den Augen Montignys ergossen. Der Henker hatte die Fackel dem Kommandanten übergeben, der Kommandant war hinausgegangen, hinter ihm der Richter und der Notar. Der Mönch hatte aus seiner Kutte ein Brevier gezogen und sich niedergelassen. Der Henker trat vor die Tür. Vor vier Jahren war Montigny, der Gesandte der Niederlander, von Brüssel fortgeritten. Mit hundert Gnaden hatte ihn der König zu Madrid empfangen, mit hundert Wachtern ihn gehütet. Als Alba schrieb, er habe Hom und Egmont, setzte der König den Gesandten in den Turm zu Segovia und vor seine Tür acht Wachter und in seine Zelle den Pagen Artur Munter. Eines Morgens sah Montigny durch sein vergittertes Turmfenster Pilger in flamischer Tracht durch die Strassen von Segovia ziehn und lauschte ihrem frommen Singsang. Plötzlich unterschied er die vertrauten flamischen Laute und erkannte, die Pilger sangen nicht den Text der Hymnen, sondern die fürchterlichste Kunde. -Hingerichtet', sangen sie, ,hat der Metzger Alba deinen Bruder Horn, hingerichtet deinen Freund Egmont. Es spritzte ihr rotes Blut auf den Grossen Platz zu Brüssel. Unsere weissen Tücher tauchten wir ins Blut, schweigend, ohne Tranen. Nur die spanischen Soldaten weinten ob dem tristen Tod so grosser Helden. Nur der Metzger Alba dort an seinem hohen Fenster sah herab und vergoss helle Tranen.' Montigny klammerte sich fester mit den kalten Fingern an die Gitterstabe. ,Fliehe', Montigny', hörte er sie singen. ,Vor deiner Tür steht schon der Henker. Freunde hast du in der Kneipe vor dem Tore nach Valladolid.' Montigny hatte den altesten seiner acht spanischen Wachtsoldaten bestochen. Sein Haushofmeister trug zum Turm Pasteten und Brote, von Montignys Koch gebacken, mit Briefen oder Feilen im Teig; er schaffte sogar eine dünne Strickleiter in die Zelle. Zu Hernani hielt ein gewisser Freund Pferde zur Flucht nach Santander bereit, dort harrte eine Jacht. Im letzten Brot riet ein Brief, Montigny solle sich den Bart abschneiden und im Kleid des bestochenen Wachters entfliehn. Der Haushofmeister, sehr verliebt in eine spanische Witwe, blieb zum Abschied zu lang in ihrem Bett. Der Koch trug statt seiner das Brot zum Turm und zitterte, ward vor den Kommandanten gebracht, begann zu weinen und seine Unschuld zu beschwören. „Auch ich bin hungrig", sagte der Kommandant, und brach das Brot und fand den Brief. Auf der Stelle liess er den spanischen Wachtsoldaten und den Pagen Munter töten. Die andern, zum Tod verurteilt, wurden zur Galeere begnadigt. Der verliebte Haushofmeister erhielt obendrein zweihundert Stockschlage. Montigny kam in engere Haft. Im zweiten Jahr eröffnete Alba den Prozess Montignys zu Brüssel. Im dritten Jahr ward Montigny im Kerker zu Segovia verhort, im vierten Jahr in Abwesenheit in Brüssel zum Tod verurteilt. Zwei Wochen spater sandte Alba ein Rundschreiben an alle Alkalden und Korregidoren von Kastilien und forderte sie auf, das Urteil zu vollstrecken. Lange debattierte der Staatsrat zu Madrid. Die Folgen einer öffentlichen Hinrichtung fürchteten alle. Die Minister rieten, kleine Dosen Gift taglich in Speis und Trank des Gefangenen zu mischen, bis er hinsterbe. Der König erklarte: ,Der Gefangene muss seine Strafe kennen und erleiden. Eine ordentliche Hinrichtung finde statt, doch bleibe sie geheim; die Welt glaube, ein Fieber habe den Montigny weggerafft.' König Philipp entwarf die nötigen Briefe, bestimmte den Beichtiger, den Richter, den Notar, den Henker. Niemand ausser den beteiligten Beamten, sollte von der Hinrichtung erfahren, niemand ausser der Nachwelt. In dem selben Turm zu Simancas, wo Montigny sterben sollte, liess König Philipp, gleich andern Dokumenten seiner Regierung, auch diese geheimen Prozessdokumente aufbewahren, damit die Nachwelt alles wisse; vor der Nachwelt hatte König Philipp nichts zu verbergen. Ihres Urteils fühlte er sich sicher. Auch Montigny erfuhr die sonderbaren Einzelheiten der Aktionen Philipps. Der Beichtvater gestand sie ihm. „Der König", erzahlte der Mönch dem Gefangenen, „der König befahl dem Kommandanten Peralta, Sie aus dem Turme zu Segovia zu schaffen, weil der Kommandant von Simancas zuverlassiger ist als der Kommandant von Segovia. Der König versetzte den Richter Arellano von Sevilla nach Valladolid, weil Arellano für seine Diskretion berühmt ist. Der König schrieb eigenhandig eine Instruktion für den Richter, dass die Hinrichtung durch die Garotte stattfinden solle. Der Notar solle das Urteil lesen, der Kommandant Sie trosten, ich Ihre Beichte hören. Zwischen ein und zwei Uhr morgens soll man Sie hinrichten. Der Henker soll vierundzwanzig Stunden vor der Tür stehn. Kein Testament, weil Ihre Güter dem König verfallen! Ein Verzeichnis Ihrer Schulden, wenn hervorgeht, dass Sie es als schwerkranker Mann schrieben, der seinen Tod herannahen fühlt! Nach der Hinrichtung soll man Sie in eine Franziskanerkutte stecken, damit Ihre Diener, Ihre Identitat bezeugend, nicht die Strangulierungsmale an Ihrem Hals sahen. Sie kennen die Garotte?" fragte der Mönch. Montigny schwieg. „Das Instrument ist billig", erklarte der Mönch, er hiess Bruder Ferdinand. „Man bindet einen Strick um Ihren Hals, tut ein Stück Holz hinten in die Schleife, dreht das Holz um und zerbricht Ihren Halswirbel, ohne dass man in Ihrem Gesicht Spuren sieht. Nach Ihrer Exekution macht man bekannt, ein Fieber habe Sie weggerafft. Der König hat den diesbezüglichen Brief des Kommandanten schon aufgesetzt. Der König befahl, Sie in der Erlöserkirche zu Simancas zu begraben. Ein kleiner Pomp, ein mittlerer Grabstein sind zu bewilligen. Eine grosse Messe und etwa siebenhundert kleine Messen dürfen für Sie gelesen werden. Da Sie nur wenige Diener haben, bewilligt der König für jeden einen Traueranzug. Soweit des Königs Brief an den Richter! Ferner befahl er dem Richter, einen Fetzen Papier dem Kommandanten zu überreichen. Der Zettel enthielt auf lateinisch folgende vom König entworfene Worte: ,Entfliehen Sie zwischen dem 8. und 12. Oktober, schlagen Sie den Weg zum Schlosstor ein. Sie werden Robert und Johann mit Pferden finden. Gott segne Ihre Unternehmung. D.R.P.' — Diesen Zettel warf der Kommandant vor Ihre Tür, und fand ihn an derselben Stelle eine Stunde spater, da er die Wachter inspizierte, er geriet in Wut und trat zu Ihnen ein..." „Das", sagte Montigny, „war der ominöse Zettel? Und Sie sagen, Philipp sei ein Christ? Ich Narr schwor hundertmal, ich wüsste nichts! Der Kommandant wollte meine Helfershelfer wissen! — Und dafür schaftten sie mich in diesen verdammten Bischofsturm?" „Der Kommandant", erzahlte der Mönch, „sah indes im Brief des Königs nach, was weiter zu geschehen habe." „Noch?" schrie Montigny. „Noch mehr Teufeleien?" „Nicht mehr viele", sagte Bruder Ferdinand. „Im Briefe des Königs stand: ,Im feuchten Bischofsturm wird Montigny schwer erkranken, aber alle Pflege erhalten, die mit der Sicherheit des Kerkers zutraglich ist. Dies wird der Kommandant dem König melden. Auch diese Meldung hat der König schon aufgesetzt, der Richter hat den Brief aus Madrid gebracht, nun unterschrieb ihn der Kommandant, setzte das Datum und sandte ihn offiziell dem König. Dann weihte man einen Arzt aus Valladolid ein, mit fürchterlichen Drohungen hiess man ihn schweigen, er lud einen Korb mit Arzneien auf seinen Esel, und ritt zum Bischofsturm." „Der arme Narr", sagte Montigny, „er blieb von ferne an der Tür stehn, sah mich angstlich flehend an, fragte endlich: ,Haben Sie Beschwerden ?' Und als ich nichts erwiderte fragte er: ,Der Stuhl ist also regelmassig?' Und als ich schwieg, begann er eine Reihe lateinischer Krankheitsnamen herzusagen, als sei er ein Kandidat, dazwischen sprach er das Vaterunser, schliesslich lief er fort. Jetzt verstehe ich ihn." ,,In Valladolid", erzahlte der Mönch, „verbreitete der Arzt mit der Geschwatzigkeit derer, die Geheimnisse hüten müssen, und mit hochbezahltem Eifer die Nachricht, dass Sie todkrank darniederlagen." „Bis gestern", gestand Montigny, „hoffte ich noch auf Gnade. Der Kommandant hat mir erzahlt, dass die Erzher- zogin Anna in Brüssel meiner Mutter, von ihren Tranen gerührt, versprach, als erstes von ihrem Brautigam Philipp meine Freiheit zu erbitten." „Und darum", erklarte der Mönch, „sterben Sie schon jetzt, damit der König nicht die erste Bitte seiner Frau ablehnen muss!" „Beten wir", bat Montigny. Montigny beichtete. „Ich bin unschuldig", schwor er. „Ich kannte Oraniens Plane nicht. Ich bin kein Ketzer. Ich will es aufschreiben, dass ich als frommer Katholik sterbe. Ich war es in jeder Stunde meines Lebens. Ich bin unschuldig. Ich schwöre es tausendmal." Plötzlich schwieg er und starrte unsicher den Mönch an. Der Bruder Ferdinand schien nicht viel alter als Montigny zu sein. Er hatte tiefliegende, kleine, feurige Augen. Er war hager und hinkte. Er sprach mit einer erbarmungslosen Prazision und mit eleganten Gesten, die bald zu enthüllen, bald zu verbergen schienen. Er war dem armen Montigny fremd wie kein zweiter Mensch und tief verdachtig wie alles Böse. So viele gute Menschen, dachte Montigny, sah ich in meinem Leben und muss die Gesellschaft dieses Teufels in meinen letzten Stunden dulden ? „Warum", fragte er, „warum erzahlen Sie mir die Geheimnisse des Königs?" Der Mönch antwortete sogleich, ohne die geringste Spur der Verwirrung. „Ich hasse den König Philipp. Er beleidigt die Menschheit. Er will Menschen wie Steine behaun, wie Lehm kneten, wie Mehl mahlen. Die gewöhnliche Sorte von Tyrannen verachtet die Menschen. Philipp liebt uns sogar. Es war ein Irrtum, ihn so hoch zu setzen. Da sitzt er nun, wie in den Wolken, und pfuscht." Montigny war so erstaunt, dass er beinahe seine Angst vergass. Aber sein Misstrauen war starker. „Sie geniessen das Vertrauen des Königs", sagte er. Der Mönch schloss die Augen. Er hielt den Kopf schief, als lausche er. Plötzlich öffnete er seine feurigen Auglein. Montigny fühlte diese Blicke auf der Haut brennen. „Das ist der Fehler der Tyrannen", erklarte der Mönch, „sie kennen die Menschheit so genau, und keinen Menschen richtig. Darum halten sie sich so lange, und behalten immer unrecht." „Sie sind Dominikaner?" fragte Montigny. „Dienen Sie der Inquisition?" Der Mönch verneinte. Da fragte Montigny: „Hiess Sie nicht der König, mir seine Geheimnisse zu vertraun, um mich zu foltern? Und darum erlaubt er mir, meiner Frau zu schreiben, nur wenn ich lüge und wie ein Schwerkranker schreibe, der seinen Tod herannahen fühlt ? Ich soll seinen Betrug kronen! Zu seiner Sicherheit soll ich mein Gewissen schanden, eine Stunde vor meinem Tod! Soll sein Mitschuldiger werden! Ein Schurke wie er und — Sie!" Der Mönch antwortete kalt: „Auch die Schurkerei hat Grenzen. Sie gleichen einem Knaben, der zum ersten Mal erfahrt, dass seine feurigsten Gefühle vom selben Instrument bedient werden, mit dem er sein Wasser lasst. Statt die wunderbaren, einfachen Mittel der Natur zu verehren, wird er zynisch. Wer zwingt Sie, zu lügen?" „Mein feurigstes Gefühl!" rief erbittert Montigny. „Nicht nur der Hass, auch Liebe kann uns zu Schurken machen. Soll ich sterben und meiner armen Frau kein Wort lassen?" „So lügen Sie!" befahl der Mönch. Wieder hob Montigny die Feder und bückte sich über das leere, weisse Blatt Papier und seufzte tief und schrieb endlich in einem Zug, vom Tod gehetzt. Vor der Tür stand der Henker. Montigny siegelte den Brief, reichte ihn dem Mönch, nahm eine feine goldene Kette vom Hals, an der sein Siegel hing, und bat den Mönch, beides seiner Frau zu senden. „Sie heisst Helene", sagte er wie zur Erlauterung. Er wiederholte den Namen „Helene", und brach in Schluchzen aus, und schrie: „Sie heisst Helene", als lage eine Welt in den paar armen Silben. Danach setzte er sich und griff nach dem frommen Buch des Pater Luis de Granada, in dem er wahrend seiner Haft Erbauung gefundenhatte, und begann zu lesen. Vor der Tür stand der Henker. Da ging der Mönch still zur Tür hinaus, zum Komman- danten, und gemeinsam mit Notar und Richter betraten sie die Zelle, hinter ihnen der Henker mit Garotte und Stricken. Montigny war aufgestanden und unbewusst nach rückwarts zur Wand gewichen. Das Erbauungsbuch des Pater Luis de Granada hielt er wie einen Schild vor seine Brust. Mit erstickter Stimme schrie er: „Helene!" Wie um ihn zu beruhigen, las der Notar das Urteil Albas zum dritten Mal. Zum dritten Mal erklarte der Richter das Urteil für gerecht und den König für gnadig. „Gerecht", schrie Montigny, „gerecht heisst ihr das Urteil? Mild heisst ihr den Mord? Ich sass in spanischen Kerkern, und meine Feinde klagten mich in Brüssel an, wie sie wollten. Gerecht heisst sich euer König? Nennt sich der Mörder gnadig?" Der Gefangene verstummte keuchend. Da trat der Mönch zu ihm, führte ihn sanft zum Stuhl, sagte: „Setze dich, Montigny." Als er bequem sass, trat der Henker hinter ihn und band ihn an den schweren Stuhl. Die Tranen flossen unaufhörlich an den Backen des Gefangenen herunter. Als er den Strick am Hals spürte, wollte er schreien, der Henker zog die Schleife, Montigny achzte, der Henker drehte die Garotte um. Als König Philipp am Morgen seiner Hochzeit mit Anna von Österreich im heiteren Segovia den letzten Brief Montignys empfing, erbrach erin hastiger Wissbegier den Brief, um zu prüfen, ob er im Geiste eines natürlich Sterbenden, der sein Ende herannahen fühlt, geschrieben sei. Neugierig las der König den langen Brief von oben bis unten durch; ihn gelüstete stets, ins Innerste der Menschen zu schaun. Für diesmal ward Philipp enttauscht. Der ganze Brief enthielt, in hundertfacher Wiederholung, nur die immer gleichen zwei Worte: ,Teuerste Helene!' DIE ARMEN MORISKEN (,Perimendus est omnis sexus virilis. Occidendus est quicumque maledixit. Occidendus est quicumque malevoluit. Lacera. Occide. Concide.' Trebellius Pollio, Vita Ingenui.) Deza, der Inquisitor von Granada, hatte mit Espinosas Hilfe das königliche Edikt erwirkt. Alle Morisken mannlichen Geschlechts von zehn bis sechzig Jahren mussten sofort ihre Hauser in der Stadt Granada verlassen und in den Kirchen ihrer Quartiere sich versammeln; die Weiber hatten zwei Tage, um ihre Habe zu verkaufen; alle kleinen Kinder waren im Haus der Inquisition abzuliefern. Die Morisken blieben vor ihren Hausern stehn. Ihre Weiber hingen sich an sie und schrien: „Man will euch schlachten!" Der Vizekönig von Granada, Marquis Mondejar aus dem Haus Mendoza, ritt ins Albaicin, die Stadt der Mohren, und schwor umsonst auf jedem Platz: „Morisken, euch tauscht die Furcht." Umsonst schickte Inquisitor Deza Alguazile mit Trommlern ins Albaicin, die ausriefen, der Prasident sichere den Morisken ihr Leben zu. Erst als der Oberstkommandant im Moriskenkrieg, Don Juan d'Austria, mit vier Trompetern ins Albaicin ritt und laut sein königliches Wort gab, den Morisken solle an ihrem Leib kein Schaden geschehen, man werde sie nur aus Granada fortführen, um sie vor den Gefahren des Rebellenkriegs zu schützen, da unterwarfen sich die armen Morisken, friedliche, wohlhabende, waffenlose Bürger inmitten eines Heeres von zehntausend spanischen Veteranen. Wie blind gingen sie durch die wohlbekannten Strassen und suchten ihre Kirchen, als waren sie Fremde in Granada. Sie traten aus dem grellen Tag in die dammernden Kirchenschiffe, Nacht vor Augen, Nacht im Herzen, die getauften, hispanisierten Enkel der freien Mohren von Granada, seit achtundsiebzig Jahren Untertanen der Könige von Spanien. Vor Furcht standen sie die ganze Nacht aufrecht in den Kirchen, zwischen den drohenden Heiligen aus Stein, den blutigen Kreuzen, den Bildern greuelvoller Marterungen. Mit schreckerfüllten Ohren horten sie die ganze Nacht vor den versperrten Portalen das laute Geklirr der Schilde und der Schwerter ihrer spanischen Wachter. Am Morgen band man die Morisken mit Stricken einen an den andern in langem Zug und trieb sie so ins grosse Hospital. So traurig wankten die Verbannten durch die engen Strassen, so feierlich langsam zogen die Vertriebenen, mit angstlichen Schritten, mit schamhaft gesenkten Köpfen, mit gleichmacherischen Stricken jeder Vordere an seinen Folgenden gebunden, wie Verbrecher eskortiert, angetrieben wie eine Herde, ausgeplündert, halbnackt, hungrig, verzweifelt. Als ein einziger Jüngling die Stimme aufhob und einen Alguazil, „sind wir nicht Spanier wie ihr?" fragte und „nicht Christen wie ihr?", und unversehens einen Ziegel auflas und, weil der Alguazil Wahrheit als Frechheit fühlend seinen Stab ihm in die Zahne schlug, dem Alguazil das Ohr abhieb und drauf schnell zusammengehauen wurde, ein blutiger Brei am Rand der Strasse, da liefen viele spanische Büchsenschützen herbei, schwangen unter fürchterlichen Flüchen ihre Schwerter und drohten, im Glauben, Don Juan hatte sein Ohr verloren, alle Morisken niederzumachen, und wollten schon anfangen; da ritt Don Juan mit seiner Leibgarde in den Tumult und schwor, er habe beide Ohren noch, und redete gemass der Sitte aller grossen Generale die Soldaten an, nach den klassischen Mustern militarischer Rhetorik, bis die Büchsenschützen entzückt und beschamt in ihre Reihen gingen. Im Hospital zahlten die königlichen Fiskale die Verbannten, und zahlten dreitausendfünfhundert mannlichen Geschlechts und viel mehr Weiber. Am folgenden Morgen teilte man die Morisken auf dem freien Platz vor dem Hospital in Haufen, versah jeden Haufen mit einer starken Wache, setzte sie in Transport, die einen kamen als Rudersklaven auf die königlichen Galeeren, die andern als Fronsklaven in die königlichen Bergwerke, der Rest als Haussklaven auf die königlichen Sklavenmarkte von Kastilien. Der neue Tag stieg über den roten Türmen der Alhambra herauf, als der Zug der kettenklirrenden Verbannten durch die Tore von Granada fortzog, hinter sich die Heimat. Schon wenige Stunden weiter fielen die ersten Verdurstenden um. Sie starben auch vor Hunger, vor Schwache, auch vor Schlagen. Die spanischen Wachter, gleichfalls arme Leute, gleichfalls meist Familienvater, hingen viele arme Morisken an die staubigen Ölbaume zu beiden Seiten der Strassen, nahmen zuerst Geschenke und raubten dann den Rest, schliesslich verkauften sie viele Morisken in allen Dörfern und Stadten am Weg. Sie hiessen die Morisken: ,Die Feinde Gottes'. Der neue Name haftete. Dreizehnhundert mannlichen Geschlechts verdarben unterwegs, und viel mehr Weiber. Das Volk von Granada, alte Christen, alte Spanier, stand vor den Toren, unter den schattigen Ölbaumen und in den goldenen Zitronenhainen, und betrachtete den Auszug der Morisken aus Granada. „So teuer", sagte Mendoza, der aus Madrid Verbannte, zu seinem Vetter Mondejar, unter dem silbernen Laub der ölbaume am Rand der Strasse, wo sie und andere Edle die angeketteten Morisken hinwanken salin, „so teuer bezahlen die armen Menschen den Ruhm der Generale. Unser Neffe Eboli, der den Alba nicht leiden kann, schickt diesen hübschen, jungen Mann auf den alten Ruhmesmarkt Spaniens zur Schule, um einen neuen Feldherrn zu fabrizieren, der den Alba überflüssig machen soll. Don Juan d'Austria weiss noch nicht, wie billig Lorbeeren im Krieg gegen Untertanen zu erwerben sind. Und König Philipp hat seinen heiligen Kreuzzug; ob gegen den Sultan der Türken oder gegen Spaniens Gartner und Hirten, was kümmert es einen grossen König?" Mondejar sah sich erschrocken um. „Still, Vetter!" bat er. „Deza kann dich horen. Er hat Spaher unter uns." „Ich bin siebenundsechzig Jahre alt", erklarte Mendoza mit einer gewissen Scham, „ich lebe als Verbannter. Bliek' hin, Vetter! So schaun Verbannte aus, so elend, ob sie Ketten tragen wie diese, oder frei gehn wie ich. Und von diesen ist keiner alter als sechzig! Straft man einen Greis für einen Knabenstreich? Für zehn Jahre einen alten Mann wie mich verbannen, der so viele Verdienste hat, ich diente schon dem fünften Karl! Soll ein Poet mit ruhigem Blut anhören, wie man seine Verse schmaht? Meine Bücher sind mein Fleisch und Blut. Wer sie krittelt, schneidet in mein Fleisch. Ihn niederschlagen, ist Notwehr. Vetter, du gehst an den Hof. Bitte den König um Gnade!" „Bist du fühllos?" fragte Mondejar, soeben abberufen, weil er nur im Feld die Morisken getötet hatte, nur wenn sie Waffen trugen, aber die Weiber, Kinder, Greise geschont, zum Groll von Deza, Espinosa, Philipp. „Bist du fühllos?" fragte Mondejar. „Du siehst mit Augen diese Wankenden? Dreitausend Ketten, gutgeschmiedete aus Toledo, sandte der König, um sie zu fesseln. Gestern lebten sie heiter, feierten ihre haufigen Feste, hiessen Christen, hiessen Spanier, heut heissen sie die ,Feinde Gottes', man treibt sie in die Fremde, in Sklaverei, ins gewisse Unglück. Du horst den Hunger und die Schwache mit Ketten klirren — und denkst an dich?" „Bin ich Philipp?" fragte Mendoza erstaunt. „Sitze ich in seinem Rat? Soll ich mit allen Opfern Philipps weinen? Er schlachtet ganze Völker, im Norden, im Süden, und überm Ozean. Du musst sehr glücklich sein, dass du mit dem ersten besten Unglücklichen am Rand der Strasse mitleidest. Wer im Elend haust, rette sich zuerst! Soll ich um Morisken jammern, da Philipp uns Spanier zu Sklaven machte?" Mit einem Mal horten alle bald fern, bald naher eine arabische Weise, den vokalisierenden, gurgelnden Gesang, die endlos aufsteigende, kletternde Melodie, vermischt mit dem Geschnarr der Mandolinen, dem Gequak gestopfter Pfeifen und dem aufreizenden Geklapper der hölzernen Kastagnetten. Deutlich und unsichtbar tönten die ferne Musik und der klagende Gesang unter dem schmelzend blauen Himmel, und wie von allen Seiten und nirgendsher. Erst schien die Musik aus den Garten, bald aus den Lüften zu kommen, bald aus dem Grund der Erde, bald aus den roten Türmen der Alhambra, die im ersten Licht der Frühe zu bluten schienen, bald hallte der Gesang, als tönten die silbernen Blatter der ölbaume, unterm Anhauch der Dryaden. „Ein Zauber", murmelte die Menge. „Die Mauern von Granada singen", sagten welche. „Die Alhambra tönt.... Die Winde sauseln so." „Das sind ihre Toten", erklarten andere. „Sie ziehn mit ihnen fort." Viele schauderten wie vor Wundern fremder Götter, die andern gelten und in den Aussenstehenden nur ein süsses Bangen wecken, mehr Lust als Angst. „Horen Sie?" fragte Don Juan, der neben Deza stand, dem Eiferer, den er verachtete. Deza störte seine Plane. Juan strebte, als grossartiger, nicht allzu blutbefleckter Sieger rasch aus Granada fortzukommen, um zu grössern, würdigeren Siegen weiterzurennen. „Hören Sie?" fragte Juan spöttisch lachelnd den Prasidenten Deza. „Zauberei", antwortete Deza, „oder Rebellion. Beide trifft der Tod in Flammen." „Man muss die Zauberer erst kennen, Herr Prasident, die Rebellen erst haben!" „Exzellenz, mit gewisser Gründlichkeit..hob der Inquisitor pedantisch an. Der Prinz, der den Titel Exzellenz, den er mit einem Deza teilte, keineswegs liebte, und gern hörte, wenn man ihn Hoheit hiess, wie es Infanten zukam, welchen Titel freilich ihm der König immer noch verweigerte, der Prinz wies auf eine Schar angeketteter Knablein und sagte: „An Ihrer Gründlichkeit, Senor, sah ich mich satt!" Und wandte dem Inquisitor den Rücken und ritt eine Strecke weiter und sagte zu sich in Gedanken: Falsche Lorbeeren, Juan! Dieser Teufel Deza prellt dich! Du musst fort, Juan!, und schüttelte unzufrieden seine langen, blonden Locken. Im vierten Jahr seiner Regierung hatte König Philipp seinen Morisken verboten, Sklaven zu halten, im siebenten Jahr verbot er ihnen den Besitz von Waffen, im zehnten Jahr verbot er ihre Sprache, ihre Namen, ihre Brauche, ihre Lieder, ihre Tanze, ihre Tracht, sogar ihre Sauberkeit. Die Toten durften nicht mehr nach ihrem Wunsch begraben werden, inmitten ihrer Felder. Den Neugeborenen durften die Morisken keine arabischen Namen geben; ihre Knaben durften sie nicht mehr beschneiden. Die Türen ihrer Hochzeitshauser mussten jedem Fremden offen stehn, damit die Morisken ihre Lust nicht ungestört mit maurischen Tanzen und Gesangen büssen konnten. Ihre Kinder zwischen drei und fünfzehn Jahren sollten sie der Inquisition ausliefern, damit die Kleinen Christentum und Spanisch von Deza lernten. Sie mussten die Schlösser von ihren Türen abnehmen, die Schleier ihrer Weiber zerreissen, ihre seidenen und baumwollenen Gewander fortwerfen, ihre Badegefasse zerbrechen. Sie durften nie mehr baden, nie mehr arabisch sprechen. Urkunden auf arabisch waren nichtig. Sie mussten sich Wamser und Hosen kaufen und Kastilisch lernen. Alle Morisken, die vom Lande stammten, mussten die Stadte verlassen. Wer mit Türken oder Mohren betroffen ward, auch zu Handelszwecken, sollte sterben. Die Strafen begannen mit Gefangnis, Prügeln, Konfiskation und endeten mit Rudersklaverei auf den Galeeren und lebenslanglicher Verbannung. So hatte die königliche Junta unter Espinosa beschlossen, so dekretierte der König, so las es deröffentliche Ausrufervor, arabisch, im Albaicin, derMohrenstadt von Granada, auf dem Platz Bab el Bonat, zwischen den alten Mohrentürmen. So verlasen es die Alguazile im ganzen alten Königreich Granada, in jedem Dorf, in allen Stadten, am Meer, in den Alpujarren, in der Vega, in den Dörfern der Siërra Nevada. Deza sandte seine Polizisten und Konfidenten aus, kleine Schreiber, hungrige Alguazile, die ihren Weibern Hühner, Honig, Früchte und Geld von ihren Inspektionen bei den Morisken heimbrachten. Vergeblich boten die Morisken dem König eine grosse Summe, wenn er das Edikt aufhöbe. Das ging zwei Jahre lang. Ein Farber aus Granada namens Farrar Aben Farrar, aus dem Haus der Abencerragen, stieg mit hundertachtzig Morisken aus den Bergen herab zur Stadt Granada, ein Schneesturm folgte ihm vom Gebirg. Durch eine Bresche der verfallenen Mauern drangen die Morisken ins Albaicin, liefen durch die Strassen, schlugen die Trommeln, machten Larm mit ihren Waffen, schrien: „Allah il Allah" und riefen: „Brüder, waffnet euch!" Wenige Morisken aus Granada gingen zu den Fenstern; ein paar öffneten sie, und schlossen sie wieder; ein einziger, ein mürrischer, zahnloser Greis, murmelte erklarend: „Zu frühe kommt ihr, und ihr seid zu wenige." Da warfen die enttauschten Morisken aus den Bergen ein paar Kruzifixe um und töteten ein paar spanische Soldaten, die sie trafen, zwei Soldaten entflohen schreiend, bald begann die grosse Glocke von San Salvador Sturm zu lauten. Da zog sich der Farber mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel zurück, als hatte er eine Parade abgehalten. Er ritt in die Alpuj arren und ans Meer, ins Gebirge und durch die Taler, und verkündete den Aufstand. In drei Tagen erhoben sich die Morisken von Granada bis Almeria, von Murcia bis Velez Malaga, für den alten Glauben und gegen die Philippische Revolution auf Dekret. Da beschlossen sie, einen König zu wahlen, und fragten die Propheten und Zauberer und horten die Sterndeuter; alle wiesen auf einen Jüngling aus dem Haus der Omeyaden, der Abkömmlinge von Fatima, der Tochter Mohammeds, und vierhundert Jahre lang Könige zu Cordova. Der Jüngling, einundzwanzig Jahre alt, mit wenig Bart, schokoladefarbener Haut, grossen, schwarzen Augen und zusammengewachsenen Brauen, hatte schon vier Alguazile totgeschlagen. Morisken legten ihm den Purpurmantel um die Schuitern. Morisken breit eten vier grüne Fahnen mit dem Halbmond auf den Boden. Morisken riefen ihn zum König von Granada und Cordova aus. Er nahm den Namen Mohammed AbenOmeya an. Er kniete auf den Fahnen. Er schwor, mit dem Gesicht gen Mekka, für den Glauben des Propheten zu sterben. Morisken warfen sich auf die Erde und küssten die Fusstapfen des neuen Königs. Morisken hoben ihn auf ihre Schultern. Morisken liessen die vier Fahnen in den Lüften flattern. Morisken schrien: „Allah erhöhe Muley Mohammed Aben Omeya, den Herrn von Andalusien und Granada!" Der neue König schickte Gesandte zu Aluch Ali, dem Dey von Algier, und zu Selim, dem Sultan der Türken. Der Dey von Algier versprach Waffen gegen Geld, der Herr zu Konstantinopel schickte zwölfhundert Janitscharen. Die Spanier nannten den Aben Omeya den „Zwergkönig von den Alpujarren". Die Morisken erschlugen in drei Tagen alle Christen, die in ihren Dörfern und Stadten wohnten, Geistliche und Steuerfiskale, Alguazile und Mönche, lauter Konfidenten Dezas. Morisken, rachedurstige Opfer einer achtzigjahrigen Inquisition, sieden zu Guecija die Mönche in Kesseln kochenden Öls, füllen zu Mairena des Pfarrers Mund mit Pulver und zünden es an, binden Christen und lassen sie König Philipp der Zweite 26 durch Mohrinnen mit Nahnadeln zu Tode stechen. Den Sterbenden, die schreien: „Mutter Gottes!", erwidern die Mohrinnen: „Hund! Gott hat keine Mutter!" So sterben an dreitausend Spanier. Der kleine König von den Alpuj arren beendet die Schlachterei und schafft alle gefangenen Christen auf den Sklavenmarkt von Sorbas, wohin die Berber kommen. Ein Christ gilt einen Sabel. Eine Christin tauscht man gegen eine Armbrust. Der Vizekönig von Granada, Marquis Mondejar, zog mit seinem Heer aus, erschlug an jedem Hügel neue Morisken, plünderte Stadt um Stadt, trieb die Mohren vor sich her, erbeutete Gold und seidene Gewander und Sklaven in Haufen. Manche Spanier stahlen sogar Katzen, manche die Kupferkessel und Bratspiesse, die Backtröge, die Garnwinden, die Kuhglocken und andern Tand, nur aus Prinzip, weil Plünderung geboten war; alle stahlen, ohne Ausnahme Diebe alle, mitten in Spanien, im Auftrag des Königs von Spanien. Die Beute ward so reich, eine Sklavin so wohlfeil, dass viele Soldaten desertierten, um auf den Markten von Kastilien höhere Preise zu erzielen. Der Kreuzzug ward eine Industrie. Die Armee fing zu viele Mohren und Mohrinnen. Mondejar fragte den König, was mit allen Gefangenen geschehen solle. Schliesslich seien auch die Morisken Untertanen des Königs. Philipp brachte die Frage vor den Staatsrat. ,Die Sklaverei!' riet Espinosa. Eboli schwieg. Er war leidend und müde. Der Staatsrat entschied: ,Die Sklaverei!' Philipp milderte mit der frommen Massigung, die ihn auszeichnete, den Spruch und gebot, die Knaben unter zehn und Madchen unter elf Jahren in Klöstern zu Christen zu erziehn. Mondejar schrieb dem König, viele Stadte und Dörfer der Morisken schickten um Gnade, mit einiger Milde sei der Aufstand jetzt zu stillen. Deza schrieb dem König, so fürchterliche Verbrechen gegen die göttliche und menschliche Majestat müssten fürchterlich gerochen werden. Der König schickte seinen Bruder Juan als Oberstkommandanten nach Granada. Deza schlachtete, aus Enttauschung, in der Nacht die einhundertfünfzig reichsten und vornehmsten Morisken von Granada, die als Geiseln im Gefangnis sassen. Der König zog die Güter der Ermordeten ein. Da sahen die Morisken, dass es keine Gnade für sie gab. Nach dem Einzug Don Juans geschah die erste grosse Deportation. Juan, der auf Befehl des Königs in Granada bleiben musste, indes seine Generale ins Feld zogen, schrieb dem König: ,Lass mich kampfen. Ich bin Soldat!' Der König schrieb ihm gnadig: ,Ich schickte Dich in die Stadt Granada, nicht ins Feld. Du solist ein Feldherr sein, kein Raufer. Ich habe genug Soldaten.' Don Juan, fünfundzwanzig Jahre alt, durstig nach Ruhm und hungrig nach Siegen, ritt traurig durch die Gassen von Granada. Durch die leeren Marmorhöfe der verlassenen Palaste schlichen magere Katzen. Noch rauschten die weissen Springbrunnen. Noch grünten die zertretenen Garten. Neben Don Juan ging mit Schattenfüssen die Melancholie. Don Juan strich seine langen, blonden Locken aus der Stirne. Er murmelte: „Falscher Lorbeer! Du musst fort, Juan!" Manchmal traf er im leeren Stadtteil der Morisken den verbannten Don Mendoza, den ungestümen und ein wenig lacherlichen Greis, der von Madrid und seiner Nichte Anna wie ein Knabe schwarmte und Verse nach der Art italienischer Poeten schrieb. Der alte Höfling war unter Kaiser Karl dem Fünften ein grosser Mann gewesen. „Erzahlen Sie mir", bat Juan, „erzahlen Sie von meinem Vater!" Einmal gestand Mendoza dem Prinzen, dass er Notizen für ein Buch über den Aufstand der Morisken sammle. Don Juan errötete. „Wie heisst der Titel Ihres Buches?" fragte er. Mendoza sagte zögernd: „Der Krieg von Granada." „Und Ihr Held?" erkundigte sich Don Juan höflich. „Mein Held?" fragte erstaunt Mendoza, besann sich, lachelte und sagte: „Das Volk der Morisken." Don Juan schwieg gedankenvoll. Da kam ein'Bote und schrie, tot sei der kleine König von den Alpujarren, Aben Omeya, erschlagen von einem seiner Hauptleute, wegen einer schonen Mohrin. Die Mohrin hiess Zahara. Es gebe schon einen neuen König, einen Vetter des Erschlagenen. Aben Aboo heisse der neue König. Der neue König von den Alpuj arren nahm den Namen Muley Abdullah Mohammed Aben Aboo an, liess sich im Gebirge kronen, sein Banner trug die Worte: ,Mehr konnte ich nicht wünschen; weniger hatte mich nicht befriedigt.' Er eroberte viele Stadte und machte alles Lebende nieder. Sein Ruhm ging bis in die Provinzen von Murcia und Valencia. Auf den Schneegipfeln der Siërra Nevada luden Larmfeuer zu Beutezügen gegen die Christen. Don Juan berichtete dem König und bat: ,Lass mich ins Feld! Sonst wird Granada fallen.' Der König erlaubte endlich seinem Bruder Juan, ins Feld zu ziehn. Philipp verlegte seinen Hof nach Cordova, um dem Kriege naher zu sein. Er erliess ein neues Edikt, künftig wolle er den Krieg mit Blut und Feuer führen. Mit seinen Generalen Requesens und Quixada ritt heiter lachend Don Juan ins Feld. Immer focht er in der ersten Reihe. Die Spanier hatten Kanonen und Arkebusen, die Morisken kampften mit Pfeil und Bogen, Don Juan siegte, zum Jubel der Christenheit. Vor der Stadt Seron fiel sein Pflegevater Don Quixada, mit einer Kugel in der Schulter. In sieben Tagen machten die Feldchirurgen sechs Eingriffe, ohne die Kugel zu finden. Beim siebenten Eingriff fand Don Quixada den Tod. In der kleinen Stadt Caniles begrub ihn Don Juan. ,Zu Caniles', schrieb Juan an Philipp, ,liegt ein grosser Held begraben.' An Eboli schrieb er: ,Sie begruben meine Jugend in Caniles.' ,In Caniles', schrieb er seiner Pflegemutter, ,ruht unser Glück. Don Quixada ist tot. Tot ist Spaniens letzter Ritter!' Danach eroberte er die Stadt Seron, die Stadt Tijola, die Stadt Purchena, und viele andere Stadte der Morisken, und kaufte die Moriskengenerale. Der letzte kleine König von den Alpuj arren, Aben Aboo, floh mit wenigen Morisken ins Gebirge und verbarg sich in versteckten Höhlen. Don Juan d'Austria schrieb dem König, der Krieg sei gewonnen. Man brauche nur eine Amnestie zu erlassen und den Inquisitor Deza in eine andere Provinz zu versetzen, so sei der Aufstand gestillt. Deza schrieb dem König, man müsse die Axt an die Wurzel legen und das ganze Volk der Morisken für immer austreiben aus dem alten Königreich Granada. König Philipp erliess zwei Edikte, eine Amnestie auf Wunsch Don Juans und einen Deportationsbefehl auf Wunsch Dezas. Don Juan erliess die Amnestie. Er schickte seinen Ritter Don Palacios zum kleinen König Aben Aboo, mit Gnadenbriefen. Die Wachter nahmen dem Gesandten alle Waffen ab und führten ihn vor ihren König. Aben Aboo lag auf einem Diwan, vor ihm tanzten drei Mohrinnen, mit nackten Bauchen, zum Klang der Flöte und der Trommel. Aben Aboo rührte sich nicht, als Don Palacios eintrat. Nachdem die Madchen geendet, hörte der Moriskenkönig die Versprechungen schweigend. Dann rief er seine Hauptleute und antwortete: „Ich habe meinen Thron nicht gesucht. Mein Volk berief mich. Ich werde keinen meiner Untertanen hindern, sich zu ergeben, wenn er den Schwüren des Königs Philipp traut. Solange ich ein Hemd habe, ergebe ich mich nicht. Und wenn ich der einzige in den Alpujarren ware, der ein Schwert führt, will ich lieber wie ein Muselmann sterben, als Philipps Skiave werden." Deza machte das Deportationsedikt öffentlich. Don Juan bat um Urlaub von Granada. Sein General Requesens zog ins Feld, er brannte alles nieder, Walder, Weinberge und Stadte. Er stürzte Mauern und Ölbaume um, hinter ihm ward Wüste. Die Morisken flohen immer höher ins Gebirge, sie verkrochen sich in Höhlen. Requesens jagte sie mit Bluthunden, raucherte die Höhlen aus, hing Kinder neben Greisen auf, schlachtete die Herden, verstopfte die Brunnen, mauerte die Quellen zu, liess Tod und Wüste hinter seinen Tritten. König Philipp erliess ein neues Edikt: Für jeden Kopf eines Morisken zahlte er zwanzig Dukaten. Da kamen viele Morisken in die Taler und baten um Amnestie. Alle Moris- ken aus dem alten Königreich Granada, die Schuldigen wie die Unschuldigen, wurden sofort ins Innere Spaniens deportiert und fielen in Sklaverei. Zu Leitern der Deportation hatte der König seinen Bruder Juan und den Inquisitor Deza ernannt. Alle Hauser und Güter der Morisken fielen an die Krone. In seiner gewohnten Gnade gebot der König, Gatten auf die gleichen Sklavenmarkte zu senden, in die Mancha, nach Kastilien, nach Galicien oder Estremadura. Am ersten November zogen die Morisken aus. Von neuem schickte König Philipp Ketten aus Toledo, etwa dreizehntausend. In Ketten zogen die Morisken über die verschneiten Gebirgspasse und geschwollenen Flüsse, in Ketten starben sie vor Hunger, in Ketten hing man sie an den Ölbaumen auf. Unheimlich klirrten die Ketten im Nachtwind, als trügen die Baume Ketten. Die Wachter verkauften die kraftigsten Morisken am Rand der Strassen. Ein Moriske galt für eine Ziege. Eine Mohrin tauschte man gegen ein Dutzend Eier. An seinen Freund und Gönner Eboli schrieb der Feldherr Don Juan: ,Das war die traurigste Geschichte von der Welt, weil am Tage ihres Auszugs ein erbarmungsloser Regen strömte und der Sturm mitleidlos durch ihre armen Fetzen fuhr, ja sogar ein grausam starker Schnee fiel. Die angeketteten Verbannten stolperten wie schweigende Gespenster auf den grundlos schlammigen Wegen. Fiel einer um, stürzten ganze Reihen, von den kurzen Ketten mitgezogen. Welch Lamento! Ein ganzes Volk auf einmal vertrieben zu sehn, ist ein trüber Anblick und wahrhaft peinlich. Wohlan, lieber Herr, und es ist geschehen!' Don Juan ritt am Rand der Strassen hin. Er sah den Auszug der Morisken. Er hörte die zehntausend Ketten klirren. Er dachte bitter lachelnd: Falscher Lorbeer! Der Krieg war aus. Fast taglich schrieb Don Juan an Eboli und Espinosa: ,Ich halte es nicht mehr aus! In dieser toten Stadt Granada welken alle Garten, die Vogel verlassen schon die Stadt. Die Brunnen rauschen nicht mehr. Die Felder sind wüst, die Haine umgehauen, die Herden abgeschlachtet. Ein ganzes Volk ist hin, und ich soll seinem Untergang den Namen geben? Ich will Sr. Majestat wo anders dienen. Ich bin kein Kind mehr, stecke nicht mehr in Windeln, entfalte meine Flügel schon, bin ein Mann, bin des Königs Philipp Bruder. Ich bin Karls des Fünften anderer Sohn. Ich bin nicht gemacht, der Sklavenhandler von Granada oder der Kopfjager der Alpujarren zu heissen! Die Liga rüstet eine Flotte gegen die Türken, man braucht einen Admiral; lieber Freund, — und ware ich nicht berufen?' Endlich durfte er ziehn. Die Glocken schollen für den Mohrensieger in allen Stadten, die er passierte. Sie empfingen ihn mit Prozessionen, die schonen Madchen warfen Orangenblüten. Juan begann zu lacheln. War also trotzdem dieser Lorbeer echt? Zu Madrid empfing ihn Philipp wie einen Helden. Zu des Königs Linken sass die junge Königin, Anna; zu seinen Füssen sass des Königs Freundin, Anna. Anna Habsburg 'und Anna Eboli waren beide sichtbarlich gesegnet. Beide lachelten im Vorglanz mütterlicher Wonnen. Der König lachte, ein zwiefach gesegneter Vater. Er reichte seinem Bruder einen goldenen Stab, das war der Feldherrnstab der Liga von Rom, Venedig und Madrid. Er spendete ihm einen eigens erfundenen Titel: Generalissimus. Zur selben Stunde ritt Aben Aboo durchs Tor von Granada. Der kleine König von den Alpuj arren hatte sich in die Berge geflüchtet, in Höhlen sich verborgen, von Wurzeln sich genahrt. Zatahari, ein gefangener Moriske, den Deza schinden wollte, war durch Vermittlung seines Freundes Barredo, eines Goldschmieds und Konfidenten Dezas, begnadigt worden, als er die Höhle des Königs von den Alpujarren und seiner Wachter Zahl verraten, und einen Brief an den Mohrenhauptmann El Senix, einen Freund des kleinen Königs, besorgt hatte. El Senix hatte heimlich in den Alpujarren von Barredo eine Versicherung einer Pension von hunderttausend Maravedis empfangen, von Dezas Hand geschrieben, falls er den kleinen König Aben Aboo tot oder lebend nach Granada brachte. Aben Aboo war mit wenigen Wachtern zu der nahen Höhle seines Freundes El Senix gegangen. Am Eingang hatte Aben Aboo zwei Soldaten postiert, allein trat er in die Höhle. El Senix sass mit Freunden und Verwandten. „Ist es wahr, El Senix", fragte der kleine König, „wechselst du geheime Briefe mit dem Teufel Deza? Trafst du den Barredo?" „Es ist wahr", erwiderte El Senix. „Ich verhandle, aber für uns alle. Man bietet uns glanzende Bedingungen, bietet Schlösser! Sollen wir wie Hunde krepieren ? Damit der Dey von Algier oder der Mufti von Tunis sagt, der El Senix oder der Aben Aboo starben gut ?" Schweigend hörte Aben Aboo seinen Freund zu Ende. Schweigend ging er zu der Höhle Ausgang, zu den Wachtern. Doch die Wachter waren fortgegangen, weil ihnen etwa die Zeit zu lang geworden, oder weil Aben Aboo zu stolz gewesen war, seinen Wachtern zu sagen, warum sie vor der Höhle seines Freundes El Senix wachen mussten. Also besuchten die Wachter einige Freunde in der Nahe. El Senix gab seinen Vettern und Freunden ein Zeichen, alle stürzten sich über Aben Aboo und rissen ihm sein Leben aus zwanzig Wunden. Den Leichnam trugen sie zu Tale, in ein Dorf bei Granada, übergaben ihn dem Prasidenten Deza, empfingen ihren Lohn. Deza liess den toten König ausweiden und einbalsamieren und setzte ihn auf einen Maulesel. Ein hölzerner Apparat, unter den weiten, seidenen Gewandern und dem Purpurmantel verborgen, hielt den Leichnam aufrecht. Links vom Toten ritt der Konfident Barredo mit des Königs Sabel, rechts ritt der Mörder El Senix mit des Königs reichgeschnitzter Armbrust. In Waffen und zu Pferde folgten die gefangenen Freunde und Verwandten des toten Königs, hintennach ein kastilisches Regiment zu Fuss und eine Schar von schweren Reitern mit Fanfaren, Trommeln, Floten. Also ritt der letzte kleine König von den Alpujarren, der tote Mohrenkönig Aben Aboo, mit feierlichem Pomp in seine Stadt Granada ein. Musketenschüsse schollen dreimal, als der tote König in die Strasse Zacatin kam. Höhnisch donnerten die Kanonen auf den alten Mohrentürmen der Alhambra. Höhnisch lachelte der Inquisitor Deza auf seiner goldverzierten Tribüne am Platze Vivarambla, als der tote König feierlich an ihm vorbeiritt. Ringsum drangte sich das Volk von Granada, schweigend. Zum grossen Missvergnügen und Staunen des Prasidenten Deza schwieg das Volk und höhnte nicht den Toten, der da einritt, feierlich, im purpurnen Königsmantel, in seine alte Stadt Granada. Auf dem weiten, sonnenhellen Platz Vivarambla zogen viele Christen schweigend ihre grossen Hüte vor dem toten König, der vorbeiritt; ein Hauptmann aus dem tapfern, in der ganzen Christenheit berühmten Regiment von Neapel, das von der Insel Malta alle Türken ins Meer getrieben hatte, ein Hauptmann mit Namen Don Roberto della Spirito war der erste, der seinen breiten Hut mit der grossen Reiherfeder und der funkelnden Diamantagraffe zog und mit feierlich respektvoller Verbeugung tief sich neigte vor dem toten König der Morisken, seinem Beispiel folgten viele tapfere Soldaten, auch Kastilier. Ja sogar der verbannte Onkel der Eboli, der machtigen Favoritin des Königs Philipp, auch Mendoza, der Vetter des vorigen Vizekönigs von Granada, selber weitberühmt durch Taten und durch Verse, auch der elegante Greis Mendoza zog respektvoll schweigend seinen Hut vor dem letzten kleinen Mohrenkönig, vor dem toten Aben Aboo, dessen volle Lippen, künstlich rotgefarbt, zu lacheln schienen. Lachelte der tote kleine König über den missglückten Hohn des Prasidenten Deza, der nur schlecht seine Wut verbarg? Lachelte der Tote gar über den grossen König Philipp den Zweiten und seine riesigen, eiteln Mühen? Alle sahn des Toten Lacheln. Viele schauderten. Und Mendoza sagte zu einem Soldaten namens Marmol, mit dem er auf dem Platze Vivarambla ins Gesprach gekommen war und der ihm gefiel, weil er klug und fühlend schien: „Senor! Lacht der Tote über uns? Und vielleicht grinsen alle Toten über diesen sonderbaren Irrtum derer, die zu leben meinen?" Langsam ritt der kleine König zum Platz hinaus; zur Linken ritt sein Denunziant, zur Rechten ritt sein Mörder. Seltsam lachelte der Tote. Fünftes Buch DAS GUTE GEWISSEN DIE ÖSTERREICHERIN König Philipp freute sich unbandig seines guten Lebens. „Ich bin schon alt", klagte er mit gespielter Melancholie vor seinem jungen Weib, der österreicherin. Sie hatte ihm einen Sohn geboren. Philipp wollte ihn Carlos heissen, nach dem Grossvater Karl. Die junge Wöchnerin erinnerte sich an den andern Carlos, des Kaisers Enkel, und schrie, blass vor Grausen: „Nicht Carlos! Nicht Carlos!" Also tauften sie das Knablein Ferdinand, nach dem vorigen Kaiser. König Philipp dankte dem Herrn. „Du hast genommen, Herr! Du hast gegeben! Herr, gefalle ich Dir?" „Ich bin schon alt", sagte mit gespielter Feierlichkeit der König vor seinem jungen Weib. „Ich habe schon vierundvierzig Jahre gelebt, du kaum zweiundzwanzig. Liebst du mich, Anna?" Die Königin war fromm. Sie liebte Handarbeiten. Sie hatte stille, tiefe, lange Blicke. Der König spahte sein Weib aus, des Tags und bei Nacht, wenn sie betete und wenn sie in seinen Armen lag. Der fromme König Philipp misstraute den Menschen. Allzuglaubig vor Gott, behielt er keinen Glauben vor den Sterblichen. Er wollte auf den Grund Annas von Österreich kommen. Sie entglitt ihm wie Wasser den Handen. Die erste Bitte, die sie vor ihm getan, war um Gnade für den toten Montigny. „Du kommst zu spat, süsses Kind!" klagte der König. Die erste Dame am Hofe war des Königs Freundin, die andere Anna, des allmachtigen Ministers freche Frau. Komme ich zu spat?, fragte die Königin Anna. Auf ihren Ballen tanzten die jungen Ritter mit der schonen Eboli. Bei den grossen Empfangen und Banketten lachten die jungen Höflinge über die frechen Witze der Eboli. Königin Anna liebte die klösterliche Stille im Hause ihres Mannes. Sie liebte die beiden Stieftöchter, die Kinder der vorigen Frau, der Französin Elisabeth; die altere Tochter, Klara Eugenia, war mit sechs Jahren schon eine würdige Person, falsch und fromm, und verachtete die Leute, wie ihn, und betete ihr Vater an. Die jüngere, Katharina, war sanft und blond und zartlich. Wenn Philipp abends im Kabinett Briefe schrieb und Dekrete unterzeichnete, sass sein junges Weib, wiederum in Hoffnung, neben dem Gatten; stillatmend stickte sie köstliche Altardecken und spahte mit langen, schweren Blieken nach dem König; nie ward sie müde, seine Züge anzuschaun, und seinen kahlen Kopf und den grauen Bart, die gefurchten Wangen und seine lebendigen, emsigen Hande. Hatte der König einen Brief beendet, eine Unterschrift vollzogen, schob er das Blatt seinem Weibe zu, und die hoffende Königin hob mit frommen, zartlichen Handen die Streusandbüchse und schüttete Sand auf ihres Gatten Schrift, da deckte sie sorgsam die Züge zu und begrub seinen Namen, und ihre roten, saftigen Lippen lachelten unschuldig und sanft, ob ihre Hande Sand über die Ernennung eines Schreibers oder eines Grossinquisitors, oder über ein Todesurteil streuten, Sand streute sie über die Instruktionen für Meuchelmörder und Erzbischöfe, Sand über den Friedensschluss und den Kriegsbeginn, Sand über Dummheiten und Weisheiten, lachelnd schüttete Königin Anna, Philipps viertes Weib, über seine ganzen, niedergeschriebenen Taten und Anmerkungen den feinen, rieselnden, rötlichen Sand aus und streute ihn ab und reichte das trockene Blatt dem altesten Töchterchen des Königs, der Infantin Klara Eugenia, der Sechsjahrigen, die verstandig und ernsthaft auf dem linken Knie des Königs sass, ein geputztes Püppchen, und mit erwachsenen Blieken, wie ein strenger, doch wohlwollender Aufseher zusah, wie der Vater mit den emsigen Fingern die Welt regierte, durch Tinte und Papier und Gansekiele. Das trockene Blatt trug mit feierlicher Wichtigkeit die kleine, trippelnde Infantin in die Vorzimmer, wo des Königs Schreiber bis tief in die Nacht mit verschlafenen Gesichtern und entzündeten Augen sassen und von der kleinen, strengen Infantin unter tiefen Bücklingen die Akten oder Briefe entgegennahmen, um sie einzuordnen oder zu expedieren. König Philipp genoss diesefamiliaren Abende im Kabinett. Heiter klagte, mit gemachter Trauer, König Philipp vor seiner jungen Frau, indes er mit der Feder spielte: „Ich werde alt, Anna." Die junge Königin lachelte sanft und senkte die Blicke. Philipp spahte nach ihr, gierig, ins Herz der Menschen zu schaun. „Bist du nicht ehrgeizig, süsses Kind?" fragte er sie einmal. Da wurde die österreicherin blutrot im Gesicht. Bald gebar sie dem König einen zweiten Sohn. „Dieser", erklarte der König, „wird Carlos heissen." „Nicht Carlos , bat die junge Wöchnerin „ich schwor dem Heiligen Lorenz, wenn es ein Knabe wird..." „Also heisse er Carlos Laurencio", entschied der ungeduldige Vater. Königin Anna schauderte. Wieder sass Philipp im Kabinett, sein Lieblingstöchterchen Klara Eugenia auf den Knien. Sechsundvierzig Jahre zahlte Philipp. „Ich werde schon alt", sagte er mit halb gespielter Trauer zur jungen Königin Anna, die eine Altardecke stickte und Sand auf des Königs Namen streute, rieselnden, rötlichen Sand. „Ich bin noch jung! rief König Philipp im Bett seiner Freundin Eboli. „Anna, ich bin noch jung, merkst du es? Ich fange ein neues Leben an, so lange war ich ein Friedenskönig, nun will ich ein Eroberer sein, mit neuen Ministern und Generalen, ich will die ganze Welt haben!" Die Eboli lag auf dem Rücken und lachelte. Die Wachskerzen erloschen eine nach der andern. Anna lachte so heiter. Sie schrie wie im kleinen Himmel des irdischen Glücks: „Mein Philipp! Keiner ist so stark wie du!" „Du hast gesiegt!" flüsterte Philipp in ihren geöffneten Mund. „Es ist aus mit Alba! Ich mache ein Ende mit Espinosa. Eboli führt die Partei des Friedens. Mit seiner Partei will ich die Welt erobern! Seine Günstlinge sollen auch meine sein. Don Juan wird Alba ersetzen, wenn Juan gegen die Türken siegt. Euer Freund Quiroga wird Espinosa ersetzen, wenn Espinosa stirbt." „Und wer wird meinen Mann ersetzen?" fragte zitternd und keek Anna. „Ich liebe Eboli", erklarte feierlich der König. „Wie lange noch?" fragte Anna. „Ewig", schwor Philipp, „wie ich sein Weib liebe." „Liebst du mich, Philipp?" „Ewig!" schwor Philipp. „Aber Eboli ist sehr krank", sagte Anna. „Er stirbt vor Albas Fall und Espinosas Tod. Wer kann ihn ersetzen?" Philipp schwieg. Er wartete auf einen Namen, misstrauisch und eifersüchtig. Aber Anna nannte keinen Namen. So erklarte der König: „Antonio Perez soll an seine Stelle treten. Weiss Eboli, dass er bald sterben muss?" „Ich weiss nicht", erwiderte Anna. „Die Arzte verschwiegen es ihm." „Armer Ruy Gomez", flüsterte Philipp und vergass ihn. „Liebst du mich, Anna?" fragte der König. Wollüstig umarmte er die Frau seines Freundes. Anna Eboli hatte zur gleichen Zeit wie die Königin Anna einen Sohn geboren, der hatte die blonden Haare und dicke Unterlippe der Habsburger, das Jahr darauf gebar sie eine Tochter. Die beiden Annen, die Habsburg und die Mendoza, gebaren um die Wette. Schon waren beide wieder gesegnet und hofften. Der König freute sich seines Lebens. Eines Tages war er in der Kirche, da kam sein Schreiber Mateo Vasquez gelaufen, und drangte sich durch die Betenden bis zum König, und kniete neben ihm nieder und wartete zitternd vor Freude und hastig atmend, dass der König sein Gebet beende. Vasquez, des Herzogs Alba Günstling, ein Waisenknabe, war an die Stelle des Sekretars Vandenesse getreten, der des Königs Rocktaschen zu durch- suchen pflegte, um ihren Inhalt dem Oranien zu verkaufen, und schon lang im Kerker sass, am gleichen Tag mit Renard und Montigny verhaftet. Sein Nachfolger Mateo Vasquez war still, langsam und arm. Er war so rasch in die Kirche gelaufen, weil er seine Tochter verheiraten wollte. Für die Mitgift brauchte er Geld. Nun hoffte er einen Haufen vom König zu erhalten. Gegen die Etikette sagte laut der arme Vasquez, als der König aufblickte, so laut, dass ihn die ganze Kirche vernahm: „Sire! Don Juan hat die Türkenflotte vernichtet. Zu Lepanto! Noch nie schlug einer die Türken zur See! Don Juan schlug sie, dreihundert türkische Galeeren, bei Lepanto. Ertrunken sind dreissigtausend Janitscharen, der Schrecken der Christenheit." Der arme Vasquez zitterte vor Freude und wartete auf den goldenen Regen. Der Hof und alle Knieenden waren aufgesprungen, der Chor war verstummt, die Priester lauschten. Nur Philipp blieb unbewegt, er schien nichts gehort zu haben, er winkte, die Vesper fortzusetzen. Am Ende des Gesangs befahl er ein Te Deum. Am Portal gab er dem Vasquez die Hand zum Kuss und hörte, Don Juan sei der vorderste im Getümmel gewesen. Philipp sagte: „Er hat viel gewagt!", lud den Kurier in den Palast, Hess die Königin Anna und seine Lieblingstochter Klara Eugenia rufen und fragte: „Ist Don Juan verwundet?" Mit Vergnügen vernahm er die Heldentaten seines Neffen Alexander Farnese, der als Kapitan unter seinem gleichaltrigen Onkel Don Juan d'Austria diente. Farnese war allein auf die türkische Schatzgaleere gesprungen, sein zweihandiges Schlachtschwert schwingend hatte er ein paar Minuten wie ein Löwe allein gegen ein ganzes Schiff gefochten, bis seine Leute nachkamen und die Türken überwaltigten. Der Kurier erzahlte, siebentausend Christen seien als Helden gefallen. Den Abend nach der Schlacht musste die Flotte nochmals kampfen, gegen einen grossen Sturm. Die Regengüsse stürzten wie neue Meere auf die zitternden Galeeren. Ringsum leuchteten die brennenden Schiffe der Türken. Im Schein der Flammen sah man die Ertrunkenen auf den Wellen reiten. Drei Tage wütete der Sturm. Der Offizier König Philipp der Zweite 27 reiste über Rom und ward vom Heiligen Vater empfangen. Papst Pius sagte: ,Und es gab einen Mann, gesandt von Gott, und sein Name war Johannes.' Der Heilige Vater sei von ungeheuerm Eifer ganz voll gewesen. Er habe dem Prinzen Don Juan eine Krone versprochen. Der König dankte dem Kurier und liess ihm ein Zimmer im Palast anweisen. Am andern Tag folgte der König in einer Mönchskutte der feierlichen Prozession zum Dank für den Sieg bei Lepanto. Bei dem fünfundneunzigjahrigen Tizian bestelite der König ein Gemalde, bezeichnet. ,Der Sieg bei Lepanto'. Am Mittag erstickte bei Tisch der Kapitan der königlichen Leibwachter, der Herzog Feria, an einer Fischgrate. Philipp war sehr traurig. Feria war mit ihm nach England gefahren, zur Hochzeit mit Marie Tudor. Auch Feria hatte ein englisches Weib genommen, die Jane Dormer, das Hoffraulein der Königin Marie. König Philipp dachte an seine jungen Jahre. Er ging zur Herzogin Feria und sprach ihr Trost zu. Der König sagte: „So starb er doch in Freuden, am Fasttag, voll vom Seesieg bei Lepanto. Ein schoner Tod! König Philipp liess fünfhundert Messen für Feria lesen und sagte des Abends nachdenklich zu seiner jungen Frau: „So mischt sich Lust mit Schmerz. Wir siegten bei Lepanto und verloren einen Freund. Armer Feria! An einer Fischgrate. .. Gott hat es so gewollt. Die arme Witwe! Sie war ein so lustiges Madchen am Hofe meiner Frau. „Liebtest du Marie?" fragte Anna. „England liebte mich", antwortete Philipp und traumte von seiner Jugend. Philipp lebte so gerne. Er liebte die irdische Welt und den verganglichen Schein. Er liebte die Lust und die Leiden, das Schone und das Grosse, das Erhabene und das Grausame. Er liebte Düfte und Farben, den Wohlschmack und den Wohlklang. Er liebte die Macht und die Menschen. Er übersah freilich die individuelle Wohlfahrt dieses oder jenes Mannes. Er wollte seine Völker nicht glücklich, sondern gehorsam haben. An den Menschen liebte er die Willfahrigkeit, das Manipulierbare, dass sie so handlich waren, so veranderlich, so fasslich und verletzlich, so ersetzlich und unerschöpflich. Nichts ist so billig wie Menschen. Das ist die einzige Lehre, die Tyrannen aus ihrem Berufe ziehn. Die junge Königin Anna war sehr wissbegierig. Sie fragte ihren Gatten: „Philipp, da du doch alles aufschreibst, hast du nicht die Zahl und Namen aller Frauen aufgeschrieben,, die du geliebt hast ? Wie viele lagen in deinem Bett?" „Du bist eine Deutsche", antwortete unwillig der König von Spanien. „Die deutschen Weiber sind schamlos." „Du lügst, Philipp", entgegnete mit sanftem Lacheln die Österreicherin. Sie sagte so ungeheuere Dinge, dass Philipp an Gift und Scheiterhaufen dachte. Nie hatte ein Mensch bislang gewagt, dem König zu sagen, er lüge. Aber dieses junge Weib aus seiner Familie, von seinem Blut, diese Habsburgerin, die nicht einmal hübsch war, trotz ihren sanften, tiefen Blieken, dem weichen, sinnlichen Lacheln, der wundervollen, reinen, gesunden, blühenden Haut — sie war im Bett hübscher als auf dem Thron — dieses junge Weib schien ganz unbewusst, sie sagte die ungeheuerlichen Worte so leicht, als bedeuteten sie nichts, als sprache eine Kramerin zu ihrem Mann, dem liederlichen Kramer. Anna schien ohne einen Begriff von Grosse zu leben. Vielleicht hat sie keine Phantasie, fragte sich Philipp beunruhigt. Sie hatte nur eine andere Empfindung vom Leben. Wo sie nüchtern war, fand er sie gewöhnlich. Wo sie schwarmte, kam sie ihm lacherlich vor. Philipp war so stolz, eine Menschheit zu durchschaun und eine Welt zu kennen, aber dieses junge Madchen aus österreich begriff er nicht. Er schlief mit ihr und machte ihr Kinder, sie sass die Abende bei ihm und streute Sand auf seinen Namen, sie lachelte in seinen Umarmungen und neben seinem Schreibtisch, sie lachelte, wenn er sie leise tadelte, sie lachelte, wenn er ihr wehtat. Philipp, ein gewöhnlicher, geübter Liebhaber, mit den üblichen Lüsten, spürte zum ersten Mal in Annas Armen die grausame Lust, ein Weib zu schlagen. Er be- zwang sich, dieses eine Mal. Er fragte sich: Vielleicht ist Anna nur dumm? Die Königin fragte ihn fleissig: „Liebtest du alle deine Gemahlinnen? Ich bin die vierte, Philipp. Die erste war aus Portugal, da warst du sechzehn. Die musst du doch geliebt haben? Und liebtest du die englische Marie? Und deine lange Französin, die Elisabeth, liebtest du die? Welche von den vieren liebtest du am meisten?" „In Spanien", antwortete der König, „stellt eine Gattin nicht solche Fragen." „Ich bin eine Deutsche", antwortete Anna. „Ich bin stolz darauf. Deine Spanierinnen misstallen mir. Sie sind abgeschmackt. Diese Herzogin Alba mit ihrer Hauptmannsstimme und den Sitten eines Abtes! Diese lacherliche Eboli.. „Du wirst dich gewöhnen", sagte Philipp. „Auch deine Mutter ist eine Spanierin." „Sie ist deine Schwester", sagte Anna, als erklarte das alles. Plötzlich lachte die Königin laut. „Du bist also mein Onkel, Philipp!" rief sie, als erfahre sie es eben, brach ihr Gelachter plötzlich ab, sah ihren Gatten tief an, schwermütig, und fiel ihm urn den Hals, und küsste ihn leidenschaftlich, und rief: „Teuerster Onkel Philipp!" Der König lachelte, ein wenig mühsam. „Du liebst mich nicht", sagte Anna sanft. „Ich liebe dich als mein gehorsames Weib." „Ich will anders geliebt sein", rief die Königin. „Mehr solist du mich lieben. Heisser! Ausschliesslich mich!" Philipp sagte, und auf seinem Gesicht paarten sich Strenge und Leidenschaft: „Es ist nicht die Stunde, Anna. Du wirst dich an meines Hofes Sitten gewöhnen müssen." Die Königin lachelte sanft. Keine spanische Königin war so genau, so ordentlich, so prazis in allen Fragen der spanischen Hofetikette wie sie. „Nur einmal im Leben", sagte sie, „vergass ich mich. Ich tat es aus Liebe. Philipp, ich liebe dich." König Philipp reichte gnadig seiner Frau die Hand zum Kusse. Anna hatte schon in der ersten Nacht ihm anver- traut, sie sei in seine Hande verliebt. Er habe die schönsten Hande der Welt. Der König prüfte seine Hande lange. Ein Jahr spater sagte er unversehens zu seiner Frau, er habe ganz gewöhnliche Hande. Königin Anna wusste gar nicht mehr, worauf Philipp sich bezog. Anna vergass so rasch ihre Worte. In der Nacht versammelte der König eine Junta. Es war fast dunkel im Kabinett. Nur eine Kerze brannte vor Philipp. Der König war in sonderbarer Laune. Eine sanfte Trauer, fast eine heitere Art von Schwermut erfüllte ihn. Er hatte sich entschlossen. Er sah sich unter seinen Dienern um. Er dachte an die Toten. Armer Feria! Armer Don Quixada! Philipp zögerte und dachte mit tieferm Kummer: Armer Eboli! Sein Kammerer, sein Freund, einst sein Lieblingspage, sass mit hohlen, bleichen Wangen, erschöpft und müde da, ein Kranker, ein Todgeweihter. Eboli lachelte glücklich. Er wusste, heut sass er zum Triumphe da. Heut siegte er. Er erinnerte sich jener einstigen Sitzung, da Alba in der niederlandischen Sache, Espinosa in der Sache der Mohren über ihn triumphiert hatten und er selber schon seinen Sturz vor Augen sah. Damals rettete ihn Anna. Heute wollte Eboli seine Rache nehmen. Die Zeit hat mir recht gegeben, dachte Eboli. Die Zeit arbeitet nicht nur für den König. Der Grossinquisitor bemerkte das fatale Vergnügen seines Feindes Eboli mit Hohn und Ruhe. Der arme Eboli, schien die kalte Miene des Grossinquisitors auszudrücken, der arme Eboli! Er stirbt, der Armste! Pazos, eine der Kreaturen Ebolis, der neue Prasident von Kastilien, der oberste Richter, legte vor den König Dokumente hin. Sie betrafen Friedrich, den Sohn des Herzogs Alba. Vor acht Jahren hatte der junge Friedrich mit einer Hofdame der Königin Elisabeth, einem Fraulein Guzman, geschlafen. Das arme Madchen ward schwanger und schwor vor den Richtern, der Sohn des Herzogs Alba habe sie verführt und ihr die Ehe gelobt. Friedrich Toledo gestand zwei oder drei Umarmungen und leugnete Verführung und Gelübde. Das gekrankte Hofmadchen brachte verliebte Zettel bei, mit verwischter Schrift, von Tranen oder Küssen benetzt, in denen die hergebrachten Schwüre der Liebe standen, die gewöhnlichen Versprechungen. Wenn man wollte, war auch ein Ehegelübde herauszulesen. Die Feinde Albas wollten's. Friedrich Toledo ward für ein Jahr im Turm von Medina del Campo festgehalten, das Fraulein erst in einem Palastzimmer, spater in einem Kloster eingesperrt. Don Friedrich ward endlich zu einem dreijahrigen Kreuzzug in Afrika verurteilt, gegen die Mohren, mit einem Freikorps auf seine Kosten. Das geschah 1566. Im nachsten Jahre ward die Deportation gemildert, statt in Afrika durfte Don Friedrich in den Niederlanden unter seinem Vater Alba fechten. Dort hatte er Armeen kommandiert, Stadte erobert, Schlachten gewonnen; die sieben Jahre von Albas niederlandischer Regierung waren um. Friedrich war im Begriff, nach Spanien heimzukehren, mit seinem Vater, dem Herzog Alba, der seinen ersten Nachfolger, den Herzog Medina Celi gefoppt und überdauert hatte und endlich vor seinem zweiten Nachfolger, dem General Requesens weichen musste. Nun, da Vater und Sohn am Hof erscheinen würden und Eboli und seine Freunde die Gefahr sahn, Alba werde durch seine Gegenwart den alten Einfluss zurückge winnen, den er durch seine erfolglose niederlandische Verwaltung verloren hatte, nun legte der gefallige Oberrichter Pazos Dokumente auf den Tisch des Königs, die bewiesen, dass Alba seinen Sohn Friedrich heimlich mit einer Kusine vermahlt hatte, damit er nicht die Guzman zu heiraten gezwungen ward. Zwar wussten der König und samtliche Minister seit Jahren davon. Nun aber lagen die Dokumente des Ungehorsams da. Nun forderte der Prasident die Todesstrafe für Friedrich Toledo. „Das Verbrechen ist schmahlich", erklarte Prasident Pazos. „Ich fordere den Kopf des Verbrechers." Eboli sprach mit Schonung, fast mit Milde. Die Welt wisse, wie sehr er den Herzog Alba achte. Der Herzog sei ein grosser Mann, auf mlitarischem Gebiet. Um so strenger sei das Benehmen des Sohnes zu beurteilen. Die Todesstrafe sei von Rechts wegen verdient. Immerhin, im Hinblick auf des Herzogs langjahrige treue Dienste, die zuweilen auch glückliche gewesen, bate er, Eboli, dem Herzog von ganzem Herzen gut, um des Königs Gnade. Espinosa hatte mit grosser Kalte den gefalligen Richter Pazos und den Fürsten Eboli angehört. Er verschmahte, auch nur ein Wort dieser armseligen Bettgeschichte des Sohns zu widmen. Er sprach vom Vater, vom Herzog Alba. Er war zu klug, den Herzog zu verteidigen. Er griff des Herzogs Feinde an. Dabei frönte er einer gewöhnlichen Schwache und machte aus seiner Rechnung eine moralische Überzeugung. „Die taglichen Geschafte", erklarte der Grossinquisitor, „nutzen den Geist mittelmassiger Menschen ab. Sie gewöhnen sich an die grossen Erscheinungen und Plane, verschwenden ihre Krafte an Mittel und Methoden, sie beziffern nach dem Erfolg des Tages, sie werden beschrankt. Da Verstellung nur Königen dient, Diener aber unbrauchbar macht, will ich offen reden. Es geht nicht um diesen leichtsinnigen Friedrich. Man will einen grossen Mann erledigen. Alba ist ein grosser Mann. Von welchem andern Minister Spaniens darf man soviel sagen? Alba hat grosse Fehler; welchem ausserordentlichen Menschen fehlen sie, wenn nicht die Gnade, die Majestat ihn über die gemeine Menschheit heben? Der junge Prinz Don Juan hat einen unnachahmlichen Sieg erfochten. Er hat viel gewagt. Ihm ist viel gelungen. Sind Philipps Reiche zu klein für zwei Feldherrn? Man klagt den Alba wegen der niederlandischen Geschafte an. Fühllose sprechen gerührt von Leiden der Rebellen. Unerprobte lacheln über die Prüfungen Erfahrener. Man reicht die Manifeste des Calvinisten Wilhelm Oranien heimlich zu Madrid herum und benutzt sie gegen den frommen Katholiken Alba. Man spricht von fünfundzwanzig Millionen Dukaten, die Albas Verwaltung kostete, von zu strengen Strafen, von Schwankungen des Glücks, und keiner sagt, warum der Herzog Alba sieben Jahre in den Niederlanden Blut und Wasser geschwitzt und sich den allgemeinen Hass von Ketzern und Rebellen redlich verdient hat? Weil er ein gut er Katholik ist. Weil er sich verdient gemacht hat um die Kirche. Weil vor allen er den erhabenen Grundsatz unseres grossen Königs begriffen hat: Dass der Einzelne, dass ganze Völker nichts wert sind, wenn sie nicht gesittet sind. Was bedeutet ein Leben ohne Gott? Ein Fisch lebt auch. Ein Hund hat warmes Blut wie ich. Ein Stier kann leiden wie du, kann besser lieben als ein Mensch, kann tapfer sterben wie ein Held, kann eine halbe Stadt in Entzückung bringen; er bleibt ein Stier. Man sticht ihn ab und schleift ihn fort. Ein Stück Lehm bist du ohne Gottes Atem. Der Unglaubige, der nicht das Gute kennt, kann erzogen werden. Aber der Abtrünnige, der vom Brot gekostet hat und lieber Dreck frisst, worin ist er besser als ein Stier, oder ein Hund, oder ein Fisch ? Die aus den Wohnungen Gottes ausbrechen und nach den Gesetzen der wilden Tiere zu leben begehren, mit denen willst du mitfühlen ? Unser König kam zu uns, um die Menschen zu retten. Indem er die wahre Kirche erhalt, scheidet er die Menschheit von den Tieren. Oder sprecht ihr, auch jene glauben an Gott, auf ihre Weise? Habt ihr einen Hang zu jenem Veitstanz der Vernunft, den man Toleranz heisst ? Glaubt ihr an Gott einerseits und andrerseits auch dem Teufel? Sagt ihr, dieses ist die Wahrheit, aber andere sehn es anders, und das andere ist auch die Wahrheit? Und nennt solche Korruption Mass und Gerechtigkeit? Urteilt einer unter euch, der Ehebruch ist eine Todsünde, aber wenn ein anderer ihn für ein Vergnügen halt, soll man ihn ungestraft die Ehe brechen lassen?" Der König unterbrach seinen Grossinquisitor. „Die Predigt ist vortrefflich", sagte Philipp, „wo bleibt die N utzanwendung ?'' „Man verleumdet den Herzog Alba", rief Espinosa. „Man erklare endlich laut, dass keiner in den Niederlanden so von Segen war wie er, keiner so uneigennützig, keiner so gottgefallig, keiner dem König so nützlich. Und man lasse ab, das Haus eines grossen Mannes zu beschmutzen!" Espinosa schwieg zornig. Jetzt zog Eboli ein kleines Bündel Briefe aus seiner Tasche und bat die Majestat, aus privaten Briefen aus den Niederlanden einige Stellen vorlesen zu dürfen. Der König erlaubte es sogleich. Alles Private interessierte ihn brennend. Die heimlichen Blicke machten seine Wollust. Nichts ausser seiner Herrschsucht kam seiner Neugier gleich. „In diesen vertraulichen Briefen", begann Eboli, „herrscht ein gewisser Geschmack für Offenheit. Da wir soeben das Loblied dieser Tugend vernahmen, mag man die deutliche Sprache vergeben. Ich beginne mit Briefen des Herzogs Medina Celi an einen guten Freund bei Hof. Celi schreibt: Manchmal zweifle ich am Verstande Albas. Er heisst ein grosser Mann, auf militarischem Gebiet. Sonst ist er ein Narr. Vom Oranien spricht er mit ausserster Verachtung, nennt ihn einen kahlköpfigen Intriganten. (Dem Wilhelm gingen wirklich die Haare aus!) Aber Oranien ist Spaniens argster Feind. Wer ihn geringschatzt, verkennt die Lage der Niederlande. Da ich ankam, um Albas Erbe zu übernehmen, und in Vlissingen landen will, empfangen mich sogenannte Seegeusen, zerstreuen meine Flotte, fangen mich beinahe — wozu hat Alba seine Flotte und sechzigtausend Soldaten in den Niederlanden? Ein Vetter Egmonts, der geschworen, Haar und Bart nicht zu schneiden, bis er Egmonts Tod gerochen, hat ein paar hundert verbannte Bettler gesammelt, ein paar Schiffe gekauft, Piraterie getrieben und ist in der Nacht zum ersten April auf der Insel Walcheren gelandet und hat Bril eingenommen, des Königs Stadt, im Namen Oraniens. Der Pöbel sang: Den eersten Dag van April Verloos Duc d'Alba zynen Bril. Sie machten eine Karikatur, wie der Geusenadmiral dem Herzog die Brille von der Nase stiehlt, indes dem Alba ein Spruchband aus dem Mund lauft, worauf sein Leibspruch steht: Es ist nichts! Es ist nichts! — Vlissingen, Leyden, Harlem, Alkmaar ziehn Oraniens Fahnen auf. Der helle Aufruhr! Ich komme nach Brüssel, sage zu Alba, Sie sind der Feldherr, es ist mir eine Ehre, unter Ihrer Führung den Aufstand zu bandigen, danach übernehme ich die Geschafte. Was tut der grosse Feldherr? Nichts! Er schuldet, sagt er, der Infanterie vierzehn Monate Sold. Ich wünsche Einsicht in die Rechnungen. Alba hat keine Zeit, schickt mich zu seinem Sekretar Albornoz. Albornoz schickt mich zu Viglius. Viglius lacht. Albas Rechnungen? fragt er. Unordnung, Verschwendung, Unterschleif! Albas Flotte zittert vor den Meergeusen. In Holland bleiben ihm zwei Stadte, die andern schwören dem Oranien. Drei seiner Schiffe gehn zu den Rebellen über. So geschieht grossen Feldherrn? Ich gehe in Albas Haus und frage ihn: .Herzog, lachen Sie noch über Oranien?' ,Die Brüder Nassau', erzahlt er mir besorgt, .trugen dem König von Frankreich ein Bündnis an. Frankreich, England und die Brüder Nassau wollen die Niederlande unter sich verteilen. Frankreich offeriert England eine Allianz gegen Spanien. Frankreich verhandelt mit den lutherischen Fürsten Deutschlands. Es drückt auf Venedig, dass die Republik die Liga verlasse; es ruft den Türken, unsere Küsten anzugreifen. Die Lage ist ernst', sagt Alba. ,Begreifen Sie endlich', frage ich ihn, ,dass Ihre Politik der katholischen Ligen in Europa Bankrott macht und nur protestantische Allianzen schmieden wird? Begreifen Sie endlich', frage ich den Alba, ,die tiefe politische Weisheit des Fürsten Eboli, der stets in klarster, in prophetischer Weise den König vor diesen Folgen warnte?" Eboli stockte einen Augenblick. Er sagte schamhaft: „Ich stocke. Der Briefschreiber lobt mich zu sehr im Folgenden." „So lesen Sie", bat der König. Eboli verbeugte sich tief. „Ich will eine andere Stelle lesen", sagte er. „Der Celi schreibt: Als wir vernahmen, dass die Königin von Frankreich ihre jüngereTochterMarguerite (einstunserm Don Carlos, spater König Philipp, spater dem Sebastian von Portugal vergeblich offeriert) nun mit dem Hugenottenprinzen Heinrich Bourbon vermahlt, ja dass Katholiken und Hugenotten sich geeint, um gemeinsam uns in den Niederlanden anzugreifen, und schon zwei Flotten rüsten, zu La Rochelle und in Bordeaux, und eine Armee in der Picardie aufstellen, dass bereits der Hugenottengeneral Graf Genlis Briefe vom König von Frankreich dem Prinzen von Oranien brachte mit dem Versprechen der Kriegsallianz, dass Ludwig Nassau Stadt und Festung Mons im Süden, und Wilhelm von Oranien Holland und Seeland fest in Handen haben, dass Oranien mit fünfzehntausend deutschen Landsknechten übern Rhein zieht, und die meisten Niederlander auf ihn wie auf den Erlöser warten, auf den ,Vater Wilhelm' (wie sie ihn heissen), den sie mehr als Alba fürchten und dem die rebellischen Staaten freiwillig neunmal soviel Geld zahlen, als der Zehnte Albas betrug, um dessentwillen sie rebellierten, da gehe ich in Albas Haus und frage: ,Herzog, wann ziehn wir zu Feld? Worauf warten wir? Schonen Sie sich?' Da brummt er, in seinem Bett, wo er Tag und Nacht verbringt, sagt, er sei zu alt zum Krieg, er habe die Gicht, und ich sei der Gouverneur, danach reibt er sich lang das Knie mit einer gelben, stinkenden Salbe und seufzt und erklart, Frankreich leugne alles ab, und es sei falsch, ihm die Maske abzureissen. ,Heuchelei ist ein Rest von Gesittung', sagt er. ,Wir müssen tun, als glaubten wir ihnen, müssen mit noch grösserer Verstellung gegen sie verfahren, als sie gegen uns üben, bis sie uns eine grosse, aller Welt offenbare Gelegenheit loszuschlagen bieten. Krieg muss man mit guten Gründen führen.' Ich, schreibt Herzog Medina Celi, schauderte vor solchen macchiavellistischen Künsten.. Der König unterbrach. Er sagte: „Hier waren Albas Grundsatze gesund. Ich hatte es nicht besser sagen können. Das ist die Schule Kaisers Karl des Fünften. Mein Vater las gern den Macchiavell." Espinosa lachelte höhnisch. Eboli las weiter. „Der Celi schreibt: Ich zweifle langsam auch an Albas militarischen Talenten. Vor Mons schickt Alba seinen Sohn Friedrich, einen talentlosen, grausamen Menschen. Der Chiapin Vitelli, der Fettwanst aus Florenz, der so dick ist, dass er seinen Bauch mit Eisenketten halten muss, und der mit acht Meuchelmördern übern Kanal wollte, um Elisabeth von England zu entführen oder zu morden, der General Vitelli, das Idol unserer Veteranen, schlug das Hugenottenheer des Grafen Genlis und fing ihn; nicht Alba, nicht sein Sohn Friedrich taten's. Alba fragt den Karl von Frankreich, ob er die Leute unter Genlis als seineTruppen anerkenne, oder ob es Freischarler seien. Der König von Frankreich leugnet seine Truppen ab. AlbasHenker binden je neun Franzosen zusammen und werfen die Pakete in die Schelde. Die Königin Elisabeth von England bietet uns an, die Stadt Vlissingen, die unsere Rebellen ihr übergeben wollen, uns auszuliefern, aus Gefalligkeit für Alba. Alba triumphiert und sagt zu mir: ,Sehen Sie, lieber Medina, wie die Könige vor mir scharwenzeln!' Und erklart mir, Gott arrangiere diese Geschafte so schön für uns. Was Wunder? Es seien seine eigenen Geschafte. Da sage ich zum Alba: .Greifen Sie zu! Machen Sie das Angebot der Ketzerin von England, machen Sie den Verrat des Schwachlings von Frankreich in den Provinzen offenbar, so verlieren England und Frankreich allen Kredit bei den Niederlandern, ja in Europa!' Da erklart Alba, es sei unritterlich, es gebe eine königliche Gemeinschaft der Interessen... lauter Narrheiten, wo blieb der Macchiavell? Kurz, bei Gefahren legt Alba sich zu Bett, Chancen nimmt er nicht wahr, Schlachten schlagt er nicht mehr, Geld erwirbt er nicht, Freunde hat er keine, und ware nicht das Wunder eingetreten, dass die Franzosen gegen sich gewütet, selber sich geschlachtet bei ihrer Bluthochzeit in der Bartholomausnacht, Oranien hatte triumphiert und ware wirklich Albas Herr geworden, für den er sich mit vielem Recht schon hielt. So irrt Alba stets. So werden wir die Niederlande verlieren. Denn nicht jeden Monat fallen solche Freudenfeste wie diese Bartholomausnacht. Ich lasse Alba nicht mehr allein, aus Angst vor seinen Dummheiten. Wie sein Schatten folge ich ihm nach, und bin ich nicht sein Nachfolger? Ich nehme es wörtlich. Alba tobt. Ich lachle. Alba ist müssig. Ich treibe ihn. Alba prahlt. Ich lache ihn aus. Das wurmt ihn? Ist mir eine Lust! Und doch, ich bin nicht der einzige, der sagt, dass Alba ein toter Mann ist. Was Wunder. Er gibt fünfundsechzig Jahre zu. Er unterschlagt auch hier. Er ist siebzig, fünfundsiebzig Jahre alt. Ein zaher Toter! Er wird nie mehr siegen!" Eboli schwieg. Espinosa fragte, ob ein offenbarer Feind des Herzogs Alba wie Medina Celi ein glaubwürdiger Zeuge sei? Ob es nicht gut katholisch sei, auch mit Wundern zu rechnen? „Wunder?" fragte er. „Was sind sie anders als ein Lacheln Gottes. Es verrechnen sich, die nicht mit Wundern rechnen." „Ich habe bessere Zeugen", erklarte Eboli. „Hier sind Briefe Albas. Er schreibt dem Mateo Vasquez: Kurzsichtige sahn mich und die Provinzen schon verloren. Nun, wir haben Mons wieder, Nassau musste abziehn. Wir haben im Norden Mecheln bestraft, die Stadt Zutphen zur Ordnung, die Stadt Naarden zur Vernunft gebracht. Wir haben Harlem erobert. Nun stehen wir vor Alkmaar. Das werden wir bald haben. Oranien bot mir haufig eine Schlacht an. Ich wartete, bis seine Deutschen desertierten. Sie taten's prompt, fast hatten sie ihn umgebracht. Mit drei Reitern floh er nach Holland. Der arme Kerl! Immer will er Krieg führen und lernt es nie, und wird stets geschlagen. Die Stadte fallen von ihm ab. Ich hatte vor Mons einen deutschen Meuchelmörder, einen gewissen Heist gegen ihn gedungen. Es misslang. In Holland wird er sich nun selbst sein Grab bereiten. Gott ist gegen ihn. Die Menschen sehen es und verlassen ihn. Povere Puppe! Der König von Frankreich hat aller Welt verkündet, dass er das Massaker in der Bartholomausnacht befohlen hat; nach neusten, massigen Berichten erschlugen sie fünftausend Hugenotten in Paris, fünfundzwanzigtausend in der Provinz binnen drei Tagen. Der König von Frankreich stand im Louvre am Fenster und schoss mit seiner Arkebuse eigenhandig auf seine fliehenden Untertanen. Das ist bei uns in Spanien unmöglich. Philipp führt keine andere Waffe als die Feder. Er schiesst nicht, er sticht. Die Königin Elisabeth von England legte Trauer an. Wir feierten das Fest mit Kanonenschüssen, Glockenlauten, Gelachter. Auch mit Choralen in der Kirche St. Gudula. Ist es wahr, dass König Philipp, als der französische Gesandte ihm alles berichtete, das Lachen nicht verbeissen konnte, ja den ganzen Tag im heitersten Gelachter zugebracht hat? Philipp hat recht! Dieser Streich der Katharina Medici hat die Rebellen bei uns kaputt gemacht. Und Frankreich, unser gefahrlichster Feind, muss unsere Freundschaft suchen, wer sonst soll ihm traun? Der König von Frankreich weiss es. Er bettelt, ich solle den Genlis und die übrigen gefangenen Franzosen ja umbringen. Er hat Angst, ich hetze ihm den Oranien und die andern Rebellen, die bei uns ausgespielt, auf den Hals. Er schreibt: .Lassen Sie ja keine gefangenen Hugenotten leben! Den Genlis toten Sie am besten gleich!' Es ist possierlich; es ist ekelhaft. Es sind dieselben Franzosen, die er vor kurzem gegen uns geschickt hat. O Menschenherz! Ich gab dem Nassau freien Abzug und hielt mein Wort. So sah die Welt den Unterschied zwischen Spaniern und Franzosen. So stehn denn die Provinzen vor der schönsten Blüte. Ja, wir ernten schon! Sorgen Sie nur, schreibt Alba an Vasquez, dass man uns diesen Nachfolger abberuft, den man mir auf die Nase setzte. Der Medina ist ein galanter Mann. Ich wüsste nicht anders denn in Freundschaft mit ihm zu leben. Der gute Celi. Nur ein wenig leicht in Zorn! Ich sah nie einen heftigern Menschen, nie einen so misstrauischen. Er ist standig in Wut. Nach allen Lasten, allen Leiden in diesen hybriden Provinzen, noch diese Pein! Er ist mein bestellter Nachfolger und kommt nicht. In der Stunde der Rebellion trifft er ein, und seine Flotte entlauft vor ein paar Piraten, diesen Meergeusen. Zu Brüssel legt er sich zu Bett. Er sitzt beleidigt in seiner Stube, plappert von einer neuen Amnestie, rennt zur Belagerung bei Mons, befiehlt nichts, tut nichts, wird zum Gespött der Soldaten. Er ist da. Das ist ihm genug. Wie ein ungewünschter Schatten. Er spielt meinen Zensor, gibt mir ungebetene Ratschlage. Was will er? Glaubt man zu Madrid, zwei Herzöge leisteten doppelt soviel wie einer? Ich bitte sehr um Urlaub. Ich bin ein alter Mann. Ich bin müde. Ich liebe Philipps Scherze nicht. Ich leide. Ich bin ein toter Mann. Ich habe die Gicht. Was soll der müssige Spion, das Wahnbild meiner Ungnade ? Ja, ich merke wohl. Meine Dienste missfallen! ... „Dem Brief", sagte Eboli, „liegt ein Zettel bei, spater geschrieben. ,Vasquez', schreibt Alba, ,es ist aus. Die Belagerung von Harlem dauerte sieben Monate und kostete mich zehntausend Soldaten. Wie kann das dauern? Es ist nicht zu glauben, wie wild diese Hollander sind. Und die hiess ich Leute aus Butter. Je mehr man tötet, um so mehr entdeckt man rundum, als stiegen sie aus der Erde herauf. Ich fiebere vor Wut. Bis heute sah man noch nicht so seltsames Land, so sonderbaren Krieg. Auf Schlittschuhn schlagen sie Schlachten. Sie öffnen Schleusen und ersaufen ihr Land samt ihren Feinden. Auf Schiffen leben sie, als waren sie auf dem Meer geboren. Sie dienen ohne Löhnung. Und meine Soldaten meutern. Vierzehn Tage nach der Einnahme Harlems vertreibt die spanische Besatzung ihre Offiziere wegen einiger Soldrückstande, wahlt einen Führer und greift die Stadt als Pfand. In vierzig Jahren sah ich solche Katastrophe nicht. Alle meine Entwürfe sind hin. Die Lage ist verzweifelt. Es kommt schlimmer. Ich verspreche den Meuterern Vergessen und die Plünderung der offenen, von den Rebellen obenhin befestigten Stadt Alkmaar. Ich schicke sechzehntausend Soldaten vor die kleine Stadt, warte einen Monat, befehle den Sturm. Von den Weibern aus Alkmaar lassen sie sich zurückwerfen; mit Pech und heissem Öl, geschmolzenem Blei und Steinen treiben Weiber spanische Veteranen zurück. Am andern Tag befehle ich neuen Sturm, meine Soldaten sagen, sie hausten im Schlamm, sie seien hin, mit einem Wort, sie wollen nicht! Meine Offiziere zerhaun, meine Kanonen zerschossen! Ich bin erschöpft. Die Hollander öffnen die Schleusen und lassen das Meer hinein, um uns zu ersaufen. Soll ich gegen Ozeane kampfen? Die Natur ficht für Holland! Die Meergeusen zerstören unsere Flotte. Ich kann nicht mehr! Nun kündigt mir der König den zweiten Nachfolger für die Niederlande an, den Requesens, der soll die grosse Amnestie bringen, die ich umsonst gefordert. Man wollte nicht, dass ich siege. Madrid hat meine Niederlagen gewollt, meine Schande befördert, den Brand meiner Qual geschürt. Philipp schreibt mir, er kenne die Perfidie der Rebellen, er sei sogar bezaubert von meinen strengen, soldatischen Methoden, aber die Lage sei zu übel. Wer blast ihm solche Worte ein? Seit sieben Jahren höre ich, Spanien sei bankrott! Sie werfen mir die fünfundzwanzig Millionen Dukaten vor, die der Krieg in den Niederlanden verschlang, als hatte ich mich bereichert. Mein eigenes Geld gab ich in Brüssel aus! Nicht darum geht es. Aber will man die Provinzen verlieren? Mit den Niederlandern will man Güte brauchen? Was für Grundsatze! Lasst Gott alle Güte. Güte verdirbt die Menschen. Mit Strenge zieht man Kinder gross. Gottes ist die Gnade. Ich schrieb dem König: ,Sire! Ich bin ein alter Mann und kenne viele Völker. Seit sieben Jahren studiere ich die Niederlander. Horen Sie mich, Sire! Ich rate, die Niederlande anzuzünden und niederzubrennen. Niederzubrennen bis auf die paar Stadte, wo spanische Garnisonen liegen. So taten Sie in Ihrer eigenen Provinz Granada, mitten in Spanien, gegen die rebellischen Morisken. Und sollte das Land für acht oder zehn Jahre tot und wüst sein! Es wird stille sein. Sire! So ist mein Rat. Waren es eroberte Provinzen, hatte ich nicht erst lang gefragt. Es ware langst geschehn. Da es nm ein Erbteil des Hauses Habsburg geht, habe ich es nicht gewagt, einige unbedeutende Ortschaften, die ich zum Exempel strafte, ausgenommen. Einige strafe ich noch." Eboli hielt inne. Alle Minister schwiegen. Der König spielte nachdenkend mit der Feder. Beim Schein der Kerze war eine tiefsinnige Melancholie in seinem Antlitz zu lesen. Aber vielleicht schuf der Schatten diesen Eindruck. „Noch", sagte Eboli, „noch zwei Stellen, die eine aus dem letzten niederlandischen Briefe Celis, die andere aus dem ersten Brief des neuen Statthalters Requesens. Celi schreibt: ,Ich reise also, ohne Abschied von Alba zu nehmen. Der Herzog ist toll, und abgeschmackt, und bös wie Tolle. Die Lage ist fürchterlich, so ausserst furchtbar, dass man gleich, gleich Geld, Soldaten und einen guten, milden Statthalter senden muss. Unzahlige, namenlose, scheussliche Greuel beging Alba in der letzten Zeit, als wollte er zu verstehen geben, sieben Jahre lang war er mild; insieben Wochen zeige er, was reine Grausamkeit, blosse Lust am Bösen vermag. Alba hat sich in den Niederlanden ein Denkmal errichtet, dauernder als Erz. Mir, einem Fremden, einem Spanier schaudert vor soviel wilden, unnützen Leiden. Ein Stück Holz mit Bewusstsein vergösse Tranen. Ein erzenes Bild, das fühlte, müsste vor Rührung schmelzen. Alba machte den Namen ,Spanier' zum Abscheu einer Welt. Der König weiss nicht ein Hundertstel, was geschah. Philipp weiss so gut wie nichts. Alba lasst mir sagen, er habe die Stadt Mecheln, die Stadt Naarden, die Stadt Zutphen bestrafen müssen. Ich hörte greuliche Gerüchte. Ich fuhr hin. Ich sah. Die Stadt Naarden sucht man vergeblich. Die Stadt Zutphen ist nicht mehr da. Alba liesss die Trümmer noch zertrümmern. Kein Einwohner Zutphens blieb leben. Kein Einwohner Naardens. Kein Haus steht. In der Yssel schwimmen die Toten in Paketen und recken die ertrunkenen Glieder zum Himmel. Der Himmel müsste blind sein, um sie nicht zu sehn. Spanische Soldaten, sagt man, soffen das Blut der Wehrlosen, die sie wie Fische aufgeschlitzt. Alba schrieb mir, diese Bestrafungen seien eine Schickung Gottes. Ich fuhr nach Mecheln. Das war eine der reichsten Stadte des Königs, die katholische Geistlichkeit war in Prozession dem Heere Albas vors Tor entgegengeschritten. Alba schonte nicht Geistliche, nicht Mönche, brannte die Kirchen nieder und den kunstreichen Palast Granvellas. Spanische Soldaten plünderten die katholischen Kirchen. Hauptleute notzüchteten und mordeten kleine Madchen. Man sucht vergeblich in alten Chroniken aus verschollenen, rohen Zeiten ein Exempel solcher Barbarei. Alle Bischöfe erklarten, man beleidige Gott. Der König belaste sein Gewissen mit Verbrechen ohne Zahl. Ich frage den Staatsrat, ich frage alle Minister, ich frage Se. Majestat: So zu wüten und noch erfolglos, ist das nicht Wahnsinn? Alba selber merkt, dass es aus ist mit ihm. Nur wer sich ganz aufgibt, handelt so ohne Mass und Rücksicht. Alba lebt in einer unglaublichen Betrübnis." „Und nun", erklarte Eboli, „die letzte Stelle. Requesens König Philipp der Zweite 28 schreibt: Da bin ich in Brüssel. Herzog Alba lag zu Bett, als ich ihn besuchte; er lag seit Wochen zu Bett, er sagt, vor Gicht, die Leute sagen, vor Schande, manche behaupten, aus Angst vor seinen Glaubigern. Sie sollen schamlos in sein Zimmer eindringen, furchtlos schelten. Er hat sieben Jahre lang für seinen Haushalt gepumpt und nie gezahlt. Er hat Angst, über Frankreich heimzufahren. ,Dort', sagte er zu mir, .schiessen schon Könige aus den Fenstern auf die Leute.' Wir lachten beide. Er spielt auf König Karl an, der aus dem Louvre auf seine Untertanen schoss. Alba klagt so rührend, er werde von jedem in den Niederlanden so heiss gehasst und habe Philipps Beifall nicht geerntet. ,Was', fragte er, ,hatte ich mehr tun sollen?'Wir wussten's beide nicht. Er rühmte sich, achtzehntausendsechshundert Niederlander hingerichtet zu haben. Er ist bescheiden. Mich empfingen die Niederlander wie einen Erlöser, mit beispiellosem Jubel. Ich schamte mich fast. Ich bin ihnen ein unbekannter Diener des Königs. Ich bin nicht milder als andere. Nur weil ich nicht Alba bin, nur darum dieser Jubel! Hier sagt man, Wilhelm Oranien habe den Alba überwunden. Es ist schier unglaublich, wie die Leute den Oranien lieben und fürchten, wie einen Vater. Sie heissen ihn auch , Vat er Wilhelm'. Den Zehnten Albas, für den sie rebellierten, geben sie neunmal dem Oranien aus freien Stücken. Offenbar versteht Alba nichts von Geschaften. Immerhin sagt man, er gehe reicher fort, als er gekommen. Seinen Blutrat wird man abschaffen müssen. Blutrichter Vargas erklarte mir, des Herzogs Alba allzugrosse Milde sei sein Ruin gewesen. Hier ist die Sehnsucht nach Frieden gross. Viglius, Aerschot, Berlaymont, Noircarmes raten einen gnadigen Frieden, allgemeine Duldung, bedingungslose Wiedereinsetzung des Prinzen von Oranien. Auch die spanischen Generale sind müde der Metzgerei Albas. In den Finanzen nur Konfusion! Der Bankrott ist vollkommen. Ich bat den Herzog Alba um Aufschluss über die Lage der Finanzen. Er lehnte es rundweg ab. Ich bat ihn um ein paar allgemeine Ziffern. Alba liess mir sagen, ihm mangle die Zeit. Vierzig Millionen sind hin. Die Gold- schatze Indiens werden kaum reichen. Im Schatz ist kein Pfennig. Wir haben zweiundsechzigtausend Soldaten in den Provinzen. Ich begriff zuvor nicht, wie die Seebettler solche Flotten ausrüsten, da uns dafür das Geld mangelt. Ich sehe hier, dass Leute, die für ihr Leben, ihre Familien, ihr Eigentum und ihre falsche Religion, kurz für ihre eigene Sache kampfen, schon mit den Rationen zufrieden sind, ohne Löhnung. Es fragt sich, ob wir den Aufstand beilegen können, ohne uns mit Oranien zu versöhnen. Ich will's versuchen. Morgen verkünde ich feierlich die Amnestie. Wir wollen unsern Feinden vergeben." Der König blickte erwartungsvoll auf Espinosa. Der Grossinquisitor zögerte. War es doch ein Fehler, Alba um jeden Preis zu stützen? Dem Grossinquisitor fiel ein, dass eine Guzman eine Geliebte des Königs gewesen, der König hatte die schwangere Guzman mit dem Prinzen von Ascoli vermahlt und ihn zum Kammerer gemacht, damit er nicht nach Italien heimkehre; denn Philipp wollte den Genuss der Guzman nicht entbehren. Vielleicht waren des Königs und Friedrichs Matressen Kusinen, und die Prinzessin Ascoli, die ihren jungen Gatten recht bald verloren hatte, und in heiterer Witwenschaft bei Hofe lebte, wo ihr Sohn, der kleine Prinz Ascoli, gleich Anna Ebolis altestem Sohn, mit den andern Kindern Philipps erzogen wurde, vielleicht hatte die lustige Guzman für diese andere Guzman sich verwendet ? Es gab zu viele königliche Matressen in Madrid, als dass man jede Intrige in des Königs Bett durchschauen konnte. Espinosa blickte unschlüssig auf Eboli, als holte er sich in des Feindes Zügen Rat. Eboli sah ihn nicht an. Er schien zu traumen. Vielleicht litt er Schmerzen. Er sah leidend aus. Vielleicht dachte der Kranke an seinen Tod. Eboli war noch nicht alt, fünfzig, einundfünfzig. Espinosa dachte mit einem Mal an seinen Tod. Er war einundsiebzig Jahre alt. Am Morgen hatte er die Nachricht vom Tode zweier alter Freunde erhalten. Zu Rom war Carranza gestorben, seit einer Woche in Freiheit, entlassen aus dem jahrzehntelangen Ketzerprozess, den Valdes begonnen, den Espinosa fortgesetzt, den zwei Papste zu Rom beendet hatten. Pius hatte Carranza freigesprochen, zur Schande Philipps und der spanischen Inquisition, doch Pius starb, ehe sein Urteil rechtskraftig geworden. Der neue Papst Gregor musste aus formalen Gründen den Prozess erneuern. Er bestrafte, um Philipps Eitelkeit zu schonen, Carranza mit einer kleinen Busse, er sollte in sieben Kirchen Roms beten. Heute hatte Espinosa den Bericht von der Bestattung Carranzas erhalten. Der Heilige Vater liess dem einstigen Erzbischof von Toledo ein Denkmal setzen und rühmte in Stein seine grossen Verdienste um die Kirche. König Philipp hatte diesen fünfzehnjahrigen Prozess verloren. Immerhin, der Erzbischof von Toledo war tot, und fünfzehn Jahre lang hatte König Philipp die Einnahmen des Erzbistums Toledo, jahrlich zwei Millionen Gulden, in seine Tasche gesteckt und das Geld für seine grossen Bauten, den Escorial und andere Klöster und Schlösser verwandt. Espinosa hatte den König für den Fall von Carranzas endgültiger Verdammung oder Tod um das Erzbistum Toledo gebeten; heute, da Carranza tot war, hatte Philipp die Kreatur Ebolis, den Quiroga zum Erzbischof von Toledo ernannt, zur Wut Espinosas, wahrscheinlich weil Quiroga noch alter war als Espinosa und nach seinem wohl baldigen Tode Philipps Neffe Albert die Würde erhalten sollte. Mich halt der König für zu langlebig, dachte Espinosa, trotz seiner Wut ein wenig dadurch getröstet. Er beschloss, so alt zu werden wie sein anderer Freund, dessen Tod er heut erfahren, der berühmte Indianerbischof Las Casas, der schier hundert Jahre alt geworden. Zuletzt war er schon fast taub. Sein Beichtvater, der einst mit ihm bei den wilden Indianern im Urwald gelebt hatte, schrie oft in der Kirche des Klosters zu Valladolid, wo beide als Mönche lebten, dem Ertaubten, der ihm beichtete, ins Ohr, so laut, dass alle in der Kirche es vernahmen: ,Bischof, vergesst Ihr auch nicht unsere Brüder, die Indianer ?' ,Wie?' schrie hüstelnd der Hundertjahrige, und speichelte ein wenig vor Aufregung. ,Was für Spanier?' ,Die Indianer', schrie der alte Beichtvater und treue Gefahrte, ,die roten Leute aus Indien! Habt Ihr sie vergessen, Bischof Las Casas? Euer Geist, geht er nicht müssig?' ,Ja', schwor der Hundertjahrige, ,ja', schwor er, ,ich will Busse tun, ich denke zu wenig an unsere roten Brüder. Ich will dem Kaiser schreiben!' ,Kein Kaiser mehr! Ihr meint den König Philipp', schrie der Beichtvater. ,Was? Was?' schrie der Hundertjahrige und lachelte unglaubig. ,Gibt es keinen Kaiser mehr?' ,Ja', schrie der Beichtvater. ,Aber in Spanien regiert König Philipp der Zweite.' ,Weiss ich', erwiderte der Hundertjahrige und lachelte schlau. ,Ich war beim Philipp. Ich sah ihm ins Herz. Das ist ein guter König. Er hat ein Herz für die Indianer! Ein guter Mensch, der Philipp.' ,Ihr müsst zwanzig Ave Maria beten, Ihr müsst Busse tun', schrie der Beichtvater. ,Ihr denkt zu wenig an unsere Indianer.' So spielten sich die Beichtgesprache des hundertjahrigen Las Casas ab, so hatten es die Mönche dem Grossinquisitor verraten. Ich, dachte Espinosa, will gleichfalls hundert Jahre alt werden und weniger kindisch sein. Er fühlte sich nicht wohl diese Nacht. Es ist rücksichtslos, dachte er plötzlich erbittert, einem alten Mann zuzumuten, statt in der Nacht zu schlafen, für eines andern Mannes Laufbahn zu kampfen. Ihn packte ein Jahzorn. Dieser Eboli, einen Schritt vor dem Tode, wollte den Alba, wollte ihn vernichten. Espinosa blickte den König an, der geduldig auf seine Antwort zu warten schien. Espinosa schluckte hinunter und erklarte in einer schwachen Minute: „Ich habe Briefe von Bischöfen der Niederlande, vom Erzbischof von Mecheln sogar, die dem Herzog Alba und seinem katholischen Eifer den höchsten Beifall spenden. Der Herzog von Medina Celi und Requesens sind Partei, sind in den Geschaften der Niederlande Neulinge, der Kardinal Granvella schreibt mir.. Der König unterbrach, zum ersten Mal, seinen Grossin- quisitor brüsk; sonst zog er den Hut vor ihm, stand vor ihm auf, begleitete ihn bis vor die Tür. Jetzt sagte Philipp: „Wo sind diese Briefe?" „In meinem Hause", erwiderte der Grossinquisitor und fügte hinzu, anspielend auf Philipps bekannte Gewohnheit, seine Akten mitzuschleifen, auf Lustschlösser, in den Escorial, ja selbst ins Bett der Wollust: „Ich lustwandle nicht mit allen Briefen, die ich empfange." Ebolis Lacheln war schuld an dieser tödlichen Dummheit Espinosas. Espinosa hatte aufblickend es gewahrt und nicht mehr an sich gehalten. Er hatte anders gesprochen, hatte er die Gründe für Ebolis Lacheln, für Ebolis aussersten Angriff auf Alba gekannt. Eboli, seiner tödlichen Krankheit bewusst, ward vor dem Tod, was er fünfzig Jahre nicht gewesen, ein vermessener Spieier wie sein junger Freund Perez. Er setzte alles auf eine Karte. Der Kaiser, Philipps Vetter, Schwager, Schwiegervater, war gestorben. Zwar hinterliess er Söhne, die der Kaiserkrone am nachsten standen. Doch war auch Philipp eines Kaisers Sohn. Eboli, der seinen Herrn kannte, hatte Verhandlungen mit den deutschen Kurfürsten begonnen; eine Million Dukaten Bestechungsgelder schickte er dem spanischen Gesandten an den kaiserlichen Hof, nach Gutdünken auszuteilen, Eboli verhandelte mit dem Heiligen Vater. Der spanische Gesandte berichtete, Philipps Mühe sei aussichtslos, falls er nicht die lutherischen Kurfürsten versöhne. Geld sei unzulanglich. Der König müsste seine niederlandische Politik grundlegend andern. Er müsste die von der Religion tolerieren, müsste beschwören, alle Toleranzedikte im Reich zu halten, Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit, und Wilhelm von Oranien und seinen Bruder Nassau ganzlich wiederherstellen in alle Güter, Amter und Würden. Wilhelm von Oranien halte den Schlüssel in der Hand. Ohne die Aussöhnung mit ihm habe König Philipp keine Aussicht, deutscher Kaiser zu werden. Verzagt hatte Eboli diese Ansicht von einem Dutzend Kennern der Lage wiedergehört. Tollkühn wagte er, in fernsten, vorsichtigsten Andeutungen zum König davon zu reden — und gewahrte entzückt und angstlich, dass Philipp vor Gier nach dieser Kaiserkrone brannte und ihretwegen bereit war, alles abzuschwören, seine ganze niederlandische Politik seit knappen zwanzig Jahren. „Ja", erklarte Philipp, „versöhnen wir uns mit Oranien, schwören wir, die andere Religion im Reich und in den Provinzen zu dulden. Schreiben Sie den Kurfürsten", trug er dem Eboli auf, „auch ich bin ein Deutscher, so gut wie einer, von Aussehn, Herkunft, Blut und Empfindung. Ich spreche deutsch. Ich bin ein Habsburger! Schreiben Sie es!" Eboli hatte es geschrieben: ,.. . und ist König Philipp ein Deutscher. ..' Eboli beglückwünschte sich. Er glaubte nicht, dass sein Herr Kaiser würde, so wenig er an Philipps Kenntnis der deutschen Sprache glaubte. Aber die Hoffnung Philipps reichte hin, um mörderisch für Alba und Espinosa zu werden. Espinosa hatte in diesen Tagen den alten Vorschlag Granvellas aufgenommen, man sollte über den Prinzen von Oranien öffentlich die Acht erklaren und einen Preis, etwa dreissigtausend Dukaten, auf seinen Kopf ausschreiben, auch den Adel könnte man dem Mörder offerieren. Der König aber dachte an Versöhnung. Er hatte geduldig den Vorschlag Espinosas angehört und wie gewöhnlich erwidert, der Grossinquisitor solle schriftlich seinen Vorschlag einreichen. Espinosa hatte es getan. Eboli hatte das Memorandum gelesen, höhnisch lachelnd. Daran dachte er nun und lachelte das selbe höhnische Lacheln. Über dieses Lacheln war Espinosa in Zorn geraten und hatte dem König erwidert, dass er nicht mit Briefen lustwandle. Philipp sah seinen Grossinquisitor an. „Gehen Sie", sagte er zu Espinosa, „gehen Sie und bringen Sie diese Briefe sogleich!" Espinosa starrte ihn an. Er stotterte, er wisse nicht genau, sein Sekretar sei über Land, er empfange soviele Briefe. „Gehen Sie", sagte leise der König und warf dem Kardinal einen glühenden Bliek zu, „suchen Sie diese Briefe. Ich gebe Ihnen Zeit bis zum Mittag. Mönchlein", schrie Philipp plötzlich, „wenn du mich anlügst, mache ich dich hin!" Espinosa starrte den König an. Er versuchte zweimal, aufzustehn. Es misslang ihm. Er wollte reden. Nur ein Achzen kam aus ihm. Endlich gelang es ihm, aufzustehn. Da er stand, fand er seine Kraft wieder. Er straffte sich und sagte, er werde schon am Morgen die Briefe vorlegen, und nicht nur diese, er habe ein bedeutendes Material dem König vorzulegen, über die Umtriebe gewisser Diener des Königs, da traf ihn ein neuer Bliek Philipps, ein Zittern befiel den Grossinquisitor, er sah den Mord im Bliek des Königs, Espinosa unterdrückte mit ausserster Gewalt sein Zittern, nur seine Lippen bebten noch, als er fast flüsternd sagte: „Morgen früh, spatestens am Mittag bringe ich alle Briefe, auch vom Erzbischof von Mecheln." Er wiederholte: „Spatestens morgen Mittag", grüsste den König, ging nach Haus, aufrecht, nur seine Lippen horten nicht zu zittern auf, er legte sich zu Bett, die Arzte kamen, er konnte nicht mehr sprechen, nur seine Lippen zitterten, die Arzte liessen ihm zur Ader, er fiel in Ohnmacht, die Ohnmacht zog sich hin. Gegen Mittag kamen Eboli, Perez und noch einige jüngere Minister ins Haus des Kardinals und gingen in sein Schlafzimmer und traten rechts und links an sein Bett und horten die Erklarungen der Arzte. „Der Kardinal", sagte vorsichtig der alteste Arzt, „liegt seit elf Stunden ohne ein Lebenszeichen, man darf ruhig sagen wie tot." „Er ist tot", erklarte Eboli. „Ich komme aus dem Kabinett des Königs. Se. Majestat befahl ausdrücklich, den Leichnam des Grossinquisitors unverzüglich einzubalsamieren. Ich bürge für alle Folgen. öffnen Sie die Leiche!" Die Arzte holten ihre Messer und Materialien, entkleideten und wuschen den Greis und rüsteten alles. Die Minister standen ums Bett und sahen zu. Der alteste Arzt, ein Mann mit ehrwürdig weissem, langem Bart, setzte das Messer an den weichen Bauch des Greises und schnitt, da streckte der nackte Grossinquisitor seine Hand aus und griff ins Messer. Der Arzt hielt inne. „Was gibt's?" fragte Eboli. Der Arzt wies auf den Kardinal. Zuckungen gingen durch die Gliedmassen des nackten Greises. „Das bedeutet nichts", sagte Eboli und wandte sich ab. Die Arzte weigerten sich, fortzufahren, ehe nicht des Königs ausdrücklicher, nochmaliger Befehl sie ermachtigen würde. Ein Kammerer lief zum Palaste und brachte des Königs Antwort. Der König befahl, die Leiche einzubalsamieren. „Die Leiche!", begann ein jüngerer Arzt. „Indes.. Da sagte Eboli: „Der neue Grossinquisitor Quiroga, der Erzbischof von Toledo, hat die Totenfeier schon angeordnet, der Termin steht fest." Da vollendeten die Arzte ihr Werk. Es ward eine schone Leiche. Der greise Arzt war ein Künstler in seinem Fach. Der König überschlug die Tausende, die Espinosa verbrannt, und die Millionen, die er im Namen Gottes erpresst hatte, und war mit der Bilanz zufrieden, und verzieh dem Hingeschiedenen. Toten vergab der König viel. Philipp achtete nicht mehr seiner Jahre. Bald war er ein Mann von Fünfzig. Er fuhr von Madrid nach Segovia, von Segovia nach Aranjuez, von Aranjuez nach dem Escorial, die öde, baumlose Strasse zu den nackten, niedern Hügeln im steinigen Land. Ein paar Mal ging er auf die Jagd, in den Waldern wechselte er ein paar Worte mit einem Montero, mit einem Alkalden, den fragte er nach seinem Amt, den nach seinen Geschaften, jeden nach seinem Stand. Selten speiste er öffentlich, selten mit Weib und Kindern, Freitags stets im Verborgenen, weil er — mit Erlaubnis des Heiligen Vaters — Fleisch ass (aus Frömmigkeit nur einen Fleischgang). Ein paar Mal im Jahr zeigte er sich auf einer Galerie, die von seinen Gemachern zur Kapelle führte, dem ausgewahlten, gut bewachten Volk, spater blieb er ganz in seinen Gemachern. Viele Granden und Adlige zogen sich zurück vom Hof, wo sie sich arm machten, um zuletzt zweimal oder dreimal im Jahr den König von ferne gesehen zu haben. Vielen erschien der König wie aus Stein, steinern die Allüre, steinern das Herz. Ein Stoiker, sagten die Gelehrten. Ein grosser Mann, erklarten die Höflinge. Die Hofchronisten schrieben, im Volk heisse Philipp der Kluge, Gütige, Gerechte. Philipp sagte, er sei der Kirche Diener, er fordere nur Gehorsam, er lebe nur für die katholische Religion. Er ward feierlich mit sich selber. Oft sass er allein im Kabinett, vor seinen Briefen, Akten, Rechnungen, oder er lag allein im Bett bei einer Kerze Licht mit seinen Rechnungen, Akten, Briefen, spat in der Nacht, und lachelte gnadig, und winkte, naherzutreten, und sagte: Sosegaos, beruhigen Sie sich, und erklarte abschliessend: Ich werde es meinem Rat vorlegen. . die geübten Worte in die Luft sprechend, zu Schatten, zu Gedanken, zu seinen eigenen Planen, ja zu sich selber (Gnadiges Lacheln, Sosegaos, leise Stimme, dem Rat vorlegen, in Erwagung ziehen, so fort). Philipp trieb alles still zum Aussersten, alles mit starrer Würde und grossen Verzögerungen. Zu Aranjuez zeugte, im Escorial büsste er; dort pflanzte er Baume, hier baute er Wohnungen für seine Heiligen und seine Toten. Die Heiligen schützten ihn vor dem Teufel, Satan war machtig. Philipp spürte seine Kralle hinter Ketzern und Rebellen, hinter dem ungehorsamen Sohn, der eigensinnigen Frau, den untreuen Dienern und den feindlichen Königen. Mit wollüstiger Neugier fand Philipp Satans Spuren an sich. Er duldete, dass die Minister von ihm wie von Heiligen sprachen, ihm schrieben, sie hatten die sehr heilige Antwort der Majestat erhalten. Gott war sein Vater, die Toten wurden seine Freunde. Lange Jahre verbrachte Philipp mit der Jungfrau Leokadia und ihrer Heimführung. Leokadia stammte aus Toledo und war eigenen Angaben zufolge des Galilaers Sklavin. Die Mönche von Saint-Ghislain in Flandern verwahrten sie in ihrem Kloster und liebten sie inbrünstig. Decius hatte sie geprügelt, Ildefons sie heilig gepriesen. Lange hatte sie zu Oviedo gehaust, mit den Sarazenen war sie verschwunden. Ich will sie haben, schrieb Philipp oft an Alba. Alba glaubte nicht an ihre Echtheit. Obendrein war sie nicht komplett. Alba schrieb dem König: ,Wir haben schon genug Heilige in Spanien! Ich brauche Soldaten!' Das sollte er büssen. Da er mit seinem Sohne Friedrich zu Hofe kam, ernannte der König am andern Tag die verlassene Guzman zur Ehrendame der Königin Anna und las im Staatsrat die Briefe der Guzman aus dem Kloster Santa Fe zu Toledo vor, die an den König klagend von der Kürze des Lebens und verlangend von ihrem Friedrich schrieb, der freilich nach so langen Jahren ihre Gestalt, ihrer Augen Farbe, ihres Fleisches Geschmack vergessen hatte. Der König schickte Friedrich ins Gefangnis. Der abgeurteilte Prozess ward neu begonnen. Des Königs Beichtvater Chaves, des Königs Kabinettsekretar Vasquez und Prasident Pazos waren die Richter. Sie luden den Alba vor, sie steilten ihm hundert einfaltige Fragen, nach dem System der Inquisition. Die Richter klagten den Sohn, sein junges Weib und den Vater an. Alba behandelte die Richter wie Bedienstete. Geringschatzig lachelnd erklarte er, der König habe die Ehe Friedrichs erlaubt und zeigte Briefe der Majestat nach Flandern. Philipp schrieb Pazos, man muss den Prozess besser führen. Die Richter baten den König um die Erlaubnis, Friedrich zu ewigem Kerker, Alba und sein Weib zum Exil auf ihren Gütern zu verdammen. Der König schrieb an den Rand, wo vom ewigen Kerker Friedrichs die Rede war: ,Recht gut!', aber wo vom Exil auf den Gütern stand, schrieb er: ,Falsch! Man muss den Alba halten, wo man ihn kontrollieren kann!' und bestimmte ihm zum Gefangnis den kleinen Ort Uzeda, nur den Umkreis der bewohnten Stadt. Die Herzogin erhielt die Erlaubnis, beim Herzog zu bleiben. Sein Sekretar, der einaugige Albornoz, kam ohne Prozess ins Gefangnis. Bis zur Verkündung des Urteils kam der alte, weltberühmte Alba taglich ins Vorzimmer des Königs, ging in jede öffentliche Audienz, erschien zu den Sitzungen des Staatsrats, nahm schweigend Demütigungen an. Als er einmal den König zu sprechen wünschte und zum Spek- takel des Vorzimmers zwei Stunden vergeblich gewartet hatte, ging Alba zur Tür und zog den Schlüssel zum Kabinett des Königs, den nur er, Eboli und Espinosa erhalten hatten, um wie in alten Tagen aufzusperren und zwanglos einzutreten, da fand er die Tür von innen zugeriegelt. Alba rüttelte zweimal, die Türe öffnete sich brüsk und der elegante Minister Perez stand in der Tür und schrie: „Der König ist beschaftigt!" und schlug dem Greis die Türe vor der Nase zu. Alba ging zu einem Fenster. Als Eboli, spater angekommen, noch vor dem Herzog ins Kabinett gerufen wurde, sagte Alba laut hinter ihm drein: „Grosser Meister in Bücklingen! Das sind die Lieblinge Philipps!" Am Abend speiste der König öffentlich im kleinen Zirkel. Alba erschien bei Tafel. Als er zu reden anfing, begann Perez eine alberne Geschichte zum besten zu geben, von einem Lizentiaten, der in den Glauben fiel, er sei aus Glas. Alba blickte in die Runde. Alle schienen einverstanden mit Antonios Frechheit. Endlich erbarmte sich ein Feind. Marquis Los Velez, der geschlagene General aus dem Moriskenkrieg, begann ein Gesprach. Er erklarte dem Alba, das Unglück Spaniens sei, dass es nicht Portugal besitze. Da fragte Alba laut: „Wohin sollten dann unsere Kinder vor einem König flüchten?" Am andern Tag erhielt der Herzog sein Urteil; er bat um Audienz, der König verweigerte sie. Ein Alkalde kam in des Herzogs Palast und begleitete ihn bis in den Ort Uzeda. Den Tag zuvor war Simon Renard in seinem Kerker gestorben. Den ganzen Tag hatte der Sterbende stündlich aus dem Gefangnis Briefe und Boten an Alba, seinen alten Freund aus kaiserlichen Zeiten, geschickt, er sterbe, er wolle vor dem Tod Alba sehn, er habe ihm Wichtiges zu sagen, er könne nicht ruhig sterben, er bitte nur um die Zeit, die ein Paternoster nimmt. Der Herzog, der in den Zeiten seines Glanzes vergeblich für den unglücklichen Freund sich bemüht hatte, sass den selben Tag im Vorzimmer des Königs und bettelte vergeblich um Audienz. So nahm der alte Simon Renard sein Geheimnis oder seine Bitte oder was er auf dem Herzen hatte, in die bessere Welt hinüber. Alba schrieb aus Uzeda an Philipp: ,Sire! Die Könige benutzen Menschen wie Pomeranzen. Sie drücken sie aus und werfen die Schale weg.' Im höchsten Sommer, am heissesten Tag des Jahres, legte sich Eboli gegen Mittag zu Bett. Er war im Kabinett des Königs, mitten in einem gleichgültigen Gesprach, in Ohnmacht gefallen. Eboli kam rasch wieder zu sich. Der König war sehr besorgt, sehr gnadig, und bestand darauf, dass Eboli sich zu Bett lege. „Für heute nur", sagte Philipp, „ruhen Sie aus. Morgen sind Sie der alte wieder." Am andern Tag fühlte sich Eboli schwacher. Er versuchte aufzustehn. Es gelang ihm nicht. So blieb er liegen. Er schickte einen Pagen zu seiner Frau. Anna lief hastig in sein Zimmer. Vor der Tür blieb sie stehn und wartete, bis ihr Atem ruhiger wurde. Sie zitterte, als sie eintrat. Sie setzte sich auf sein Bett. Eboli sah sie einen Augenblick an und blickte fort. „Du fühlst dich müde?" fragte Anna ihren Mann. Eboli tauschte einen kurzen Bliek mit seiner Frau. Dann schaute er zur Decke und stöhnte. „Du hast Schmerzen?" fragte Anna zartlich, angstlich. Eboli lag still. Bald kamen die Arzte des Königs. Philipp hatte sie gesandt. Sie liessen dem Kranken zur Ader. „Es ist keine Gefahr", sagten sie. „Eine gewisse Ermüdung, die Last der Geschafte, die vielen Nachtwachen, eine kleine Erschöpfung. Ein paar Tage Ruhe, reichliches Essen, ein wenig Wein!" Die Arzte gingen unter grossen Bücklingen. Eboli zitierte vor seiner Frau, die Arzte waren noch nicht aus der Tür, das Sprichwort von den kastilischen Arzten: Lange Röcke, kurze Wissenschaft! Anna sagte lachelnd: „Da hast du es gehort, mein Lieber. Es ist nichts. Du bist ein wenig müde." „Ja", sagte Eboli höflich wie immer, „müde." Am Abend kam Antonio Perez. Er erschrak, als er seinen Freund sah. Schweigend setzte er sich ans Bett des Kranken. „Nun", fragte Eboli mit schwacher Stimme, „lieber Freund, wie finden Sie mich? Ein wenig müde? Wie? Ein wenig Ruhe? Was?" Antonio schwieg bekümmert. Anna sass zu Haupten ihres Mannes, Perez zu seinen Füssen. Eboli wandte seinen Bliek nicht vom Gesicht des Freundes, als lese er die Antwort dort, als errate er ein Urteil. Antonio erwiderte den Bliek des Freundes. Eboli lachelte. Dieses Lacheln schien dem Freund am schwersten ertraglich. Antonio öffnete die Lippen, er schwieg. „Antonio", murmelte Eboli, „du bist mir eine Antwort schuldig geblieben. Ich fühle sie da." Eboli legte die Hand auf seine Brust. Anna weinte still, mit unbewegter Miene. Nie hatte sie gedacht, dass sie diesen Ruy Gomez, diesen Fürsten von Eboli so schmerzlich liebe. Eboli sah sein Weib von der Seite an und bewegte mit grosser Mühe seine Hand. Sie ergriff sie mit beiden Handen. Ebolis Hand war heiss und trocken. Anna hielt sie. Die Kerzen flackerten. Es war zum Ersticken heiss. Gegen Abend kamen die Arzte des Königs wieder. Sie betrachteten den Kranken flüchtig, ausserten, es sei alles wie gesagt, zwei von ihnen erboten sich, die Nacht im Haus des Ministers zu verbringen. Man führte sie in ein Zimmer und reichte ihnen ein Mahl. Zwei Stunden spater kam Philipp ins Haus seines Dieners. Nur zwei Monteros, zwei Fackeltrager, ein Arzt und sein Beichtvater de Chaves begleiteten ihn. Alle gingen in den Vorsaal. Der König blieb mit seinem Minister allein. „Sie müssen beichten, lieber Freund", sagte der König, „ich habe alles angeordnet. Sie werden das Sakrament empfangen." Philipp setzte sich zu Haupten Ebolis. Eboli hatte vergebliche Anstalten gemacht, um den König geziemend zu begrüssen. „Vergeben Sie, Sire!" bat er, „meine Schwache.. Der König unterbrach ihn. „Erinnerst du dich, Ruy Gomez, wie ich dir das Leben rettete, als du mich schlugst, den Sohn des Kaisers? Karl wollte dich umbringen. Wie habe ich um dein Leben geweint! Jetzt willst du fortgehn? Du verratst mich. Schworst du nicht, mir dein ganzes Leben zu schenken? Willst du dein Wort nicht halten?" „Sire", sagte Eboli sehr langsam, als finde er die Worte nicht mehr. „Ich kann nicht mehr!" Eboli weinte. Der König betrachtete still die Tranen seines Freundes. Endlich stand Philipp auf. Er murmelte. „Die Geschafte, du weisst." Eboli flüsterte: „Und der Kurier aus den Niederlanden? Das Gerücht von einem grossen Sieg... Ist es wahr?" Philipp vergass sich. Er setzte sich aufs Bett seines Kammerlings. „Ein grosser Sieg", erzahlte er eifrig und bekümmert, „und für den Teufel! Zu Mook schreibt der Generalstatthalter Requesens, hat er die neue Armee von Ludwig Nassau massakriert. Verloren ist das Geld, das unser Vetter Karl von Frankreich dem Nassau geliehen hat. Die Deutschen haben die eigene Feldkasse geplündert. Nassau, sein Bruder Heinrich, der Herzog Christoph von der Pfalz sind erschlagen, ihre Leichname verschwunden." „Viktoria!" flüsterte Eboli. „Es ist nichts", erklarte kummervoll der König. „Am nachsten Tag haben unsere Veteranen gemeutert, schreibt Requesens, sie haben unsere Stadt Antwerpen besetzt und mit ihren Weibern und Trossknechten bei den Bürgern sich einquartiert. Sie beichten nicht mehr. Sie kommunizieren nicht, nicht einer geht zur Messe. Requesens hat mir drei Briefe geschickt, jeden dreissig Seiten lang. Er schreibt, der Teufel ist gegen uns. Der Oranien, schreibt er, hat einen Pakt mit dem Teufel. Glaubst du daran, Ruy Gomez? Requesens musste die Belagerung der Stadt Leyden aufgeben, wir haben kein Geld mehr, wir haben keine Soldaten. Die Hollander machen Papiergeld, ich habe keinen Kredit. Ich bin mutlos, Eboli. Quiroga, unser milder Grossinquisitor, sagt, alle Niederlander sind schuldig, die Rebellen, und die behaupten, keine zu sein, alles eins, sagt Quiroga, Wolf und Fuchs sitzen im selben Rat, wie das Sprichwort sagt. Ich schrieb heut dem Requesens, was besser sei, die Provinzen zu überschwemmen oder sie niederzubrennen, wie der unselige Alba riet ? Nichts schlug bis heute an, und doch ist Gottes Wille klar. Die Niederlande ersaufen, hat einen Anstrich von Grausamkeit und verdürbe unsern guten Ruf, schrieb ich dem Requesens. Das vermeidet man besser. Aber niederbrennen, die Stadte, die Dörfer, die Baume und Ernten, das ginge; denn der Grund und Boden bleibt uns, und sie werden sich unterwerfen müssen. Ich steilte ihm den Zeitpunkt der Aktion frei. Vielleicht sei der erste Frost günstig. So weit, so gut. Nun erhalte ich einen Brief von Granvella. Er rat dringend zur Milde. Das Messer, schreibt er, schneidet schon zu lange. Sogar die Mönche fliehn vor uns. Sogar die katholischen Geistlichen in Flandern sind gegen uns und setzen sich eher mit Ketzern zu Tisch als mit Spaniern! Was tun, lieber Ruy Gomez? Ware ich nur Kaiser geworden... sie wahlten einen andern." Ruy Gomez schwieg. Der König sah ihn an und begriff, dass sein Minister gar keinen Rat mehr wusste. „Gute Nacht", sagte Philipp leise und verliess das Zimmer. Anna und Perez blieben die Nacht bei Eboli. In der Frühe ging es ihm besser. Er verlangte zu trinken. Sie reichten ihm einen Becher Wein. Das tat ihm wohl. Soll man die Kinder holen ? fragte Anna. Eboli verneinte. Da errötete Anna. Sie empfand einen Vorwurf Ebolis. Eboli lebte noch eine Woche. Sie begruben ihn am ersten August. Die Hitze in Madrid war schier unertraglich. Dennoch war Philipp in Madrid geblieben. Die Fürstin Eboli schrieb nach Granada, an ihren alten Onkel Mendoza. Sie schrieb: ,Mein Mann ist tot. Ich bin unglücklich. Der arme Eboli! Ich fühle einen brennenden Durst nach ich weiss nicht was. Ich habe schreckliche Traume. Ich wache auf und will zu Eboli laufen, in der Nacht glaube ich, er lebt noch, ich steige aus dem Bett, gehe über den Flur, zu seinen Zimmern. Vor der Tür erinnere ich mich, dass Eboli nie zu Hause schlief. Und komme zu mir. Ich bin unglücklich. Dabei habe ich den Ruy Gomez wirklich nie geliebt. Wenigstens zu seinen Lebzeiten nicht. Kann man sich in Tote verlieben? Es war immer mein ganzer Stolz, vernünftig zu sein. Was ist aus mir geworden? Mein alter Freund, ich kenne mich nicht mehr. Warest du nicht verbannt, ich riefe: Mendoza! Zu Hilfe! Ware nicht Philipp, und ein kindisches Gefühl, als wohnte in Madrid ein Mann, der mir meine verlorene Jugend ersetzte, mehr, weiter... Mendoza, ich liege den langen Tag im Bette und denke über das Leben nach. Ich wusste alles so genau. Ich spreche nicht von den Irrtümern meines Lebens, von den Fehlern. Das ist so gewöhnlich. Du kennst mich. Vor Dir habe ich keine Scham. Ich habe Dich gern, Mendoza, und weiss, dass Du ein grosser Mann bist. Ich war immer gescheit genug zu wissen, dass nur die Denkenden, nur die Betrachtenden wahrhaft gut sind. Im geheimsten Winkel meiner Vernunft, in meiner reinsten Stelle habe ich Dich immer angebetet, teurer Onkel Mendoza. Aber meine unreinen Stellen, die Höhlungen meiner Leidenschaften, sind finsterer und machtiger, mich zieht es zu den Handelnden. Ach, die Grossen sind selten gross. Neulich fragte ich den Philipp: ,Sire? Und Ihre Familie? Lieben Sie Ihre Familie?' Und dachte: Seine Familie? Verrückte und Mörder! Er gab mir keine Antwort. ,Sire', fragte ich, ,wen lieben Sie?' ,Meine Pflicht', antwortete er. Ich werde giftig über solchen Worten. .Philipp', sagte ich, ,du hassest die Menschen.' Da antwortete er: ,Ja aber sind dir denn die Menschen sympathisch?' Was soll man darauf erwidern? Allgemeinheiten machen gemein. Was soll ich tun? Mendoza, warest Du nicht verbannt, ich riefe Dich zu Hilfe. Vielleicht komme ich zu Dir nach Granada. Manchmal denke ich, ein Kloster ware gut. Umarme mich, in Gedanken, lieber, treuer Freund!' Die Fürstin Eboli las den Brief nicht, bevor sie ihn siegelte und mit einem treuen Boten absandte. Vier Wochen spater erst las sie ihn zum zweiten Mal, da ihn ihr Bote uneröffnet aus Granada wiederbrachte. Ihr Onkel Mendoza war tot. In der Verbannung gestorben und begraben, wie es sich für Poeten ziemt, wenn Tyrannen herrschen. Anna las ihren eigenen Brief wieder und schamte sich und verstand ihn nicht mehr. Sie brach auf, um ins Kloster der unbeschuhten Karmeliterinnen zu Toledo zu fahren und dort König Philipp der Zweite 29 zu leben, unter der Hut der berühmten Teresa von Avila, der frommen Reformatorin. Anna Eboli ging ins Kloster, und die Königin Anna triumphierte. Da die junge Königin des Abends im Kabinett sass, sanft lachelnd und wieder in Hoffnung, und an einer Altardecke stickte und von Zeit zu Zeit Sand auf den Namen des Königs Philipp streute, und von Zeit zu Zeit mit langen, triumphierenden Blieken ihn musterte, den kahlen Kopf, den weissen Bart, die emsigen Hande, sagte sie plötzlich, als Philipp aufblickte: „Ich habe sie ins Kloster geschickt." Philipp blinzelte, wie vor zu starkem Licht. „Was sagst du?" fragte er, noch lachelnd wie gewöhnlich. Ehe die Königin antworten konnte, rief der König die Damen seiner kleinen Lieblingstochter Klara Eugenia, die neben ihm sass und seine Arbeit kontrollierte, und erklarte, die Infantin wünsche, sogleich zu Bett zu gehn. Da Philipp mit seiner Frau allein war, sagte Anna rasch und mit einem komischen Ausdruck im Gesicht, wie ein angstliches Schulmadchen, das mehr weiss als sein Lehrer und den Triumph nicht verbergen kann und doch nicht vergisst, dass es ausgeliefert ist, rasch sagte die junge hoffende Königin: „Ich habe sie ins Kloster geschickt." Philipp war grenzenlos erstaunt. Den Entschluss der Fürstin Eboli, ins Kloster zu gehn, hatte er mit Unwillen vernommen. Nur seine Langsamkeit und seine gewöhnliche Unentschlossenheit hatten dieses ihm peinliche Ereignis nicht verhindert. Die Eboli hatte es dem König in der Nacht mitgeteilt und war am Morgen abgereist. Philipp sehnte sich nach ihr. Da sie Madrid verlassen hatte, hielt er an sich und sprach nur ein bitteres Wort im allgemeinen über Frauen vor seinem jungen Minister Perez aus, am Morgen, als der neue Kammerdiener Santoyo die Füsse des Königs massierte. Perez hatte das Wort sogleich der Fürstin ins Kloster nach Toledo geschrieben. Philipp hatte den Entschluss der Eboli für eine flüchtige Laune einer Weltdame gehalten. Auch er pflegte nach Bestattungen von Gattinnen ins Kloster zu gehn, für eine Weile. Anna wird wiederkommen, sagte er sich, sie hat nach zwei Wochen die Nonnen satt. Der fromme König hielt seine Freundin für frivol. Nun aber sagte man ihm ruhig so ungeheure Dinge. Gab es einen Menschen auf der Welt, der eine Freundin des Königs Philipp von Spanien ins Kloster schicken konnte, ohne Befehl des Königs? War das nicht Rebellion? Und wer war der Rebell? Sein Weib, die unbegreifliche Österreicherin. Philipp stand brüsk auf. Er hielt sich mit beiden Handen am Tisch. „Was sagst du?" fragte er. Anna blickte auf seine teuren, emsigen Hande. Da lagen sie auf den Tischrand gepresst und zitterten. Die Königin empfand Mitleid mit ihrem Mann. Philipp war fast fünfzig Jahre alt. Die Liebe der alten Manner ist furchtbar, dachte die Königin Anna und legte ihren Stickrahmen auf den Tisch, mitten unter die Akten der halben Welt. „Beruhige dich", bat Anna. „Ich und die Fürstin Eboli verstanden uns recht gut. Sie ist eine reife Person. Wir sassen eine kleine Stunde beisammen. Natürlich bot ich ihr einen Stuhl an. Du kennst mich. Die Eboli ist gescheit. Sie sprach lange von deiner Güte. Sie urteilt sehr gerecht über dich. Wir waren ganz aufrichtig miteinander. Sie hat mich begriffen. ,Bin ich mit Philipp verheiratet, oder Sie?' fragte ich die Fürstin. Im Scherz, solche Fragen stellt man nur im Scherz. So plauderten wir eine Stunde und stickten beide, sie stickt nicht schlecht. Sie erzahlte mir viel von dieser berühmten Barfüssigen, der Teresa von Avila. Es muss eine sonderbare, schier heilige Person sein. Sie hat das Leben der spanischen Nonnen reformiert; sie lebten zuvor recht locker, erzahlte mir die Fürstin Eboli. Sie sagte mir, auch du hast Briefe von Mutter Teresa erhalten. Ist es wahr? Schreibst du ihr? Ich will sie einmal sehn. In österreich haben wir auch sehr viele Nonnen, aber sie haben nicht so strenge Regeln. Die Fürstin erzahlte: Nie mehr darf eine Nonne die Mauern ihres Klosters verlassen, immer muss sie barfuss gehn, auch im Winter, es ist hart. Einmal in der Woche müssen die Nonnen der Mutter Teresa je zwei und zwei inmitten des Kapitels vor der Abtissin öffentlich beichten, auf dem Boden knieend um Vergebung bitten und auf dem nackten Leib soviel Schlage dulden, als die Abtissin für gut halt. Es ist hart. Bei grossen Sünden müssen sie zu jeder Mahlzeit im Refektorium stehn, zwischen den Banken und Tischen, und bekommen nur trocken Brot. Und doch, sagte die Fürstin, fehlt es der Mutter Teresa nie an Nonnen für ihre Klöster. Ihre Nonnen gehorchen blind. Als Mutter Teresa eine junge Nonne fragte, ob sie auf ihr Geheiss in den tiefen Brunnen sprange, lief das Madchen schon und sprang, tot holten sie es aus dem tiefen Wasser. Eine andere missverstand den Befehl der Mutter Teresa und ass wortlos ihren tönernen Teller, ihren tönernen Krug; als sie nach ihrem Topf aus Ton griff, empfanden die andern Nonnen Mitleid, eine lief nach der Abtissin, und der Topf blieb heil. Die Fürstin Eboli fand ein schönes Wort, als sie mir das erzahlte. Unser König, sagte sie, gab das grosse Beispiel; nun ahmen ihn tausend nach, nun haben wir tausend Herrn im Kleinen. So schwindet die Unordnung. Die Fürstin Eboli sagte, früher seien die Menschen alle gleich im Rang gewesen und keiner wollte dem andern gehorchen; schreckliche Zeiten, sagte sie. Am strengsten ist Mutter Teresa gegen die melancholischen Madchen, die vor vager Trauer weinen, ohne zu wissen warum. Diese, sagt die schier heilige Teresa, die den Hang zur Melancholie zeigen, muss man urn jeden Preis brechen; genügen Worte nicht, gibt man Schlage; genügt ein Monat Dunkelhaft nicht, vier Monate also; es geschieht zum Heil ihrer Seelen. — Als die Fürstin Eboli mir das erzahlte, fragte ich sie: ,Und Sie, meine liebe Fürstin, leiden Sie nicht an Melancholien?' ,Ja, ja', antwortete die Fürstin. Da riet ich ihr, ins Kloster zu gehn. Zu Toledo ist das Nonnenkloster San José, das war das erste, welches die Mutter Teresa begründet hat, es ist das strengste. Die schier heilige Teresa sagt, ihr grösster Kummer sei, dass sie noch essen müsse, besonders kranke es sie, wegen der Nahrung ihre Gebete zu unterbrechen. Die schier Heilige! Sie muss schon mehr Geist als Fleisch sein. Die Fürstin Eboli erzahlte mir, Mutter Teresa kennte keine Straf en gegen die Unkeuschheit. Das Fleisch existiert nicht mehr in ihren Klöstern. Sie leben dort in Entzückungen und Visionen und herrlichen Bussen. Ich riet der Fürstin Eboli zu diesem Kloster. Sie sagte, es sei seit einiger Zeit ihr Wunsch, schon könne sie den Wunsch eine Absicht heissen, mein Rat mache die Absicht zum Entschluss. Wir sassen wie Freundinnen zusammen. Wir stickten, wir lachelten, wir verstanden uns. ,Und wenn ich', fragte die Eboli, ,bei Hofe bliebe?' Ich sagte: ,Arme Fürstin! Kennten Sie meinen Philipp, wie ich ihn kenne. Er ist so gütig, so gerecht, so weise. Sie werden im Kerker enden', sagte ich ihr. .Unselige, fliehn Sie beizeiten. Sie stehn an der Schwelle des Alters. Die Gute gibt vierunddreissig Jahre zu, sie ist alter, sie sieht einer Vierzigjahrigen gleich. Ich sagte es ihr, höflich und lachelnd, du kennst mich. ,Wer', fragte ich die Fürstin, ,soll Sie bei Hofe schützen, wenn ich nicht Ihre Freundin bin, und Philipp über den Weltgeschaften Sie vergasse? Man wird Sie jagen, wird Sie mit hundert Nadelstichen verletzen, und wenn es eine vergiftete Nadel ware? Ihre Söhne sind zu jung. Sie sind eine Witwe', sagte ich. ,Ihr Mann ist tot. Wollen Sie sich in Kabalen und Intrigen einlassen? Man weiss', sagte ich ihr, ,Sie sind schuld, dass der König den Alba fortgejagt hat. Eboli war im Grunde sanft, er war kranklich. Ihr Stolz', sagte ich, ,Ihr Ehrgeiz, Ihre Einbildung sind unertraglich. Am Hofe Philipps', sagte ich, ,ist kein Platz für zwei Königinnen, und Sie sind die illegitime. Der Krieg zwischen der Witwe eines Pagen', sagte ich ihr, ,und eines Kaisers Tochter kann nicht lange dauern. Und mein Haus führt blutige Kriege.' ,Ich bin eine Mendoza', sagte sie, und schien einen dummen Stolz dabei zu empfinden. ,Ich bin eine Habsburgerin', antwortete ich ihr, ,und wir hassen tödlich.' Sie sagte, ihr lage nichts an Madrid und am Hof, aber du liebtest sie und würdest sie nicht fortlassen. Ich musste lachen, Philipp! ,Der König', sagte ich ihr, ,ist ein frommer Katholik und liebt sein Weib. Ich zeigte auf meinen Bauch. ,Sehn Sie nicht, dass Philipp mich liebt?' fragte ich sie. Sie erfrechte sich und lachte. Überhaupt hat sie einen ordinaren Zug. Ihr Teint ist mittelmassig. Und ihre Stimme ist geil. Ich verstehe nicht, wie diese Frau, die ihre Jugend verloren hat, noch Mannern gefallt? Es ist immer dasselbe, Manner lieben nicht die Schönheit, sondern die Begierde der Weiber. Wir sprachen auch über diese Regierungsparteiungen. ,Das wird aufhören', sagte ich ihr, ,dieser Zank bei Hofe soll enden. Die Spanier', sagte ich ihr, ,sind zu stolz und zu trage. Wir sollten deutsche Minister haben, die schaffen Ordnung und sind fleissig und pünktlich.' Ich wollte es dir schon lange sagen, Philipp; du siehst, es gibt fastnichtszu erzahlen. Ich und die Fürstin plauderten. Es waren Frauengesprache. Willst du wissen, warum ich dir alles erzahle?" Anna blickte sanft lachelnd ihren Gatten an, der seine unbequeme Stellung nicht aufgegeben hatte und dessen Miene still wie gewöhnlich schien. „Willst du es wissen?" fragte Anna. Philipp spürte einen Krampf in den Handen. Er fürchtete einen neuen Anfall seiner Gicht. Aus Höflichkeit lachelte er. Der Krampf liess nach. Anna war aufgestanden. Ihr Kleid zeigte ihre schonen, nackten Brüste. Da sie nahe vor den König trat, geschah etwas Furchtbares. Im Kabinett, das nicht einmal verriegelt war, in das der Kammerdiener Santoyo oder ein Sekretar eintreten konnte, im Kabinett ergriff der König seine Frau bei den nackten Brüsten und umarmte sie. Danach ging Philipp mit seiner Frau zu Bett und liebte sie noch viele Male. Er ging seitdem jede Nacht mit ihr schlafen. Die junge Königin blühte. Ihr Triumph dauerte etwa hundert Tage. Ihre Hilfe im Kabinett, indes, verbat sich der König in den süssesten Wendungen. Fortan durfte Anna nie mehr Sand auf seinen Namen streuen. Sie musste die köstlichen Altardecken in ihren eigenen Gemachern sticken. Dort empfing sie auch sehr haufig den Baron Khevenhüller, den kaiserlichen Gesandten, und hatte lange, geheime Gesprache mit ihm. In diesen hundert Tagen ihres Triumphes wechselte sie lange Briefe mit ihrer Mutter, der Kaiserin-Witwe Marie, der Schwester Philipps, und lud sie nach Madrid, und schrieb haufig ihrem Bruder, dem Kaiser, und hatte haufig ihren jüngsten Bruder Albert bei sich, der mit ihr aus Österreich gekommen war, er war noch ein Knabe, der König versprach, ihn mit des Papstes Hilfe zum Kardinal zu machen. Als Annas Schwangerschaft fortschritt, zog der Hof nach Segovia. Da gebar Anna ihren dritten Sohn, Philipp gab ihm den Namen Diego, und sie hiessen ihn auf Bitten Annas Diego el Felix. „Er wird glücklich sein", erklarte die Königin, „denn nie zuvor war ich so glücklich, als da ich ihn unterm Gürtel trug." Noch dreissig Tage lang war Anna glücklich ob ihrer Triumphe. Sie hatte dem König drei lebende Söhne geboren; sie hatte die gefa.hr liche Favoritin ins Kloster der Barfüsserinnen geschickt, aus dessen Mauern keine Nonne je wieder heraus kam. Sie war voll von grössern Planen. Sie wollte mit ihren Brüdern und ihrer Mutter dem König regieren helfen. Sie kannte die Arbeit im Kabinett. Hatte sie nicht tausendmal Sand auf Philipps Briefe gestreut, nicht tausend Briefe und Akten gelesen ? Die Königin Anna war jung und lustig. Da starb von einem Tagauf den andern ihr zweiter Sohn Carlos Laurencio, der mit dem unseligen Namen, der zweijahrige. Die Königin Anna sagte, der tote Bruder, jener altere Don Carlos, ihr einstiger Brautigam, sei im Jenseits auf seinen Vater eifersüchtig und habe sein Brüderchen geholt. Bald traf ein zweiter Schlag die junge Königin. Als der König mit dem ganzen Hof nach Toledo gezogen war, wo die Cortes dem kleinen Infanten Don Ferdinand, dem neuen Erben, gehuldigt hatten, fuhr Philipp in seiner Kutsche vor die Stadt zum Kloster San José, das zwischen Garten in einem Orangenhain lag, und führte eine der Barfüsserinnen, die Schwester Anna von der Mutter Gottes, zur Schmach des Klosters und zum Entzücken aller Nonnen, mit eigener Hand aus dem Klostergarten in die grosse, wie gewöhnlich dicht verhangte königliche Kutsche. Noch vor den Toren der alten Stadt Toledo, sagte man, habe der König die entführte oder geraubte Nonne geschandet. Die Schwester Anna von der Mutter Gottes, hiess es, habe es bei Hofe ausgeplaudert, Schwester Anna selber, oder wie sie wieder hiess, Anna Mendoza, Grafin von Melito, Herzogin von Pastrana, Fürstin von Eboli. Anna kehrte strahlender und stolzer als je zum Hof zurück, des Königs erklarte Favoritin. Die Königin empfing sie fast mit Zartlichkeit. „Sie haben uns gefehlt", sagte sie laut und reichte ihr gnadig die Hand zum Kusse. Keiner sah, dass ihr Handrücken unsanft gegen die Zahne der Fürstin Eboli stiess. Die Königin schien es selber nicht zu merken. Anna tat, als merkte sie nichts. Das Leben im Kloster schien sie verwandelt zu haben. Sie erschien herrischer, frecher, schoner. Tollköpfe begingen ihretwegen Tollheiten, Kluge machten Dummheiten, Poeten machten Verse, Tapfere zitterten um ein Lacheln der frechen Anna. Ja, sie war frech geworden seit dem Tod ihres Mannes. Sie erzahlte ihren Freunden, das Leben im Kloster mache böse. Die Mutter Teresa beklagte sich bitter über diese falsche Nonne vom Hof. Die Fürstin sei mit einem Hofstaat, mit Rittern, Pagen, Musikbanden, Duenen, Mohrensklavinnen, Verschnittenen und zwölf Bravis in Toledo angekommen. Den Hofstaat liess sie in Toledo. Sie sei barfuss gegangen, habe gefastet, gebetet, das ging in Ordnung. Aber schon ihre öffentliche Beichte vor den andern Nonnen schuf einen riesigen Skandal. Es war, als kniete Astarte, oder die Heidengöttin Venus zur Beichte nieder. Die keuschen Ohren der Nonnen tranken die Flut der Sünden! Welche Laster! Holle in einem Weiberherzen! Und immer mischte die Schwester Anna von der Mutter Gottes des Königs Namen, ja des Königs Leib in ihre Beichterzahlung. Das Kloster San José sei für lange Zeit verderbt. Und welcher Ungehorsam! Welcher Stolz! Welche Melancholie! Die Mutter Teresa wagte nicht, Einzelheiten zu erzahlen. Die Schwester Anna habe junge Nonnen zu abscheulichen Dingen verführt, sie habe geflucht, sie habe ihre Schwestern geschlagen, sie habe vollkommenen Gehorsam von allen gefordert, als sei sie die Oberste, sie habe sich nicht gescheut, Nonnen ins Gefangnis auf ihr Schloss zu schicken, und halte sie noch jetzt fest, niemand wisse, warum. Teresa von Avila, eine grosse, machtige Frau, hatte den Grossinquisitor eingeschüchtert, vom König Philipp Respekt erlangt, gegen den Nuntius des Papstes sich behauptet, von vielen tausend Frauen die ausserste, demütigste Unterwerfung, die schrecklichsten Verzichte erlangt, vor dieser Favoritin war die schier Heilige aus ihrem eigenen Kloster gewichen, zitternd und beschamt. Die Fürstin Eboli sprach nach ihrem Auszug aus dem Kloster mit Respekt von der Mutter Teresa. „Eine energische Frau", sagte sie und zitierte mit besonderm Vergnügen die Versuchungen der jungen Teresa von Avila. Teresa, die erst mit siebenundvierzig Jahren den spanischen Nonnen das Leben zu verscharfen und zu verwandein begann, war mit neunzehn Jahren, ein junges, schönes, feuriges Madchen, in ein Kloster gegangen; nie mehr seitdem hatte sie die wilden Erscheinungen ihrer Jugend vergessen, die geheimen Wirrnisse und intimen Versuchungen durch ihren Damon. Einmal, erzahlte Teresa ihren Nonnen, war ich im Oratorium, da erschien mein Damon, zu meiner Linken, mit einem schonen abscheulichen Antlitz. Ich sah nur auf seinen Mund, auf die sprechenden Lippen. Eine grosse Flamme ging aus seinem Leib, ich spürte eine schreckliche Hitze, die Flamme war gross und weiss und schattenlos. Seine Stimme liess mich erzittern. ,Du bist meinen Handen entglitte, sagte ern', ,du fallst mir wieder zu.' In meiner Verwirrung machte ich so gut ich konnte das Zeichen des Kreuzes, und er verschwand. Er kam zweimal zu mir. Ich wusste mir nicht zu helfen. Ich hatte Weihwasser und sprengte es nach ihm aus, und er kehrte nicht wieder. Aber, da ich in der Kapelle innig mein Gebet sage, setzt er sich auf mein Buch, um mein Gebet zu hindern. Ich schlug das Kreuz, da ging er. Als ich wieder beten wollte, kam er wieder, und da ich kein Weihwasser hatte, konnte ich nicht beten. Da sah ich im selben Augenblick Seelen aus dem Fegefeuer gehn und ich dachte, diese Wirkung meiner Gebete will er verhindern. Zuweilen drang der Damon in mich ein, und ich schamte mich in angstlicher Verzweiflung. Solche Erzahlungen bot die Fürstin Eboli ihren jungen Freunden, den hübschen Höflingen. Sie sprach davon beim Tanz, beim Kartenspiel, still erzahlte sie, ihre Miene schien fromm, nur ihr freches Lacheln passte nicht zu Ton und Inhalt. Die jungen Höflinge horten fromm und still zu. Nur einer lachte laut und frech, Philipps eleganter Liebling, Antonio Perez. Der König hatte den jungen Minister beauftragt, die Geschafte der Witwe Eboli für sie zu führen. Die Geschafte führten ihn recht oft ins Haus der Fürstin. Anna und Antonio besprachen viel, meist spat am Abend, wenn ihn das Amt freigab. Einmal erzahlte sie ihm: „Fast schon verzweifelte ich. Sechs Monate sass ich schon im Kloster, und kein Wort von Philipp, kein Brief vom fleissigsten Schreiber dieser Erde, kein Wink, kein Laut! Und ich, wie eine Narrin, gehe barfuss zwischen Barfüssigen und Stinkenden. Antonio, auch Sie sind ein Spieier! Sie kennen die schreckliche Verzweiflung, wenn man sein Alles auf eine Karte setzt. Endlich kam Philipp." „Was hat er gesagt, im Nonnenkloster?" fragte Perez. „Philipp?" fragte sie. „Ich weiss nicht. Er sagte nichts, glaube ich. Er nahm mich an der Hand, führte mich aus dem Garten zur Kutsche, sechs Pferde zogen uns, und Philipp umarmte mich selige Schwester Anna von der Mutter Gottes!" „Beneidenswerter Philipp", flüsterte vernehmlich der junge, elegante, sehr machtige Minister Antonio Perez, des Königs Philipp Liebling. DER NEFFE AUS PORTUGAL Sebastian sprang hurtig vom Pferd und lief die hundert Schritte zum Onkel Philipp. Es hatte geregnet, der Kot spritzte auf seine grünen Hosen. Die spanische Hofkutsche hielt an. Philipp steckte den kahlen Kopf zum Kutschenfenster hinaus. Hundert Kavalkaden hatten ihn schon auf allen Landstrassen angehalten, dort redete ein Bischof, da ein General, überall schossen Schützen. Und allerorten glichen die gemeinen Leute einander und wollten schaun und schrein. Es war ein Wald von Menschen, grüner, goldener, purpurner Wald, mit Getön und wehender Bewegung, ein Schauspiel der Natur. Der junge Mensch, der über die Pfützen hüpfend von weitem seinen Federhut schwang und unverstandlich schrie, fiel aus der Reihe der gewohnten Darbietungen heraus. Philipp zog seinen Kopf zurück, angstlich vor der Neuerung, erkannte zwischen den Reitern seinen Kammerling Moura, öffnete den Schlag seiner Kutsche, stieg mit jener feierlichen Würde aus, die jede Bewegung zum Staatsakt erhob, ging majestatisch durch den tiefen Kot, sehr langsam, und blieb fünf oder sechs Schritte vor dem Eiligen, plötzlich stehn, indes der von seinem Lauf Hingetragene hart vor Philipp die Arme öffnete, um den Onkel zu küssen, und umsonst auf die Umarmung seines alten Onkels wartete. Zögernd liess der enttauschte Neffe die leeren Arme sinken, lachte ganz kurz und hoch und lispelte: „Hoheit!", schon mit einer hochmütigen Miene, die sich verfinsterte, ein kindischer Gram zog seine Lippen herab, in den Augen flackerte Jahzorn. Da endlich hob König Philipp wie nach einer Erstarrung seine beiden Hande, mit Mühe, als gehorchten sie ihm nicht mehr, oder als hatte er sie entliehen, so schwer, so hölzern hob er sie auf Sebastians Schultern und murmelte mit einer wie verlöschenden Stimme die vorbestimmte Formel: „Spanien ist stolz, den König von Portugal in Armen zu halten. Feierlich gegrüsst, mein königlicher Neffe Sebastian!" — So lautete die Formel. Nur wenige merkten, dass Philipp, der Hüter der Etikette, sich versprach. Statt Neffe Sebastian sagte er: Mein königlicher Sohn Carlos! Der junge König von Portugal stutzte, wiegte sich zierlich in den Hüften, tat leicht hinkend einen Schritt zur Seite und blickte sich um, als suchte er seinen Vetter Carlos. Doch Philipp hielt ihn sanft umschlungen und führte ihn so zur Hofkutsche und sagte, laut diesmal: „Mein lieber Sohn Carlos, setze dich neben mich", nun horten schon viele das seltsame Versprechen. Indes stieg Sebastian, wie ein Kind im Nu wieder lustig im Gesicht, als erster in den Wagen. König Philipp schritt mit seiner gewöhnlichen Majestat im Kote um die Kutsche herum, stieg durch die andere Kutschentür ein, die Lakaien schlossen die Türen, die Pferde wieherten, die schwere Kutsche schwankte und fuhr zurück zum Kloster von Guadalupe. Sebastian hatte gleich mit schneller, hoher Stimme von seinem Kreuzzug angefangen, von der Eroberung Afrikas und von der Teilung der Welt. Ihm schien alles eins. Zum zehnten Mal fing er an, vom marokkanischen Prinzen Abd-el-Mohammed zu erzahlen, der mit seinem Christensklaven nach Lissabon gekommen war, um den König von Portugal zu einem Feldzug gegen den Kaiser von Marokko zu verleiten, wobei der Maurenprinz die Krone, Sebastian Tribut und Ruhm gewinnen sollte. Sebastian beschloss nach der ersten Audienz Marokko, nach der zweiten Audienz Afrika zu erobern, die Woche darauf schickte er zu seinem Onkel, gemeinsam sollten sie die Welt erobern und teilen. Sebastian wollte Afrika und Asien haben, Europa und Amerika gönnte er dem Onkel Philipp. Die Eroberung Marokkos war die Einleitung. Philipp hatte seinen Kammerer Moura nach Lissabon gesandt, dass er den Neffen vom marokkanischen Abenteuer abbringe. Moura sah Sebastians Starrsinn und fürchtete, ein Misserfolg versperrte seine Laufbahn. Also redete er ihm ein, sein jugendliches Feuer könnte den König Philipp entflammen, wenn er vor seinem Onkel seine gewaltigen Plane entwickelte. „So reiten wir", sagte Sebastian, „reiten wir gleich!" Nun suchte er seinen Onkel zu überreden. Steinern schweigend sass Philipp, mit Anstrengung bewahrte er sein kleines Lacheln. Noch hatte er wie beim ersten Anblick Sebastians die zerreissende Empfindung, er müsse schrein, und hörte auf der ganzen Fahrt neben dem unaufhörlich redenden Sebastian den stummen langgedehnten Schrei, und indes ein neuer Regen aufs Dach des Wagens klopfte und die ölbaume am Rand der Strasse im Dezemberwind rauschten, hörte König Philipp seinen grausenvollen Schrei forthallen. Auf der Strasse hatte er in diesem schmachtigen, rothaarigen, blauaugigen, hinkenden Jüngling mit den fiebrig glanzenden Augen, der bunt ausstaffierten Tracht, dem allzulangen Degen, den abenteuerlichen Gebarden den Carlos erkannt, im Kot der Strasse hob vor ihm sein toter Sohn Carlos die Hande, um ihn schrecklich zu umschlingen. Beim ersten Klang der hohen Stimme erkannte Philipp, sein toter Sohn Carlos rede ihn an, unterm grauen Himmel, im Kot, auf der Strasse nach dem Kloster Guadalupe. Da steht ja Carlos, dachte Philipp angesichts seines Neffen Sebastian. Philipp gewöhnte sich nicht an sein Entsetzen. Im stillen Klosterhof wandelten Onkel und Neffe gemachlich auf und ab. Ein Brunnen platscherte. Zuweilen sah ein Mönch, von einem Fensterwinkel aus, auf die Könige herunter. Sebastian redete fieberisch: „Ich biete dir die Welt", sagte er. Er entwarf immer feurigere Plane, sprang von Afrika nach Asien, warf Europa fort, verschenkte Amerika, teilte die Welt, alles begann mit der Eroberung Marokkos. Er bettelte und drohte, versprach und schwor, lachte und wiegte sich in den Hüften, mit grossem Abscheu sprach er von jungen Madchen und fragte nebenhin nach seiner Mutter, der Infantin Juana, Philipps Schwester. „Ist sie wirklich fromm?" fragte er zweimal und trug dem Onkel auf, sie solle für den Kreuzzug nach Marokko beten. „Ist sie wirklich fromm?" fragte er und erzahlte zornig, dass er den Doktor Almazan, den Philipp nach Lissabon geschickt, damit der Doktor den Neffen von seiner Weiberfeindschaft durch starkende Krauter heile, zum Fenster seines Palastes zu Lissabon hinausgeworfen habe; denn Sebastian müsse rein bleiben, um die Welt zu retten. Überschwenglich dankte er für die Handschuhe aus Saffian, die ihm die gute Tante Anna, die Österreicherin, gesandt, und flehend bat der zwanzigjahrige, feurige Sebastian den fünfzigjahrigen, kahlköpfigen Onkel Philipp, die grosse Stunde nicht zu versaumen, und er ging, seinen Beichtvater zu holen, dass der den Onkel überzeuge. Philipp sah dem hinkenden, aufgeputzten Jüngling nach und liess sich durch die kleinen und grossen Verschiedenheiten nicht tauschen. Hint er der Maske sah er den toten Don Carlos, den tollen, abenteuerlichen, rebellischen, den zu vernichtenden, den wiederauferstandenen, den ewigen Feind, sein eigen Fleisch und Blut, das nie gehorchen wollte. Der Tote stand da, der Tote hinkte, der Tote sprach heil und lachte kichernd, der Tote kam, um ihn aufs neue zu verlocken. Ich habe ihn gefangen! Ich habe ihn begraben! Will er niemals ruhn? Drei Tage lang hatte König Philipp dem Neffen abgeraten, sein Reich Portugal, seine Besitzungen in drei Erdteilen, den Reichtum und den Ruhm seines Volkes für ein unnützes Stück Land aufs Spiel zu setzen. „Man wirft nicht Kronen für Knabenstreiche fort. Du bist kein fahrender Ritter, und ihre Zeit ist um." Plötzlich schwieg Philipp. Von nun an liess er ihn unwidersprochen schwarmen. Freundlich lachelte der König von Spanien zu den tollen Planen des Königs von Portugal. Sebastian ward misstrauisch. Hatte er den Onkel überzeugt ? „Gib mir Soldaten", bat er, „leihe mir deinen Alba!" Es war abgemacht, dass die beiden Könige sieben Tage im Kloster von Guadalupe zubringen sollten. Am Abend des dritten Tages hielt es Philipp nicht mehr aus. „Ich habe Fieber", sagte er leise und vermied des Neffen Anblick. Sebastian sah ihn befremdet an. Philipp nahm übereilten Abschied. Vor seinem Gast verliess er das Kloster von Guadalupe. In der Nacht fuhr er davon. Noch viele Wochen lang sah er allnachtlich im Traum seinen toten Sohn Carlos. Sebastian segelte mit zwanzigtausend Soldaten und Knechten nach Afrika. Er schwor, er wolle nur unter Gefahren siegen. An der Küste teilte er jedem fünf Tagesrationen zu und marschierte ins Innere. Am fünften Tag stand er, ohne Rationen, vor dem Heer des Kaisers von Marokko. Sebastian musste siegen oder verhungern. Er erfuhr, der Kaiser von Marokko liege im Sterben. Wer kam früher um? Vor Hunger die Portugiesen? Am Fieber der Kaiser von Marokko? Der sterbende Kaiser von Marokko konnte sich langsam zurückziehn, bis die Christen Hungers starben. Starb er früher, ward aber der verhasste Bruder Kaiser, der Portugiesen Schützling. Nahe war der Sieg. Der Tod war nahe. In seinen goldgestickten Burnus, der seine Todesblasse verdeckte, wickelte sich der Kaiser, zwei Reiter hoben ihn aufs Pferd, zwei Reiter hielten ihn. Die Schlacht begann. Der Kaiser sah seine Vorhut von den portugiesischen Rittern zersprengt, zog seinen Sabel, tat einen Schrei und fiel vom Sattel, tot. Sein Heer siegte und erschlug die Portugiesen. Nur ein paar Hundert flüchteten auf die Schiffe und meideten den Tod der zwanzigtausend. Der Mohrenprinz ertrank auf der Flucht in einem angeschwollenen Bach. Die Leiche des jungen Königs Don Sebastian ward nicht gefunden. Die königliche Familie von Portugal war am Verlöschen. Der neue König, Kardinal Heinrich, war siebenundsechzig Jahre alt, gebrechlich, halbtaub. Seine Nichte gab ihm ihr vierzehnj ahriges Töchterchen zum Weib, der Greis trank gewisse Krautersafte und wandte den Bezoarstein an, vergeblich. Die Erben meideten sich: König Philipp, Alexander Farnese, der Herzog von Savoyen, Katharina von Frankreich, zuletzt kam noch der Prior von Krato, Anton, der Bastard des Infanten Don Luis von einer Jüdin. Philipp schickte seinen Kammerling Moura mit Geld nach Lissabon, befahl dem Herzog von Medina Sidonia, ein Heer zu sammeln, liess seinen Admiral Santa Cruz mit neununddreissig Galeeren bei Gibraltar halten, und hatte dreissigtausend Soldaten bereit, als der König-Kardinal Heinrich starb, mit neunundsechzig Jahren, gegen elf Uhr, an seinem Geburtstag, eben da die Grossen von Portugal ihn zu beglückwünschen kamen. Philipp schrieb an den Staatsgefangenen Alba nach Uzeda: 'Fühlen Sie sich stark genug, das Heer nach Portugal zu führen?' Alba antwortete: 'Sire, ich schenke Ihnen die Reste meiner Gesundheit. Ich bitte um die Erlaubnis, an den Hof zu gehn, um Ihre Hand zu küssen und um Gnade für meinen Sohn zu bitten. Seit zwei Jahren siecht er im Kerker des Königs hin.' Philipp erwiderte, Don Friedrich sei begnadigt und entlassen, auch des Herzogs Schreiber Albornoz habe vierhundert Dukaten erhalten und sei frei. 'Die Hand zum Kuss', schrieb Philipp seinem Feldherrn, 'reiche ich Ihnen nach unserm Einritt in die Stadt Lissabon.' Auch dem Granvella schrieb der König nach Rom, wo der Kardinal die Sitten der berühmtesten Kurtisanen der Christenheit durch Augenschein und Handauflegen, durch Visitationen und Manipulationen fleissig examinierte und sich instruierte. Philipp schrieb dem alten Diener seines Vat er s: 'Hochwürdiger Vater in Christ, Kardinal Granvella, unser teuerster und guter Freund! Kommen Sie nach Madrid, ich mache Sie zum Presidenten des Rats von Italien, ich bitte Sie und befehle Ihnen, ohne Aufenthalt nach Genua zu reisen, wo unser Admiral Johann Andreas Doria mit dreiundzwanzig Galeeren Sie übers Meer fahren wird; eilen Sie, ehe die Zeit der Stürme kommt, geschwind; ich bedarf Ihrer dringlich; denn jetzt, da dieser arme Narr Sebastian tot ist, trug ich dem Alba auf, Portugal zu erobern, und gehe bald an die Grenze, in meine Stadt Badajoz, und werde nach der Eroberung in Lissabon verweilen, um mich dort kronen zu lassen. So muss ich alternd den Eroberer spielen. Aber was sollen uns Beide Indien, wenn wir nicht einmal unsere Halbinsel ganz haben ? Indes sollen Sie Spanien regieren, mein Vizekönig. Ich will keine andere Antwort von Ihnen, als den Termin Ihrer Abreise. Je geschwinder Sie ankommen, mir um so erfreulicher. Man hört, Sie seien zu Rom üppig geworden. Die rauhere Luft Kastiliens wird Sie auffrischen. Sie kennen meine Bemühungen um den Titel 'Kaiser Beider In- dien'. Die Kurie zieht mich hin. Soll ich niemals Kaiser heissen? Kommen Sie, lieber Freund, und gleich! Sie sehen, ich kehre zu meines Vaters Dienern zurück, zum Alba und zu Ihnen, Eminenz! Mit meinen neuen Ministern hatte ich kein Glück. Sie werden Wunder erleben!' Granvella, müssig zu Rom mit zweiundsechzig Jahren, ging zum Papst Gregor und zeigte Sr. Heiligkeit den Brief, unschlüssig und durch die Dringlichkeit des Königs verwirrt. Er fühlte sich wohl zu Rom, im Schoss der Kurtisanen. Er sah die ungeheure Last, die Eifersucht der Spanier, die vielen Feinde, die gefahrliche Freundschaft des launischen Königs. „Was soll ich tun?" fragte der Kardinal in augenscheinlicher Bekümmernis. „Mein Sohn", erwiderte Gregor, „du bist langst entschlossen. Reise mit Gott und pflüge für die Kirche, dass Rom ernte." Granvella verliess Rom den 16. Mai. Doria kam mit dreiundzwanzig Galeeren nach CivitaVecchia, um den Kardinal abzuholen, lange mussten sie in den Rhonemündungen wegen widriger Winde warten, in Carthagena landeten sie endlich. Am 28. Juli 1579, spat in der Nacht, kamen sie nach Madrid. Dort vernahmen sie, König Philipp habe um elf Uhr abends des gleichen Tages Antonio Perez und die Fürstin Eboli verhaften lassen. DER PROZESS PEREZ Unter dem Portal der Marienkirche, gegenüber dem Palast der Eboli, kauerten den ganzen Tag die Bettler. Dort, unter den steinernen Heiligen, stand Philipp gegen elf Uhr abends, um zu sehn, wie seine Alguazile Anna verhaf teten. Neben dem König stand im Winkel Sebastian Santoyo, Sohn asturischer Bauern, der Kammerdiener Philipps, ein Analphabet und machtiger Mann in Spanien. Die schwüle Nacht, die stillen, hohen Sterne, die enge Strasse, alles war so vertraut. So oft war Philipp die weni- König Philipp der Zweite 30 gen Stufen zum Hause seines Günstlings emporgeschritten, um Anna zu sehn. Da stand er nun vor ihrem Haus, zur Stunde, da tausend Verliebte auf der Strasse empor zu den Balkonen blickten, um vor der Angebeteten tausendmal die eiteln Schwüre der Liebe zu schwören. Ich schwöre, flüsterte Philipp, ich liebe Anna. Er hatte es ihr tausendmal geschworen, und so schmerzlich eben jetzt empfunden, vor einer halben Stunde, da Anna vermummt, mit einer Duena, aus ihrem Palaste trat. An ihrem leichten und grossartigen Schritt hatte er sie erkannt, an der unnachahmlichen Haltung. Die Röcke raffend und mit ihrer Dienerin flüsternd und lachend war sie die wenigen Stufen herabgeschritten. „Santoyo", flüsterte Philipp und fasste nach dem Arm seines Dieners, „siehst du sie?" „Ja", sagte leise der Diener. So gerne hatte Philipp sie angehalten, noch in dieser letzten Stunde ihr nachgerufen: Anna! Wohin gehst du, Unglückliche! Hatte sie seine Gegenwart empfunden, ware sie zur Kirchentür gekommen, hatte sie vor ihm knieend seine Hand mit heissen Tranen der Reue benetzt, er hatte Anna aufgehoben, hatte ihren unverzeihlichen Verrat vielleicht verziehen, hatte sie geküsst ... Philipp steilte sich vor, wie Perez Anna küsste, er liess den Arm des Dieners los und stöhnte. So — sagte Santoyo, sagte der Sekretar Mateo Vasquez, sagte die Familie Escovedo, sagten alle Feinde des Antonio Perez — so sei Anna, die Witwe des Fürsten Eboli und des Königs Philipp Geliebte, schon hundertmal des Nachts ins Haus ihres Geliebten Antonio Perez geschlichen, um in sein Bett zu gehn, um ihn zu küssen, um ihn zu lieben, wie sie den König Philipp geliebt hatte. „Santoyo", flüsterte Philipp, „und du sagst, sie geht zum Perez?" „Ja", sagte leise der Diener. Philipp schloss die Augen und sah Anna im Dunkeln durch die Strassen eilen, hörte sie im Vorübergehn auf das schamlose Geflüster junger Kavaliere frech und schlagend erwidern, schlagfertig war sie, frech war sie auch, er sah sie vor dem nahen Palast Antonios; ging sie durch ein Pförtchen ? Durch den Garten? Stand wo ein Page, um sie ins Schlafzimmer Antonios zu führen? Oder lief sie den Alguazilen des Königs in die Hande, die zur selben Stunde den Antonio Perez in seinem Hause zu verhaften und ins Haus des Hofalkalden Garcia zu führen hatten? Ungeduldig wartete Philipp auf Annas Wiederkehr. Schon sah er neben dem Haustor seine Alguazile auf Anna lauern, um sie zu verhaften, auf seinen Befehl, und noch in der Nacht drei Meilen von Madrid in den Turm von Pintos zu führen. Der Turm war ohne Tür. Durchs Fenster stieg man ein. In jedem Stock war eine Zelle. Dort, ohne Möbel, ohne Bequemlichkeit, dort sollte sie nachdenken, zwischen Mauern und bösen, stummen Wachtern. Ich schwöre, flüsterte Philipp, ich hasse sie. Er hasste sie mehr als den Antonio, er fürchtete sie weniger. Vor einer Stunde war Philipp noch im Kabinett mit seinem Minister Antonio Perez gesessen, hatte ihn zum andern Morgen ins Kabinett bestellt, ihm Akten mitgegeben. Gleichzeitig lauerten auf Philipps Befehl seine Alguazile vor Antonios Haus, um den Liebling zu verhaften. Der König hatte indes den kurzen Mantel über die Schulter geworfen, einen Hut in die Stirn gedrückt, den Degen umgetan, und war mit Santoyo durch die geheimen Gange und den Garten zur Marienkirche geeilt, hastig und vermummt. Unter den Heiligen aus Stein stand er, im Schatten. Ich schwöre, flüsterte Philipp, ich liebe sie. Und ich zerbreche sie. Philipp spahte ins Dunkel. Vielleicht war sie gewarnt? Vielleicht war sie entflohen, und Perez mit ihr ? Philipp fasste nach dem kalten Stein der Kirche. Er hörte einen leichten, eiligen Schritt. „Santoyo", sagte Philipp, „hörst du sie?" „Ja", sagte leise der Diener. Im Dunkeln schien dem König, da Anna schon nahe war, als schluchze sie oder rede mit sich. Da traten der Alkalde, die Alguazile zu ihr, sie drehte sich mitten auf den Stufen um. „Mich?" fragte sie, wie heiser. „Sucht ihr die Fürstin Eboli?" Philipp flüsterte: „Santoyo, es ist Zeit." Da trat Santoyo heran, die Alguazile umringten ihn, Philipp sah, wie Santoyo seinen Brief übergab, ein Alguazil trug eine Laterne, sie las den Brief. Philipp hatte ihre Miene sehn wollen! Er kannte sein Billett auswendig. '... und entziehe Ihnen Ihrer Kinder Erziehung, Ihrer Güter Verwaltung und habe Ihnen das sagen wollen, damit Sie es genau wissen, und heisse Sie gehorchen ohne Erwiderung!' Las sie den Zettel ewig? Wie lange liest man an den paar armen Worten? Sie warf den Brief weg, sie hob ihn auf, begann ihn noch einmal zu lesen, gab ihn dem Santoyo. Dummkopf, nimmst du den Brief zurück? Anna zeigte auf ihr Haus, der Alkalde verneinte mit dem Kopf, wies ans Ende der Strasse, wo ein Wagen stand, Anna sprang plötzlich die Stufen hoch, wollte sie fliehn, da klopft sie dreimal machtig an die Tür, Diener kommen, Bewaffnete, will sie die Alguazile töten, den Richter, den Kammerdiener, vielleicht auch den König, da schreit sie schon, muss man das Volk aufrufen, wie es geschieht, wenn man die Polizei antastet, soll man die Glocken durch ganz Spanien lauten lassen, wird man den Alba rufen müssen, um ein Weib zu verhaften? Was sagt sie? Man führe mit Gewalt sie fort ? Sie sei unschuldig ... unschuldig ? dachte Philipp und erinnerte sich ihres ersten Anblicks, als sie vierzehn oder fünfzehn war; so lange liebte er sie, er liebte sie, auch der Turm, in den sie zum Fenster einsteigen musste, auch der Turm von Pintos war ein Beweis seiner Liebe, fühlst du es nicht, Anna? Er sah, wie seine Polizisten die Fürstin zum Wagen führten, da stieg sie ein, die Polizisten setzten sich zu ihr in die Karosse. Frechheit! dachte Philipp. Das habe ich nicht gewollt. Philipp musste warten, bis Diener und Neugierige sich verlaufen hatten. Hastig lief er durch die Strassen Madrids, als sei die Polizei ihm auf den Fersen, wie ein Mörder sah er sich um, schlich wie ein Rebell durch die geheimen Gange des Palastes und ging in sein Kabinett, an seinen Tisch, die Feder schrieb nicht, er nahm eine neue und stürzte das Tintenfass über Akten aus Indien, er wollte lesen, und sah Anna, die Buchstaben gingen wie sie, das Papier nahm die Farbe ihrer Haut an, er sah sie nackt und bekleidet, im Gesprach und im Bett, als Vierzehnjahrige und als grosse Dame, in England, in Flandern, er sah, wie sie mitten in der Nacht bei Fackelschein durchs Fenster in den Turm von Pint os stieg, gingen ihre Wachter ihr nach? Philipp ging, bis der Morgen graute, in seinem Kabinett auf und ab. Beide hatten ihn verraten, beide ihn zum Mörder gemacht, beide ihn gefoppt, beide ihn zu ihrem Spiessgesellen gemacht: Anna Eboli und Antonio Perez, das frechste Liebespaar der Welt. Philipp ging auf und ab in seinem Kabinett. Er sagte: „Herr! Mein Gewissen ist rein." So hatte der Beichtvater Fray Diego de Chaves den König belehrt: 'Der König besitzt göttliche Gewalt. Die Gesetze kann er brechen, gegen den Heiligen Vater Krieg führen, Mörder belohnen, um seiner Autoritat willen, das heisst, um der Autoritat Gottes willen! Der König hat Gewalt über das Leben seiner Untertanen; und wie er durch einen ordentlichen Prozess aus gerechtem Grund das Leben nehmen kann, kann er es formlos tun, ohne seiner Gesetze zu achten; denn eben durch Gesetze kann er auch von Gesetzen sich wieder lösen.' „Herr", rief Philipp, „ich teile mit Dir die Macht! Ich darf die Schuldigen straf en." Schuld war der Bruder, der Bastard mit den zurückgestrichenen blonden Locken, dem flotten Schnurrbart, den Liebeshandeln in allen Staaten Spaniens, der Ballspieler mit den dicken Muskeln und dem lustigen Gelachter, der Liedersanger, das Idol der Christenheit, der schwarmerische Türkensieger, der Flottenheld, der lepantinische, der immer höflich, beredt und munter war, soergebenvor Philipp, so schmeichlerisch vor den Ministern, der strahlende Held, der früh mit den Geschaften, nachmittagsmitdemFederball, abendsmit Madchen spielte, der Ehrgeizige, der gesagt: 'So einer lebt, der mehr nach Ruhm verlangt als ich, springe ich aus dem Fenster!', der vom Ballspiel weggeht und über die Klassiker sich bückt, die Römer und die Griechen, und immer, beim Tacitus, beim Herodot, Thukydides, Sallustnur die Ruhmsucht herausliest, der von den Büchern zum Ballspiel wieder eilt, der beste Ballspieler der Welt, der durchaus Hübsche, der Allerweltshurer, bei den Kurtisanen ein Held, beim Papst ein Schosskind, bei Philipps Ministern der heimliche Nachfolger, der Klara Eugenia heiraten und die Reiche regieren würde, der mit dem Wahlspruch, 'wer nicht vorwarts strebt, geht zurück', der üppige Verschwender, der auf einer Wallfahrt nach Loretto zehntausend Dukaten verteilte, wo König Philipp sonst hundert gab oder hundertzwanzig, und Philipp war der Herr von Beiden Indien, Philipp der Herr von Flandern, von Italien, Philipp in Spanien König, — der Tote war schuld, Don Juan d'Austria, der, stets die eigene Treue rühmend, nicht gehorcht hatte, nicht wissend, dass der Widerspruch die Welt verdarb, dass jedes Unglück mit Ungehorsam begann, der Bastard war schuld, stets seines Vaters eingedenk, der ein Kaiser, nie an seine Mutter denkend, die eine Dienstmagd war. Barbara Blomberg hatte zu Regensburg dem Kaiser Karl ein Handtuch ins Schlafzimmer gebracht und einen Sohn von ihm empfangen. Spater, in den Niederlanden, sagte der Kaiser manchmal, die Musik der Strassensanger erinnere ihn an die deutsche Dienstmagd, die ihm den andern Sohn geboren; sie sang so hübsch die Lieder von der Strasse. So eine Mutter, dachte Philipp, vergass Juan und griff nach einer Krone. Der Ehrgeizige griff ins Ungefahre. Erst baute er auf Venedig, um König von Albanien zu werden. Spater eroberte er Tunis, wo sein Vater Karl seinen schönsten Sieg erfochten, und begann mit dem Ungehorsam: Er befestigte Tunis, statt nach Philipps Befehl es zu verbrennen, und sass auf den Trümmern von Karthago und traumte, er sei Hannibal, und bat den König Philipp um die Krone von Tunis. Philipp wollte des Bruders Talente nutzen, der Bastard griff nach dem Königsmantel. Philipp schickte ihn nach Genua, ersetzte Juans Sekretar Soto durch den Sekretar Escovedo, einen Freund des Antonio Perez; der Soto stachelte Don Juans Ehrgeiz, Escovedo sollte ihn zügeln. Don Juan behielt den Escovedo und den Soto und schrieb seinem Bruder: ,Bald bin ich dreissig, und was bin ich?' In Genua rieten ihm die Sekretare, Genua zu ergreifen, das war ihm zu wenig. Nun hiess es, der Krieg mache Gelegenheit, aber Don Juan sagte: ,Wenn der Comité auf der Galeere sagt: Ave Maria, so sprechen die Matrosen: sie sei willkommen; so will auch ich tun und warten, und die Gelegenheit nicht suchen.' Da spielte Juan Ball zu Neapel und lag den Schonen im Schoss. Und fragte den Kardinal Granvella: ,Soll ich König von Frankreich werden?' Der Kardinal riet zur Krone Polens. Die Polen wahlten ihre Könige, da sei es leichter. Damals starb der Generalstatthalter der Niederlande Requesens an der Pest, er liess alle siebzehn Provinzen in Aufruhr. Der unermüdliche Oranien hatte zu Gent die siebzehn Provinzen verbunden, um gemeinsam die Spanier zu verjagen und im Lande Toleranz zu üben. ,'foleranz', sagte Philipp böse, ,will der Rebell tolerant sein?', und befahl seinem Bruder, die Niederlande zu befrieden. Er war des Krieges in Flandern müde, er rüstete für den Krieg in Portugal. — Neuer Ungehorsam! Dem König schrieb Juan, er schicke seinen Sekretar Escovedo, um alles für die Reise abzumachen; dem Perez schrieb er, er sei entschlossen, König von England zu werden; er werde Maria Stuart befrein, als ihr künftiger Gemahl; er schreibe dem Perez im tiefsten Geheimnis, seiner Verschwiegenheit sicher. Perez ging mit dem Geheimnis zu Philipp. Auch ich, sagte Philipp, war König von England; meine Marie war hasslicher. Den Tag darauf kam der Nuntius mit Depeschen aus Rom in der Hand und fragte Perez: „Wer ist ein gewisser Escoda?" „Der Staatssekretar Escovedo?" „Alles eins", versetzte der Nuntius, „diese chiffrierte Depesche Sr. Heiligkeit heisst mich Don Juans Krönung zum König von England bei Sr. Majestat befürworten." Philipp fertigte den Escovedo nicht ab; er schickte seinem Bruder kein Geld. Da erfuhr er, sein Bruder sei mit drei Galeeren gegen den ausdrücklichen Befehl in Barcelona gelandet und schon nach Madrid unterwegs. Als Juan ankam, empfing ihn Philipp im Zimmer Annas. Da war er wieder, der ewige Beschwingte, der Kronen jager, so kamen sie gestürmt, die jungen Leute; der König kannte sie schon, er war verdriesslich; aber Juan war so hübsch, so heiter, so höflich. Philipp sah es noch, so reicht er ihm die Hand zum Kuss, Juan bückt sich tief. Philipp hörte noch sein Söhnchen weinen, Don Ferdinand, Thronfolger damals, heut tot — nun war Diego Thronfolger, und Anna hatte einen vierten Sohn geboren, Felipe, der war schwachlich — damals weinte Ferdinand. Immer trugen diese stürmischen jungen Leute zu lange Haare und zu lange Degen. Da Juan sich bückte, ritzte die Spitze seines Degens den Infanten am Auge, das Kind begann zu schrein, Anna Hef, kniete, schrie: ,Das Auge' und ,Er ist blind!', Philipp fragte: ,An beiden Augen?', nahm das Kind, und es war nichts, eine Schramme überm Auge, ein Tropfen Blut, er hob das Kind auf und küsste zartlich seinen Erben, das Kind griff in des Vaters Bart und lachte schon. Doch Juan, bis dahin wie erstarrt, fuhr nun auf, rannte zum Fenster, riss daran, um es zu öffnen, schrie: ,Wo ist ein Fenster, mich herabzuwerfen?' und ,Wo ist ein Dolch?' Dabei stolperte er fast über seinen viel zu langen Degen, und Philipp sagte lachelnd: ,Beruhige dich! Es ist nichts. Schliesse das Fenster. Kaufe dir einen kürzern Degen.' Und doch hatte ihm damals Juan getallen. Er hatte ihn geprüft, er liess ihn reden, horchte auf das Ungesagte, verbarg sein tiefes Misstraun, spürte die infame Lust, den Spieler zu überspielen, die alte Lust dessen, der mit Menschen spielt, die sündige Lust des Lebensspielers. Philipp hiess den Bruder die Niederlande erst befrieden (befrieden, nicht bekriegen!) und erlaubte ihm, danach die spanischen Truppen, falls die Ge- neralstaaten in eine Einschiffung einwilligten, zur Eroberung Englands zu nutzen. Indes der Sekretar Escovedo in Madrid blieb, urn die Geschafte Juans in den Amtern zu beschleunigen und Geld zu schaffen, Geld, vor allem Geld, ritt Juan mit Riesenplanen und wenig Geld, als Mohrensklave verkleidet, durch das feindliche Frankreich, so eilig war er, England zu erobern und endlich ein König dieser Erde zu sein, Gesicht und Hande hatte er braun geschminkt, die berühmten blonden Locken schwarz gefarbt, unterwegs trug er das Gepack ins Gasthaus, ein schoner, heiterer Mohrensklave. Da er zu Paris erfuhr, am Abend sei ein Ball im Louvre, maskierte er sich um, als Grafen aus Neapel, und ging zum Ball und sah die junge Königin von Navarra Marguerite mit ihrem Bruder, dem König von Frankreich, tanzen und drangte sich vor und blickte ihr frech auf die nackten Brüste und in die klugen Augen und verliebte sich in sie und beneidete den armen, kleinen Hugenottenprinzen, den Heinrich von Navarra, um seine schone Frau, und riss sich mit Mühe los, und ritt nach Luxemburg und wollte raschen Frieden, um mit den spanischen Truppen gegen England sich einzuschiffen und sass Monate lang am Rande der Provinzen und verhandelte zahe mit den Staaten, und marktete und feilschte und war nachgiebig und bestrickend — und setzte doch den Abtransport zur See nicht durch. Denn hinter den Staaten stand der eine Mann, Oranien, gestern fast tot, erledigt, heut der heimliche Herr der Provinzen, ihr Hirn und Haupt. Und Juan schrieb an Perez, er sei nur ein Mensch und könne so viel Lasten nicht ohne einen vertrauten Freund ertragen, einen Mann wie Escovedo, um Mitternacht lege er sich nieder, bei Kerzenlicht stehe er auf, um sieben Uhr morgens, und die Dezembermorgen seien im Norden so abscheulich und machten melancholisch, und schon habe er dreimal das Fieber gehabt, und er verzweifle, er fühle sich wie verkauft mit den paar Leuten, ohne Geld, und wisse allzugenau, mit was für Langsamkeit man dort unten jedes Geschaft behandle. Mesquine Klagen! Philipp kannte sie; denn Perez wies ihm auch die vertraulichsten, geheimsten Briefe. Den König verdrossen der Ungehorsam, die Ungeduld, die phantastischen Launen. Ihn verdross die abscheuliche Geschaftigkeit Escovedos, dieses falschen Feuerkopfs, der zu Madrid ihn belastigt, ihm mit Briefen und Billetten die Ruhe stahl, bis ins Kabinett drang, ihn intrigierte wegen der obskuren, gefahrlichen, zweideutigen Riesenplane Juans. Ja, hatte dieser wirblige, zu rasch redende, zu rasch denkende Escovedo nicht die Frechheit, dem König ein Billett zu schreiben, des Königs Politik sei zu verwickelt ? „Das", sagte Philipp zu Perez, und schlug mit der Hand auf Escovedos Brief, „das sind die Früchte Flanderns und Italiens. Dieser Brief ist blutig!" Philipp hasste diese planezeugende Wildheit, den ungestümen Wettlauf mit der Zeit. Er las die geheimen Briefe Juans an Perez, er las Escovedos geheime Briefe, es war derselbe geschwinde Trommelwirbel von Worten, Planen, Stimmungen, abenteuerlichen Gefühlen, rebellischen Seufzern, hassenswürdiger Behendigkeit. Philipp sass in seinem Kabinett und sah ins Herz der frechen, gierigen, jungen Leute. Er liess sie an den geheimen Faden zappeln, wog ihr Gewicht, misstraute ihren Absichten und bediente sich ihrer Talente. Zuweilen verdross ihn die ewige Gebrechlichkeit der Menschen, die ewige Begehrlichkeit, die ewige Ohnmacht. Da schrieb der launische Held von Lepanto, der fieberkranke, kronensüchtige: Ein Gesandter der Ketzerkönigin Elisabeth von England sei zu ihm nach Namur gekommen, um die Hand der vierzigjahrigen Jungfrau verdeckt anzubieten; er, Juan, schame sich der Vorstellung, um eine solche zügellose, mehrmals vom rechten Glauben abtrünnige Person zu frein, und dennoch ware es der guten Sache dienlich. Welcher Sache? fragte Philipp, und wovon traumt der Bastard? Philipp liess den Perez an Juan schreiben, es ware gut, Oranien zu ermorden. Juan schrieb an Perez, er sei nicht der Mann dafür. Und doch sei Oranien schuld, dass Juan die spanischen Truppen zu Lande fortschicken müsse, statt mit ihnen England zu erobern. Und wieder dieser Strom von Klagen, von Beteuerungen, Philipp werde ohne Krieg nicht auskommen; er, Juan, sehe, zum Unglück sei er geboren, sei ein Verlorener, er habe so genau, so lange diesen Plan einer Eroberung von England erwogen, die gefangene Maria Stuart besitze schon sein Bildnis, einmal hatte der Bruder sich erweichen lassen, und nun sei alles hin, er könne nur Krieg mit den Provinzen führen, nur gegen Philipps Wunsch handeln. Aber sein Gewissen? fragte er den Perez, aber seine Pflicht? Er wolle resignieren, wolle gleich seinem Vater Karl ins Kloster, er liege am Boden, er bringe Stunden um Stunden in Gedanken zu und wisse nicht, was denken? Und sei so unnütz hier, wie er zu andern Zeiten der einzige gewesen ware, der nützen konnte. Und dachte schon, mit den Truppen als Freischarler zu gehn und dem König von Frankreich zu helfen, seine Hugenotten totzumachen; so lösche er die Schande aus, dass er, der erste Feldherr seiner Zeit, seine Truppen aus dem Lande jagen müsse. Eher, dass er bleibe, fasse er schreckliche, unerwartete Entschlüsse, und sollte es den Kopf ihm kosten! Nicht genug mit solchen Drohungen, kam er mit erschreckenden Planen, er wollte in den Staatsrat treten, um mit der Partei Eboli, mit Los Velez, dem Grossinquisitor Quiroga, mit Perez und Escovedo die Monarchie zu leiten. .Philipp', schrieb er an Perez, ,ist erschöpft; bin ich denn nicht berufen, ein Stab dem Alter Philipps zu sein ?' Bin ich alt? fragte sich Philipp. Ist ein König mit fünfzig Jahren alt? Will er mich absetzen? Der König ward des Doppelspiels nicht müde. Er, der König, leitete die Korrespondenz zwischen Perez und Escovedo. Er, der König, verbesserte die Antworten. Er, der König, befahl dem Perez, zu tun, als überzeugten ihn Juan und Escovedo. Er, der König, hiess Perez sogar, Frechheiten über den König schreiben, um der grosseren Glaubwürdigkeit willen. Immer neue, immer gefahrlichere Geheimnisse erwartete Philipp zu entdecken, immer tiefer wollte er ins Herz der Verrater schaun. Perez schrieb an Escovedo, um dem König zugefallen: ,Sie wissen, wie gefahrlich Philipps Charakter ist. Hüten wir uns, jemals diesem Menschen unsere Wünsche zu zeigen. Wir müssen ihm einreden, alles gehe nach seinem Willen; indes führen wir ihn an der Nase herum.' Philipp hatte solche Stellen gebilligt, Philipp hatte an den Rand geschrieben: Ausgezeichnet, die Stelle mit dem schlechten Charakter! Solche Passagen öfters! Damals hatte der Nuntius dem König mitgeteilt, Escovedo verhandle aufs neue mit dem Papst; Gregor sei bereit, sechstausend Mann und fünfzigtausend Dukaten für die Eroberung von England dem Prinzen Don Juan zu geben. Da befahl der König dem Perez, an Don Juan zu schreiben, wenn er gehorche und die Niederlande endgültig befriede, werde Philipp spater das englische Abenteuer unterstützen. Juan blieb in Flandern, schickte die spanischen Soldaten fort, und hielt, ein Einzelner und schutzlos, seinen feierlichen Einzug in Brüssel und gab sich in der Staaten Hande und ermahnte sie, die Ketzerei in Holland und Seeland auszurotten; denn im Glauben hatte Philipp keine Konzession bewilligt. Juan setzte nichts durch. Unter Oraniens Einfluss verweigerten die fünfzehn katholischen Provinzen ihre Hilfe gegen die zwei protestantischen Pro vinzen. Und Juan rief nach Madrid, es werde keinen Frieden geben, und um seiner Sicherheit und Philipps Ehre willen müsse er einen Staatsstreich tun und die Festung Namur besetzen und Krieg führen. Auch schicke er den Escovedo nach Madrid, um Truppen und um Geld. Escovedo landete am 21. Juli in Santander. Ohne Erlaubnis! Und zu welchen geheimen Zwecken? Wollte er seinem König ans Leben ? Philipp empfing ihn nicht, er wollte keinen Krieg mit den Staaten. Indes geschah das Unheil. Die Staaten erklarten Don Juan zum öffentlichen Feind, ernannten Oranien zum Generalleutnant und schlossen ein Schutzbündnis mit England. Da musste Philipp den verhassten Krieg erlauben. Da hatte Don Juan endlich seinen Krieg. Sein Neffe, Alexander Farnese, brachte ihm die spanischen Regimenter und schlug die Staaten bei Gemblours. Und schon schrieb Don Juan Briefe des Triumphes, schon wieder der fröhliche Held. Und schrieb um Geld, um Geld und Escovedo, und mehr Geld und grössere Eile, und hatte neue, noch gefahrlichere, noch dunklere Plane. Und schrieb und wartete, Woche um Woche, Monat um Monat umsonst. Und schrieb an Perez vertraulich und verzweifelnd, seit sechs Monaten warte er auf Escovedo, seit sechzehn Tagen habe er sogarvom Escovedo keine Nachricht. Was gehe in Spanien vor? Was sei geschehen? Seit sechzehn Tagen habe auch Perez, der gute, treue Freund, ihn ganz vergessen und schreibe nicht. Welch Fürchterliches also sei eingetreten? Oder hatte man zu Madrid ihn und die Niederlande ganz vergessen? Oder was? In Madrid war Escovedo schon in der ersten Stunde zu seinem alten Freund Antonio Perez gelaufen. „Der König", sagte Perez, „ist im Escorial. Er wird dich nicht empfangen. Er grollt dir und deinem Herrn. Wie geht es Don Juan? Man hört muntere Geschichten von dieser Marquise. Ist es wahr, dass sie ihre Brüste auch auf der Strasse ganz entblösst? Und ist ihr Busen so schön?" „Die Marquise d'Havré ist ein Wunder an Schönheit", erklarte Escovedo, „und qualt unsern Prinzen mit ihrer Eifersucht. Ich muss den König sprechen. Wir brauchen Geld zum Krieg! Wir brauchen Geld!" „Escovedo, du bist der altere von uns. Vergib, wenn ich es wage, dir einen Rat zu geben. Ihr behandelt Philipp falsch. Bei der Liebe Gottes! Folge meinem Rat. Renne nicht so, Escovedo! Man glaubt, das Ziel zu packen, und strauchelt, und fallt, kurz vor dem Ziel. Könige lieben den Tadel nicht. Die Wahrheit ihnen sagen, ist unsere Pflicht. Aber mit Mass, Escovedo, mit Klugheit!" „Schon gut! Wir haben Riesenplane, Antonio! Die Welt wartet nicht. Die Tage rollen. Fass' an, heisst es! Pack' zu! Spring' auf Fortunens Rad, fass' sie am Zipfel ihres flatternden Gewands! Morgen hast du Fieber. Morgen bist du tot. Morgen sind andere auf dem Sprung. Antonio, gibt acht! Sonst wirst du grau, und Philipp jagt dich mit einem Fusstritt fort. Antonio, ich kenne dich nicht wieder! Sonst wagte keiner so viel wie du!" „Schon gut", sagte Perez, „man wird alter." „Das ist's", rief Escovedo. „Ich muss den König sprechen, heute, morgen! Schaff's uns, Antonio!" „Nur Geduld", bat Perez. „Lass ihn erst nach Madrid kommen. Was bringst du?" „Antonio, ich bin hin", erklarte Escovedo. „Noch nie litt ich in meinem Leben wie auf den Strassen Spaniens. Es gibt kaum Posthauser. Pferde sind so schwer zu haben, dass ich zwölf, ja sechzehn Meilen weit mein Pferd nicht wechseln konnte, und zwei Stunden wartete, bis der Posthalter ein neues Pferd aufgetrieben. In einem Dorf wollte ich zwei Eier haben. Nicht um einen Dukaten fand ich welche! So arm sind sie. Die Leute hungern. Keiner ist zufrieden. Antonio, wie regiert ihr? Da müssen Fehler stecken. Das muss zu korrigieren sein! Nun gut. Ihr wolltet uns nicht im Staatsrat haben, mich und Don Juan." „Du rechnest nicht mit Philipp", antwortete Perez. „Ihr kennt ihn beide nicht. Hütet euch. Mehr sage ich nicht. Was macht ihr? Philipp befiehlt Versöhnung, fast um jeden Preis. Und ihr macht Krieg?" „Der Frieden mit den Niederlandern ist Chimare", schrie Escovedo. „Und doch, der Prinz hatte dort sein Glück machen können. Der Marquis d'Havré sagte wörtlich: 'Hoheit, wollen Sie König der Niederlande werden? Ich biete sie Ihnen im Namen meiner Freunde an. Versaumen Sie die Gelegenheit nicht!' Waren wir nicht so treu! Man hat die Offerte wiederholt." „Man kennt eure Treue", erwiderte Perez spöttisch lachelnd. „Don Juan schrieb von diesem Angebot an unsern Herrn; Philipp war wütend." „Wir merkten seine Wut", erklarte Escovedo. „Der Prinz hatte kein Geld für unsern Tisch, kein Geld für die Kuriere, keiner von uns hatte einen Pfennig. Und diese Niederlander leihen nichts. Was für eine Rasse, Antonio! Diesen Oranien lieben sie so sehr, wie sie Philipps Namen hassen. Er halt sie wie durch Zauberei; man liebt, man fürchtet ihn, will ihn zum Herrn, tragt ihm alles zu, fasst ohne ihn keinen Entschluss. Das sind Verdammte, mit der einzigen Wut im Leib, den Frieden zu verhindern. Warum liesst ihr uns ohne Geld, ohne Truppen, ohne Briefe? Was schweigt Philipp so lang? Hof ft er noch immer auf die Zeit? Begriff er noch nicht, dass sie sein schlimmster Feind ist? Das Jahrhundert ist gegen ihn! Es kommen neue Zeiten, ich will nicht sagen, bessere. Ach, Antonio! Ihr lebt in Spanien hinter Mauern." „Bist du toll?" fragte Perez. „Du bist es. Sonst warst du ja nicht in Madrid!" „Gut", sagte Escovedo, „aber was will der König? Schon in Italien litten wir so, Jahre lang. Die ewigen Verzögerungen! Das ewige Zaudern! Schlaft Philipp im Kabinett? Ist er so üppig, dass er bei den Weibern seine Kraft verliert? Gut, er hat Schwierigkeiten. Jedes Kind kennt sie. Überall, in allen seinen Landern, sind seine Untertanen unzufrieden; wir wissen's, wir haben's gesehn. Aber vor allem fehlt es an neuen Mannern für die grossen Amter im Staat." „Geduld!" bat Perez. „Wir hatten sie in Flandern", erklarte Escovedo. „Oft führten sie uns so an der Nase herum, dass Don Juan alles im Blut ersticken wollte! Der Oranien ist Satan selber. Immer ist er da. Immer setzt er in Brand. Wir waren sein Spielball, rollten, sprangen, warf uns der eine hin, warf der andre uns zurück. England erobern, Holland und Seeland erobern, den Oranien töten: das ist der Weg zur Zahmung der Niederlande. Es sind Unbandige! Don Juan war weg vor Müdigkeit, wie tot, verzweifelt. Er musste den Staatsstreich wagen, sie hatten ihn gefangen; sie machten ein Komplott, ihn nach Holland zu entführen, die Calvinisten hatten ihn wie einen Hering gebraten!" Perez erwiderte: „Ich sehe wohl, ihr habt dort gelitten. Ich fühle mit euch. Hier plante Philipp schon, euch ab- zuberufen. Genug! Nun habt ihr euern Krieg, und ihr seid unersetzlich. In Kriegen seid ihr gross." „So bitter, Antonio?" „Es sind die Worte Philipps!" erklarte Perez. „Ah, Senor Antonio", bat Escovedo, „jetzt sollte der Staatsrat nicht mehr sündigen; jetzt vergesst diesen einzigen grossen Helden Spaniens nicht. Don Juan ist ein neuer Cid; o, Gott in seiner Güte beschütze ihn, er ist so edel! Und doch, lasst ihr ihn wieder fallen, wieder schmachten, wird er den Kopf an einer Mauer zerschmettern, er wird sich in einen Abgrund stürzen! Ihr zu Madrid vergesst ihn auf den Grad, dass ihr ihm auf seine Briefe nicht mehr Antwort gebt, als ware er der letzte Supplikant." „Wem predigst du?" fragte Perez lachend. „Bin ich nicht Don Juans Freund?" „Bist du's, Antonio? Und auch mein Freund?" Die Staatssekretare umarmten sich zartlich und gingen in des Perez Palast, um zu speisen. Die alteste Tochter Don Antonios, namens Gregoria, ein mageres, blasses Madchen mit glühenden Blieken und einem scheuen, zartlichen Lacheln für den Vater, schenkte ihnen den Wein bei Tisch. „Du fragst, ob ich dein Freund bin?" fragte Perez. „Du hast keinen bessern. Ich schwöre es bei dem Haupte meiner Tochter Gregoria." Escovedo lachte heiter. Sie liessen Zigeunerinnen kommen und tanzen. Perez hielt sich wirklich für Escovedos Freund. Als Escovedo zu Santander gelandet war, hatte Philipp einen Zettel an Perez geschickt. ,Der Vorlaufer ist nahe', schrieb Philipp, ,eilen wir, um jeden Preis ihn zu töten, bevor er uns tötet!' Und Perez rettete das verlorene Leben Escovedos. Er gab Escovedos Eifer für die Übertreibung eines Patrioten aus. „Du machst Dummheiten", sagte Perez zu Escovedo. Sie hatten den Palast Antonios verlassen und waren zusammen in die Hurenstadt gegangen. Perez hatte von einem jungen Fraulein erzahlt, das Furore mache, ein Madchen aus Alcala, eine ganz junge und über alle Massen schone Hure. In der Stube des Madchens sassen sie und tranken süssen, schweren Wein aus Zypern. Das Madchen sass dem Escovedo im Schoss. Das Madchen war wirklich schön. „Du machst Dummheiten", sagte Perez, berauscht vom Wein und von den vielen hitzigen Gesprachen mit dem Jugendfreund. Die Stube war fast dunkel. Ein öllampchen vor einer Mutter Gottes brannte. „Du machst Dummheiten", sagte Perez. „Musstest du jetzt den König um die sechstausend Dukaten für dieses alberne Fort bitten, das du bei Santander bauen willst, auf diesem komischen Kap, wie heisst es nur?" „Das Kap ist nicht komisch", entgegnete Escovedo, „es heisst Mogro, und schützt den Hafen von Santander vor den Schiffen der Feinde. Du vergisst, dass ich der Schlosshauptmann von Santander bin, dass ich Asturier bin, dass ich ..." „Es war eine Dummheit", sagte Perez, mit dem Eigensinn Betrunkener, und mit der Bedeutung, die der Rausch armseligen, nüchternen Worten leiht, und doch fügte er nicht hinzu, dass Philipp schon lange fürchtete, Don Juan werde England erobern und mit einer englischen Flotte in Santander landen und Spanien erobern, und nun war Escovedo in Santander gelandet, und nun forderte er die Erlaubnis, ein Fort dort zu baun, und Philipp schrieb dem Perez:,Ist das nicht schon der Beweis?' und Perez schrieb dem König, ,ich glaube nicht, dass Escovedo ein Schurke ist, er ist nur hitzig, nur eigensinnig, nur ein Asturier.' Zum zweiten Mal hatte also Perez Escovedos Leben gerettet, Perez erzahlte es dem Freunde nicht. Vor Freunden rühmt man sich nicht. Nur zur Warnung sagte er: „Du machst Dummheiten." „Und du", fragte Escovedo heiter seinen Freund Perez und sah ihn an, wie der dasass vor seinem Glase Wein, in Seidenflittern, Spitzen, mit goldenen Ketten, gesalbt und nach Essenzen duftend, wie Arabiens Tochter, einem Marchenprinzen ahnlich, elegant und zart. „Und du, Antonio", fragte Escovedo, „machst du keine Dummheiten? Der Erzbischof von Sevilla erzahlte mir heute auf der König Philipp der Zweite 31 Strasse, du bedientest dich der Karossen der Witwe Eboli, trügest ihre Ringe und gabest Anlass zu Gerede. Man sagt, die Fürstin schickte dir aus ihrem Schloss Pastrana ganze Maultiere voll mit Naschereien, Spitzen, Schönheitssalben und Leinen zu Hemden, und was weiss ich." „Schweig!" schrie Perez. „Wie sprichst du von der ersten Dame am Hofe Philipps?" „Dennoch sagt man", begann Escovedo . .. „Schweig!" schrie Perez und erhob sich und ging im Zorn. Am andern Tag kam Escovedo zu Perez und entschuldigte sich, und sie waren Freunde. Escovedo lief in alle Amter und mühte sich für seinen Herrn und hörte, dass Philipp mit Agenten Oraniens verhandeln liess und bereit war, seinen Bruder Juan d'Austria und seinen Neffen Alexander Farnese samt ihren Siegen zu opfern, falls Oranien zur Versöhnung bereit war. Philipp bot Oranien Sacke voll Dukaten und eine Generalsstelle an. Indes zog Oranien vor, der Vater der Niederlander zu bleiben. Escovedo sah seinen Herrn verraten. Er ging zum Grossinquisitor. Quiroga lachte heiter wie immer. „Sie traumen", versicherte er. „Unsere Partei regiert." Escovedo ging zum Marquis Los Velez. Der Alte lag krank zu Bett. „Sie irren!" versicherte er. „Der König liebt seinen Bruder." Einmal hatte Escovedo einen verzweifelten Brief von Juan: .Schon gibt es drei oder vier Regenten in den Nieder landen, und hinter allen steht der Teufel, der Oranien, und nur ich, Don Juan d'Austria, bin ohne Geld, verkauft, verraten!' Escovedo ritt zum Haus Antonios, traf einen Pagen, der erklarte, sein Herr liege zu Bett, und als Escovedo fragte, ob Perez krank sei, kindisch kicherte und, als Escovedo mit langen Schritten zum Schlafzimmer Antonios ging, versuchte, am Mantel ihn festzuhalten; doch Escovedo riss die Türe auf und sah Perez und ein nacktes Weib, Anna, die Witwe seines Herrn, am hellen Mittag. Und Escovedo schrie, zitternd vor einer unbegreiflichen Wut: „Das ist unertraglich, das sage ich dem König! Mein Gewissen verlangt das!" „Sag's!" rief Anna und lachte unmassig am Hals Antonios, „sage ihm, dass ich das Ding vom Perez mehr liebe als den König." Da verliess Escovedo in voller Wut das Haus seines Freundes, ritt ins Gehölz, die grünen Baume sahn vermummten Schurken gleich, er blickte zum Himmel empor, und ritt durch die Walder, als fliehe er vor Mördern, und erwog, ob er es dem König sage, und wusste, Antonio würde nun die Audienz verhindern, und kehrte zurück, es war Abend, es dunkelte, und in allen Hausern sah er die Unzucht, und war nicht frömmer als andere, und wusste nicht einmal genau, warum ihn vor Millionen Umarmungen gerade diese so sehr beschamt hatte, und ritt langsam nach Haus, und ging zu seiner Frau und seinem Sohn, sie fragte: „Bist du krank?", er legte sich zu Bett, und beschloss, nur fort aus Spanien, und erwachte am andern Morgen fröhlich und wusste nicht, dass er schon verloren war. Er war gerichtet. Seine Henker waren schon am Werk. Perez legte dem König Briefe der Grimaldi vor, zweier Genueser Bankiers, die dem Prinzen Juan Gelder liehn und ihn bespitzelten. Sie denunzierten ein Bündnis des Herzogs Guise mit Don Juan, zur Verteidigung der beiden Kronen. „Verteidigung?" fragte Philipp mehrmals, „was heisst das? Dem Guise ist die Politik des Königs von Frankreich nicht katholisch genug. Und Don Juan? Heisst Verteidigung Unterwerfung beider Könige? Ich fürchte den Escovedo! Antonio, mach's kurz! Mach' ihn ab!" Da erschrak Perez. Er hasste seit jener Mittagsstunde Escovedo. Anna fragte jeden Tag, wie lange er warten wolle, und was sich andre oder bessre, wenn er warte, und ob er schon ein Zauderer wie sein König sei, — und doch erschrak er nun bis in den Grund, nicht aus Gewissensbissen, etwas gefiel ihm nicht, er sagte, gegen seinen Willen und angstlich, er könnte überzeugen: „Sire! Vielleicht ist Escovedo nur ein Werkzeug?" „Du bist sein Freund", sagte Philipp. „Los Velez soll entscheiden." Perez brachte Papiere, Notizen, alles lag bereit, eins ans andere gefügt, eins aus dem andern folgend, Briefe, Notizen über mündliche Unterhaltungen, über Konferenzen, flink und fleissig, Perez kommentierte nicht, es war überflüssig. Da erschienen aufs neue die grossen Projekte Juans seit seinen italienischen Tagen, da wollte er König von Albanien, da König von Tunis sein, da war er ungehorsam, dort widerstrebte er. Da jammerten Escovedo und Juan, weil die getraumte Krone von England entschwunden war. Da versuchten sie über den Papst Gregor ein zweites Mal das englische Abenteuer, hier war die Absicht, aus Flandern zu desertieren, hier die geheimen Intrigen in Frankreich, hier der Plan, als Abenteurer mit den spanischen Truppen für den König von Frankreich zu kampfen, hier die Drohungen des Prinzen. Folgte nicht, dass ein bedeutender, geheimer Plan existiere, dass ein grosser Schlag das Wohl der Reiche Philipps gefahrden würde, wenn man nicht seinen Sekretar beseitigte? Folgte nicht notwendig Escovedos Tod? Los Velez erklarte: „Mit der Hostie im Mund, mit dem Leib des Herrn zwischen den Zahnen, stimme ich für Escovedos Tod." So rieten die Haupter der Partei Ebolis, die Freunde Juans und Escovedos. Philipp schrieb an Perez: Ja, beschleunigen Sie den Tod von Verdinegro (aus Vorsicht hiess Philipp den Escovedo so, mit einem Pseudonym). Sonst geht er weiter, und es wird zu spat; der schlaft nicht, der ruht nicht, der wird nicht anders, der treibt es, bis das Unheil platzt. Handle, Antonio; eile, ehe er uns tötet!' Spanier töten gern mit Messern. Antonio Perez, ein Höfling, hatte Gift vorgezogen. Perez wandte sich an seinen Majordomus Martinez. Martinez wandte sich an den Pagen Enriquez. „Kennst du keinen Landsmann, der einem einen Messerstich gabe? Man möchte gut zahlen. Ohne Bedeutung, wenn das Opfer stürbe." Der Page sprach mit einem Maultiertreiber. Da sagte Martinez, umbringen müsse man den Betreffenden, es sei ein Staatskerl. Don Antonio billige alles. Da erklarte der Page, dann brauche es Leute von guter Familie. Martinez sagte, der Betreffende kame oft ins Haus Don Antonios, das sicherste Mittel ware, ihm etwas in den Wein zu schütten. Ein paar Tage spater sagte Martinez zum Pagen Enriquez, nun habe er ein Elixier, und Senor Antonio hatte nur zu Enriquez Vertrauen, und er gabe ein Mahl in seinem Landhaus, und der Page sollte dieses Wasser dem Escovedo beibringen, der einer der Gaste sei. Da erwiderte der Page, er wolle keinen umbringen, wenn es ihm nicht sein Herr selber befehle. Da rief Perez den Pagen eines Abends auf dem Lande zu sich, es war im Frühling, Perez schlang den Arm um den Nacken des Knaben und sagte ihm, wieviel ihm daran lage, dass Escovedo stürbe, und dass er den Pagen ins Haus des Königs bringen wolle. Darüber war der Knabe hochzufrieden und besprach mit Martinez das Nötige. Wahrend des Mahls war der Page Enriquez bestellt, dem Escovedo, so oft er begehrte, zu trinken zu reichen. Der Page gab ihm zweimal zu trinken, beide Male schüttete er das Elixier in Escovedos Wein in dem Augenblick, da er das Glas durchs Vorzimmer trug, jedesmal eine Nusschale voll, wie ihm gesagt war. Am Ende des Mahls ging Escovedo fort, die andern Gaste setzten sich zum Spiel, Perez ging für einen Augenblick aus der Stube und traf den Hausmeister Martinez und den Pagen Enriquez in einem Hofzimmer und fragte, wie es gegangen sei, der Page erklarte, zwei Nusschalen voll habe der Sekretar Escovedo getrunken, Perez setzte sich wieder zum Spiel. Das Elixier hatte keine Wirkung. Ein paar Tage spater gab Perez ein neues Diner, und in Escovedos Pudding tat Martinez ein weisses Pulver, das wie Zucker aussah, und Enriquez schüttete wiederum von dem Elixier in Escovedos Weinglas. Dieses Mal glückte es, Escovedo ward krank und wusste nicht warum. Der Page Enriquez hatte unter den Köchen des Königs einen Freund, der ein Freund des Kochs Escovedos war, und beide Köche suchten einander haufig auf, in den Küchen ihrer Herren, und gaben sich fette Bissen. Dieser Koch des Königs benutzte einen unbeachteten Augenblick, da man in Escovedos Küche ein Krankensüppchen für Escovedo kochte, etwa soviel wie einen Würfel von dem weissen Pulver, das ihm Martinez gegeben, hineinzuschütten. Eine Mohrensklavin trug die silberne Tasse mit dem Süppchen vors Bett Escovedos, er merkte, dass Gift darin war, bezichtigte die unschuldige Mohrin, man übergab sie den Richtern, es gab einen raschen Prozess. Philipp schrieb an Perez: ,Dieser Escovedo wird uns beide verdachtigen, er ist imstande, durch den Mund der Mohrensklavin sagen zu lassen, was er nicht zu sagen wagt.' ,Auch ich bin unruhig', schrieb Perez an den König. Die Mohrensklavin ward in aller Unschuld auf offenem Markt gehangt, und Perez beschloss, mit dem Messer zu arbeiten, gleich den Söhnen des Volks. Der Page Enriquez fuhr in seine Heimat, weihte seinen Bruder Miguel Bosque ein. Indes hatte Martinez zwei Aragonesen bestellt, zwei erfahrene Totschlager von Beruf, Mesa und Insausti. Am andern Tag versammelte Martinez die vier Mörder, ebenso den Koch, im Wald vor Madrid. Unter alten Ulmen besprachen sie sich. Martinez besorgte lange Stockdegen. Perez ging indes für die Karwoche nach Alcala. Es war abgemacht, dass die Mörder sich jeden Abend auf dem kleinen St. Jakobsplatz trafen und dort die Runde machten, langs der Strasse, die Escovedo zu nehmen pflegte. Insausti, der Koch und Bosque warteten auf ihn; Martinez, Mesa und Enriquez standen Schmiere. Den Ostermontag, am 31. Marz, kamen Mesa und Enriquez ein wenig spater als sonst zum St. Jakobsplatz. Die andern vier lauerten schon. Als Escovedo, von ein paar Lakaien, die Fackeln trugen, und einem Pagen begleitet, an der St. Marienkirche nahe dem St. Jakobsplatz vorüberritt, fielen ihn die Mörder an. Insausti tötete ihn kunstvoll mit einem einzigen Degenstich. Die Mörder entwichen. Bosque hatte seine Pistole verloren. Insausti verlor den Mantel. Martinez und Mesa warfen den blutigen Degen Insaustis in den Brunnen im Hof. In der Nacht ritt des Königs Koch nach Alcala und unterrichtete Perez, der sich freute, weil keiner der Mörder verhaftet war. Der Mord machte Larm in Madrid. Die Alkalden begannen die Untersuchung. Perez kam am Abend des 2. April nach Madrid. Er ging zu Escovedos Sohn Peter. Der junge Mensch warf sich dem Freund seines Vaters an die Brust und hatte keine Tranen und hielt den Perez bei der Hand und schwor, er werde seinen Vater rachen, und vertraute dem Perez an, sein Vater habe Feinde gehabt, und er, Peter Escovedo, habe nur noch ein Ziel im Leben, die Mörder zu suchen, und er, Peter Escovedo, werde ihnen die Augen ausreissen, mit diesen Handen, schrie Peter, und zeigte seine Hande dem Mörder seines Vaters. Perez fuhr sich über die Augen. Er bat den Sohn der Freundes, sich zu massigen und zu verzeihn. „Den Mördern meines Vaters?" schrie Peter. Perez bot dem Sohn Escovedos Geld, Hilfe und ein Amt an. Peter küsste die Hand des Mörders. Der jungen Frau des Perez, Juana Coello, die nichtsahnend zur Witwe Escovedos kam, wies die Witwe die Tür. Geilend rief sie: „Fluch über alle Mörder meines Mannes!" Mehr tot als lebend ging Juana Coello durchs Spalier der Freundinnen der Witwe Escovedos, die links und rechts vor ihr zurückwichen. Da sie zu Haus bei Tisch davon erzahlte, und des Perez Tochter Gregoria sich dem Vater an den Hals warf und unter krampfhaftem Schluchzen schrie: „Vater! So rette dich doch! So fliehe doch! , stand Juana Coello vom Stuhl auf, ging um den Tisch herum, trat nahe vor ihren Mann, dessen schönes Gesicht ein wenig aufgedunsen war, und sah ihm in die Augen. Perez senkte den Bliek nicht. So starrten sie sich an, Mann und Frau. Die Tochter Gregoria, noch am Hals des Vaters, bog das Gesicht weg, als ertrüge sie die starren Blicke der Mutter nicht, und Juana Coello sagte sanft: „So sehr liebst du diese Anna?" — Und das war das einzige Mal, dass Juana Coello in ihrem Leben von der Liebe ihres Mannes zur Prinzessin Eboli sprach. Perez senkte den Bliek. Sanft machte er sich von seiner Tochter los. Schweigend verliess er das Zimmer. Gregoria sah ihre Mutter wie mit neuen Augen. Und hatte Lust, ihr die Füsse zu küssen. Juana Coello ging still aus dem Zimmer. Gregoria blieb allein. Sie wollte nicht weinen, und weinte wirklich nicht. Es kostete die arme Gregoria ihre ganze Kraft. Und warum wollte sie nicht weinen? Der Hofalkalde Velasquez, der die Mörder Escovedos suchte, kam ins Haus des Ministers Perez. „Sie waren sein Freund, Sie wissen viel", begann der Untersuchungsrichter und sprach ganz offen und verhehlte Perez nichts, und Perez sprach voll eleganter Trauer, mit Wehmut und Bewunderung und nur massiger Kritik von seinem ermordeten Freund, und wurde zuletzt fast ungeduldig, als der Richter ihm immer neue Enthüllungen machte und seine Fragen schon kaum den Toten und fast nur den Lebenden, den Antonio Perez, betrafen. Da hatte es Perez satt. Er erhob sich vor seinem Gast in seinem Haus und meinte, die flandrischen Staaten hatten die Mörder gedungen, oder es waren entlassene Soldaten Don Juans, oder es sei eine Weibergeschichte. „Das eben", sagte der Richter und verabschiedete sich höflich, „das ist die Meinung der Polizei. Ein Weib steekt dahinter!" Und der Richter blinzelte dem Minister zu. Am Abend begann auf einem Diner im Haus des Herzogs von Medina Sidonia, des Schwiegersohns der Prinzessin Eboli, der ihr sechsjahriges Töchterchen geheiratet hatte, Don Garcia de Arce, der Schwiegersohn des Untersuchungsrichters, ein Gesprach mit Perez, vom Mord und was man davon redete, und schien die Miene Antonios zu beobachten. Perez schrieb dem König, der im Escorial sass, von den Gerüchten, vom Klatsch, von den halb öffentlichen Anklagen gegen ihn, von den Verdachtigungen, den fast unertraglichen Szenen. Philipp schrieb ihm: .Reden Sie klug und wenig! Die Leute werden tausend Dinge sagen, um etwas aus Ihnen zu ziehn. Die Peinlichkeiten sind unvermeidlich. Gehn Sie darüber weg mit Ihrer gewöhnlichen Kunst der Verstellung. Perez schrieb an Philipp: ,Die Mörder sind noch in meinem Haus, auch der den Stich geführt hat. Ich hatte Angst, sie fortzuschicken; ich habe Angst, sie hier zu halten. Soll man sie als königliche Kuriere fortsenden, mit Ihren Depeschen, Sire?' ,Nein', schrieb Philipp, ,ich halte das nicht für richtig. Nur Geduld! Verstecken Sie sie nur bei sich. Niemand wird wagen, das Haus meines ersten Ministers zu durchsuchen.' Die Woche darauf schickte Perez die Mörder fort. Bosque erhielt hundert Dukaten und ging in seine Heimat. Mesa, Enriquez, der Koch und Insausti gingen nach Saragossa. Mesa erhielt eine goldene Kette und eine silberne Tasse. Die Prinzessin Eboli steilte ihn auf ihren Gütern an. Die andern drei wurden Fahnriche des Königs und gingen mit ihren Patenten, die vom König und von Perez unterschrieben waren, nach Italien, der Koch nach Mailand, Enriquez nach Neapel, Insausti nach Sizilien. Die raschen Mörder waren fortgelaufen. Nun begannen die Richter ihr langsames Werk. Der allgemeine Argwohn richtete sich gegen des Königs Lieblinge, gegen Anna Eboli und Perez. Der König hielt seine machtige Hand über ihnen. Er sass im Escorial und im Kabinett und regierte seine Reiche. Seine Kinder sah er geboren werden und sterben, es war, als zeugte er statt Kinder Sarge. Rings um den König starben viele, er bemerkte es und er vergass es. Hundert stehn im Zimmer des Königs, tausend im Vorsaal, Millionen dienen ihm. Philipp war reif. Er hatte gestrebt und gelitten, war fünfzig Jahre alt und bereit, weiter zu gehn und mehr zu dulden. Immer noch, da sein Kopf schon ganz kahl, sein Herz ganz eingeschrumpft, sein Sinn ganz steinern war, immer noch hielt er sich für den grossen Erdenrichter und glaubte, ihm gehore die Wahrheit. Schon hatte er den engen Kreis menschlicher Gefühle und Taten durchmessen. Um seine paar ererbten Begriffe der Welt aufzuzwingen, hatte er gelogen, gemordet, Kriege geführt, noch hatte er nicht genug. Die Menschen lebten und starben, neue Menschen, neue Begriffe kamen empor und marschierten gegen Philipp, und er setzte sich auf das magere Ross seiner Phantasie, den dürren Klepper, und legte die Lanze ein, die Macht des spanischen Weltreichs, und kampfte gegen Windmühlen, und ihr Geklapper larmte in seinen Ohren. Immer hatte sich Philipp die grössten Aufgaben gestellt, und nur selten setzte er sie beiseite und bezahlte eine Marotte mit seinem Gott, immer münzte er die Goldgruben Indiens aus, damit hollandische Strassenjungen das Ave Maria beteten. Immer bückte er sich und hob aus dem Staub neben seinen Füssen seinen getretenen Gott empor und betete ihn an, und predigte aller Welt die heiligsten Aufgaben der Christenheit, und stets waren es seine Familieninteressen. So ging er noch fort und fort seinen erhabenen Weg, vom Kabinett zum Bett, von Aranjuez zum Escorial, von Siegen zu Niederlagen, von Eitelkeit zu Eitelkeit. Mit dem blutigen Messer des Mörders ging er vor den Altar und wischte das Blut im blauen Mantel der Mutter Gottes ab, immer hatte er das gute Gewissen der grossen Missetater. Philipp war endlich fertig. Nun stand er auf der Höhe seiner Bildung, ein Meister unter lauter gemeinen Pfuschern, seines Lebens Meister. Nun begann er das letzte grosse Spiel um die Welt, ein frommer Spieier. So sah er mit fünfzig Jahren aus. So ging er zehn oder zwanzig oder wieviele Jahre spater in Scherben. Dieser war von Gott gesegnet, mit Reichen und Kronen, mit Weibern und Herden, mit Kindern und Liebe. Dieser soff und frass, und das Fett der Geschlachteten rann an seinen Fingern herunter, und er kam sich im Grunde als ein gewöhnlicher Mensch vor, aus gemeinem Stoff, nur durch Geburt und Gott schwindelnd hoch hinausgehoben. Langst kam er sich selber sententiös vor, langst sah er sich gerne historisch. Mit gefasstem Kummer vernahm er den Tod seines Bruders Don Juan d'Austria. Der arme Seeheld hatte noch fünf Monate nach der Ermordung Escovedos gelebt. Bald hatte er den Sinn dieses !VJordes begriffen. Er erhielt keinen Brief mehr von Antonio Perez. Auch Philipp schrieb ihm nicht mehr. Don Juan erfuhr, dass der König mit den Staaten ohne ihn verhandelte, ihn preisgeben wollte. Don Juan fiel vom Fleisch vor Melancholie. Noch betete er zur Seele seines Vaters, des Kaisers, wie zu einem Heiligen. Noch schrieb er Briefe an seinen Bruder und an die Minister zu Madrid. Noch lag er im Felde bei seinen Truppen. Noch walzte er die alten, grandiosen Plane, die Traume von den Königskronen, König von Albanien, König von Tunis, König von Frankreich, König von England, von Polen, von ich weiss nicht wo! Don Juan fühlte sich verurteilt wie Escovedo, fragte verzweifelt seinen alten Freund Los Velez: ,Was wird der König gewinnen, wenn er mich verliert?', erhielt auch von Los Velez keine Antwort; erfuhr, dass auch der alte Los Velez tot war. Juan ward matt und krank, der ewige Regen marterte ihn, er sehnte sich nach Sonne, nach dem Süden, er begriff immer besser das Ende Escovedos, bekam im Feld ein hitziges Fieber, lag vier Wochen in einer Dorfhütte, deren einziger Raum als Schweinestall gedient hatte und der mit den Tapeten Don Juans notdürftig verdeckt war, sah sein Wappen an den Tapeten und weinte im Fieber, schrieb noch einmal an Philipp, bat noch einmal um Truppen, um Geld, um guten Rat, klagte den König an, klagte sein Schicksal an, hiess sich einen toten Hund, einen Narren; schrieb, die Diener Philipps spotteten seiner; schrieb, er sei der letzte Ritter; schrieb, er sei der einzige Verbannte, der einzige, der in Ungnade fiel, ein Narr des Glücks, ein Ball Fortunens; schrieb, er sei ohne Schuld, wenn die Niederlande verloren gingen; schrieb, er beneide den Oranien, der habe verstanden, sich unabhangig zu machen und seine Landsleute zu befrein, warf die Feder weg, phantasierte bei fürchterlichen Kopfschmerzen und argern Seelenschmerzen, warf sich auf seinem schmutzigen Stroh in Fiebertraumen umher, führte im Traum Riesenschlachten, schrie Befehle an die Kavallerie, enterte die türkischen Galeeren, focht in England, befreite die Stuart, lag mit ihr zu Bett, fragte sie nach seinem Bildnis, schrie schmetternd: ,Gefiel ich dir, Maria?' Und kam eine Stunde vor seinem Tod zum Bewusstsein seines ganzen Jammers. Er reichte seinem gleichaltrigen Freund Alexander Farnese, seinem Neffen und Studiengefahrten von Alcala, die fieberheisse Hand, empfing die Sakramente, sagte zum Farnese: „Schau an, Alexander; so blöd verspiele ich mein Leben", winkte ihm, er solle sein Ohr naher tun; sagte ziemlich laut: „Neffe! Er gab mir Gift." Und als Farnese erschrocken zurückfuhr und fragte: „Lieber Freund, was sagst du?", fragte Don Juan: „Was für einen Tag haben wir?" „Mittwoch", sagte Farnese. „Am Montag", erklarte Juan, „am Montag gab man mir mit Gewalt ein weisses Pulver ein, mir ging es zuvor schon besser. Neffe, er hat mich umgebracht. Ist heute Mittwoch?" fragte er noch einmal. „Er wird auch dich umbringen." „Ja", sagte Farnese. „So sterbe ich also an einem Mittwoch", erklarte Juan und drehte sich zur Wand und kehrte sich wieder zum Zimmer, wollte sprechen und konnte nicht mehr. Dem Farnese grauste. Er war noch sehr jung und verstand nicht, warum die Sterbenden so oft glaubten, sie hatten noch Entscheidendes zu sagen. Haben sie nicht ein ganzes Leben lang genug gesprochen? Ist denn das letzte Wort gültiger? Don Juan starb den Mittwoch. Er schied mit dreiunddreissig Jahren. Man fand sein Herz ausgedörrt und seine Haut wie geröstet. Die Leute sagten dies und das. Die einen schworen, Philipp habe ihn vergiftet, aus Angst vor des Bruders Ehrgeiz. Andere schworen, das Gift stamme von den Staaten, von Holland und Seeland, von den Calvinisten, von den Lutheranern. Diese sagten, die Königin von Frankreich, Katharina de Medicis, habe ihn mit parfümierten Stiefeln vergiftet, sie wollte ihren Lieblingssohn Franz mit Philipps Lieblingstochter Klara Eugenia verheiraten, und die Niederlande sollten das Angebinde sein. Andere erklarten, Don Juan habe die immer nackten Brüste der wunderschönen Marquise d Havré küssend die Pest, an der sie starb, mit seinen roten, lebensgierigen Lippen eingesogen. Zwei Englander, Ratcliff und Clay, wurden angeklagt, Don Juan im Auftrag des englischen Ministers Walsingham vergiftet zu haben, und hingerichtet. Drei Tage nach Juans Tod fand die Leichenfeier statt. Über den Vortritt stritten in der Armee Spanier, Deutsche und Niederlander. Jede Nation sagte: Der Tote war unser. Bei gedampfter Trommeln Klang trugen sie ihn nach Namur und begruben sein Herz in einer kleinen Kirche unterm Steinboden. Den Leichnam schafften sie nach Spanien. Juans letzte Bitte war, neben seinem Vater zu liegen. Philipp erlaubte es. Philipp bat den König von Frankreich um die Erlaubnis zum Durchmarsch von zwanzig spanischen Reitern aus Flandern. Er erhielt sie. Aus Sparsamkeit hatte Philipp verschwiegen, dass die Reiter die Leiche seines Bruders mit sich führten. Er wollte die Ausgaben sparen, die ein öffentlicher Transport und der Austausch von Zeremonien mit den Behörden jeder Stadt auf dem weiten Weg gekostet hatten. Aus Sparsamkeit zerschnitt man des Königs Philipp Bruder in drei Teile, verpackte jedes Teil in einen groben Sack, hing die drei Sacke an die Sattelknöpfe dreier Reiter. So ritt der einst so heitere Held der Christenheit zurück nach Spanien, gedrittelt. Dabei hatte er vor Philipps Ketzernnoch Vorteil; diese wurden lebendig gevierteilt. In drei Stücken langte Juan in Spanien an, auf dreier Reiter Satteln ritt er in Madrid ein. Da nahten ihn die alten Hofarzte Philipps zusammen, stopften den Leichnam aus, balsamierten ihn ein, kleideten ihn in Staatstracht, ins Purpurgewand, und taten ihm den Mantel aus Hermelin um, und um den Hals die Kette des goldenen Vlieses, zogen ihm parfümierte Handschuhe und parfümierte Stiefel an, auf den Kopf setzten sie eine goldene Krone mit grossen Juwelen, transportierten ihn zum Escorial, steilten ihn auf die Füsse vermittels einer sinnreichen Maschine, stützten ihn auf seinen kostbaren Feld- herrnstab und führten ihn so Sr. katholischen Majestat vor. Philipp trat langsam seinem Bruder naher. Er musterte ihn lange. Die Mönche, die ihn begleiteten, schworen, eine Trane gesehn zu haben, die an den Wangen des Königs langsam herunterrann. Danach begrub ihn Philipp neben seinem Vater, dem Kaiser Karl dem Fünften. Schon hauften sich die Sarge im Escorial. Denn Philipp sammelte seine liebsten Toten. DIE SCHULFREUNDE Peter Escovedo, des Ermordeten Sohn, erschien in Audienz vor dem König. Perez stand hinter einer Tapete verborgen und lauschte. Philipp liebte nicht die Brut Escovedos, der lebend nach seinem Leben getrachtet und tot seine Ruhe störte. Alles war abgetan. Was wollte die Familie? Peter Escovedo sagte: „Sire, Mörder haben meinen Vater überfallen, mitten in Madrid. Die Polizei findet die Mörder nicht. Und doch nennt jeder ihre Namen, und ganz Madrid weist mit Fingern auf sie. Vor Ihrem Thron bitte ich um die Erlaubnis, sie nennen zu dürfen." Philipp schickte ihm seine schweren Blicke. Das war der echte Sohn des Escovedo. Wollte der Knabe des Königs Namen nennen? Peter zitterte, er ertrug die schweren, kalten Blicke Philipps nicht. Ihm kam vor, da auf dem Thronstuhl vor ihm sitze des Vaters Mörder. Er fasste Mut und sagte: „Die Mörder meines Vaters sind Antonio Perez und Anna Mendoza!" Der König sah in die Richtung der Tapete, wo Perez sich verborgen hielt, um zu lauschen. Philipp hatte Antonios Miene gern gesehen. Er fragte nachdrücklich langsam: „Was für Beweise?" Peter Escovedo setzte zweimal zu reden an. Ihm fiel ein: Jetzt sind wir verloren, Mutter und ich! Er erzahlte: „Wir gingen zum Astrologen Hera, Senor Mateo Vasquez, Prasident Pazos und ich. Es war Nacht. Der Astrologe führte uns aufs Dach seines Hauses, blickte lange in die Sterne und erklarte, den Befehl zum Mord habe ein Freund meines Vaters erteilt, einer der zur Bestattung kam, er beging die Tat für ein Weib." Peter schwieg erschöpft. Auch Philipp fühlte sich matt. Endlich sagte Peter Escovedo: „Ich erhebe Klage! Ich bitte, unsere Denkschriften übergeben zu dürfen!" Knieend überreichte er die Papiere. Philipp versprach, sie den Richtern auszuliefern, falls ein Prozess stattfande. Peter Escovedo ging. Der König öffnete mit eigener Hand die geheime Tapetentür und fragte: „Nun, Senor Antonio?" „Also Vasquez", antwortete Perez. „Sire, das ist derneue .Bund'an Ihrem Hof: Vasquez, Ihr Beichtvater, und Graf Baraja, der schnöde Nachfolger des edeln Los Velez. Das sind meine Feinde. Man neidet mir die Liebe meines Königs, meine politischen Erfolge. Man will mich stürzen. Und dieser undankbare Peter Escovedo, dem ich eine so glanzende Laufbahn versprochen habe . .. Mir ahnt, ich werde büssen müssen, dass ich meinem König keine Gefalligkeit verweigern konnte. Mein böser Stern! Meine Treue ohne Grenzen ist schuld. Ich wollte nützlich sein. Zwei Tage, ehe Los Velez starb, sagte er zu mir: ,Lieber ins Exil! Lieber nach Peru! Sie unterdrücken dich, auch wenn sie die Gunst des Königs nicht haben; haben sie aber seine Gunst, nehmen sie dir Ehre und Leben!' Für den König gab ich meine Freunde hin; o Escovedo, o Don Juan! Worauf baue ich? Diese Affare macht mir Sorgen, die einen Stein zerbrachen. Ziehen Sie mir das Sünderhemd an, Sire! Ich werde für alles zahlen müssen. Im unvermuteten Moment erdolchen mich meine Feinde. Ich bin vogelfrei. Oder sie fassen Ew. Majestat bei Ihrer sanftesten, süssesten Schwache, bei Ihrer Gefalligkeit, und kommen zum Ziel. Sire, entlassen Sie mich aus Ihren Diensten und allen meinen Amtern. Ich gebe meine Demission." Philipp fasste mild die Hand seines Lieblings, seines Mitschuldigen. „Ich sehe, du bist heute nicht in bester Laune. Glaube nicht, was du gesagt hast. Es ist wahr, Vasquez schrieb mir, dass alle Welt dich verdachtigt, dass du dich mit Wachtern umgibst, dass du die Tat für sin Weib begingst, dass die öffentliche Meinung gefahrlich grollt, was zu den schlimmsten Folgen führen könne. Esist dieSprache eines eifrigen Ministers. Du siehst, ich verrate dir deine Feinde. Andere schwanken, ich nicht. Studiertest du mich besser, hattest du es langst erkannt, dass ich nicht willkürlich bin. Bleibe fest, Antonio; sei ein Mann! Kein Feind schadet uns so, wie wir uns schaden können." Perez kannte seinen König und misstraute ihm. „Machen Sie mir den Prozess, Sire! Die haben keinen Beweis zwischen den Fingern. Pure Rancune! Die ziehn sogar die Fürstin Eboli in den Streit. Was hat die Dame damit zu tun? Aber ihr Gatte genoss die königliche Gunst; ist das nicht genug, seine Wit we zu schmahn? Ja! Machen wir den Prozess (unter der Bedingung, dass der Fürstin Name draussen bleibt)! Ich schwöre, Sire, Ihr Geheimnis, Ihren Namen nie im Prozess zu nennen! Stehn aber meine Feinde ohne Beweis da, dann klage ich die Klager wegen Verleumdung an!" „Es macht mir zuviel Larm", erklarte Philipp. „Gehn Sie zum Prasidenten Pazos, eröffnen Sie ihm unsere Motive, zeigen Sie ihm unsere Akten, er rate dem Sohn Escovedos und unserm Vasquez, auf die Verleumdungen, auf Rache und Feindschaft zu verzichten." Perez ging, Pazos erklarte: „Senor Antonio, Sie sind unschuldig. Sie handelten auf des Königs Befehl." Pazos rief den Peter Escovedo, erklarte ihm: „Der König hat mir Ihre Memoranden übergeben. Da sind sie. Se. Majestat befiehlt mir, Ihnen zu sagen, dass man vollkommene Gerechtigkeit üben wird, ohne Ansehn der Person, des Geschlechts, des Orts, des Standes. Aber die Beweise! Sie klagen die erste Dame am Hof, des Königs machtigsten Minister an. Haben Sie genügende Beweise? Wenn nicht, dreht sich die Klage gegen Sie. Ehe Sie mir antworten, sage ich Ihnen vertraulich und nehme es auf meinen Amtseid, die Prinzessin Eboli und Antonio Perez sind so unschuldig wie ich." „Senor, da es so ist", erwiderte der arme, gescheite Peter, „gebe ich Ihnen mein Wort für mich und meine Mutter, wir werden wegen dieses Mordes nicht vom einen noch von der andern reden." Pazos bat den Minister Vasquez zu sich und sagte ihm: „Weder Ihr Amt noch eine Freundespflicht heisst Sie die Mörder Escovedos verfolgen. Lassen Sie's! Ausserdem liegt alles ganz anders, als Sie vermuten!" Mateo Vasquez ging und fand einen Vetter Escovedos, der den König um Gerechtigkeit bedrangte. Da schrieb Anna an den König: ,Sire! Mateo Vasquez und seine Freunde sagen, Perez habe den Escovedo meinetwegen ermorden lassen. Ich rede nicht von der Unsinnigkeit dieser Verleumder, sondern von ihrer Frechheit. Sire, als Monarch und Ritter, schützen Sie die beleidigte Ehre einer Dame! Bestraten Sie diesen maurischen Hund, diesen Mateo Vasquez!' Philipp schickte seinen Beichtvater Diego de Chaves zu ihr. „Haben Sie Beweise", fragte Chaves, „für solche angeblichen Verleumdungen? Gab Vasquez sie schriftlich?" Anna nannte als Zeugen den Grossinquisitor Quiroga und des Königs Prediger Castillo. Die bestatigten. Das war der offene Kabinettskrieg, wie zu Zeiten Ebolis und Albas. Aber der Streitpunkt missfiel dem König für dieses Mal. Perez, der gerade im Escorial arbeitete, schickte seinen Sekretar zu Vasquez um ein Schriftstück, das der König einsehn wollte. Vasquez gab es dem Beamten und fügte ein Pasquill aus eigener Hand bei, voller Denunziationen gegen Perez. Perez fand das Pasquill, las es, trug es zu Philipp und bat um Genugtuung oder um die Erlaubnis, sie zu nehmen. Philipp las das Pasquill mehrmals, mit grosser Neugier, er meinte, nur müsse man abwarten, bis Vasquez seine verschiedenen Geschafte abwickle, die in Verwirrung blieben, wenn man ihn sogleich verfolge. Als Perez ihn verliess, schrieb ihm Philipp ins andere Zimmer einen Zettel. ,Der Mut fehlt mir, einen sotüc htigen König Philipp der Zweite 32 Minister wie Vasquez kurz vor dem Feldzug mit Portugal zu entlassen.' Philipp schickte seinen Beichtvater Chaves zu Anna und riet ihr und Perez, sich mit Vasquez zu versöhnen. An Perez schrieb Philipp am 4. Mai: ,Solang ich lebe, haben Sie nichts zu fürchten. Und wenn die ganze Welt gegen Sie aufsteht, ich bleibe Ihnen gut und werde immer für Sie da sein. Ihr Herz darf ruhig sein.' Dem Prasidenten Pazos gab der König den Befehl, alle Denunziationen und alles seit zwei Monaten gegen Perez gesammelte Material zu verbrennen. Perez ging ins Amt zu Vasquez. Da sass der alte Schulfreund, seine Haare ergrauten schon, der Rücken krümmte sich, die Finger waren befleckt von Tinte. Vasquez hatte die schweren, langsamen Blicke seines Königs, die geheimnisvolle Starre, den pedantischen Zug; das ahmten die kleinen Geister dem Philipp trefflich nach. Perez hatte die windigen Künste von je verschmaht, er duftete nach Frische, strahlte von Offenheit, leuchtete vor Verliebtheit, seine Stimme tönte wie der Jugend Klang. Antonio schien ein Jüngling, Vasquez ein Greis, sie waren gleichaltrig, Schulfreunde. Lachelnd trat Perez in die Stube des Ehrgeizigen, des argen Feinds, des Wühlers. „Erinnerst du dich", fragte Perez den Vasquez," wie wir alle als junge Schreiber des Königs zu Brüssel sassen und die Treppen heruntersprangen, um den Sieger von Gravelingen, den armen Egmont zu begrüssen?" Mateo hob den schweren Bliek. Er war sitzengeblieben, hatte den Akt nicht weggeschoben, die Feder nicht fortgelegt. „Damals", sagte er mit der angenommenen, zu leisen Stimme, mit dem ganz rein gesprochenen Kastilisch, das Philipp so sehr liebte und so sorgsam feilte, in Wort und Schrift, mit Harte sagte Vasquez, Albas einstiger Günstling, der Waisenknabe: „Damals lebte Ihr Freund Escovedo, Senor." „Ganz recht!" antwortete Perez und setzte sich lassig auf den Tisch des Vasquez, mitten auf die Papiere, und spielte mit dem Griff seines Degens. „Ich komme nicht um Versöhnung. Mit Schleichern bin ich nicht gut Freund." „Nur mit Totschlagern ?" fragte leise Vasquez und bückte sich und tat, als fahre er fort, zu lesen und zu schreiben. Perez steilte sich neben Vasquez und sah ihm über die Schulter ins Papier. Vasquez deckte es mit seinem Armel und hob den Bliek nicht. „Fleissig, Schreiber! Fleissig, Pasquillant! Du belastigst den König zu oft mit der Affare. Sie übersteigt deine Kompetenz. Das muss ich dir sagen. Armer Bursche! Noch nicht gewarnt? Wer ist dein Schützer? Santoyo? Der Ignorant? Der Kammerdiener?" Vasquez duckte sich. Er schwieg. Perez ging fort. Er liess die Türe offen. Vasquez stand auf, schloss die Türe, setzte sich auf seinen Stuhl, nahm seinen Akt, lachelte. Anna sagte zum Beichtvater Diego de Chaves. „Hochwürden, Sie sind ein frommer Mann. Heisst Gott uns dem Pöbel die Hand reichen? Mateo ist ein arabischer Hund, und wenn der König ihn so hoch hebt, dass man ihn nicht mehr Hund heissen kann, habe ich noch hasslichere Wörtchen für ihn." Der Beichtvater sagte zu Philipp, die Prinzessin und Perez bemühten sich, die Granden für eine neue, machtige Partei zu gewinnen, und das gabe neue Unordnung im Staat. Mateo Vasquez ging zum König. Er legte ein paar Briefe auf den Tisch des Königs. Philipp warf einen Bliek darauf und erkannte die Handschrift der Eboli. „Es sind sechs Briefe", sagte Vasquez. „An Sie gerichtet?" fragte Philipp. Aus seinem Bliek sprach finstere Grosse. Vasquez gab dem König die gleichen majestatischen Blicke zurück, er hatte sie nach langen, mühseligen Studiën erlernt, sie waren ihm zur Natur geworden. „Es sind sechs Liebesbriefe der Prinzessin Eboli an Perez", sagte Mateo mit der leisen Stimme. „Lauter!" schrie Philipp. Da zeigte es sich, dass Mateo Vasquez von Natur eine recht gesunde, kraftige Stimme besass. Er schrie: „Sechs Liebesbriefe der Eboli an Perez." Leiser fügte er hinzu: „Ihr Inhalt verletzt jedes Schamgefühl. Die gemeinen Leute in der Puteria reden nicht so nackt, so unverhüllt." „Sie müssen es wissen", versetzte Philipp, „Sie kommen aus jener Stadtgegend." „Ich weiss", erklarte Vasquez, „dass ich eine Waise bin." Er sagte es mit Wehmut und einem Unterton von Stolz. „Nehmen Sie die Briefe fort", befahl Philipp. „Mir genügt es, wenn ich weiss, dass sie mich durch ihre Taten beleidigt; ich muss nicht sehn, wie sie mich mit Worten trifft. Nimm weg!" Mateo nahm die Briefe und legte sie auf die andere Seite des Tisches. Philipp sah es wohl und schien es nicht zu merken. Sein Schmerz war echt und stark, seine Neugierde auch. „Genug", befahl Philipp. „Ich habe nach Rom geschrieben, an Granvella. Wenn er ankommt, wollen wir weiter sehn. Wer von euch allen kann mir den Perez ersetzen?" „Freilich", sagte Vasquez, „wer nimmt denn so viel ein?" „Was heisst das?" fragte Philipp. „Das heisst, dass Perez bestechlich ist. Das weiss jeder in Europa, nur König Philipp nicht. Wovon zahlt der Perez seine Palaste, seine Landhauser, seine Gemalde, die grossen Gastereien, die Jagden und Landpartien, die Kutschenfahrten, die arabischen Gaule, die wunderschönen Mohrensklavinnen, die riesigen Spielschulden, die verschwenderischen Geschenke an die Eboli, das goldene Bett, das er ihr schenkte, wer zahlt es, wenn nicht die offene Hand des Herrn Ministers es empfinge. Man kennt seinen Preis an allen Höfen Europas. Der Nuntius beklagte sich kürzlich vor dem venezianischen Gesandten. ,Ein Gesprach mit Perez', sagte er, ,kostet hundert Dukaten. „Sagte der Nuntius?" fragte Philipp und begann zu lachen, so lustig, als freute er sich über die kleinen Gewohnheiten seines Ministers Perez. Bestürzt verliess ihn Vasquez. Am andern Tag gab der Kammerdiener Santoyo dem König, im Auftrag des Vasquez, Abschriften von Zeugenaussagen über jene Szene am Mittag, da Escovedo den Perez und die Eboli im Bett traf. Der Page von Perez, der den Escovedo hatte aufhalten wollen, und ein Vetter Escovedos, dem er den Vorfall berichtet hatte, bezeugten übereinstimmend vor dem Prasidenten Pazos. „Ich habe verstanden", sagte Philipp zum Kammerdiener und gab ihm das Protokoll zurück. Philipp beichtete und nahm die Sakramente. Nachtelang beriet er sich mit seinem Beichtvater. „Wir sind beide kompromittiert", sagte er stöhnend. „Wir wurden betrogen. Ich liess den Escovedo töten, aus Staatsrason. Perez liess ihn auf Annas Wunsch morden. Der Skandal muss aufhören. Habe ich einen Unschuldigen getötet? Belog mich Perez auch darin? Tat ich meinem Bruder Juan Unrecht? Verblendete mich ein Missgefühl ? Was für ein Unheil mir diese eine Tat schuf! Warum gerade diese? Ich habe so viele töten lassen. Warum steht nur Escovedos Schatten gegen mich auf? Es waren bessere, die ich verdarb, und niemand fragt nach ihnen. Aber Escovedo! Escovedo! Escovedo! Da ist die Familie, da schreien Vettern Rache, da empören sich Minister, da revoltiert die Strasse, da tadelt mich Madrid, da wird Spanien unruhig, da halt Europa sich auf. Wer war Escovedo ? Wer kannte ihn ? Ich hob ihn auf, liess meine Gnade um ihn scheinen, zeichnete ihn und tat ihn ab. Was weiter? Wozu der breite Larm? Tut Gott anders? Escovedo musste geopfert werden. Brachte ich keine Opfer ? Meinen Segen nehmen sie hin wie Regen und Sonne. Und empören sich wegen einiger Tropfen Blut, die ich ausgoss? Wieviele Trunkenbolde vergiessen Blut in Kneipen und auf der Strasse, und man hebt es nicht auf und macht kein Geschrei. Und Escovedo, dieser Tropf, soll zahlen? So wollen es die Menschen. Alles dulden sie, nur die Grosse nicht." „War Escovedo ohne Fehl", erklarte der Beichtvater, „so komme sein Blut über Perez und die Eboli. So sind sie die Mörder. Und wir sind unschuldig." „Unschuldig?" fragte Philipp. „Ganz unschuldig?" Als Granvella einen Eilkurier zum König schickte und seine Ankunft für den Abend meldete, gab Philipp den Befehl, Antonio und Anna zu verhaften. Um zehn Uhr abends verliess ihn der Antonio, um elf Uhr stand Philipp unterm Portal der Marienkirche und sah, wie sie Anna verhafteten. Bis fünf Uhr morgens ging er auf und ab im Kabinett. Zuletzt tröstete er sich. Er strafte nicht aus Eifersucht, sagte er sich, sondern um der Ehre seines toten Freundes Ruy Gomez willen verhaftete er die Witwe. Philipp beklagte sich: Das war mein Freund Antonio! Sobetrogmichmeine Freundin Anna! Philipp ward schwermütig. Seufzend ging er zu Bett. Vor dem Fenster jubilierten die Vögel, wie toll vor Lust am neuen Tag. Kann er mir Gutes bringen?, fragte Philipp und schlief ein. DIE BEIDEN ANNEN Aus dem Turm von Pintos schrieb Anna an Philipp: ,Man kann mir meine Kinder nicht nehmen. Ich bin eine Mutter. Man kann seinem König nicht gehorchen, wenn er gegen seine Gesetze handelt, und gegen Gottes Gebote, und gegen die Menschenrechte.' Ihr Schwiegersohn Sidonia kam mit seinem Weibe, der zehnjahrigen Tochter Annas, und Annas beiden Söhnen, dem Herzog von Pastrana und dem Herzog von Villafranca, die beide auch des Königs Söhne waren, seine halb anerkannten Bastarde, die mit den Infanten unterrichtet wurden, in die Galerie, die Philipp passierte, wenn er vom Kabinett zum Mahle ging, und wo ihm jeder Bittschriften reichen durfte, die er freundlich entgegennahm. Da kniete der Herzog Sidonia; und die drei Kinder Annas, darunter Philipps zwei Bastarde mit den blonden Locken und der Habsburger Lippe, knieten vor dem König, und die Knaben riefen: „Gnade für unsere Mutter!" — „Gnade für Mama!" rief das zehnjahrige Töchterchen; mit sechs Jahren hatte sie den Sidonia geheiratet, der Sidonia war bald dreissig. Philipp blieb stehn. Er erklarte, er habe die Prinzessin mit gewisser Strenge behandeln müssen, sie schürte den Hass zwischen seinen Ministern. Sie störte den Staat. Doch wünsche niemand mehr ihre Ruhe und Freiheit als er! „Wenn meine Schwiegermutter gefehlt hat", versetzte Sidonia, „so strafen Sie mich allein für alle Sünden dieser Dame!" „Sie hat zu viele", entgegnete der König trocken und strich zartlich seinem Sohn Pastrana übers blonde Haar und sagte tröstend: „Baut auf die Zeit, Kinder! Sie heilt viele Wunden." Mit dieser sehr richtigen Sentenz ging der König speisen. Die Eboli verweigerte die Speisen, die man ihr durchs Fenster in den Turm von Pintos trug. Vielleicht hofftesie, ihren königlichen Freund zu rühren. Sie hoffte bis zum Winter. Da fror sie und hustete wie ein Hund. Der Turm war nicht zu heizen. Endlich erreichte Sidonia, dass man sie ins Fort von San Toriaz transportierte. Da gab es einen Ofen. Ein Jahr lang sass sie in der Zelle. In den ersten Januartagen fiel sie in schwere Krankheit. Da erreichten es die beiden Bastarde durch viele Tranen und Kniefalle vor der österreicherin, der Königin Anna, dass sie ihren Mann um Gnade für die Nebenbuhlerin, die gedemütigte und geschlagene Anna Eboli bat. Philipp, vor der Abreise nach Badajoz, zum Krieg um die Erbfolge von Portugal, erlaubte, dass Anna Eboli auf ihrem Schloss Pastrana gefangen sass. Sie durfte keinen Besuch empfangen, ihre Güter nicht verwalten, ihre Söhne nicht sehn. Ihr Leben war traurig. Ihr Sohn Pastrana ward das Jahr darauf so zornig über seine Mutter und den Perez, dass der Knabe sie Hure, ihn Mörder schalt und schwor, er reite nach Pastrana und töte die Mutter, die ihm des Königs Gunst verdarb. „Muss Philipp nicht zweifeln, ob ich sein Sohn bin?" schrie er. Den Freund behandelte Philipp zartlicher als die Freundin. Vierzehn Tage nach Antonios Verhaftung besuchte ihn der Beichtvater des Königs, Diego de Chaves, und sagte zum Abschied unter freundlichem Gelachter: „Ihre Krankheit wird nicht tödlich sein." Philipp erlaubte den Kindern Antonios, den Vater zu besuchen. Gregoria flog dem Vater um den Hals. „Vater!" rief sie und küsste ihn unersattlich, als ware sie seine Geliebte. „Was tust du?" fragte Perez. „Die Mutter trug mir tausend Küsse auf", antwortete das Madchen. Quiroga, der heitere Grossinquisitor, der Parteifreund Antonios, kam ins Haus und sagte zu Juana Coello: „Ihr Mann ward in seinem eigenen Interesse verhaftet. Sein Leben, seine Ehre sind nicht in Gefahr. Die Haft ist vorübergehend. Sie erfolgte nur wegen seines Streits mit Vasquez." Juana Coello fragte: „Ist er also unschuldig? Warum verhaftet man ihn ? Hat man von Gott Gewalt, Unschuldige zu verhaften? Kommt es zum Prozess? Wann wird er frei? Lasst man ihn in sein Haus? Was hat er getan? Ist der Minister Vasquez so machtig, ist er so empfindlich? Kommt jeder, der anders denkt als Vasquez, in Haft?" „Tochter", sagte der fromme Grossinquisitor. „Muiier taceat in ecclesia." „Das heisst ihr Kirche?" fragte Juana Coello. „Hasst der König meinen Mann? Soll ich vor ihm knien? Soll ich meine Kinder mitnehmen? Wann lasst man mich zu Antonio?" „Morgen", sagte der Grossinquisitor. „Heute. Wann Sie wollen." „Ich darf zu ihm?" „Sogleich. Aus Gründen der Schicklichkeit wird des Königs Beichtvater Sie begleiten." „Wo ist er?" „Er wartet vor dem Haus." „Darf ich ihn rufen lassen?" „Ich gehe, und er kommt." Der Beichtvater liess sich gemachlich nieder, erklarte: „Morgen gehn wir zu Senor Antonio." „Ich danke Ihnen, Hochwürden." Diego de Chaves sah wie ein Asket aus. Er war es nicht. Er war gesprachig, höflich, gewandt, trotz seinen achtzig Jahren ein Kavalier vor Damen. Er fand die junge Frau recht hübsch. Er plauderte vom Hof, vom Krieg. „Ihr Mann", endete er, „ward zu seinem Schutz verhaftet." „Zum Schutz Haft?" fragte Juana Coello. „Man sollte schweigen", erklarte der Beichtvater und erhob sich. „Diskretion vor allem! Schweigen, und die Gnade des Königs abwarten. Diese Prüfung, teure Tochter, wahrt nur kurze Zeit." An der Türe fragte der Beichtvater: „Wo bewahrt Senor Antonio die Briefe des Königs?" Juana Coello erwiderte: „Die Polizei hat dreimal unser ganzes Haus durchsucht und jedes geschriebene Wort beschlagnahmt. Im Haus ist nichts mehr. Sie nahmen sogar das Tagebuch meiner Tochter Gregoria." „Ich weiss, ich weiss. Doch fehlen da noch gewisse Zettel in der Handschrift des Königs, Sie wissen, Tochter." „Nein. Ich weiss nichts." „Also auf morgen", sagte freundlich lachelnd der Priester mit der asketischen Miene. „Gott segne dich, meine Tochter." Er reichte der Dona Juana Coello die Hand zum Kuss. Die Coello übersah sie. „Haben Sie die Papiere?" fragte Philipp den Beichtvater ungeduldig. „Wird Perez nicht reden? Über den Mord an Escovedo, über hundert Geheimnisse ..." „Er wird nicht reden", erklarte der Beichtvater. „Wir werden die Papiere erhalten." Nach vier Monaten Haft im Hause des Hofalkalden erkrankte Perez, vor unbefriedigter Rache, nicht vor körperlichen Leiden. Philipp lag mit geschwollenem Hals im Bett zu Madrid, seine Arzte setzten ihm Blutegel und liessen ihm zur Ader, die Schwache machte ihn weichmütig, er erbarmte sich seines Lieblings, er litt unter der Pedanterie des Sekretars Vasquez, unter der Überlegenheit seines Ministers Granvella, und erlaubte dem Perez, in sein Haus zu gehn und dort als Gefangener zu bleiben. Da ward Antonio gesund. Die Wachter standen vor seinem Haus, vor seinen Zimmern, in seinem Garten, Antonio ward gut Freund mit ihnen. Er durfte keinen Besuch empfangen, mit keinem Menschen reden. Die Wachter lebten wie Söhne des Hauses. Bald Hessen sie sein Weib und seine Kinder zum Gefangenen. Sechs Tage, nachdem Perez das Haus des Alkalden verlassen hatte, kam Don Manuel, der Kapitan der königlichen Leibwachter, und forderte das formelle Versprechen, auf jede Feindschaft gegen Mateo Vasquez, seine Verwandten und Freunde, und auf jede Rache an ihnen zu verzichten. Perez versprach es. Nun war der vorgegebene Grund der Haft dahin. Dennoch blieb Perez acht Monate in strenger Haft. Danach wurde die Bewachung aufgehoben. Perez erhielt die Erlaubnis, spazieren zu gehn, er durfte zur Messe, er durfte Besuche empfangen, doch keine machen. Schüchtern kam mancher alte Freund. Hier und da schickte der König Akten, die Perez eingeleitet hatte, in sein Haus, dass er sie erledige oder kommentiere, allmahlich erschienen seine alten Schreiber wieder, es kam der ganze Hof, Minister und fremde Gesandte kamen, man tanzte, spielte, und Perez hoffte. Zu Badajoz sass Philipp mit seinem Weib und seinem Hof und schickte Gerste und Fleisch ins Lager Albas, und Spione nach Lissabon und Oporto, und fühlte den Mangel an Geld, die Doppellast der verworrenen Finanzen und der riesigen Unternehmungen. Er vergass die rebellischen Niederlande samt ihrem Generalstatthalter, seinem Neffen Farnese. Philipp vergass das unruhige Italien. Er vergass die Piraten, früher waren es türkische Seerauber, jetzt hollandische und englische, ein gewisser Franz Drake war der argste, und immer behaupteten die Seerauber, es gehe ihnen nicht um Beute, nur um die Rache an den Andersglaubigen, Seerauberei schien eine religiöse Übung zu sein. Und Philipp vergass seine freche Feindin Elisabeth von England und die Ketzer in ganz Europa und schickte den englischen und französischen Katholiken nur noch wenig Geld, und zahlte nur noch die Rechnungen für den Escorial pünktlich, und schrieb dem General Alba, der mit dem Heer in Portugal einmarschierte, und dem Admiral Santa Cruz, der mit der Flotte nach Lissabon fuhr: ,Der Krieg muss den Krieg bezahlen.' Und Philipp war den ganzen Tag geschaftig in seinem Haus zu Badajoz und lag des Nachts bei seinem Weib, der Österreicherin, und liebte sie und flüsterte in Entzückung: „Anna", und schrie in Schmerzen: „Anna", und die österreicherin sah ihn mit grossen, kalten Blieken an; sie war sehr strenge, sehr fromm geworden; sie schien ihm jetzt erst die Buhlschaft mit der andern Anna nachzutragen. Wenn Philipp bei ihr lag, nachts, und sich naher an sie drangte, als wollte er sein Weib verschlingen, streichelte sie seinen blanken Schadel mit einer mütterlichen Gebarde und kammte mit den Fingern seinen weissen Bart und fragte mit einer hohen, kindlichen Stimme: „Liebst du sie noch?" „Ja!" erwiderte wie im Traum Philipp und stöhnte. „Warum liessest du sie nicht im Turm zu Pintos?" „Du batest doch für sie?" fragte Philipp. „Das war meine Christenpflicht", sagte die österreicherin fast singend, so hoch stieg ihre Stimme. „Bin ich denn nicht ein Christ?" „Ich weiss nicht", erklarte zweifelnd Anna, und fragte gleich darauf: „Liebst du mich?" Sie war schon wieder in Hoffnung. Philipp umarmte sie schweigend. „Warum tötest du den Antonio Perez nicht?" fragte ihn Anna neugierig. Ihre Augen funkelten im Finstern. Bei Tage redete sie niemals von der andern Anna. Nur in Philipps Armen schien es ihr einzufallen, in Philipps Armen sprach sie nur von der andern. „Warum tötest du ihn nicht?" fragte Anna. „Warum tötest du sie nicht beide? Bist du nicht der König?" Philipp antwortete nicht. „Weisst du", begann sie aufs neue, „dass der Antonio Perez Briefe wechselt mit seiner Anna? Das ist ein Hin und Her, Kuriere steigen ab vom Pferd und springen auf, ja zuweilen reit et Perez selber, als Kurier verkleidet, nach Pastrana, ein beschwingter .Postillon d'Amour', und übernachtet im Bette seiner Anna, als ware ihr Schlafzimmer ein Posthaus. Man sagt, die beiden liebten sich wie zwei Verdammte. So eine Nacht muss schön sein. Um so geliebt zu werden wie diese Anna, möchte manche ein paar Widrigkeiten tragen. Und du, Philipp? Hast du je so geliebt?" Philipp schwieg. Er schrieb den andern Morgen an den Prasidenten Pazos: ,Ich höre, der bewusste Mann wechselt Briefe mit dem bewussten Weib. Das ist unschicklich für ihn und sie. Suchen Sie im Geheimen und durch Verstellung die Wahrheit, und ich werde Massnahmen treffen." In seinem Hause zu Badajoz sass Philipp. Er rechnete. Er schrieb. Er schickte die eiligen Kuriere nach Portugal zum Alba. „Eilt! Eilt!" befahl er seinen Schreibern, den Sekretaren, den Kurieren, dem Admiral Santa Cruz, dem Alba. Philipp sass und führte eiliger die Feder und erklarte seiner Frau des Nachts im Bett: „Ich bin ein Eroberer, wie mein Vater Karl. Portugal hat Besitz in jedem Teil der Welt. Seine Schiffe fahren auf allen Meeren. Es ist so reich, dass es Spaniens Schulden wird zahlen können. So lange war ich friedlich. Nun erobere ich ein grosses Reich für meinen Erben." Es war zur Zeit Don Diego, genannt El Felix. Die Erben starben so geschwind. Sie folgten einander wie Eilkuriere hastig. Anna gebar die Söhne, und der Tod nahm sie. Anna fragte: „Wann wird man uns kronen? Und wer wird Vizekönig? Denkst du auch an meinen Bruder Albert? Nun ist er Kardinal, und arm. Wie lange wird er warten müssen, bis er Erzbischof von Toledo wird? Der Greis Quiroga wird taglich munterer und prahlt, die Erzbischöfe von Toledo würden samtlich alt, und schwört, auch er werde noch lange leben, und er will nicht sterben. Und mein Bruder Albert sitzt da und wartet. Du hast kein Herz für uns österreicher. Hoffst du denn grössern Dank von deinen Spaniern?" „Die Spanier lieben mich", erklarte Philipp. Anna schwieg und lachelte. Philipp sah ihr ironisches Lacheln im Finstern. Sie ist töricht, dachte Philipp. Dummköpfe haben kein Recht auf Ironie. „Die Kastilier aber", sagte Philipp, „aber die Kastilier lieben mich." Anna lachelte. Da ward Philipp zornig und erklarte: „Aber die Frommen in Kastilien, die Frommen lieben mich." Schlafrig und gahnend antwortete die österreicherin: „Die Frommen sind zu sehr beschaftigt. Sie lieben nur ihren Gott." „Du lasterst, Anna", sagte warnend Philipp. Sein Weib schlief schon. In seinem Haus zu Badajoz sass Philipp und schrieb und ging ans Fenster und blickte den Wolken nach, sie trieben nach Portugal. Er schickte seine Wünsche aus, die Winde waren seine Kuriere. Ich bin ein Eroberer, sagte König Philipp laut zu sich. Und er war glücklich. Und vergass die Prophezeiungen seiner Astrologen, die in den Sternen lange lasen und finster blickend verkündeten, dieses Jahr 1580 wird ein schwarzes Jahr sein. Der Narr des Königs, ein neuer Narr aus der Mancha, lang und dürr und kahlköpfig und bejahrt und aufgeputzt mit einem weissen Bart und Seide, Purpur, Spitzen, Gold, ein Ochsenhirt aus der Mancha, den Perez entdeckt hatte, und den Philipp, in Erinnerung an seinen alten Narren, Onkel Martin hiess, der neue Onkel Martin also fragte den König Philipp: „Warum hangst du die Astrologen nicht auf? Hange sie an den Halbmond!" „Ich bin ein Christ", erwiderte Philipp. „So schick' sie dem Judenkönig Anton!" schlug der Narr vor, „an seiner Seite werden sie recht behalten." Philipp hatte nicht übel Lust, dem Rat des Narren zu folgen. „Sire", sagte der Narr, „du bist ein komischer Eroberer." „Warum?" fragte Philipp. „Ist nicht Alba dein General?" „Ja", sagte Philipp. „Siegt er nicht?" „Ja", erwiderte der König. „Und doch schleppt er am Fuss die Ketten nach." Philipp kannte das Wort schon. Alba hatte es ausgesprochen. ,Der König schickt mich Portugal erobern', sagte er, „indes ich meine Ketten am Fuss nachschleife.' „Was bekommst du vom Herzog Alba?" fragte Philipp seinen Narren. „Die Pest", erwiderte der Narr, „und den Keuchhusten." Viele Seuchen trug das Heer Albas von Provinz zu Provinz. Der alte Alba gewann neue Siege. Er führte die alten Gesellen mit. Wie einst in Flandern verdiente sein einaugiger Sekretar Albornoz an Lieferungen, sein alter Blutrichter del Rio an Hinrichtungen, sein alter General Sancho d'Avila an Plünderungen. Zu Alcantara schlug Alba den König Antonio. Ihn hatten Rinderhirten und Bauern, etwa dreissigtausend, im Tal zu Santarem zum König gewahlt, den Prior Antonio de Krato, den Bastard des Infanten Luis, den Sohn der Jüdin. Der Schuster Barracho rief ihn zum König von Portugal aus; der Erzbischof von Lissabon empfing ihn, da König Anton in Lissabon einritt; das Volk jubelte ihm zu; die Juden liehen ihm Geld; die Mönche griffen zu den Waffen, in der Linken schwangen sie das Kreuz, in der Rechten das Schwert und ritten durch die Strassen von Lissabon und schrien: „Portugiesen! Zu den Waffen!" Der Schuster, der Schneider, Handwerker und Bauer hatten alle sich gerühmt, allein die Welt zu besiegen; sie kampften nun lieber den edlern Kampf mit Worten. Mönche, Neger und arme Leute in zerrissenen Hemden verteidigten unter einem Juden das Vaterland; sie kampften, um Portugal vor den Spaniern zu retten. König Philipp hatte im Vorhinein alle zu Rebellen erklart. .Hangt die Gefangenen', schrieb aus Badajoz der königliche Proviantmeister und Spionageleiter. An der Brücke zu Alcantara schlug Alba das Heer der Portugiesen. König Anton empfing eine Wunde auf der Stirn. Die Bürger von Lissabon liefen keuchend vor Eile mit den Schlüsseln der Stadt aufs Feld, um sie knieend dem gnadigen Sieger Alba zu überreichen. Mit Blut im Gesicht schrie auf dem Platz in Lissabon König Anton: „Portugiesen! Ihr habt mich geschickt und ihr verratet mich!", und sprang in eine Barke. Alba zog finster in die eroberte Stadt ein. Wieder sah er lauter Rebellen und hatte Blut vor den Augen; die Gefangenen hing er auf; die Stricke, klagte er, mangelten ihm bald. Dem König schrieb er: ,Fast ohne Blut und Raub zogen wir in unsere Stadt Lissabon ein. Sire! Das Land ist gesaubert, die Strassen sind ruhig. Kommen Sie zur Krönung. Voll verschwiegenem Jubel wartet das neue Reich auf seinen legitimen König, Philipp den Eroberer.' Der grosse Eroberer Philipp lag krank zu Bett. Er hatte Portugal und den Keuchhusten gewonnen, der von Portugal auszog nach Spanien, bis Rom und Paris und viele fromme Christen in die Grube brachte. Im Escorial starben vier Mönche am Keuchhusten, darunter der treffliche Miniaturenmaler Fray Andreas de Leon. Die Astrologen des Königs triumphierten. Das Jahr war verdammt. Sah man nicht schon in der Tat vagabundierende Weiber und Huren in solchen Mengen durchs Land laufen, dass es ein Jammer war, sie zu sehn und zu horen? Man peitschte sie. Man brandmarkte sie. Jetzt kamen die Seuchen. Philipp fürchtete für seine Tage. Die Arzte wagten nicht, ihn zu purgieren. Die Konjunktion des Mondes war dagegen. Die Astrologen warnten. In der Nacht lag Philipp schlaflos. Noch war er nicht sechzig, und sollte sterben ? Sein Weib betete laut an seinem Bett. Düster brannte ein Öllampchen. König Philipp dachte an seine Kinder in Madrid, an den Erben Don Diego, genannt der Glückliche, an den jüngern Sohn Don Felipe, den schwachlichen, dem die Arzte ein kurzes Leben prophezeiten. Mit Wehmut dachte Philipp an seine Töchter, die jüngere war krummschultrig, die altere sein Liebling Klara Eugenia. Wie alt war sie schon, zwölf, oder vierzehn? Philipp dachte an seine geliebten Garten, an seinen unfertigen Palast, den Escorial, mit den Gemalden, Statuen, Reliquien, Sargen, wer würde ihn zu Ende baun? Er dachte an seine geliebten Manuskripte, an seine vielen Papiere. Würde ein Erbe sie zerstreun ? Sein Erbe war ein Kind, Don Diego war drei oder vier Jahre alt. Philipp ging ungern von dieser Welt. Sein Weib unterbrach ihre lauten Gebete und mahnte: „Du musst ein Testament machen, Philipp. Denke an deine Kinder. Denke an deine Reiche. Das Jahr ist verdammt." Philipp dachte an sein neues Reich Portugal. „Ich bin ein Eroberer", flüsterte er. Anna sah ihn mit strengen, bösen Blieken an. „Jetzt verlierst du den Verstand", sagte sie und lachelte, ihre gesunden Zahne blitzten so heiter, „jetzt stirbst du", sagte sie, „und das Reich ist in Unordnung, Spanien erschöpft, der Handel tot, das Volk vermindert sich, die ewigen Kriege, die ewigen Revolten, alle Minister in Hass und Streit, dein altester Sohn vier Jahre alt, und du machst kein Testament." Anna begann zu weinen, der Schmerz schüttelte sie. Philipp sah sie verwundert an. Was redete sie da? Gab es nicht schon zu viel Weiber auf den Thronen Europas? Elisabeth von England, Katharina von Frankreich, Maria von Schottland — und Anna von Spanien? Wollte die österreicherin das? „So mach' doch das Testament!" schrie schluchzend Anna. Da weinte der König. In neuerer Zeit kamen ihm die Tranen leicht. Das hatte er von seinem Vater. Auch Kaiser Karl der Fünfte weinte in höheren Jahren oft aus Mitleid mit sich. „So sehr liebst du mich?" fragte Philipp, und die Tranen flossen aus seinen schmerzenden Augen. „Und du", fragte Anna, „liebst du mich?" Am Morgen liess der König den Prasidenten der Orden rufen, Antonio de Padilla, und blieb mit ihm allein. Mit schwacher Hand schrieb er sein Testament und gab es ihm in Verwahrung. Gegen Mittag fiel er in Ohnmacht. Sie dauerte lange, die Arzte fürchteten, dass er nicht mehr erwache. „Purgiert ihn doch!" schrie die Königin Anna und weinte schrecklich und schrie: „Lasst ihn doch nicht sterben! Helft ihm doch! Helft ihm! Ich liebe ihn! Helft ihm!" Die Arztewagten es nicht; die Konjunktion des Mondes; die Astrologen .... „Helft ihm!" schrie Anna. Da kam Philipp wieder zu sich. Der jüngste der Arzte, namens Valles, wagte es, mit der Erlaubnis der Königin, und purgierte den König, trotz dem Mond und den Astrologen. Anna betete laut. Spater fiel Philipp in Schlaf. Anna ging zum Prasidenten der Orden, Antonio de Padilla, und forderte das Testament. Der Prasident weigerte sich. „So lassen Sie es mich lesen!" verlangte die Königin. Der Prasident erklarte, es sei versiegelt. „Sie kennen den Inhalt", rief Anna. „So sagen Sie mir, wen Philipp zum Regenten bestimmt hat. Hüten Sie sich, zu schweigen oder zu lügen. Der König schlaft. Wer weiss, ob er aufwacht? Ich bin die Mutter des Königs Diego." Der Prasident kniete nieder und bat um Gnade. Sein Amtsgeheimnis verbiete es, der König werde ihn fortjagen! „Und ich werde dich töten, Antonio de Padilla", rief Anna. „Gut. Sie brauchen kein Wort zu sagen. Nicken Sie.mit dem Kopf oder schütteln Sie ihn. Bin ich die Regentin?" Der Prasident verneinte, den Kopf schüttelnd. „Ist es wahr?" Der Prasident nickte. „Wer ist denn der Regent?" schrie Anna. „Viele", flüsterte der Prasident. „Mehrere Regenten." „Und ich bin nicht dabei?" Der Prasident senkte den Kopf, als ware er der Schuldige. Die Königin lief ins Zimmer des Königs und weckte den König Philipp der Zweite 33 Schlafenden und schrie, dass es die Wachen vor den Türen horten und die Pagen und die Arzte und der zitternde Prasident. „Verkaufst du mich und meine Kinder?" schrie sie. „Liebte ich dich darum und war dir treu? Stosse das Testament um! Stosse es um!" Niemand hörte ein Wort des Königs Philipp. Starb er vor Aufregung ? Die Arzte zitterten um des Königs Leben. „Man müsste Ihre Majestat warnen", flüsterte der eine zum andern. Schliesslich ward es still im Zimmer des Königs. Endlich kam die Königin weinend heraus und verschloss sich in ihre Gemacher. Sie gebar den siebenten Tag darauf ihr fünftes Kind, ein Töchterchen, und hiess es Marie, und erholte sich bald und stand schon die andere Woche auf. Auch Philipp war wieder gesund geworden und hatte die Astrologen fortgejagt und den Prasidenten Antonio de Padilla seines Amtes entsetzt. Der König sagte es dem Prasidenten ins Gesicht: Antonio de Padilla, du bist ein Verrater! Antonio de Padilla ging in sein Haus, legte sich in sein Bett und starb den Tag darauf. Den folgenden Tag starb die Königin Anna unter schrecklichen Krampfen. Die trommen Leute sagten, die Königin habe am Krankenbett des Königs zu Gott gebetet, eher möge sie sterben als der gute König Philipp, und Gott habe ihr Gebet erfüllt. Die trommen Leute lesen in den heiligen Büchern, und es steht alles darin geschrieben, und sie überlesen fast alles. „Man muss hoffen", sagte König Philipp zu Sidonia und begrub sein viertes Weib, „dass sie die himmlische Gnade geniessen wird; wir müssen uns alle vor Gottes Willen beugen." Philipp fuhr in seine Stadt Lissabon. Im Kloster von Thomar ward er zum König von Portugal gekrönt. Er trug einen Talar mit grossen Falten aus Brokat. Mit dem Szepter in seiner Rechten und der Krone auf dem Haupt sah er wie König David aus, rot, schön von Antlitz und ehrwürdig. Er zeigte sich selten dem Volk. Er liess hangen und brennen. Auf den Kopf des Königs Anton setzte er dreissigtausend Dukaten. Anton war in die Walder geflohn, einen Tag stand er bis an die Brust im Sumpf und hörte die Verfolger und floh von Hütte zu Hütte und ward nicht verraten, eine Frau schaffte ihm ein Schiff, das ihn nach Calais führte, die Frau kam an den Galgen, der König Anton ging mit Krone und Juwelen nach London, an den Hof Elisabeths. König Philipp sass in seinem Haus zu Lissabon und sehnte sich heim. Er schrieb lange Briefe an seine Töchter. Er schilderte die fremde Art zu baun, zu leben, eine Sangerin, die so dick war, dass sie kaum durch die Türe kam, und schoner als alle Vögel sang. Er schrieb, seine alte Köchin Coca, die ihn nach Portugal begleitet hatte, sei sehr streng zu ihm, und koche ihm seine Lieblingsspeisen nicht, und sei brummig und saufe. Er sehnte sich heim zu seinen Kindern. Die Kinder wurden weniger. Es starb Dona Maria, das jüngste Kind der Königin Anna. Es starb Don Diego, genannt der Glückliche. Von den fünf Kindern Annas lebte nur noch Felipe, der schwachliche. ,Nun habe ich nur noch drei Kinder', schrieb traurig der König an seine beiden Töchter, die Kinder seiner dritten Frau Elisabeth. ,Aber wie Gott will. Man muss alles annehmen von ihm, er hat alles gegeben.' Seine Schwester, die Kaiserin-Witwe Maria, die Mutter der Königin Anna besuchte ihn. Der König umarmte sie auf der Strasse zu Lissabon. Schwester und Bruder sprachen den ganzen Abend und fuhren am andern Tag hinauf nach Cintra, ins alte Königsschloss, und sahen über die Garten ins Gebirge und auf das Meer und hatten einander nichts mehr -zu sagen. Die Kaiserin fuhr nach Madrid. Zum Abschied versprach Philipp seiner Schwester, ihren Sohn Albert zum Vizekönig von Portugal zu machen. Albert hiess schon der Fromme, weil er nicht zu den Weibern ging. Es unterblieb aber aus Schwache. Philipp sass im Wagen neben der Kaiserin und begleitete sie eine Stunde weit. Sein eigener Wagen folgte. „Alba", erklarte Philipp, „will Vizekönig von Portugal werden. Er wird es nicht. Es ist kein Verlass auf fremde Leute." Die Kaiserin nickte. In der Ferne hatte sie ihren Bruder bewundert. Von der Nahe gefiel er ihr nicht. „Auf die Familie" sagte Maria, „ist immer Verlass." Bruder und Schwester dachten an Anna. Der Kaiserin fielen die Gerüchte vom schnellen Tod ihrer Tochter ein. Wie gewöhnlich sprach man von Gift. Die Kaiserin seufzte. Sie sagte und erschauerte leicht: „Es sterben viele um dich herum, Bruder." „Wir werden alt", antwortete Philipp und liess halten. Er fuhr zurück, vors Haus seines Feldherrn. Alba war krank, seit Wochen. Er sass in einem weichen Stuhl, zwischen Decken, als Philipp eintrat. Alba war zu schwach, um aufzustehn. Philipp setzte sich zu ihm. Das Zimmer lag zu ebener Erde und ging auf einen Rosengarten. Der schwere, süsse Duft erfüllte das Gemach. Im Garten sass eine ganz junge Frau mit blossen, vollen Brüsten und sang mit angenehmer Stimme. Philipp sah hin. „Wer ist sie?" fragte er. „Meine Amme", erwiderte Alba. Ein langsames Fieber hatte ihn erschöpft. Er vertrug keine andere Nahrung als Ammenmilch. Fünfmal am Tag saugte er mit dem zahnlosen Mund seine Nahrung von den Brüsten des Weibes. König Philipp wandte den Bliek nicht von den blanken Brüsten der jungen, singenden Frau. Es war ein warmer Dezembertag, die Sonne lachte. Der blaue Himmel lachte. Die roten und weissen Rosen lachten. Die rosigen Brüste des jungen Weibes lachten. Alba sass still und erschöpft in seinen Kissen. Nur die Stirne war noch wie immer, der alte, hohe Spiegel seiner Klugheit. Mund und Wangen, Hals und Augen des Greises verfielen schon. Philipp sah, dass ihn sein Feldherr verlassen würde. Granvella hatte dem König geschrieben: ,Der Alba ist ein grosser Mann; hatte er nur nie die Niederlande gesehn!' „Mein Sohn Friedrich ist tot", sagte Alba still. Philipp senkte die Augen. War der König schuld, dass Albas Sohn ein Wüstling war? Gab man ihm Schuld an allen Toten? „Die Menschen sterben", antwortete Philipp. Die beiden Manner sassen noch eine Stunde schweigend zusammen. Die Amme sang zwischen den Rosenbüschen. Ihre jungen, vollen Brüste hoben sich unterm Atem. Der König und Alba sahen es gern. Als die Nachricht vom Begrabnis Albas nach Madrid kam, schickte Perez den Pater Rengipho nach Lissabon und bat den König um Freiheit, um ein neues Amt. Da der Mönch nicht vorgelassen wurde, sandte Antonio Perez sein Weib nach Lissabon, obwohl sie im achten Monat war. „Jetzt ist die Stunde", erklarte Perez zitternd seiner Frau, „der Schlachter Alba, mein grosser Feind, ist tot, den Blutsaufer rettete die Milch der Amme nicht. Der König hat keine Leute mehr; schon hört man, dass Granvella an Gunst abnimmt. Dürfte ich nur hin! Ich bin gefangen! Juana, kniee vor dem König. Erinnere ihn an meine Dienste. Reise mit Gott." Da der König erfuhr, dass Dona Juana Coello sich Lissabon naherte, schickte er den Alkalden Tejada, damit er sie verhafte. Tejada tat es am Tor von Lissabon, in Gegenwart vieler Leute, und fasste sie an der Brust und stiess sie ins Gefangnis, verhörte sie strenge, schrieb ihre Aussagen auf und verliess sie, als sie plötzlich die Wehen bekam und vor Schreck eine Fehlgeburt hatte. Der Alkalde ritt zum Haus des Königs. Er legte das Protokoll vor ihn und erwartete Lohn. Philipp sass da und starrte ihn finster an. Der Alkalde begann zu zittern. Er stotterte: „Soll ich sie foltern lassen?" Der König tat seinen schweren Bliek nicht fort von ihm. Schweigend nahm er die Rolle mit dem Protokoll, warf sie unbesehn ins Feuer des Kamins und starrte den unseligen Alkalden so schreckensvoll unverwandt an, dass der aus des Königs Zimmer fast lief und sein Leben lang das Zittern behielt, sein Amt aufgab und in schweigendem Schrecken seine Tage verbrachte. Der König liess die Frau des Perez aus dem Gefangnis und gab ihr den Befehl, heimzukehren. Er schickte seinen Beichtvater Diego de Chaves zum Medina Sidonia, dem Schwiegersohn der Eboli, und liess Anna die Freiheit, seine Gnade und ihre frühere Stellung anbieten, falls sie ihr Wort gabe, für ihr ganzes ferneres Leben jede Beziehung zu Antonio Perez abzubrechen. Drei Wochen lag er nachts im Bett, in seinem Haus zu Lissabon, und traumte von Anna Mendoza und umarmte sie im wachen Traum und genoss sie und schmachtete nach ihr und flüsterte: „Ich liebe dich, Anna. Ich will dich haben." Dann kam ihr Brief. Sie schrieb dem Medina Sidonia: ,Der König tat mir Unrecht. Ich brauche dir, lieber Sohn, nicht zu sagen, dass ich nie das teure Andenken meines Gatten und die Ehre meines Hauses verletzt habe. Mit dem Verrat eines Freundes erkaufe ich nicht mein gutes Recht. Der mir Unrecht zufügte, der soll es bessern.' Philipp gab schweigend den Brief seinem Beichtvater zurück. „Die grossartigen Gesinnungen der Prinzessin werden nicht ewig dauern", versicherte der Beichtvater. „Wir sahn schon viele Strenge weich werden. Mag sie erst ein wenig versauern in ihrer Einöde zu Pastrana." Philipp entliess den Beichtvater. Er wollte keine versauerte Geliebte. Er kannte Anna und hoffte weniger von der Zeit. Philipp seufzte. Ihm schien, er habe kein Glück mehr bei Frauen. Und noch war er nicht sechzig! Damals verliess der König seine Stadt Lissabon. Der Eroberer kehrte heim. Er berief seinen Beichtvater in den Staatsrat und beriet sich mit Vasquez über den Prozess Perez. Der König beichtete, empfing die Kommunion, empfahl sich Gott, dass er ihn erleuchte, gab Auftrag, die Gefangenschaft der Eboli in Pastrana zu verscharfen. Er befahl dem Vasquez, die Amtstreue des Perez zu prüfen. Von der Anklage wegen der Ermordung Escovedos war nicht mehr die Rede. Die Richter steilten fest: Perez hatte Möbel wie ein König. Luis de Overa gestand, ihm viertausend Dukaten für eine Generalstelle gezahlt zu haben. Perez hatte Gehalter vom Doria und den italienischen Fürsten empfangen. Die Richter verurteilten Perez zu zwei Jahren Festungshaft, acht Jahren Exil und dreissigtausend Dukaten Geldstraf e. Drei Tage bevor das Urteil publik ward, kamen die Alkalden Garcia und Spinola ins Haus des Perez. Spinola ging ins Kabinett, um sich der Papiere Antonios zu bemachtigen. Garcia trat in ein grosses Zimmer, wo Perez und seine Frau sassen. Der Alkalde las ihm das Urteil vor und verhaftete ihn. Er kam auf die Festung von Turruegano. Gleichzeitig führten die Alkalden Frau und Kinder Antonios ins öffentliche Gefangnis, zwischen Diebe, Huren und Schuldner. Man drohte ihr, sie bleibe mit ihren Kindern bei Wasser und Brot, bis sie die versteckten Papiere ihres Gatten ausliefere, die Mordbefehle Philipps. Der Beichtvater des Königs und Graf Barajas, der Nachfolger des Prasidenten Pazos, baten und drohten. Juana Coello, gestützt von ihrer schweigenden Tochter Gregoria, stand umringt von ihren weinenden kleinen Kindern, zwei Söhnen und zwei Töchtern, und antwortete dem Alkalden mit ihrer gewöhnlichen milden Ruhe, sie wisse gar nichts und man habe schon alles gefunden. Der Beichtvater des Königs besuchte sie und brachte ihr einen Befehl ihres Gatten, geschrieben von seiner Hand, mit seinem Blut, sie solle die Papiere ausliefern, um mit den Kindern freizukommen und damit seine Haft gemildert würde. Zwei verschlossene und gesiegelte Koffer mit den Papieren wurden zum Beichtvater getragen, der, ohne sie zu öffnen, die Schlüssel sogleich zum König trug. Indes hatte Juana Coello es verstanden, durch treue, kluge Diener die wichtigsten Zettel des Königs und seines Beichtvaters beiseitezuschaffen. Als man Juana Coello freiliess, ihres Mannes Haft jedoch verscharfte, lief sie in die Klosterkapelle von San Domingo de Real, fasste den Fray Diego de Chaves am Zipfel der Kutte, eben da er auf den Altar stieg, um die Messe zu sagen, und wandte sich gegen Gott, der auf dem Altare gegenwartig war, und der immer hört, und schrie vor allen Frommen: „Gott, sei Du mein Zeuge, sei Du mein Richter, gegen den Beichtvater des Königs Fray Diego de Chaves, der mich durch lügnerische Versprechungen betrog!" Ihre Tochter Gregoria, fünfzehn Jahre alt, ging zum Richter Vasquez und stiess vor sich her ihre vier kleinen Geschwister, zwei Brüderchen, zwei Schwestern. Sie trat ganz nah zu seinem Tisch. „Sie betrügen uns unaufhörlich", sagte sie zu ihm, vor allen Schreibern im Amt. „Sie trinken unser Blut. Da bringe ich es Ihnen, all dieses Blut; da bin ich mit den andern Kindern, schlachten Sie uns ab, schlachte uns ab!" König Philipp gab den Befehl, nun den Prozess gegen Perez wegen der Ermordung Escovedos zu beginnen. Der König hatte keine Angst mehr vor den Enthüllungen seines früheren Ministers Perez. Er sagte zum Beichtvater: „Wir haben die Papiere wieder. Jetzt soll Perez beweisen, dass er nicht durch List und Betrug den Escovedo verdor ben hat." Der König war stolz und glücklich. Alles liess sich gut an. Der Escorial war nach zwanzig Jahren Mühen fertig. IM NAMEN DES VOLKES Oranien sagte zu seiner Frau und zu seinen Kindern, die um sein Bett in seinem Hause zu Antwerpen weinend standen: „Lebt wohl. Es ist nun aus mit mir!" Philipp hatte den Mörder gegen Wilhelm aufgerufen. Lange schon hatte der alte Freund Wilhelms, der witzige Granvella, dem König geraten, ihren Feind zu beseitigen. Die paar Dukaten für den Kopfpreis würden gut zinsen, und da Oranien eine Memme sei, werde die Furcht ihn verwirren, und er sterbe aus blosser Angst. Die Achterklarung ward im Sommer publiziert. Als öffentlichen Feind, als niedern Heuchler, als misstrauischen Rebellen bannte ihn König Philipp für immer aus allen seinen Reichen und verbot allen Untertanen, ihm Speise, Trank, Feuer oder sonstwas zu geben; Philipp erlaubte jedermann, ihn am Leben oder Eigentum zu kranken, den Feind des Menschengeschlechts. Und wenn sich ein Mutiger fande, den König von dieser Pest zu befreien, erhielte er unverzüglich nach der Tat fünfundzwanzigtausend goldene Dukaten. Hatte er sonst das abscheulichste Verbrechen begangen, ihm würde verziehen. Sollte er nicht schon adlig sein, er würde geadelt. Wilhelm antwortete der Acht durch seine .Apologie des Prinzen von Oranien'. Ich ware ein Rebell?, fragte er angesichts Europas. Philipps Ahnherr Albrecht Habsburg war ein Rebell gegen meinen Ahnherrn, den Kaiser Adolf von Nassau. Ist Philipp denn König in den Niederlanden? Hat nicht ein Volk das Recht aufzustehn, wenn ein Tyrann seine Rechte mit Füssen tritt, nicht einmal, sondern millionenmal ? Und wenn dieser Tyrann noch obendrein ein Lüstling, ein Blutschander, ein Ehebrecher, ein vielfacher Mörder ist? Hast du, Tyrann, nicht deine Weiber, deinen Sohn, deinen Bruder geschlachtet ? Bist du nicht der Mörder deiner treuen Diener Egmont, Montigny, Horn und vieler? Hast du nicht, Tyrann, deine Völker geschlachtet, die Morisken von Granada, die Niederlander, die Portugiesen ? Hast du nicht Krieg gegen deinen Papst geführt? Wollust und Mord, das ist dein Werk! Treubruch und Heuchelei, das ist dein Werk! Verrat und vergossenes Blut, das ist dein Werk! Und wie du, so dein Diener! Auf wessen Befehl hat Kardinal Granvella dem Kaiser Maximilian Gift gereicht? Ich weiss, was der Kaiser mir gesagt hat, und wie er seitdem alle Spanier fürchtete. Welche Frechheit, uns Misstrauen vorzuwerfen. Misstrauen ist das Hemd Granvellas, Misstrauen die Haut des Königs Philipp, es ist ihr Fleisch. Sie misstrauen Gott und den Menschen, sie misstrauen einander. O schnödes Misstraun von Mördern! Wir aber, die Niederlande, haben das gerechte Misstraun der Guten gegen die Bösen. Erinnerst du dich nicht, Tyrann, der Worte, die dein Namensvetter aus Mazedonien, ein Schulknabe der Tyrannei neben dir, von des Demosthenes Lippen vernommen, dass gegen einen Tyrannen Misstrauen die Festung eines freien Volkes sei? Diesen Gedanken entlehne ich der Göttlichen Philippika und bitte Gott, dass mein Volk mir mehr glaube als die leichtsinnigen Athener dem grossen Redner. Ich verachte diesen Kopfpreis; fiel euch nichts Neues ein? Hast du, Tyrann, von keinem der zahlreichen Vertrage vernommen, die deine Minister mit Kehlabschneidern und Vergiftern schon bisher abgeschlossen haben, urn mich aus dem Weg zu raumen? Du willst meine Mörder bezahlen und adeln. Ist das der Weg der Ehre in Kastilien? Ich schickte niemals Mörder gegen meine Feinde. Ihr aber, meine Freunde, seht, wie man mir mitspielt, weil ich für euch gefühlt habe. Denn warum habe ich meine Güter geopfert ? Etwa um mich zu bereichern? Warum habe ich meine Brüder, meinen Sohn verloren ? Könnt ihr mir neue schenken? Welchen Lohn kann ich hoffen, wenn nicht: Euch die Freiheit errungen zu haben? Ich stehe in Gottes Hand. Nach meines Hauses Spruch: ,Je maintiendrai.' Es erklarten die Staaten der nördlichen Provinzen im Haag feierlich ihre Unabhangigkeit und kündigten dem König von Spanien für ewig den Gehorsam auf. Damals machten Holland und Seeland den Prinzen von Oranien zu ihrem erblichen Herrn und Grafen. Sie zerbrachen des Königs Siegel und setzten überall des Prinzen von Oranien Namen und Siegel. Im Namen des Volkes setzten sie den König von Gottes Gnaden Philipp von Spanien als ihren Herrn ab und machten den Prinzen von Oranien zum Reprasentanten der höchsten Autoritat. So vollzogen sie die Absagungsakte. ,Wenn ein Fürst', sagten die Staaten, ,seine Untertanen unterdrückt und sie wie Sklaven behandelt, ist er ein Tyrann, und das Volk kann ihn nach Recht und Vernunft absetzen und einen andern an seiner Stelle wahlen, gehorchend dem Gesetze der Natur, wonach die Regierung zum Besten der Regierten da sein soll. Keinem Sterblichen hat Gott absolute Gewalt verliehn, seinen Willen gegen Gesetze und Vernunft zu tun.' König Philipp las die Schriften Oraniens und seiner Freunde mit Missvergnügen. Er sass in seinem fertigen Haus, im Escorial, er las die Apologie Oraniens und die Lossagungsakte der Staaten und verstand den Sinn dieser Worte nicht. Neben ihm sass seine Tochter Klara Eugenia, ein hübsches, junges Fraulein, streng und ernsthaft, und half dem Vater, reichte ihm die Akten, streute Sand, ordnete die Papiere, wie einst die Österreicherin. „Was heisst das?" fragte Philipp seine Tochter und sah sie mit vaterlicher Lust an und freute sich ihrer vom Kopf bis zu den Füssen. „Was heisst das? Im Namen des Volkes! Wer ist das Volk? Wem gab es die Freiheit, in seinem Namen zu reden? Ist meine Köchin Coca, die zu viel sauft, das Volk? Ist es mein Narr, der Onkel Martin? Ist es mein Kammerdiener Santoyo, der nicht lesen kann? Ist es der Herzog von Medina Sidonia oder mein Grossinquisitor, oder mein Henker, oder mein Alguazil? Merke auf, meine Tochter. Da beginnt ein neuer Betrug. Das Volk. Der Wille des Volks. Im Namen des Volks. So sprach schon Elisabeth von England in ihrer Jugend zu meinem Gesandten. Das Volk liebe sie. Das Volk gebe ihr die Krone. Das Volk hebe sie auf den Thron. Gut, gut. Und was entsprang? Tyrannei! Ketzerei! Leibliche, geistige Not der Untertanen, wie wir in England sehn. Armes England! Töchterchen, ich besass es. Ich hatte es gross gemacht und glücklich wie meine Reiche alle, wie Spanien. Sie wollten mich nicht. Geduld bis morgen! Wir werden noch England haben! Wir werden Frankreich haben. Wir werden die Provinzen gefesselt haben. Nur Geduld, Töchterchen! Nur Zeit! Das Jahrhundert ist mein Acker. Ich wer de zuletzt lachen! Gegen den Oranien wollen wir Mörder senden. Trifft es nicht heut, trifft es ihn morgen." König Philipp schickte seine Mörder aus. Sie kamen in Scharen. Wer zu ihm ging und sagte, ich will den Oranien toten, dem gab er Geld. Viele empfingen Geld. Einige gingen ans Werk. Nun hatte einer getroffen. Ein Kaufmann aus Biscaya, namens Kaspar Anastro, der in Antwerpen seinen Handel trieb und vor dem Bankrott stand, schrieb dem König und forderte achtzigtausend Dukaten und den Rittermantel von San Jago, falls er den Oranien töte. Er empfing Philipps Unterschrift und Siegel, öffnete sein Herz vor seinem treuen Kassierer, schrie von Tranen überströmt und von Schluchzen fast erstickt, mit Fingern würden sie an der Börse auf ihn zeigen und sprechen: ,Seht an den Bankrottierer!' und sagte, er sei entschlossen, den Oranien zu töten, um seine Glaubiger, seine Freunde, zu bezahlen, und sollte er umkommen! So sprach er und weinte, seinen Kassierer rührte der Schmerz seines Prinzipals, er brach in Tranen aus und bat ihn, sein eigenes Leben zu schonen, und riet ihm, den Kassenboten Jaureguy zu beauftragen. Der Kaufmann zahlte dem Jaureguy 2877 Kronen in zwei spanischen Wechselbriefen. Jaureguy beichtete dem Dominikanermönch Anton Zimmermann, Hausgenossen des Kaufmanns, erhielt die Kommunion, wartete bis zum Sonntag, ging mit einem Gesuch ins Haus Oraniens, wartete bescheiden unter den Dienern im Vorsaal, trat, als Oranien des Mittags, aus seinem Esszimmer mit Freunden, zwei Neffen und seinem fünfzehnj ahrigen Sohn Moritz zu andern Gemachern schreitend, den Gasten eine Tapete mit spanischen Soldaten im Vorsaal zeigte, zum Oranien heran, ein untersetzter, dunkelhautiger, junger Mensch von gemeinem Aussehn, und überreichte sein Gesuch, Oranien griff danach, ohne recht hinzusehn, da zog der Jaureguy ein Pistol und feuerte es auf den Kopf Wilhelms ab, die Kugel drang in den Hals und fuhr unter der linken Kinnlade heraus und nahm dem Wilhelm zwei Zahne. Der Schuss kam von so nahe, dass Wilhelms Bart und Haar angezündet wurden, Oranien blieb geblendet stehn, er dachte, das Haus sei eingestürzt. Als er Haar und Bart brennen fühlte, begriff er und rief: „Tut ihm nichts. Ich vergebe ihm meinen Tod!" Doch stiessen die Gaste ihre Rapiere in den Leib des Mörders und die Hellebardiere machten ihn fertig, er empfing zweiunddreissig tödliche Wunden. Indes Wilhelm zu Bett ging, liess sein fünfzehnjahriger Sohn, der kleine Moritz, die Taschen des Mörders durchsuchen und ergriff alle Papiere und Gegenstande des Toten. Da er seiner Furcht Ausdruck gab, von einem Mitverschworenen überfallen zu werden, nahm ihn ein alter Diener seines Vaters unter den Mantel und führte ihn in ein stilles Zimmer. Da sahn sie, dass alle Papiere spanisch geschrieben waren. Ausser dem abgeschossenen Pistol hatte man in der Hosentasche des Mörders einen Dolch gefunden, ein Agnus dei, eine grüne Wachskerze, zwei Stücke Hasenfell, getrocknete Kroten als Amulett und Zaubermittel, ein Kruzifix, einen Jesuitenkatechismus, ein Gebetbuch, ein Taschenbuch mit zwei spanischen Wechselbriefen, einen auf tausend, einen auf 1877 Kronen, und eine Schreibtafel voller Gelübde und frommen Anrufungen der Jungfrau, an den Erzengel Gabriel, den Erlöser und dessen Sohn (Als ob Christus einen Sohn hatte? fragte der alte Diener Oraniens), damit sie alle Fürsprache bei Gott hielten, auf dass die Tat glücke. Aus der Schreibtafel ging hervor, dass ein Mönch dem Mörder eingeredet, er werde nach der Tat unsichtbar werden. Um sicher zu gehn, hatte er versucht, Gott und die Heiligen durch Geschenke zu gewinnen. Er gelobte Gottvater, falls er davonkomme, eine Woche bei Wasser und Brot zu fasten. Dem Heiland versprach er einen neuen Rock von köstlichem Muster. Der Mutter Gottes von Guadalupe versprach er ein neues Kleid, Unserer Frauen von Montserrat eine Krone, dem Heiligen Jago eine Lampe, dem Heiligen Lorenz ein paar Hosen, dem Heiligen Franz ein paar Sandalen und der Heiligen Veronika ein neues Schnupftuch. Der Prinz von Oranien lag viele Wochen krank. Als die verharschte Wunde am Hals aufbrach und ein breiter Blutstrom sich ergoss, schien er verloren. Weinend standen die Kinder Oraniens um sein Bett; seine dritte Frau, eine Abtissin, die ihr Gelübde brach um Wilhelms willen, eine Bourbon, kniete am Bett und küsste Wilhelms Hand; Wilhelms Schwester, die Grafin von Schwarzburg, hielt ungebleichtes Linnen an seinen Hals, um das Blut aufzuhalten. Die Arzte hatten dem Prinzen das Wort verboten. Da er sich verloren glaubte, sprach er wieder und sagte mit matter Stimme: „Kinder. Lebt wohl. Es ist aus mit mir." Da das Stück Linnen sich vollgesogen hatte und kein anderes in der Nahe war, warf es Wilhelms Schwester laut aufschluchzend fort und drückte ihren Daumen auf die pfenniggrosse Wunde, um das Blut ihres Bruders anzuhalten. Es gelang ihr. Ihr Daumen hielt das Blut. Wilhelm versuchte zu lacheln. „Schwester", sagte er, „du wirst blutig." „Ich halte aus", erklarte sie, „und sollte ich bis zum Abend und die ganze Nacht stehn." Da lachelte Oranien, dass seine Schwester unbewusst die Devise ihres Hauses ausgesprochen hatte. „Wir halten alle aus", sagte er, „aber zu was Ende?" „Sei stille", bat seine Frau weinend, „die Arzte haben dir das Reden verboten. Es schadet dir." „Mir schadet nichts mehr", sagte Wilhelm. „Ich spreche so gern. Mir ist schwer ums Herz. Wie lasse ich euch zurück? Was hat man mich gescholten, Feind und Freund. Die eigenen Freunde hiessen mich zu massig, ich sei gottlos, ich sei tolerant. Ist Duldung ein Verbrechen? Scheint Toleranz den Menschen schlimmer als Mord? Mein grösster Gedanke war mein argster Feind. Tut ein unabhangiger Mensch keinem genug? Kam ich zu früh auf diese Welt? Da werfen sie mir vor, dass mich das Volk liebt, dass ich seine Lust bin. Sie sagen, ich haschte nach der Gemeinen Gunst. Weil ich die einfachen Leute liebe, weil ich mich gern unter sie mische und freundlich zu ihnen rede, wenn ich auf den Strassen unserer Stadte gehe. Da höre ich Larm in einem Haus und sehe durchs offene Fenster, dass Mann und Weib sich streiten, ich trete also ein und bin sanft unter ihnen und bitte sie mit guten Worten, einander zu vertragen, und scherze, und sie werden still und geben sich die Hand, und der Mann fragt mich, ob ich sein Bier kosten will, und ich sage ja, und die Frau holt den blauen, irdenen Krug vom Bord, und der Mann trinkt auf meine Gesundheit und wischt mit der Hand den Schaum vom Rand und reicht mir den Krug, und ich tue ihm Bescheid, und wir sind eine kurze Weile traulich beisammen. Ah, Kinder, und ich merke, wie es gut tut, ein Vater seines Volkes nicht nur zu heissen, sondern auch die vaterlichen Gefühle zu empfinden. Ich sehe dieses Land und seine friedlichen, guten, tüchtigen Bewohner frei und reich und einig. Keine Unduldsamkeit, keinen Krieg mehr. Lutheraner werden nicht mehr der Calvinisten Glauben verbrechenscher als der Türken Religion heissen. Ihr blosser Anblick wird Calvinisten und Katholiken nicht mehr zu Feinden machen. Man wird sogar an Wiedertaufern und Juden des Menschen Antlitz erkennen. Ach, Kinder, dass ich es nicht erleben durfte!" Oranien schwieg; einer der Arzte kam endlich eilig. lobte die Schwester Wilhelms und befahl, eine Reihe von Dienern sollten, mit gewaschenen Handen einander lag und Nacht ablösend, die Wunde mit dem Daumen festhalten. So geschah es, und nach einer Zeit vol!L Angs und Hoffnung schloss sich die Wunde. Bald genas Wilhe m und ring in die Kathedrale von Antwerpen, urn Gott zu danken. An allen Fenstern, auf allen Strassen und Platzen standen die Niederlander, und sangen ihre neuen Lieder, und in der Kathedrale schluchzten Tausende und dankten Gott für die Rettung ihres Befreiers. Wilhelm bezahlte mit dem Leben semer lieben bra.ii Charlotte Bourbon, die vor Aufregung und Erschopfung in ein hitziges Fieber fiel und starb und ihrem Mann nach sieben Jahren Ehe sechs Töchter hinterliess, Luise, Juliana Elisabeth, Katharina Belgica, Flandriana, Charlotta Brabantica und Emilie Secunda. Bald nachher trugen die vereinigten freien Provmzen dem Prinzen Wilhelm die souverane Regierung an. König Philipp schickte neue Mörder. Peter Dordogno kam mit sechshundert Dukaten, die er aus Philipps Hand empfangen, nach Antwerpen, um Wilhelm zu morden, und ward hingerichtet. Franz von Praxedes, ein Galeerenstrafling, erhielt Geld von Philipp und ward in Antwerpen gefangen. Ein Kaufmann aus Vlissingen, Hans Hanzoon, wollte Schiesspulver unter den Kirchenstuhl des Prl^z®n legen und anzünden, sie fingen ihn. Der franzosische Offizier le Goth, ein heimlicher Freund Wilhelms, erhielt von den Spaniern Geld, damit er den Prinzen mit einem Gericht Aale vergifte. Le Goth erzahlte dem Oranien unverzüghch die Geschichte und blieb sein Freund. Ein Livornese, der schon seinen Bruder und einen Priester, ferner zwei Kaufleute und einen Deutschen umgebracht hatte, erhielt Geld von den Spaniern, um den Oranien zu morden. ,Die Mörder! Die Mörder!' schrieb Philipp ungeduldig seinem Neffen Farnese. ,Wo bleiben die Mörder Oraniens? Gibt es keinen tüchtigen Totschlager mehr in der Welt?' Einer fand sich. Er hiess Balthasar Gerard, geboren zu Vuillafans. Mit zwölf Jahren hatte er eine Erscheinung. Engel kamen herab und befahlen ihm, den Oranien zu töten. Mit einunddreissig Jahren tat er es. Er war eines Bauern Sohn. Er kam zu Farnese. Der hielt ihn für einen Narren und schickte ihn fort. Der Rat d'Assonleville gab ihm et was Geld und sagte: „Gehe, mein Kind, und werde unsterblich!" Der Mönch Géry segnete ihn und versprach ihm, er werde ein Martyrer heissen. In Delft residierte Oranien in einem ehemaligen Kloster. Es war Sommer und Oranien hatte wieder geheiratet, die Tochter des Admirals Coligny. Seine vierte Frau hiess Luise. Er hatte einen Sohn von ihr, Friedrich Heinrich. Die Könige von Danemark und von Navarra waren Paten, und die Taufe ward zum Volksfest. Der Mörder Gerard kauft zu Delft, von einem Soldaten Wilhelms, zwei Pistolen, ladt die eine mit zwei, die andere mit drei Kugeln, führt sich als Sohn eines um der Religion willen getöteten Calvinisten bei Wilhelms Sekretaren ein, bittet um einen Pass, wird von den Dienern ins Haus gelassen, schiesst den Prinzen, da der vom Mahle weg die Xreppe hinaufstieg, auf der zweiten Stufe nieder, mit drei Schüssen, entflieht, wird gefasst, gefoltert, gerichtet. Wilhelm war tot. Seine Provinzen weinten um ihren Befreier. DIE KOMÖDIE Der Beichtvater trat in die Zelle von Antonio Perez, im Gefangnis zu Madrid. Perez trug am linken Fuss eine schwere Kette und eine eiserne Kugel. Er sah blass und krank aus, nach elf Jahren Haft. Fray Diego de Chaves trat lachelnd ein und begrüsste den Gefangenen wie einen Minister. „Ich bin Ihr Freund, Senor Anonito. Ich rate Ihnen gut." „Bruder Diego, darf ein armseliger Bettler Ihre Hand nochmals küssen?" „Senor Antonio, gestehen Sie, und Ihr König wird gnadig gegen Sie sein." „Bruder Diego, ich bitte nur um Gerechtigkeit. Man macht schon den dritten Prozess in der selben Sache. Seit elf Jahren bin ich in Haft. Man hat mein Haus geplündert. Man tut mein Weib und meine Kinder ins öffentliche Gefangnis, verspricht mir Gnade, macht mir Hoffnungen, wenn ich nur des Königs Briefe ausliefere, man droht mir ewige Haft für Weib und Kinder an, man verhort immer wieder mein Weib und meine kleinen Kinder. Man sagt ihnen: ,Die Papiere, die Papiere, des Königs Papiere!, und ihr kommt alle frei!' Zwei Kisten mit den Briefen und Zetteln von königlicher Hand werden Ihnen, Fray Diego, ausgeliefert. Nun beginnt der neue Prozess, die scharfere Haft, nun legt man mich in Ketten, erst in der Feste Pintos, dann hier zu Madrid, verhaftet meinen treuen, unschuldigen Majordomus Martinez, verhort aufs neue meine Frau, nimmt meinem Anklager Peter Escovedo, dem Sohn meines toten Freundes, sein kleines Amt, setzt ihn in Haft und Schrecken, er versöhnt sich mit mir, verkauft sein Recht der Rache notariell für zwanzigtausend Dukaten, bittet um Beendigung des Prozesses, um meines Dieners Martinez Befreiung, verzeiht mir, als Christ dem Christen. Man legt mir die Kugel an den Fuss. Seit elf Jahren verhaftet man angebliche Zeugen, verfolgt man jede Denunziation, prüft man meine Bücher, Briefe Papiere, meine Amtsführung, vernimmt jeden gewerblichen Verleumder, sucht mit Laternen, mit Folterkünsten, mit allem Menschenwitz und aller Macht des grössten aller Könige, die je auf Erden thronten. Ein Weltreich gibt seine feinsten Köpfe, ein Riesenstaat leiht seine ungeheure Maschinerie, mein Unstern verfolgt mich, und noch, nach elf Jahren, kein Schatten eines Beweises gegen König Philipp der Zweite 34 mich, kein einziger, triftiger Zeuge gegen mich! Und ware ich allein der Getroffene! Und waren es nur mein treues Weib und die unschuldigen Kinder. Nein, ein Herz, das in racherischer Lethargie zu schlafen scheint, gefallt sich darin, mein schuldloses Unglück mit der Peinigung eines schier himmlischen Wesens, einer anbetungswürdigen, grossen Dame, der ersten Dame am Hofe Spaniens, der unbescholtenen Gattin des treusten Dieners und Freundes des Königs Philipp zu vermischen, das Unzugehörige zu verbinden, das Unglaubliche zu tun. Man mauert die edle Verfolgte in den Turm zu Pintos, man sperrt sie zu Pastrana ein, man nimmt ihr die Verwaltung ihrer Güter, die Erziehung ihrer Kinder, den Genuss ihrer Ehre und ihres Lebens, man wirbelt ein ganzes Reich auf. Und wofür? Am Anfang steht der Neid eines talentlosen Beamten, eines Kabinettsekretars, dessen plumpe Schmeicheleien unbegreifliche Gnade im Ohr des Höchsten in Spanien finden. Am Ende stehen Sie hier vor mir, hochwürdiger Vater, mein bewunderter Bruder Diego, und betteln um ein Gestandnis, das ich nicht liefern darf, nicht mag, nicht kann, weil — Sie wissen ja warum —" „Warum?" fragte der Beichtvater des Königs begierig. Perez sah ihn an, ging so rasch und so nahe, als es die schwere Kettenkugel erlaubte, zum Beichtvater und flüsterte: „Weil es nichts zu gestehen gibt, Fray Diego. Was glaubten Sie?" Der Beichtvater antwortete: „Ich kenne ja die Entstehung des Beschlusses, den Escovedo zu toten; eine Tat, die der König befohlen, auszuführen, ist niemals ein Verbrechen; ich kenne die Leiden Ihrer Familie und Ihre Verwirrungen; ich fragte mich, ob ich nicht aus christlicher Barmherzigkeit Ihnen einen Rat schulde, um den Sie mich so lange nicht bitten mochten. Ich habe mich entschlossen und sage Ihnen, da Sie ja in Wahrheit und wirklich eine peremptorische Entschuldigung haben, dass Sie nur alles gestehen müssen, und Sie sind frei. Trage jeder seineVerantwortung. Erhalte Gott Eure Herrlichkeit wahrend langer Jahre in Ruhe und Gesundheit und Ihrem Familienglück." Perez dankte mit bewegter Stimme. Er bedauerte aufs Innigste, dass er nichts zu gestehen habe. Der Beichtvater starrte ihn lange schweigend an. Endlich zog er einen Zettel aus der Kutte. Antonio erkannte des Königs Siegel. Der Beichtvater reichte ihm schweigend das Papier. Perez las: ,Fray Diego, mein Vater, Sie werden Antonio Perez sagen, und wenn nötig, dieses Papier ihm zeigen, dass er wohl weiss, wie ich ihm befahl, den Escovedo zu töten, und dass er die Gründe kennt, aus denen er mir dazu riet; und dass ich, nach meines Gewissens Forderung und um die Zulanglichkeit dieser Gründe zu erforschen, ihm befehle, sie zu nennen, in allen Einzelheiten, und den Beweis dafiir zu liefern. Mit seinen Antworten und seinen Gründen vor Augen, werde ich sogleich alles Nötige veranlassen.' Perez hatte gelesen. Er reichte mit einer wegen der Kettenkugel an seinem linken Bein ein wenig linkischen Verbeugung des Königs Zettel schweigend zurück. „Nun?" fragte der Beichtvater. „Was nun? So gestehen Sie alles! Sie wissen, was Sie erwartet: Gnade, Ruhe, das Glück Ihrer Familie, Ihre Freiheit, die Tröstungen Ihrer Freunde, ein angenehmes, langes Leben, nicht verkürzt durch Kugeln, Ketten, etwaigen schwerern Folterungen." Perez erblasste. Er verstand die Drohung. Der Mönch hatte die letzten Worte mit langsam singender Stimme ausgesprochen. Perez erwiderte den drohenden Bliek des Mönchs mit Festigkeit. „Bei allem demütigen Respekt, den ich den Worten Sr. Majestat schuldig bin, habe ich nicht mehr zu gestehn, als was ich seit elf Jahren sage, ich weiss nichts über die Ermordung Escovedos und ich habe nichts damit zu schaffen. Dagegen bitte ich Sie, Sr. Majestat zu sagen, dass ich meinen Richter Vasquez als parteiisch und feindselig ablehnen muss und um gerechte Richter bitte." Schweigend kehrte der Beichtvater des Königs dem Gefangenen den Rücken und verliess die Zelle. Drei Tage spater teilte man dem Gefangenen mit, dass der König dem Richter Vasquez einen zweiten Richter, Gomez, einen Kammerer des Königs und Lizentiaten, beigegeben. An diesem Tage suchte der Grossinquisitor Kardinal von Toledo des Königs Beichtvater auf. „Senor", rief der Kardinal, ganz ohne seine gewöhnliche Munterkeit, „entweder ich bin toll oder diese Affare ist es! Wenn der König dem Perez befohlen hat, Escovedo zu töten, und es gesteht, warum setzt man ihm zu und aus was für Motiven ? Je naher man zusieht, um so deutlicher erkennt man, dass Perez nicht Richter war in diesem Akt, nur Sekretar, nur Rapporteur der Depeschen, die unter seine Hande kamen; nur Exekutor von Befehlen und von Vertraulichkeiten, ausgetauscht wie zwischen Freund und Freund. Heute, nach zwölf Jahren, fordert man von ihm Einzelheiten, nachdem man seine Papiere beschlagnahmt hat, nach dem Tod so vieler Personen, die so viele Dinge wissen und bezeugen könnten. Wecken Sie fünfhundert Tote auf, ersetzen Sie ihm seine Papiere ungeplündert, ungelesen, und dann, dann erst haben Sie noch nicht einmal das Recht, zu tun, was Sie tun." „Ich, Beichtvater des Königs, habe so geraten, nach vielen nachtelangen vertrauensvollen Gesprachen mit König Philipp. Vertrauen Sie auf Gottes Weisheit, Eminenz." „Das ist meine Gewohnheit", entgegnete der Grossinquisitor prompt. „Aber Fray Diego! Wie? Befohlen hat den Mord der König Philipp. Der Mörder und des Ermordeten Sohn arrangierten sich untereinander. Der Prozess kann abgeschlossen werden, der schon so lange dauert und Madrid, Spanien, unsere Reiche, die Christenheit intrigiert und des Königs Feinde belustigt; dieser Prozess, der die Ehre unserer Regierung kompromittiert, ist der gewöhnlichen Vernunft nach aus, ist in keinerlei Staatsinteresse, und Se. Majestat beeilt sich nicht, den Perez loszulassen und eine so gefahrliche Affare zu erledigen? Welches Interesse kann der König haben, den Befehl zu gestehn und den, der gehorcht hat, zu verfolgen? Die königliche Ehre wird durch solch ein Gestandnis leiden. Was? Ein König lasst seinen Untertanen töten und verrat den Komplizen? Was für Leidenschaften ? Was für Verblendung ? Wer ist der Racher? Was für eine Rache? Oder hofft man, jetzt, da man dem Perez seine Papiere nahm, werde er nicht mehr beweisen können, aus welchen Motiven er zur Beseitigung Escovedos riet, und würde nun leicht verurteilt, als einer, der den König betrog, den Freund verleumdete, und dessen Hinrichtung passender den Vorhang über der Staatskomödie fallen liesse als seine Straflosigkeit ? Beichtvater des Königs! Bruder Diego de Chaves! Mönchlein! Fürchtest du nicht Gott?" Quiroga hatte immer leiser und immer heftiger geredet. Zuletzt waren seine Worte ein zischendes, rollendes, schreckenbergendes Flüstern, dennoch schien dem Beichtvater, als bebten die Wande seines Zimmers vor greulichen Donnern. Fray Diego war totenblass. Sein strenges, hageres, zerfurchtes Gesicht, die asketische Maske, schien jetzt sein echtes Antlitz. Der Grossinquisitor, dessen Gesichtszüge sich glatteten angesichts der Wirkung seiner Worte, ward wieder heiter, seiner fröhlichen Natur gemass, und fragte: „Was werden Sie nun Sr. Majestat raten, Senor?" „Die Entschlüsse des Königs sind unveranderlich und unerschütterlich hinausgehoben über gemeine Erwagungen und gewöhnliche Bedenklichkeiten." „Das ist meine Meinung", antwortete prompt der Grossinquisitor. „So folge der Komödie zweiter Akt!" Der Grossinquisitor nahm Abschied. An der Türe drehte er sich um und sagte: „Ich liebe fromme Komödien. Ich schaue sie mir bis zum Ende mit Interesse an, bis zum fünften Akt. Aber wenn jeder Akt elf Jahre dauern soll, wer wird es überleben?" Bruder Diego lachelte. Er faltete die hagern Hande und versicherte: „Der Vorhang fallt." ONKEL MARTIN König Philipp befahl, den Antonio Perez zu foltern. Die Richter kamen zu ihm. „Gestehen Sie die Motive, aus denen Sie dem König die Tötung Escovedos rieten, und beweisen Sie die Kraft und Dringlichkeit dieser Motive", forderten die Richter. Perez antwortete, wie er gewohnt war, er werde nichts sagen, weil er nichts wisse. Da befahlen die Richter den Wachtern, ihn mit einer Kette zu binden und ein Paar Eisen an seine Füsse zu hangen. Das war die Zurüstung zur Streckprobe. Dann verliessen sie ihn. Perez schrieb dem König, wie tausendmal in diesen elf Jahren, und bat diesmal demütig, ihm die Eisen wieder abnehmen zu lassen, da seine Krankheit ihn die Eisen nicht ertragen liesse. Er erhielt, wie tausendmal schon, keine Antwort. Am andern Tag kamen die Richter wieder. Wieder weigerte er sich. Da drohten sie ihm mit der Folter. Er erschrak nicht. Da ging Vasquez in den Nebenraum, er fand keinen Geschmack am Anblick von Marterungen. Der Richter Gomez, der Gerichtsschreiber Marquez und der Henker Ruiz begannen ihr fürchterliches Geschaft. Der Richter Gomez erklarte schnarrend: „Sie werden peinlich befragt zur Erlangung der vom König geforderten Gestandnisse. Verlust des Lebens oder des Gebrauchs eines oder mehrerer Glieder haben Sie sich selber zuzuschreiben." Perez beteuerte nochmals, nichts zu wissen, und protestierte gegen die Folter aus zwei Gründen, erstens sei er adüg, zweitens durch elf Jahre Haft zu erschöpft, um die Folter aushalten zu können. Die Richter befahlen ihm, den Eid zu leisten und zu antworten, was man ihn fragte. Als er sich weigerte, zog ihn der Henker Ruiz nackt aus und liess ihm nur seine Unterhose aus Leinen. Der Henker zog sich zurück, der Richter fragte, Perez wiederholte seine stete Antwort, die Folterinstrumente kamen herein. Der Henker Ruiz kreuzte Antonios Arme einen über den andern, und man machte die erste Streckprobe. Perez schrie fürchterlich. Er sagte: „Jesus, ich hab' ja nichts zu erklaren ... ich sterbe auf der Folter, ich sage nichts, ich sterbe." Das wiederholte er haufig. Nach der viert en Streckprobe kamen beide Richter und fragten. Er schrie stöhnend und seufzend: „Ich habe nichts zu sagen. Ihr habt mir den Arm zerbrochen. Lieber Gott! Mein Arm ist hin! Die Arzte werden's sehn." Seufzend sagte er: „Ach, mein Herr! Bei der Gnade Gottes, sie zerbrachen mir die Hand, beim lebendigen Gott." Er sagte noch: „Senor Juan Gomez, Sie sind Christ, mein Bruder; bei Gottes Liebe, Sie töten mich, und ich habe nichts zu gestehn." Die Richter sagten: „Gestehen Sie, Senor Antonio!" Er antwortete, indem er sich immer an den Richter Gomez wandte, weil der nicht sein persönlicher Feind wie Vasquez war: „Mein Bruder, Sie töten mich. Senor Juan Gomez, bei den Wunden des Heilands, macht mich auf einmal ab. Lasst mich, ich werde alles sagen, was Sie wollen. Bei Gottes Liebe, mein Bruder, habt Mitleid mit mir." Dann sagte er: .Macht mich frei, gebt mir meine Kleider, ich werde sprechen." Das geschah erst nach der achten Streckprobe. Als er zu gestehn begann, erhielt der Henker den Befehl, das Feld zu raumen, und Perez blieb allein mit Richter Gomez und Gerichtsschreiber Marquez. Perez gestand mit vielen Details, sehr ausführlich. Der Richter befahl ihm, nun die Beweise vorzulegen, um deretwillen er dem König riet, den Escovedo zu töten. Perez antwortete, man habe seine Papiere bei den verschiedenen Hausdurchsuchungen ergriffen, dort fanden sich genug Beweise, es hatte auch genügend Zeugen gegeben, wie den Marquis Los Velez, aber nach zwölf Jahren fehlten sie, im übrigen beziehe sich hier der Untertan auf den König, der ja alles am besten selber wüsste. Am Hofe ward bekannt, dass Philipp und Perez die Tat gemeinsam begangen, für die der eine die Folter litt, der andere sie anordnete. Die Höflinge erschraken, weil man einen Minister, einen Günstling, ein so gehorsames Werkzeug des Königs folterte. Wer war noch sicher? Man sagte laut: „Die Verratereien von Untertanen am König sind gewöhnlich, aber niemals verriet ein König so infam seinen Untertan." Der Hofprediger sprach von der Kanzei der Hofkapelle herab: „Menschen, wonach rennt ihr erschöpft und mit offenem Maul? Seht ihr nicht die Enttauschung ? Seht ihr nicht die Gefahr, in deren Mitte ihr lebt? Habt ihr nicht gestern so einen Mann gesehn, auf dem Gipfel, der heute auf der Folter ist? Und weiss man nicht, warum er so viele Jahre lang dort gemartert wird? Was wollt ihr also? Was hofft ihr noch?" Perez, fiebernd, zerschmettert, sah den Tod vor Augen. Ohne Papiere war er der Betrüger. Vasquez wollte beweisen, nur für Anna habe Perez den Mord an Escovedo begangen. Da wollte Perez fliehn. Beide Arme waren ihm verrenkt, er war krank, allein, in enger Haft. Er bat urn einen Arzt, um Diener, ihn zu pflegen. Der Doktor fand ihn mit grossem Fieber, lebensgefahrlich krank, wenn man ihn nicht pflegte. Ein Page, den sein hochschwangeres Weib Coello ihm auswahlte, ward zugelassen. Die Krankheit schien sich zu verschlimmern. Da bat Juana Coello um Zutritt für sich und ihre Kinder, ehe ihr Mann, ihr Vater sterbe. Sie ward abgewiesen, liess nicht nach, lief, flehte, besuchte jedermann, kniete vor jedem und erhielt die Erlaubnis. Perez schien am Ende. Am Abend des 20. April gegen neun Uhr ging er im Kleid, Hut, Mantel und Schleier seiner Frau zwischen den Wachen durch und aus dem Gefangnis. Draussen wartete ein Freund und etwas weiter der Fahnrich Gil de Mesa mit Pferden, um ihn nach Aragon zu führen. Kaum hatten der Freund und er ein paar Schritte die Strasse entlang getan, um Gil de Mesa zu treffen, als sie Alguazilen begegneten, welche die Runde machten. Mit Geistesgegenwart blieb der Freund stehn und scherzte mit den Alguazilen, indes Perez schweigsam und respektvoll wie eine Dienerin hinter ihm stand. Die Alguazile gingen. Perez war bei Gil de Mesa, sie stiegen aufs Pferd und begleitet von einem Genuesen namens Giovanni Franzesco Majorini ritten sie dreissig Meilen ohne anzuhalten, und Perez, Aragonese von Geburt, setzte den Fuss auf Aragon, wo die Richter unabhangig vom König waren und wo die alten Rechte des Volkes herrschten, die alten Privilegien eines tapfern und stolzern Stammes, als es die Kastilier waren, eines Stammes, stolz auf seine Freiheiten, stolz auf seine Rechte, die Fueros von Aragon. „Philipp, freue dich!" sagte am andern Mittag, da der König in den Audienzsaal schritt, sein Narr, der Onkel Martin. „Perez ist entwischt. Lach, Philipp! Ganz Madrid lacht. Wer ist also dieser Perez? Er muss unschuldig sein, wenn so viele sich freun, dass er entwischt ist.' Philipp lachte nicht. Juana Coello, die in den Hosen und im Wams ihres Mannes auf dem Stroh seines Kerkers lag, ward mit den fünf Kindern ins öffentliche Gefangnis gebracht, samt dem noch ungeborenen sechsten Kind in ihrem Leib, dem noch ganz unschuldigen. Ein Töchterchen des Perez starb in der Kothölle, geheissen öffentliches Gefangnis zu Madrid, ein Söhnchen verdarb im Kerker. Die andern litten mehr. Anna Mendoza, die Fürstin Eboli, erhielt vor ihrem Zimmer, im Schloss zu Pastrana, wo sie gefangen sass, bewacht von den Wachtern des Königs, ein doppeltes Eisengitter, so dass die Fenster nicht mehr zu öffnen waren. ,Wir leben im Finstern', schrieb sie ihrem Eidam Sidonia, ,wir haben keine Luft, wir ersticken.' Seit einiger Zeit hatte eine ihrer Töchter ihr Gefangnis geteilt. Anna schickte sie fort, aus Angst, sie umkommen zu sehn, des Sommers, im brennenden, finstern Kerker, zu dem ihr Geliebter sie verdammt hatte. Sie schrieb den Töchtern: ,Ich weine bittere Tranen in dem finstern, tödlichen, schauerlichen Zimmer.' Langsam starb sie hin. Ihr Kerkerwachter weinte mit ihr bittere Tranen und schrieb viele Berichte von dem tödlichen Jammer. Er schrieb: ,Sire! Es ist keine Luft da, um zu atmen. Sire! Die Tranen in der Finsternis. Sire! Das schleichende Fieber. Ein Vögelchen im Kafig, ohne Luft und Licht, ohne Wasser und Körner. Sire!' Sie schrieb an ihren jüngern, holdern Sohn, den Herzog von Francavilla: ,Ich, Anna Mendoza, betteln urn Gnade, das, niemals, nein!' Nach elf Jahren Haft im Turm zu Pintos und im Schloss zu Pastrana, nach achtzehn Monaten Folter im vergitterten, verfinsterten, luftlosen Kafig, wo kein Himmel von der Sonne Licht heil ward, um vor der Sterne Glanz sich zu verfinstern, wo kein Wind wehte, kein grünes Gras, keines Vogels Ruf, keiner Wolke Schein, wo nichts war, starb sie, Anna, Philipps Matresse und Antonios Geliebte. Onkel Martin, der Narr, ging mit einem silbernen Glöckchen durch alle Flure des Schlosses und die Treppen hinauf und hinunter und rastlos hin und zurück und bimmelte, bimmelte. „Narr", fragten sie ihn, „Narr, warum bimmelst du so laut?" „Ich wecke", antwortete der Narr. „Ich wecke!" „Wen willst du denn aufwecken, Narr?" fragten sie ihn. „Das Mitleid", antwortete der Narr. „Seht ihr nicht, dass es schlaft? Hat keiner Mitleid?" „Mit wem?" fragten sie ihn. „Mit dir, Bruder", antwortete der Narr. „Mit dir, Schwester." „Warum?" fragten sie ihn. „Dass du am Hofe Philipps leben musst", sagte der Narr und bimmelte lauter als zuvor. Bim. Bim. Bim. Da kam der König vorbei auf seinem Weg ins Kabinett. Da hörte der Narr zu bimmeln auf und es war plötzlich sehr still. König Philipp ging langsam vorbei, ein alter, kleiner Mann im schwarzen Rock, mit dem kurzen, schwarzseidenen Mantelchen auf der Schulter, die Hand am goldenen Griff seines Degens. Die Halskrause aus Mechelner Spitzen glanzte so weiss wie sein silbriger Bart, auf dem kahlen Kopf trug er die hohe, schwarze Pelzmütze, die weissen Spitzenmanschetten blitzten so reinlich über den gichtischen Handen, steif und langsam bewegte der hagere, eingetrocknete Greis zwischen sechzig und siebzig die gichtischen Füsse. Er richtete die schweren, grübelnden Blicke auf den Narren, seine Miene war finster. Da er am Onkel Martin vorbeiging, begann der Narr aus Leibeskraften zu bimmeln. „Ruhe, Onkelchen!" befahl der König. Der Narr ging neben dem König her, er ahmte vortrefflich die Miene des Greises nach, den steifen, schlurfenden Gang, die majestatische Haltung. Mit dem Glöckchen lautete er langsam, Schritt für Schritt. Bim! Bim! Bim! „Was lautest du, Narr?" fragte Philipp. „Das Glöckchen freut sich", antwortete der Narr. „Hörst du, Philipp? Es lacht. Frag' warum; Philipp, frag' warum!" Der König fragte nicht. Da antwortete der Narr ungefragt: „Das Glöckchen lacht, weil Philipps Feindin tot ist. Vorige Woche am Donnerstag abend starb Anna. Warum lachst du nicht, Philipp?" AUFSTAND IN ARAGON Antonio Perez, der Flüchtige, der aus dem Kerker des Königs Philipp kam, der Aragonese, betrat die Erde Aragons und appellierte an das Gesetz, an die Freiheit, an die Gerechtigkeit, an die alten Fueros Aragons. Er hatte sich ins Dominikanerkloster von Calatayud geflüchtet und den Fahnrich Gil de Mesa nach Saragossa geschickt, damit der in seinem Namen an den Oberrichter von Aragon appellierte. Jeder in Aragon genoss nach solchem Appell den Schutz des Oberrichters, der die vorigen Urteile annullierte, wenn sie das Gesetz verletzten, sein Verfahren war öffentlich, Folter und Tortur waren ausgeschlossen, die Gefangenen kamen in ein besonderes Gefangnis, das ,Die Freiheit' hiess. Der König ernannte den Oberrichter auf lebenslanglich. Nur die Cortes durften ihn absetzen. Er durfte die Untertanen gegen den König zum Aufstand rufen, wenn der König die Gesetze verletzte. Das Volk stiess den heiligen Ruf aus: .Contra fuero!' Gegen das Gesetz!, und dieser Ruf empörte sogar die Steine von Aragon. Die Absetzung des Königs konnte folgen. Auf ihre alten Freiheiten waren die Aragonesen noch eifersüchtiger als auf ihre Weiber. Philipp hatte seinen Hofalkalden geschickt, um den Perez zu holen. Die Mönche verbarrikadierten sich, exkommunizierten den Alkalden, versteckten den Perez. Die Bogenschützen des Hofalkalden brachen die Kirchentür und das Asylrecht, packten Perez, schleiften ihn auf die Strasse, setzten ihn auf ein Pferd, da sprengten fünfzig Büchsenschützen aus Saragossa mit dem Gerichtsbeamten des Oberrichters heran, die Bauern aus der Umgegend, die über die Belagerung des Klosters empört herbeigelaufen, schwangen ihre Heugabeln, verjagten des Königs Bogenschützen, befreiten Perez, trugen ihn im Triumph nach Saragossa und führten ihn ins Gefangnis des Oberrichters, in ,Die Freiheit'. Dort schrieb Perez, frei in seinem Gefangnis ,Die Freiheit', an den König, an den Beichtvater, an den Grossinquisitor. Er bat, ihn nach elf Jahren der Verfolgung zu vergessen, sein Weib, seine Kinder ihm zurückzugeben; in einem stillen Winkel, den . der König wahlen möge, ihn den Rest seines Lebens verbringen zu lassen; er schwöre, keines der Geheimnisse des Königs auszuplaudern. Er könne sich verteidigen, man wisse es, und er werde alles sagen. Aber er ziehe vor, in Ruhe zu leben. Perez erhielt keine Antwort. Er schickte zum König den Prior von Gotor, dem er unterm Kirchengeheimnis Abschriften aller aus Vorsicht zurückbehaltenen Papiere mitgab. Der König empfing in drei Audienzen den Prior, las die Abschriften, schien erfreut über den Dienst, den man ihm leistete, befahl den Granden, die Milizen auszuheben, befahl dem Vizekönig von Aragon, den Flüchtigen um jeden Preis ihm auszuliefern. ,Ich will den Perez haben', schrieb Philipp. ,Mein königliches Gewissen will es, die Ehre meiner Richter fordert's.' Er unterschreibt das Todesurteil, das ihm der Richter Vasquez vorlegt.,Perez werde erwürgt, sein Kopf am Stadttor von Madrid angenagelt; wer ihn abnimmt, sterbe.' Da schreibt Perez sein Memorial über seinen Prozess, fügt alle die Papiere bei, die seine tapfere Frau, sein kluger Martinez aus den zwei Koffern, die man dem Beichtvater auslieferte, gerettet hatten. Da sind die Briefe Philipps, da heisst er ihn die Depeschen falschen, da des Königs Bruder dupieren, da den Freund Escovedo toten, da billigt der Beichtvater alles, da treibt der Beichtvater an. Da ist des Königs Zettel, in dem er seine Furcht ausdrückt, die unschuldige Mohrensklavin Escovedos könnte den König anklagen, da ist Philipps Wonne, dass man die unschuldige Sklavin gehangt hat, da sind seine Vorwürfe, weil die ersten Mordversuche missgliickten. Perez, in Kastilien von seinen Komplizen, dem König und Diego de Chaves zum Tod verurteilt, wird in Aragon in allen Stücken freigesprochen. Kein Mord, da der König befohlen. Kein Verrat, da der König befohlen. Keine Falschung von Amtspapieren, da der König befohlen. Die Freunde des Antonio Perez drucken das Memorial heimlich. Die Exemplare fliegen durch Europa. Europa schaudert über den Tyrannen. Europa lacht über den Pedanten. Europa forscht nach dem Roman der Fürstin Eboli. Philipp zieht seine Anklage wegen Mord und Verrat der Amtsgeheimnisse zurück. Er schreibt dem Oberrichter von Aragon: ,Perez falscht den Inhalt meiner Notizen, er torturiert mit Malice den Sinn meiner Billette, ich könnte lang erwidern, Staatsrücksichten, Staatsgeheimnisse verbieten es. Man kennt — übrigens — meine Justiz. Ich habe immer die Wahrheit beschützt, wie ich als König soll.' Nun befahl der König dem Grossinquisitor, den Perez der Ketzerei zu überführen. Anklager ward der Beichtvater. Er klagte an: 1. war Perez auf einem Pferd entflohn, er hielt in Aragon, hatte aber auch nach Frankreich weiterreiten können und hatte so den Ketzern ein Pferd geliefert und Ketzer also mit Kriegsmaterial unterstützt. 2. musste Perez ein Zauberer, ein Magiër sein, weil er so viele Freunde fand, nach elf Jahren Elend und als Feind des Königs. 3. war seine Popularitat verbrecherisch. 4. hatte ihm jemand vorgeworfen, er rede schlecht von Don Juan, da habe Perez gesagt: ,Ich muss mich urn jeden Preis rechtfertigen, und wenn Gott Vater mich hindern wollte, müsste ich ihm die Nase abschneiden!' ,Hat Gott eine Nase?' fragte empört Diego de Chaves. Im Kerker sagte Perez: ,Wenn Gott keine Wunder tut in meiner Sache, glaube ich nicht mehr an ihn.' Auf der Folter schrie Perez: .Schlaft Gott? Gott schlaft. Es treiben Scherz, die sagen, es gebe Gott. Es kann ihn nicht geben! Was man von seiner Existenz erzahlt, sind Possen!' Und ferner im Kerker: ,Ich leugne die Milch, die ich an Brüsten sog. Heisst das katholisch sein? Ich glaube nicht mehr an Gott, wenn alles so seinen Lauf nimmt.' Diego de Chaves schickte einen Mönch nach Saragossa und forderte unter Strafe der Exkommunikation vom Oberrichter die Auslieferung des Perez. Der Oberrichter lieferte den Perez aus, die Diener der Inquisition setzten ihn in eine mit vier Mauleseln bespannte Karosse und fuhren ihn ins alte Schloss der Mohrenkönige, das geheime Gefangnis der Inquisition. Ein Gesetzbuch von Aragon, ein Portrat seines Vaters Gonzalo Perez und ein Bildnis der Fürstin Eboli, das man bei Perez fand, konfiszierte die Inquisition. Freunde des Perez, junge Adlige, die ihn oft in der ,Freiheit' besucht hatten, liefen in den Palast des Oberrichters, fassten ihn an der Hand und klagten ihn an, ihre Fueros zu verletzen, und forderten den Rückruf seines Befehls. Der Oberrichter lehnte es ab, da stürzten die jungen Herren aus dem Gerichtspalast und schrien: „Contra fuero! Wider das Gesetz! Es lebe die Freiheit! Hilfe für die Freiheit!" Über diesen Ruf begann der Prior vom Kloster Seu am Platze die Larmglocke zu lauten. Die Leute liefen aus den Hausern, tausende Bürger, die Mönche, die Herren vom Adel trugen blanke Waffen, rannten vor den Palast der Inquisition und schrien: „Tod den Verratern! Und Freiheit! Perez und Freiheit!" Der Prasident der Inquisition erklarte, es sei eine schone Krone, das Martyrium für die Inquisition! Die andern Inquisitoren waren nicht der Meinung, lieferten Perez aus. Perez wird aus der finstern Zelle geholt. Das Volk sieht ihn und schreit vor Jubel. Man setzt ihn in eine offene Karosse. Das Volk schreit: „Perez! Wo ist Perez?" Man heisst ihn stehn, damit ihn alle erblicken. So fahrt er langsam im Jubel des Volks, ein Triumphator, durch die Strassen von Saragossa, der Herr der Stadt. Das Volk schreit: „Senor Antonio, zeige dich dreimal taglich am Fenster deiner Zelle, dass wir dich sehn!" König Philipp empfing im Escorial die Depeschen über den Aufstand in Aragon. Er berief eilig die vornehmsten Staatsrate zu einer geheimen nachtlichen Sitzung, einer Nacht junta. Des Königs Tochter Klara Eugenia sass neben Philipp. Die Diener schlossen die Türen. Es kam sofort zum Streit zwischen dem Grossinquisitor und dem Beichtvater des Königs. Beide waren neunzigjahrige Greise. Philipp mit noch nicht siebzig Jahren sah kaum jünger aus. Immer noch schien der Kardinal-Grossinquisitor vom irdischen Leben erheitert und über der Menschen Treiben vergnügt zu sein. Wie seit zwanzig Jahren war er der munterste bei Hof, auch der gefrassigste. Sein Feind, Fray Diego, schien erweicht zu werden. Seine strengen asketischen Gesichtszüge ründeten sich; vielleicht zerfielen sie nur. Der Beichtvater erklarte: „Der vertraute Page des Antonio Perez, Bustamente, ist ein geheimer Diener der Inquisition. Er hat bisher alle Plane des Perez verraten, den Briefwechsel mit Vendóme, dem Prinzen von Béarn, dem angeblichen König von Frankreich, den Briefwechsel mit Venedig, den mit Höflingen zu Madrid, mit vielen. Man muss den Perez endlich auf die billigste Art loswerden. Bustamente ist bereit, mit Gift oder Dolch. Es hatte vor dreizehn Jahren geschehen sollen! Dolch oder Gift, alles eins! Wie es dem König gefallt. Was dem Rat beliebt. Und trifft Bustamente nicht, treffen andere." Da erwiderte der Grossinquisitor Quiroga schreiend: „Es ist genug! Wie lange soll ein Mann, der diese Affare einst verdarb, weiter dem König schlechten Rat geben? Mit neunzig Jahren ist es genug, Fray Diego!" „Und du", schrie der Beichtvater, „du, Quiroga, bist du jünger?" Philipp blickte seine Tochter an. Die Infantin sah zu Boden. Die beiden Uralten keuchten. Der König fragte: „Was rat uns die Infantin?" „Die Armee", antwortete sogleich Klara Eugenia, „die Armee marschiere in Aragon ein! Es ist Zeit, dass die'gespielte Freiheit drüben durch die Ordnung und Gerechtigkeit des Königs ersetzt wird." Der König sah stolz auf seine Tochter. Sie war sein Werk. „Die Armee marschiere!" erklarte Philipp. Der Grossinquisitor Quiroga murmelte: „Man hat jenem Mann unrecht getan. Daher alles Übel!" Philipp schloss die Augen. So sah er wie ein Toter aus. Die Rate gingen still. Die Armee marschierte. Ihr General hiess Vargas, ein Herr aus Estremadura. Die Cortes von Aragon schickten Gesandte zu Philipp. Wisse der König nicht, dass Aragon keine fremden Truppen dulde? .Cortes', antwortete Philipp, ,das Heer marschiert nur durch. Es zieht gegen den Prinzen Heinrich von Béarn, den Ketzerkönig. Ich will Frankreich erobern. Meine Tochter ist die nachste Erbin.' Da beschlossen die Cortes den Krieg für ihre Rechte. Der Oberrichter ward General. Er bewaffnete das Volk, holte die Kanonen, rief um Hilfe nach Katalonien und Valencia, verhandelte mit Venedig und Béarn, Perez war sein geheimer Sekretar. Aber nur die Stadte Teruel und Albarracin schickten Soldaten. Der Oberrichter sandte vier Notare an den General Philipps. Die lasen ihm sein Todesuiteil vor, falls er in Aragon einmarschiere. General Vargas marschierte ein. Der Oberrichter liess Sturm lauten. Das Volk lief herbei und marschierte der Armee Philipps mutig entgegen. Unterwegs verlieten sie sich. Am 12. November rückte Philipps General in Saragossa ein. Auf des Königs Befehl übte Vargas Milde. Perez war den Tag zuvor mit vielen Freunden aus Saragossa fortgeritten, sie kamen über die Pyrenaen. Perez rüstete im Einverstandnis mit König Heinrich dem Viert n von Frankreich eine Invasionsarmee der Emigranten. Er schickte Pamphlete nach Saragossa. .Aragon ist nicht schlechter als Venedig. Aragon wird eine Republik sein oder seine Freiheit verlieren!' König Philipp las die letzten Depeschen. So weit trieb es Antonio? König Philipp beschloss, dem Antonio Perez ein ganzes Regiment von Mördern nachzuschicken. Am andern Tag kam ein Kommandeur von San Jago namens Velasquez in Audienz. Es war am Morgen des 12. Dezember. Der Kommandeur bat um ein Hofamt. „Ich will es in Erwagung ziehn", versprach der König. Velasquez ging enttauscht. Im Vorzimmer rief ihn der Kammerdiener Santoyo zurück. „Kein Wort", sagte der König, „steigen Sie zu Pferd, reiten Sie nach Saragossa, geben Sie diese Briefe dem General Vargas." Velasquez ging zu einem Goldschmied, verkaufte seine goldene Kette, für die Reisezehrung, stieg zu Pferd, langte in sechs Tagen in Saragossa an, gab die Briefe dem General Vargas; der öffnete und las sie und brach in Tranen aus. ,Verhaften Sie sofort den Oberrichter von Aragon, und ich will seine Exekution gleichzeitig mit seiner Verhaftung erfahren. Man wird ihm den Kopf abschneiden.' Das war der erste Brief. So ging es fort. Der letzte enthielt eine Amnestie, die fünfundzwanzig Angeklagte ausnahm, und hundertachtzig andere, und alle Juristen, die für die Fueros gesprochen, und alle, die den Geachteten halfen, und alle, die von der Inquisition verfolgt wurden. „Bin ich ausgenommen?" fragte in vorübergehender Verwirrung der General Vargas, ein einfacher Mann aus Estremadura. Es begann die uralte Posse. Den Oberrichter durften nur die Cortes verhaften. Philipp beging also einen Staatsstreich, als er den Oberrichter verhaften und ohne Prozess töten liess. Dem Staatsstreich folgte der Terror. Dem Terror folgte eine starke Emigration. Ihr spürte die Inquisition nach und verfolgte sie über alle Grenzen. Und der Schein der Gnade betrog die Welt. Indes fielen die alten Rechte König Philipp der Zwei te 35 und die alte Freiheit. Unter militarischem Schutz berief Philipp die Cortes von Aragon. „Keine Fueros mehr!" befahl König Philipp. Die Cortes stimmten ab. Des Königs Entwurf ward angenommen, einstimmig. So starb die Freiheit in Aragon. DIE GRENZE .... eine Grenze hat Tyrannenmacht. Feierlich langsam ging König Philipp am Arm seiner Tochter Klara Eugenia durch die Sale des Escorial. Im süssen Genuss der Betrachtung stand er zuweilen still und verweilte im Anblick eines Gemaldes, einer Statue, der gemalten, gewölbten Decke. Er schritt durch die Bibliothek. Über der Tür schwebte die gemalte Madonna mit der Himmelskugel. Philipp betrachtete die kostbaren Handschriften, die schonen Miniaturen, die Ritterromane und die Kirchenvater, er liebte sie alle. Zu Beginn der langen Halle stand eine Weltkugel auf einem Fuss aus getriebenem Silber. Philipp war alt. Schon zahlte er siebzig Jahre seines Lebens und war nicht satt. Sein Durst war nicht gelöscht. Sein Hunger war nie gestillt. Er heimste die Jahre ein wie der Landmann das Kom. Er dankte Gott und sate die Wintersaat. Er war ein kleiner Greis, eingeschrumpft im schwarzsamtenen Gewand, kahl wie Sokrates, weissbartig wie Noah; die Leute im Norden, die Ketzer verschrien ihn, er habe den Papst um Dispens gebeten, er wolle die Lieblingstochter heiraten, er schlafe mit ihr. Was sagten die Menschen nicht alles? Wo Böses geschah, sahen die Ketzer den Finger des Königs Philipp, als ware er der ewige Ju de. „Töchterchen", sagte König Philipp und deutete auf die Stelle der Erdkugel, wo Frankreich war. „Ich will Frankreich haben." König Philipp wollte seit vierzig Jahren Frankreich haben. Tot war die alte Hexe, die Schwiegermutter Katha- rina von Medici, in der Stille starb sie, verlassen. Nostradamus hatte prophezeit: ,Mutter von vier Königen.' Tot waren sie alle. Der kleine Prinz von Béarn war König von Frankreich. Ermordet waren die alten Genossen Philipps, die bezahlten Freunde, der Herzog von Guise und der Kardinal, ermordet ihre Nichte Maria Stuart, ermordet war der letzte Valois. Tot war Philipps bester Feldherr in Flandern und Frankreich, der Neffe Alexander Farnese; wie gewöhnlich sagten die Ketzer im Norden, König Philipp habe den Neffen vergiftet, weil Alexander Farnese zu gross ward. „Das sagen sie immer", erklarte laut der König seiner Tochter. Klara Eugenia sah den Vater liebreich an. Er war streng und gross. Taglich sass sie viele Stunden bei ihm in seinem Kabinett, sie las die Bittschriften für ihn, sie streute Sand über seinen Namen, wie einst die österreicherin. Die Tochter war der Geheimschreiber des Königs. Philipp hatte alle Welt zu Schreibern machen wollen. Er trennte sich nie von der Tochter. Die jüngere, die krummschultrige, hatte er bald weggegeben, an Karl von Savoyen, da gebar sie Tochter, jedes Jahr eine, da war sie gestorben, nach dem neunten Kind. Nun hatte Philipp nur einen Sohn noch, den schwachlichen Felipe, nur eine Tochter noch, die geliebte Klara Eugenia. In die Klöster nahm er sie mit, für eine Woche, für zwei Wochen; ohne Dame und Duena ging die Infantin mit dem Vater in die Wohnung der Mönche. Zuweilen, in der Nacht, ging Philipp ins Schlafzimmer seiner Tochter und weckte sie, um ihr eine grosse Nachricht zu geben. Philipp schlief nicht mehr so lange wie in seiner Jugend. Er schrieb die halben Nachte und las, und betete, bis die grauenden Finger der Frühe über seine brennenden Augen strichen. Klara Eugenia sah ihren Vater liebreich an. Oft sprach er laut einen Satz, der kam von weither, oft murmelte er nur Wortfetzen wie ein traumendes Kind. Der König spürte den zartlichen Bliek der Tochter wie einen linden Vorwurf. Er nahm den Finger von Frankreich fort. „Töchterchen", sagte er, „ich gebe dir einen Mann." Der Alte lachelte schalkhaft. Auch Klara Eugenia lachelte. Sie liebte die prachtigen Kleider, die satten, vollen Farben, tiefes Blau, dunkles Rot, schweres, samtenes Grün. Sie war noch hübsch mit ihren dreissig Jahren. Siebzehn Jahre lang hatte ihr Vetter, der Kaiser Rudolf, um ihre Hand gefreit und nie sich gebunden. Mit Sorge sah Klara Eugenia ihre Jahre sich haufen, sechsundzwanzig, achtundzwanzig, schon war sie dreissig. „Nein", sagte sie zu ihrem Vater. „Ich werde nicht Kaiserin." „Du wirst Königin von Frankreich", versprach ihr Philipp. „Bist du nicht zur Halfte eine Valois? Deine Mutter Elisabeth war mir die liebste von meinen Weibern allen." Philipp stockte und dachte nach. „Von allen", sagte er zögernd. Dachte er an Anna Mendoza, die Fürstin Eboli? Nie kam ihr Name über seinen Mund. „Ich gebe dir einen Erzherzog", versprach Philipp seiner Tochter. „Willst du den Ernst oder den Albert?" „Albert ist Kardinal", erklarte mit strenger Freundlichkeit Klara Eugenia, „und die Leute sagen, er kann nicht. Und Ernst ist ein Saufer, ein Spieier." „Also Albert", entschied Philipp. „Der Papst gibt den Dispens, und Albert wird Generalstatthalter der Niederlande. Und wenn Felipe stürbe ..." Philipp schwieg, sie gingen weiter durch die Sale des Escorial. Sie kamen in die Sakristei, sie gingen durch den Chor der Kirche, sie stiegen in den Patio de los Reyes, den Hof der Könige, heraf und standen unter dem mittleren Tor, zwischen den hohen, runden Saulen. Die Tauben gurrten in der Sonne. Philipp war nicht zufrieden mit seinem einzigen Sohn Felipe. Der Knabe war neunzehn Jahre alt, hasslich, schwachlich, dumm und fügsam. Philipp hatte ihn von Weibern erziehen lassen; er verbot ihm, die Gemacher seiner Schwester Klara Eugenia zu betreten; die Geschwister durf ten nie ohne Zeugen miteinander reden. „Zu der Gnade, mir ein so grosses Reich zu geben, hat Gott die andere, mir einen Nachfolger zu schenken, verweigert. Ich habe nur einen Erben." Klara Eugenia sah mit Schrecken und Jammer, dass ihr Vater weinte. Die Tranen rannen so mühselig langsam sein zerfurchtes Antlitz herunter, so lange schwebten sie in den Rinnen der Wangen, als Tautropfen glanzten sie im Moos seines Bartes. „Keiner", flüsterte die Tochter, „ist dem König Philipp gleich." „Töchterchen", sprach zartlich der Vater und hob ein wenig linkisch die gichtische Hand und fuhr sachte über den tiefblauen Samtarmel Eugenias. Die Tauben gurrten im gleissenden Licht, der blaue Frühlingshimmel lachte. König Philipp schritt feierlich langsam mit seiner Lieblingstochter Klara Eugenia durch die schimmernden Sale des Escorial, sein Haus, sein Kloster, sein Pantheon und sein Monument vor den Jahrhunderten. „Ich habe es gebaut, dass es dauern soll", sagte Philipp zu seiner Tochter. „Alle wahre Schönheit und Grosse meiner Zeit habe ich hineingetan und aufgerichtet zum Lobpreis Gottes und zum Gedachtnis den Menschen." Sie gingen ins Pantheon de los Reyes, ins Grabmal der toten Könige. Siebzehn Sarge hatte König Philipp um sich versammelt, seine Ahnen und Weiber und Kinder. Übereinander zu Vieren standen die Sarge. In der Ecke hing Christus am Kreuz. Langsam liess Philipp sein Auge von Sarg zu Sarg schweifen, bei jedem nannte er halblaut den Namen, da war sein Vater, Kaiser Karl der Fünfte. Da war sein Bruder, der Bastard Don Juan d'Austria. Darunter lag sein altester Sohn Don Carlos. Da lag Maria aus Portugal, da Elisabeth von Frankreich, da schlief die Österreicherin Anna. Die Englanderin fehlte, Marie schlummerte in London. König Philipp ging zum Panteón de Parvulos, da ruhten die Kinder, rundum in einem Riesensarkophag. Philipp sprach die Namen, er wusste sie noch alle und weinte. So leicht flossen ihm die hellen, schimmernden Tranen, König Philipp liebte seine Toten. Der Tod war sein Bruder. Der König stand lange nachdenklich. Schweigend stand seine Tochter bei ihm. Plötzlich schrak der König auf. „Die Akten", sagte er, „die Papiere." Sie gingen ins Ka- binett. Philipp setzte sich in seinen bequemen Stuhl. Klara Eugenia sass bei ihm. Die erste, eilige Depesche, die sie ergriff, um sie dem Vater vorzulesen, wollte sie wieder zurücklegen. Ihre Hande zitterten. Klara Eugenia liess die Depesche zu Boden fallen. Der Greis bückte sich und hob achzend die Depesche auf. Sie war vom spanischen Gesandten in Paris, dem jungen Herzog Feria, dem Sohn der Englanderin. Feria schrieb an den Minister Moura: ,Die Liga zwischen den grossen Feinden Spaniens, Elisabeth von England und Heinrich dem Vierten von Frankreich, wird morgen oder übermorgen geschlossen, sie ist offensiv und defensiv gegen Spanien gerichtet. Alle Feinde Spaniens sind aufgefordert, beizutreten. Die Staaten von Holland haben schon wissen lassen, dass sie beitreten. Moritz von Sachsen, dieser empörerische Sohn des Erzrebellen Wilhelm von Oranien, soll, sagt man, Tranen der Freude iiber diese Liga weinen. Unterrichtete bestatigen den Verdacht Sr. Majestat, dass der Rebell Perez der geistige Vater dieser Liga ist, gemacht um König Philipp und das spanische Reich zu verderben. Antonio Perez hat zu London, da er als Gast im Haus des Grafen Essex war, diesen gottlosen Buhlen der Königin Elisabeth verzaubert, diesen Essex, der vor allen englischen Pairs Frankreichs glühender Freund ist. Im Hause dieses Grafen Essex ward der Plan zur Liga geboren. Es ist derselbe Essex, der auf des Antonio Perez Rat mit sechzig Schiffen unsere schone Stadt Cadix, die Silbertasse Spaniens, leergeplündert, unsere Schiffe vernichtet, die Stadt angezündet und zehntausend Frauen und Kinder hungernd auf die Strassen Andalusiens trieb, dass die edelsten, reichsten Spanierinnen nackt und bloss, gleich den verfluchten Moriskenweibern aus Granada, nach Norden zogen, weinend, Vertriebene. Es ist derselbe Essex, der den sogenannten König Anton von Portugal mit siebzig Schiffen nach Portugal fuhr, um unser neues Reich uns wegzunehmen, und sich begnügen musste, unsern Hafen La Coruna leerzuplündern. Es ist derselbe Essex, der Lauten- spieier und schmucke Tanzer, der die eigene Frau toten liess, um Elisabeth zu heiraten und König von England zu werden. Diesen Menschen verzauberte der Rebell Antonio Perez, der am Londoner Hofe und bei der Königin von England dieselbe unbegreifliche, ungeheure Gunst geniesst wie bei dem Béarnesen, dem sogenannten König Heinrich dem Vierten von Frankreich. Unserm Geheimagenten 69 ist es geglückt, eine Abschrift des Staatsvertrages zu erlangen, den ,Henri Quatre' mit Perez abschloss, als ware diese fortgelaufene Kreatur Philipps eine Grossmacht. Dieser Perez wird, falls seine Frau Juana Coello stürbe, Kardinal von Frankreich. (Spanien hat also Interesse, diese Coello, die mit ihren Kindern im Turm zu Pintos sitzt, am Leben zu erhalten.) Dieser Perez erhalt ein Haus zu Paris und vor das Haus gestellt, zur ewigen Bewachung gegen die vom König Philipp zahlreich ausgesandten Mörder (so steht es wörtlich da!), zwei Schweizer Garden. Perez wird Staatsrat des sogenannten Königs Henri Quatre, mit viertausend Dukaten im Jahr. Bei etwaigem Friedensschluss mit Spanien soll Perez im Vertrag enthalten sein, sein Weib, seine Kinder, seine Güter werden ihm auszuliefern sein. Wenn man bedenkt, dass dieser Mensch seinen Freund Escovedo gemeuchelt hat, dass ihn die Inquisition zu Saragossa in effigie verbrannt hat, dass er ein Verrater ist, der Aragon in den Aufstand getrieben und Spanien entflammt hat, der in Béarn, wohin er feige aus den Handen der Inquisition geflüchtet, spanische Emigranten um sich sammelte, um dem Béarnesen zuliebe Navarra uns zu entreissen, und Aragon, Katalonien und Valencia zu erobern, um, wie er sagt, eine Volksrepublik zu gründen, wie man aber genau weiss, nach Kenntnis seines Herzens, sich kronen zu lassen als König Antonio aus dem Hause Perez, wenn man bedenkt, dass dieser Pamphletenschreiber und Buchverfasser mit seinen Memoiren den König Philipp, Spanien, die heilige Inquisition vor den schadenfrohen Augen von ganz Europa durch den Schmutz zog, Philipps Staatsgeheimnisse über Europa ausstreuend, um ihn lacherlich zu machen, wenn man bedenkt, dass dieser Perez ein Page im Haus des Pagen Ruy Gomez war, wenn man bedenkt, dass König Philipp ihn für eine Weile zum machtigsten Mann von Spanien gemacht und ihm vertraut hat, und er ihn auf jede Art verriet, sogar mit jener unseligen Anna Mendoza, die erblindend ihre Schuld im Kerker büsste, indes der wahre Schuldige entfloh und an den ersten Höfen Europas ein üppiges Weltleben führt, und wenn man sieht, dass diesen Teufelsbraten Perez die öffentliche Meinung in Europa bewundert, als einen Martyrer, als einen Mann, der allein einem Weltreich und einem sogenannten Tyrannen, unserm König, Philipp dem Guten, die Stirne bot und nach dreizehn Jahren, verbracht im Kerker Philipps, ihm fast von gleich zu gleich begegnet, — dann, lieber Freund Don Christoph, dann ist man geneigt, nie wieder ins Theater zu gehn, nie wieder die Tiraden von Komödianten zu bewundern, die mit pappenen Kronen Könige mimen, dann halt man die ganze Erde für ein Theater, das ganze Menschenleben für eine billige Komödie, ein blasses Plagiat, angefertigt von stümperischen Kopisten, dann glaubt man, in der Loge zu sitzen, und lacht über den Sturz der Grossen und den Stolz der Machtigen, dann möchte man an dieser Welt verzweifeln. Doch zum Glück, Don Christoph, zu unserm Glück lebt König Philipp noch (Gott schenke ihm hundert Jahre und bessere Gesundheit); noch, sage ich, lebt der Stellvertreter des höchsten Richters in unserer Mitte, ein höchst strenger und höchst gerechter Richter, Philipp der Kluge, und wir dürfen uns glücklich preisen, Spanier zu sein, und in Spanien zu leben, wo solche Possen wie anderwarts unmöglich sind. Adieu. Gegeben zu Paris. Ich der Herzog Feria.' Philipp hatte ruhig gelesen. Schweigend gab er die Depesche seiner Tochter und begann zu schreiben. Er unterschrieb verschiedene Befehle und Akten, die in die Koloniën gingen, nach Peru und Angola. Aber statt seiner gewöhnlichen Unterschrift; ,Ich der König', schrieb Philipp unter jeden Akt: ,Ich der Tod!' und reichte das Papier wie gewohnt seiner Tochter. Ergrausend las die Infantin die neue Unterschrift. Philipp reichte ihr das zweite Blatt. ,Der Tod!' stand unterschrieben. Auf dem dritten Blatt lautete die Unterschrift: ,Der Tod!' Bei dem siebenten Blatt erst wagte die Tochter dem Vater den letzten Akt wieder hinzulegen. Ohne aufzublicken, sah er ihn an, las ihn ruhig mehrmals und genau von oben bis unten und war erstaunt und reichte das Blatt seiner Tochter hin. Sie nahm es nicht und sagte: „Die Unterschrift." Da las Philipp statt ,Ich der König', die Worte ,der Tod', und seine Tochter wies ihm die vorigen sechs Blatter und Philipp erschrak und erklarte: „Der Tod für Perez. Ich will ihn töten. Er soll endlich tot sein. Wie lange noch soll ein einzelner Mensch, ein Niemand, den ich dreizehn Jahre in Ketten hielt, mir entgegentreten ? Mein Skiave wollte der König von Aragon, Valencia und Katalonien werden, König Antonio, König Perez. Wollen alle meine Untertanen Könige werden? Der Wilhelm stahl mir Holland, ich tötete ihn dafür; der Antonio Perez will mir Aragon stehlen? Ich werde ihn töten! Er will mich und Spanien verderben? Ich töte ihn, Töchterchen. Und müsste ich alle Mörder der Welt bezahlen. Ich töte ihn. Ich finde ihn. Ich renne ihm nach. Ich laufe. Geht er nach Paris? Da bin ich. Flieht er nach London? Da bin ich. Mischt er sich unter die Rebellen von Holland, diese bösen Leute, die sich losreissen wollen von meiner süssen Herrschaft, aus meinem gerechten Reich, Perez in Amsterdam? Da bin ich; Philipp! Ich der König hetze dich, Antonio. Ich der König. Ich der Tod." Philipp keuchte. Seine Tochter kniete vor ihm und umschlang seine Füsse und weinte und küsste zartlich seine Hande und stammelte: „Vater! Lieber Vater!" „Was hast du?" fragte erstaunt der königliche Greis, plötzlich ganz ruhig wie gewöhnlich, sein kleines, gefaltetes, rotes, trockenes Gesicht atmete Majestat. „Was fehlt dir, mein Kind?" fragte der Vater ruhig. Klara Eugenia schamte sich, erhob sich, strich über ihr zerknittertes Kleid, setzte sich neben den Vater. Der König sammelte die sieben falsch unterschriebenen Akten, klingelte dem Kabinettsekretar und befahl, die sieben Kolonialakten nochmals zu schreiben. Da der Sekretar schon an der Tür war, rief ihn der König zurück. „Sogleich", befahl er, „die Handakten über die Aktionen zur Erledigung des Rebellen Perez." Und der König wandte sich zur Infantin und fasste ihre Hand liebreich und sagte seufzend: „Nur Geduld, Töchterchen. Ich lebe noch. Da sagen sie, ich sei müde. Ich wolle abdanken. Warum? Das Jahrhundert ist müde und neigt sich seinem Ende zu, noch zwei, noch drei Jahre. Ich will es überleben. Ich werde siegen. Nur die Elemente, nur Abtrünnige, die mir die eigenen Waffen stahlen, widerstrebten mir. Aber du wirst eine Königskrone haben. Erst wollte ich dir England erobern. Maria Stuart schrieb mir, sie mache mich zu ihrem Erben, Elisabeth mordete sie darum, ich vergoss eine Trane, und baute eine Flotte, wie die Welt noch keine sah, und hiess sie die Unbesiegliche Armada und schickte sie aus, um England zu erobern, da kamen Meer und Winde und stiessen meine Plane um. ,Gegen Menschen schickte ich Sie aus', sagte ich zu Sidonia, ,nicht gegen Meer und Winde.' Und rüstete eine zweite Flotte, und der Sturm zerstob sie. Kein Spanier war schuld. Wer schuf der Schiffahrt Grosse? Wir Spanier haben die unbekannten Reiche entdeckt und die Erde gross gemacht. Wir werden die ganze Erde haben und regieren. Weinst du um England? Wir werden es erobern. Lass mich erst Frankreich haben. Fürchtest du die Liga? Gott ist mit uns! Jene sind Ketzer. Nur der Wind wehte meine Absicht hinweg, nur das Meer vermag sie zu schlingen. Die Elemente kampfen gegen mich. Aber die Zeit ist meine Freundin. Ich werde auch die Elemente regieren. Empfing ich nicht den Tod wie einen Bruder? Baute ich ihm nicht dieses Haus? Meine abtrünnigen Diener haben von mir gelernt, mich zu verwunden? Dieser Wilhelm Oranien, der Lieblingsschüler meines Vaters Karl, der ihn unterrichtete, wie man die Menschen regiert, und dieser Antonio Perez, der im Staube zu meinen Füssen mehr Glanz besass als jetzt, da er nach Kronen greift und Königreiche gegen mich verbündet, sie konnten mich eine kleine Weile aufhalten, der entwendet mir heuchlerisch sieben Provinzen, jener kreuzt verraterisch meine heiligsten Absichten, was tut's? Ich werde dennoch England und Frankreich und Holland haben. Schliessen sie eine Liga, was tut's? So schlage ich sie zugleich. Um so besser! So schliesst das sechzehnte Jahrhundert glücklich. Das neue Jahrhundert wird glücklicher sein. Geeint durch mich wird diese Erde, soweit Christen auf ihr wohnen, mir und meinen Kindern dienen. Wer sonst sollte sie retten? Die Welt wird Philipp gehören. Die Menschen sollen mich lieben. Mein Reich wird kommen." König Philipp schwieg. Seine geröteten Augen glühten, im Fieber. Liebreich betrachtete die Infantin den königlichen Greis. Er haben war der Vater, ein Prophet gleich Ezechiel, ein guter König. Als der Sekretar die Akten herbeitrug, begann der König zu lesen. Seiner Tochter schien, er sitze wie der König Salomon da, ein grosser König, ein weiser Greis, ein gerechter Richter. Philipp las langsam und sorgfaltig die Berichte seiner Geheimagenten über ihre Mordversuche gegen Perez, diesen Einzelnen, dieses vermessene Individuum. König Philipp liebte die Menschen im allgemeinen und in grossen Massen. Der Einzelne erschien ihm furchtbar. König Philipp unterbrach seine Lektüre. „Schreibe es auf, Töchterchen. Ich will es mir merken. Der Einzelne ist gefahrlich. Man muss den Einzelnen töten. Die Völker widerstehn nicht der Macht von uns Königen. Nur der Einzelne widersteht uns. Da ist unsere Grenze. Schreibe es auf! Es ist gut, die Weisheit des Alters aufzuschreiben. Zufrieden bin ich alt geworden. Ich habe ein gutes Gewissen. Und Gott liebt mich. Ich habe die Menschen nach ihrem Wert regiert. Ich der König." INHALT ERSTES BUCH: DIE REISE NACH ENG- LAND 5 Marie 7 Der Sohn des Kaisers 17 Die Hochzeitsnacht 34 Der Preis 36 Wilhelm von Oranien 42 Elisabeth 47 Abschied von England 54 ZWEITES BUCH: KAISER KARL DER FÜNFTE 63 Die Abdankung 65 Die Narren 72 Abschied vom Kaiser 85 Der Fluch 89 Bruder Karl 91 Der Grossinquisitor 104 Ich sah die Toten 109 Die Schreiber 120 Der Tod des Kaisers 134 Die Totenfeier 156 DRITTES BUCH: DER SPITZENKRAGEN . . 163 Die Generalstaaten 165 Das Gartenfest 168 Der Spitzenkragen 178 Sturm 181 Der Schiffbrüchige 184 VIERTES BUCH: DON CARLOS UND DON JUAN 189 Die Ohrfeige 19! Die Stiche j 99 Ein einfaltiges Leben 201 lm Kabinett 222 Die jungen Leute 229 Elisabeth 231 Der arme Fuchs 236 Der Escorial 240 Briefe um die Niederlande 240 Die Tuchweber und die Töchter 269 Besuch in Bayonne 273 lU%en 282 Neue Briefe um die Niederlande 285 Mit sechs Pferden 3qq Die Liebesnacht 314 AnSst 316 Der Emigrant 3]9 Der Herzog Alba 330 Der Lebensspieler Das Gestandnis 374 Der Thron zu Antwerpen 377 lm Rat der Mörder 333 Das heimliche Gericht 336 Die armen Morisken FÜNFTES BUCH: DAS GUTEGEWISSEN ... 411 Die Österreicherin 413 Der Neffe aus Portugal 453 Der Prozess Perez 465 Die Schulfreunde 494 Die beiden Annen 502 lm Namen des Volkes 520 Die Komödie 528 Onkel Martin 534 Aufstand in Aragon 539 Die Grenze 546 VON HERMANN KESTEN erschien: JOSEF SUCHT DIE FREIHEIT — Roman 1928 — Berlin EIN AUSSCHWEIFENDER MENSCH —Roman 1929 — Berlin DIE LIEBES-EHE — Novellen 1929 — Berlin GLÜCKLICHE MENSCHEN — Roman 1931 — Berlin DER SCHARLATAN — Roman 1932 — Berlin DER GERECHTE — Roman 1934 — Allert de Lange, Amsterdam FERDINAND UND ISABELLA — Roman 1936 — Allert de Lange, Amsterdam