NOCH EINMAL B I O LOG IS( II !•: STUDI IC N M. C. PIEPERS, I Pr. jur. utr. IBUCIIII ANDl.lNG l SP PKUCKüKI I VIIHMAI.S E. J. BRILL. — LEIDEN. f c M m NOCH EIXMAL MIMICRY, SELEKTION, DARflISMÜS. BIOLOGISCHE STUDIËN VON M. C. PIEPERS, Dr. jur. utr. BUCHHANDLUNG UND DRUCKEREI VOKMALS E. J. BRILL. — LEIDEN. '9°7- DRUCKEREI vormals E. (. RRII.L. — Leiden. INHALTSVERZEICHNIS. Seite Einleitung l I. KRITIK UND ANTIKRITIK 3 Das wissenschaftliche Duell 8 Sidney S. Hickson II Prof. Dr. Hugo de Vries 13 Die Insekten-Börse 14 Johannes Schilde 15 E. Wasmann. S. J 19 Prof. Dr. L. Kathariner 32 Prof. Dr. P. O. Ch. Aurivillius 51 E. Wasmann. S. J 55 H. Schmitz. S. J 69 Dr. W. Schoenicken 106 Dr. Chr. Schröder 108 I. Röber 121 Prof. Dr. Ludwig Plate 132 II. ERGANZUNGEN UND ERKLARUNGEN- • • • M' MIMICRY 141 FARBENEVOLUTION 166 EINFLUSS DES LICHTES 206 DAS GEBIET DER BOTANIK 222 NATURSELEKTION UND RAMPF UMS DASEIN 229 DIE TIERSEELE 248 VARIABILITAT 289 SELBSTANDIGEEVOLUTIONDERORGANISMUSEINHEITEN 329 III. DAS STUDIUM DER BIOLOGIE ALS SELB- STANDIGE WISSENSCHAFT UND DER VITALISMUS 341 DIE FORDERUNGEN DER BIOLOGISCHEN WISSENSCHAFT 341 DAS WESEN DES EVOLUTIONELLEN UMWANDLUNGS- PROZESSES 369 DAS EXPERIMENT 387 DIE IDENTITAT DER PHYSISCHEN UND DER PSYCHISCHEN EVOLUTION 398 VITALISMUS 401 NACHWORT 476 INHALTSVERZEICHNIS. / \\ Mein im Jahre 1903 erschienenes Werk Mimicry, Selektion, Darwinismus, bildete den ersten Schritt zu der Ausführung eines grossen, seit Jahren von mir entworfenen Planes, zu dessen Ausführung mir bis jetzt die Zeit gefehlt hatte. Es erschien mir iiberdies notwendig einige damit zusammenhangende Studiën vorher auszuarbeiten und zu veröffentlichen. Seitdem habe ich auch noch durch die Veröfifentlichung einer Arbeit auf juridischem Gebiete, namlich meiner „Etudes sur la rèforme du droit" '), versucht die Ausführung dieses Planes zu fördern. In dem Vorwort dazu setzte ich die Genesis und den Zvveck der Arbeit auseinander; ich beabsichtigte damit eine meiner Ansicht nach ausserst notwendige Reform der unsere jetzige Gesellschaft beherrschenden Begrifie von Recht und von allem, was damit in moralischer und sozialer Hinsicht zusammenhangt, in Angriff zu nehmen und zwar durch Anwendung dessen, was uns die Evolutionslehre in biologischer Hinsicht gelehrt hat, auf den Menschen und seine Gesellschaft. Aber selbstverstandlich will ich dabei mich auf das stützen, was wir als wirkliche Ergebnisse der Wissenschaft betrachten müssen; darum geht mein Streben auch und zwar an erster Stelle auf eine Reform der biologische Wissenschaft, die ich von den vielen entweder an sich unrichtigen oder nur auf Phantasie, und also nicht auf wirklich wissenschaftlichen Resultaten beruhenden Ansichten und Lehrsatzen zu reinigen versuchen möchte, die jetzt in ilir eine überwiegende Rolle spielen und sie darum falschen. Nun sind seit der Ausgabe von M. S. D. mehrere Schriften erschienen, die entweder eine Kritik der darin ausgesprochenen Ansichten enthalten sollen — von den Hunderten von Tatsachen, die ich zur Begründung dieser Ansichten anführte, 1) Librairie de la Société du reciteil I. B. Sirey et du journal du Paf ais, Paris igoj. ist aber keine einzige widerlegt — oder sich zwar auf diese Ansichten beziehen, jedoch ruhig zu dem „Geschrei der Böotier" gerechnet werden dürfen. Andrerseits sind Tatsachen veröffentlicht und Meinungen ausgesprochen worden, die dasjenige, was ich damals angeführt habe, naher beleuchten und bisweilen schlagend bestatigen. Weiter haben auch meine Gedanken iiber den von mir behandelten Gegenstand nicht stillgestanden. Es scheint mir daher erwünscht jetzt erstens die in Frage kommenden Schriften einer Kritik zu unterziehen, dann weiter die Begründung meiner Lehrsatze zu kraftigen, indem ich diese spatern Arbeiten für die meinigen verwerte, und endlich in diesem Zusammenhang meine Ansichten des naheren auseinanderzusetzen. Die dabei beabsichtigte Rekapitulation der Arbeit anderer ist unentbehrlich, da ja die meisten Schriftsteller auf biologischem Gebiete der frühern Literatur über ihren Stofïf nur wenig Rechnung zu tragen pflegen. Sie studieren im allgemeinen nur einige der bekanntesten Schriften, die doch keineswegs immer ain höchsten stehen. Sind sie doch nicht selten nur darum am bekanntesten geworden, weil eine besondere Mode-Auffassung in ihnen in den Vordergrund tritt; aber dann bringt die Sache selbst es mit sich, dass wir darin eine grosse Einseitigkeit erwarten dürfen. Nicht wenige aber lassen sich hierdurch überzeugen. Denn auch auf wissenschaftlichem Gebiete spielt die Mode eine grosse Rolle und daneben in nicht geringerm Masse die in unsrer Zeit sich überall breit machende Reklame und Marktschreierei. Neuerdings noch wies Giard ') mit Recht darauf hin, dass, als zu ihrer Zeit CuviER und E. Geoffroy Saint-HilairE ihren damals viel Aufsehen erregenden Streit fiihrten, sie beide nicht bemerkten, welch weit grössere wissenschaftliche Bedeutung dieser Streit gewonnen hatte, wenn sie dabei die Ideen berücksichtigt hatten, die Lamarck damals schon 20 Jahre lang inmitten einer allgemeinen Gleichgültigkeit sowohl der Naturforscher, wie der Philosophen verteidigte. In andern Wissenschaften wird in allgemeinen weit mehr die i) Les tendances actuclles de la morpho/ogie et ses rappor ts avec les au tres scieuces, par Alfked Giard. (Revue scientifique (Revue rose) 4 Fevrier 1905J. bestehende Literatur berücksichtigt, als bei den Biologen, und das kommt dem Fortschritt zu gute. Jene falsche Gewohnheit steht wohl im Zusammenhang mit dem Mangel an „logischer Schulung" und „philosophischer Bildung", worüber ich in M. S. D. schon geklagt habe, und worauf, wie ich sehe, auch Dr. H. Driesch in seinem YVerke: y»Die Seele als elementarer Naturfa/ctor"') hingevviesen hat. Vielen Beifall habe ich übrigens natürlich noch nicht gefunden. Das ist aber immer der Fall, wenn man gegen die herrschenden Ideen auftritt, die ja auf jedem Gebiete von vornherein die Menge auf ihrer Seite haben. Aus einem Aufsatz des französischen Akademikers Gaston Bonnier 2) ersah ich vor kurzem, dass dieser Gelehrte schon vor vielen Jahren die Theorie der Blumenfarben als Lockmittel für Insekten, gegen die auch ich Einspruch erhoben habe, in seinen Theses bestritten hat. Als nun seine „Mémoire" über die Nectarien erschien, in welcher er diese Meinung veröffentlichte, musste er sich besonders von deutschen Gelehrten zahlreiche Beschimpfungen gefallen lassen, wahrend in der Revue scientifique ein anonymer Artikel erschien, in dem man ihn abschlachtete, ohne dass der Verfasser auch nur eine einzige Beobachtung oder ein einziges Experiment anführte, das den Wahrnehmungen jenes Gelehrten widersprochen hatte. Er beschwerte sich dann bei dem Direktor dieser Revue, der ihm kurz antvvortete: „Sie greifen eine Theorie an, welche Darvvin verteidigt. Sie gehören also nicht zu uns, das genügt". Dieser Vorfall erinnert in der Tat stark an meinen Fall. So bemerkt auch haeckel, dass die Theorie der Epigenesis welche Kaspar Friederich Wolff schon im Jahre 1759 verfocht, 5oJahre lang nicht die geringste Anerkennung fand, obgleich sie weit richtiger als die damals herrschenden Ideen war. lamarck erging es gerade so. Sogar Darwin, obgleich er das Gliick hatte, günstigere Zeitumstande anzutreffen, fand in den ersten 8 Jahren nur wenig Zustimmung. Das erste, was Haeckel — im Jahre 1860 — von Darwins im vorhergehenden 1) Leipzig. /goj. 2) Etitre abeilles et fleurs. ('La Revue, zj ilée. /goj). Jahre erschienenen Hauptwerke vernahm, war, dass „ein merkwürdiges Buch eines verrückten Englanders grosses Aufsehen erregt habe", und bald bemerkte er, „dass fast alle Berliner Gelehrten in der Verurteilung der darin geausserten Ansichten einig seien". Von Herbert Spencers erstem Werk über soziale Statistik, von welchem 750 Exemplare gedruckt waren, hat man erst in 14 Jahren die erste Auflage verkaufen können; die 600 Exemplare seiner Principles of Psycliology brauchten dazu 12 und die 500 Exemplare seiner Essays 10 Jahre. Und wenn dann auch das Publikum eininal von seinen Schriften Kenntnis nahm, so bestritt man ihn heftig. Aber darum war Herbert Spencer doch nicht unbedeutend. In Anbetracht solcher Beispiele glaube ich also dem Umstand dass meine Betrachtungen so geringen Beifall gefunden haben, vor der Hand noch nicht zu viel Wert beilegen zu brauchen. Die Dummheit muss erst ein wenig austoben. Prof. Dr. E. D. Behring '), aussert sich über seine Erfahrung auf diesem Gebiete folgendermassen: „Es ist leicht begreiflich, dass eine derartige Lehre, die tief eingewurzelte Ideen und Dogmen als irrig hinstellte und viele wissenschaftliche Autoritaten ersten Ranges vor den Kopf stiess, heftigen Widerstand fand". Auch sei es nur bestimmten practischen Folgen zuzuschreiben, erklart er dann weiter, dass seine Einsicht nichtsdestoweniger zur allgemeinen Anerkennung gekommen sei. Als es aber einmal so weit war, da wollte ein jeder sie entdeckt haben, wenigstens teilweise! Ach, auch die Gelehrtenwelt giebt wahrlich hinreichenden Stoff zum Lachen! War also das persönliche Einverstandnis gering, über den sachlichen Erfolg meiner Arbeit — und dieser ist es allein, der mich interessiert — habe ich alle Ursache zur Zufriedenheit. Am Schlusse dieses Werkes werde ich versuchen, das naher auszuführen. In drei Teilen werde ich also besprechen, was ich jetzt über 1) Immuniteit. (.Deutsche Revue Jan. igoj"). diesen Gegenstand mitzuteilen wünsche. Erst werde ich mich bemühen das Negative zu behandeln, namlich die Nichtigkeit der auf mich gerichteten Angriffe darzulegen. Dann hoffe ich die Tatsachen zu besprechen, die positiv das von mir Angeführte bestatigen oder mindestens einleuchtender machen. Endlich hoffe ich dann meine eigenen Ansichten noch naher auseinanderzusetzen, und will ich dann auch versuchen den Weg einigermassen anzudeuten, der meines Krachtens zu der beabsichtigten Reform fiihren kann. I. KRITIK UND ANTIKRITIK. Ich werde also mit der Kritik iiber meine Arbeit anfangen und daneben auch die Schreierei gegen sie, insofern dies nötig scheinen sollte, besprechen. Halt es doch manchmal schwer, beides zu trennen. So beschwert sich z. B. Prof. Dr. Kathariner ') über das schlechte Deutsch, worin mein Werk geschrieben sei, und die vielen Sprachfehler und den sonderbaren Satzbau als die F olgen davon, und er schreibt dies dem Umstand zu, dass „der Verfasser die deutsche Sprache weniger gut, als er vielleicht selbst glaubt, handhabt". Nun, mit seiner Klage iiber das schlechte Deutsch dürfte es woh! seine Richtigheit haben; auch von andrer Seite kamen Beschwerden darüber mir zu Ohren. Bisvveilen aber auch von einer Seite, bei der ofïfenbar nur der Unwille eines fanatischen Darwinismus iiber meine Angrifife sich auf diese Weise gegen Sprache und Stil entlud. Auch lasst diese Klage sich wohl aus dem Umstand erklaren, der sich in einigen Recensionen und Bemerkungen sehr deutlich zeigt, dass namlich mancher Naturforscher mit den üblichen Betrachtungsweisen so verwachsen und auf den Gesichtskreis derselben so beschrankt ist, dass er nicht wenige der von mir angeführten und von den seinigen abweichenden Ansichten, wie auch die Gründe, worauf sie sich stützen, einfach nicht begreifen kann und das dann lieber der Unverstandlichkeit des Textes als dem Masse seiner Kenntnis oder der Kntwickelung seines Verstandes zugeschrieben haben wird. Auch wird dabei gewiss zu wenig beachtet i) I/isckten-Bursc 1904^ NO. /. — von dem spater zu nennen Kritiker H. SCHMITZ wird dies jedoch zugegeben — dass man an ein Werke, wie das in Rede stehcnde, welches ein Auslander geschricben hat und das durchaus kein literarisches Verdienst beansprucht, in dieser Hinsicht auch keine höhern Anforderungen stellen darf, als dass es die in demselben erörterten Tatsachen und ihre Ausdeutung, wie auch die daraus gezogenen wissenschaftlichen Schlussfolgerungen zur Genüge verstandlich mitteilt, was doch hier der Fall gewesen zu sein scheint; vielleicht muss man dann ctwas mehr Mühe darauf verwenden, aber Bequemlichkeit ist doch auf wissenschaftlichem Gebiete kein Verdienst. Man hüte sich doch vor dem in Deutschland noch mehr, als in Holland, und in beiden Landern zu oft vorkommenden „Schulmeistern". Doch, wie dem auch sei, wo nahm dieser Herr Professor das Recht her, auf solche VVeise mir das zum Vorwurf zu machen? Ich verstehe zwar gut Deutsch, aber würde es nicht wagen, ein Werk in dieser Sprache zu schreiben, was seine eigenen Beschwerden hat, da ja ein jeder in seiner eigenen Sprache denkt, und, wie Prof. Peabody in seiner in Berlin gehaltenen Abschiedsrede mit Recht sagte, ein jeder schon seine liebc Not hat, in seiner eigenen Sprache das Tiefste und Feinste sogar nur annaherungsweise auszudriicken, sodass dies ihm in einer fremden Sprache also nur ausnahmsweise gelingen wird. Ich habe darum mein hollandisch abgefasstes Manuscript von einem zwar nicht akademisch, aber doch gymnasial genügend gebildeten Deutschen übersetzen lassen, der sich erst seit 3 Jahren in Holland aufhielt und dort seitdem examinierter deutscher Lehrer geworden ist, und ich habe dafür mein gutes Geld bezahlt. Ich glaubte mich auf ihn verlassen zu können. Der Grund, aus welchem die Sache nun doch einigermassen schief gegangen ist, wird wohl in der aus der nahen Verwandtschaft der beiden Schwestersprachen sich erkliirenden und besonders in Nied. Ostindien wohl bekannten Tatsache zu suchen sein, dass ein Deutscher schon nach verhaltnismassig kurzem Aufenthalt in Holland oder einer niederlandischen Kolonie die beiden Sprachen miteinander verwirrt; mit Hollandern ist es umgekehrt gradeso der Fall; haufig findet man in niederlandischen Zeitungsblattern Briefe von Hollandern veröffeatlicht, die erst seit einigen Jahren in Deutschland wohnen und nun offenbar nicht mehr imstande sind einen hollandischen Brief zu schreiben, ohne denselben mit deutschen Wörtern und Satzbildung'en zu durchspicken, wobei sie ausserdem im Hollandischen noch grobe Fehler machen. Die Sache tut mir natürlich leid; nicht dafür opferte ich mein Geld. Auch beeintrachtigt es obendrein das von mir ins Auge gefasste Ziel. Es ist jedoch nicht meine Schuld. Ich halte es aber für nicht überflüssig, diese Geschichte luer zu Beginn meiner Besprechungen einmal mitzuteilen. Denn, wenn ich sehe in welch oberflachliche Weise man mir diese Beschuldigung an den Kopf wirft, so habe ich allen Grund zu fürchten, dass auch in wissenschaftlichen F ragen die Kritik sich einige Oberflachlichkeit könnte zu schulden kommen lassen. Und dann könnte sich auch, derselbe Fall bei dieser Schrift leicht wieder ereignen. Das wissenschaftliche Duell. Wie ich in der Einleitung zu meinen auf dem 5 en internationalen Zoologen-Kongress vorgetragenen Thesen iiber Mimicry erklarte, beabsichtigte ich durch dieselben ein wissenschaftliches Duell über diesen Gegenstand herauszufordern, um auf diese Weise wissenschaftliche Klarheit in die Sache zu bringen. Ich meinte namlich damit meine Reform-Versuche auf biologischem Gebiete anfangen zu miissen. Meine wissenschaftliche Herausforderung richtete sich also an jeden, der die Richtigkeit der Mimicrytheorie behaupten zu können meinte; mehr speziell richtete sie sich an Herrn E. Bagnall Poulton, Professor zu Oxford, der auf demselben Kongress nut seinem Vortrag „Mimicry and Natural Selektion" öffentlich als Vertreter dieser Theorie auftrat. Als ich mit diesem Herrn Bekanntschaft gemacht hatte, erklarte er sich denn auch mit einer solchen Behandlung der Sache ganz einverstanden und versprach mir seine Mitwirkung. Noch aber ist Herr Poulton seinem Versprechen nicht nachgekommen; bis jetzt hat er auf mein ihm zugeschicktes Werk weder geantwortet noch mir die Absicht dazu zu erkennen gegeben. Ich glaube also annehmen zu dürfen, dass er sich dazu nicht imstande fühlt, und den Kampfplatz geraumt hat. Allerdings durfte man von dort, aus dem Hauptquartier des englischen Darvvinismus, kaum viel Zustimmung erwarten. Die darwinistischen Anschauungen werden in England noch kraftig genahrt von dem auch da besonders stark entwickelten, in falsche Richtung gelenkten Nationalgefiihl, das anderswo als Chauvinismus, für England besonders aber als Jingoismus bezeichnet wird. So dürfte sich dort auch ein gewisser biologischer Jingoismus gebildet haben. Nicht ohne Grund wies ich auf S. 419 von M. S. D. daraufhin, dass man in England überall auf die darwinistischen Auffassungen stösst und dass dieselben dort auch besonders durch das nationale Bewusstsein gestützt werden, da ja dieses neue Evangelium der Menschheit in England geboren ist. Auch schon an andrer Stelle betonte ich, dass, wie jeder Araber sich etwas darauf zugute tut, dass er der Landsmann des grossen Propheten Mohammed ist, so auch der Englander es gerne annimmt, dass auch auf ihn einige Strahlen aus dem Lichtglanz des Propheten üarwin fallen. Man sehe nur z. b. wie auch Herr poulton seine Beurteilung des Werkes „ The foundations of Zoology" by wllliam keith brooks beendigt '): „ƒ/ is a peculiar pleasure to the British naturalist to find the üarwinian principle illustrated and defended zvith such reviarkable force und succes by a distinguished American zoologistAus diesem „peculiar pleasure to the British naturalist" zeigt sich nun meines Erachtens deutlich, wie ein krankhaftes Nationalgefiihl hier auf die Wissenschaft einwirkt. Was hat aber Wissenschaft mit Nationalitat zu schaffen? Sie ist doch über einen dadurch beschrankten Standpunkt erhaben. Aber, wie es viele giebt, die ihre religiösen Auffassungen nicht von denen auf wissenschaftlichem Gebiete zu trennen wissen, so ist dies auch bei nicht wenigen der Fall, was ihre nationalen Gefühle anbelangt, die für sie eine grösstenteils auf Glauben beruhende Art Religion und als solche nicht selten einen Götzendienst bilden. Man kann sich 1) Nature, iS Oct. 1900. also leicht denken, dass dieses vpeCuliar pleasure to the British naturalist" nicht besonders gross sein wird, wenn jetzt ein „Dutch naturalist', statt die darwinistische Auffassung zu verteidigen und zu verherrlichen, dieselben kraftie angreift. Dieser Standpunkt herrscht in England auf dem Gebiete der Biologie, wie die Staatskirche auf dem der Religion; freihch giebt es auch dort wohl noch Naturforscher mit selbstandigem Verstand, die auch die Wahrheit der darwinistische^ Lehren bezweifeln oder sogar verneinen — so verwarf auf dem im Juli 1904 gehaltenen Kongress der British Medical Association Herr S. Beard die darwinistischen Iheone der natürlichen Selektion, wie auch die Weismanns, mit den nachdrücklichsten Worten — aber solche Dissenter werden dort eben zurückgedrangt. Was die Mimicry und alles, was damit zusammenhangt, anbelangt so tritt der Darwinismus selbstverstandlich am starksten bei denjenigen auf die sich der Entomologie widmen. Sie sind in Grossbritannien sehr zahlreich vertreten und für sie ist obengenannte Zeitschrift, von welcher Prof. Poulton ein bedeutender Mitarist- ein Hauptorgan, in dem denn auch noch fortwahrend allermöglichen Wahrnehmungen über angebliche Mimicry anzutreffen sind. Diese Zeitschrift scheut sich nicht, sogar grobe heftige und ganz persönliche Angrifife mit Vergnügen aufzunehmen; ich habe dies schon vor etwa 6 Jahren anlasslich einer fruhern Studie durch einen mit den bekannten Initialen J. A. D. unterzeichneten Artikel') erfahren. Wenn aber der Angegriffene darauf antworten will, so ist kein Platz für ihn da eine Handlungsweise, die wirklich allen Regeln des Anstands spricht. Ein solches Benehmen ist in der so unehrlichen politischen Presse allerdings keine Seltenheit, aber darum in wissenschaftlichen Zeitschriften nicht weniger zu brandmarken. Denn die Unzuverlassigkeit, welche sich in ihm zeigt, wird sich dann natürlich auch auf Abhandlungen über wissenschaftliche Gegenstande ausdehnen, welche in einer solchen Zeitschrift erscheinen werden. Welchen Wert können diese aber haben, wenn mann ihren Verfassern nicht trauen kann ? 1) Evolution without Setection. Nature. 1544. Sidney S. Hickson. In n°. 1794 diescr Zeitschrift ist denn auch die einzige cnglische Besprechung meines Werks, soweit mir wenigstens bekannt ist, erschienen. Ihr Titel „Another Attack upon Darwittism" kennzeichnet auch schon deutlich die darin vorherschende Auffassung, als ob die etvvaige Herrschaft der darwinistischen Lehre der springende Punkt ware, und nicht die Frage, was in dieser Sache wissenschaftliche Wahrheit ist. Auch hierin erblicke ich wieder deutlich die Berechtigung des oben von mir angewandten Bildes von dem Verhalten der englischen Staatskirche gegenüber den Dissentern. Übrigens schlagt Herr sidney S. Hickson, von dessen Hand die Recension herrührt, durchaus nicht den verachtlichen Ton an, welcher den obenervvahnten frühern Angriff in derselben Zeitschrift kennzeichnete, obgleich er doch ofïfenbar über meine geringschiitzigen Ausserungen über den Darwinistischen Aberglauben und meinen Angriff auf die schadliche Autoritat darwinistischer Naturforscher, wie weismann, Wallace, Bates und poulton, und besonders auch über die Beurteilung einiger Eigentümlichkeiten des englischen Volkscharakters auf S. 397 meines Werkes sehr empört ist. I11 dem Punkte hat er gewiss unrecht. Nirgends habe ich diese Gelehrten persönlich angegriffen, weismann ausgenommen, aber auch ihn nicht, weil ich seine wissenschaftliche Ansicht nicht teile, sondern weil ich Einspruch erheben zu müssen glaubte gegen das ganz persönliche Moment unmoralischen Benehmes und Mangels an wissenschaftlicher Ehrlichkeit. In der schon o genannten Recension des Herrn Prof. Dr. L. kathariner macht dieser ') weismann denselben Vorwurf wegen einer derartigen Tatsache. Eine zu starke Selbstüberschatzung oder zu grosse Eigenliebe, bisweilen auch die krankhaft übertriebene Verehrung einiger Anhanger, haben nur zu oft die Neigung befördert, jeden kraftigen Widerspruch od.er Einwand als persönlichen Angriff zu betrachten, wenn er auch in der Tat ganz sachlich gehalten ist und derjenige, der in die Öffent- 1) Insekten-Börse 1904 S. ïg. Anm. lichkeit tritt, über keine öffentliche Beurteilung, wenn sie nur ehrlich und wahr ist, sich beschvveren darf. Nur die Frage: was ist in dem betreffenden Fall die Wahrheit? ist hier entscheidend, aber Herr h. scheint diese Frage für weniger wichtig zu halten. Und doch bestimmt sie das Mass fur das Erlaubte und Geziemende in meinem Benehmen. Denn ist es wahr, was ich behauptete, so erfullte ich nur eine Forderung der Wissenschaft, wenn ich auf diese bestehenden Unrichtigkeiten ernst und ohne Rücksicht der Person hinwies. ^ ichtige Interessen sind dabei im Spiele, von weit grösserer Bedeutung als persönliche oder nationale Empfindlichkeiten. Auch die psychologischen Faktoren, welche z. B. aus einer gewissen Volkseigentümlichkeit hervorgehen und also die Entstehung einer Irrlehre beeinflussen können, sind für die richtige Beurteilung eben dieser Lehre von Wichtigkeit, besonders von meinem Standpunkt aus. Ich glaube namlich, dass überall die Bedeutung des psychischen Elements mit Unrecht vernachlassigt wird, und dagegen glaube ich Protest erheben zu müssen. \ on grosser Bedeutung sind seine Bemerkungen übrigens nicht. Unglaublich findet er es zum Beispiel, dass ich, obgleich ich selbst sah, wie einer meiner Raupenjager einmal vor der Schlangenmimicry einer kleinen Raupe zurückschrack, trotzdem den Vorteil einer solchen Ahnlichkeit bezweifle. Aber kann denn Herr h. nicht cinsehen, dass ich durchaus nicht leugne, dass eine derartige Ahnlichkeit dann und wann w°hl e'n'gen Schutz gewahren kann, besonders gegenüber Menschen, die ja am meisten dennoch solch ein Tier toten ? Was ich aber leugne, ist, dass dies so bestandig und speziell gegenüber den natürlichen Feinden solcher Tiere der Fall sein soll, so dass dadurch die Annahme der darwinistischen Lehre der Mimicry unvermeidlich wiirde. Auch begreift Herr h. es nicht, dass ich Wasmann's Auffassung der zusammenlebenden Eciton-Ameisen und Mimeciton-Kafer — worüber spater nicht als einen unumstösslichen Beweis der Mimicry annehmen kann; nun, dieses Verstandnis kann ich ihm nicht geben. So ist es aber mit allem, was Herr h. anführt. Gewisse mimetische Ahnlichkeiten von in Ostindien wahrgenommenen Insekten, sagt er, seien mir unbekannt gevvesen, und von Poulton im Jahre 1899 erwahnte Angrifïfe von Vögeln auf die Puppen von Vanessa urlicae L. zeigten deutlich den ihnen durch ihre Farbe gewahrten Schutz, u. s. w. Genügende Beweise für meine Behauptungen führte ich nicht an. Kurz, man könne ruhig sein: die Theorien von Mimicry und Naturselektion blieben trotz der Kraft meincr Angrifïfe unersclnittert. Nun, es soll mir recht sein; für Glaubige, deren kritisches Vermogen nicht kraftiger entwickelt ist als das des Herrn H., sind jene Theorien gewiss unantastbar und wird jeder, der dieselben bestreitet, eine hoffnungslose Arbeit unternehmen. Es sind aber auch noch andere Leute da. Ich will übrigens es nicht unterlassen, hier auszusprechen, dass ich die gentlemanlike Bestreitung des Herrn H. zu schiitzen weiss, zumal sie mir auch den Beweis liefert, dass in England meine Arbeit wohl bekannt geworden ist. Herr H. hatte jedenfalls den Mut den hingeworfenen Handschuh aufzunehmen, und er tat dies auf eine Weise, welche gunstig absticht von der vieler anderer nachher zu nennen der Bestreiter, wie auch von dem frühern, oben schon erwahnten Angrifif, der in den Zeitschrift Nature von der Hand von S. A. D. veröfïfentlicht wurde. Prof, Pr. Hugo de Vries. Was nun weitere Beurteiler angeht, und zwar an erster Stelle solche, die das, was von mir in den Vordergrund gerückt und am ausführlichsten behandelt worden ist, namlich die Mimicry-Theorie besprechen, so darf ich eine kurze Besprechung meines Landsmanns, des bekannten Botanikers Prof. Dr. HUGO de Vries in der von ihm redigierten niederlandischen Zeitschrift „Album der Natur (1904) nicht ganz übergehen. Zwar ist sie mehr eine Ankündigung, als eine ausführliche Behandlung meiner Schrift, aber doch zeigt sich darin, dass auch dieser Gelehrte, wenn er auch, trotz seiner von dem Darwinismus abweichenden Mutationstheorie nicht nur ein Anhanger der Selektionslehre, sondern auch allerhand andrer darwinistischen Auffassungen ist, doch nicht eigentlich ein Verfechter der Mimicry-Theorie ist. So erinn ert er z. B. an die Ubereinstimmung, welche verschiedene Kletteroflanzen Schlingpflanzen und Lianen, wegen ihrer Lebensweise, und v e VVustenpflanzen, wegen ihres Wassermangels aufweisen Ebensowenig ist er ein Freund der Weismannschen Phantasie bezeichnet; er führt an dieser Stelle denn auch die VVorte eines gewissen französischen Schriftstellers an bezuglich des Schutzes gegen die Angrifïfe von Vögeln, welchen die Mimicry der Insekten gewahre: „II ne fant pas croire les oiseaux aussi bctes que semblent ètre certains humains Die Insekten-Börse. Eine wirklich anerkennende Betrachtung meiner Arbeit auf diesem Gebiete finde ich eigentlich allein in einer Kritik uber meinen auf S. 49 und 434 meines genannten Werkes schon im voraus erwahnten, seitdem im Jahrgang 1903 der „Dattschen hntowologischen Zeitschrift Iris eröfïfentlichten Artikel: Ueber die sogenannten „SchLnze" der Von diesem Aufsatz darf ich ohne Überhebung wohl behaupten — welch böotisches Geschrei Herr Röber dagegen auch, wie wir spater sehen werden, erheben möge — dass er etwas mehr auf diesem Gebiete bedeutet als die blosse darwinistische Phantasie, dass diese „Schwanze" nur dazu dienten urn die Vogel zu reizen in dieselben zu pieken und so den Korper des Schmetterlings gegen Schadigung zu schützen. Dagegen beweist meine Schrift sehr wohl, dass es möglich ist sich etwas eingehender mit dieser Frage zu beschaftigen. Und diese einzige Anerkennung fand ich noch ausschliesslich bei der Redaktion der Insekten-Börse in n°. 18 Jahrg. 1004 dieser Zeitschrift, die sich unter ihrem bescheidenen Titel so gunstig von vielen andern abhebt, in denen nur nur zu oft eine falsche Gelehrtheit an Stelle gesunden Verstands und ernster selbstandiger Untersuchung die Hauptrolle spielt. In ihr dahingegen findet man im besten Sinne des Wortes das, was die Redaktion an dem Werke eines gewissen Naturforschers lobt, „dass durch alles ein moderner Hauch weht". Los von aller eingebildeten Schulweisheit, erfasst sie sehr richtig dasjenige, was für den wirklichen Fortschritt der Wissenschaft von Bedeutung ist, indem sie durch gut gewahlte Mitteilungen aus den auf entomologischem Gebiete erscheinenden Werken oder einzelnen Schriften die Aufmerksamheit auf dieselben lenkt und ausser dem nicht selten wichtige Artikel bringt. So stellt dieses Blatt sich als eine Zeitschrift dar, die für alle, welche sich den entomologischen Studiën widmen, von grossem Nutzen ist. Nicht wenige Stellen daraus werde ich denn auch in der vorwegenden Schrift anführen. Sie werden am besten Zeugnis davon ablegen. Johannes Schilde. Bevor ich nun weitergehe muss ich erst ein schon 1890 erschienenes bedeutendes Werk erwahnen, das mir jedoch erst jetzt unter die Augen gekommen ist. Ich meine: vSc/i™khchen Ur- actn icne, Krscheinungen ihncn wid.rsprechcn, Und wie sacnen jencr r f . . diesem Standpunkt sollte es dann moglich sein, dass ïcn v aus die Mimicry durch Prinzipien, wie viele denn auch, hatte aus aie y einer solchen allgemeinen prklaren wollen, was ja nui biologischen Auffassung Sinn hatte? Es ist denn auch mch der Fall; der Herr Professor hat mich einfach nicht gu ve - ftandeu - und bier is, doel, gewiss die Ursachc n.ch, .n e.n.gc Undeutlïchkeit in Sprach. odcr Stil zu suehe» es sicl, hier erkennen, wie er, wenn er auch d.c M.rmcry verwirft, doch „ich, in.stande is,, die diesbczughche darw,tótóch; Auffassung, obgleich di.se dann ke.ne tx.stenzbe- rechtisung mehr hat, aufzugeben. In mehreren Bemerkungen, welche er auf von mir ausgesp ochene Thesen macht, zeigt sich dies zu wiederholten MaL; allerdings lasst es sich erklaren, dass er mir zu folgen nicht imstande ist, weil er sich noch auf einem Standpunkt befindet, von dem ich mich ganz befreit habe. Boswellen verra.en sc.ne Be„ach,ungen c.ne flachlichkeit. Wo ich iibcr die weisse patbe der Ulart.ere spreche und diese al, ci„e cvoluticve Erscheinung erklaren zu mussen .„eine, habe ich viele Gründe angegeben, d.es.ch nicht so einfach, wie Herr K. dies auf S. 12 seines Aufsatzes zu tun versucht, in einigen Zeilen abschlachten lassen we sie 'hm nun einmal fremd vorkommen; denn das kann man doch keine Widerlegung nennen. Wohl verstehe ich sehr gut, dass der wissenschaftliche Wert ïeser Betrachtungen von beiweitem den meisten Biologen nicht gesehatzt werden kann, weil dazu eine feste biologische Uberzeugung eine erste Bedingung ist, namentlich über dasjenige, was ich die Farbenevolution genannt habe. Eine Uberzeugung die bei mir infolge meiner diesen Gegenstand betreffenden Studiën, besonders bezüglich der Lepidopteren jedoch auch mehrerer andern Insektenordnungen,- felsenfest geworden ist, und die mich zu der Annahme berechtigt oder es jedenfalls sehr wahrscheinlich macht, dass da, wo ich ganz analoge Erscheinungen und zwar in grosser Menge bei Saugetieren und Vögeln antreffe, dieselben Ursachen hierzu mitwirken. Zu dieser Uberzeugung kann man aber nur auf demselben wissenschaftlichen Wege gelangen, den ich gegangen bin, namlich durch spezielle lepidopterologische Studiën und dazu muss man an erster Stelle Lepidopterologe se,n und dann die viel Zeit, Gelegenheit und Übung erfordernden Untersuchungeu, welche ich angestellt, mindestens ^r"erh0len' °der aber meine darüber veröffentlichten Mitteilungen genau und auf sachverstandige Weise stud.eren und ,n d.eser Weise prüfen. Die hierzu erforderliche a i.gkeit aber fehit bei weitem den meisten Biologen; der Umstand jedoch, dass man aus Mangel der nötigen speziellen lT ST/*Ui elner UntersuchunS nicht fahig ist, berechtigt noch nicht, die von einem andern, welcher wohl dazu im- stande war, erzielten Resultate gering zu schatzen oder diese sogar mit gewisser, dummer Oberflachlichkeit für mehr oder weniger absurd zu erklaren. Denn so ungefahr ist doch wohl der Ausspruch des Herrn K. auf zu fassen, dass ich mit meiner Ausfuhrungen uber diesen Punkt wohl allein stehen werde Gewiss stehe .ch hier noch allein, aber nur deshalb, weil andere gezeigt haben in dieser Hinsicht meinen wissenschaft- ïchen Standpunkt noch nicht erreichen zu können. Allein derjenige, welcher von seinen eigenen Ideen nicht belastigt wird, wird nie allein stehen. „Sogar", ruft Hcrr K. mit gewissem Erstaunen über so etwas Unerhörtes aus, „ er u des Albinismns wird von PIEPERS für ein Evolu^SS^ad^ crklart" Die Sache ist aber, dass man be. dcm Namen Albinismus zwei Erscheinungen verwechselt, einen krankhaften Zustand, der als solcher das Pigment zerstort und einen vollkommen gesunden, in welchem aber ah erscheinung das Pigment verloren geht. Ersteres nun habe Et keiner Htnsieht für eine Evo>u,io„.erScl«,nuni, , sondern „ur letttere., und gems. kann da. doej,_n,eh^ fremden wenn man, wie ich, auch in dem Weisswerden £ Poeieren d.esclbe Er»hei„„„g e,blieken au mussen nreint ■). „Befremden uru.z die Voraussetzung, dass Kalte ein cue tvuiuuu nigender Faktor sei". Es scheint Herrn K. nicht bekannt zu sein dasz jetzt durch Dr. E. FiSCHERS in der Allgemeinen Zeitschrift für Entomologie veröffenthchte Expenmental- orSungen feststeht, dass Kalte und Warme keineswegs einc spezifische Wirknng anf E.olutionsersehenungem .onde™, nur einen indirekten Einflus. als Re.z darauf ausuben, und .war !l"ichér Art, sodass sowohl Kalte wie Warme ebcn.o gut beschleunigend als hemmend einwirken konnen. Zwar e trachtet Dr. FlSCHER nicht nur seine durch massige arm oder Kalte bewerkstelligten Z>'-Formen sondern auch seine Eros. un^i»e g_en SSP:ebkÏ«btt, 'rrL,ere den TyPu. eventueUer trachte, was aber u^fc . . und wenigstens nach dem jetz.gen phy- meinten p ysio °^C ;1 unter' die» Namen verstanden werden kann. -—-*- k""°— Menge psychischen Einheiten. zukünftiger Formen tragen, und für denjenigen, der mit der Erscheinung der Farbenevolution bekannt ist, ist kein Zweifel übrig. Die Z>-Form Weismanni\on Vanessa Levana L. ist keineswegs eine weiter durchgeführte Z?-Form porima, welche mit der am wenigsten fortgeschrittenen der beiden Normalformen Ahnlichkeit hat, sondern eine solche der am weitesten entwickelten von diesen, prorsa. Und bei den andern Vanessas sieht man deutlich, dass die Z?-Formen weniger Ahnlichkeit mit den j9-Formen als mit der Normalform haben. Alle diese Z>-Formen lassen sich als solche erkennen an einem Streben nach Uniformitat in Schwarz oder Weiss, je nach dem Standpunkt den sie im Prozess der Farbenevolution erreicht haben, was sich am besten durch das Zusammenfliessen der Flecken dieser tarben kennzeichnet; am starksten zeigt sich dies in der D-Vorm hygiaea von Vanessa Antiopa L., weil hier auch in der Normaltorm dieses Streben schon scharf hervortritt. üarum können denn auch diese Z>-Formen nicht als Hemmungsprodukte betrachtet werden, sondern nur als Produkte eines abnormal erregten, weiter als das Normale fortgeschrittenen Stadiums in diesem evolutionellem Prozess. Es hat darum gar keine Schwierigkeiten, anzunehmen, dass auch unter andern Umstanden als die, unter welchen Herrn Dr. Fischers Experimenten gemacht wurden, Kalte bei dem genannten Prozess beschleunigend einwirken kann; alle sogenannten Anpassungen an die Kalte, z. B. das angebliche Winterhaar bei einigen Saugetieren, weisen auf einen derartigen Einfluss hin. Oder halt Herr K. diese etwa nicht für Evolutionserscheinungen ? Dann versteht er unter Evolution etwas anderes als ich. So wirft Herr K. mir auch vor, dass ich die weisse Farbe der Polartiere auf diese Weise zu erklaren suche, aber nichtsdestoweniger hinsichtlich der Wüstentiere annehme, dass die Sandfarbe ihrer Körperbedeckung nur durch das Licht hervorgerufen ware, obschon doch zweifellos beide Erscheinungen unter einem Gesichtspunkt zu betrachten seien. In der Tat habe ich mich über die Farbe der Wüstentiere nicht so absolut ausgesprochen, wenn ich auch HensLOWS dahin lautende Meinung mitgeteilt habe; aber es giebt auch noch andere Einflüsse, die hier möglich sind, wie z B. die grosse Dürre der geringe Sauerstofifgehalt der Luft, da, wo grosser Ausdehnung der Pflanzenwuchs ganz oder fast ganz fehlt, der ununterbrochen brennende, durch mchts Sonnenschein des Tages, abwechselnd mit empfindl.che.Ka des Nachts; der Umstand, dass sie fortwahrend heftige Winden ausgesetzt sind, welche oft in wahre Sturme gehen, wobei die scharfen Sandkórner mit soviel Kraft getrieben werden, dass ihre fortwahrende W.rkung holzart.gc Pflanzen abschneidet und Felsensteine abkratzt und abschlei , alles Einflüsse, welchem sich Pflanzen und Tiere da in gle.chem Masse anpassen mussen, was aueh in indirekter We.se wohl eine Gleichlieit der Farbe bewirken konnte. Ich habe allem gesagt, dass ich auch im allgemeinen wohl annehmcn zu mussen glaube, dass unter dem Einfluss des Lichts mehrere Tiere und Pflanzen bisweilen mehr oder weniger eine g eic ie Farbe erhalten können. Aber wenn ich mich auch so ausgedrückt hatte, wie Herr K. irrtumlicherwe.se behauptet, so möchte ich doch wissen, aufwelchen wissenschaftl.chen Grund die Behanptung des Herrn K. sich stützen könnte, dass be.de Erscheinungen zweifellos unter einem Ges.chtspunktzu betrachten seien. Ich halte dies für eine sehr oberflachl.che A fassung Ist es Herrn K. denn völlig unbekannt, dass es eine sehr gewöhnliche biologische Erscheinung ist dass mehrere manchmal sehr verschiedene Ursachen eine gle.che Folge bewirken können, wie auch das Umgekehrte der Fall se.n kann ? Auch zeigt es sich, dass Herr K. sich n.cht eingehend genug mit meinem Werke beschaftigt hat, wo er meine 1 estreitung des Wasmannschen Ö^MMromanchens bespricht, und erklart, dass ich jedoch die Tatsache, dass bei den Gasten der blinden Wanderameisen trotz gleicher Lebensbedingungen, die Gleichheit nur die Form versch.edener Korperteile, vor allem der Fühler, nicht aber auch d.e tarbc betrifft, nicht zu beseitigen gewusst und auch keinerlei An daran genommen hatte, dass in ungezahlten I-allen verschiedene Organismen, zumal solche, die einander naher stehen als Kafer und Ameisen, unter gleichen aussern ei haltnissen leben, ohne deshalb im entferntesten einander ahnlich zu werden. VVenn ich auch daruber bei der Gelegenheit mcit gesprochen habe, — solches war ja auch vollkommen unnotig — so ist doch die Antwort auf diese Kragen als solche mcht nur biologisch ausserst einfach, sondern zu wiederholten Malen ist darauf auch an dieser Stelle schon hingewiesen worden D.e Antwort liegt in der Tatsache, dass keine Reaki°n auf welchen Reiz denn auch, in irgend einem Organismus statthndet, wenn nicht die Reizbarheit dazu d. h. die Disposition da ut, und diese nun im höchsten Grade nicht nur nach den Arten, sondern auch nach den Sexen und sogar nach den Individuen einen grossen Unterschied aufweist, sodass sie nicht selten Jahrhunderte lang bei der einen Art fehlt und ei der andern sehr stark hervortritt. Warum findet sich die eigentumhche Farbenzeichnung der Euploeas worüber ich auf • 94 und 95 von M. S. D. gesprochen habe, nur auf der nsel Celebes und dort nun sowohl bei einigen allein auf dieser Insel einheimischen Arten, wie bei einigen, die man auch anderswo, jedoch ohne diese Eigentümlichkeit findet, wahrend es andrerseits auch wieder andere Euploea-Arten derselben Insel giebt, welche, obgleich sie denselben lokalen Einflussen unterworfen sind, diese Eigentümlichkeit nicht aufweisen. U. s. w. Oder meint Herr K. vielleicht, dass ich nicht genugend dargelegt habe, was das eigentliche Wesen der Reizbarkeit ist ? Ja, eine Definition lasst sich leicht geben namlich die von Reil, welche als solche von Dkiesch' empfohlen wird: „Die Eigenschaft tierischer ürgane, dass sie sich durch eine aussere Ursache bestimmen lassen ihren gegenwartigen Zustand durch sich selbst zu verandern", wo zu Dkiesch noch hinzufügt: „Ihr Grund liegt wieder in Mischung und Form der tierischen Materie". Der Punkt ist gleichwohl hiermit noch nicht erschöpft; ich werde spater noch darauf zurückkommen. Hier ist es jedoch nicht am l latze, weil der Hinweis auf die Tatsache der Reizbarkeit an ■sich und des grossen Unterschieds, worin sich dieselbe offenbart, hier genügt und als solche durch zahllose Beweise vollkommen feststeht. Die grosse Bedeutung der Individualitat gut einzusehen ist ein erstes Erfordernis fiir einen richtigen Begriff biologischer Prozesse. Sie tritt in diesem Fall auf in Beziehung auf die Reizbarkeit, tritt aber übngens in allerhand Weisen auf; sogar in der chemischen Zusammensetzung des organischen Stoffes tritt sie zutage. Die Kombinationen, sagt ein bekannter Chemiker, der Elemente, aus denen die Gewebe der Vertreter beider Reiche bestehen, sind so mannigfaltig wie die Arten der Lebenweisen selbst, ja noch mannigfaltiger, da sie bei verschiedenen Individuen Abweichungen zeigen und zwar bei demselben nach Alter, Lebensweise und so vveiter wechseln. Dies sieht man aber noch nicht in genügender Weise ein, und es gilt denn auch wieder einen Punkt, der sich schwer so deutlich und schlagend fassen lasst, wie dies das Studium der Farbenevolution ermöglicht, und welcher also, wo dieses fehlt, leicht einen unsichern Charakter erhalt. Wo ich gezeigt habe, dass Mimicryerscheinungen durch natürliche Eigentümlichkeiten, wie infolge einer besondern Muskflentwickelung oder der chemischen Bestandteile der Futterpflanze entstehen können, oder wo man die sogenannte svmpatische Farbung, die Übereinstimmung der Körperfarbe mit der der Umgebung, auf Farbenwechsel, der seinerseits durch das Auge treffende Lichtreize geregelt wird, zurück- führt, meint Herr K., dass dies nicht verhindert, dass dabei doch' Selektion aufgetreten sein und so die Mimicry gefórdert haben könne. Ich gebe dies zu; aber das bedeutet nichts; die Sache ist nur die, dass diese Beweisführung auf falscher Grundlage beruht. Die Mimicryerscheinungen werden in dem Darwinismus als ein sehr bedeutendes — WE1SMANN sagt nachdrücklich das scharfste — Beweismatenal für die Zucht- wahllehre betrachtet und zwar, weil die Darwinisten darm vor allem den nach ihnen sehr bedeutenden Wahrscheinlich- keitsbeweis für die Wirkung der Naturselektion zu finden meinen, hierin bestehend, dass diese Erscheinungen nur durch die Selektion zu erklaren seien. Ich erklare sie aber bestimmt ohne dieselbe. Also bestelit für die Annahme der Selektion als Ursache der betreffenden Erscheinungen diese Notwen- digkeit nicht mehr, und wird man, wo man anderswo die Wirkung der Selektion annehmen will, solche erst noch auf andere Weise beweisen oder mindestens wahrscheinlich machen mussen. Aber wo ist dies geschehcn? Herr K. ist offenbar dazu auch nicht imstande, er will aber nichtdestoweniger kraftig auftreten um die darwinistische Zuchtwahl zu verteidigen und dazu soll ihm nun auch die betreffende Vorstellung dienen, wobei die Notwendigkeit dieses Beweises und, wo dieser fehlt, die unerlassliche Schlussfolgerung bei Seite gestellt und der Schwerpunkt anderswohin verschoben wird. „Wer hat denn je behauptet — sagt er — dass die Zuchtwahl nur mit uns ganz undurchsichtigen Mitteln rechne und deshalb überall da ihre Mitwirkung zurückgewiesen werden müsse, wo uns ein Vorgang streckenweise physiologisch erklarbar sei?" Der Grund, wodurch ich zu dieser falschen Vorstellung — welche er mir also suggeriert — gekommen bin, ist, sagt er dann weiter, dass die darwinistische Literatur meist die Zuchtwahl als die bewirkende Ursache der organischeu Zweckmassigkeit behandelt, obwohl sie doch, was ja auf der Hand liegt, gar nichts produziert, sondern nur mit bereits Gegebenem operiert. Die Unrichtigkeit dieser Vorstellung wird dann in ausführlicher und sehr lesenswerter Weise von ihm auseinandergesetzt; dass — was er damit zeigen will — die Naturselektion demungeachtet vorkommen kann, ist denn auch ohne Zweifel richtig; dass sie jedoch als solche eine bedeutende Rolle in der organischen Evolution spielt, ergiebt sich daraus an sich noch nicht, wie er zu denken scheint, sondern muss noch bewiesen werden, und in diesem Punkte bleibt Herr K. hinter der Erwartung auch ganz zurück. Dass die Zuchtwahl möglich ist steht fest durch die künstliche Selektion, aber daraus folgt noch nicht, dass sie auch da Auftritt, wo sie nicht durch einen solchen speziellen Einfluss geleitet wird, wie ihn der Mensch hierbei ausiibt, und das sogar als ein dermassen alles beherrschender allgemeiner Evolutionsfaktor, wie es der Darwinismus will. Darwin hat darum die Theorie des Kampfes ums Dasein erfunden, welcher solch einen Einfluss ausüben sollte. Aber diese Hypothese ist, wie ich dargelegt habe, nicht haltbar. Welchen andern Einfluss wissen denn die Darwinisten anzufiihren ? Solange sie dazu nicht imstande sind, gründet sich ihre Behauptung, dass Naturselektion ein solch allgemeiner Eaktor ware, auf rlass das Zweckmassige der nichts. Urn klar zu ma ^ künstiiche Selektion Evolutionserscheinunge , gich foigt) SOndern aus hervorruft, nicht aus eren ^ gk dann unterworfen ist, . der menschlichen ^cltU"g' r SeleUtion noch keineswegs und dass aus den esu Evolutionserschcinungen immer die Notwendigkeit fo g , ^ unterworfen sind, habe an sich einem bestimm c ' das der Lokomitive ich damals auf S. 39 vo" " f * leicher Weise von dem gebraucht, won» d,e ^^eck benut,t vvird, obgleich Menschen zu einem "P«^dw0 anders ohne solch einen diese doch auch w ^ he noch nicht ein, was an diesem Zweck vorkommt, un sich abcr den Unsinn cin- Bild auszusetzen ware. IV . ■ Werkes hier_ -al an, welchen Her 7 ernsten Ver- ^g aufde, Seite seiner Vorstellung ist. Reurteilung, geht Herr In den letten beideneden se,n ^ ^ ^ ^ K. in besonders scharfer y Jteidigung seiner Glaubens- Wunder, denn utr • gi ^ ^ ^ g 2y von meinen Ideen arbtiÏedasDWeSenSdeerUEvolution giebt, sind abcr so verwint, «ffenbar die Folge eines Nichtverstehens von demjenigen so ofifenbar die log Auffassung abweicht, — und was von se,ner <^r . d unrichtig wiedergegeben daT dZ e rn wtlicl, uninöglich U«, dicse Ausfühwird — dass es m.r bcsprechen. Er wirft m.r rungen ruhig nach der F£he *n D ^ man allerhand Absc eu ie ï c gerichtete Evolution ich n.eineste^.scH-^ ^ fur als Erklarungsprmzip vorstelle, aber nichts den Vervoükommnungstne ^ ^monsptoteaa als erklare. Meine Auffassung Ver_ Ten^enz *ur Veraadcjung %£££$* wie dic HAvollkommnung ist J d lben Richtung bewegtw.e konnten als die höhern, weil auf diese Weise für eine grössere Anzahl Ind.v.duen Gelegenheit zur Existenz geboten würde und somit ware ich dann von raeinem Standpunkt, der im alJgemeinen ant,teleologisch sei, ins Teleologische ausgeglitten Aber was ware das denn noch? Wie doctrinar unmöglich dies Herrn K. auch vorkomme, in der Tat kann man, wenn man auch was fur gewöhnlieh als teleologische Betrachtungswe^se gilt verwirft, doch wohl in gewissem Sinne cinen teleologischen Standpunkt einnehmen; mann muss aber letzteres nur nicht mit dem transcendental teleologischen vervvechseln. Abcr wic dem auch sei, ich habe es nicht so gesagt; mV tH m V°n dCr aUf Sdte 369-370 in M. S d! obeffl rh e"h 'Tnung dcs Hcrrn Dr- H- POTONIÉ; bei weniger oberflachhchem Lesen würde dies Herrn K. nicht entgangen sein. Ich werde es bei diesen Ausführungen bewenden lassen. Der spnngende Punkt ist, dass ich „ach Herrn K. die Selektion als solche verwerfend, selbst das Entwicklungsprinzip nicht erklart habe. Nun da hat Herr K. recht. Ich will gerne eingestehen, dass ich den Ursprung des Lebens nicht kenne. Ich habe daruber naturhch wohl d.eses und jenes gelesen, und habe auch wohl einmal daruber nachgedacht, aber von der Urzeugung weiss ich nichts, gar nichts. Ich will gerne meinem Bedauern daruber Ausdruck geben, aber ich glaube doch, dass sogar die kntik, wie es sonst nicht ihre Art ist, mir dies werde verzeihen können; mir sind wirklich sehr wissenschafthche IVIenschen bekannt, die es auch nicht wissen. Ich erbhcke aber darm kernen Grund, mit Herrn Wasmann z. B. als ein wi'ssenschaftliches Postulat die persönliche Schöpfung anzunehmen. Denn davon weiss ich auch nichts. Ich kann somit das Leben nicht erklaren und so auch wieder nicht das eigentliche Wesen des Veranderungsprozesses, den wir Evolution nennen, denn auch dies ist ja offenbar nichts anderes als eine spezielle Form in der sich das Leben offenbart Aber darum brauche ich noch nicht die angebliche Erklarung der Selektion anzunehmen, so lange man diese nicht beweisen oder wenigstens zu einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit erheben kann. Bis dahin namlich weiss ich auch davon nichts. Ich beschranke darum mich darauf, zu versuchen, die Wcise, wie der Evolutionsprozess vor sich geht, so weit wie möglich aus den Erscheinungen, in denen er sich offenbart, zu fassen, und dann erscheint mir dieser Prozess als die Ausserung einer immanenten, fortwahrenden Neigung zur Veranderung, die auf verschiedene Weise, je nachdem die Umstande sie dazu führen, in den Organismen zutage tritt. Erklaren jedoch möchte ich das Entwicklungsprinzip nicht, weil ich dazu nicht imstande bin. Dabei kann mein Verstand sich einstweilen beruhigen. In dem Glaubenszustand des geistigen Vermogens jedoch ist für eine derartige Resignation kein Platz; darin muss naturgemass alles fest sein oder wenigstens so scheinen. Daher das Postulat des Herrn WASMANN und die Erkliirungsnot der im darwinistischen Autoritatsglauben festgeklemmten Psyche. Die oben angeführten Worte des Herrn K.: „da lobe ich mir doch den Darwinismus", u. s. w. bekunden dies deutlich: nur auf diese Weise behalt er noch den wissenschaftlichen Seelenfrieden, denn er nicht entbehren kann. Für das eigene Bewusstsein bildet der Glaube immer einen weit glücklicheren Zustand als die Ungewissheit. Noch viel starker und ganz erstaunt über so unerhörte Thesen wendet sich Herr K. gegen alles, was ich weiter der Wirkung der psychischen Kraft zugeschrieben habe, welche er sich natürlich nur als transcendental oder als ein chemisch-physikalisch Prozess denken kann, wobei er letzteren ausscliliesslich nach dem gewiss noch sehr mangelhaften Stand unsrer chemischen und besonders auch physischen Kenntnisse auffasst. Die Psyche lasst sich, wenn in diesem Fall auch in weiterm Sinne physikalisch gedacht, ganz gut anders und zwar als eine mit dem Körper wohl eng verbundene, aber doch selbstandige und letztern beherrschende Substanz denken und studieren. Aber dazu ist natürlich der veraltete und dadurch die Beschranktheit der Senilitat zeigende Darwinismus, auf welch hohem wissenschaftlichen Standpunkt er auch noch zu stehen meint, nicht imstande, und darum versteht Herr K. einfach nichts davon. In der schon erwahnten, so gevvöhnlichen Anmassung der Unwissenheit vcrgleicht er dies mit den Marchen von VON MüNCHHAUSEN und findet weiter in dem von mir von diesem Standpunkt aus Angeführten allerhand sonderbare Phantasien und Widersprüche. Von einer wirklich wissenschaftlichen Widerlegung ist dabei natürlich keine Rede; von seinem zurückgebliebenen Standpunkt aus ist das auch unmöglich. Ich erachte es denn auch in wissenschaftlicher Hinsicht unter meiner Würde ernstlich darauf einzugehen; ich werde mich darauf beschranken in dieser Hinsicht auf die Auseinandersetzung meiner diesbezüglichen Ansichten in meinen schon erwahnten Études hinzuweisen. Am Schlusse seines Artikels wendet er sich dann noch gegen meine Behauptung betreffend der schlechten Wirkung, welche die darwinistische Lebensbetrachtung auf das menschliche Gesellschaftsleben ausgeübt hat, und glaubt dies durch die blosse Tatsache, dass die soziale Gesetzgebung in dem letzten halben Jahrhundert bedeutende Fortschritte gemacht hat, widerlegen zu können; die fatalistische, darwinistische Lebensauffassung erklart er übrigens fiir die schönste Moral zu halten; nun, de gustibus non est disputandum. Ich fühle wenig Anregung, auf diesem Gebiete in ausführliche Diskussion zu treten. Die Auffassung des Herrn K. in dieser Hinsicht deutet gewiss nicht auf eine klare Einsicht. Denn nicht nur ist dasjenige, was in der Tat — denn vieles ist es auch nur scheinbar — soziale Verbesserung genannt werden darf, für einen grossen Teil keineswegs ein Produkt freier moralischer Entwickelung gewesen, sondern vielfach von den Interessenten erzwungen worden, wahrend im übrigen bei denjenigen, welche hierzu, in der Tat durch ein hóheres Prinzip geführt, das ihrige beitrugen, dies offenbar gewiss nicht ein Ausfluss darwinistischer Anschauungen, sondern ein Gefühl blosser Humanitat gewesen ist, wie es sich besonders unter dem Einfluss des Christentums entwickelt hat, nicht eine Folge also wirklicher Moralitat. Denn diese besteht nicht in bloss altruistischer Humanitat, sondern in jenem schon von Johannes Schilde als ihr wesen erkannter Gleichgewicht zwischen dieser und dem zur Selbstcrhaltung ebenso notwendigen egoistischem Element, so wie dieses — wie ich in meinen ebenerwahnten Études des nahern beleuchtet habe auch als Recht ofïfenbart. Mit einer Spielerei mit dem Begriff Gesetz, welche ich z. B. auf S. 31 von au(-h schon an elmer rügte und worüber ich weiter als lesenswert empfehlen kann, was darüber von Dr. Ch. D. PklaUM gesagt worden ist '), schliesst er seinen Artikel. Diese Liebhaberei ist doch besonders charakteristisch für die, welche nicht über den wirklichen Wert der Gesetze praktische Erfahrung besitzen. Vor allem in üeutschland wird sie gepflegt. Denn wahrend man sieht, dass unter den Vólkern des sogenannten anglosachsischen Stammes und so auch in meinem grössenteils von Nachkömmlingen dieser Völkerstamme bewohnten Vaterland ein im Grundsatz lobenswerter Drang nach 1' reiheit vielfach in eine gewisse flegelhafte Praxis ausartet, hat in Deutschland dahingegen der Druck der geschichtlich gewordenen Zustande einen anderen Erfolg erzielt und dort, wenn auch von Haus aus als ein lobenswerter Drang nach Ordnung und Regel sich darstellend, eine wahre Reglementier- und Massregelkrankheit hervorgerufen, die tief im Volke eingewurzelt ist und durch eine bewust auf ihre Verehrung sich richtende Erziehung vermehrt wird. Durch den Einfluss der deutschen Wissenschaft pflanzt sich diese Liebhaberei, immer gleich von Gesetzen zu reden, auch auf andere Gebiete fort. Diese Neigung, alles als den Ausfluss eines gewissen regelmassigen Zwanges zu betrachten, was sich auch wohl teilvveise auf alte supranaturalistische Relikten gründet, brachte ElMER und viele andere dazu, so bald sie einige Erscheinungen in gewisser regelmassiger Reihenfolge verlaufen sahen, auch sogleich anzunehmen, dass dies dann infolge gewisser Regelung auch nicht anders sein könnte. Von solch einer Regelung zeigte sich aber nichts; es ist wohl erlaubt anzunehmen, dass ein derartig geordneter Verlauf die Folge einer gemeinschaftlichen YVirkung einer Anzahl l1 aktoren sei, aber aus nichts zeigt sich, dass sie alle zu dieser gemeinschaftlichen Wirkung immer in Bewegung gesetzt werden. Fehlt aber nur ein einzelner, so wird der Verlauf auch anders vor sich 1) Entstehung und Leben der Sprache. Preussische Jahrbïuher Dec. iqoj. gehen müssen. Und so lange man nun nicht alle Faktoren kennt, die zu einer solchen Erscheinung zusammen wirken — und dies scheint einstweilen noch nicht möglich zu sein — solange man also nicht weiss, welche Bedingungen zu dieser gemeinschaftlichen Wirkung erfüllt weiden müssen, weiss man auch nicht mit genügender Gewissheit, wann eine solche Erscheinung diescn Verlauf haben muss. Dann kann man aber auch, meines Erachtens, noch nicht von einem Gesetze reden '). Ich habe Herrn K. gewiss nicht sehr zart angefasst. Aber er hat nicht das Recht dazu, mir dies vorzuwerfen, denn er hat denselben Weg eingeschlagen. Ich tat dies aber, weil ich es den Unbeteiligten gegeniiber für wichtig hielt, nicht aus Empfindlichheit über seinen Angriff, obgleich für mich, speziell seitdem ich seine Kritik meiner Weltanschauung, wie er es nennt, von dem nachher zu besprechen Jesuitenpater H. SCHMITZ aufs höchste gelobt sah, im Zusammenhang mit seinem übergrossen Autoritatsglauben, alle Ursache vorhanden ist, die so unmotivierte Gereiztheit des Herrn K. nicht bloss wissenschaftlichen Beweggründen zuzuschreiben. Wohl werde ich keinem das Recht abstreiten, insofern solches nicht auf unehrliche Weise geschieht oder nur in Anschuldigungen auf moralischem Gebiete oder in blossem Schimpfen besteht, so scharf wie möglich gegen mich vorzugehen. Allein, liane vetiiam petimusque damusque vicissim. Und ich bin Herrn K. zu grossem Dank verpflichtet, dass er meine Arbeit auf derartige Weise besprochen hat, so dass es mir auch möglich wurde, sowohl das Gewicht der dagegen erhobenen Bedenken gut zu beurteilen, wie auch über einige I'unkte meine Ansichten noch einmal deutlich auseinanderzusetzen und zu beleuchten. Ziemlich ausführlich bin ich denn auch in meiner Antikritik gegen ihm gewesen; vor allem aber auch, weil ich darin eine ausgezeichnete Gelegenheit erblickte, einen Gegenstand eingehend zu erörtern, über i) Zu meinem Vergnügen sah ich neulich, dass auch ein andrer Zoolog (Dr. I. Grosz) gegen diese Gesetzesliebhaberei seine Slimme erhebl. (Biol. Centralhlatt i Juli /qoó S. 395). welchen man, meiner Meinung nach, bis jetzt eine richtige Aufifassung im allgemeinen vermissen lies, obgleich eine solche doch sehr nötig ist, besonders auch um den Wert der Kritik schatzen zu lernen, die man im allgemeinen an denen ausüben sieht, die mit neuen Ideen an die Öft'entlichkeit treten. Ich meine die in der Tat sonderbar klingende Tatsache, dass, wenn eine solche Kritik von Personen herrührt, die sehr mit Recht für tüchtig gehalten werden und das sogar besonders im speziellen Fach, in welchem jener Schriftsteller diese neuen Ansichten entvvickelt, solche Personen nichtsdestoweniger unfahig sein können, dieselben zu beurteilen, und ihre Kritik also doch oft allen Wert entbehrt. Geht eben doch die Entwicklung des geistigen Vermogens durchaus nicht als ein Ganzes gleichmassig, sondern ausserst verschiedenartig und sehr spezialisiert vor sich, und können darum bei demselben Menschen grosse Kenntnis und grobe Unkenntnis scharf getrennt neben einander vorkommen, und dies nicht nur was verschiedene Facher betrifft, sondern sogar in Beziehung zu Unterteilen desselben Faches. So kann auch ein im iibrigen mit Recht als hervorragend bekannter Zoologe durchaus unfahig sein die höhern biologischen Fragen zu erfassen, und sein Urteil darüber, wenn er sich demungeachtet nicht scheut es vorzubringen, doch ganz ohne Wert sein. Ich halte es für sehr wichtig, dass man in dieser Hinsicht zu einer richtigern Aufifassung gelangt, und möchte darum denn auch die Gelegenheit, die sich mir an dieser Stelle darbot, nicht voriibergehen lassen, sondern, bevor ich meine eigentliche Arbeit fortsetze, hier noch einige derartige Personenstudien, wenn sie auch etwas ausführlich sind, einschalten. Prof. Dr. P. O. Ch. Aurivillius. Ein ausgezeichnetes Beispiel für das hier Angeführte liefert mir der schwedische Gelehrte Prof. Dr. P. o. Ch. aurivilLIUS dadurch, dass er einige biologische Ansichten anderer, und darunter auch die meinigen, erörtert, und dabei die erwahnte Beschranktheit infolge einseitiger, spezialisierter Entwickelung und Mangels an philosophischer Ausbildung beson- ders scharf hervortreten lasst. Dieser Gelehrte ist namlich ein berühmter Lepidopterolog, in der Tat von grossem Verdienst und wohl der beste Kenner der Rhopalocerenfauna des Afrikanischen Gebietes, über welche er neuerdings, im Jahre 1903 eine hervorragende Arbeit, „Rhopalocera aethiopica" betitelt, veröffentlicht hat. Er ist aber ganz und gar Systematiker; gilt es nun die Beurteilung irgend einer Tatsache biologischer Art, so versagt seine Kenntnis. Das halt ihn aber nicht davon ab, tiotzdem ein Urteil darüber abzugeben und dabei sogar denen gegenüber einen hohenTon anzuschlagen, die aufdiesem Gebiet weiter zu sehen verstehen, als sein Gesichtskreis es ihm erlaubt. So erklart er in dem betreffenden Werke z. B. über die Theorien, welche von Eimer und mir über die Farbenveranderung der Schmetterlinge aufgestellt worden sind, nicht sprechen zu wollen, weil dieser Gegenstand nicht behandelt werden könne, ohne dass' man unaufhörlich die eine Hypothese auf die andere haufe. Das ist aber durchaus unrichtig, weder Eimer noch ich stützen uns auf solche Weise allein auf blosse Vermutungen, denn dies ist es was aurivillius mit Hypothesen meint, sondern in den Hauptsachen auf beobachtete Tatsachen; gewiss können diese nun weniger richtig wahrgenommen, teilweise oder ganz weniger richtig gedeutet sein; das ist möglich, blosse Mutmassungen sind es jedoch nicht. Weil aber Auriviluus solche Anschauungen nicht begreifen kann, dammern sie ihm vor den Augen und nennt er sie jetzt, den Ausdruck selbst falsch gebrauchend, Hypothesen. Er erinnert an die Weddas, die ursprünglichen Bewohner von Ceylon, über welche neulich gemeldet wurde, dass sie, wenn auch in allem, was ihren beschriinkten taglichen Lebenskreis betrifft, genügend geistig entwickelt, in demjenigen, was darüber hinausgehe, die grösste Beschranktheit zeigen; so könnten sie nicht weiter zahlen als 1, und hatte einer von ihnen, welche Mühe er sich auch gabe, es nicht fertig bringcn können zwischen 6 Personen 12 Münzstücke derselben Art gleichmassig zu verteilen. Wenn solchen Weddas nun einmal gesagt würde, dass es wirklich möglich sei höher als 1 zu zahlen, oder über Addition, Subtiaktion, Multiplikation oder Division gesprochen würde, so würden sie, vvenn ihnen dieses Wort bekannt ware, vielleicht auch wohl antworten, dass dabei nur von Hypothesen die Rede sei, mit welchen sie sich nicht einlassen mochten! Bezeichnend in demselben Sinn ist auch das Ende des genannten Werkes! „elmer, dlxey, piepers" sagt er da, „unterscheiden sich untereinander ganz in betreft" der Reihenfolge, in der phylogenetisch die Farben der Rhopaloceren auftreten sollten; reuter, grote, HAMPSON, jordan untereinander nicht weniger was die phylogenetische Reihenfolge der Entwicklung ihrer Familien betrifft. Wem soll man nun glauben? Solange ich keine Übergangsformen gesehen habe'\ sagt er, „wiinsche ich für mich die Frage offen zu lassen , d. h. halte ich sie nicht für spruchreif. Jawohl, das ist sehr bequem, aber von wissenschaftlicher Seite muss man ihm zurufen : Zu glauben brauchen sie niemand, denn von Glauben darf in der Wissenschaft keine Rede sein; untersuchen sie gewissenhaft die von jedem angeführten Argumente und die Tatsachen, auf welche dieselben sich zu stützen behaupten, und urteilen sie danach. Herr aurivillius ist fast ausschliesslich Systematiker und kann daher nur dasjenige deutlich verstellen, was er sehen und tasten kann ; zum abstrakten Denken und somit zur Erlangung von Kenntnissen auf dem Wege der Logik, dem philosophischen Weg, den man, obgleich er doch stets von feststehenden, durch Wahrnehmung gewonnenen Tatsachen seinen Ausgung nimmt, vor allem in dem biologischen Studium wandeln muss, scheint sein Denkvermogen wenig geeignet zu sein. Er fühlt sich denn auch wenig dazu aufgelegt, sich damit abzuqualen. In ausgezeichneter Weise beschreibt er z. B. all die vielen Formen von Papilio Dardanus, Brown (Merope, Cram.), aber nie scheint die Frage nach dem Warum? nach der Ursache, welcher man diesen Unterschied zuschreiben muss, welche Frage ich auf S. 66 ff von M. S. D. mit Hüfe der Erscheinung — um nun nicht, wie üblich, von Gesetz zu reden — der Farbenevolution so erschöpfend habe behandeln können, seinen Geist auch nur im geringsten zu beunruhigen. Das hat die weise Natur nun einmal so eingerichtet und dabei scheint er sich beruhigen zu können. Hier hat er in der lat um auf sein ebenerwahntes Bedenken zu antworten — es mit zahlreichen Übergangsformen zu tun, aber er sieht nicht, dass er solche vor sich hat. Ein anderes merkwürdiges Beispiel dieser Beschranktheit liefert auch die Tatsache, dass das für Afrika so kennzeichnende starke Hervortreten jener Zeichnung auf den Flügeln der Rhopaloceren, worauf ich auf S. 104 von M. S. D. kurz hingewiesen und vvelche ich dort Acraeatypus genannt habe, ihm ganz und gar entgangen ist. Diese Zeichnung besteht namlich in kleinen schwarzen Flecken — Überresten von frühern Streifen — und solchen noch nicht in Flecken aufgelösten schwarzen Streifen, vvelche letztern besonders auf den Hinterflügeln vom Fliigelrande nach der Mitte des Flügels verlaufend, nicht nur auf den Flügeladern vorkommen, was sich ja auch andervveitig bei vielen Schmetterlingen findet, sondern überdies noch zwischen den Adern und mit denselben parallel gehend. Solche intravenalen Streifen kommen nun zwar auch bei Rhopalocera ausserhalb Afrikas vor, wie z. B. in vielen Formen von Pap. Memnon L., aber sind dort doch keineswegs gewöhnlich; bei vielen afrikanischen Acraeas, Papilios, Nymphaliden und andern Schmetterlingen kann man sie aber als mehr oder weniger deutlich und entwickelt wahrnehmen; auch bei den amerikanischen und indo-australischen Acraeas trifft man sie hier und dort an, aber dieser Genus ist denn auch höchst wahrscheinlich afrikanischer Herkunft. Bei den von A. in seinem ervvahnten Werke abgebildeten Mimacraea fulvaria Aur. und Pap. Zoroastres dkuce sind z. B. die Streifen sehr deutlich, doch die Flecken noch bis auf die Nahe der Flügelwurzeln beschrankt; es ist schon deutlich ;:u sehen, wie diese Streifen in Flecken iibergehen. Bei andern, wie bei Cupido Storsmii Rolk., kommen schon viele solcher Flecken vor, sogar auf der Unterseite der Oberflügel. Ein merkwürdiges Beispiel des vor allem afrikanischen Charakters dieser Streifen kann man in Ermangelung sonstigen Materials auf Taf. 47 des bekannten Werkes von Dr. O. Staudinger „Exotische Tagfalter"' finden. Man vergleiche einmal die beiden dort abgebildeten afrikanischen Hypolimnas imperialis Adgr. und H. Salmacis Drur. mit den auf demselben und auf Taf. 46 abgebildcten, den indischen Archipel bewohnenden Arten desselben Genus. Keine dieser letztcrn zeigt diese Streifen, aber bei den beiden afrikanischen Arten sind sie vorhanden. Nun, nie hat diese Eigentümlichkeit der afrikanischen Rhopalocerenfauna trotz alledem die Aufmerksamkeit des Herrn A. auf sich gezogen; meine Aufmerksamkeit erregte sie schon bald, von mir wurde sie sozusagen sogleich entdeckt, als ich mich, wenn auch nur beilauflg, mit einigen afrikanischen Schmetterlingen zu beschaftigen hatte. Warum? Ich besitze bei weitem nicht die ausgedehnte Kennt- nis in dieser Hinsicht, welche Herrn A. eigen ist, in keinem Teile verfüge ich zu meinen Studiën über ein so ausgebreitetes Material, wie es ihm zu gebote stand. Ich sah aber diese Schmetterlinge schon sofort mit andern Augen as mit denen eines blossen Systematikers an, namlich mit denen eines Biologen, der gewohnt ist die Farbenordnung der Lepidopteren zu beobachten und mit den dazu erforderlichen Kenntnissen durch' frühere Studiën ausgestattet ist. Dies alles nun greift gewiss den wohlverdienten Ruhm dieses Gelehrten als Lepidopterologen in keiner \\ eise an; es bedeutet nur dass seine Kenntnis, wie bedeutend sie im übrigen auch ist, auf seinen Studienkreis beschrankt ist, und dass es daher vernünftiger von ihm gewesen ware, dies einzusehen und doch vor allem nicht mit einer gew.?sen Selbstüberhebung auf die Resultate der Studiën andrer herabzusehen. Auch andere mogen daraus die Lehre ziehen, dass, wo iemand nach speziellen Studiën biologische Erscheinungen anders ansieht, als er, es doch nicht angeht, dies mit selbstgewissem Eigendünkel zu leugnen und sich wie eine Scluldkröte unter das Schild der Routine zurückzuziehen, sondern dass es besser und würdigcr ist, sich an dieselben Studiën zu begeben und zu untersuchen, ob demzufolge die bis jetzt gepriesenen Ansichten eine Veranderung erfordern. E. Wasmann S. I. Ein zweites Beispiel liefert mir hier der bekannte, oben schon erwahnte Ameisen- und Termitenkenner, Herr ER1CH Wasmann, weil auch dieser Naturforscher, wie ich schon sagte, nicht nur durch seine vielfaltigen und gewissenhaften Untersuchungen bezüglich dieser Insekten sich einen grossen Namen auf zoologischem Gebiete erworben hat, sondern ausser zahlreichen Sonderschriften auch das oben angeführte Werk mehr allgemein biologischer Art verofifentlicht hat, in dem er seine Ideen auf diesem Gebiete ausführlich auseinandersetzt, sodass er auf diese Weise es einem besonders leicht gemacht hat, seine Bedeutung als Biologe einer genauen kritischen Untersuchung zu unterwerfen. Denn die lendenz dieses Werkes liegt zwar, wie schon gesagt, in der Hauptsache ausserhalb des Gcbietes der Wissenschaft, und eignet es sich daher in dieser Hinsicht nicht fiir eine wissenschaftliche Besprechung, aber trotzdem ist es doch sehr geeignet, die geistige Kapazitat des Verfassers zu beurteilen und so zu zeigen, wie diese zwar eine starke Entwicklung, aber nur in einer bestimmten Richtung, namlich der des Wahrnehmungsvermögens aufweist, sodass sie sich doch nur als eine geistige Wirkung geringeren Wertes, wenn auch in ihrer Art ausgezeichnet, ofifenbart. Jenes Wahrnehmungsvermogen ist eben bei ihm wohl so ziemlich allein weiter ausgebildet, sodass daneben eine Entwicklung höherer Ordnung nur in gcringem Masse sich findet, obgleich doch eine solche unzweifelhaft erforderlich ist um höhere biologische Fragen beurteilen zu konnen. Ich meine dies wenigstens deutlich daraus nachweisen zu können. Der oben schon besprochene ungebührliche Ton, den Herr W. mir gegeniiber angenommen hat, hat zur Folge dass ich ihn nun auch nicht mit Sammetpfötchen anzufassen brauche. Scheute er sich doch in seiner Antikritik nicht, mich zu der Kategorie der „denkenden Menschen" ofifenbar nicht rechnen zu wollen; vielleicht, weil — siehe S. 186 seines Werkes — nach ihm denkende Menschen über das Postulat eines persönlichen Schöpfers als erste Ursache nicht hinauskommen, und ich doch ofifenbar solch ein Postulat nicht anerkenne; den unglaubigen Haeckel bellt er ja auch an zahlreichen Stellen in seinem Werke gewaltig an. Dabei darf ich weiter noch in dieser Hinsicht in Anrechnung bringen, dass er ofifenbar ab- sichtlich fortwahrend übersieht, was ich über viele Punkte der von ihm behandelten Gegenstande vcröfifentlicht habe, ob„leich ihm dies doch bekannt ist. Dieselbe Handlungswe.se habe ich aber wegen ihrer kleinlichen und unehrhchen Art schon auf S. 428 von M. S. D. an WEISMANN schart getadelt Bei ihm wird dieselbe gewiss aucli noch durch die traurige Hoffnung gestützt, durch das Schweigen über meine Arbeit auch namentlich gegenüber seinem spezicllen Publikum meine Bestreitung seiner Anschauungen vertuschen zu können, die vor allem sein Steckenpferd so gründhch bekampft, und welche zu widerlegen er sich ganz ohnmachtig gezeigt hat. Ich darf mir also jetzt auch wohl die treiheit nehmen, ihn als Versuchskaninchen zu benutzen. Die genannte Arbeit ist in elf Kapitein abgefasst. Uber die ersten sieben habe ich schon gesprochen. Ihre Lekture ist sehr interessant; nur verliere man nicht aus den Augen, dass der Verfasser in diesem Werke fast ausschliesslich die Wahrnehmungen und Meinungen anderer wiedergiebt, und dass wenn er diese Meinungen auch beurteilt, doch in alledem' kein einziger neuer Gedanke von ihm vorkommt; ofifenbar reicht sein geistiges Können in dieser Beziehung nicht weiter als zum Verarbeiten des vorhandenen Materials, zeigt aber nirgends jene freie, selbstandige Kraft, die zu einer eigenen Idee fuhrt. Überall zwar lasst sich dabei schon einigermassen die oben erwahnte Tendenz d.eses Werkes erkennen, aber nur wie zufallig am Schlusse seinei Auseinandersetzung kommt sie in seinem auch oben schon besprochenen wissenschaftlichen Postulat in bezug auf die Urzeugung deutlich zum Vorschein. Und erst in den folgenden drei Kapitein kommt er dann zu der Besprechung hoherer biologischer Fragen; er tut dies, indem er eine Anzahl Tatsachen und daran anknüpfende Betrachtungen, die aus seinen vielfaltigen Wahrnehmungen über Ameisen herruhren, anfuhrt, und zwar auf die Weise, dass nun sowohl seine Meinungen über diese Fragen zur Erklarung solcher Tatsachen, wie umgekehrt letztere zur Bestatigung seiner biologischer Auffassung dienen können. Hierbei tritt nun immer so deutlich die Tendenz zu nötigenfalls gewaltsamer Anpassung an seine grund dal tl ° G ^"^«sungen in den Vorder- werden dTrf f u ■C""! Benannt h'Z\ , ~ e,n clns'J,tl-'-'s Streben eine von vor„. Hichtickdt H ""a TatSache 2U b<-'weisen, wobei dann anfdie wenÏ Wert d'e,daZU #ihre» ""»*">■ *«■>*<* nur die Wahrhcit suchenden iVs'ieh^kÓ'nJr'Tuf "chTh - t nich.SC2r d™ V„TUCl"' 50 SCheUt " Sich hie' «<■'»" «ch flucht ™ „th °bsenan,nten »"Wnrdige„ Praktiken scine Zuflucht zu nehmen, namhch dasjenige, was andere vor-ebracht d :;fndieSe",?v Md"Ung ZU" idC' iSt' d°f»d' ^-chw ge„ Tul si r tr Argnmente «riumphieL r, , ' 1 er z' ' we'' er selbstverstandlich aus Glaubensrucksichten in dem Pithecanthropus erectus Dubois keme p„m,„ïe Menschenforn, erke„„e/will, "ohlaHto seir wie ïtiges Argument die negative, von Virchow dar uber ausgesprochene Meineng an, erwahn, aber wed" die P e daruber von andern sehr zustandigen Beurteilern StJr noc,",die TatMchc' Ls v~ Nl " " . analoge, Ausspruch über den des elben8 T K"W<*>«"4 von Schade" hat Das" Vmamw d°Ch *'* VÖ1"B "nbe8"">d« «™ic«n • Dass \ iRciiow, em wie grosser Gelehrter er iibrigens auch gewesen se,„ mag, auf diesem Gebiet durchaus nicht zuverttefe war „nd gerade „ohl deshalb vo„ jesui.ischer Sei.ege™2 let«e" Werkgh ' 7'"?' 1"^" kann man in "akhls verschwcl. w'nT k ' f ,achkK»- Ebe"s° verschweigt W. offenbar mit Absicht meine verschicdenen lauf d FSt 1 0bglCkh kh der dnzi^e bin' der de" Versuc td r. °lut!ve VorS^nge so speziell und ausführlich, untersuc t habe „„d s,e also wenigs.ens „ebe„ den i„ der Note auf nmTar „SrH,e" "*»>"" WCTd™ ■»"««. er mit davon zu reden dass aus ihnen dasselbe, was . .7 , ,ner Erorterung der Dinarda-form bezweckt, viel betreffs die besonders auch- weil ja seine Behauptung dlC AnPass""g jener Kafer an die Ameisen, bei denen sic wohnen, als solche schon genügend von mir widerlegt wor den ist. Dieselbe Methode sehen wir noch weiter bei ihm, wenn er nun die Selektionstheorie behandelt. Nur erwahnt er hier einige schon früher dagegen erhobene Bedenken, wie dieses, dass& die Naturauslese wohl Unzweckmassiges auszumerzen aber nicht Zweckmassiges zu erzeugen vermöge, weiter die übergrosse, dem Zufall darin überlassene Rolle, wie auch den Umstand, dass die meisten Artunterschiede der Systematik nur zu den biologischen, und somit in Kampf ums Dasein indifferenten Eigenschaften gehören, und dass die palaeontologischen Tatsachen sich mit dieser Theorie nur schwer vereinbaren lassen. Warum verschweigt er aber nun das ihm auch sehr gut bekannte, von mir in den Vordergrund gestellte Argument, dass die darwinistische Selektionslehre, — wie er dies übrigens auch nachdrücklich auf S. 170 seines Werkes als Hauptsache anerkennt — sich entschieden auf den Kampf ums Dasein gründe, wenn wir diesen Ausdruck genau in Darwins Sinne auffassen, und dass derselbe doch nur eine Fiktion sei. Denn, ist dieses Argument richtig, dann kann die Naturselektion wohl ausnahmsweise möglich, aber nicht ausschlaggebend sein, und als biologischer Hauptfaktor hat sie dann ihren Wert eingebüsst. Das Argument ist also unwidersprechlich von Bedeutung und beansprucht eine ausführliche Behandlung und eventuelle VViderlegung. Aber weit entfernt, dass Herr W. einen Versuch dazu macht und auch nur etwas zur Begriindung des darwinistischen Kampfes ums Dasein beizubringen wüsste, schweigt er sich ganz darüber aus und verkriecht sich auf diese YVeise. Znm Teil wohl aus wissenschaftlichem Unvermögen, aber für hauptsachlich gewiss, weil er, wie wir schon sahen, sehr erregt ist und dies seine Ehrlichkeit beeinflusst; wahrscheinlich auch, weil, was für seinen wissenschaftlichen Autoritatsglauben nun einmal feststeht, seines Erachtens keines Beweises bedarf. Endlich noch, weil er im Grunde weder die Naturselektion, noch den Kampf ums Dasein ganz entbehren kann ; er braucht sie beide entschieden für seine Mimicrybetrachtungen und ruft sie dabei wiederholt zu Hilfe. (Siehe z. B. S. 217, 235, 236); ja, so wie WEISMANN seine Germinalselektion ersann, so erfindet er noch eine spezielle Form, seinc Amicalselekion. Allein da, wo sie ihm nicht helfen kann, wie auf S 259 se,nes Werkes in betreff der Fühlerformen der Gattune aussus, will er auch nichts von ihr wissen; und dann behauptet er, dass keine „Allmacht der Naturzüchtung" bestehe Er folgt also lieber der bekannten Regel ménager la chevre et le chou und erklart sich so für eine gemischte Theone, nut welcher dann alles erklart werden kann, je nachdem es einem passt. Nach dieser Theorie nimmt er die Naturselektion — ohne Beweis selbstverstandlich — an jedoch nicht als .Allmacht" und nicht als die ausschliessliche Form der Entwicklung; weiter behalt er sich das Recht vor die Anerkennung dieser Naturwirkung in jedem einzelnen Falie nach eigenem Belieben als mehr oder weniger notwendig zu ermessen. So findet dann die Naturzüchtung nach ihm vvohl •sfcitt, namlich wenn sie ihm, urn etwas zu erklaren, in seinen ram passt, nicht aber, wenn er sie nicht brauchen kann. Ich verstehe nun aber unter einer wissenschaftlichen Ar^umentafon etwas anderes. In allem, was er so über die höhern biolog,schen Fragen aufs Tapet bringt, wird man ebenso fruchtlos nach einem wirklich tiefen Eindringen in das Wesen der Lyolufon suchen, wie nach einem eigenen, selbstandigen Gedanken, mrgends bringt er die Wissenschaft auch nur einen Schritt vorwarts; er versucht es gar nicht einmal. Alles, was er g'ebt, ïst nur eine Umarbeitung von dem, was andere auf diesem Geb.et schon geliefert haben, in der Richtung der von ihm angestrebten Anpassung an seinen religiösen Glauben. Darum denn auch haben seine Ausführungen ihren Schwerpunkt m der Verteidigung der Entwicklungstheorie, wie er s.e zugestutzt und verwassert annimmt, gegen die Konstanzheone. Letztere ist aber flir den wirklich wissenschaftlichen 1 .oiogen von so wenig Bedeutung, dass eine ernstliche Bestreitung derselben ziemlich überflüssig erscheint und für ihn "•e eine Hauptsache auf diesem Gebiet sein kann. Denn wenn sie auch auf wissenschaftlichem Gebiet zuerst von Linnaeus ausgesprochen worden ist, sie fusst doch in Wirkïchkeit auf der Annahme eines persönlichen Schöpfers; halt man es dafur, dass diese religiöse Auffassung ausserhalb des Rahmens der Wissenschaft liegt, so wird auch dieser Theorie ihre wissenschaftliche Grundlage genommen und ihre Bestreitung daher überflüssig. Für Herrn W. liegt aber die Sache ganz anders. Denn keinesfalls will dieser jene Auffassung fahren lassen; er beschrankt sich nur darauf den Thron des Schöpfers ein wenig zurück zu schieben. Die genannte Hasis fallt also nicht weg und er hat nun, indem er dieselbe berücksichtigt, allerdings das gute Recht der Entwicklungstheorie gegenüber der Konstanztheorie zu behaupten. Daher kommt es, dass die Verteidigung der Kntwicklungstheorie gegen die Konstanztheorie bei ihm so in den Vordergrund tritt; er nennt dies denn auch auf S. 172 seinen eigentlichen Gegenstand. Gleichwohl lasst er, wie heftig er sie ausserlich auch bekampft, die betreffende Theorie denn auch in seinem Innern ganz und gar nicht fahren. In der abgeblassten Form, in der sie auch ausserhalb der eigentlichen religiösen I- assung noch mehrere Anhanger besitzt, halt er sie fest; namlich in der, wonach man geologische Perioden der Veranderung annimmt, die mit andern abwechseln, in denen die Formen konstant sein sollen, wobei dann die jetzige Periode zu den letzern gehore, erklart er sie zu wiederholten Malen (S. 192, 207) für die für ihn massgebende und sich selbst für einen ihrer überzeugten Anhanger. Diese Aufïfassung, welche wohl von der alten Kathastrophentheorie herrührt und als solche mit der biblischen Vorstellung der Schöpfungstage zusammenhangt, entbehrt aber gleichfalls jeder wissenschaftlichen Grundlage und steht im geraden Gegensatz zu dem, was uns die Wahrnehmung lehrt; zwar sehen wir, wie in der Evolution jeder organischen Form Perioden der Veranderung mit denen des Stillstands abwechseln, aber diese Perioden treten bei jeder Form selbstandig auf und sind allgemeinen, geologischen Zeitabschnitten gar nicht unterworfen. So befinden sich viele der jetzigen lebenden Organismen im Augenblick in einem solchen Zustand des Stillstands, der Epistase ElMERS, aber daneben viele andere in dem einer fortwahrenden, jetzt langsamer, dann wieder schneller vor sich gehender Veranderung. So ist die Art des evolutionellen Lebensprozesses, aber das geistige Vermogen des Herrn W. ist sie zu erfassen noch nicht imstande. Wo es sich aber um die auf eigner Wahrnehmung beruhenden Tatsachen, welche er, wie gesagt, an dieser Stelle nui nebenbei erörtert, und seine daraus gezogenen Schlüsse handelt, steht er höher. Er führt in dieser Hinsicht, wie auch in seinen zahlreichen frühern Schriften, eine grosse Anzahl höchst bedeutender Tatsachen in Bezug auf das Leben, den Körperbau und die Lebensumstande von Ameisen und lermiten an, Tatsachen, die mit einem Fleiss, einer Gewissenhaftigkeit und einer Sachkenntnis wahrgenommen sind, die ihn, was dies betrifft, in der I at als einen hervorragenden Naturforscher kennzeichnen. Auf diesem Gebiet ist sein geistiges Vermogen ofïfenbar ausserordentlich stark entwickell und auch nicht nur auf das blosse Wahrnehmen beschrankt; auch zu der Beurteilung und Vergleichung dieser Tatsachen zeigt es sich fahig. Ich brauche nur auf das hinzuweisen, was er z. B. auf S. 252 seiner Arbeit über die F ühlerglieder von Lebidorus Goryi Westw. anführt und damit in Zusammenhang bringt; ja, er erhebt sich hier selbst zu einem Standpunkt, den man als die erste Stufe der höhern, mehr abstiakten Verstandestatigkeit, der Bildung einer eigenen Idee, werten könnte. So hat er z. B. die eigene Hvpothese von der Entstehung der Pseudogynen bei I'ortnica sanguinen durch Degeneration des Brutpflege-Instinktes infolge Aufzucht des Kafers Lomechusa strumosa aufgestellt, welche Hypothese sich nach zustandigen Beurteilern als richtig erwiesen hat. Auch seine spatern Betrachtungen über den Ursprung des Sklavenhaltens bei einigen Ameisenarten können hierzu gerechnet werden. Jedoch tritt dieses Vermogen hier immer noch nur in unmittelbarem Zusammenhang mit der niedern Verstandesarbeit der Wahrnehmung auf, die nicht über das Konkrete hinausgeht; sobald eine wirkliche Erklarung von nicht geradeswegs wahrnehmbaren Ursachcn evolutiver Erscheinungen, wie z. B. von der sogenannten Mimicry, gefordert wird, vvobei also eine tiefere selbstandige Einsicht, eine freiere Tatigkeit des geistigen Vermogens auftreten müsste, fehlt dasselbe auch ganz und gar und findet man an dessen Stelle nur Autoritatsglauben. Daran lasst sich nun das Mass der hier auftretenden geis- tigen Kraft deutlich erkennen. Insoweit sich die Verstandestatigkeit noch auf konkretem Gebiet bewegt, ist die Logik nur in geringem Masse erforderlich; und so ist sie denn auch wohl dabei wirksam, wenn auch noch grossenteils unbewusst, sozusagen in gebundenem Zustand, wie es z. B. in der Mathematik der Fall ist. Sobald sie aber einen absolut abstrakten Charakter erhalt, wird das gewissenhafte Innehalten einer bewussten logischen Ordnung in dem Masse notvvendig, dass sie ohne eine solche nicht in gehöriger Weise fungieren kann; dann wird die Logik der Teleskop, ohne welchen die wahrgenommenen Nebel sich nicht in Sterne auflösen lassen. Wo es sich nun zeigt, dass das geistige Vermogen nicht in logischer Weise arbeitet, da ergiebt sich, dass es eben dazu noch auf einer zu niedrigen Stufe der Entwicklung steht. Dann bewegt es sich in den Nebeln des Autoritatsglaubens, ohne diese entwirren zu können, und müssen also die unbewiesenen Thesen anderer zur Hülfe herangezogen werden; es beschrankt sich dann die Verstandestatigkeit darauf, diese so zu verarbeiten, dass eine Anpassung der wahrgenommenen Tatsachen an dieselben möglich wird; bei unsrem Herrn W. wird so die Mimicrytheorie speziell auf das Zusammenleben der Ameisen zugestuzt. Und in diesem Chaos von Anschaungen und Betrachtungen ohne wissenschaftliche Grundlage geht dann die wirklich wissenschaftliche Erklarung der wahrgenommenen Tatsachen zu grunde. So ist es z. B. eine blosse Phrase, wenn man, wie Herr W. es macht, zur Erklarung der vielen verschiedenartigen Formen der Paussus-Fühler erst ziemlich mystische innere Wachstumgesetze annimmt, die eine besonders hohe Variabilitat gerade dieses Organes, der Fühlerkeule namlich, mit sich brachten, und dann die Variationstendenz der Fühlerkeule von Paussus als eine kombinierte Funktion der Variationstendenzen ihrer ursprünglichen Komponenten erklart, was doch gewiss jene Tendenz in keiner Hinsicht deutlich macht. Auch ist es unnötig, dann noch eine unbewusste instinktive Zuchtwahl, die schon genannte Amikalselektion, liinzu zu phantasieren. Hiitte Herr W. meinen Studiën über evolutionelle Prozesse, über das Horn der Sphingidenraupen und über die Farbenevolution z. B. einige Aufmerksamkeit geschenkt, so hatte er wissen können, dass diese so verschiedenartigen Formen der Fühler der Paussidenarten vollkommen den verschiedenen Formen entsprechen, die das Horn der Sphingidenraupen in dem langwahrenden Verkümmerungsprozess, dem es unterworfen ist, bei den mittlerweile sich differenzierenden Genera und Spezies annimmt. Beide sind nichts anderes als die Folge der Einfliisse denen die Ausserung einer lange Zeit hindurch in einer bestimmten Richtung vor sich gehenden evolutionellen Veranderung unterworfen ist. Denn eine solche Veranderung wird morphologisch bestimmt durch die Eigentümlichkeit des bei jedem der vielen verschiedenen Genera und Arten auf verschiedene Weise hervortretenden korrelativen Dranges. Aber, so wird man mir entgegenführen, wie kommen Sie zu der Behauptung, Herr W. sei nicht logisch gebildet? Er selbst weist ja ausdrücklich auf den VVert der Logik hin. In der Tat, als eine letzte Erwiderung an Herrn Prof. Dr. A. Forel ') auf den von diesem Gelehrten in seiner Schrift Naturwissenschaft oder Kohierglaube? gegen ihn gerichteten Angrifïf, antwortete er folgendes: „Sobald wir zur abstrakten Verarbeitung des an der Sinneserkenntnis gewonnenen Materials übergehen, miissen wir, wenn wir nicht mit der Wahrheit ein frevelhaftes Spiel treiben wollen, logisch richtig denken. Logisch richtig denken ist aber gleichbedeutend mit syllogistisch denken. VVissenschaftliche Schlüsse, mogen sie nun der deduktiven oder der induktiven Gedankenreihe angehören, mussen notwendig auf logisch richtige Syllogismen sich zurückführen lassen — sonst sind sie falsch. Es kann daher nur mein Mitleid erregen, wenn Forel meint, es sei eine „harmlose Kinderei" wissenschaftliche Fragen mit Syllogismen behandeln oder gar lösen zu wollen. Ein streng logisches Denken wird niemals zu Fehlschlüssen führen, wohl aber jenes unklare und ruhelose Überspringen von einer Frage auf die andere, das einer syllogistischen Prüfung nicht i) E. Wasmann S. J. Wissenschaftliche Beweisführung oder Intoleranz? C/Hol. Ccntrallblatt. 15 Sef/. 1905). stand zu halten vermag". Dies alles ist nun vollkommen richtig. Und doch ist es bei W. nichts als Schulweisheit; er hat es theoretisch gelernt und versteht nun wohl es nachzuplappern und gegen andere damit zu argumentieren, aber selbst kann er nichtsdestoweniger nicht oder wenigstens nicht immer auf diese Weise denken, weil in seiner Psyche der Verstand dessen freie Betatigung dazu erforderlich ware, noch ganz auf dem geistigen Entwicklungsstadium des Glaubens steht, und seine Tatigkeit darum allzusehr von Glauben beherrscht wird. Auch hier tritt wieder der noch naher von mir zu besprechende Unterschied zwischen dem Angelernten und der selbstandigen Verstandestatigheit scharf hervor. Die letzten beiden Kapitein werden, wie der Titel des vorletzten ^Zur Anwendung der Descendenztheorie auf den Menschen" schon erkennen lasst, der religiösen Tendenz des Verfassers ganz und gar dienstbar gemacht und sind daher zu einer wissenschaftlichen Besprechung durchaus ungeeignet. Da trifïft man seine ganz willkürliche, in diesem Geiste auch in seiner Schrift „Instinkt und Intelligenz im Tierreich" ausgearbeitete Theorie an, dass die Tierpsyche qualitativ von der des Menschen verschieden sei, von welcher eine Kluft von unüberbrückbarer Weite sie trenne, und dass von ihr die menschliche Psyche sich durch geistiges Abstraktionsvermögen, durch Willensfreiheit, durch den Besitz einer Sprache, durch den Verstand, „welcher Wissenschaft ermögliche", durch Religion und Moral unterscheide. Von diesem allen jedoch kann das an zweiter Stelle genannte, wenn auch die Katholische Kirche es lehrt, nicht bei dem Menschen nachgewiesen werden, und kommt auch das übrige bei ihm offenbar nur in evolutiver Entwicklung und daher in allen möglichen Entwicklungsstufen vor; es wird deshalb, obgleich in primitiven Formen, auch bei Tieren schon wahrgenommen, oder aber allein bei dem gebildeten Menschen, wahrend es bei dem in geringem Masse gebildeten dann gar nicht, es sei denn höchstens nur in gleich primitiven Formen, wie in etwa schon bei den Tieren, vorkommt. Den Schluss bildet sein Ausspruch, dass die christliche Weltbetrachtung die ewigwahrende sei. S Es hiesse jedoch in sehr ungerechter Weise urteilen, wenn man von einem nicht glaubigen Standpunkt aus diesem Werke darum allen Wert absprechen wollte; sozialen Wert hat es gewiss, wenn es auch nicht der ist, welchen Herr W. beabsichtigte, weil es — auch Emery hat schon darauf hingewiesen — den glaubigen Katholiken den Weg zeigt, sich nicht geringe Kenntnisse auf biologischem Gebiet zu eigen zu machen, welche Kenntnisse ihnen sonst infolge ihrer religiösen Aufïfassungen verschlossen geblieben waren, und die ihnen nicht nur grossen sozialen Nutzen bringen können, sondern auch ihre geistige Entwicklung fördern müssen, wenn sie dabei auch auf einem zu überholenden Standpunkt stehen bleiben. Der Standpunkt, den Herr W. in dieser Hinsicht vertritt, ist deutlich derselbe, den vor etwa 150 Jahren alle Naturforscher vertraten, als alle Entdeckungen auf naturwissenschaftlichem Gebiet noch für unmöglich gehalten wurden, die mit dem herrschenden religiösen Glauben in Widerspruch geraten konnten. Das gab dann Anlass zu einem sich drehenden und windenden Sichanpassen, das uns jetzt lacherlich erscheint, aber vollkommen dem entspricht, was wir jetzt bei Herrn W. beobachten können. Aber die damaligen Naturforscher hatten immerhin in ihrer Wissenschaft gegen ihre Kollegen aus dem Mittelalter grosse Fortschritte aufzuweisen und aus ihrer Entwicklungsstufe ist wieder die unsrige geboren worden. Die Arbeit des Herrn W. bedeutet also einen Fortschritt da, wo man erst zu einer niedrigeren Entwicklungsstufe auf diesem Gebiet gelangt ist, und als solche ist sie ein Anzeichen geistiger Evolution und soweit daher anerkennenswert. Aber wissenschaftlichen Wert für die Jetztzeit hat sie in geringem Masse. Sie giebt Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen wieder, die für einen grossen Teil andere erarbeitet haben, für einen andern Teil Frücht seiner eignen Arbeit sind und in diesem Fall wertvolles wissenschaftliches Material beibringen, zu dessen Verarbeitung er sich aber als nicht fahig erweist; das Werk fördert die biologische Wissenschaft um keines Haares Breite und zwar aus dem Grunde, weil das geistige Vermogen des Verfassers nicht zu der dazu erforderlichen Entwicklungsstufe gelangt ist. Es zeigt uns vollkommen deutlich, wie es um die Psyche des Herrn W. in Bezug auf die Ausbildung des geistigen Vermogens steht, das allein Wissenschaft möglich macht. Dieses Vermogen beschrankt sich bei ihm hauptsachlich nur auf die niedrige konkrete Tatigkeit, welche vorzugsweise das Wahrnehmungsvermögen in Bewegung setzt, ist in dieser Hinsicht aber ausserordentlich kraftig und erstreckt sich auch auf alles, was ihre Ausübung ermöglicht und fördert; wo aber die abstraktere Funktion erfordert wird, versagt es alsbald. Was diese und damit alle höhere geistige Tatigkeit anbelangt, ist sein Vermogen noch unzureichend. Wenn ich auch gewiss seinen Eifer und sein Wahrnehmungsvermögen richtig zu schatzen verstehe, halte ich Herrn W. doch keineswegs für den grossen Gelehrten, als welchen Prof. Dr. A. forel ihn am Schlusse seines Artikels vNaturwissenscliaft oder Kohierglaube" ') hinstellt; auch ist für mich die Tatsache, dass in demselben Gehirn dieses Naturforschers sich soviel Naturkenntnis neben soviel Glauben vorfindet, durchaus nicht, wie für forel, eine der wunderbarsten Naturerscheinungen. Nach meiner in meinem am Anfang dieser Studiën erwahnten Werke gegebenen Aufifassung der menschlichen Psyche ist solch ein Zusammengehen, worüber ich auch schon auf S. 43 von M. S. D. sprach, sogar sehr gewöhnlich. Aus demselben Grunde hangt auch Forel noch immer an der Lehre der Selektion, obschon auch diese sich nicht auf vernünftigen Beweis, sondern auf Glauben — wenn auch nicht religiösen Glauben — stützt, wenn dieser Glaube ihm selber auch als Verstandestatigkeit erscheint; denn da der Glaube sich nun einmal in der Tat qualitativ nicht von dem höhern Verstand unterscheidet, sondern nur eine niedrigere Entwicklungsstufe desselben ist, so muss er auch für denjenigen, bei dem er noch auftritt, den Charakter des Verstandes annehmen. Denn niemand kann sclbstverstandlich einen höhern geistigen Standpunkt erfassen als den, welchen er selbst erreicht hat. Man sieht nun auch bei Herrn W. ein sehr merkwürdiges Beispiel dieser einseitigen Entwicklung 1) Biolog. Centralblatt 1 Aug. iqoj. innerhalb derselben menschlichen Psyche und von der Tatsache, dass auf diese Weise ganz verschiedene Entwicklungsstufen neben einander existieren können. Er ist nicht nur auf dem Laufenden iiber die neuesten Entdeckungen auf biologischem Gebiet, sondern mit den dazu führenden Mitteln so vollkommen vertraut, dass er es ausgezeichnet versteht, sie selbst anzuwenden und so selbst mitzuwirken die Tatsachen-Kenntnis in erheblichem Masse zu erweitern. Dahingegen ist er in einem andern Teil seines geistigen Vermogens gegen den jetzigen Entwicklungsstandpunkt um 150 Jahre zurückgeblieben. Man ersieht hieraus, wie eine solche einseitige Entwicklung durch ihre besondere Kraft doch in hohem Masse die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und demjenigen, bei dem sie auftritt, den Ruf grosser Gelehrsamkeit einbringen kann. Und das zwar vollkommen mit Recht, wenn man nur den einseitigen Charakter erfasst, und einsieht, dass eine derartige Person nur innerhalb dieses speziellen Gebietes urteilsfahig ist. Das will besagen, dass, wenn auch und obwohl der Ruf des Herrn W. auf zoologischem Gebiet ein verdienter ist, sein Urteil iiber alles, was die höhern biologischen Fragen betrifft, für geringwertig angesehen werden muss. In vvieviel grösserem Masse trifft dies zu bei sovielen andern, die nicht einmal eine derartige spezielle Kenntnis aufweisen! Denn mögen sich diese vielleicht aus dem Banne religiöser Vorstellungen, wie der seinigen, befreit haben, so würde es doch ein grosser Irrtum sein, wenn man meinte, dass sie deshalb einen höhern, freien, geistigen Standpunkt erreicht hatten — was hier, wie gesagt, erforderlich ist obgleich sie sich dies nicht selten einbilden; solange bei ihnen der wissenschaftliche Autoritatsglaube noch vorherrscht, befindet sich auch ihre Psyche noch hauptsachlich in dem Stadium instinktiven Glaubens, und muss man daher ihrem Urteil auf höherm Gebiet jeden Wert absprechen. Wenn man einmal alle Urteile solcher Leute, ungeachtet ihrer verschiedenen sogenannten wissenschaftlichen Titel und dergleichen, auf ihren wirklichen psychischen und deshalb wissenschaftlichen Wert zuriickführte, so würde das in demjetzt oft so verwirrten Kampf der biologischen Wissenschaft eine grosse Klarung bedeuten, die es erlauben würde, den Kampfplatz mit klarerem Bliek zu überschauen und den Kampf an manchem Punkte mit grösserer Bestimmtheit endgiiltig zu entscheiden. Es ist jetzt in der Wissenschaft wie in den Parlamenten; es wird da furchtbar viel geschrieen; ein jeder behauptet in Staats- und Regierungssachen Bescheid zu wissen und fordert auf Grund seines Mandats, dass man dies anerkenne; in der Tat besitzen aber nur wenige diese Kenntnis in genügendem Masse. Ich setze jetzt meine Antikritik fort. H. Schmitz. S. J. Sehr niedrig in jeder Hinsicht steht die Arbeit eines andern Gegners von mir, welchen ich wohl am besten hier sogleich bespreche, nachdem ich über wasmann gehandelt habe. lm September 1905 wurde mir ein Sonderabdruck der im 51e" Band der in Munster herausgegebenen Zeitschrift „Aratur und Offenbarung" unter dem Titel: „Der wissenschaftliche Wert der Mimicry theorie" erschienenen Aufsatze von H. Schmitz S. J. zugesandt. Der Verfasser ist Jesuitenpater, wie wasmann, und halt sich wie dieser in Luxemburg auf; der Titel der Zeitschrift schon enthalt für einen Unglaubigen, wie mich, den Beweis, dass es sich nicht bloss um Naturwissenschaft handelt. Das eine wie das andere lockte mich keines-wegs dazu, auch diese Kritik noch vorzunehmen; solche geistlichen Herren führen doch jede einigermassen wichtige wissenschaftliche Meinungsverschiedenheit immer auf eine Difïferenz in religiöser Auffassung zurück, und vergiften auf diese Weise von vornherein jede Diskussion. Denn, wie ich schon früher betonte, gegen Glauben hilft keine Rede oder Beweisführung j darum scheint mir die Erörterung einer derartigen Arbeit in der Tat als überflüssig. Überdies ist eine solche auch sehr unangenehm. Denn, wenn ich auch gewiss keineswegs einem feind bin, weil er sich zu andern religiüsen Aufifassungen wie den meinigen bekennt und ich jedem die Freiheit lasse auf seine eigene Weise selig oder, wenn er es wünscht, verdammt zu werden, wenn er andern nur auch dieses Recht zuerkennt und sie nicht nach dieser Hinsicht hin schadigt oder belastigt — diese Herren wollen selten den Standpunkt der Duldsamkeit einnehmen und fordern sogar, dass man sie in jener Beziehung als seine Vorgesetzten anerkenne. Dann stösst man auch bei ihnen stets auf eine solche Neigung zu Trugschlüssen und öfters auch auf einen so auffallenden Mangel an Ehrlichkeit in der Beweisführung, und ist ihre Argumentation so weit von einer unparteischen reiflichen Erwagung der einander gegenüberstehenden Meinungen entfernt, dass es einem allmahlig zuwider wird, sich in eine Diskussion mit ihnen einzulassen; die vorliegende Schrift des Herrn Schmitz weist dcrartige Beispiele in Hulle und Fülle auf, wie sie auch in Wasmanns Polemik nicht fehlen. Welchen Einfluss das kirchliche Element auch hier schon sogleich, wo er gegen mich auftritt, ausiibt, zeigt sich z. B. schon auf S. 4, wo der Verfasser gegen meine Behauptung, dass die Mimicrytheorie in der ersten Zeit geringen Beifall gefunden habe, weil viele sie mit der Wiirde der persönlichen Schöpfung unvereinbar erachteten, da ja ein direktes, übernatiirliches Eingreifen wohl das beabsichtigte Ziel auf einem weniger umstandlichen und schneller zum beabsichtigten Ende führenden Wege erreichen und die Geschöpfe auf einfachere Weise genügend beschützen konnte, ofïfenbar wütend folgendermassen ausfallt: „Indem er diese vollstandig unrichtige Anschauung den Vertretern einer glaubigen Naturforschung unterstellt, zeigt er (Piepers), dass er von der Grossartigkeit und Weitherzigkeit der teleologischen Weltbetrachtung keine Ahnung hat". Indem ich nun dahingestellt sein lasse, ob diese meine Anschauung so vollstandig unrichtig ist, was ich zu bezweifeln mir erlaube, so möchte ich doch jeden Unparteiischen auf sein Gewissen hin fragen, ob darin etwas für christlich Glaubige Verletzendes liege, und weiter, ob man, wenn man auch selbst andrer Meinung ist, es den Glaubigen nicht nachfühlen kann, dass eine teleologische Weltbetrachtung ihnen als etwas sehr Grossartiges erscheint. Auch ich war in meiner Jugend glaubig. Wie denkt Herr S. wohl über das berühmte Gedicht des unglaubigen Juden heinrich Heine „Die Wahlfahrt tiac/i Kev/aar" ? Allein was geistig höhcr stcht, als der eigene Standpunkt, kann man nicht verstehen, der Glaube aber stellt einen niedrigern evolutionellen Standpunkt dar, als der Verstand; auch hier zeigt sich das deutlich. Man sieht auf diese Weise zu welch' dummem Geschwatz die durch eine künstliche Erziehung zu einer wahren Manie gewordenen religiösen Aufifassungen dieser Leute führt. Dieses per se feindliche Auftreten gegen einen jeden, der ihren religiösen Standpunkt nicht teilt, ist denn auch die angeborene Natur dieser ecclesia militans und in der Praxis wird jede Waffe für erlaubt gehalten, da es ja ein Mittel ist zur Erreichung des guten Zwecks; deshalb spielen Verdachtigung und allerhand Mangel an Aufrichtigkeit immer eine Hauptrolle; und sind es diese Beschwerden nicht, die von altersher gegen die Mitglieder des Jesuitenordens vorgebracht worden sind Zwar sind diese Vorwürfe nicht jedem Mitglied dieses Ordens gegeniiber berechtigt. Denn auch hier muss die biologische Wahrheit gelten, dass das erbliche Element — in diesem Fall der individuelle Charakter — sich immer als weit starker erweist, als die darauf einwirkenden Einflüsse, deswegen auch starker, als die der speziellen Erziehung, wie einflussreich die damit verbundene Dressur auch sein mag. Wohl aber fordert die Erziehung in starkem Masse dergleichen Neigungen da, wo auch durch Vererbung das moralische Element nicht hoch steht, und das ist ja bei weitaus den meisten Menschen der Fall. Der unertragliche geistige Hochmut, der in dem von dergleichen Leuten geführten *1 on so scharf zum Ausdruck kommt, gründet sich auf die anmassende Auffassung, die sie sich von ihrem Standpunkt bilden. Wenn man ihnen glaubt, so bewegt sich die geistige Entwicklung des Menschen auf einer Bahn, an deren einem Ende sich die menschlich gerlarhte Gottheit. der Gottmensch, befindet, und am andern 1 Hf - 1_ -1 —^ A Ci .. n • t? .. _i _ J „u iarA nohprnnp v ens iit~i n , r.nue uei ucm AI*-**. — » — und auf dieser Bahn nehmen sie sich nun die Freiheit, sich selbst weit über den andern Menschen einen Platz einzuraumen, der sich ziemlich dicht an dem obern Ende befindet. Sie ahnen es aber selten, dass ihr Platz in den Augen anderer, welche in dem Glauben nur eine niedrigere Stufe geistiger te Entwickelung erblicken, im Gegenteil — wenigstens auf dem Gebict, wo dieser Glaube sich geltend macht und dies ist fast überall der Fall — noch nicht sehr weit über den niedrigsten Standpunkt erhaben ist. Es wird das also eine nicht unerhebliche Degradation heissen, so von fast Gott bis fast Afifen herunterklettern zu mussen. Dieses Sturzbad darf ich ihnen nicht vorenthalten; es ist notwendig, um es ihnen deutlich zu machen, welch, ebenso lacherlichen, wie Arger erregenden Eindruck dieser Ton geistigen Hochmuts auf einen jeden machen muss, in dessen Augen sie sich noch auf einem so niedrigen Standpunkt geistiger Entwicklung befinden; solche Selbstüberhebung eines Menschen, der sich damit brüstet, dass er noch deutlich einen Teil des vorvaterlichen Schwanzes an sich spurt! Endlich zeigte sich mir beim Lesen der ersten Seiten, dass dieser Angrifïf eigentlich fast jeder Bedeutung fiir mein Streben entbehrt. Denn was den Zweck betrifft, mit dem ich in M. S. D. aufgetreten bin und den ich seitdem auch weiterhin immer im Auge gehabt habe, so ist derselbe ja die Bekampfung der darwinistischen Lehre, der darwinistischen Moral, wie diese jetzt auf das ganze soziale Leben einwirken, und, meines Dafiirhaltens, auserordendlich bedeutsame haktoren der in demselben stark zutage tretenden Verderbnis sind. Da nun fiir die darwinistische Theorie besonders für die Selektionslehre die Mimicrytheorie, wie einer ihrer hauptsachlichsten Anhanger, der Universitatsprofessor Weismann, ausdrücklich erklart hat, eine der kraftigsten Stützen ist, und ich mich durch meine speziellen Studiën für besonders geeignet und berechtigt hielt, eben diese erfolgreich zu bekampfen, habe ich an erster Stelle gegen letzere Theorie meinen Angrifif gerichtet; aber immer im Hinblick auf ihre Bedeutung für das darwinistische System. Und was sehe ich jetzt? Herr S. verwirft auch die darwinistische Atiffassung der Entstehung der Mimicry und damit auch ihren Wert für die Selektionstheorie ganz und gar; er setzt an ihre Stelle eine andere, auf supranaturalistischer Grundlage aufgebaute, wenn er letzere auch allerhand darwinistischen Begriffen anzupassen versucht. Darauf brauche ich nicht naher einzu- gehcn; denn so bald man mit mir cinverstanden ist, dass die darwinistische Theorie von der Genesis der Mimicry nicht zutrifft, fallt damit auch der Wert der Mimicry für das darwinistische System weg, gegen welches ich kampfe. Wie man weitcr die sogenannten Mimicryerscheinungen zu erklaren wünscht, ist für mich nur eine Sache von nebensachlicher Bedeutung. Ich kann jetzt, nachdem ich mich so ausführlich über diese Frage verbreitet habe, die Sache ruhig dem evolutionellen Fortgang der Verstandestatigkeit bei den Freunden der Wissenschaft überlassen. Und gewiss me mit grosserem Vertrauen, als jetzt, wo ich sehe, dass auch der mich so heftig bekampfende Herr S. zu meiner grossen Freude eine nicht unerhebliche Anzahl dieser sogenannten Mimicrytatsachen ins Reich der Fabeln verweist und darunter sogar solche, wie die der Kallitnas oder der Verfarbung der Sphingidenraupen, welche schon seit Jahrzehnten von den Mimicryfanatikern als wahre Götzenbilder ersten Ranges verehrt worden sind, und die, um nicht einmal von dii minores zu reden, z B auch von WEISMANN und POULTON als unantastbare Tatsachen in den Vordergrund gestellt werden! So sieht man, wie allmahlig das Licht durch die Finsternis hindurchbricht, und wo man es nun einmal soweit gebracht hat, wird auch das übriggebliebene Verfehlte wohl nach und nach verworfen, und der von mir schon jetzt eingenommene Standpunkt erreicht werden. Denn aller Glaube schwindet nur evolutionell, allgemach, stückweise. So wird es namlich den eigentlichen, freien Naturforschern ergehen, nicht aber den Geistesverwandten des Herrn S.; denn bei diesen hat ja das Uberbleibende eine neue supranaturalistische Grundlage erhalten, und wird demzufolge selbstverstandlich der weitere Fortschntt auf lange Jahre gehemmt werden. Aber die Wissenschaft wird sich dadurch nicht aufhalten lassen. Im Gegenteil, meines Erachtens wird die Wendung, welche dieser Pater der Sache giebt, Wasser auf meine Mühle bringen. Trotz allem kann fch doch auch diesen Angrifïf nicht unbeantwortet lassen; es ist doch wohl notwendig, die Unbedeutendheit und den Mangel an ernste Streben nach Wahrheit in dieseni Angriff darzulegen, wenn ich nicht den Schein auf mich laden will, vor diesem Feuerwerk zurückgeschreckt zu sein. Ausserdem ist dieser Angreifer bis jetzt der einzige, der meine Theorie der tarbenevolution behandelt hat; und wenn auch seine Bestreitung alles andere ist wie eine wissenschaftliche Diskussion, sondern vielmehr ein a prioristisches Zanken, so ist er doch der einzige, der auf diesem Kampfplatz nicht nur mit hohlen Allgemeinheiten aufgetreten ist — wie z. B. der nachher ins Auge zu fassende Dr. schröder — und verschafft er mir auf diese Weise eine erwünschte Gelegenheit, meinen diesbetrefifenden Standpunkt des nahern zu beleuchten. Folgen wir dem Verfasser also in seiner Beweisführung. Nach einer kurzen Geschichte des Mimicrybegrififs als Einleitung gelangt er zu dem oben schon erwahnten Standpunkt, bei dem „die Tatsache der auffallenden Ahnlichkeit von Kopie und Vorbild, und die Hypothese, dass diese Ahnlichkeit der Kopie ein Schutzmi'ttel sei, dadurch zur Erhaltung der Art beitrage und ihr eine bestimmte Individuénzahl sichere", angenommen wurde, „das Zustandekommen der Mimicry auf dem Wege einer mechanisch wirkenden Ursache, wie der natürlichen Zuchtwahl" — wie die Mimicryidee, sagt er, als dem Darwinismus ganz auf den Leib geschnitten, mit dem Geprage der haltlosen darwinistischen Theorie zuerst auftauchte — aber verworfen wurde. Weiter werden dann die Mimicryerscheinungen als neue Belege für die teleologische Naturerklarung aufgefasst, nach welcher die Zweckmassigkeit der Einrichtungen auf überraschend deutliche Weise auf eine gewollte Zweckstrebigkeit, auf die Urheberschaft einer intelligenten Ursache' hinweist. Diese Ursache ist dann selbstverstandlich — Wasmann betont dies nachdrücklich — transcendentaler Natur. Und die Mimicry wird dann dabei als etwas Objektives, Unleugbares vorausgesetzt. Man ersieht auch wieder hieraus, was ich schon zu wiederholten Malen gegen Wasmann anfiihren musste, dass der Beweis, den man der aufgestellten Behauptung schuldet, nicht geliefert, ja sogar eskamotiert wird. Man erlaube mir einmal ein Beispiel einzuschalten, das deutlich machen wird, was ich meine und mir an sich gegenüber diesen Gegnern als sehr geeignet erscheint. Man stelle sich einmal vor, ein kundiger Medikus habe geleugnet, dass sich in Lourdes Wunder ereigneten, und unverzüglich hatten zahlreiche Glaubige sich diesem Ausspruch widersetzt und ihn nut einem Überfluss von Zeugnissen und Erklarungen überschiittet, um die Wahrheit der Tatsache zu zeigen, dass verschiedene von der Fakultat seit Jahren für unheilbar erklarte Krankheitsfalle durch die Wunderkraft zu Lourdes vollkommen geheilt worden waren. Aber, bitte sehr, würde dann der Medikus antworten — wenn ich es übrigens auch für sehr möglich halte, dass viel Einbildung und sogar absichtlicher Betrug zwecks Reklame auch hier eine Rolle spielen — dass in Lourdes dann und wann derartige Heilungen vorkommen, leugne ich nicht im entferntesten. Was ich nur bestreite, ist, dass diese durch eine transcendentale Wundervvirkung geschehen sein sollten. Ich leugne dies i°, weil ich die Existenz solcher Wirkungen nicht als eine wissenschaftlich feststehende Tatsache annehmen kann, und 2° weil ich dahingegen wissenschaftlich überzeugt bin, dass derartige Heiungen ohne eine solche Wunderkraft stattfinden können; sie ereigneten sich auch auf dem Grabe des Diakons PARIS und noch in vielen andern Fallen; dergleichen Erscheinungen werden durch Suggestion verursacht und scheinen besonders in Fallen religiöser Erregung durch Autosuggestion sehr kraftig aufzutreten. Es sind Erscheinungen von dem Einfluss der Psyche auf die Physis, deren Natur die medizinische Wissenschaft auf ihrem jetzigen Standpunkt noch nicht vollstandig erklaren kann, die sie aber keinesfalls leugnet, wenn sie denselben auch durchaus nicht einen supranaturalistischen Charakter zuerkennt. Ebenso, wie nun solche Glaubigen in diesem 1- alle den transcendentalen Einfluss a priori als etwas Unleugbares annehmen und meinen, dass es, um das Auftreten dieser Wunder zu beweisen, hinreiche, die materielle Tatsache zu beweisen, worin dieses Wunder in die Erscheinung trete, ebenso meinen auch die Herren SCHMITZ und WASMANN dass man, um die Mimicry zu beweisen, sich damit begnügen könne, zu zeigen, dass zwischen zwei Tieren oder einem Tier und einem andern Gegenstand eine grosse Ahnlichkeit bestehe. Dass dies der Fall sein kann, bisweilen in dem Masse, dass sogar Tiere sich dadurch können irreführen lassen, das wird auch von mir nicht geleugnet, wenn ich auch bei weitem die grösste Anzahl dieser angeblichen Tatsachen der Einbildung und Phantasie zuschreibe; ich erklare dergleichen Tatsachen auf natürliche Weise und zum Teil auch durch Zufall, und lehne, solange es mir nicht bewiesen wird, die hrklarung des Zustandekommens nach der darwinistischen Theorie auch in ihrer transcendentalen Fassung, den diese Herren ihr geben, ab. Auf diese Weise fahren sie nun fort, indem sie immerfort die Tatsache mit der subjectiven Deutung, ob unbewusst, ob absichtlich, verquicken und so den Anschein erwecken, als ob sie, wenn sie das Vorhandensein der ersteren bewiesen hatten, dadurch auch den Beweis der Richtigkeit dieser Deutung geliefert hatten. Dass die so bezeichnete Hypothese, namlich die obenerwahnte, mit den Worten des Verfassers selbst angeführte Behauptung „dass die Ahnlichkeit der Kopie ein Schutzmittel sei, dadurch zur Erhaltung der Art beitrage und ihr eine bestimmte Individuenzahl sichere", an erster Stelle auf wissenschaftliche Weise gestützt und auf diese Weise annehmlich gemacht werden müsste — das lassen sie ausser acht und suchen der dahingehenden Forderung sich zu entziehen. Eine Hypothese, wenigstens eine wissenschaftliche, darf man das nicht einmal nennen, denn von einer solchen darf man verlangen, dass sie sich immer teilweise auf richtig bewiesene Tatsachen gründe, was hier ganz und gar fehlt; es ist hier also nur die Rede von einer ganz in der Luft schwebenden Auffassung, von einer bloss willkürlichen Vermutung. Noch in dem letzten Teil seiner Schrift, auf S. 467 geht es immer auf dieselbe Weise weiter. „Das Vorhandensein der Mimicry ist ein Faktum und contra factum non valet argumentum" heisst es da, und auf diese bequeme Weise versucht er dann meine Argumente zu vernichten. Auch hier ist einzig und allein die Tatsache der Ahnlichkeit ein Faktum, nicht aber, dass diese Ahnlichkeit einen mimetischen Wert und noch weniger eine mimetische lendenz hat, und das ist es doch, was man, wenigstens in einer wissenschaftlichen Diskussion über den Gegenstand der Mimicry, unter diesem Namen versteht, nicht also nur die Tatsache der blossen Ahnlichkeit. So versucht es unser Pater, sich mit Worten durchzuwinden. Auch auf S. 412 wird ' in gleichen Weise das Gesetz der Anpassung an die Umgebung zu Schutzzwecken einfach als etwas Feststehendes ausposaunt. Aber er beweist nichts. Mit dergleichen Trugschlüssen versuchen diese Herren auf bekannte Advokatenweise der Verpflichtung zum Beweis zu entgehen und wenn irgend möglich die Beweislast auf die Schultern der Gegenpartei abzuschieben; in dergleichen Kunstgriffen suchen sie ihre Starke. Herr S. fangt damit an, sehr oberflachlich einige Gegner der Mimicrylehre zu erwahnen: ElMER, VON AlGNER Ahai i, HlLDEBRAND und besonders mich, den er an dieser Stelle wohl als den schlimmsten Verbrecher hinstellen möchte, „denn , sagt er, „was PIEPERS gegen die Mimicry vorbringt, hat mancherorts "sichtlichen Eindruck gemacht und die Überzeugung von der Wahrheit der Theorie ist sicher bei mehr als einem, der sein Buch gelesen hat, erschüttert". Mit Vergnügen habe ich von der Feststellung dieser Tatsache Kenntnis genommen ; dann habe ich jedenfalls nicht umsonst gearbeitet; wenn der ausgestreute Samen nur in die Erde aufgenonimen ist, wird er auch wohl — wenigstens hier und dort — aufgehen. Statt positiv beweisführend aufzutreten, wahlt er nun lieber den negativen Weg des Widerspruchs. Das ist allerdings weit bequemer; namentlich wenn dieser Widerspruch auch wieder nicht aus einer auf Tatsachen sich gründenden Argumentation besteht, ist er nicht schwierig; man kann schliesslich alles verneinen und nur ein wenig ins Leere hineinreden. Es will mir denn auch erscheinen, als ob hier in der Tat die Ausserung einer und derselben Bildung bei beiden geistlichen Herren zum Vorschein kame und ihre ganze Dialektik sich nur auf Behaupten oder Verneinen beschranke, der Beweisführung jedoch zu entgehen versuche; in der Tat, für eine Dialektik, die vor allem die Behandlung theologischer Fragen im Auge hat, sehr zweckdienlich; mit den Forderungen der wissenschaftlichen Beweisführung kommt man in der Theologie meistens nicht weit. Ein hübsches Beispiel dieser seiner Art der Beweisführung findet man z. B. auf S. 391. Nachdem er dort daran erinnert hat, dass der historische Ausgangspunkt der Mimicrylehre die Hypothese (besser gesagt die Idee) von Bates über die Immunitat der Heliconiden sei, lasst er darauf folgen, dass ich nun trotzdem behaupte, dass diese Immunitat nie bewiesen worden sei und dass deshalb die ganze Mimicrytheorie auf einer falschen Basis beruhe. Aus diesem Beispiel könne man nun meine Beweisfiihrung erkennen; ich schlösse mit Vorliebe von einem Fall auf alle übrigen. Wenn auch diese Idee von Bates hinsichtlich des Tagfalters unrichtig war, folgt dann daraus schon, dass sie sich in andern Fallen nicht als richtig erweisen kann? Es würde das z. B. noch nichts gegen die Schutzfarbung beweisen, die der Sache nach schon vor Bates bekannt war. Man hat hier wirklich ein sehr treffendes Beispiel falscher Logik, in der Tat wohl imstande, wenig logisch entwickelte Leute mitzureissen; die Dialektik, welche diesen Herren beigebracht wird, mag denn auch wohl auf ein derartiges Publikum zugeschnitten sein. Logisch Denkende werden jedoch antworten, dass wenn die Bedeutung der zur Grundlage dienenden Tatsache wegfallt, auch die aller bloss darauf beruhenden Tatsachen verloren geht, wenn es auch Tausende waren, und dass hierbei durchaus nicht das Schliessen von einem Falie auf alle übrigen vorliegt. Dass die Idee Bates', wenn sie sich schon für diesen Tagfalter als unrichtig erwies, nichtsdestoweniger in andern Fallen wohl als richtig sich erweisen könnte, ist ohne Widerrede richtig, aber, wo man behauptet, dass dies der Fall sei, soll man dies doch auch nachweisen; das ist aber ebensowenig jemals geschehen; auch nicht, was die Schutzfarbung betrifft, die zwar, wie ja auch viele Mimicryfalle, der Sache nach vor Bates bekannt war, aber erst viel spater in demselben Geist und nach derselben Theorie erklart wurde, und auf diese Weise nur der Ausbreitung derselben Auffassung gedient hat. Aber was giebt uns denn der Kritiker hier an Stelle des verlangten Beweises? „Der Mimicrygedanke", sagt er (S. 391), „ist abstrakt genommen so einfach, dass man wohl a priori Grund hat, zu vermuten, die Natur, die wir ja tatsachlich alle möglichen Mittel ergreifen sehen um die Lebewesen zu erhalten und zu beschützen, habe auch das einfache Mittel der schützenden Ahnlichkeit nicht verschmaht". Eine a prioristische Betrachtung, die sich mit einer sehr subjektiven Auffassung der Natur paart; wozu man noch bemerken könnte, dass übrigens das genetische Studium der angeblichen Mimicryerscheinungen wohl zeigt, dass diese alles andere als einfacher Art sind. Nun, in der Wissenschaft hat eine a prioristische Betrachtung keinen Wert, und ich könnte denn auch hiermit alle eigentliche wissenschaftliche Diskussion mit diesem Gegner, jetzt, vvo er sich so deutlich in dieser Hinsicht ausgesprochen hat, ruhig schliessen. Ich glaube auch ganz gut zu verstehen, warum ihm das Unwissenschaftliche seiner Anschauung entgeht; er, dessen Psyche noch für einen übergrossen Teil in dem Glaubensstadium sich befindet, kann wirklich das Ungenügende dieser a prioristischen, d. h. auf glauben sich griindenden Beweisführung nicht einsehen. Ich werde mich denn auch nur darauf beschranken, einige Tatsachen aus den Behauptungen des Verfassers zu erwahnen, deren Behandlung mir trotz alledem nicht ohne Bedeutung erscheint. Wo er sich nur befleissigt, willkürlich meinen Ausführungen zu widersprechen, wie z. B. den Wert des angeblichen Verfolgung der Tagfalter durch Vogel, bin ich wohl genötigt diejenigen, welche es interessiert, zu bitten, selbst den Text nachzulesen und, nachdem sie die Stelle mit meinen Ansichten verglichen haben, ihr Urteil zu fallen. Drei Arten von Mimicrybeispielen will er unterschieden haben. 1. Die echte Mimicry, welche nach ihm auf unumstösslichen Beobachtungstatsachen beruht, bei welchen alle dazu mitwirkenden Faktoren genau bekannt sind, die sich experimentell nachprüfen lasst, und die eine Gesetzmassigkeit bekundet, welche sich anders als durch die Mimicrytheorie gar nicht befriedigend erklaren lasst. 2. Die zweifelhafte, die nur auf Vermutungen beruht. 3. Die falschen Phantasieprodukte, die auf Irrtum beruhen. Unter diese Kategorie fallen alle Falie, welehe er verwirft und darunter, wie schon oben gesagt, auch solche, welche durch die sogenannten Mimicryautoritaten noch als unwiderlegbar und von grösster Bedeutung angenommen werden. «r,hTber JiC ^etZte" bdden GruPPen kan" ich also hinweggehen. Was die unter i. erwahnten Falie angeht, so betreffen !Se u"»mjj°«l.chen Beobachtungen immer nur die Tatsache r nhchkeit, nicht die der mimetischen Wertschatzung oder Tendenz, was Herr S., wie schon gesagt, immer ver wechse t wahrend die Kenntnis der dazu mitwirkenden Fak- Narï C ZtCT "iCht Zeigt WaS das exPerimentelle chprufen betnfft, so können damit wohl allein die be- kannten Expenmente gemeint sein, insektenfressenden Tieren nsekten vorzuhalten, doch sind diese, wie ich schon aus- rlich in M. S. D. nachgewiesen habe, nicht nnr ungenügend, sondern dienen sogar grösstenteils gar nicht der Bestatigung r imicrytheone. Schliesslich kann diese angebliche Ge- se zmassigkct, mit welcher er wie sich aus den folgenden Seiten erweisst, diejenige meint, mit der dieselbe Farbung bei allen schutzbedürftigen Tieren einer Art auftritt öfters «so ern sie wirklich anwesend ist, sehr gut ohne die SE pJh eOUXr Z' B' dUrCh dCn Elnfluss einundderselben Um- Listie?t CrSo rt rif"' Wie SiC andrerseits oft auch gar nicht existiert. So ist z. B. unter den auf Blattern oder zwischen ras lebenden Tieren, vor allem unter den Insekten, nichts gewohnhcher, als die grüne Farbe, und kann diese in der rHnfh0 einlgen ^chutz mit sich bringen; aber doch leben aneben, in derselben Umgebung auch zahlreiche Tierarten welche anders gefarbt sind, und unter diese,i auch viele r^ar Ung auch ™ht so auffallend ist, dass man die Schreckfarbung zur Hilfe rufen könnte. Die Schutzfarbung der Hasen ist diesem Autor ein Bei- auf den M ^ ** Wirküng ihrer Schutzfarbung auf den Menschen ist allbekannt, und dass sie auch ge~en die Feinde im Tierreich sich als nützlich erweist, kann nicht bezweifelt werden. Was ich nun auf S. 223 von M. S. D emerkte, dass doch allein unerfahrene Personen dadurch ge auscht werden und andere, die taglich sich im Felde aufT,erMW0hl bemerken, lasst der Verfasser einfach StelL n f h W CrWahnt er daSegen> was ich an derselben des Hasen ^ gegen die natürli<*en Feinde des Hasen, wie Fuchse und Wölfe, nicht viel helfen könne da diese Tiere doch hauptsachlich nach dem Geruch jagten. Doch' dies tut er nur, um mich der Übertreibung zu beschuldigen, da, wenn auch diese Tiere nach dem Geruch jagten, doch auch der Gesichtsinn dabei eine bedeutende Rolle spiele: einen blinden Jagdhund, obgleich ein mit gutem Geruchssin ausgestattetes Tier, könne man ja auf der Jagd nicht gebrauchen! Solch ein Kritiker redet von Übertreibung! Andere machen es übrigens nicht besser. Der Jahrgang 1906 der Entomologischen Zeitschrift fangt mit einem Aufsatz an Ueber die Farbung der Lepidoptera, Ein Beitrag zur DescendenzTheorie von Oskar Procknow, und in der zweiten Nummer (8 April 1905) liest man nun anlasslich meiner Worte, „dass die Jagd lehre, dass dem Jagdhunde kein Hase entgehe , folgendes: „Es wundert mich, dass es, wenn dies richtig ist, noch Hasen giebt, oder besser so: da es trotz der vielen Jagden noch viele Hasen giebt, ist diese Annahme falsch. Gewiss jagt der Jagdhund zum Teil mit dem Geruch, d. h. wenn er eine Spur gefunden hat; aber dass er das Gesicht nicht gebraucht und dass deshalb dem Hasen seine Schutzfarbe garnichts nützt, wie plefers meint, ist doch zuviel behauptet. Also: wenn das Gesicht beim Erspahen der Feinde eine Hauptrolle spielt, so ist, selbst wenn es in vielen I- allen so scharf ist, dass es den Trug der Mimicry merkt, doch im allgemeinen ein Nutzen der sympathischen Farbung vorhanden". Ich habe diesen ganzen Satz abgeschrieben, um zugleich einmal deutlich zu zeigen, wie auch hier wiedei der suggestive Einfluss der einmal gefassten Meinung auf den Gedankengang einwirkt. Man beachte doch einmal, wie die im vorletzten Satze ausgesprochene blosse Verneinung der Behauptung, dass der Hund das Gesicht nicht d. h. ganz und gar nicht — gebrauche, nun im letzten Satz dahin umgedeutet wird, dass also das Gesicht im betreffenden Falie eine Hauptrolle spiele! Übrigens habe ich nie gesagt, dass ein Jagdhund seinen Gesichtssinn durchaus nicht gebraucht, sondern nur, dass beim Aufspüren des Wildes der Geruch bei weitem die Hauptrolle spiele. Und dass nun, wenn bei der gewöhnlichen, hier besprochenen Hasenjagd mit dem Vorstehhund, cin Feld nicht von cincm Sontagsjager, sondern regelmassig abgejagd wird, kein Hase cinem guten Hunde entgeht, das behaupte ich noch immer. Herr Pr. ziehe darüber einmal einen Jager zu Rate; denn offenbar versteht er von dem Weidwerk nicht viel und weiss nicht, wie methodisch eine solche Jagd betrieben wird; er hatte dann aber besser getan, darüber nicht zu urteilen. Dass dessenungeachtet nicht alle Hasen ausgerottet werden, ist wohl natiirlich, weil ja, wenn auch der Hund einen Hasen aufgespürt hat, darum noch nicht jeder Schuss sein Ziel trifft, wahrend auch nicht selten, namentlich bei einer bestimmten Witterung, die Hasen nicht so ruhig liegen bleiben, sondern schon auf ziemlich weite Entfernung den Jager und den Hund nahen sehen und fliehen. Weiter eignet sich auch nicht jedes Feld zu einer derartigen Jagd und gescheht dies auch nicht überall zugleicherseit, sodass in einem I'eld, das heute abgejagd worden ist, morgen wieder aus den noch nicht untersuchten Strecken Hasen heriiberkommen können. Was übrigens das von mir in M. S. D. Gesagte betrifft, dass namlich allein unerfahrene Personen einen stilliegenden Hasen wegen seiner sogenannten Schutzfarbung nicht bemerkten, so fand ich eine gleichartige Beobachtung in einem vor kurzem erschienenen Werke ') eines hollandischen Vogelkenners von offenbar grosser Erfahrung ausgesprochen, in dem dieser behauptet, dass die angebliche Schutzfarbung der Eier vieler Strandvogel auf ihren Brutstatten an den hollandischen Kiisten sie in Wirklichkeit durchaus nicht gegen Krahen und andere Eierrauber beschütze. So kame es, dass allerdings wohl ein gewöhnlicher Tourist durch das ganze Brutgebiet gehen könne, ohne ein einziges der zahlreichen Nester zu bemerken, dass jedoch ein einfacher Schuljunge aus jenen Gegenden, der gewohnt sei Eier zu suchen, kaum eins überschlagen werde. Und doch ist dieser Ornithologe im Übrigen was Mimicry, Schutzfarbung und dergleichen anbelangt, ein darwinistisch Glaubiger. I) JA'. P. Thijsse, Het intime leven der vogels, Haarlem /yofi. In der Pflanzenwelt sind nach Herrn S. die Aaspflanzen die besten Beispiele einer echten, auf Tauschung des Geruchssinnes berechneten Mimicry; nur die Tatsache, dass sie viel von Aasfliegen besucht werden, steht jedoch fest, nicht aber einmal, dass dies die Bestaubung dieser Pflanzen sehr fördere, oder auch nur dazu nötig und der Geruch deswegen entstanden sei. Aber diese Feststellung scheint, wie wir schon sahen, diesem Verfasser nicht geboten zu sein. Dass sich die Aasinsekten dadurch verleiten lassen, ihre Kier an die Blüten, u. s. w. zu legen, wodurch ihre Nachkommen zu Grunae gehen, ist — sagt er — für das Wesen der Sache nicht von Belang. Wo man aber eine derartige supranaturalistische Fürsorge in der Natur für die Erhaltung der lebenden Wesen annimmt, klingt es doch sonderbar, dass diese F ürsorge für einige Pflanzen den Untergang vieler Insekten zur Folge haben darf. Dass ich die Notwendigkeit des Insektenbesuches für die Pflanzen bestreite, ist eine Behauptung ohne „irgend eine Bedeutung". „Welches sind die Gründe, sagt er, welche er gegen diesen fundamentellen Lehrsatz der Blütenbiologie ins Feld führt? Sie bestehen darin, dass er die in dieser Richtung angestellten Versuche als unvollstandig bezeichnet und sich auf ein Gesprach mit hugo de Vries beruft, worin derselbe sich über diesen Punkt etwas reserviert aussert. Das ist alles. Indessen hier gilt der Grundsatz: tantum valet auctoritas, quantum argumenta". Ks will mir scheinen, als ob bei ihm das Latein in einer ehemals sehr üblichen Weise als Beweis einer Wissenschaftlichkeit herhalten muss, besonders da, wo diese faktisch nicht anwesend ist; in diesem I-all ebensowenig, wie die erforderliche Ehrlichkeit in der Darstellung. Versuche, aus denen die angebliche Notwendigkeit dieses Insektenbesuches hervorginge, sind einfach nicht gemacht worden. Hugo de vries sagte denn auch, dass er an diese Notwendigkeit nicht glaube, obgleich er doch solchen Besuch wegen der dadurch vermittelten Wechselbestaubung wohl für einen Vorteil für die Pflanzen halt; ich habe übrigens nicht nur gegen diese sogenannte Notwendigkeit, sondern auch gegen den im allgemeinen diesem Besuch zugeschriebenen V orteil im XLcn Kapitel von M. S. D. viele Argumente angeführt, darunter z. B. auf S. 323 die unzweifelhaft bedeutend wichtigere von Wallage in seinem bekannten Werke über den Darwinismus ausgesprochenc Erkenntnis, dass noch immer vermutlich bei weitem die meisten Pflanzen nicht durch Wechselsondern durch Selbstbestaubung sich fortpflanzen und dass unter letzteren auch mehrere sind, die gelegentlich auch wohl durch Insekten befruchtet werden können; und gerade unter den durch Selbstbestaubung sich fortpflanzenden kommen nun viele vor, die besonders kraftig sind und sich sehr stark verbreiten. Nun ist es mir seitdem wohl bekannt geworden, dass die erste Behauptung nicht von allen Botanikern anerkannt wird; Prof. Dr. S. reinke sagt z. B., dass Selbstbestaubung im allgemeinen von den Pflanzen vermieden werd; aber doch ist die letzte Behauptung unstreitig wahr und hier von grosser Wichtigkeit; noch in einer seiner letzten Schriften erklarte auch Hugo de Vries, dass die kleinblumigen Blütenpflanzen in den meisten Fallen auch dann Samen und Frucht tragen, wenn sie nicht von Insekten besucht werden. Weiterhin, wo ich diesen Punkt noch im besondern bespreche, werde ich wohl noch dies und jenes hinzufügen. „Das ist alles." Ich werde nun übergehen zu den Angrifïfen des Herrn S. auf meine Theorie der Farbenevolution. In dem Ton gesuchter Geringschatzung meiner Arbeit, der ihn kennzeichnet, kommt er bald dahin, zu erklaren, dass meine Erklarungsversuche betreffend die Mimicry fast alle auf der Lehre der Farbenevolution beruhten, und nun diese Theorie und die der Mimicry sich in allen Punkten gegenseitig ausschlössen; die eine könne neben der andern nicht existieren. Das ist aber wieder unrichtig dargestellt. Ich habe doch eine grosse Anzahl sogenannter Mimicrytatsachen ganz ohne Hilfe der Farbenevolution erklart, und wenn auch letztere meines Erachtens in solchen Fallen von grossem Nutzen und bisweilen sogar unentbehrlich ist, viele Naturforscher lehnen die Mimicry ab, auch ohne dass sie die Farbenevolution kennen oder annehmen; Herr S. macht es genau so, da, wo er von zweifelhafter oder falscher Mimicry spricht, und die Grenzlinie, die nach ihm zwischen dieser und der, welche er für echt erklart, bestehen soll, ist rein willkürlich gezogen. Auch die Ameisengastenmimicry von Wasmann, welche von ihm so verherrlicht wird, ist doch nichts wciter, als die reine Romantik. Der Grund zu seiner Behauptung ist wohl der, dass dieser Kritiker auf nicht ganz ehrliche Weise und zwar wahrscheinlich mit Hinsicht auf den geistigen Gehalt der Leser, für die er eigentlich schreibt, es so erscheinen lassen will, als ob, wenn man von Mimicrylehre spreche, darunter auch notwendigerweise seine supranaturalistische 1 heorie über dieselbe gemeint sein müsste. Denn, wenn man spater auf S. 408 liest, wie er da mit offenbar religiöser Wut sagt, dass nach mir die verschiedenen Farbungselemente keinen Zweck hatten, und dabei meine in seinen Augen wohl diabolischen Worte anführt: „Die Natur kennt weder Zweck noch Prinzip", dann ist es doch deutlich, dass eine Lehre, die von diesem Standpunkt ausgeht, in der Tat mit seiner durchaus auf einem transcendentalen Zweck beruhenden Mimicrytheorie völlig unvereinbar ist. Und weil nun für solche Leser etwas, was mit einer derartigen auf religiöser Grundlage beruhenden Theorie im Widerspruch ist, natürlich keine Existenzberechtigung hat, sucht er auf diesem Wege der Lehre der Farbenevolution a priori alle Bedeutung abzusprechen. Das ist der Kern dieser Schlauheit, d. h. dieser jesuitischen, wissenschaftlichen Diskussion. Übrigens ist das von mir Gesagte nicht so sehr schlimm ; man behalte doch nur ja im Auge, dass die von Herrn S. aus meiner im jahre 1898 erschienenen Schrift: „Die Farbenevolution bei den Pierideri' citierten Worte sich namentlich auf die Aufïfassung der Natur als einer formlospersönlichen, bewussten, teleologisch alle ihre Ausserungen beherrschenden Macht beziehen, von welcher da, wo ich dieselben anwandte, die Rede war, und die, wenn dies auch nicht ausdrücklich anerkannt wird, im Grundsatze so ziemlich wohl mit der ganz transcendentalen Aufïfassung des Herrn S. übereinstimmt. Wenn ich also auch das Recht verneinen muss, im allgemeinen von einem Zweck der Natur zu sprechen, so gebe ich doch unbedingt und gerne zu, dass ganz sicherlich in der Natur das Zweckmassige eine sehr bedeutende Rolle spielt. Nachdem er dann eine kurze Übersicht über den Ursprung nieiner Theorie gegeben hat, sagt er weiter mit Recht; dass das I'undament derselben im sogenannten biogenetischen Grundgesetze Haeckels liege. Tritt man aber mit et was an die Öffentlichkeit, das nur einigermassen an Haeckel erinnert, so wollen diese geistlichen Herren, wie es auch die giftigen Ausfalle wasmanns zur Genüge zeigen, nichts davon wissen. So fahrt Herr S. denn auch sogleich fort: ,Nun ist aber doch allmahlig die Einsicht von der Unrichtigkeit dieses Gesetzes, das Piepers noch anno 1903 fiir sicher halt, allgemein geworden, und dasselbe hat selbst in den Augen der Kreunde Haeckels seinen Wert zumal für phylogenetische Studiën wie diese verloren. Doch sehen wir davon ab, nehmen wir an, das biogenetische Gesetz sei richtig, folgt dann daraus sehen Seine Anwendbarkeit auf die Farbung der Sphingidenraupen? Er wurde ja von Haeckel nur für die Hauptetappen der Stammesentwicklung aufgestellt und zu beweisen versucht. Von einer Reihenfolge so akzidenteller Dinge wie der Farbungen ist dabei keine Rede. Wenn man auch diese aus dem biogenetischen Grundgesetze herauslesen will, so heisst das, das Gesetz noch übertreiben und geradezu „ausschlachten". Das erste enthalt nun eine starke Uebertreibung. Es mag auch deren gegeben haben, die, wie es gewöhnlich geht, das Haeckelsche Gesetz etwas unbesonnen haben anwenden wollen und dadurch mit Recht Widerspruch herausgefordert haben, und in der Tat sind gewichtige Angriffe gegen Haeckels Meinung in diesem Punkte auch von namhaften Gelehrten gerichtet worden, aber keineswegs ist dadurch schon die Unrichtigkeit derselben bewiesen worden. Man sehe hierüber z. B. einmal, was Dr. wolf schreibt '). Auf so oberflachliche Angriffe wie die Prof. Dr. fleischmanns 2) braucht man doch keinen Wert zu legen, ebensowenig wie auf die, welche Dr. Hans Driesch 3) macht. Bei beiden sind sie auf denselben Mangel an Kenntnis der Beweislehre zurückzuführen, 1) Katurwissenschaftliche Wochenschrift, 27 Aug. 1905 S. jjó. 2) Die Descendenztheorie. Leipzig iqoi. 3) Der Vitalismus als Geschichtc und a/s Lehre. Leipzig igoj. auf den ich noch spater zurückkommen werde, und sind beide demzufolge in Widerspruch mit den Iatsachen. Der obenerwahnte Prof. Dr. I. REINKE, obgleich übrigens ein Gegner HAECKELS und ebenso wie DklESCU Vitalist, erkennt denn auch, wenn er sich auch über das Haeckelsche Gesetz nicht geradeswegs ausspricht, den „interessanten Parallelismus" zwischen der Ontogenese und der Phylogenese ganz und gar an; voll und ganz erkennt ihn auch Prof. Dr. A. PAULY an in seinem naher zu behandelnden bedeutenden Werke ), sogar HERTWIG verwirft ihn nicht völlig. Wo man in der Tat, d. h. mit gutem Willen, auf rein wissenschaftlichem Standpunkte, diese Tatsache leugnen zu müssen meint, kann das, meines Dafürhaltens, allein die Folge ungenügenden Studiums sein. Gewiss, man soll den Wert dieser Iheorie nicht leichtsinnig überschjitzen, undz.B. nicht vergessen, dass dabei wohl nur von morphologischen Relikten die Rede sein kann, welche fortdauernd unter dem Einfluss der fortgehenden evolutionellen Veranderungen gewesen sind und von denen selbstverstandlich ein grosser Teil notwendigerweise modifiziert oder sogar verschwunden sein muss. Das verhindert aber nicht, dass dieselben, insoweit sie noch vorhanden sind, doch auf den frühern Zustand zurückweisen und also für dessen Kenntnis sehr bedeutsam sind. Auch von der geschichte der alten Völker kennt man nur einige Zeitabschnitte und sogar diese noch unvollstandig; und doch sind sie für die Kenntnis der Bildung eines solchen Volkes>von grosser Wichtigkeit. Es ist aber unrichtig, dabei, gemass der schon wiederholt von mir bekampften Mode, davon wieder wie von einem Gesetze zu sprechen; es bestehen allein gewisse Erscheinungen, welche, weil sie in Kausalnexus mit dem Evolutionsprozess stehen, auf ihn zurückweisen, und sein Wesen insoweit erkennen lassen. Um richtig verstanden zu werden ist man allerdings wohl genötigt die dafür nun einmal übliche Bezeichnung zu gebrauchen. Uebrigens sind die Tatsachen, in welchen dieses Gesetz zutage tritt, wenigstens für solche i) Darwinismns und Lamarckismus. München igoj. Zooiogen, die eigentlich bloss Anatomen ') sind, und dabei öfters noch auf das Studium höherer Tiere sich beschranken, füi die Palaeontologen, deren Arbeitsfeld meistens dasselbe ist, und für diejenigen, welche nur die Embryologie der höhern Tiere studieren, zumal diese Tatsachen dann grösstenteils aus Hüchern geschöpft werden müssen, nicht so klar und unleugbar, dass an der Wahrheit dieses Gesetzes nicht mehr zu zweifeln ware. Wenn man aber einmal aus irgendwelchen andern Gründen das Vorhandensein dieses Gesetzes anerkannt hat, so ist es einem dann auch deutlich erkennbar. „So überaus „wichtig nun auch diese Argumente der vergleichenden Kei„mesgeschichte sind — sagt Haeckel selbst — so bedarf es „doch eines vieljahrigen tiefen Eindringens in das entlegene „und schwierige Gebiet der Embryologie um sich von deren „phylogenetischer Bedeutung zu überzeugen; auch giebt es ♦ „nicht wenige Embryologen, (namentlich aus der Schule der „modernen experimentellen Entwicklungsgeschichte) die überhaupt nie dazu gelangen". Das kommt aber daher, weil, wie ich spater noch des nahern beleuchten werde, das Studium des Verlaufes eines bestimmten Evolutionsprozesses, wodurch allein das einen solchen Prozess als einen eigenartigen Charakterisierende gut erkannt und verstanden werden kann, von den meisten Zooiogen stets vernachlassigt worden ist. Dieses Studium ist doch nur bei Insekten einigermassen bequem ausführbar und zumal bei den Lepidopteren, und zwar einmal wegen ihrer metamorphosischen Erscheinungen, dann wegen des verhaltnismassig schnellen Verlaufs der Evolution, ferner wegen der Leichtigkeit, mit der dieser beobachtet werden kann, und endlich wegen des Überflusses des dafür vorhandenen Untersuchungsmaterials. So kommt es, dass solche Zooiogen in der Regel wohl das Wort Evolution bestandig im Mundeführen, jedoch in Wirklichkeit eine ziemlich vage Vorstellung vom \ erlaufe der evolutionellen Prozesse haben. Wenn man sich die Mühe geben wollte, z. B. den Evolutionsprozess, in welchem im 0 „Schnitte machen» schriei neulick Dahl sehr richtig, „lernt heult ieder Studerende der Naturwissensehaften, lebende Tiere gut beobachten aber lernt etner. ( aturwissenschaftliehe Wochenschrift, 8 April iqob^ Briefkastenj. Laufe vielen Jahrhunderte das sogenannte Schwanzhorn der Sphingidenraupen verschwindet, an der Hand meiner darüber handelnden Abhandlung, welche auch Herr S. anfuhrt, genau zu studieren, so wird man bei diesem Studium fortwahrend bei zahlreichen Tieren in ihrer parallelgehenden evolutionellen Umwandlung dieses Haeckelsche Gesetz durchaus bestatigt finden. Und zwar ist das so deutlich erkennbar, dass man sein Vorhandensein nicht mehr in Zweifel ziehen kann. Denn wohl lasst sich in diesem evolutionellen Prozesse nicht nur im allgemeinen erkennen, dass die individuelle Entwicklungsgeschichte eine kurze, unvollstandige Rekapitulation der phylogenetischen Entwicklung ist, sondern man kann so factisch sehen, wie sich in jener Einzelform in genauer zeitlicher Aufeinanderfolge die Stammesentwicklung ziemlich genau wiederholt. Aber dazu muss man nicht zu öberflachlich oder zu bequem sein, um die Sache ernst zu studieren. Wenn man einmal diesen Verlauf kennen gelernt hat, so wird man ihn in allerhand andern Entwicklungspro'zessen wiederfinden, sogar in dem psychischen desMenschen und in dem Lauf seiner sozialen Entwicklung. Keineswegs jedoch immer gleich deutlich, weil die Zwischenformen dann nicht immer gefunden werden können, da ja hier die Rede von Relikten ist, die oft ganz oder teilweise verschwunden sind, und besonders wegen der übergrössen Ungleichheit im schnelleren oder langsameren Verlauf jeder tierischen Evolution bei den verschiedenen Individuen. Dieselbe höchst bedeutende Tatsache lernen wir doch auch aus dem Studium ▼on Evolutionsprozessen wie dem obenerwahnten auf überzeugende Weise kennen und auf sie als auf das Prinzip der Mannigfaltigkeit wird denn auch von dem ebengenannten Botaniker Dr. REINKE sehr richtig immer lungewiesen, wahrend die meisten Biologen aus dem schon erwahnten Grunde kaum eine Ahnung von ihr haben. Das übrige von Herrn S. Angeführte lohnt sich eigentlich der Mühe einer Besprechung nicht. Ein derartiges Grundgesetz ist naturgemass allgemein anwendbar; und wenn nun der Verlauf dieser Farbenveranderung sich bei den Sphingidenraupen phylogenetisch in derselben Weise zeigt wie z. B. die evolutionnelle Veranderung des Hornes derselben Raupen, so ist es auch völlig begründet, wenn man jene in der ahnlichen Weise erklart, wenn auch HAECKEL selbst diese Anwendung nicht gekannt hat. Von der Farbung als von einem akzidentellen Dinge zu reden, ist, wie ich schon gegen WASMANN, mich dabei auch auf WEISMANN berufend, ausführte, einfach eine Dummheit. Mit meiner Theorie der Farbenevolution verhalt es sich folgendermassen. Aus einer grossen Anzahl von Beobachtungen, die teils schon seit langem von vielen Lepidopterologen betreffend die europaeischen Arten, teils von mir betreffend die javanischen Arten gemacht wurden, und die soweit wie möglich durch alles erganzt wurden, was darüber in andern Weltteilen wahrgenommen worden ist, ergiebt sich, dass die Raupen der Sphingidenfamilie in ihren ersten Phasen, nachdem sie das Ei verlassen haben, heil gelblich oder grünlich gefarbt sind, dann aber, früher oder spater, je mehr sie sich der Periode der Verpuppung nahern, braun oder braunlich, teilweise stark dunkelbraun werden. Dies ist offenbar die allgemeine Regel; bei den verschiedenen Arten und Einzelwesen tritt diese natürlich untcr allerhand Modifikationen auf, und scheint sogar bisvveilen nicht vorhanden zu sein; das alles fallt aber im Vergleich mit dem übrigen zu wenig ins Gewicht, um die Normalexistenz dieser Veranderung in Frage stellen zu können; bei fortgesetztem Studium dieser Erscheinung lassen sich diese Unterschiede denn auch erklaren und mit der allgemeinen Regel vereinigen. Die betreffende Farbenveranderung geht nun offenbar vor sich im Zusammenhang mit den verschiedenen Hautungen, denen diese Raupen unterworfen sind, bevor sie in den Zustand einer Puppe übergehen. Wenn Braun oder Schwarz an die Stelle des gelb oder grün tritt, geschieht das in den Hauptsachen nach einer früher oder spater auftretenden Abhautung, bei einer Art und sogar bei einem Einzelwesen früher als bei den andern. Auch wird wohl spater noch eine dunklere Abstufung, wieder nach einer spatern Hautung, erreicht. Auch kommen allerhand Ungleichhciten vor, welche jedoch die Regel nicht zunichte machcn können. Darf man nun annchmcn, dass diese aufeinanderfolgenden, durch die Hautungen von einander geschiedenen, ontogenetischen Zustande des Raupenlebens, im Sinne des Haeckelschen Grundgesetzes, ebensoviele phylogenetische Perioden aus der Entwicklung des Tieres wiedergeben ? Die schon erwahnte Studie des Prozesses, der das sogenannte Schwanzhorn derselben Raupen verschwinden lasst, und die Weise, worauf man diesen Vorgang sich in denselben, durch die Hautungen getrennten, ontogenetischen Wachsperioden abspiegeln sieht, macht es meiner Ansicht nach unumganglich, diese Frage in bejahendem Sinne zu beantvvorten. Dann aber folgt daraus notwendigerweise, dass die Grundfarbe dieser Raupen — denn nur auf diese und nicht auf die sekundaren Farben beziehen sich die betrefienden Beobachtungen — auch seit sehr langen, vielleicht bis in die tertiare Periode zurückgehende Zeiten einem bestandigen Prozesse der Verdunklung, von gelb und hellgrün zu braun und schwarz unterworfen ist, der noch immer fordauert, und der bei der einen Art und sogar bisweilen bei dem einen Individu vveiter fortgeschritten ist als bei dem andern. Ein evolutioneller Prozess von Farbenveranderung also, den ich deshalb als die Erscheinung der Farbenevolution bezeichnet habe. Wenn nun irgendeiner das Vorhandensein dieses Prozesses vvissenschaftlich Anfechten will, so hat er entweder die Unrichtigkeit der an erster Stelle genannten Beobachtungen darzutun, oder den Unvvert des Haeckelschen Grundgesetzes zu beweisen, oder, dass dasselbe auf die geschilderte Farbenveranderung und auch auf den Prozess, der das angebliche Hom der Sphingidenraupen vernichtet, nicht anwendbar sei. Tut er dies und zwar mit von mir nicht widerlegbaren Gründen, so fallt die Grundlage meiner Theorie und letztere selbst hin, es sei denn, dass dafür ein andere Grundlage beizubringen ware. Gelingt ihm das aber nicht, so bleibt die von mir angedeutete biologische Erscheinung als eine wissenschaftliche Tatsache bestehen und hat jeder ehrliche Biolog sie zu berücksichtigen. Kein Kritiker hat das Recht, diese Erscheinung zu leugnen oder ihr keine Beachtung zu schenken, es sei denn, dass er durch eine ernstliche wissenschaftliche Untersuchung zu einer entgegengesetzen Überzeugung gelangt ist. Bis jetzt hat noch keiner meinen Lehrsatz auf diese, die allein wissenschaftliche Weise, widerlcgt; dumme und unehrliche Schvvatzereien, wie die des eben behandelten Autors oder des nachher zu nennenden Dr. Schrüder, bei denen keine Spur von wissenschaftlicher Untersuchung vorhanden ist, haben dagegen natürlich keine Bedeutung. Nimmt man aber einmal die Existenz dieser biologischen I atsache an, so liegt die Vermutung nah, dass sie sich nicht auf jene kaupen beschrankt habe, sondern auch bei andern Raupen und vielleicht überdies bei den imagines der Lepidoptera zu beobachten sein dürfte. Es giebt denn auch in der lat mehrere andere Raupen, die vollkommen dieselben Erscheinungen von J< arbendimorphismus aufweisen, wie sie bei den Sphingidenraupen vorkommen, und dort in dem ungleichmassigen Verlauf der betrefifenden Farbenevolution ilire Erklarung finden; solche sind denn auch schon vor Jahren von Weismann, obgleich er damals darin noch eine mimetische Erscheinung erblickte, als eine evolutionelle Veranderung in der Farbung dieser Raupen anerkannt worden. Ebenso zeigen auch die Imagines vieler Lepidopteren zahlreiche und sehr treffende Beispiele eines derartigen Polymorphismus der harbe. Was diese Raupen anbelangt, ist das nun noch nicht weiter untersucht worden und bleibt es fürs erste nur höchst wahrscheinlich; was aber die imagines betrifït, so haben viele von mir angestellte Untersuchungen und Vergleichungen es deutlich gemacht, dass in der Tat der }< arbenunterschied, den wir bei diesen Tierformen bemerken, hauptsachlich derselben Ursache zuzuschreiben ist; hauptsachlich, sage ich, denn ebenso wie bei den genannten Raupen nur die Grundfarbe dieser evolutionellen Veranderung unterworfen ist, findet sich die Veranderung bei den imagines der Lepidoptera nur was die pigmentalen, nicht aber was die strukturalen Farben anbetrifft. Diese Studie lehrt also, dass in der Tat die Erscheinung der Farbenevolution als Ursache der Vielseitigkeit der Farbung eine grosse Rolle spielt und lasst dies in weit vollstandigerer Weise erkennen, als es noch allein aus den ersten Beobachtungen betreffend die Sphingidenraupen der Fall war; sie lasst dadurch jetzt auch die Natur und Tendenz derselben begreifen und macht viele Punkte klar, welche — wenn auch von Nebenbedeutung — bei dem Studium dieser Raupen noch unerklart geblieben waren. Auf diese Weise wird deshalb auch die Tatsache des Vorhandenseins dieser Erscheinung und auch die des in derselben so deutlich zutage tretenden Haeckelschen Gesetzes durchaus bestatigt, was aber die Beschranktheit des Herrn S. einen Zirkelschluss nennt. Und das alles wird in so deutlicher und sachlicher Weise gezeigt, dass zweifelsohne jeder ernste und dazu fahige Naturforscher, welcher dieses Studium auf Grund meines Fingerzeigs, und unter Heranziehung meiner grosseren Erfahrung in dieser Hinsicht bei ihm zweifelhaft erscheinenden Punkten, vornehmen will, sich meiner Ansicht anschliessen wird. Um mit Erfolg dazu zu gelangen muss man jedoch a priori, sich stützend auf die Beobachtungen betreffend die Sphingidenraupen, das Vorhandensein dieser Erscheinung, vorlaufig annehmen, und von diesem Standpunkt ausgehend bei den imagines bloss die Möglichkeit der Anwendung der auf diesen Beobachtungen gegründeten Theorie und also ihre Bestatigung suchen. Denn dieses Vorhandensein selbst allein oder an erster Stelle aus dem Studium der imagines abzuleiten geht nicht an, ist wenigstens nicht leicht ausführbar, da ja bei diesen nicht eine ontogenetische Beobachtung angestellt werden kann, wie sie durch die verschiedenen Entwicklungsphasen der Raupen möglich wird, bei denen es feststeht, welche die altere und welche die jüngere Form ist. Wiewohl zwar das Studium der polymorphischen Falter und auch die Vergleichung der Raupenformen, hier bis auf einen gewissen Grad Hilfe schaffen kann. Das Studium der imagines kann also erst als zweite Phase bei dieser Untersuchung in Betracht kommen. Weiter ist dazu die nötige praktische lepidopterologische Erfahrung erforderlich, um sich auf dem so ausgedehnten Gebiete der Farben und Farbenschattierungcn, welche die Lepidoptera aufweisen, orientieren und sie auseinanderzuhalten zu können; wer in dieser Hin- sicht nicht eine ziemliche Übung erlangt hat, wird sich zvveifellos nicht darin zurechtfinden; man muss hier das Sehen lernen, wie das auch bei Gemalden und anderen Kunstgegenstanden der Fall ist. Dann ist auch noch jene theoretische Kenntnis notwendig, welche die systematische Verwandschaft der verschiedenen Lepidoptera kennen lehrt und es ermöglicht, iiber die Annahme von Übergangen zu urteilen. Und endlich ist auch ein ausgebreitetes Material erforderlich, und zwar ein solches, das sich keineswegs auf die kleine europaische Fauna oder selbst auf die palaarktische in ihrem Ganzen beschrankt; derjenige der sich meine Winke zu nutze machen wili, hat an erster Stelle auch die indo-australische Fauna studieren zu können. Diese Voraussetzungen nun fehlen bei Herm S. ein für allemal. Die aus dem Studium der Sphingidenraupen gezogene Schlussfolgerung beanstandet er, wie wir gesehen haben, schon sofort, und zwar nicht aus irgendeinem wissenschaftlichen Grunde, sondern sie bloss verneinend, weil er sie aus den erwahnten unsachlichen Gründen nicht will; und dass er die erforderlichen lepidopterologischen Kenntnisse besasse, zeigt sich auch nicht. Wo er früher auf S. 394 zum Beweise wie wenig dazu nötig sei Schmetterlingsarten auszurotten, den Fall von Chrysophanus (.Polyommatus) dispar Ha\v. nannte und weiter sagte, dass Pier is crataegi L. in vielen Gegenden Deutschlands nicht mehr vorkomme, machte es auf mich den Findruck, dass er hier nur ein wenig nachplappert, jedoch mit den Tieren selbst und ihrer Biologie eigentlich nicht bekannt ist. Was er andrerorts von der Farbe der Unterseite der KallimaFlügel mitteilt, zeigt auch keine genügende Kenntnis davon. Und auch was er hier über meine Studiën betrefifs der Farbenevolution bei den imagines der Pieriden sagt, macht so ziemlich denselben Eindruck. Seine ganze Erörterung dariiber beruht bloss auf dem, was ihm aus meinen betreffenden Schriften willkiirlich über diesen Punkt anzufiihren beliebt. Von einer durchgeführten Vergleichung meiner dortigen Ausführungen mit dem Material — deren Notwendigkeit ich zum richtigen Verstandnisse meiner Darlegungen nachdrücklich betonte —, ist niemals die Rede. Eigentlich ist es ganz überflüssig seine diesbezüglichen Ausführungen zu erörtern, denn von einer ernstlichen wissenschaftlichcn Untersuchung ist bei ihm doch nie die Rede, und bloss verneinen und kritteln ist immer eine leichte Sache; kurios klingt immerhin das fortwahrende Geschrei, dass ich meine Ansichten nicht bewiesen hatte, bei einem, der selbst zeigt, von den Fordei'ungen einer wissenschaftlichen Beweisfiihrung auch nicht die leiseste Ahnung zu haben. In der Tat fehlt ihm völlig das an allererster Stelle erforderliche, namlich der ernste Wille, die Wahrheit zu suchen. Gerade das umgekehrte ist der Fall; was er will und sucht, ist, die Gutglaubigen, zu deren Gcbrauch wasmann eine Biologie ad uswn Delphini angefertigt hat und zu denen gewiss auch die Leser der Zeitschrift gehören, in der seine Aufsatze gegen mich erschienen sind, vor dem Einfluss meiner teuflischen Lehren zu warnen, welche seinen Auffassungen zuwider sind. Und dazu geht er auf eine Weise zu Werk, die in der Tat einen verleumderischen Charakter tragt. Deutlich zeigt sich dieser unwürdige Charakter seiner Kritik auf S. 409, wenn er da sagt: „Die Ontogenese der Farbe auf dem Flügel der Schmetterlinge ist namlich das schwachste an der ganzen Sache, und Piepers ist in der unangenehmen Lage, bekennen zu mussen, dass die Farbenentwicklung in der Schmetterlingspuppe mit der von ihm angenommenen Reihenfolge nicht übereinstimmt. Hier zeigt sich die ganze Inkonsequenz der pleperschen Beweisführung; wo ihm das biogenetische Grundgesetz passt, schwört er darauf als auf ein allgemein gültiges Gesetz; wo es ihm nicht passt, drückt er sich daran vorbei. Da kann man wohl sagen: entweder das biogenetische Grundgesetz ist falsch, oder — beide sind falsch. Ganz willkiirlich bezweifelt er ferner die Resultate der Dr. Grafin M. von Linden Dies alles ist aber einfach unwahr. Die Frage ob gelb oder rot der ursprünglichste Farbstofïf der Schmetterlinge ist, hat sich bei meinen Untersuchungen betreffs derFarbenevolution bei den Imagines in der Tat erhoben, und wahrend ich letztere Meinung vertrete, glaubt jetzt Dr. Grafin M. von Linden, dass sich ersteres aus ihren Untersuchungen ergebe. Ls ist aber weit davon entfernt, dass die betreffenden Untersuchungen dies unwiderlegbar entschieden hatten; mir erscheinen diese, wie ich auf S. 422 von M. S. D. béreits sagte, ziemlich unbedeutend, wahrend demgegenüber zahlreiche latsachen meine Ansicht unterstützen. Nur kann man sagen, dass dieser Punkt noch nicht völlig entschieden ist und einer nahern Untersuchung bedarf. Man darf den Untersuchungen, welche Dr. Grafin M. von Linden nicht einmal bestimmt aus diesem Gesichtspunkt heraus angestellt hat, hier nicht einen so grossen Wert beilegen. Wie Prof Dr! van Bemmelen, der sich auch mit dergleichen Untersuchungen beschaftigt hat, bemerkt, kann dabei doch nur wahrend den letzten 30 Stunden des Puppenlebens etwas wahrzunehmen möglich sein, und hieraus zeigt sich schon sofort, dass diese Wahrnemungen doch nie den Wert von dem haben können was die in natürlicher Weise entwickelten Schmetterlingsflügel] namentlich in den Fallen von Polymorphismus, so deutlich zeigen. \\ eiter ist nun Dr. Grafin M. von Linden unzweifelhaft wohl sehr geeignet zu der Ausführung derartiger Untersuchungen, aber ihre subjective Deutung der Ergebnissen derselben ist darum noch keineswegs über allen Zweifel erhaben. Uberzeugte Anhangerin Eimers suchte sie bei ihren Beobachtungen stets die Bestatigung der bekannten Flecken- und Streifentheorie dieses Gelehrten zu finden und meinte diese denn auch wiederholt darin gefunden zu haben. Und doch wird diese Theorie immer mehr von jedem Naturforscher aus ernstüchen Gründen verworfen, und meine ich sogar aufS. 60 und 61 von M. S. D. auf einem Grunde, dessen Richtigkeit auch Prof. Dr. Kathariner in seiner schon besprochenen Kritik anerkannte, dargelegt zu haben, dass sie unmöglich ist. Dass sie also meiner Theorie, weil dieselbe nicht mit der Eimers übereinstimmt, nicht sehr gewogen ist und auch zu derselben widersprechenden Resultaten gelangt ist, hat noch nicht viel auf sich, urn so weniger, weil sie in dieser Hinsicht doch nur einige Beobachtungen gemacht hat und diese dazu noch beilaufig, wie durch Zufall; ihre Untersuchungen waren gar nicht darauf gerichtet, und hat sie dafür denn auch ein Material benutzt, das durchaus nicht zu Beobachtungen spe- ziell über die Farbenrevolution geeignet war. Die vvenig umfassenden Resultate der Dr. Grafin von Linden — deren hier von Hem S. gegenüber den meinigen so gelobte Untersuchungen nebenbei gesagt sich auch alle durchaus auf das nach ihm so unhaltbare biogenetische Grundgesetz stützen — werden von mir denn auch keineswegs willkürlich bezweifelt, sind aber in der Tat gegenüber meinen Auffassungen nicht von genügender Bedeutung. Es ist übrigens auch sehr gut möglich, dass dazu eine gewisse Verwirrung hinzukommt. Wie frühere Untersuchungen dargetan haben, wird das Protoplasma in den Schuppen, nachdem es körnig geworden ist, durch die Hamolymphe der Puppe oder durch eine Sekretion aus derselben matt ockergelb oder mattbraun gefarbt. Maijer will hierin nun das phylogenetisch alteste Pigment der Schmetterlingsfliigel sehen und vielleicht hat Dr. Grafin von Linden auch so geurteilt und daher die gelbe Farbe für die alteste gehalten. Ofïfenbar hat man es hier jedoch nur mit einem Protopigment zu tun. Erst 24 Stunden spater entwickelt sich daraus die wirkliche Farbe; erst dann kann also der Prozess der Farbenzerstörung einen Anfang nehmen, welchen ich den der Farbenevolution nenne; da, wo es also gilt die Farbe wahrend dieses Anfanges aufzuweisen, darf man auch mit der ontogenetischen Untersuchung nicht weiter heraufsteigen. Dieses Protopigment, der „ Pigment factor" ') der englischen Entomologen, ist ebenso wenig die urspriingliche, d. h. erst aufgetretene Pigmentfarbe als die Hamolymphe selbst. Es ist aber wohl möglich dass dieser Übergang sich in der Untersuchung der Puppenontogenese nicht genau mehr verfolgen lasst. Und wenn man bedenkt, dass die Farben des Schmetterlings ja erst kurz vor seinem Erscheinen in der Puppe hervortreten, lasst sich das auch sehr gut verstehn. Übrigens kann hier auch noch etwas anderes geschehen. Die Farbe von Acraea Terpsichorc Cr., wie sie durch die sehr durchsichtige Haut der Puppe wahrend der letzten zwei Tage, bevor der Schmetterling die Puppe verlasst, sichtbar ist, ist sosehr von derjenigen des aus der Puppe heraus gekommenen Schmetterlings verschieden, 1) Sehe: I. W. Tutt, A natural history of the British Lepidoptera, I Seite 61. 7 dass man mit grossen Wahrscheinlichkeit vermuten kann, es finde wenn der Schmetterling die Puppe verlasst, eine Ausfarbung statt, die mit der bei Coleoptera uns 'wohl bekannten übereinstimmt und wovon auch Beispiele bei Raupen bekannt sind. Wenn dies nun vorkommen kann, wird es auch fraglich, ob sich auf dem Wege der betreffenden ontogenetischen Untersuchungen die richtige Farbe noch wohl immer wiedererkennen lasst, vvelche einem Schmetterling vvirklich phylogenetisch eigen gevvesen ist. Man vergesse weiter nicht, was ich auf Seite 89 von solchen ontogenetischen Untersuchungen gesagt habe; man kann nicht alle Stadiën der Phylogenese mehr in denselben wiederfinden. Man lese auch, was ich hierüber schon auf S. 422 von M. S. D. gesagt habe. So ist es auch mit der Angabe der Dr. Grafin von Linden, dass das rote Pigment in den Schmetterlingsflügeln weder Carolin noch mit Harnsaure verwandt sei. Kin wichtiges Anzeichen für die Richtigkeit meiner Theorie der Farbenevolution, wie sich mir diese bei den imagines der Pieriden zeigte, ist hierin zu erkennen, dass, wenigstens in dieser Lepidopterenfamilie es auf keine chemische Schwierigkeit stösst, dass die Farben Rot, Orange, Gelb (mit Grün) und Weiss in einander übergehen, weil dabei immer von Harnsaure und seinen Derivaten die Rede sein muss. Hiermit wiirde nun gewiss das Obenerwahnte nicht übereinstimmen. Aber nach den auf S. 231 meiner Studie über die Farbenevolution bei den Pieriden angeführten Schriften, besteht, wie die genauen Untersuchungen Hoi'KlNs' und Urechs zeigen, dieses Rot ganz bestimmt aus einem Derivat von Harnsaure; Griffith kam zu demselben Resultat, was das grüne Pigment bei einigen Papilioniden, Hesperiden und Nymphaliden angeht. Da dies nun hier unzweifelhaft viel wahrscheinlicher ist — man sehe darüber auch die etwas weiter dort angeführte Bemerkung Batesons — und das denn auch mit meinen Eeobachtungen über die Farbenevolution so gut übereinstimmt, kann ich also die entgegengesetzte Meinung nicht so ohne weiteres annehmen. Di. Grafin von Linden soll auch in einem mir nur aus einem Referat bekannten Aufsatz in Leopoldina Heft 38 mitgetcilt haben, dass das Grün auf den Schmetterlingsflugeln immer eine Interferenzfarbe sei. Das ist aber ohne Zweifel unrichtig. URECH und GRIFFITH, vvelche ich an obiger Stelle angeführt habe, erklaren beide, dass sie ein grimes Pigment in ^Schmetterlingsflugeln angetroffen haben. Jedenfalls klingt es wohl etwas sonderbar, dass, da ja das Gelb, auch nach Dr. Grafin VON LINDEN, immer Pigmentfarbe ist, die grune Farbe nie, wenigstens teilweise, durch dieses Pigment gebildet werden könnte. In der grünen, angeblich feinen Blattern ahnlichen Zeichnung auf der Unterseite der Hinterflügel von Antocharis cardaminis L., muss wie es die Vergleichung mit verwandten Arten zeigt, die Grundfarbe ohne Zweifel ein gelbes Pigment sein, welches teilweise durch Schwarz bedeckt wird; das braucht aber keine Vermischung von gelben nut schwarzern Pigment mit sich zu bringen, sondern kann auch dadurch erfolgen, dass schwarze Schuppen teilweise die gelben bedecken. Aus derselben Ursache geht wohl die grüne Farbe der arktischen Colias Boothii CURTIS hervor, welche ELWES abgebildet hat'); die Tatsache, dass Gelb und Orange die festen Farben in dem Geschlecht Colias sind und bei der betreffenden Art auch teilweise noch anderweitig vorkommen, weist auch dort deutlich auf diese Ursache hin. Und nun haben denn auch in der Tat mikroskopische Untersuchungen bei dem ersterwahnten Falter gelbe und schwarze Schuppen festgestellt, deren Vermischung augenscheinlich diesen Eindruck von Grün macht, sodass diese Untersuchung hier das, was man aus der vergleichenden Beobachtung entnehmen musste, und was auch völlig der Regel der Farbenevolution entsprach, voll und ganz bestatigt hat. Fine erheblich grössere Anzahl und dabei speziell auf dieses Ziel gerichteter Untersuchungen ware hier also mindestens geboten. Ob freilich Untersuchungen von der Art der Dr. Grafin von Linden überhaupt vollkommen entscheidend sein können, möchte ich bezweifeln. Aus dem Studium der Farbenevolution geht naclnveisbar hervor, dass der rote Flecken auf der Oberseite der Vorflügel vieler Hebomoia-Arten, welcher auch in andern Picriden-Genera I) Transactions of the Entom. Soc. of London, igoj- und so auch bei dem cf1 von Antocharis cardaminis L. obgleich dort schon zu Orange abgeblasst — gefunden wird, ein Uberbleibsel der frühern roten allgemeinen Farbe ist,' vvelche bei einer einzigen Art Hebomoia Vossii Maitland' obgleich bis gelb abgeblasst, noch allgemein geblieben ist! Nun sieht man aber den Prozess vom Verschwinden dieser Farbe auf die Weise vor sich gehen, dass, wahrend bei einigen Hebomoia-Arten diese roten Flecken in beiden Sexen vorhanden sind, dieselbe bei andern nur noch allein bei dem Cf vorkommen, dazu aber noch 99 dasein, bei denen Uberreste dieses Flecks noch als Relikte sichtbar sind. Auch bei die V 9 von Callosune Evanthe Bsd. ist dieses bisweilen der Pall. Wo also bei andern Pieriden, wie A. cardaminis L., jener selbe Fleck auch nur noch allein bei dem anwesend ist, bleibt fur einen Sachverstandigen kein Zweifel übrig das dasselbe auch hier wird stattgefunden haben, wenn auch' ke.ne Ubergange mehr vorhanden sind, sodass also auch bei em 9 dieser Art früher dieser selbe rote Fleck da gewesen sein muss. Ist dies aber durch die genannten ontogenetischen Untersuchungen noch nachzuweisen? Ich bin davon einstweilen noch nicht überzeugt. Doch kann man diesen phylogenetischen Verlauf nicht leugnen. Sollte dies nun nicht der sem' so würde daraus gewiss nichts anderes folgen, als die bekannte obenerörterte Tatsache, dass die Ontogenese nicht alle Formen der Phylogenese bewahrt; dies würde aber doch wieder zur Vorsicht mahnen, wo es gilt aus dergldchen Untersuchungen Schlüsse zu ziehen in bezug auf die I hylogenese. Dasjenige, Was einige durch Experimente mit Kalte und ai me hervorgebrachte Hemmungserscheinungen schliessen lassen, lasst si-ch übrigens, soweit darin kein ganz abnormaler, offenbar morbider Zustand auftritt, gut mit meiner Theorie veremigen. Deutlich spricht auch für dieselbe die Tatsache, dass solch eine durch bestimmte Farbenerscheinungen gekennzeichnete, abgesondert lebende Tiergruppe, wie z.B. die Vanetat Ichnusa Bon. von Vanessa urticae L. ganz und gar em entsp"cht, was man eine Rasse nennt. Rassenunterscluede konnen nun bloss Erscheinungen von Störung oder Beschleunigung im Laufe der gewöhnlichen evolutionellen Entwicklung einer Art sein, die bei einer gewissen Anzah von Einzelwesen vorkommen; dass diese Erscheinungen zu nichte gemacht werden durch die Kreuzung, welche ich Panmixie nenne, wird denn durch eine Absonderung in Auftenthalt, Nahrung, Gewohnheit oder Umgebung jener Individuen verhindert. Man darf also wohl annehmen, dass der Untcrschied in der Farbe, die Nicht-Entwicklung einer bestimmten Farbenzeichnung, was Ichnusa Bon. kennzeichnet, auch einem solchen Unterschied in evohitioneller Entwicklung zuzuschi ei- ben ist und dass also diese Ursache hauptsachlich die Veranderingen in der Farbe der Lepidoptera bewirkt, was nichts anderes als das Wesen der Farbenevolution ist. Schliesslich findet man noch eine Anzahl von Angriffen dieses Kritikers gegen mich in dem letztcn Teil seines Artikels in dem er die Mimicry bei den Ameisengasten besoricht Das ganze Stück ist nichts andres als eine fortwahrende Verherrlichung und als solche nur ein Nachplappern WASMANNS und seiner Lehrsatze, und zwar von dem ióc is einseitigen Standpunkte aus, den er schon auf S. 392 ausgesprochen hat. wo er behauptet, dass die Ame.sengaste des Mimicrytypus die lehrreichsten Studienobjekte fur ie Mimicryforschung seien. Daran schliesst sich nun seine 1 usserung auf S. 472 an. Dort erlaubt er sich namlich mir vorzuwerfen, dass ich über die Mimicry de, Ame.sengaste urteile, obgleich ich offenbar nicht das Geringste davon verstande. Nun, ich bin zwar kein Specialist auf dem ebiete der Ameisenforschung, und habe dies denn auch me behauotet- aber als ich die von WASMANN behauptete Mimicry z'wischen diesen Insekten und ihren Gasten bestntt, tat ich dies ausschliesslich anlasslich WASMANNS Mitteiluneen und in diesen nun kommt nichts vor, was fur einen, der& Insektolog, «enn aucl, kein Ameisenspeciahst, und da™ mit der Erscheinung der Mimicry gut bekannt ist, nicht sehr leicht zu verstehen ware. Keine Erscheinungen angeblichcr Mimicry, sogar nicht die Lichtreflexen von Lomnhusa strutnosa F., findet man darunter, d»e nicht bei andern Insekten auch vorkamen; ja, die Mimicrytatsachen sindz.B. SLi^dT'h 0rtl">P,eren noch erheblich auffallendcr. »ori ,1 „l^'ST 'rS '''nt,,,ckclte »"»'<= Lobcn der Ameisen, nn sie alle Tiere ubertreffen und sich dem Menschen am ITZ "T? TÖgliCht " WA™' der hierin bewan ,11 K !? Symb,ose dlcser In^kten und ihrer Gaste mit ' bes°ndcrs .ra Zusatnmenhang hiermit entwickelten Bil- :r:;aiarunter soichen von insekten' klar i! Kr ,S°gCnannt m,metische Ahnlichkeit vorkommt, K r bcrbUoken „ lassen. Er benut* dies da2u> da' destn erTr, " R°man auf Grand en er die These zu verteidigen sucht, in dieser Symbiose deutlicherd V de" diC MimiCry mit SiGh brin«e' s'ch so l.ch, dass hiermit der Nutzen und die Tendenz dieser .rsehe.nung und somit auch die Theorie der Mimicry für erwiesen gehalten werden müsse. Und doch beweist die Tat sache dieser Symbiose a„ sieh „ich.s von diesel lle„ a e d,ese Ahnlichkeiten kdnnen sebr wohl andern Ursa'ehea entspringen, und auch der Schutz, welchen sie mit sich zu nngen scheinen, kann andern Umstanden zu verdanken sein • alles was Wasmann in dieser Hinsicht als Bewds "r eTe Ideen behr0^ anfuhrt' 1St "Ur cine bloss von aprioristischen We se dabT h ,eiTltige A^sung. In wie schrecklicker hohén Wer w , ^ S°gldch bei dem u . > velcher der angeblichen Mimicry des Kafers Tiï c'Jt* WASM' Wirf' dCr<=» Et{^ ** der Gcfuhlsimpression aussern soll, welche die Ameise teen praeda.or V. Sn. beim Betas.en der KörpeTeiïe dirdoA" 17' d"" F"h'Cr e°",6m*e' ei,,e I^pression, Wasmaws h 1 gf"Z • aUS dCr menschlichen Aufifassung • < r ,, r-US hmein phantasiert worden ist. Und weiter , g d'CSelbe Ubertreibung sich bei der Behauptung dass lese a Iimicry sich im übngen desshalb weder auf den a lgemeinen Habitus, noch auf die Farbe erstrecke weil dies unnotig se,; die Ameise sei ja blind. Aber, soTte te ~re" TKaSttn diCSC «tes'der AmeÏe urteilen- Dies h i ^ ^ aI1Semeinen Habitus zu MANN nie leh T S,C, nun alleS auf ein Tier' das Was' lebend gesehen hat, sondern nur in konser- viertem Zustand und zwar in nicht mehr als 3 Exemplaren, (siehe S. 455). Und warum ist denn dieser Kafer, bevor sich diese Mimicry allmahlig entwickelt hat, nicht schon lange ausgerottet worden? Was dieser schwarze Stabstrompeter Wasmanns nun noch weiter auf diesem Gebiete ausposaunt, wünsche ich nicht zu widerlegen; ich bin seiner überdrussig. Überdies habe ich vieles davon schon direkt gegenubcr Wasmann selbst besprochen. Wie gross die wissenschaftliche Unfahigkeit dieses Kritikers auf evolutionellem Gebiete mitzureden übrigens ist zeigt sich ausserdem nicht im Geringsten auch aus seinem Geschrei, das er in seinen Schlussbemerkungen auf S. 473 über die „unerhörte lat sache erhebt, dass ich die heutigen Schmetterlinge von sechsflügeligen Pseudoneuropteren abstammen lassen wolle, urn sie in Zukunft zu zweiflügeligen Dipteren sich entwickeln zu lassen. Der Mann versteht offenbar nichts davon. Noch ein Beispiel nur seiner Kritik will ich hier hinzufügen. Auf S. 127 von M. S. D. hatte ich erwahnt, dass, wie Wasmann selbst erklart habe, vier Fünftel der nordund mitteleuropaischen Myrmecophilen, grossenteils aus Insekten und ferner aus Arachniden und einigen Crustaceen bestehend, sich in Körperbau oder in der Farbe durchaus nicht von ihren nicht myrmecophilen Verwandten unterschicden; doch sind darunter echte Ameisengaste, sogar solche, welche aus dem Mund ihrer Gasthcrrcn gefuttert werden und auch wohl mit ihren Fühlern, ganz in der Art der Ameisen, mit diesen konversieren und sie zur tutterung auffordern. Hieraus entnahm ich, dass also doch eine sogenannte mimetische Ahnlichkeit für diese Gaste durchaus nicht eeboten zu sein scheint, um mit den Ameisen, ohne von diesen, angegriffen zu werden, zusammenleben zu konnen und dass also, wo bei einem Fünftel eine derartige Ahnlichkeit wohl vorhanden ist, diese durch andere Umstande entstanden sein müsse, nur nicht aus dem Grundc, dass dieselbe fur die Symbiose notwendig ware; das bedeutct also, dass hieraus durchaus keine Stütze für die Mimicrytheone sich ergiebt. Man sehe jetzt, was Ilerr S. über dieses meines Erachtens unleugbar sehr schwerwiegende Argument gegen WASMANNS Mimicrybetrachtungen ins Feld zu führen, weiss. Auf S 461 lesen wir, dass ich mit dieser Behauptung ganzlich übersehen habe, dass jene v.er Fünftel zvvar keine Mimicry aufwiesen, dafur aber manche andere gleichwertige oder noch bessere Anpassungscharaktere besassen. Die echten Gaste darunter standen auf einer vollendeten Stufe des Symphillentypus, und der unter jener Ameisengasten sehr verbreitete Trutztypus ermoghche eine Symbiose ebensogut wie die Mimicry. Und unter der Zahl der zum indifferenten Typus gehörigen gabe es viele Ubergange zu den übrigen Typen, jedenfall's sei unter jonen Gasten keiner, bei denen der Grund der Duldung seitens seiner Wirte nicht einigermassen angegeben werden konnte. Diese letzte Phraseologie lasst nun schon ohne weiteres die Schwache dieser Beweisführung deutlich ersehen und sie ïst denn auch wieder nicht schlüssig. Unter diesen Myrmecophilen des sogenannten indifferenten Typus, wozu bei weitem die Mehrzahl gehort, giebt es eine Anzahl, welche durchaus nichts besitzen, was ihnen einen bedeutenden Schutz verleihen konnte, und doch leben auch sie in jener Symbiose Und was den sogenannten Trutztypus betrifft, so wird dieser durch korperliche Eigenschaften gebildet, wie sie ebenso den .Stammesverwanten dieser Tiere, die nicht in Symbiose mit Ameisen leben, eigen sind; zu diesen Indifferenten und diesem 1 rutztypus durfte also offenbar auch ein Teil wenigstens von dem mimetisch wohl veranderten Fünftel ursprünglich gehort haben; warum sind diese Arten denn wohl verandert? Also, heisst es dann, dieser Hauptschlag gegen die Mimicry ïst ganzlich missglückt! Man sieht hieraus, welches Gerede Herr S^schwerwichtigen Bedenken gegenüber zu stellen versucht. Ein andres derartiges Beispiel folgt unmittelbar darauf Warum ïst es eigentlich notwendig, für all diese Veranderungen Mimicry anzunehmen? Genügt es nicht, darin nur die sowohl in der Tier- wie in der Pflanzenwelt so stark verbreitete Konvergenz zu sehen, jene Neigung zur Gleichin morphologischer Formung bei lebenden Wesen, welche unter gleichen Lebensuinstanden existieren, was ja mit Amei- T" Termiten und ihren Gasten in so hohem Masse «er rail ïst, daher denn auch jene Konvergenz sich in be- sonderen, Masse zeigen wird? Gewiss doch auch ein ernstes wichtiges Bedenken. Hierauf antwortet nun dieset Kr.t.ker, dass, wenn bei vier Fünfteln die anssern E.nflusse keine Ameiaenahnlichkeit zu wege gebracht batten, diese auch nich die Ursache sein könnten, warnm dies be. dem letzten Funftel wohl der Fall gewesen ware, und anf diese We.se bchauptet er dann mich hier nlit meinen eignen Waffen zu sclilagen. Abe, es ist wieder nieht, als eine Verdrehung meiner Worte. Die Neigung znr Konvergenz offenbart sich be, den Arten, wie jede evolutionelle Umformung, in hochst ungleichem Masse, je nachdem die Disposition dazu vorhanaen ist und kamt al,o seh, wohl nnr noel, bei einem Funftel emgetreten sein; denn dass sie in diescm Fall e,ne Lebensbedingung der Art sein sollte, geht aus keinem Umstand hervor, von der Mimicry wird abe, behanptet, dass von ,hr das -ortbestehen der Art oder wenigstens ihre Existenz ,n dieser Symbiose abhangig sei, dann müsste sie aber ancl, be, allen in dieser Symbiose lebenden Arten aufgetreten sein. Wodies „„„ nicht der Fall ist, zeigt sich auch ,ene Notwend.gke t nicht „nd ebensowenig, dass diese Verandcrungen der Mlmicry zuzuschreiben sind. Dann behauptet er we, er, die geknieten Fühler von Eciton im allgeme,nen allen Formiciden eigen seien, wie immer aoch ihre Lebenswe,se se., und dass die Übereinstimmung damit bei also keine Konvergenzerscheinung sein konne. Nun.daskann sehr gut richtig sein. Es giebt noch v.ele andere We,sen, anf welche Formahnlichkeit entstehen kann; ich liabe sie in M S.D. ausführlich erörtert. Und was wc,ter die Genese der Fühler von einem Tiere wie Mimmton pultx V\ ASM. betriffi, da, nicht nur zu einer Gruppe gehort, von der ich keine spezielle Kenntnis besitze, sondern d,e mir im ubngen uur aus einigen Mitteilungen bekannt ,st d,e s.ch auf d,e Wahrnehniung dreier getrockneter Exemplare grimden und zwar eines Beobachters, dessen Objectivitat in dieser Be"iehung nicht ganz ohne Bedenken ist e.ne erar ige Genese kann ich nicht naher untersuchen. Damit ist abcr die mimetische Bedeutung derselben noch nicht bewiesen. Iel. könnte noch vieles hinzufügen. Ich könnte z.B. darauf hinweisen, dass wasmann, worauf ich bei meiner Besprechung seines Werkes schon hingewiesen habe, zur Verteidigung seiner Aufifassung über die Mimicry der Ameisen- und lermitengaste grossenteils der Argumentation der darwinistischen Schule folgt und namentlich die Selektionslehre und die von dem Kampf ums Dasein ausdrücklich zur Hilfe ruft. Aber wie lasst sich dies nun mit dem in Übereinstimmung ringen, was Herr S. im Anfang seines Aufsatzes (S. 388) nachdrucklich in den Vordergrund stellt, namlich dass er das Zustandekommen der Mimicry auf dem Wege einer mechanisch wirkenden Ursache wie der natürlichen Zuchtwahl energisch leugnet? Wie kann er dann trotzdem mit Wasmanns Aufitassungen in dieser Hinsicht übereinstimmen > Da ware doch einige Aufklarung wohl am Platze; Herr S. schweigt aber wohlweislich dazu; sein glaubiges Publikum wird sich ja wohl nicht zu sehr in die Sache vertiefen. Aber, wie ich schon sagte, es ekelt mich wirklich an, noch we.ter auf d.esen Punkt einzugehen. All dieses unaufhörliche Ciezank und Geklafife, diese fortwahrende versuche der Verleumdung, diese absichtlich falsche Darstellung des geistlichen Herrn, die gerne als eine ernste wissenschaftliche Diskussion erschemcn möchte - es macht auf mich denselben ndruck, wie ïhn die Spanische Künigin nach Heines Gedicht vDisputation ' erhielt, die, als sie einen christlichen und emen jüdischen Geistlichen zu sich gerufen hatte, damit sie vor ihr über das Vortreffliche der Religion eines jeden disputierten, diese stundenlang einander hatte beschimpfen und verdammen horen. In dem Sinne, dass der Eindruck dieser afifenargumentation bei mir nur einen moralischem Ekel hinterlasst! Dr. W. Schoenicken. Nicht grade hoch steht auch cin kurzes Geschrei, das Herr Dr. walther schoenicken gegen mich ausstösst '). ) talschrift fur Naturwissenschaft, 1904. Literatur-Besprtchung. Es lautet im Ganzen wie folgt: „Es kann von wisscnschaftlicher Scitc nicht verkannt werden, dass auf dem Gebiete der Mimicry sehr viel „gemacht" wird. Eine kritische Betrachtung der in dieser Richtung liegenden biologischen Erscheiningen ist daher nur wünschenswert. Aus diesem Grunde ist die Lektüre des vorliegenden Buches zwar hochinteressant; allein es geht in seiner Kritik bis zu einer völligen Leugnung der Mimicry sowohl, wie der Selektion. Dazu kommt noch, dass der Verfasser, ganz abgesehen von seiner Evolutionstheorie, die durchaus auf tönernen Füszen steht, hin und wieder den Pfad naturwissenschaftlicher Forschung verlasst. Nicht einmal Dinge wie die Zigeuner- und Vorstadtweiberlelire von Versehen sind ihm schlecht genug, urn nicht für die Hypothese der Evolution, die als die allein seligmachende angepriesen wird, ausgeschlachtet zu werden. Wir gedenken auf das eigenartige Buch, das fast auf jeder Seite den Widerspruch des Lesers herausfordert, gelegentlich noch einmal zurückzukommen." Man sieht es, nun ja, so ein bisschen Kritik ausüben, das lasst man sich wohl gefallen, aber eine völlige Leugnung solch' heiliger Glaubenssatze wie Mimicry und Selektion, das ist eine Art Gotteslasterung. Es verhalt sich damit, wie mit sovielen quasi-liberalen Christen; an die Wunder des Neuen Testaments braucht man nicht so buchstablich zu glauben, aber an dem göttlichen Charakter Christi zu zweifcln, das ist von vornherein abscheulich. Ob man auch triftige Grimde dafür anführt, das tut nichts zur Sache und braucht nicht untersucht zu werden. Besonders aber nicht, wenn man, wie ich auf S. 205 ff. von M. S. D. es tat, an dem echt darwinistischen Marchen von der Scheintot-Mimicry, das Herr Dr. W. schoenicken erfunden hat, auch ohne ihn zu nennen, zu rütteln wage. Meine Evolutionstheorie also steht auch auf tönernen Füszen und bei ihrer Darlegung verlasse ich hin und wieder den Pfad wisscnschaftlicher Forschung. Das heisst vom Standpunkte des Herrn schoenicken aus, unter denselben Erscheinungen, wie bei den obenerwahnten Weddahs die Teilung von 12 Münzstucken zwischen 6 Per- sonen vor sich geht. Denn wie hoch der Standpunkt biologischer Entwicklung dieses Herrn steht, das zeigt sich nur zu deutlich aus dem, was er über die Zigeuner- und Vorstadtweiberlehre von Versehen sagt. Er meint damit ofifenbar was ich über den mutmasslichen Einfluss der Suggestion angeführt habe. Ihm scheint dies identisch mit jener Lehre zu sein. Proficiat! Er verspricht spater auf meine Arbeit zurückzukommen; mich dunkt aber, dass ein ernster Mann und wirklicher Gelehrter erst untersucht und dann die Frücht seiner Untersuchung und die darauf sich gründenden Argumente mitteilt, bevor er sein Urteit ausspricht. Das Umgekehrte ist aber gewiss leichter und nötigenfalls kann dann die Untersuchung vergessen werden. Bemerkenswert ist noch, was er von dem Widerspruch sagt, den meine Arbeit auf tast jeder Seite errege. Ja, die ungestört dahinduselnde Schulweisheit wird dadurch wach gerüttelt; ist das aber nicht der Zweck, den ein jeder im Auge hat, der als Neuerer auftreten will? Dr. Chr. Schröder. In der Schrift aber, die ich jetzt erwahnen muss, ist von irgendeiner wissenschaftlichen Ausserung, wie gering auch, gar nicht mehr die Rede, sondern in ihr tritt bloss die dumme, grobe Schimpfsucht auf. Es ist so recht das wahre Geschrei der Böotier, obgleich eigenlich ein Vergleich mit dem Geklaffe wütend anbellender Hunde angebrachter ware. Ich meine hier ein sogenanntes Literatur-Referat über M. s. D. von der Hand des Dr. cllr. Schröder Es ist nicht das erste Mal, dass die dumme Wut dieses Mannes nut mir zusammenstösst; ich fühle mich darum genötigt, cvor ich seinen Angriff naher bespreche, hier erst eine Darstellung dessen vorangehen zu lassen, was sich schon ruher zwischen uns ereignet hat, und noch einige psychoogische Betrachtungen hinzuzufügen, um auf diese Weise e biologischen Marktschreierei ins rechte Licht zu riicken I) Sammlung von kritischcn Referaten neuerer Ar beiten Hier den Darwimsmus, ,n Allgemeinen Zeitssehrift für Entomologie, i9oj. und dieses ungebührliches Benehmen, soweit moglich, verstandlich zu machen. Man hat es hier offenbar mit einem sehr beschrankten Mann zu tun, dem die fur das zoologische Studium übliche Dosis Schulweisheit eingetnchtert ist, die er dann auch durch sein Gedachtnis festgehalten hat, ohne dass dabei einige selbstandige Verstandeskraft vorhanden gewesen ware. Man kann von ihm also nur ein Nachp appern der Schulmeinungen erwarten, wie auch solche Resu tate materiell wissenschaftlicher Arbeit, welche er mit i fe jener Kenntnis hat erarbeiten können. Auf d.esem Geblete hat er denn auch Arbeit geliefert, die nicht ohne Verdicnst ist aber sobald es auf die Deutung des Wahrgenommenen ankommt, weiss er natürlich nicht anders zu tun, als es dem Kram seiner Schulmeinungen einzufügen; passt es unglucklicherweise nicht hinein, dann weiss das Denkvermogen dieses Herrn ebensowenig mit ihm anzufangen als WASMANN mi dem, was mit seinem Katechismus nicht vere.nbar »t, ringen, wenn man auch den Glauben und die Lehre, „welche er predigt, für reinen Unsinn halt! Ich erinnere „mich übrigens noch sehr gut der Zeit, als ich selbst auch „an die Mimicry und was dazu gehort, glaubte; es ist die „übermassige Verallgemeinerung dieser Lehre gewesen, welche „mich zuerst an ihr zweifeln liess und endlich meine Augen „für ihie Unwahrheit und Unwissenschaftlichkeit geöfifnet „hat. So kam die Bekehrung, aber wenn der Bekehrte nun „auch seinen friihern Irrtum verwirft und bestreitet, so hasst „und verachtet er doch keineswegs darum diejenigen, welche „in guten Glauben bekennen, was er früher selber für YVahr„heit hielt". Mich dünkt, dass dies Herrn S. etwas ruhiger hatte stimmen können und das Unbegründete und deshalb Ungeziemende seiner YVutanfalle hatte einsehen lassen. Aber es hat nicht so sollen sein; er scheint nur die Gelegenheit abgewartet zu haben, noch einmal nach Herzenslust zu schimpfen, und hat jetzt dieses Verlangen in reichlichem Masse befrie- ■ l\ ES O6'" PhilosoPh' sondern cin Dichter gewesen. Das wurde mir in dcm aufS. li erwahnten und im N3. ,544 von Nature veroflfentlichten AngrifT ernstlich zum Vorwurf gemacht. Nun ja; als ich dies schrieb, war es schon 50 Jahre her, dass ich auf dem Gymnasium lateinische Dichter las; ich and es n.cht der Mühe wert, noch einmal nachzuschlagen. Aus diesem Beispiel ers.eht man aber ,n welch' gesuchlen Kritteleien diese sogenannte Kritik ihre Kr aft sucnen muss. digt, und zwar auf eine Weise, dass man dadurch eine recht geringe Achtung vor ihm bekommt. In meinem Werke M. S. D. wird niemand eine Zeile, ein Wort aufweisen können, das krankend für Herrn S. ware das verhindert ihn aber nicht daran, in dem erwahnten Literatur-Referat 85 Zeilen lang mit aller Macht und so persönlich wie nur möglich auf dieses Werk zu schimpfen, und zwar, denn hieraus gerade zeigt sich der Charakter dieser Ausführung als eines blossen Schimpfens sonnenklar. ohne dass er in jenen 85 Zeilen auch nur eine einzige wissenschaftliche Argumentation vorbrachte. Erst nimmt er dabei zu eincr jener Praktiken literarischer Verleumdung seine Zuflucht, die man in dem Geschmier der taglichen Presse nicht selten angewendet sieht, namlich die, ebenso wie Schuljungen die schmutzigen Wörter aus einem Wörterbuch zusammensuchen, so auch aus der angegriffenen Schrift alle Wörter, die etwa einen polemischen Charakter tragen könnten oder sogar nur polemisch anklingen, zu einem Haufen zusammenzufegen und als ein Beispiel für die unerhörte Scharfe des Verfassers zur Schau zu stellen. Auch hierin zeigt sich die Armut se.nes Geistes; sogar wo es sich um Schimpfen handelt, versteht er es nicht, es originell zu besorgen. In der Tat ist dies eine der Schmutzpraktiken der genannten Presse, da ja ein jedes Wort und jeder Ausdruck seinen Wert nur dem Zusammenhang erhalt, in dem es zur Anwendung kam, und eine Zusammenhaufung wie die obenerwahnte ausserhalb ihres Zusammenhangs nur eine gewollt unwahre, deshalb unehrliche und verleumderische Vorstellung geben kann; Auf dieselbe Weise macht sich nun dieser wohlanstandige Kritiker daran, allerhand Aufstellungen und Ideen von mir aufzuzahlen, deren Unwert sich dann, ohne eine eigentliche Beweisführung, einfach aus der Erwahnung eines mit denselben widersprechenden Schriftstücks aus der Schule eben dieses Kritikers zeigen soll. Denn wie wir schon sahen, ist die Schulweisheit diesem Hcrrn ein Axioma. Auf solche Weise bringt er es fertig, eine ziemliche Portion Dummheit an den Tag zu legen; sie ist jedoch von der Güte seines sonstigen Fabrikats, das notwendige Erzeugnis eines solch schwachen Gchirns, in dem alles, was von dem gewöhnlichen Schlendrian abweicht, nur Verwirrung anrichtet und zum Unsinn wird. Endlich kommt er so auf meine Theorie der Farbenevolution zu sprechen. Denn gerade auf diesem Gelande flattert ihm schon lange der rote Lappen entgegen. Immer findet er jene auf seinem Wege, in Streit mit seiner Schulmeinung. So war es, wie wir sahen, mi Jahre 1897 in Hezug auf seine Betrachtungen über die Raupenzeichnung und die Farbe der Eupithecia-Raupen. In M. S. D. habe ich darüber weiter mitgeteilt, dass jener bei mir entstandene Zweifel seitdem in den Untersuchungen von Dietze eine gute Stütspunkt gefunden hatte. Dann habe ich mich weiter geaussert über Farbenveranderungen bei Coleopteren und das Streben, diese mit Hilfe der Eimerschen Streifen- und Fleckentheorie zu erklaren, und zwar auf eine Weise, die allerdings den Auffassungen des Herrn S. in dieser Hinsicht ganz und gar zuwiderlaufen mag. Den Rat, welchen ich ihm damals gab, namlich, bevor er ein Urteil abgebe erst die Theorie einmal gründlich zu studieren, hat er offenbar nie befolgt. Und doch würde gewiss ein ehrlicher nach wissenschaftlicher Wahrheit strebender Naturforscher, namentfich wenn er als Entomolog wie Herr S. dazu wohl imstande ist, das in diesem talie nieht unterlassen haben. Sehr mit Recht schrieb noch vor nicht langer Zeit Prof. Dr. I. Reinke: „Das Recht zu einem Urteil über eine wissenschaftliche 1 heorie besitzt man dann, wenn man erstens die Theorie sdbst mit ihren Voraussetzungen und Folgerungen von Grund aus kennt; wenn man zweitens imstande ist, die Voraussetzungen nach ihrem empirischen und theoretischen Werte abschatzen zu können; und wenn man drittens noch in streng logischer Weise zu denken vermag, teils um die Folgerungen zu prufen, teils um selbst richtige Folgerungen zu ziehen" Von diesem allen ist nun sicherlich bei Herrn S. keine Spur zu finden. Ihm genügt es denn auch, dass in seinen mit doctrinaren Vorurteilen und traditionnellen Schulmeinungen angefullten Geh.rnfachern nirgends von Farbenevolution die Rede ist. Er geht auch nicht tiefer darauf ein, als die kurze Umschreibung es unbedingt nötig macht, die ich von dem Prozess dieser Evolution in M. S. D. gegeben habe; er wirft sich wütend darauf, und versucht, wie ein wildes Tier sie in Fetzen zu reissen, indem er auf Schritt und Tri seine Ohnmacht, die Sache richtig zu begreifen, aufs deutlichste zeigt. Etwas anderes als schimpfende Dummheit kommt dabei nicht zu Vorschein. Schlicsslich erklart er weitere Beweise ohne Zweifel spater geben zu wollen, und das ist wie ich schon in bezug auf Herrn SCHOENICKEN bemerkte, der in dieser Beziehung denselben Weg geht, viel leichter zu sagen, als erst die Gründe zur Missbilhgung gehorig auseinanderzusetzen, wie ein wahrhaft wissenschaftlicher Mann es tun würde, wenn er danach seinen ladel auch in noch so scharfer Weise ausdrücken wolltc. Vor diesen spatern Beweisen braucht man sich aber nicht angstlich zu machen; das Unbegründete der Theorie der tarbenevolution zu beweisen, dazu genügt weder ein troschnoch ein Ochsengehirn. Über die Farbenevolution habe ich mich oben auf S. 90 ff- schon genügend ausgesprochen. Unzusammenhangende, a prioristische, auf blosse Schulweisheit sich stützende Verneinungen können meine Theorie darüber nicht ins Wanken bringen. Im besondern zeigt sich ihr Wert in bezug auf die bis jetzt ganz ungenügend erklarten Erscheinungen des Polymorphismus und der geographischen Einflüsse, von denen ich in meinem obenerwahnten Werke vide Be'ispiele gegeben habe, in so unzweideutiger Weise, dass für sie vor allem der Ausspruch gilt: „Der Prüfstein einer Theorie ist ihre Leistungsfahigkeit. Je mehr Tatsachen sie ungezwungen zusammenzufassen und zu erklaren vermag, um so sicherer ist sie begründet". Gewiss wird an ihr noch dies und jenes zu berichtigen sein, aber dass man sie ganz vernichten könnte, glaube ich bezweifeln zu dürfen; jedenfalls hat sie von Biologen von der intellektuellen Fahigkeit eines Dr. S. nichts zu befürchten. Hiermit erklare ich die Ausstellung dieses Chamber of horrors biologischer Kritik für geschlossen. Man glaube jedoch auch hier nicht, dass Empfindlichkeit gegen all dieses Geschrei mich dazu veranlasst habe. Nicht nur weiss ich, wie ich oben schon sagte, wie es Mannern wie ÜARWIN und Herbert Spencer ergangen ist, sondern zudem habe ich zu lange das nchterliche Amt bekleidet, um in diesem Punkte noch viel Lmpfindhchkeit zu besitzen. Mit wie viel Eifer, Gewissenhaftigkeit und Kenntnis der Richter auch eine Gerichtssache behandele, nur ausnahmsweise wird er daran vorbeikommen, dass die verlierende Partei oder der Verurteilte wutend auf ïhn ist und alles mögliche Böse über seine Unfahigkeit oder Parteilichkeit auszukramen weiss; ja, nicht sel en wird er dabei kraftig unterstützt von dem Rechtsanwalt der sich nicht genug über die Unwissenheit oder Nachassigheit des Richters wundern kann, der ihm einen Prozess at verheren lassen; denn dieser Prozess hatte, wie der Ar,wa.t vers'cherte, als man um sein Gutachten ersuchte, auf alle talie gewonnen werden mussen. Wirklich, man gewöhnt an so c e achen. Auch bin ich nicht dazu über 71 Jahre alt geworden um noch viele Achtung vor dem Urteil der Menschen uberhaupt haben zu können, besonders wenn Eigenliebe mit ,m Spiel ist? Lob und Tadel sind mir einerlei. Nur das E.nverstandnis oder die Würdigung seitens solcher ersonen haben einen Wert für mich, deren Urteilsfahigkeit sich mir in genugendem Masse gezeigt hat, jedoch aus ihrer eignen Arbeit, nicht nur auf Grund ihrer etwaigen Reputation diese habe ich namlich grösstenteils als einen Modeartikel betrachten gelernt. Aber im Grundsatze bin ich mit dem holland,schen Dichter einverstanden, der dazu rat, auch nicht die schniutzigste Kntik zu vernachlassigen, denn wer Fruchte oder Blumen ziehen wolle, dürfe auch nicht davon zuruckschrecken, den Mist zu untersuchen. Solch ein praktischer Zweck ist nun hier der meine. Ich hielt es darum fur geboten, einmal deutlich hervorzuheben, wie jener ganze durch meine Arbeit hervorgerufene Widerspruch sich noch in keinem einzigen Punkt zu einer ernsten Widerlegung hat aufschwingen können. Anzweiflung einiger meiner Thesen, schroffe Verneinung, misoneistische Ausserungen der Verwunderung und des Erstaunens über so vieles, was von der Z "n ïWdSheit abweicht, misslungener Spott und f hit , uArt' Persö"liche Anrempeleien sogar, sie fchltcn nicht, aber das c.nzige, was auf dem Gebiete der Wissenschaft Wert hat, ernste, wissenschaftliche, nicht auf Modephrasen, sondern auf ernste Untersuchung sich gründende Widerlegung, wo finde ich sie? Solange diese noch nicht geliefert ist, behaupte ich mit meinen Einsichten unverletzt das Feld, und fordere einen jeden zum Kampf auf; mit Schreierei kann man mich nicht von dem Kampfplatz der biologischen Wissenschaft verjagen. Ich verteidige meine Ansichten jedoch, und dazu ist denn auch meine kriegerische Antikritik bestimmt, mit dem Bliek auf die Zukunft, der für ein Streben nach Reform, wie das meinige, von der höchsten Bedeutung ist. Die Überführung derjenigen, die mit den herrschenden Ideen durchtrankt sind, halte ich aus den oben auf S. 38 schon angedeuteten Gründen in den meisten 1" allen für unmöglich, und wenn immer für einen Teil, so wird das doch gewiss erst nach einiger Zeit geschehen; aber spater muss, wenn auch die grosse Menge noch lange der Schulweisheit folgen wird, sich die Möglichkeit doch immer mehr vergrössern, dass die Gebildeteren allmahlig es lemen, in dieser Frage ohne Vorurteil über das pro und contra zu urteilen. Also diesen den Unwert jener Schreierei richtig darzulegen, fühlte ich mich zu einer Antwort auf sie genötigt. I. Röber. Wie die erste Nachschrift auf S. 421 von M. S. D. angiebt, steht meine im Jahrgang 1903 der Deutschen Entom. Zeitschrift Iris erschiedene Studie „Ueber die sogenannten Schwdnze der Lepidoptera' ') mit jenem Werke in so engem Zusammenhang, so dass ich es für nötig halte, an dieser Stelle einen ihr geitenden Angriff in der Stettiner Entom. Zeitung vom Jahre 1905 zu besprechen. Das dumme Zeug 1) Die Redaktion von Iris hat iibev diese Studie die Worte gesetzt vaus dem holliindischen übersetzt'\ Dies muss zu dem Irrtum Anlass geben, als ob dieser Aufsatz schon friiher in einer hollandischen Schrift erschienen ware. Das ist aber nicht der Fall. Zwar ist die Handschrift, ebenso wie die von M. S. D., von mir auf hollandisch geschrieben, jedoch der Redaktion erst zugeschickt worden, nachdem sie ins deutsch iibersetzt worden wai 5 im hollandischen ist sic niemals gedruckt worden. schliesst sich auch sonst ganz gut dem eben schon behandelten Geschrei der Böotier an, liefert sogar ein besonders unwürdiges Beispiel von Grosssprecherei auf wissenschaftlichem Gebiet, von der wirklichen Unverschamtheit, mit der eine grobe Unkenntnis auf biologischem Gebiet, die sich mit einer übermassigen Selbstüberhebung paart, sich nicht scheut, über Fragen ein grosses Wort zu führen, die doch über das Fassungsvermögen solch' beschrankter Leute gehen, sobald ihre dummen Schulmeinungen durch sie angetastet werden. Uer hier gemeinte Angreifer ist ein lepidopterologischer Systematiker; als solcher trat er auf als der Fortsetzer des systematischen Teiles der bekannten Arbeit Exotische Schmetterlinge von Dr. C. Staudinger und Dr. E. Schatz nach dem Tode des letzteren. Einige kleine Bemerkungen meinerseits anlasslich dieses Werkes waren es denn auch hauptsachlich, die ihn zu diesem wütenden Geklafte veranlassten und so ihn bewogen, seine traurige wissenschaftliche Beschranktheit zur Schau zu stellen. Es hat eine Zeit gegeben, da das Studium der Zoologie, ebenso wie sie seit CuviER hinsichtlich der vertebrata ganz mit dem der Anatomie identifiziert wurde, sich, was die Insekten betrifift, fast nur mit der Systematik, der Beschreibung und Klassifizierung beschaftigte; der Reichtum an Formen machte hier den Mangel einer solchen zunachst sehr fühlbar. In beiden 1' allen führte dies bei den Spezialisten, die sich damit beschaftigten, zur Überschatzung ihres speziellen Studiums; Anatomie und Systematik sind gewiss an sich sehr bedeutend und notwendig; aber weit entfernt, dass sie die Zoologie mit einschliessen, stehen sie dieser Wissenschaft, die von weit allgemeinerer Art ist, nur als Hilfswissenschaften gegenüber. Was die Insekten betrifift, ist jetzt dieser bloss systematische Standpunkt schon überwunden, die biologischen Studiën sind seitdem auf diesem Gebiet schon sehr in den \ ordergrund getreten; aber immer giebt es noch wie Relikte dieses frühern cinseitigen Standpunktes Naturforscher, die ausschliesslich Systematiker sind, ja sogar die Systematik für das eigentliche wissenschaftliche Studium der Zoologie V halten und daher denn auch von dem übrigen nicht viel verstehen. Als einen solchen Lepidopterologcn wies ich schon oben auriviluus nach, bei Rüber findet sich dassclbe in noch schlimmerer und auch weit niedrigerer Form; er geht auch noch ganz von jener veralteten Auffassungsweise aus. Als Systematiker hat er gewiss Verdienstliches geleistet, obgleich er gerade da nicht so unfehlbar ist, oder alle anderen so überragt, wie er es selbst zu meinen scheint; von Biologie versteht er aber einfach nichts. Folgendes ist z. B. alles was er über die Mimicryfrage zu sagen weiss: „Die Mimicry-Frage hat m. E. vorlaufig eine befriedigende Lösung durch hahnels Erinneriingen (Iris III) und ElMERS Orthogenesis der Schmetterlinge gefunden". Dies ist eigentlich nichts andres als eine kurze Wiederholung dessen, was er schon 1891 im Vorwort des obenerwahnten, von ihm beendigten Werke über diesen Gegenstand schrieb. Nun, jemand der jetzt im Jahre 1905 noch nicht tiefer in die Mimicry-Frage einzudringen weiss, tate doch gewiss besser über diesen Punkt der Wissenschaft nicht mitzureden. Wie oberflachlich er denn auch in dieser Hinsicht verfahrt und ins Leere hineinredet, kan 11 man auf S. 54 desselben Werkes sehen, wo er anlassüch einer allerdings wieder falsch verstandenen Erscheinung der Farbenevolution folgendes schrieb: „Ein merkwürdiger Zug in der Flügelfarbung zeichnet auch die afrikanische Pieridenfauna in ganz auffallender Weise von den Pieriden andrer Gebiete aus, namlich das Vorwalten jenes eigentiimlichen, rötlich-gelben Farbentons, welcher unwillkürlich die Erinnerung an sandige Wüstenstrecken wachruft. Mehr oder minder findet man diese Parbung fast in allen Familien bei einzelnen Arten wieder, am aufïfalligsten und in grösster Konzentration bei den Acraeen (dem sog. Acraeenroth)... • Als ob Afrika als Ganzes geradezu eine grosse sandige Wüste ware, oder die Pieriden, wie freilich eine Rhopalocerengruppe, besonders Bewohner solch sandiger Gegenden waren und sich dort hatten entwickeln können! Wie wenig übrigens Herr R. die Schmetterlinge kennt, über die zu urteilen er sich erlaubt, zeigt sich aus dem Folgenden: „Aus dem innigen Verhaltnis zwischen Schwanz- „bildung und Verteilung der Flügelrippen ist vielmehr anzu„nehmen, dass der Schvvanz ein Organ ist, das eine wichtige „tunction im Leben der Schmetterlinge hat. So erscheint „es erklarlich warum viele 9 9 von Pap. Memnon L. meist „gut entwickelte Schwanze haben: sie bedürfen ofïfenbar zum „Geschafte der Eierablage mehr der Fahigkeit ihren Körper „in eine gewisse Stellung zu bringen, als ihre <ƒ <ƒ, die lediglich „leiblichen Genüssen nachgehen". Nun ist Pap. Memnon L. einer der bekanntesten indischen polymorphen Schmetterlinge, welcher z. B. auf Java in drei oder vier gut zu unterscheidenden weiblichen Formen vorkommt, die natürlich alle Eier legen; von diesen nun ist nur eine, die Form Achates L., init Schwanzen versehen; alle andern Formen sind ebenso wie das <ƒ ungeschwanzt und werden also nach Herrn Röber wohl auch nur lediglich leiblichen Genüssen nachgehen. Ja, es kommen sogar von der Form Achates L. auf Borneo sowohl geschwanzte wie ungeschwanzte Individuen vor, etwas, was man übrigens auch bei den cT c? von Pap. Deiphobus L. (Deiphontes Wall.) aus den Molukken wahrnehmen kann. Und bei den Ornithoptera kommen Schwanze allein vor bei O. Paradisia Stdgr. und zwar — nur beim tf. Sollte vielleicht bei dieser Art das <ƒ Eier legen und nicht das Q? Herr Röber untersuche dies einmal, es sei denn, dass er von einem bloss systematischen Standpunkt unter Eierlegen etwas andres versteht als ich. Die innigen Verhaltnisse zwischen Schwanzbildung und Verteilung der Flügelrippen bestehen übrigens einfach aus nichts andrem, als dass die Schwanze öfters — nicht einmal immer — Relikte der Flügelrippe sind, wie dies der evolutionelle Prozess der Verkleinerung der Flügel mit sich bringt. Was versteht nun aber Herr Röber von Evolution ? Einfach nichts. Und hierauf gründet sich denn auch seine Argumentation. Ich würde, sagt er weiter, diejenigen Schmetterlinge für die auf der Stufenleiter der Entwicklung am höchsten stellenden halten, bei denen sowohl die Flügelbeschuppung am meisten geschwunden ist, wie auch die Extremitaten (Flügel und Beine) zurückgebildet sind; das ist jedoch unrichtig, wie es die Syntomiden, die Ithomiden und die Haeterinen zeigen. Dann würden ja auch die QQ der Psychiden auf einer hohen Entwicklungsstufe stehen und dahingegen die „Prachtgeschöpfe" der Schmetterlingswelt, Papilioniden und andere, höchst unvollendete Wesen sein. Dies habe ich jedoch gar nicht gesagt; nur die Beschranktheit des Herrn R. weiss meine Worte dahin umzudeuten. Das Studium der Biologie lasst es nicht zu, eine derartige allgemeine Stufenleiter anzunehmen; sie gehort zu den Irrtümern der Systematik. Die Biologie lehrt, dass bei dem * Prozess evolutioneller Veranderung, dem die Lepidopteren unterworfen sind, die verschiedenen Organe, wie die Flügelbeschuppung, die Flügel und die Beine sich in selbstandiger Weise verandern, sodass eine Art — bezw. sogar ein Einzelwesen, wie bei den ebenerwahnten Schwanzen von Pap. Memnon L., Achates L. — was ein einzelnes Organ betrifft, weiter und was andere Organe betrifft, wieder weniger in der Entwicklung fortgeschritten sein kann, als die andern Arten. Auf diese Weise steht dann aber eine Gruppe nicht als solche über der andern. So bringt der Begriff der Evolution keine Vervollkommung mit sich, wie R. deutlich zu wissen meint, sondern bloss Veranderung, ebenso gut progressiv wie regressiv, und würde sich überdies der wissenschaftliche Begriff einer Vervollkommung nicht nach der menschlichen Auffassung über das Schone oder weniger Schone eines Tieres oder sogar nach dem Grade der Differenzierung seiner Organe richten dürfen, sondern nur nach dem Grade grösserer oder geringerer Tauglichkeit, den es für seine spezielle Lebensweise erlangt hat. Sein hauptsachlichstes Argument sucht dieser Systematiker wie sich erwarten liess, in seiner Auffassung der Beziehungen zwischen der Schwanzbildung und dem Flügelrippenbau, die er anlasslich meiner Verhandlung gesucht zu haben behauptet und die gefunden zu haben seine Bcschranktheit ihm nun auch suggeriert. Aus Gerippe jedoch kann man nur Freund Hein zusammensetzen, aber keinen Menschen und ebensowenig einen Schmetterling kennen lemen. Wohl kann eine derartige Kenntnis dieses Gerippes das ihrige dazu beitragen, aber dann muss sie durch cincn Intellckt vcrarbcitct werden, der wissenschaftlich genug ausgebildet ist, um solche Bildungen nach ihrem evolutionellen Wesen und also auch nach ihren Anderungen zu erfassen; das ist aber mit Herrn R. durchaus nicht der Fall. Es ware daher verlorene Mühe, ihm in seine Phantasien zu folgen. Den Pallen, welche er zur Stütze seiner Auftassung anführt, stellen überdies andere gegenüber, die ihnen widersprechen; er selbst erwahnt dies auch wohl, versucht sich jedoch herauszureden; was er anführt, ist in hohem Masse gesucht. Er beachtct gar nicht, dass neben den eigentlichen Schwanzen noch allerhand andere Flügelanhangsel vorkommen, die oftenbar derselben Art sind, in welche aber keine I' lügeladern auslaufen; auch lasst sich schwer verstehen, wie er denn I"alle, wie die obenerwahnten, erklaren will, wo verschiedenartige Formen desselben Schmetteilings und bisweilen sogar verschiedene Individuen einundderselben Form in dieser Hinsicht ungleich sind. Aber die schien er schon damals nicht zu kennen. Weiter lasst er auch die Tatsache ganz beiseite, dass die Schwanze keine vereinzelt darstehende Erscheinungen sind, sondern ihr Dasein öfters in einem unleugbarem Zusammenhang mit dem Factum steht dass die Fliigel sich verschmalern und auf diese Weise allmahlig schwinden, in welchem Prozesse die Schwanze denn oftenbai nur Stadia der Entwicklung ausdrücken. Dass ein solcher Überfluss an Porrnen, wie die, in den sich diese Anhangsel zeigen, beginnender Uildung oder progressiver Evolution zuzuschreiben sein sollte, wie er meint, ist auch — ich weide, wo ich das Wesen der Evolution behandle noch naher darauf zurückkommen — vollkommen unannehmbar; auch diese Kenntnis liegt jedoch ausserhalb des Kreises der Gelehrtheit des Herrn R. Auch versteht er nicht, dass, wenn verschiedene Adern in einunddenselben Schwanz auslaufen, dies sich meines Erachtens selir gut durch die Unterstellung erklaren lasst, dass gerade dadurch dieser Teil von der frühern Ausbreitung des Flügels weniger schnell atrophiert worden ist als der übrige und darum noch allein besteht. Und ebensowenig, dass wenn nun gerade eine solche Ader, die ihre Fortsetzung in einem sogenannten Schwanz hat, sich kraftiger ausgebildet hat als die andern Adem in einunddemselben Flügel, sich hieraus zeigt dass all diese Adern früher, als die Flügelausbreitung grösser war, kraftiger entwickelt gewesen sein mussen, als es jetzt noch nötig ist, und dass darum alle seitdem eine Verringerung der Kraftentwicklung erfahren haben, ausgenommen diese eine, welche sich noch in dem Schwanz fortsetzt, und bei welcher also der alte Zustand geblieben ist. Es ware verlorene Mühe auf dieses Geschrei weiter einzugehen, das gerne für wissenschaftliche Beweisführung geiten möchte, und ebenso auf all' den darauffolgenden Unsinn über die ehetnalige Ausbreitung von den Flügeln der Lepidoptera, wobei das von mir darüber Gesagte erst ganz unrichtig dargestellt und dann auf jene billige Weise lacherlich gemacht wird. Man weiss eigentlich nicht ob dies wider bessres Wissen geschieht oder bloss als die Folge der gerade darin so deutlich zutagetretenden Tatsache, dass Herr R. aber auch nicht die geringste wissenschaftliche Vorstellung eines solchen Evolutionsprozesses hat. Sein ganzes Denkvermogen wird zudem von jener echt darwinistischen Beschranktheit beherrscht, nach der jede Erscheinung einen bestimmten Zweck haben muss, was deshalb also auch a priori mit den sogenannten Schwanzen der Fall sein muss, und weiter in nicht geringerm Masse von jener unwissenschaftlichen Irrlehre, die in allen Organismen ein Streben nach Vervollkommnung sieht, was sich natiirlich mit meiner AufTassung, welche die Schwanze als Relikte betrachtet, durchaus nicht vereinbaren lasst. Herr R. macht es mir denn auch zum Vorwurf, dass ich ebensowenig auf den Zweck dieser Schwanze achte, wie auf den der Mimicry. Er selbst hat denn auch kein Bedenken gegen die darwinistische Romantik des Dr. P. HAHNEL, dass die sogenannten Schwanze den Schmetterlingen auch als Schutzmittel gegen die Angriffe von Eidechsen dienen sollten. Schon aus dieser Tatsache allein lasst sich sein Standpunkt vollkommen erklaren. Darnm müssen denn auch einige von ihm angedeutete Erscheinungen des Rippenbaus, wie er behauptet, Veranderungen zugunsten der Schwanzbildung und als solche nicht Zufalligkeit, sondern die Folge zielstrebiger Entwicklung sein, und fordert er nun von mir ihm zu beweisen, welchen andern Zweck die Haufung der Rippen in den schwanztragenden Flügelteilen habe, ganz nach der Art solcher Schreier, als ob nicht er erst zu beweisen hatte, dass seine Aufïfassung wenigstens sich auf einigermassen haltbare Stützpunkte griinde. Man sieht also, dass die Wut, die sich in dieser Schreierei Luft macht, unzweifelhaft wohl für einen grossen Teil aus derselben unreinen Quelle herrühren dürfte, aus der viele andere Darwinisten schöpfen, und dies alles, weil ich mich erdreistete ihre Götzenbilder, an erster Stelle das der Mimicry, niederzureissen. Aber dabei bleibt es nicht, am Schlusse der Schrift dieses Herrn, zeigt sich, wo der Hase im Pfefïfer liegt. Ich habe, wie ich oben schon erwahnte, mir anlasslich seiner schon erörterten systematischen Bearbeitung der exotischen Lepidoptera einige Bemerkungen erlaubt. So sprach ich unter anderem meine Meinung aus, dass mir die alte Einteilung der Rhopalocera von BoiSDUVAL, die sich auf die Art der Befestigung der Puppen gründet, noch immer als die plausibelste erscheint. Diese Meinung beruht auf meinem biologischen Standpunkt, der ja die Aufïfassung mit sich bringt, dass die Systematik sich nach der natürlichen Verwandtschaft zu richten habe und diese soviel wie möglich wiedergeben müsse. Von diesem Gesichtspunkte aus tragt man mehr der evolutionellen Entwicklung der Tieren Rechnung, auch wie ihre Ontogenese diese andeuten kann, als bloss einigen aussern Kennzeichen, wobei man dann auch ihre psychischen Eigenschaften, insoweit sie in einzelnen Fallen auf eine solche Verwandtschaft hinweisen, nicht vermachlassigen darf. Nach dieser Auffassung muss man, was die Rhopalocera betrifft, dem Entwicklungsgrad des Spinnvermögens der Raupen, wie sich dies bei der Puppenbildung offenbart, in bezug auf jene Verwandtschaft grossen Wert beilegen, und besonders da, wo diese überdies mit dem, was uns die Ontogenese der Raupen erblicken lasst, eine aufïfallende Übereinstimmung zeigt; auf diesem Grunde muss ich also die systematische Einteilung von BoisDUVAL jener der spatern und auch jener RöBELS vorziehen. Da nun aber dieser biologische Standpunkt weit aussefhalb des Gesichtskreises des Herrn R. liegt und bei seiner Intelligenz nicht von ihm begriffen werden kann, und er zudcm mit der Ontogenese der Raupen und deren Bedeutung wohl in keinem Teile genügend bekannt ist, wird ihm von diesem allem nur klar, dass ich mit der von ihm verteidigten systematischen Einteilung der Rhopalocera nicht einverstanden bin. Dieser Zweifel an seiner Vortrefflichkeit erregt nun seinen heftigen Zorn, dem er dann in sehr kleinlicher Weise Luft macht. So wirft er mir z. B. vor, dass ich, trotz der modernen Anschauungen, noch immer die Hesperiden zu den Rhopalocera rechne. Und doch ist das noch sehr gewöhnlich; man kann es so z. B. auch noch in dem letzten Katalog Staudingers finden. Ferner welchen wissenschaftlichen VVert hat denn eigentlich die Einteilung in Rhopalocera und Heterocera? Weiter behauptet er dann, weil ich bei der Betrachtung des Spinnvermögens alter Formen von Rhopalocera mich auf die Erwahnung eines einzigen Beispiels beschrankt habe — des vom Genus Doritis —, dass ich anscheinend mit demselben bei Parnassius und Zegris nicht bekannt sei. Und doch las ich im ersten Büchlein, in dem ich im Alter von 14 Jahren über die Schmetterlinge Kenntnis suchte, das schon von P'arttassius Apollo L.! Aber was macht das übrigens aus? Es ist bloss ein Gebelfer. Ausserdem fügt er kühn noch hinzu, dass sehr wahrscheinlich bei den exotischen Schmetterlingen, deren Metamorphose ja erst zum kleinsten Teile bekannt sei, noch viel mehr Ausnahmen von der Regel bei der Verpuppung vorkommen würden. Diejenigen aber, welche, wie ich, mit der Metamorphose vieler exotischer Rhopalocera besser bekannt sind als Herr R., wissen wohl, dass es nicht der Fall sein wird. Denn der naher zu besprechende, noch sehr zweifelhafte und genauere Untersuchung erheischende Fall von Stalac/itis würde in keinem Fall dann noch glattweg eine Ausnahme genannt, sondern nur als ein Übergangszustand betrachtet werden dürfen. Noch heftiger bricht seine Wut hervor wegen einer andern von mir in bezug auf seine Arbeit gemachte Bemerkung. Er nahm in derselben an, dass die Puppen des Genus 9 Stalachtis nur anv Hinterleibe aufgehangt uud nicht zudcm noch mit einem Gürtelfadchen bcfestigt seien und nun bemerkte ich, dass die Richtigkeit dieses Ausspruchs mit guten Griinden angefochten werden könnte. Freilich auf der Abbildung dieser Puppe in Sei'i'S Surinaamsche Insekten iii Tafel 183 ist zwar kein Gürtelfadchen zu erblicken, jedoch in dem französisch-hollandischen Text wird ausdrücklich erwahnt, dass die Puppe mit einem Gürtelfadchen angeheftet sei, sodass hier vvohl von einem Fehler die Rede sein dürfte '). Auch hatte ich von vornherein die Möglichkeit angenommen, dass Herr R. weder französisch noch hollandisch verstande und also den Text nicht hatte lesen können. Aus diesem Grunde nun behauptet Herr R., dass ich ihm in höhnischer und völlig unberechtigter Weise Unrichtigkeiten vorgeworfen hatte, obwohl ich seine Angaben auf ihre Richtigkeit gar nicht geprtift hatte. Denn wenn ich den Catalogue of Erycinidae von W. W. Bates 2) nachgeschlagen hatte, so würde ich gesehen haben, dass Bates als seinen Befund mitteile, dass die Puppe von Emesis mandana CRAM. nur am Hinterleibe aufgehangt sei, gerade wie bei Stalachtis. Dies ist nun sehr gut möglich; weil ich mich nicht speziell mit der Systematik der Eryciniden beschaftige, habe ich auch diese Abhandlung Bates' nicht gelesen. Dadurch andert sich jedoch die Bedeutung meiner auf ciner zufalligen Wahrnehmung beruhenden Bemerkung nicht. Dass übrigens aus dem zitierten Ausspruch Bates' hervorginge, dass dieser Naturforscher jene 1 atsache auch bei Stalachtis persönlich wahrgenommen hatte, wie Herr R. kühn behauptet, ist unrichtig. Aber angenommen, dass dies so ware — Bates ist, obgleich auch zum darwinistischen Götzen geworden, doch keineswegs unfehlbar, 1) Durch die Freundtichkeit Dr. Reuvens, Bibliotkekars dlr Ned. Entom. Vereeniging, war ich seitdem in der Lage, die ursprünglichen Abbildungen dieses Werken zu sehen, die sich in der Bibliothek dieses Vereins hefinden. Ich konnte da feststellen, dass tatsachlich auf der ursprünglichen Abbildung der hier in Rede stekenden Stalactispuppe das Gürtelfadchen sehr deutlich angegeben ist. lis ist hier also ein Fehler dessen, der die Bilder dieses Werkes kolorierte. 2) Li tin. Soc. 1868. und ein Irrtum in dieser Beziehung ist auch bei ihm sehr leicht möglich; mir selbst ist dies, wie ich schon erwahnte, auch schon einmal passiert. Dasjenige was Sepp, ein blosser Bewunderer der Natur, der vor etwa 200 Jahren ohne irgendeine wissenschaftliche Pratention möglichst genau seine Beobachtungcn aufzeichnete, in dieser Beziehung verzeichnet hat, bietet gewiss grössere YVahrscheinlichkeit, das Richtige zu treffen, und lasst sich nicht kurzerhand mit der Redenart, dass die Angaben der alten Autoren sich in mancher Beziehung als unzuverlassig erwiesen hatten, bei Seite schieben. Deutlich zeigt sich aber wohl, dass Herr R., der für seine Arbeit einen derartigen Punkt unbedingt hatte untersuchen müssen, diese Schrift nicht zu Rate gezogen und also nur blindlings Herrn Bates nachgeschrieben hat; dass dies hier so klar zutage tritt, ist gewiss auch für einen grossen Teil die Ursache seiner grimmigen VVut. Wie unsinnig ist es doch, meine blosse Annahme, dass ein deutscher Insektolog vielleicht weder französisch, noch hollandisch verstehe, ein höhnisches Vorwerfen einer Unrichtigkeit zu nennen. Hollandisch versteht fast kein einziger Deutsche, auch mit dem Französischen ist mancher,nicht vertraut, was ihn nicht daran hindert, höchst ehrenwert und kundig zu sein. Leute, die eine derartige Unterstellung für beleidigend halten, betrachte ich als Philister, die in Ermangelung wirklichen Ehrgefühls, nicht zu unterscheiden wissen zwischen dem, was beleidigend, und dem, was nicht beleidigend ist. Derartiges scheint aber unter solchen Böotiern öfters voizukommen; ich denke hier z. B. an das auf S. 115 erwahnte „persönlich angegriffen" und auch an die auf Seite 3 erwahnte Beschwerden Gaston Bonniers. Sollte denn etwa der französische Ausdruck: „querelle cTAllemand" wirklich auf einer psychologischen Grundlage beruhen, wenigstens was die deutschen Böotier betrifft ? Leuten, die, wie R., öffentlich über Fragen mitreden wollen, die weit über ihren Horizont gehen, darf man, wenn sie ihre Wissenschaftlichkeit auch noch so laut austrompeten, das alte verschen zu rufen: Wenn man nicht kann, so wie man will So schweig' man lieber still. Abcr auch, wenn sie dies vergessen haben, hat es doch keinen Zweck einen wie ein wütender Hund anzubellen. Können sie es aber nicht lassen, so muss man wohl nach dem Stock greifen. Prof. Dr. Ludwig Plate. Ich könnte jetzt zur Behandlung dessen übergehen, was ich °ben als den zweitcn Gegenstand dieser Schrift angekündigt habe. Vollstandigkeitshalber muss ich jedoch auch noch den Angrifif cines Gelehrten erwahnen, den ich nur mit einer gewissen Einschrankung zu den Kritikern meiner Arbeit rechnen kann, da seine Schrift vor der meinigen herausgegeben ist und noch allein die von mir auf denn Berliner Kongress vorgebrachten Theses erörtert, zu deren Erklarung dann meine sp.ïtere Arbeit erschienen ist. Es ist namlich die Schrift: ,Ueber die Bedeutung des darwinistischen Selektionsprinzipes und Probleme der Artbildung" von Prof. Dr. Ludwig Pi,ate, die zweite Ausgabe eines Werkes, dessen erste von mir in M. S. D. besprochen worden ist. Auch dieser Gelehrte liebt ein wenig die Schreierei. Folgendes schreibt er z. B. auf S. 65: „Neuerdings hat ein erfahrener Entomologe (Piepers) einen energischen Feldzug eröfifnet gegen die Erklarung der Mimicry durch Selektion. Farbung und Zeichnung der Schmetterlingsflügel sind nach ihm das Resultat einer orthogenetischen Evolution und zwar gehen alle einzelnen Elemente eines A"tf//z/«rtfliigels unabhangig von einander ihre eigenen gesetzmassigen Bahnen. Erstaunt fragt der Leser, wie denn trotzdem ein solcher mit Lebensweise und Umgebung harmonirender Effekt entstehen konnte, und erhalt darauf die Antwort: „der Zufall allein kann solch ein Zusammentreffen zustandebringen. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass ein enragirter Gegner der Selektionslehre sich an denselben Rettungsanker „Zufall" anklammert, der sonst immer den Darwinisten zum Vorwurf gemacht wird. In diescm I-alle heist der Zufall soviel wie „uns unbekannte Verhaltnisse" und bedeutefr einen Verzicht auf jede Erklarung. Piepers' Thesen iiber Mimicry und seine früher erschienene grosse Abhandlung über die Farbenevolution bei den Pieriden (1898) sind sehr geeignet zu zeigen, zu welchen verzweifelten Annahmen man gezwungen wird, vvenn man die Mimicry ohne Selektion zu erklaren sucht". Was das „Verzichten auf jede Erklarung" betrifift, so wird man dabei gewiss in Betracht ziehen müssen, dass Herr Dr. P. als er dies niederschrieb, noch mit der Arbeit unbekannt war, in der ich meine Kongressthesen naher beleuchtet habe. Denn, wie man auch dariiber denken moge, die Behauptung, dass ich hierin vor der Erklarung der Mimicryerschcinungen zurückgeschreckt sein sollte, ware doch zu stark gewesen. Man hat dann aber alle Ursache zu fragen, ob Herr Dr. P. nicht klüger und mehr den Forderungen eines wirklich ernsthaften wissenschaftlichen Benehmens entsprechend gehandelt hatte, wenn er mit der Besprechung meiner Theses gewartet hatte, bis die zugleicherzeit angekündigte nahere Erklarung erschienen ware. Sein Urteil nahert sich jetzt unverkennbar der Handlungsweise der obenerwahnten would-be Kritiker, die unter dem Versprechen, spater wohl einmal eigentliche Kritik liefern zu wollen, mittlerweile mit möglichst weit aufgesperrten Maulern ihre Stimme erheben. Auch seiner Behauptung, dass meine Thesen und meine Abhandlung über die Farbenevolution zeigten, wie eine Erklarung der Mimicry ohne Selektion zu verzweifelten Annahmen zwinge, kann ich keinen andern Wert zuerkennen. Meinerseits könnte ich aber mit grösserem Recht darauf hinweisen, wie Dr. P.'s Worte wieder allzu deutlich zeigen, zu welch' unnötiger Schreierei auch ein wirklich wissenschaftlicher Naturforscher — kein bloss mit Schuldressur vollgestopfter Dummkopf, und ebensowenig einer, der, wie soviele andere, obgleich urspriinglich von Bedeutung, spater ein Brett vor den Kopf bekommen hatte und der ferneren Belehrung unzugangig geworden ware — dessen ungeachtet sich erniedrigen kann, wenn er sich erlaubt Gegenstande sogar seiner eignen Wissenschaft zu beurteilen, ohne dass er vorher die betreffenden Fragen genügend studiert hat. Denn dies ist der Fall mit Dr. P., namentlich, was die Farbenevolution anbetrifit. Es bleibt immerhin eine ofifene Prage ob man ihn zu einem so speziellcn Studium auf entomologischem Gebiet wohl für fahig halten darf. Denn mit Ausnahme von sehr wenigen Pallen des Gegenteils ist doch alles, was er hier und da in seiner Arbeit über Insekten mitteilt, ofilenbar aus der zweiten, dritten und noch weitern Hand und zwar ganz kritiklos herübergenommen; dazu ist es noch für cinen grossen Teil falsch, und beruht nur auf unrichtiger, oberfliichlicher oder unvollstandiger Beobachtung. Auch dass Dr. P. sich über die Tatsache erhitzt, dass ich den Zufall als einen bedeutenden I'aktor ancrkenne, ist oftenbar gesucht und mit seinen eigenen Anschauungen im Widerspruch. Ich brauche keinen Rettungsanker, weil meine Erklarung nicht, wie die seinige, sich bloss auf Phantasie und angebliche Hypothesen griindet, sondern auf die Beobachtung von Tatsachen. Auf S. 58 seiner Arbeit giebt er eine Übersicht über das, was man alles unter Zufall versteht. Er nennt dabei u. a. an eister Stelle: ein zeitliches und örtliches Zusammcntreffen von zwei Ereignissen, die in keinem ursachlichen Zusammenhang stehen. Wenn man nun aber bedenkt, dass jedes Ereignis aus eiber aneinandergereihten Kette von friihern Ereignissen hervorgeht, und dass diese Reihe sich ins Unendliche fortsetzt, so dürfte es deutlich sein, dass ein solcher ursachücher Zusammenhang in der Tat zwischen zwei Ereignissen, die sich begegnen, nicht vorhanden zu sein braucht und sehr haufig nicht vorhanden sein wird. Solche Ereignisse nun dies lehrt die Erfahrung — spielen in der ganzen Natur, wie auch z. B. jm menschlichen Leben eine sehr bedeutende Rolle, und diesem Zufall habe ich denn auch, ganz mit Recht, in bezug auf die Mimicry grosse Bedeutung zuerkannt. Doch weiter erwahnt er sub 7 auch den Gebrauch des \\ ortes „Zufall in Sinne der Wahrscheinlichkeitsrechnung bei sehr geringer Wahrscheinlichkeit. Und in diesem Sinne wird das Zufall nun in dem Darwinismus gebraucht. Es werden darin Ereignisse in den Vordergrund gestellt, deren Wahrscheinlichkeit, besonders wenn sie als fortwahrend und zu wiederholten Malen vorkommend hingestellt werden, so ausserst gering ist, dass sic, obgleich theoretisch nicht durchaus unmöglich, doch mit Rücksicht auf das, was uns die Erfahrung lehrt, vernunftgemass nicht angenommen werden darf. Es hat deshalb nichts Komisches an sich, wenn man erstgenanntme Zufall grossen Wert beilegt und letztgenannten verwirft; so fordert es die Vernunft. Ich kann hier nun die zweite Auflage der Arbeit Dr. PLATES nicht unbesprochen lassen, wenn ich auch die erste schon behandelt habe. Denn sie ist nicht nur ausfiihrlicher als diese, sondern die in derselben gegen mich gerichteten Angriffe zwingen mich auch des nahern darauf einzugehen. Zudem führt sie in ihrer jetzigen Abfassung zu einer für meine Absichten ausserst bedeutungsvollen Schlussfolgerung. Eine dem Verfasser Schritt für Schritt folgende Kritik ist zwar nicht recht möglich. Seine Arbeit ist dazu in zu starkem Grade durchsetzt mit nicht genügend belegten Wahrnehmungen und auf nichts sich stützenden Sentenzen und Betrachtungen von allerhand Autoren, die jedes ernsten wissenschaftlichen Wertes entbehren, die er gleichwohl aber als Argumente anführt, und so würde man diese eins nach dem andern widerlegen müssen. Überdies beruht die Beweisführung auch wieder grössenteils auf durchaus unrichtigen Ideen über Mimicry im weitesten Sinne des Wortes, über die Einflüsse der Warme und dergleichen, über den Wert von allerhand Experimenten, über Variabilitat, und was deren mehr ist, Fragen, die ich als einen schon überwundenen Standpunkt entsprungen betrachten zu dürfen glaube. Um zu einer regelrechten Kritik dieser Arbeit gelangen zu können, würde man sie erst als Ganzes in einer Siebe solange müssen schütteln können, bis man all diese unnützen Bestandteile ausgeschieden hatte. Aber auch dann würde das übrige für einen grossen Teil auseinanderfallen, denn vieles von diesem Unnützen dient nur dazu als Klebestofïf, die Betrachtungen zusammenzuhalten und zu einer regelmassigen, zusammenhangenden und ernsten Kritik eignet sich, was in der Natur der Sache liegt, ein so auseinandergefallenes Ganze sehr wenig. Hinzu kommt, dass eine solche für meinen Zweck eigentlich nicht mehr in Betracht kommt, wohingegen eine allgemeinere Betrachtung dieser Arbeit weit wichtiger ist. Ich werde mich also darauf beschranken, die von dem Verfasser über besondere Punkte ausgesprochenen i einungen, hier und da, wo irgead sich mir dazu in dieser Schrift die Gelegen heit bietet, zu besprechen, an dieser Stelle jedoch nur einen allgemeinen Bliek auf das Ganze werfen Dieser lasst mich nun den Kritiker als einen solchen erkennen' wie ich ihn schon oben angedeutet habe, namlich als einen Gelehrten, der zwar mit vieler Kenntnis und vielem wissenschafthchen Sinn auf dem Gebiet der Biologie durch seine Intelhgenz genötigt wird, vieles was die Wissenschaft an neuen Ergebnissen bringt, in sich aufzunehmen und auch wie sich das aus vielen richtigen Einsichten und Betrachtingen erkennen lasst, tuchtig zu verarbeiten, der aber im ubngen noch ebensostark von dem Darwinismus umklammert ist, wie ernst der Verurteilte von der Nürnberger Jungfrau. Gleichwohl ist er, wie gesagt, nicht ganzlich verhartet sodass er trotz allem in der Tat noch der Belehruna zu! ganglich ist. Als Folge dessen tritt bei ihm ais ein unmassiger Drang zutage, alles, was er an neuen Ideen in sich aufnimmt, mit in diese Zwangsjacke des Darwinismus hineinzuzwangen, oder wenigstens dem Darwinismus auszupassen ein Streben, dessen innere Unwahrheit naturgemass zu allerhand unhaltbarcn Schlüssen führen muss. Bezeichnend ist - weil es wieder so vollkommen mit dem ubereinstimmt, was ich in meinen obenerwahnten Etudes bemerkte, dass namlich der geistige Unterschied zvvischen verschiedenen Menschen mehr scheinbar als in Wirklichkeit bestehe dass man so auch bei Dr. P. gerade dasselbe beobachten -ann wie bei E. WASMANN. Genau so wie letzterer, festgeklammert in seine religiösen Meinungen, sich damit &zu schaften tun macht, diesen Anschauungen den neueren, ihm doch schon teilweise zuganglich gewordenen Standpunkt des Darwinismus anzupassen, so müht sich nun auch Dr. P. fur dessen schon höher evolutionierten Verstand der Darwinismus die dominierende Auffassung geworden ist, ab, die noc neueren Einsichten, insofern er sie versteht, in diese Auftassung hineinzuzwangen. Die instinktive Wirkung des Glaubens tritt hier bei beiden sehr deutlich zum Vorschein wenn auch die Art des Glaubens schon einen erheblichen Unterschied aufweist und bei Plate eine rein wissenschaftliche geworden ist. Dieses Hineinzwangen nun beherrscht sein ganzes Buch; das was er jedoch anzupassen versucht, beruht nicht mehr, wie das andere, auf darwinistischer Einsicht. Was ist nun die Folge? Das Wesen des Darwinismus liegt in dem Lehrsatz, dass das Grundprinzip, durch welches die evolutionellen Formveranderungen zustande kamen, das Prinzip der Auslese oder Zuchtwahl sei, die durch den Kampf ums Dasein hervorgebracht werde und zu dem Survival of the Fittest führe. Ganz gewiss hat auch darwin den Ausdruck „Kampf ums Dasein" wohl im weitesten Sinne gebraucht und auch wohl gewissermassen eine Züchtung ohne Selektion anerkannt. Aber, wie Dr. P. auf S. 87 seiner Arbeit mit Recht sagt, dies tritt bei ihm — wie nicht anders von dem Entdecker des Selektionsprinzips zu erwarten war — ganz in den Hintergrund. Hier liegt der Schwerpunkt des Darwinismus. Ich halte es denn auch für eine unrichtige Vorstellung und zwar für einen Ausfluss dieses vielleicht unbewussten oder wenigstens suggestiv benebelnden Dranges zur Modernisierung des Darwinismus, auf den ich noch spater zurückkommen werde, wenn Plate auf S. 4 der 2en Auflage seiner oben zitierten Arbeit schreibt, er wolle des Altmeisters darwins Meinung wieder zu Ehren bringen, dass die Selektion zwar nur ein Faktor neben andern in der Entwicklung der organischen Welt, aber eine überaus wichtiger sei. Nein, für darwin war die Selektion der allgemeine, bestimmt in den Vordergrund tretende Faktor, und wenn er auch die Möglichkeit von der Existenz noch andrer Faktoren anerkannte, diese waren für ihn doch gegen den Hauptfaktor von geringer Bedeutung. Und dies ist etwas ganz andres als der Eindruck, welchen Plate mit Hilfe der Elastizitat des Ausdrucks „überaus wichtig" in bezug auf die Theorie Darwins hervorruft. Zwar gesteht plate an einer andern Stelle, auf S. 17, ein, dass darwin „anfangs die Bedeutung der Auslese überschatzt habe; je alter er wurde, desto mehr sah er ein, dass sie nur ein Faktor der Artumwandlung neben vielen andern ist". Aber darwin als Person bleibt hier ausser Betracht; seine Lehrc ist es, worauf es ankommt, und zwar insofern diese sich in der Naturwissenschaft einen Platz erobert und hier seit langen Jahren geherrscht hat. Diese nun beruht auf seiner andern Betrachtungsweise, die er in seinen bekanntesten Werken, die den grössten Kinfluss ausgeiibt haben, auseinandergesetzt hat. Den spatern Ausarbeitein des Darwinismus ist dies jedoch nicht möglich gevvesen, dazu war ihnen die Macht der Tatsachen zu stark, und so finden vvir bei Dr. P. in Wirklichkeit eine ganz andere Betrachtung, in der die Ziichtung ohne Selektion als die l and™VVr' "" bi0,0Bisch™ G""i«e das Studium so bel ebl vf,Cn VCr8-iften kÖnne"' «* dic heute leistet sPeaal's'e«„de Richtung diesen, übel Vorschub „l"3" "erSteh' Cb™ v°" dissen Sachen sehr wenig und 2 ie ^ die ErblichWt der Fa,ben betrift, " a S°T UnerkIar,. 67 M. S. D. erwahnten Zunahme des Schwarz bei verse net enen Formen von Pap. Dardanus Brown (Merope l-ram.), die auch hierin sich wohl nicht unterscheiden werden, konnte ihn belehren, dass nur von einem evolutionellen Irozesse der Farbenveranderung die Rede sein kann Uiejenigen, welche ih verschiedenen Pigmentveranderunp;""U.r Fchlfarben als Erscheinungen von Pipgmentarmut, gmentreichtum oder Pigmentverschiebung erblicken und bchmetterhnge, bei denen dies vorkommt, mit Kümmerlingen oder kruppeln vergleichen, zeigen dadurch nur den Mangel an Kenntnis des YVescns der Evolution, auf den ich noch spater zurückkommen werde. Wo nun dieser Mangel an Kenntnis vorhanden ist - und unter den heutigen Natur- 0 nh'scktenbórse" ryoj S. 166. forschcrn ist er sehr verbreitet — kann man die biologischen Erscheinungen nicht genügend würdigen. Nur wer den besondern Charakter, wodurch sich die Ausserung cines evolutionellen Prozesses von der andrer biologischen Vorgange unterscheidet, kennen und so derartige Prozesse zu unterscheiden und zu identificieren gelernt hat, vermag auch den evolutionellen Charakter derartiger Pigmentveranderungen zu begreifen und ihn als solchen bei den Lepidopteren zu bcobachten. Denn wenn sich dasselbe auch, wenn man es einmal kennt, bei andern Tierformen feststellen lasst, so ist doch keine Pigmentveranderung so geeignet als wie die der Lepidopteren, um diese Erscheinung zu beobachten und den Beginn mit ihrem Studium zu machen. Dazu muss man aber Lepidopterolog und als solcher im Spiel der Farben und Zeichnungen, wie sie auf den Flügeln dieser Insekten vorkommen, völlig bewandert sein. Es handelt sich hierbei um dasselbe, was sich auch hinsichtlich der Kenntnis von Gemalden sagen lasst. Man muss hier erst, wie es heisst, sehen lernen. Ein jeder kann zwar ein Gemalde betrachten und sich einbilden, es schön zu finden. Es aber wirklich beurteilen zu können, dafür ist ein sehr getibtes Auge erforderlich. Diese beiden vorbereitenden Kenntnisse nun, die Erkenntnis von dem Wesen der Evolution und die praktische Übung in der Beurteilung der Farbe und Zeichnung auf den SchmetterlingsfUigeln, sind unentbehrlich, wenn man die Pigmentveranderungen darauf studieren will. Es geniigt nicht, dass man obenhin behauptet, man könne lesen, ohne die Buchstaben gelernt zu haben. Wer aber mit diesen Kenntnissen ausgerüstet, z. B. einmal die verschiedenen Formen genau studiert hat, unter denen diese Pigmentveranderung im Genus Hebomoia stattfindet, wird nicht mehr daran zweifeln können, dass sie nach festen Regeln erfolgt, wenn sie auch übrigens je nach den Arten, Sexen und Individuen in einer überaus grossen Verschiedenheit zutage tritt. Auch wird er nicht an der Tatsache vorbeikommen können, dass die Veranderung sich unfehlbar als eine normale Evolutionserscheinung darstellt und mit krankhaften, abnormen Erscheinungen nichts zu tun hat. Noch mehr über die Frage der Farbenevolution hinzuzufügen, dürfte wohl überflüssig sein. Bedenken ernsthafter Forscher werde ich ohne Zweifel gerne beantworten. Die Schreierei anderer kann eine Beantwortung nicht beanspruchen. Nur folgendes möchte ich noch bemerken. In der Revue Scientifique traf ich einen ausführlichen Bericht an über Doktor-Thesen Dr. A. H. Mandouls '). Nichts darin war auch nur einigermassen im Widerspruch mit meiner Theorie der Farbenevolution, im Gegenteil wird das selbstandige Wesen des Pigments stark auch von ihnen betont, wodurch also auch die Möglichkeit der von mir verteidigten selbstandigen Evolution derselben als einer physiologische Einheit einen Rückhalt bekommt. Auch stiess ich auf sonderbare Bemerkungen, die, wie die Naivitaten von enfants terribles, von Forschern gemacht waren, die meine Betrachtungsweise gar nicht teilen, aber trotz alledem dieselben unbewusst bestatigen. So soll weiland Prof. A. Ratcl. Grote j) durch das Studium der Flügeladern von den Pieriden zu der Schlussfolgerung gekommen sein: dass die Tagfalter kleiner werden, dass ein Zusammengehen des Geaders und der Farbung nicht statt hat, und dass die am meisten spezialisierten Formen der Pieriden blasse Farben zeigen! Das heisst also gerade dasselbe, was auch mein Studium über die Farbenevolution bei derselben Schmetterlingsgruppe mich gelehrt hat. Sollte eine derartige Übereinstimmung im Resultat nun bloss eine zufallige sein? Ich sehe in diesem Ausspruch eine bedeutsame Bestatigung der Richtigkeit meiner Wahrnehmungen, die dann natürlich für das ganze meiner Theorie der Farbenevolution Geltung hat. Das ins Leere Hineinreden findet sich hier natürlich auch. Wie ich in einem kurzen Bericht lese, hat Dr. F. A. CHAPMAN 3) folgendes mitgeteilt: 1) „Recherches sur les colorations tégumentairesRevue scientifique (Revue rose) 24 Dée. itjoj. 2) „ The Jescent of the Pierids". Nach einer Rezension in der Allgem. Zeitschrift für Entomologie iqoi S. 27. 3) tNotes on the geographical and seasonal variation of Heodes phlaeas in Western Europe". (The Entomologisfs Record and Journal of Variation Vol. 16 No. 7, Juni 1904). Nach der Zeitschrift für wissenschaftlichc Insektenbiologie, 20 Oct. jooj. „Die Grosse der Exemplare der genannten Schmetterlingsart hangt von der Dauer der Entwicklung ab. Daher sind die nördlichen, speziell die lapplandischen Individuen die grössten, da sie sich wegen der kühlern Temperatur langsam entwickeln. Die Farbe hangt von der Temperatur ab, besonders von der Temperatur, die gegen Ende der Puppenruhe herrscht; je warmer, um so dunkier sind die Tiere. Daher ist die lapplandische Form die hellste". Dass die dunkle Farbe nicht von der Temperatur und zwar besonders der gegen Ende der Puppenruhe herrschenden abhangt, habe ich in dem Probexempel im Anhang von M. S. D. überzeugend dargelegt. Weiter meine ich, dass in Lappland wahrend des kurzen Sommers gar nicht eine so niedrige Temperatur herrsche und dass wegen der kurzen Sonnenzeit der 1'flanzenwuchs sich dort sogar besonders schnell entwickelt. Sollte dies mit den Insekten nicht ebenso der Fall sein? Es ist möglich, dass ich mich hierin tausche, aber ich glaube, dass diese Punkte doch wohl«noch einer Untersuchung und Aufklarung bediirften. Die Befürchtung liegt nahe, dass hier sonst — jedenfalls was die Farbe betrifft — einfach wieder alter Kohl aufgewarmt wird. Hei dieser Darlegung der Farbenevolution darf ich, die Möglichkeit zu erwahnen nicht unterlassen, dass ich mich in meiner Beschreibung jenes Prozesses bei der Angabe, dass dabei das schwarze Pigment in der cuticula dabei oft eine starke Zunahme erfahre, unrichtig ausgedrückt habe. In der obenerwahnten Schreierei Dr. CHR. ScilRöDERS werde ich auch auf diesen Punkt hin angegriffen. Dass ich mich geirrt habe, ist in der Tat möglich; vielleicht geschieht die Zunahme auf andre Weise, z. B. indem schwarzes Pigment enthaltende Deckschuppen eigentlichen Farbestofit" enthaltende Grundschuppen bedecken. Ich kann dies nicht untersuchen; zu einer derartigen Untersuchung braucht man eine gewisse practische Gewandtheit, die man sich in einem mehr als siebzigjahrigem Alter nicht mehr zu eigen machen kann. Ich habe mich also mit dem zufrieden gegeben, was ich in KoLBES jEinführung in die Kenntnis der Insekten" iibcr das betreffende Pigment angetroffen hatte. Ware Hcrr Dr. S. jedoch als ehrlicher Kritiker aufgetreten, so würde es ihm nicht entgangen sein, dass dieser Punkt ganz nebensachlicher Art ist. Die Hauptsache ist die Frage, ob der Prozess der I' arbenevolution von mir richtig beobachtet worden und also Wirklichkeit ist. Denn dies ist der neue biologische Gesichtspunkt, den ich angab, aus welchem sowohl auf direktem W ege, wie zur Verdeutlichung andrer Evolutionsprozesse eine Anzahl bedeutender Schlüsse gezogen werden können. Diese Frage lasst sich aber nicht einfach mit hohler Schreierei beantworten. An zweiter Stelle kommt erst die Frage, auf welche Weise eventuell dieser Prozess denn vor sich gehe, und nur insofern hat sie Bedeutung. Warum hat der Herr Doktor diesen Punkt nicht lieber einmal untersucht. Das ware nützlicher und anch würdiger gewesen als ein bisschen Schreierei. Es besitzt doch die dazu erforderliche praktische Übung; viel Intelligenz braucht man ja dazu nicht. Nur möchte ich diesem Abschnitt noch hinzufügen, dass sogar Engheinungen bei Pflanzen durch ihre auffallende L bereinstimmung mit jenen der Farbenevolution mich stark frappiert haben. In den Californischen Vortragen ') von Hugo de Vries finde ich z. B. erwahnt, dass weisse Varietaten von farbigen Blumen ausserst gewöhnlich seien, weiter, dass von Ribes sanguineum pursh. mit roten Blüten eine torm mit weissen Blüten gezogen sei, die jedoch nicht rein weiss waren, sondern noch eine rote Schattierung zeigten, und dass nun an diesen Pflanzen mit weissen Blüten jedoch bisweilen Zweige entstanden, an denen atavistisch wieder rote Blüten zum Vorschein kamen. Noch viele andere weisse Blüten von Pflanzen, die von solchen mit rot oder blau gefarbten Blüten herrühren, wiesen bei genauer Untersuchung eine gewisse Schattierung der alten Farbe oder auch wohl einige Streifen oder Flecken derselben auf, wahre Relikte also, die de Vries fiir einen Beweis dafür halt, dass die alte barbe auch immer noch latent anwesend sei. Dies alles nun geht vollkommen Erscheinungen parallel, die sehr ge- 1) *Soorten en V'arieteiten. Hoe zij ontstaan door mutatie". Voordrachten gehouden aan de Universiteit van Californie door Hugo de Vries. Uit hel l.ngJsch in het llollandsch vertaald. Haarlem tqoó. wöhnlich, namcntlich bei den fliegenden tierischen Bliiten, wie man die Schmetterlinge wohl nennt, zutage treten und da dem Prozesse der Farbenevolution zuzuschreiben sind. Bemerkenswert ist auch, was icli dort las, dass ein latentes Vermogen roten Farbstofif zu erzeugen, für fast das ganze Pflanzenreich angenommen werden miisse. Es liegt mir völlig fern, mich wegen dieser Übereinstimmung an irgendeine Hypothese darüber zu wagen; dazu besitze ich keine hinreichende botanische Kenntnis, wahrend ausserdem jede bewusste Beobachtung iiber diesen Punkt fehlt. Aber trotzdem lasst sich die Tatsache einer so interessanten Übereinstimmung nicht leugnen, und wünsche ich sie darum nicht unerwahnt zu lassen. Umsoweniger, weil derselbe Gelehrte in seinem ebengenannten Werke nachdriicklich die Auffassung verteidigt, dass der Ursprung der Farben als der einer physiologische Einheit zu betrachten sei; d. h. also dasselbe, was ich auf S. 60 von M. S. D. gegen die Streifen- und Fleckentheorie Eimers anfiihrte. Zwar ist dies noch keine Farbenevolution, aber es nahert sich einer solchen doch urn ein Betrachtliches! Es giebt deren iibrigens mehr. Wo DE Vries bei der Behandlung der Varietaten welche er die „ever sporting''' nennt, iiber solche spricht, die gestreift sind, teilt er mit, dass gestreifte Pflanzenrassen immer zwei Typen umfassten, welche beide fruchtbar seien und von denen eine jede unter ihren Nachkommen sowohl ihren eigenen Typus wie den andern erzeuge. Er schreibt dies dem Vorhandensein zweier antagonistischen Merkmale zu, die nicht zugleicherzeit in demselben Organ zur Entwicklung gelangen könnten, sodass, wenn das eine aktiv sei, das andere latent sein müsse. Die hier erwahnte Erscheinung stimmt nun ofïfenbar vollkommen mit der überein, die uns der Polymorphismus von Pap. Memnon L. erblicken lasst, dessen verschiedene 99 durcheinander immer neben der mannlichen Form alle verschiedenen weiblichen Formen erzeugen, und die dort zweifelsohne dem ungleichmassigen Verlauf der Farben- und Formenevolution zuzuschreiben ist, deren sie unterworfen sind. Ich werde auf diese Tatsache nachher, wo ich die Auffassung de Vries' iiber die Mutationen bespreche, zurückkommen. EINFLUSS DES LICHTES. Ein dritter Gegenstand, der in M. S. D. namentlich anlasslich der Thesen XI und XIII ziemlich ausführlich erörtert wurde, betrifft den Einfluss des Lichtes auf die Iarbe der Tiere. Wie ich dort ausgeführt habe, besteht auch in dieser Hinsicht eine ausserordentlich grosse Verwirrung, die durch eine ebensogrosse Oberflachlichkeit genahrt wird. Denn geradeso wie der Malaie alles, was er nicht begreift, der Wirkung von Geistern zuschreibt und das Gas z. B. Geisteröl nennt, ebensowie der altmodische Bauer den Telegraph oder das Telephon fiir Teufelserfïndungen oder Zauberei halt, so existiert auch noch in bessern Kreisen, auch unter Naturforschern, eine starke, wenn auch meistens unbewusste Neigung, alle Naturerscheinungen, die man nicht' begreift, einfach irgendeiner höhern Macht zuzuschreiben, etwa irgendeiner Naturkraft, welche jene höhere Macht darstellt. Die Ein wirkung des Lichtes auf viele Farben ist ja so deutlich wahrzunehmen, ja man weiss so bestimmt, dass, was wir als Farbe wahrnehmen, durch das Licht verursacht wird, dass die Neigung sehr nah liegt, die Bedeutung dieser Tatsachen über alles, was das Licht betrifft, auszubreiten. Mit Recht spricht auch Prof. Dr. Arnolü Jacoüi in seiner obenerwahnten Arbeit hier von einer landlaufigen Meinung; man führt seine Phantasie nach Herzenslust spazieren. Obgleich ich auch keineswegs dem Licht in dieser Hinsicht alle Bedeutung absprechen will, so steht es dennoch bei mir fest, dass diese weit geringer eingeschatzt werden muss, als jetzt üfters der Fall ist, und ebenso, dass, was hierüber behauptet und schlankweg angenommen wird, die Probe einer ernsten wissenschaftlichen Untersuchung nicht bestehen kann. Noch ganz kürzlich ') zeigte es sich, dass auch der mehr als ein halbes Jahrhundert allgcmein angenommene Einfluss des Lichtes auf das Pflanzenwachstum im Norden nichts anderes als ein Irrtum gewesen ist. An einer solch' ernstlichen Untersuchung fehlt es aber hiernoch entschieden. Auch möchte ich nicht behaupten, dass unsere Kenntniss auf diesem Gebiete in letzter Zeit wesentliche Fortschritte gemacht hat. Das Ausführlichste, was ich seitdem über diesen Gegenstand gelesen habe, ist ein Aufsatz 5) Prof. Max Standfuss', des bekannten Kenners der europaischeu Lepidopteren, der auch schon früher dasselbe behandelte. Wie grossen Wert ich nun auch im allgemeinen den Arbeiten dieses ausgezeichneten Lcpidopterologen zuerkenne, so muss ich doch erklaren, durch seine Betrachtungen nicht überzeugt worden zu sein. Es will mir scheinen, dass zwei Umstande dabei zu ungunsten des Resultats mitgewirkt haben: einmal der, dass dieser Gelehrte noch ganz und gar den Standpunkt der darwinistischen Mimicrytheorie vertritt, und ferner die Tatsache, worauf ich bereits auf S. 91 von M. S. D. hinwies, dass des Verfassers lepidopterologische Kenntnisse, wie ausgedehnt sie an sich auch sein mogen, doch zu sehr auf die palaearctische Fauna beschrankt sind. Welch' geringes und deshalb ungeniigendes Studiummaterial liefert aber doch diese Fauna, besonders was die Rhopaloceren und ihr Verhaltnis zu dem Sonnenlicht betrifft, im Vergleich mit dem, was uns die Tropenfauna in dieser Hinsicht bietet! Ich wünsche natürlich im allgemeinen nicht über alles, was dieser Gelehrte über Schutzfarben und sogar Schreckfarben, über die Bedeutung der sogenannten Schwanze der Lepidopteren und dergleichen sagt, in eine nahere Besprechung zu treten. Ich habe meine grundsatzliche Stellung zu diesen 1) Prof. Dr. Wille „ Ueber die Schübelerschen Anschauungen in betreff der Veranderungen der Pflanzen in n'órdlichen Breiten, (Biolog. Centralblatt 1 Sept. 1905). 2) „Der Einfluss der Umgebung auf die dussere Ersckeinung der Insekten" (InseUen-Biirse, 1904 No. 39, 40, 41). Fragcn genügend dcutlich dargelegt. Dasselbe gilt auch für die Temperatureinfltisse, auf die der Verfasser in demsclben Aufsatz noch ausführlich zurückkommt. Auch darüber habe ich meine Meinung schon gesagt; vollends nach den obenerwiihnten Untersuchungen Dr. FISCHERS halte ich auch dies für einen überwundenen Standpunkt. Meine Studiën über die Erscheinungen der Farbenevolution, so wie über die sogenannten Schwanze der Lepidopteren ermöglichen es mir, dies alles auf eine richtigere Weise zu erklaren. Ein einziges Wort vvill ich hier jedoch noch über die angeblichen Schutzfarben und Schreckfarben der Lepidopteren einflechten. Wenn Herr Prof. S. diesem Punkte so grossen Wert beilegt, so kann ich einem solchen Lepidopterologen, wie es dieser Gelehrte ist, gegenüber, die Frage nicht mit Stillschweigen übergehen. Wenn ich es auch nicht mehr zur Verteidigung meiner Aufïassung für nötig erachte, so will ich doch gerne mit einem Gegner dem man auf diesem Gebiet soviel Achtung zollen muss, noch einmal höflichkeitshalber die Klingen kreuzen. Ich muss es verneinen, dass die Farbe an der Unterseite der Tagfalter, die mit aufgeklappten Flügeln ruhen, als eine Schutzfarbung betrachtet werden müsse. Man verstehe mich wohl, ich leugne nicht, dass diese wohl einmal einen gewissen Schutz leisten kann, sondern nur, dass derselbe so bedeutend ware, um zu der UntersteJJung zu berechtigen, jene Farbe ware zu dem Zweck entstanden und liatte sich deswegen in der Richtung entwickelt. Da, wo ein dichter, natürlicher Pflanzenwuchs vorhanden ist, enthalt dieser, wie ich bereits oben anführte, soviele gerade, eckige oder geschweifte Linien von allerhand Form, soviele Farben und Nuancen, dass jeder dazwischen gestellte Gegenstand, besonders, jedoch nicht einmal ausschliesslich, wenn es etwas dunkel und die harbe nicht zu einförmig ist, bei obenflachlicher Betrachtung unbemerkt bleibt, solange er sich nur nicht bewegt. Aus demselben Grunde bleiben denn auch sogar grosse I iere wie Elefanten und sogar die auffallend gezeichneten Giraffen in der Wildniss, solange man ihnen wenigstens nicht zu nahe kommt, was freilich der Natur der Sache nach nicht leicht geschieht, unbemerkt. Und dies ist nicht, wie es sogar ein so guter Beobachter, wie der obenerwahnte Afrikajager SCHILLINGS unter dem Einfluss der herrschenden Auffassungen meint, durch Mimicry zu erklaren d. h. weil ihre Farbe eine sogenannte Schutzfarbe sei, sondern aus dem Verschwimmen derselben mit der Umgebung. Das ist sogar mit den Umrissen ihrer Gestalten der Fall da wo man nicht, wie in kultivierten Gegenden, so ungefahr weiss, was überhaupt angetroffen werden kann and was nicht, sondern auch Felsen, Erdhaufen, Baumstamme und Gestrüpp vielfach allerhand ungewöhnliche Formen annehmen können und der wahrgenommene Gegenstand auch dafür angesehen werden kann. So steht es auch mit einem zwischen einem derartigen Pflanzenwuchs ruhenden Schmetterling. Jedoch allein bei oberflachlicher Betrachtung. Wenn ein Schmetterlingsjager, mit seinem geübten Auge in einiger Nahe zwischen solchem Gestrauch sucht, sieht er die sitzenden Schmetterlinge ganz sicher. Tiere, deren Auge in dieser Hinsicht eine weit grössere Übung besitzten und die vielfach sogar erbliche Anlage dafür haben, müssen sie dann unzweifelhaft sehen, noch ganz davon abgesehen, dass Tiere, welche auf solche Insektcn speziell jagen, vermutlich in der Hauptsache durch ihren Geruchssinn geleitet werden. Überdies hat eine Menge von Tagfaltern auf der Unterseite eine sehr auffallige Farbung. In Europa ist dies zwar meistens nicht der Fall, wenn es auch z. B. bei einigen Argynnis-Arten deutlich zutage tritt. In der tropischen Fauna jedoch ist es u. a. bei vielen Arten von Pieriden und Danaiden, die oft in zahllosen Individuen vorkommen, und bei noch vielen andern Schmetterlingen sehr haufig. Sehr notwendig scheint dieser Schutz denn auch wohl nicht zu sein, denn die grossen, leicht sichtbaren Ornithopteren und auch einige grosse Papilios, wie z. B. Pap. Memnon L. in seinen vielen Formen, ruhen auf Blattern, indem sie die grossen, schreiend gefarbten Flügel weit geöffnet haben; dasselbe sehen wir auch bei den grossen und stark gefarbten Saturnias. Die Annahme, dass die glanzenden Farben der Oberseite vieler Tagfalter unter dem Einfiuss des hellen Lichtes, namentlich des kraftigen Sonnenscheins sich entwickelt 14 hatten, hat gewiss viel Anziehendes an sich, stützt sich jedoch nicht auf Tatsachen. Auf S. 179 von M. S. D. habe ich meine Stimme schon dagegen erhoben. Auch Prof. Dr. Arnold Jacobi bestreitet in seiner obenangeführten Schrift diese Ansicht aufs Entschiedenste. Lange nicht alle Tage des meist ziemlich kurzen Lebens der Tagfalter giebt es auch dort Sonnenschein — in den Tropen findet die hauptsachliche Entfaltung des Insektenlebens in der Regenzeit statt, die auch viele bewolkte Tage mit sich bringt. Auch an sonnigen Tagen fliegen sie überdies nur wahrend einiger Stunden, und von dieser Zeit ist der Teil, den sie honigsaugend oder mit zugeklappten Fliigeln zu ruhendem Zustand verbringen wenigstens ebensogross wie der, wahrend dessen sie ihre geöffneten Flügel dem Sonnenlicht aussetzen. Weiter ist gewiss viel langer, namlich wahrend all' der Zeit, die sie von der Sonne oder mindestens vom starken Tageslicht beschienen mit zugeklappten Flügeln stillsitzen — der Herr Prof. S. erwahnt dies selber von den europaischen Pieriden — gerade die Unterseite dem betreffenden starken Lichteinfluss ausgesetzt. Warum ist denn diese nicht so schön gefarbt, zumal wenn man annimmt, dass diese Farbung am meisten von der Beleuchtung abhangig ist, in der das Insekt im Zustande der Ruhe ist? Die Brassoliden, die keineswegs das starke Licht suchen, weisen ja auch wohl an der Oberseite schone Farben auf und bei verschiedenen Heteroceren tragt die in der Ruhelage ganz bedeckte Oberseite der Hinterflügel ebenfalls hübsche Farben. Man findet sie so gleichfalls bei dem europaischen Smerinthus ocellata L. und bei den Catocalas, mehr noch bei tropischen Schmetterlingen, wie die Ophideres- und Phyllodes-Arten. Dann wird eine solche Farbe einfach als Schreckfarbe erklart, ohne dass dafür jedoch irgendein Grund vorhanden ware. So wird von Smerinthus ocellata L. erzahlt, dass er, wenn ein Feind nahe, plötzlich die Flügel öffne und denselben dann, indem er plötzlich die Augenflecken auf seinen Unterflügeln erscheinen lasse, abschrecke. Wenn aber jener Schmetterling sich in der Ruhelage befindet, sind die Flecken bedeckt; wenn er fliegt, tut er dies wie alle Sphingiden so schnell, dass er keine Feinde zu fürchten hat, und wenn er die Fliigel öfifnet um zu fliegen, bringt er diese erst — so ist es die Gewohnheit aller Sphingiden — in eine stark zitternde Bewegung, die, wenn wirklich von einem Erschrecken die Rede ware, dazu geeigneter ware, als das Hervortretenlassen der Augenflecken, und letztere sogar unsichtbar macht. Jene Augenflecken werden überdies kein Tier, das in dem Schmetterling einmal seine Beute erblickt hat, vom Angrifïf zurückschrecken, ebensowenig wie die Bander auf den Hinterflügeln der Catocalas. „Wenn diese Ordensbander plötzlich vor dem Auge der Menschen auftreten", sagt Herr Prof. S., „wirken sie verwirrend, verbluffend, Energie „lahmend, und ist damit dem bedrohten Wesen die Möglich„keit des Entweichens geboten. Mancher Knabe, der im Be,griffe stand, sein erstes Ordensband zu fangen, wird die „Wahrheit dieser Tatsache an sich erfahren haben". Hier sieht man so recht, wie die Suggestion solcher a prioristischer Ideen sogar sehr tüchtige Beobachter auf Irrwege führen kann. Dasselbe ist auch wohl der Fall bei verschiedenen von Prof. S. erst vor kurzem veröffentlichten Wahrnehmungen '), die meines Erachtens eine so starke sanguinische Auto-Suggestion auf diesem Gebiete offenbaren, das ich darauf nicht naher einzugehen wünsche. Auch ich habe als Knabe diese Erfahrung gemacht, aber ich weiss noch sehr wohl, dass es nicht die Farbe des Schmetterlings war, was mich damals in Verwirrung versetzte. Man gewöhnt sich als angehender Sammler bald daran, dass Heteroceren, die man tagsüber an Baume oder Zaune ruhend findet, so betaubt sind, dass sie sich ganz leicht mit einer Nadel feststecken lassen und sogar, wenn dies geschehen ist, nur wenig Bewegung machen. Wenn man nun fürs erste Mal so einen grossen Nachtfalter auf diese Weise in Ruhe findet, macht man sich voll Begierde daran, auch diesen so zu spiessen, aber — noch bevor man es so weit gebracht hat, fliegt, sobald man sich ihm all' zu sehr nahert, der grosse Falter plötzlich und meist ganz nah am Gesichte vorbei fort. Denn so ist die von jener i) Mitteilungen der Schweizerischen entomologischen Gesellsehaft. Band XI. Heft 4. Naeh einem Bericht in der Insektcn-Biirse, je Aug. iqoó. \ der meisten Nachtfalter sehr abweichende Gewohnheit der scheuen Ordensbander. Dieses Unerwartete ist es nun, was einen Augenblick in Verwirrung versetzt. Viele Heteroceren, die das Tageslicht nicht suchen oder es sogar fliehen, besitzen dessen ungeachtet hübsche Farben. Nicht selten sind solche Arten, die eine rote, grüne, gelbe oder verschiedene Farben aufweisen. Von den grossen Saturnias an findet man sie in allerlei Familien; unter den Geometriden und namentlich unter den Micropteren, auch insofern diese echte Nachttiere sind, werden sie vielfach angetrofïfen. Bei einigen Schmetterlingsarten zeigt die Unterseite eine selbstandige Farbenentwicklung, bei andern trifft man dort dieselbe an wie an der Oberseite; im letztern Fall ist jedoch die Farbe der Unterseite meistens etwas matter. Dass aber der Einfluss des Lichtes hierbei eine Rolle spiele, hat sich mir niemals gezeigt. Uie Kenntnis der Farbenevolution lehrt uns, dass die Farbendifferenz der Arten, Rassen und Sexen sich evolutionell unter vollkommen denselben Lichteinfliissen entwickelt, ich kann also jenen Einfluss, besonders was die pigmentalen Farben betrifft, hier nicht annehmen. Sollte man etwa meinen, dass bei sovielen Rhopaloceren, bei denen, wie bei unserm Antocharis cardaminis L., die beiden Sexen einen erheblichen Unterschied in Farbe aufweisen, die Farben sich auch unter verschiedenen Lichteinfliissen entwickelt hatten? Man meint an dieser Schlussfolgerung vorbeizukommen, indem man für dergleichen Falie annimmt, dass dabei andere, noch bedeutendere, sexuelle Einflüsse mitgewirkt hatten, was jedoch ebensowenig wahr ist, und so dient eine Irrlehre hier auch wieder dazu, die andere zu erganzen. Von allen Tatsachen, die Prof. Dr. S. erörtert hat, bleibt eine jedoch in der Tat auf jeden Fall höchst interessant; er ist darüber denn auch sehr ausführlich. Es ist diese, dass die im Zustande der vollkommenen Ruhe dem Lichte ausgesetzten Teile des Körpers und der Flügel vieler Insekten gleichartige Farbung besitzen. Viele Beispiele haben dies bestatigt und es ist nicht zu leugnen, dass dies in der Tat den Eindruck macht, als ob das Licht der Faktor ware, dersolches bewirke. Es fragt sich aber doch noch, ob dies wohl etwas mehr ist, als ein Eindruck. Der Hcrr Prof. ist denn auch ehrlich genug, hierbei nur von einer Hypothese zu sprechen. Ich finde das sogar noch etwas zuviel gesagt, denn eine wissenschaftliche Hypothese muss sich, wie ich schon wiederholt betont habe, auch auf Tatsachen stützen und diese fehlen hier ganz. Ich kann es also vorlaufig nur für eine Mutmassung, eine Idee halten. Die bekannte Arbeit Dr. I. Th. Oudemans' über diese Frage, die ich auf S. 175 von M. S. D. noch nicht benutzen zu können bedauerte, ist seitdem im Jahre 1903 erschienen '). Man findet in derselben viele sehr gelungene photographische Abbildungen von Schmetterlingen, bei denen sich diese Erscheinung wahrnehmen lasst, aber über deren Art bringt er uns um keines Haares Breite weiter. Wohl spricht er sich viel entschiedener als obengenannter Gelehrter aus und behauptet er mehrere Tatsachen zum Beweise dafür angeführt zu haben, dass eine nahe Beziehung zwischen dem Einfluss des Lichtes und der Kleidung — wie er sich ausdrückt — der sichtbaren Teile des Körpers bestehe und dass ihm noch keine einzige Tatsache in Widerspruch damit begegnet sei. Das ist alles aber nur leerer Redeschwall. Die angeblichen Tatsachen sind nichts als blosse Mutmassungen und das an letzter Stelle Gesagte lasst sich nur durch ungenügende Belesenheit erklaren. Auch die Arbeit Brunner von Wattenwyls 2) kennt die Tatsache, weiss sie jedoch nicht zu erklaren. Bemerkenswert ist dabei nur ein Unterschied in der Wahrnehmung zwischen diesem Naturforscher und Prof. Dr. S. über die Mantide Odomantis javana Sauss., der wohl darauf hin zu deuten scheint, dass nicht bei allen Exemplaren dieser Art in dieser Hinsicht dasselbe stattfindet, eine Tatsache, die vielleicht spater, wenn man sich der richtigen Deutung dieser Erscheinung mehr genahert hat, von Nutzen sein kann. Es giebt noch eine Menge von Tatsachen, durch welche die obige Mutmassung, wie viel Anziehendes sie, wie ich schon 1) „Etudes sur la position de repos chez les Lepidopteres". (Verhandelingen der Ned. Kon. Acad. van Wetenschappen te Amsterdam, u Sectie, deel a', No. i). 2) „Betrachtungen Uier die Farbenpracht der Imetten". Leipzig iSqj. sagte, auch habcn moge, sehr ins Gedrange kommt. An erster Stelle die bereits in M. S. D. gemachte Bemerkung, dass, wenn auch gewiss viele Tiere, die in der Dunkelheit leben, farblos sind, andrerseits einige in tiefer Finsternis sich aufhaltende Tiefseetiere, hübsche Farben tragen. Man findet deren, die rot oder rosefarbig sind, die einen goldnen, silbernen oder purpurnen Wiederschein zeigen, oder auch, die silbervveiss sind. Auch lebt in einer Meerestiefe von mehr als 200 Metern eine Alge Halosphaera viridis Schm., die grün ist und worin sich also Chlorophyl entwickelt. Einige nun wollen dies so erklaren, dass in grossen Tiefen viele Pflanzen und Tiere sehr stark phosphorescieren. Doch ist es sehr fraglich, ob eine solche Lichtstarke hier wohl in Betracht kommt, und im übrigen ist es auch eine Tatsache, dass wahrend einerseits viele im Holz oder in Pflanzen lebenden Raupen sehr matt gefarbt sind, es doch andrerseits wieder deren giebt, welche eine helle Farbe besitzen, wie unter anderm die bekannte Raupe von Cossus cossus L. Auch oben wies ich bereits auf das Vorhandensein von Rot bei Tieren der Finsternis hin, und bekannt ist ebenfalls, dass stark gefarbte Stofïfe, wie das Schlagaderblut ohne irgendwelchen Einfluss des Lichts bloss auf chemischem Wege gebildet werden. Hinzu kommt noch, dass zwar bei mehreren Tieren Pigmentbildung als Schutz gegen zu starken Einfluss des Lichtes stattzufinden scheint, jedoch aus bereits vor mehreren Jahren von von taussek ') sowie von G. steinman2) gemachten Experimenten hervorgehen soll, dass die Entstehung und die Verbreitung des Pigments bei Ostrea, Mytilus und andern zweiklappige Schaltieren nicht von dem Einfluss der Beleuchtung, sondern von der Zufuhr sauerstofifhaltigen Wassers abhangig sei. Weiter ist es eine wissenschaftlich belegte Tatsache, dass das Chlorophyl der Pflanzen allerdings 0 i,Ueber die Ablagerung des Pigments bei Mytilus'''' (Zeitsehriftfür Wiss. Zool. iSqq S. 65-, 122). 2) „ Uber die Bildungsweise des dunteln Pigments bei den Mollusken nebst Bemerkungen iiber die Entstehung von A'alkkarbonat". (Berichte der naturforse/lenden Gesellschaft zu Preiburg i. Br, meistens unter dem Einfluss des Lichtes entsteht, jedoch nicht immer, da dieses sich bei allen Nadelhölzern in der Pflanzenzelle ohne solchen Einfluss bildet. Prof. Dr. J. Vosselers stellt sich in seiner oben bereits erwahnten Schrift über die Orthopteren von Tunesien ') als einen überzeugten Anhanger der Lehre vor, dass die allgemeine Wüstenfarbe dieser Tiere, die nach ihm eine Schutzanpassung ist, unter dem Einflüsse des Lichtes entstehe, und versucht dies denn auch zu erklaren. Er meint namlich, „dass die wahrscheinlich im Blute enthaltenen Farbstoffe nach der letzten Hautung unter dem Einflüsse der von der Umgebung reflektierten Lichtstrahlen genau die gleiche Farbennuance zu bilden vermogen, wie sie eben diese Umgebung selbst besitzt. Damit mag im Zusammenhang stehen, dass diese Hautungen stets in den Morgenstunden erfolgen, wo die chemisch wirksamsten Strahlen vorherrschen". Hier handelt es sich also wenigstens nicht mehr um eine blosse Vermutung oder darwinistische, grosse Worte, sondern um einen ernsthaften Versuch wissenschaftlicher Erklarung. Aber dieselbe Erscheinung tritt nicht nur bei diesen Insekten zutage. Nicht ohne Grund, wenn man auch nicht mit ihm seine Zuflucht zur Selektion zu nehmen braucht, scheint die von Prof. Dr. Plate auf S. 214 seiner oben besprochenen Arbeit gemachte Bemerkung zu sein dass man nicht annehmen könne, dass z. B. die Lichtfülle und der Sandboden der Wüste auf Organismen der verschiedenartigsten Constitution (Löwen, Vögel, Eidechsen, Heuschrecken) in der gleichen Weise eingewirkt und ihnen dieselbe schützende Farbung verliehen habe. Auch wird vosselers' Ansicht sehr erschüttert durch das, was es weiterhin von den betrefifenden Orthopteren anführt, dass namlich „auch die Körperform und selbst die Hautstruktur sich der Umgebung anpasst, und letztere bald den rauhen, bald den feinkörnigen Sand nachahmt". Schon auf S. 180 von M. S. D. bemerkte ich im Zusammenhang mit den Astraupen, dass dort, wo auch der Körperbau eine solche Veranderung ganz in dem- l) Insekten-Bórse iqoj, No. jj. selben Sinne wie die Farbe erfahrt, diese beiden sich schwerlich verschiedenen Ursachen zuschreiben lassen, und dass, in Anbetracht davon, dass die Formandrung doch wohl nicht dem Einflusse des Lichtes zugeschrieben werden kann, deswegen auch die Lichtstrahlentheorie hinsichtlich der Farbe ausserst zweifelhaft wird. Nun ist kürzlich ein Artikel Ernest Ingersolls ') erschienen, der mir sehr beachtenswert zu sein scheint, und in dem dieser Forscher darauf hinweist, dass sehr bedeutende Veranderungen in der Form und auch wohl eine eigentümliche Farbe bei den Wüstenpflanzen die Folge dessen sind, dass diese Pflanzen sich allerhand Wüstenzustanden anpassen. In der Tat können ohne das Licht auch zweifelsohne andere atmospharische Einflüsse, wie besondere Dürre und Mangel an Sauerstoff in der Luft, da, wo aller Pflanzenvvuchs fehlt, hierbei eine Rolle spielen. Woraus sich dann folgern liesse, dass die gemeinschaftliche Farbe der Wüstenpflanzen und Wiistentiere durchaus nicht durch das Licht hervorgerufen zu sein braucht. Nun scheint aber oben besprochene Uniformitat in der Farbe verschiedener in der Ruhe sichtbarer Körperteile bei vielen Schmetterlingen wohl derselben Art zu sein wie die obenerwahnte Ahnlichkeit in Farbe bei allerhand Wüstentieren. Wenn diese nun nicht dem Lichte zugeschrieben werden muss, sollte dann solches bei den von oudemans photographierten Schmetterlingen wohl der Fall sein? Gewiss geben diese Tatsachen noch nicht das Recht, dem Einflusse des Lichtes soviel Wert beizulegen, wie man dies vielfach tut, und darf man diese Vermutung also wohl nur auf die bescheidene Weise Prof. Dr. standfuss' aussprechen. Man entfernt sich jedoch von der Objectivitat, die das Kennzeichen wirklicher Wissenschaftlichkeit ist, wenn man diesen Einfluss vor der Hand als etwas hinstellt, das, wenn auch nicht absolut, doch so gut wie sicher feststeht. Im letztern Falie würde eben die den Darwinismus so kennzeichnende Oberflachlichkeit zutage tretcn. Wahrlich, es würde noch 0 life in the desert" (Jlarpers Monthly Magazine, Miirz igojJ. eine Menge ernster Arbeit erfordern, bevor man sich zu einem solchen Ausspruch berechtigt erachten könnte. Ich werde zur nahern Erklarung noch einmal die verschiedenen Punkte folgen lassen, die meiner Meinung nach noch ernsthaft studiert werden miissen, bevor man dazu imstande ware, über diese Frage ein sich auf genaueste Untersuchungen stützendes und also wissenschaftlich begriindetes Urteil auszusprechen. Man wird daraus ersehen können, in wie geringem Masse obenerwahnte Abhandlung diese wissenschaftliche Frage noch gelost hat. 1. Findet sich die betreffende uniforme Farbung namentlich bei solchen Tieren, bei denen die Körpcroberflache, worauf sie sich zeigt, in der Ruhelage einem bedeutenden Lichteinflusse ausgesetzt ist, oder auch bei solchen, die sich in der Ruhelage stets an wenig beleuchteten Orten aufhalten? Es ist doch eine Tatsache, dass jene Uniformitat auch an der Unterseite vieler Rhopaloceren, die sich in der Ruhe mit aufgeklappten Flügeln meistens an nur mattbeleuchteten Orten aufhalten, zwischen der Farbe in der Nahe der Flügelspitze der Vorderflügel — insofern diese nicht vor den Hinterflügeln bedeckt werden — und der Farbe der Hinterflügel vorhanden ist. 2. Wird jene uniforme Farbung durch die Bildung ein und desselben Pigments zuwege gebracht oder ist sie eine Strukturfarbe ? Bevor hier von einer ernsten Untersuchung die Rede sein kann, muss man wissen ob man mit pigmentalen oder mit Strukturfarben zu tun hat, deren beider Wesen ganz verschicden ist; so kann z. B. allein was erstere betrifft von chemischen Einflüssen die Rede sein. Und doch ist in obengenannten Untersuchungen darauf gar nicht geachtet. 3- Falls eine solche uniforme Farbung pigmentaler Art besteht, in welcher Hinsicht unterscheidet sie sich denn von der, die dem normalen Verlauf der Farbenevolution entspricht? Dies kann doch nicht ausser acht gelassen werden; ohne dass man das Normale kennt, lasst sich das Abnorme nicht beurteilen. Wo also die erforderliche Kenntnis der Farbenevolution fehlt, lasst sich eine Frage betreffs der Veranderung pigmentaler Farben in einer den jetzigen Forderungen der Wissenschaft entsprechenden Weise nicht wohl studieren. 4- Wie ist bei solchen Schmetterlingen, wo sich diese Erscheinung zeigt, das Verhaltnis zwischen der Farbe der Oberund der Unterseite? Ist sic auf beide Flügelseiten dieselbe? Wenn nicht, ist sie auf beiden Flügeln pigmentaler oder strukturaler Art? Besteht auch in diesen Fall etwa ein Zusammenhang zwischen der Farbe der beiden Seiten? 5. Wenn eine Anderung des normalen Verlaufs der Farbenevolution stattgefunden hat, ist diese denn entstanden durch direkten Einfluss oder infolge indirekter Einwirkung irgend eines Reizes! Ich halte letzteres allein für möglich. 6. Was ist schon bekannt über die Einwirkung des Lichtes auf andere erwachsene Tiere als Schmetterlinge und was könnte davon in Hinsicht auf jene Insekten in Betracht zu ziehen sein ? Man beachte hierbei meine unten zu erwahnende Vermutung über den Ursprung der Strukturfarben. 7- Inwiefern kann das, was bei vollkommenen Insekten über Farbenveranderungen bekannt ist, die durch Einflusse hervorgerufen wurden, die auf diese Tiere in dem larvalen oder nymphalen Zustand einwirkten, zur Aufklarung dieses Punktes dienen? 8. Durch welche Kategorie von Lichtstrahlen werden die Farbenveranderungen in den beiden letzten Fallen herbeigefiihrt, durch eigentliche Licht-, durch Warme- oder durch chemische Strahlen? Ist ihre Wirkung da also eine chemische oder nicht? Dies ist ja von Interesse, weil der Prozess der Farbenevolution bei den Schmetterlingen, wenigstens teilweise, auf chemischer Weise vor sich geht. Und keineswegs würde es mich wundern, wenn ein ernstes Studium sogar ans Licht brachte, dass sich in dieser Hinsicht noch mehr Fragen stellen lassen, die mir jetzt entgehen. In nichts tritt wohl das Oberflachliche und Unwissenschaftliche der jetzt auf diesem Gebiet ausgesprochenen Meinungen deutlicher zutage, als in der vollkommenen Vernachlassigung des Unterschiedes zwischen pigmentalen und strukturalen Farben, sowie den verschiedenen Arten von Lichtstralen, die dabei ohne Ausnahme zu beobachten ist. Höchstens noch in der ebenso allgemeinen Besprechung dieses Gegenstandes, ohne dass man mit dem, was darüber schon angeführt ist, bekannt ist und wobei man sich also als nicht auf der Höhe der Wissenschaft stehend erweist. Auf S. 194 von M. S. D. glaubte ich die Tatsache der Durchsichtigkeit des Fisches Achirus pellucidus F. Benn. und vieler anderer im Meere lebenden kleinen Glas- oder Krystalltiere als eine besondere Lichtwirkung erkennen zu müssen, deren Entstehen zu erklaren ich jedoch nicht imstande war. Ich glaube aber jetzt besser dazu imstande zu sein. Man findet dergleichen Tiere sowohl in der Hochsee und besonders in deren obersten Schichten lebend, aber doch auch in weniger tiefem Wasser, wie an den hollandischen Küsten und sogar, wie den von Weismann erwahnten kleinen Krebs Leptodora hyalina Lilljeborg. in süssem Wasser; alle sind jedoch ausschliesslich Wassertiere. Wenn man sich nun denkt, wie heil nicht nur die eigentlichen Sonnenstrahlen, sondern sogar bei einigermassen bewölktem Himmel das Tageslicht auf das Wasser scheinen kann, und wie oft dies der Fall ist, so wird es deutlich, dass diese Tiere also mannigfach einer überaus starken Beleuchtung ausgesetzt sind. Seit den obenerörterten Experimenten Dr. E. Fischers steht es nun fest, dass in demselben Masse heftige Kalte, wie grosse Hitze als indirekter Reiz auf den Organismus einwirkend, dieselben Farbenerscheinungen — seine D.Formen — hervorrufen können. So dürfte man auch wohl die Vermutung aussprechen, dass das erwahnte helle Licht hinsichtlich der Farbe dieser Tiere dieselben Folgen hatte bewirken können, wie die dichte unterirdische Finsternis für die Farbe anderer, und also auch bei jenen und zwar in noch starkerm Grade zu dem Verschwinden des Pigments mitgewirkt hatte. Nicht nur das Schwinden des Pigments scheint jedoch so die starke Beleuchtung herbeiführen zu können, sondern sie scheint auch als ein Reiz wirken zu können, der Vorrichtungen zur Verteidigung dagegen ins Leben ruft. Giebt es doch auch viele Tiere, die, obgleich sie gleichfalls an der Oberflache von Wasserflachen leben, dennoch nicht durchsic'ntig geworden sind, sondern an ihrer Oberseite stark reflektierende Strukturfarben aufweisen. Nun dürfte es gewiss höchst wahrscheinlich sein, dass alsdann bei solchen Tieren, deren Organisation dies ermöglichte, diese Strukturfarben als Reflexschutz gegen das helle Licht entstanden waren. Auf dieselbe Weise hat sich ja das Vermogen zur Reflektion der Sonnenstrahlen als ein Verteidigungsmittel in den Blattern vieler Gewachse, besonders in den Tropen, entwickelt und diese hellglanzend gemacht. So liesse sich denn auch, wenn es sich wenigstens nicht um ein Pigment handelt, die zwar öfters festgestellte, aber noch nie genügend erklarte Tatsache verstellen, dass die weisse Farbe, die bei Landvögeln wenigstens als allgemeine Tarbe sehr selten ist, bei VVasservögeln haufig vorkommt, namentlich was ihre dem Wasser zugekehrte Unterseite betrifft. So fasst auch Dr. R. Fack die Bedeutung der metallischen Glanzfarben bei vielen Coleopteren auf1). Auch bei den auf S. 176 und 187 von M. S. D. erörterten Experimenten, die poulton mit Rhopalocerenpuppen vornahm, rief der Umstand, dass diese einem hellen Lichte ausgesetzt wurden, Metallglanze und also Strukturfarben zum Vorschein. Auch dort wies ich schon darauf hin, dass hier nur von einer indirekten Einwirkung die Rede sein könne. Sollte diese Erklarung sich nun als richtig erweisen, so würde man dadurch vermutlich auf den richtigen Weg gelangen, das Wesen und Entstehen der Strukturfarben besser zu erkennen. Sie spielen ja auch im Tierreich eine bedeutende Rolle und sind auch da die Ursache vieler Mimicryromantik gewesen; ihr Wesen ist jedoch, meines Wissens, noch unaufgeklart geblieben. So ware auch die Möglichkeit naher gerückt, dass auf diese Weise die Annahme, zwischen dem Licht und einigen Farbenerscheinungen im Tierreich bestande in der Tat Zusammenhang, sich als wahr erwiese, wenn dies denn auch in beschranktem Sinne und nicht als eine direkte, sondern als eine indirekte Wirkung aufgefasst werden müsste. Man verhehle sich dabei jedoch nicht, dass auf dem genannten Wege dann nur noch der erste Schritt 1) IVien. Ent. Zeitung XXV, Nach eineni Bericht in der Insekten-Borse 1906 No. 16. getan ware, denn alle Strukturfarben sind noch keine Glanzfarben, für welche allein obengesagtes gelten würde. Auch dürfte man nicht vergessen, dass auf diese Weise nur erreicht ware, dass die diesbezügliche Vermutung eine wissenschaft liche Bedeutung erlangt hatte und alles, was früher darüber bekannt war, noch durchaus nicht dazu berechtigte, ein derartiges wissenschaftliches Ergebnis auch nur als wahrscheinlich anzunehmen. Denn seit der Vorherrschaft der darwinistischen Betrachtungsweise wird dies in der biologischen Wissenschaft nur allzusehr aus den Augen verloren und ist man zu sehr geneigt, blossen Vermutungen einen Wert beizulegen, den sie bei weitem nicht beanspruchen können, und dieselben mit in der Tat belegten Tatsachen zu verquickcn. DAS GEBIET DER BOTANIK. Zögernd nur habe ich mich auf dieses Gebiet begeben, um die Richtigkeit der immer noch von vielen verteidigten Auffassung zu bestreiten, dass die Farben der Blumen im Interesse ihrcr Befruchtung durch Insekten und also zu dem Zweck, dieselben anzulocken, entstanden waren. Ich habe erst jetzt aus einem Artikel ') des französischen Akademikers Gaston Bonnier erfahren, dass auch dieser Gelehrte darüber dieselbe Auffassung verteidigt hat. Inbetreff des Streites, den Plateau und Forel über die Frage führen, ob die Bienen zu einem Besuch der Blumen durch den Geruch oder durch das Gesicht angelockt wiirden, welchen Streit ich auf S. 332 und 426 von M. S. D. erwahnte, lassen sich noch die Untersuchungen von E. Andreae anführen 2), die wohl die Tatsache, dass viele Insekten sich nach dem Geruch richten, jedoch, was die Honigbiene betrifft, mehr Forels diesbezügliche Ansicht bestatigen. Dahingegen könnten die spatern Untersuchungen Plateaus3) wieder zur Bestatigung seiner Betrachtungsweise dienen. Am wahrscheinlichsten scheint mir noch immer, was diese Frage betrifft, die von mir auf S. 353 von M. S. D. ausgesprochene Meinung zu sein, dass Bienen, wenn sie einmal gelernt haben, dass einige Farben auf Honig schliessen lassen, sich danach rich- 0 »Entre abeilles et fleurs" (La Revue, /y Dec. 1905). 2) „Inwiefern werden Insekten durch Farben und Duft der Blumen ongelogen-' (Beihefte zum Botanischen Centralblatt, igoj. (Bd. XV Heft 1/1J. 3) z- B. „Note zur l'etnploi d'une glacé étamée dans l'étude des rapports ent re les insectcs et les fleurs". (Bulletin de PAcad. roy. de Belg.que No. 8 i9oS), l"d: t,Lc Macroglosse" (Mémoires de la Société entomologique de Belgique ten, jedoch auch, wenn dies nicht der Fall ist, den Honig wohl auf den Geruch hin zu finden wissen. Obgleich in einigen untergeordneten Punkten von meinem diesbetreffenden Ausspruch abweichend, muss auch Detto in der mir unbekannten Zeitschrift Flora, ungefahr zu demselbcn Schlusse gekommen sein. Dies darf ich wohl aus einem Bericht über diesem Aufsatz in der Insekten-Börse') herauslesen. Sowohl das Gesicht, wie der Duft führen, wie er sagt, die Bienen nach dem Honig, aber vor allem ihre Erfahrung. Das letzte Wort in dieser Frage scheint mir wohl in dem ausgezeichneten Artikel2) des ebengenannten französischen Gelehrten Gaston Bonnier gesprochen zu sein, der die betreffende Theorie über die Farben der Blumen vüllig auf den Sand setzt. Die darwinistische Auffassung, dass sich die Farben der Blumen durch den grossen durch ihnen gewahrten Vorteil, d. h. mit dem Zweck Insekten heranzulocken, entwickelt hatten, wird von diesen Wahrnehmungen keineswegs gestützt, wenn auch die Möglichkeit bleibt, dass, wo auffallend gefarbte Blumen nun einmal da sind, sie vielleicht einen lebhafteren Besuch heranziehen werden. Die Tatsache, dass Pflanzen, die nicht von Insekten befruchtet werden, und denen ein derartiger Besuch also nicht den erwünschten Nutzen gewahren kann, dennoch einen lebhaften Zuspruch haben und sehr auffallend gefarbt sein können, fand ich weiter noch bestatigt durch den gevvöhnlichen Löwenzahn und mehrere andere Arten desselben Genus (7araxacuum juss.). Interessant ist in dieser Hinsicht was Prof. Dr. Hugo de Vries über die Oenothera biennis de Vries mitteilt, deren Stempel in unmittelbarer Berührung mit den Staubfaden sind, sodass, da die Staubbeutel meistens morgens aufspringen, die Bestaubung schon erfolgt ist, bevor sich die Knospe öffnet, was erst gegen Abend geschieht und so die hellgelbe Blumenkrone sich entfaltet, worauf die Abendfalter heranfliegen. 1) „ Wie die Insekten von den Blumen angelockt werden". (Insekten-Börse /goj No. 40 S. ibo). 2) „Les Effets du collectivisme chez les abeilles". (La Revue^ 15 janvier 1906). Übrigens möchte ich noch bemerken, dass eine derartige Bildung in Gestalt oder in Tarbe oder in beidem, wie sie nach der darwinistischen Theorie sein sollte, sich nicht ohne weiteres mit dem Schlagwort Anpassung erkliiren und als solche sich z. B. mit den Einrichtungen der insektivoren Gewachse vergleichen lasst. Auch diese scheinen doch Pflanzen zu sein, die in dieser Hinsicht wohl noch ein naheres Studium erfordern. Es fiel mir namlich ein Aufsatz vlrglle Brandicourts ') in die Hande, in dem ich fand, dass mehrere I flanzen, wie Physianthus ulbeus Mart. und Cfiicus discolor Muhl., beide in Amerika, Iusekten fangen und töten, obgleich sie keine insektivoren Pflanzen sind, und also ohne dass sie Nutzen davon hatten. Nützlichkeitshalber kann also diese Eigenschaft sich bei ihnen nicht entwickelt haben. Wie dem auch sei, nur von einer solchen Anpassung würde hier die Rede sein können, die als Reaktion auf den durch den Besuch von Insekten hervorgerufenen Reiz gefasst werden muss. Eine solche Reaktion nun beruht gewiss auch nach meiner Meinung, wie ich dieselbe in meinem Abschnitt über die Variabilitat naher entwickeln werde, auf einem psychischen Faktor. Nimmt man jedoch mit Prof. Dr. Reinke an, dass der Honig ein Produkt ist, das absichtlich in Finalbeziehung zur t ortpflanzung der Pfianze durch finale Verknüpfung der Planzenwelt und der Insekten abgeschieden wird, und will man die Farben der Blumen und teilweise auch ihre besonderen Formen in dieser Weise auffassen, so würde dabei nicht mehr bloss von einer derartigen psychischen Reaktion die Rede sein, sondern eine selbstandige intellektuelle Wirkung vorausgesetzt werden, die nicht als Reaktion auftritt, sondern selber die Initiative ergreift und einen derartigen Reiz herauszufordern versteht. Dabei ware dieselbe durch eine solche Überlegung gekennzeichnet, wie sie, auch für den im übrigen auf vitalistischem Standpunkt Stehenden allein annehmbar ist, wenn man — wie dies allerdings mit dem ebenerwahnten Gelehrte der Fall ist — das psychische Element supranaturalistisch auffasst. Zuvörderst sollte dann wohl i) „ Quclques plant es curicuses". (Cosmos, 21 Mars 1903J. dargelegt werden miissen, dass die Nektarien in der Tat ursprünglich zu dem von reinke angedeuteten Zweck entstanden waren. Bis jetzt liegt aber, wenn auch die Möglichkeit gewiss vorhanden bleibt, dass sie durch den fortwahrenden Insektenbesuch sich kraftiger entwickelt haben, durchaus kein Grund vor, dies anzunehmen. Nur die Annahme einer Anpassung, als psychische Reaktion aufgefasst, ware hier dann wohl am Platze. Und gewiss brauchte man sich dann noch nicht mit Prof. Dr. Plate einverstanden zu erklaren, der auf dem Berner Congress sagte: „Wer als Gegner des Vitalismus überzeugt ist, dass die Organismen nicht die Fahigkeit zu direkter Anpassung besitzen, sondern dass sie unter bestimmten aussern Bedingungen nur in einer bestimmten Weise reagieren können, für den giebt es nur eine Möglichkeit der Erklarung komplizierter Anpassungen: die Selektion". Wohl aber würde sich auch gegen diese psychische Anpassung dasselbe Bedenken erheben, das neben vielen andern gegen die Anpassung gemass der Selektionstheorie besteht, das namlich, welches sich aus den zahlreichen obenerwahnten Tatsachen ergiebt, die den iiberwiegenden Nutzen für die Pflanzen, sich derart zu andern, sehr in Frage stellen. Wahrend überdies die Parallelerscheinungen im Tierreiche, wo allerhand Verschönerung nur wahrend der Parungszeit erscheint, ohne dass deren Nutzen genügend erklart werden kann, mit den gleichfalls nur in der Blütezeit vorkommenden Farben und Formen der Blumen dermassen übereinstimmen, dass es demnach ebensowenig notwendig erscheint die Tatsache der Schönheit vieler Blumen einem Nützlichkeitsprinzip zuzuschreiben. Unter diesen Umstanden glaube ich also nicht, dass die darwinistische Theorie bezüglich der Blumen als auf genügende Gründe gestützt erachtet werden kann, um ilir wissenschaftlichen Wert zuzuerkennen. Dem schliesst sich auch noch das, was f. W. hutton ') aus Neu-Seeland mitteilt, an. Er bestreitet namlich die darwinistische Auffassung, dass rote Blumen durch Naturselektion entstanden, weil l) Nature (Juli iQojJ. '5 diese stark in die Augen fallende Farbe einen grössern Besuch von Bienen anziehe, und dies Bestatigung finde in dem Umstand, dass rote und blaue Blumen auf Neu-Seeland wcnig, und Bienen dort gar nicht vorkommen. Denn, sagt er, es leben dort wohl ganz gewiss einheimische Bienenarten, die immer zusammengesetzte Blumen besuchen; wahrend dahingegen auf den Campbell- und Auckland-Inseln bei NeuSeeland weder Bienen noch Blumen besuchende Nachtfalter leben und gerade dort allein die sehr auffallend gefarbte rote Blume von Pleurophyllum speciosum Hook. f. vorkommt, und die Celmisia vernicosa Hook. f. sowie C. Chapmanni F. Kirk. wachsen, die rote Blumenkronen besitzen. Weiter finde ich die Nachricht '), dass auch experimentelle Untersuchungen des Pariser Professors P. P. Richter bewiesen hatten, dass Darwin der Theorie von der kreuzweisen Befruchtung der Blüten durch Insekten mindestens einen übertriebenen Wert beigelegt habe, dass es ja tatsachlich Blüten gabe, die einer kreuzweisen Befruchtung bedürften, aber andrerseits auch genug solche, die ebensogut Frucht triigen, wenn sie durch ihren eigenen Pollen befruchtet würden. Auf diesem mir fremden Gebiet habe ich jedoch seit kurzem einen bedeutenden Sieg zu verzeichnen. Auf S. 325 von M. S. D. erwahnte ich einige Falie angeblicher Symbiose zwischen Pflanzen und Ameisen, wobei erstere Knollen mit grossen Löchern zum Wohmort oder auch sogenannte Ameisen brötchen zur Ernahrung der letztern bilden sollen, und zwar das absichtlich oder wenigstens aus einer gegenseitigen niitzlichkeitshalber zustande gekommenen Anpassung heraus, zu dem Zweck auf diese Weise die Ameisen heranzulocken, die dann als Gegendienst die Pflanzen gegen andere blattraubende Ameisenarten beschützten. Schon ein Dutzend Jahren früher hatte ich mich zu Batavia dieser Aufifassung widersetzt2), und so gab ich auch jetzt als meine Meinung zu erkennen, dass hier wohl wieder nichts andres als eine 1) Insckteti-Bórsc igoó No. g. 2) Sitzungsbericht der Kon. Nat. Verecniging in Ned. Indië; 12 November 1S91. CVerhandlungen dieses Vereins LI Seite 434). jener zahlreichen darwinistischen Fabeln vorliegen dürfte und eine ernste fachmannische Untersuchung vvohl, ebenso wie es mir in sovielcn Fallen angeblicher Mimicry gelungen ist, den Werdeprozess genannter Bildungen auf ganz andere Weise erklaren würde, die mit den Ameisen in keiner Beziehung stünden, sodass die Insekten erst spater das einmal Bestehende benützt hatten, wodurch sie nun zufalligerweise jenen Pflanzcn den erwahnte Dienst erwiesen. Suchet, rief ich denn auch auf S. 339 den Botanikern zu, und ihrvverdet finden! Nun, bald hat es sich gezeigt, dass sogar vor der Herausgabe meines Werkes die Untersuchungen Prof. Dr. M. Treubs, obgleich mir dies nicht bekannt geworden war, schon dargelegt hatten, dass die betrefïenden Knollen von Myrmecodia typische Organe epiphytisch lebender Pflanzen sind, die zur Aufbewahrung von Wasser dienen und deren eigentümliche Form also nichts mit den Ameisen zu schaffen hat, in denen sich jedoch Luftgange bilden, welche die Ameisen gerne als Schupfwinkel benutzen. Auch in der Insekten-Bórse 1904 S. 234 findet man eine diesbezügliche Mitteilung, wahrend auf S. 298 aus einem sehr ausführlichen Bericht über eine eingehende Arbeit des Inspectors am Botanischen Garten der Universitat Jena Ernst Rettig über dieselbe Frage hervorgeht, dass dieser Botaniker nicht nur obenstehendes bestatigt, sondern noch viel weiter geht, auch das Romanchen der Ameisenbrötchen zunichte macht und schliesslich erklart: „Es gibt wohl Pflanzenameisen in Hülle und Fülle, aber (wenigstens im strengsten Sinne des Wortes) wenig oder überhaupt keine Ameisenpflanzen". Ich habe also bloss ad analogiam urteilend diese Frage wohl richtig oder doch richtiger entschieden, als es nach der auch unter den Fachgelehrten herrschende Auffassung geschah. Ajjs Triumphen mache ich mir nun ebensowenig, wie aus Lob oder Hohn; aber ein derartiges Resultat bestatigt das Recht, das ich mir zuerkennen zu dürfen meinte, auf diesem Gebiete bisweilen auch Fachgelehrten gegenüber meine Meinung zu aussern. Auch bei andern Fallen darwinistischer Romantik, die ich in M. S. D. bekampfte, sah ich meine Ansichten seitdem gleichfalls durch verschiedene Tatsachen bestatigt. So habe ich auf S. 132 eine der Zeitschrift Globus (3 Aug. 1901) entnommene Mitteilung über Diptera mit verkümmerten Flügeln besprochen, die auf den Kerguelen-Inseln leben, und auch nach Wallaces Angaben einen Heterocer und mehrere Coleopteren dieser Insein erwahnt, die dasselbe zeigen, ebenso einen derartigen Fall bezüglich Pflanzen, namlich der Robinsonia-Arten, festgestellt, Tatsachen, denen Prof. Dr. Plate auch noch in seiner letzten Arbeit Glauben schenkt und welche er „umgekehrte Selektion" nennt. Weiter ist seitdem auch bekannt geworden, dass auf dergleichen oceanischen Insein neben Insekten mit verkümmerten Flügeln auch solche Fliegtiere als Fliegen vorkommen, bei denen jene Organe vollkommen entwickelt sind, woraus sich ergiebt, dass hier wohl einige evolutionelle Neigung zum Verschwindenlassen der Fliigel auftritt, aber dass dieselbe nicht aus dem Umstand hervorgeht, dass solches das Dasein erschweren würde. Denn ofïfenbar sind diese Fliegen Tiere, bei denen jene Neigung noch nicht zutage getreten ist, ohne dass dieser Umstand jedoch auch nur eingemassen ihre Existenz auf solchen Insein verhindert hatte. ür. Sharp von Cambridge teilt in der Fauna Haivaiensis über die Coleopteren des Hawai-Archipels mit '), dass 90n/0 gut fliegen könnten, aber die übrigen Arten nur dazu ungeeignete Flügel-Relikte besassen, und bei einigen die Flügel zwar noch vorhanden seien, jedoch so verkümmert, dass sie zum Fliegen nicht mehr brauchbar waren. Diese Insekten befinden sich also ofïfenbar in einer Übergangsphase. Nach ihm lasst sich derselbe Zustand auf St. Helena nachweisen; jedoch lasst sich hieraus nicht folgern, dass hierbei Selektion eine Rolle spiele, sondern vielmehr ist eine Folge der Lebensumstande dieser Tiere anzunehmen, wie ja überhaupt die Flügel für Coleopteren von geringer Bedeutung zu sein scheinen. Die Vermutung liegt also nah dass ich auch, was die Robinsonia-Arten betrifft, richtig gesehen haben dürfte. 1) Revue Scientijique (Revue Rosé igoj No. 21). NATURSELEKTION UND KAMPF UMS DASEIN. Alle diese unrichtigen Behauptungen, die in den darwinistischen Schriften stets als wirklich feststehende Tatsachen angeführt werden, damit sie als Beweise dienen können, und die so zahlreich sind, dass eine viel umfassende Arbeit nötig ware, um sie sogar gegenüber Fachgelehrten zu widerlegen, wahrend das Gesicht der grossen Menge darwinistischer Mitlaufer durch ihre grosse Anzahl wie durch eine Wolke von Staubsand verdüstert wird — diese alle haben den Zweck den eigentlichen Kern der darwinistischen Lehre, die Theorie von der natürlichen Selektion, zu stützen. Denn darauf gründet sich die ganze Lehre, mit ihr fallt oder steht der Darwinismus; das heisst, in dem Sinne, wie ich den Ausdruck gebrauche, nicht der Evolutionismus. Diese Selektion wird denn auch von den Anhangern jener Lehre immer als eine wissenschaftliche Tatsache angenommen. Die wahre Wissenschaft fordert jedoch, dass man die Wahrheit dieser Aufstellung beweise oder sie wenigstens auf logische Weise wissenschaftlich plausibel mache. Das haben sie jedoch nie vermocht; alles, was sie zu dem Zweck zusammengebracht haben, wie das ganze Gebaude der Mimicrytheorie, das sie errichtet haben, ist, welch' ausserordentlich grossen Beweiswert auch einer ihrer meist hervorragende Gelehrte ihr beigelegt hat, bei einer nur leisen Berührung, wie ein Kartenhaus zusammengestürzt. Man vergisst nur zu oft, dass die Naturselektion im Zusammenhang mit dem Kampf ums Dasein nur eine Hypothese ist, und dass also alle diesbezüglichen Wahrnehmungen dazu dienen müssen, ihre Ubereinstimmung mit der Wirklichkeit soviel wie möglich zu beweisen, d. h. sie aus Tatsachen abzuleiten. Vom Anfang an haben jedoch die Nachfolger deren, welche diese Hypothese aufstellten, wohl aus unzulanglichem philosophisch-vvissenschaftlichem Sinne gerade den umgekehrten Weg eingeschlagen, statt den genannten Forderungen zu genügen, die Hypothese als eine feststehende Tatsache angenommen und dann wahrgenommene Facta ihr angepasst und nach ihr erklart. Infolge dieses Verfahrens heisst es nun bei ihnen, dass die Hypothese sich durch die betrefifenden, zahlreichen Beobachtungen als wahr erwiesen habe. Aber das ist grundfalsch, die Wahrnehmungen haben die Richtigkeit der Hypothese in keiner Hinsicht bewiesen. Denn die Möglichkeit, durch sie eine Menge von Tatsachen zu erklaren, kann gewiss bisweilen wohl cin wertvolles Argument für die vermutliche Richtigkeit von Hypothesen sein, aber keinesvvegs dann, wenn die Tatsachen der Hypothese nur gezvvungen angepasst worden sind, und sich ebensogut ohne dieselbe erklaren liessen. Derartige Hypothesen, deren Wert nur existiert, insofern sie zu einer allgemeinen Anwendung geeignet sind — und zu solchen gehort die betreffende — verlieren naturgemass jede Bedeutung, wenn zahlreiche andere Tatsachen nicht billigerweise auf diesem Wege erklart werden können. Grosse Worte im Munde zu führen ist natürlich ein Leichtes, und man hört sie denn auch in dieser Hinsicht überall. Auch auf dem Gebiete des sozialen Lebens, wo man dem kühlen Beobachter gegenüber hier in wirklich lacherlicher Weise ubertreibt. So fand ich z. B. in deutschen Schriften, als gabe es in der Welt noch nicht genug Phrasen, den Ausdruck: „der Kampf der Vater aller Dinge", wieder einmal dem alten griechischen Philosophen empedocles oder wohl Heraclit nachgeschwatzt. Kürzlich teilte Prof. Dr. HüGO de Vries in dem interessanten Bericht über seine Reise nach Californien mit, dass ïhm dort Herr Luther Burbank in Santa Rosa, der sich mit grossem Erfolg mit der Verbesserung der Früchte und Blumen durch Kreuzung und Selektion zu tun macht, erklart habe, er sei der Ansicht, dass auf demselben Wege in Zukunft auch eine Veredelung der amerikanischen Nation zu ciner neuen Rasse stattfinden werde, die alsdann erheblich besser und kraftiger als die jetzigen europaischcn Völker werden würde. Nun ist dies zwar nichts andres als eine Probe echt chauvinistischen, amerikanischcn Humbugs, jedoch nicht übel als Beispicl der Lacherlichkeit jener Marktschreierei. Oho, möchte ich sagen, dieser Herr versteht es also Selektion in seiner Veredelungsarbeit mit grosser Intelligenz anzuvvenden und erzielt auf diese Weise schone Resultate. Warum giebt er aber nicht an, welche Intelligenz dieselbe unter dem amerikanischen Volke leiten wiirde? Denn ich verstehe nicht, wie dies ohne intelligente Leitung geschehen könnte. Ich gebe zu, dass vielleicht in kleinem Umfang Naturselektion wohl einmal erfolgen kann, wenn zufalligerweise allerhand Lebensumstande sich zusammen finden und dann denselben Zwang und dieselbe Leitung ausüben, der bei der künstlichen Selektion durch die Intelligenz verursacht wird. Aber nicht lasst sich durch einen solchem Zufall die grosse darwinistische Naturselektion erklaren, die als erster und hauptsachlicher Faktor des evolutionellen Lebens der ganzen organischen Natur sich erweisen müsste. Hier liegt der Schvverpunkt des Darwinismus; ich habe darüber schon oben auf S. 137 gesprochen. Diesem Mangel an Intelligenz abzuhelfen, hat sich Darwin nun eine Art mechanische Wirkung zurechtgelegt, die an deren Stelle treten sollte. Einer ernsten wissenschaftlichen Untersuchung gegenüber kann dieselbe aber nicht aufrecht erhalten werden. Der von ihm zu dem Zweck herangezogene „Kampf ums Dasein" hat in der Wirklichkeit eine solche Bedeutung nicht, und übt keine so allgcmeine und kraftige Wirkung aus, dass sie die betreffende Selektion als den allgemeinen Entwicklungsfaktor hervorrufen und führen könnte. So scharf und persönlich — wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf — aufgefasst, wie der Darwinismus den Kampf in den Vordergrund stellt, ist er keine normale Erscheinung im Leben der Natur. Personen jedoch, welche im Banne des Darwinismus gefangen sind, können dies nicht mehr einsehen. Fiir viele Darwinisten ist im übrigen jener Kampf ums Dasein gewiss nur zu einer blossen I'hrase geworden. Sie sind sich dessen wohl bewusst, dass in der Tat allein Intelligenz die Selektion leiten kann, sie mochten sich aber über diesen Punkt lieber nicht aussern. Denn, wie ich schon in M. S. D. ausgeführt habe, ofters ist der Darwinismus zu einer wahrcn Religion geworden. Er kennzeichnet sich dann als eine solche nicht nur durch Glauben, sondern hat sich oft auch stark mit den Relikten der alten supranaturalen Vorstellungen verbunden. n letztern, welche sie nun Natur, Naturkraft oder Naturwirkung nennen oder aber meistens als selbstverstandlich voraussetzen, finden sie dann die Urquelle jener unentbehrïchen Intelhgenz. Derartige Argumente haben fiir mich in der Wissenschaftt jedoch keinen Wert. Nun ware in der Tat wohl noch eine andere Erklarung möglich, die gewiss von der darwinistischen ganz und gar abweicht und doch nicht supranatural ist, sich jedoch meiner weiter auszuührenden vitalistischen Auffassung nahert. Aber ebensowenig halte ich irgendeine Annahme für berechtigt dass eine unbewusste intelligente Tatigkeit der Psyche bei der Naturselektion anzunehmen sei. Wird doch das Vorhandensein dieser letztern an sich durch eine ernste, nicht darwinistisch suggerierte Beobachtung nicht bestatigt. Denn vvenn man auch die Möglichkeit einzuraumen bereit ist, dass Naturselektion wohl einmal vorkommen kann, so halte ich dafür, dass die zahlreichen Beispiele, welche dies der darwinistischen Literatur zufolge beweisen, entweder jedoch fiktiv sind oder Tatsachen anführen, die auf andere Weise richtiger zu erklaren sind. Die Unwahrheit der Normalexistenz einer selektiven Wirkung lasst sich am besten einem ernsten Studium der menschlichen Gesellschaft entnehmen. Denn auch darm tntt der sogenannte Kampf ums Dasein keineswees immer ,n so schroffer Weise auf. Nur da und dort in den Centren der sogenannten Kultur ist dies oft geradezu ebenSo stark der Fall, wie unter den Fischen, von denen fast je es Tier von andern aast. Aber sogar da fiihrt dies nicht zur evolut.onellen Selektion. Nur unvollstandige, einseitige eo achtung kann zu dieser Auffassung führen, meistenteils ge angt man dazu infolge einer darwinistisch voreingenommenen Betrachtungsweise, welche die Produkte dieses Kampfes me crnstl'ch untersucht, sondern demselben blindlings und von vornherein, bloss weil sie diesem Kampfe entspriessen, Selektionswert zuerkennt. Auf diesem Gebiete wird noch immer der Kampf um den Darwinismus mit grosser Scharfe geführt, aber, ich habe es oben schon betont, die von seinen Anhangern angeführten Betrachtungen verdienen, meines Krachtens, keine ernsthafte Widerlegung, solange auf das oben Angeführte keine befriedigende Antwort gegeben worden ist. Da liegt der in diesen wissenschaftlichen Kampfplatz geschleuderte Handschuh, man hebe ihn auf, wenn man sich das Recht erwerben will, auf den Kampfplatz zugelassen zu werden. Alle diese Phrasen, die in so grosser Anzahl die Selektion zu verteidigen versuchen, jedoch an der Hauptfrage vorbeigehen, haben keinen andern Wert, als der bekannte Wort- und Argumentenreichtum vieler Rechtsanwalte, der nur die Aufmerksamkeit von der Hauptsache abzulenken bezweckt. Allerhand Phraseologie, grosse Worte über die Tiichtigeren oder die Tauglicheren und dergleichen spielen dabei stets eine grosse Rolle. Beweisführung jedoch, die sich nicht auf die Logik gründet, hat nun einmal keinen wissenschaftlichen Wert. Ebensowenig wie ich als Richter auf derartige Redensartcn der Rechtsanwalte einging, lasse ich mich jetzt von dem Strom der Behauptungen zugunsten der Selektionslehre überzeugen. Man beweise mir erst den Hauptsatz; erst dann wird eine logische Erörterung möglich; ohne diese Grundlage jedoch nicht. Es hat sich in der letzten Zeit unter den Darwinisten eine Neigung ofïfenbart, die Naturselektion und den Kampf ums Dasein beizubehalten, indem man jenen Ausdrücken einen ganz andern Wert beilegt, als den, welchen Darwin denselben zuerkannte, und der in dem eigentlichen Darwinismus in den Vordergrund trat. Die Tatsache, dass eine grosse Anzahl von Bildungen und Einzelwesen zugrunde gehen, heisst dann eine Ausmerzung durch die Naturselektion, obgleich solche aus nichts hervorgeht, und da, wo man keine Wahl zeigen kann, auch der Begriff der Naturselektion keinen Sinn hat. Statt dass man erst das Bestehen einer Wahl durch Kampf bevveist, wird nun ganz einfach erklart, die Tatsache, dass viele Einzelwesen zugrunde gingen, sei jenem Kampf zuzuschreiben, und dies will man nun als wissenschaftliche Waahrheit gelten lassen. So etwas dürfte sichjedoch keine Wissenschaft nennen. Wenn zwanzig Personen ins Wasser fallen und nur fünf gerettet werden, gehen fünfzehn zugrunde, jedoch nicht infolge einer hl, und wenn bei einer Hungersnot die Halfte der Einwohner eines Ortes stirbt, ist dies nicht die Folge irgendeines Kampfes ums Dasein. Wie sehr übrigens die A^ffassungen des Kampfes ums Dasein auseinandergehen, dafiir hefert mir folgendes ein treffendes Beispiel. In den schon erwahnten californischen Vortragen Prof. Dr. HüGo de Vries' lese ich u. a.: „Künstlich angelegte Graslander bestehen aus einer eindigen Art von Gras oder Klee. Der natürliche Zustand, in „dem gewohnliche Weiden sich befinden, ist die von Grup"Pcn Gras> mit etwas Klee, wozwischen vielleicht zwanzig „oder mehr Arten andrer Genera oder Familien wachsen. * Das Verhaltnis dieser Bestandteile zueinander ist überaus „wichtig und ist zu Rothamstead in England und auf ,einer Anzahl andrer Bauerngehöfte untersucht worden. Es „verandert sich fortwahrend. Keine zwei aufeinanderfolgende „Jahre weisen dieselben Verhaltnisse auf. Das einc mal hat „diese Art die Oberhand, das andre Mal wieder zwei oder „mehr andere. Das Wetter, im Frühhjahr und Summer, ist „der einen gunstig, der andern verhangnisvoll, der Winter „kann für eine zu streng und für andere vollkommen un„schadlich sein; der Regen kann einige verschwemmen und „andern keinen Schaden zufügen. Das eine Jahr wird man „einige Unkrauter in dem Grasland üppig wuchern sehen, „wahrend sie ein andres Jahr kaum zu finden sind. Die ganze „Bevólkerung ist eine fluktuierende, wobei eine Form im Über„fluss vorhanden ist, und andere in der Abnahme begriffen sind. „Sie giebt ein getreues Abbild der immerwechselnden Wit„terung. Nur selten wird eine Art ganz und gar verschwinden, „wenn dies auch einige Jahre so scheinen mag. Sie wird, es „sei denn durch Samen oder durch unterirdische Stengel wie„der festen Fuss fassen in dem Kampf ums Dasein. Diese „Erscheinung ist sehr eigenthümlich und interessant. Man kann ucn KamPf ums Nasein, der eine so grosse Rolle in den „neuern Evolutionstheorien spielt, sogleich in Tatigkeit sehen. „Die Art selbst kann dadurch nicht, wie es die allgemeine „Auffassung will, verandern, aber er bringt stets Veranderungen „in ihren Zahlverhaltnissen. Jede bleibende Anderung in den „aussern Umstanden wird selbstverstandlich auf das Durch„schnittliche der Schvvankungen Einfluss haben, und das „Resultat dieser Veranderungen wird sich in den meisten „Fallen offenbaren, und zwar einfach durch neue Zahlver„haltnisse. Nur die Extreme haben extreme Folgen und die „Aussicht einer völligen Ausrottung der schwachern Formen „ist deshalb auch sehr gering." Nun möchte ich doch fragen, was bleibt nun bei einer solchen Auffassung des Kampfes ums Dasein von jenem DarwiNS übrig, auf der ja die Kraft, welche er diesem Faktor zuerkennt, beruht? Gewiss, auch Darwin brachte dergleichen Schwierigkeiten, welche durch aussere Einflüsse im Dasein verursacht werden, im allgemeinen unter diesen Ausdruck, aber es ist doch nicht zu leugnen, was, wie wir bereits auf S. 137 sahen, sogar Prof. Dr. Plate zugeben musste — dass er nicht darin, sondern in dem Wetteifer oder Kampfe der lebenden Wesen unter einander den wirklichen Selektionswert sah. Auch Wallace nennt ausdrücklich das Gesetz des Starkern die essentielle Grundlage der Naturwahl. Davon ist jedoch hier überhaupt keine Rede mehr. Auch von einem Übrigbleiben der Tüchtigsten ist nichts zu erblicken. Und wie man nun daraus eine ausmerzende Selektion folgert, verstehe ich nicht. Keine Veranderung als der Wechsel des Zahlenverhaltnisses ist ihre Folge, die doch, meiner Ansicht nach, hier ohne jede Bedeutung ist; schliesslich bleibt alles, wie es war. Und dennoch erblickt ein sehr kundiger Biologe hierin den Kampf ums Dasein und also auch wohl dessen selektive Bedeutung. Für mich ist es durchaus unmöglich, diese Ansicht zu teilen. Wieder eine andere Form, in der sich jene Modernisierung des Darwinismus aussert, ist die, welche in der Arbeit ') des Fürsten kropotkin zutage tritt. Offenbar im 1) Mutual Aid, a factor of evolution, London 1902. Dienste der bekannten communistischen Neigungen des Verfassers hat diese Arbeit vor allem die Tendenz, die verderbliche, falsche darwinistische Lehre der Gewalt im internationalen und sozialen Leben zu bekampfen und an deren -Stelle jene der gegenseitigen Hilfe zu empfehlen. Wer sich an das erinnert, was ich auf S. 415-417 von M. S. D. dar11 e.r schrieb, wird begreifen, dass ich dieses Streben auf sozialen Geblete mit Freude begrüsse. Bereits in einer im Jahre 1899 in meiner Heimat erschienen Schrift, die ich nachher noch naher erörtern werde, also vor Kropotkin, habe ich, und zwar selbstandig, da die jetzt von dem Verfasser angeführten russischen Zooiogen mir unbekannt geblieben waren, die Unwahrheit der darwinistischen Lehre vom Kampf ums Dasein dargelegt und dieselben diesbezüglichen Wahrnehmungen mitgeteilt, die ich auch S. 377—382 von M. S. D. dieser Schrift entnahm und erörterte. Und ebenso, wie Kropotkin bin ich durch meine Erfahrung als Fieldnaturalist zu jener Überzeugung gekommen. Aber trotz alledem kann ich doch die Auffassung dieses Gelehrten, inso- fern diese sich auf das soziale Leben bezieht, nicht für richtie halten. 6 Auch Kropotkin behauptet, dass der darwinistische Ausdruck „Kampf ums Dasein falschlich als ein gegenseitiger Kampf der lebenden Wesen untereinander aufgefasst werd, und in der Tat als ein Kampf aufgefasst werden muss, der jedes lebende Wesen gegen die ungünstigen Lebensumstande zu fuhren hat, unter denen es sich befindet. Er stellt weiter fest, dass vor allem gegenseitige Hilfe in den Verhaltnissen der lebenden Wesen unter sich die grosse Rolle spielt, und das diejenigen, welche sich in dieser Hinsicht am meisten hervortun, dadurch einen solchen Vorteil gewannen, dass es ihre Existenz besser gewahrsleiste als die anderer, sodass gegenseitige Hilfelcistung also selektiv zu ihrem Vorteil wirke. Aber, wie ich schon sagte, der Fehler liegt hier nicht in einer falschen Deutung von Darwins Worten, sondern ganz bestimmt in Darwins Vorstellung, denn wenn dieser auch in der Tat sagt, dass er jenen Ausdruck in weitem und figürlichem Sinne gebrauchen wolle, wirklich spielt doch bei ihm dessen Aufïfassung als gegenseitiger Kampf der lebenden Wesen untereinander die Hauptrolle. Kropotkin erkennt dies denn auch und erklart sogar, dass darwin jenen Ausdruck hinsichtlich seines besondern Zweckes — das ist also die Selektion — meistens in seinem engsten Sinne benutzt und sogar auch einmal in die Übertreibung jener beschrankten Auffassung verfallen sei, vor der er selbst warnt. Überdies musste naturgemass diese Auffassung demzufolge bei Darwins Anhangern in den Vordergrund treten. Denn man erwage wohl, dass dieser Lehrsatz in Darwins System nur ein Mittel ist, die Natuurselektion zu erklaren, und dazu ist er nur in der obenerwahnten Auffassung, als gegenseitiger Kampf, anwendbar. Denn nur in einem derartigen persönlichen Kampf können einige Eigenschaften, wie körperliche oder geistige Kraft den Sieg bringen und auf diese Weise die Tüchtigsten am Leben erhalten. Im Kampfe gegen die ungünstigen Lebensverhaltnisse machen sich immer soviele verschiedene Faktoren geltend und spielt auch der Zufall eine so wichtige Rolle, dass die Einzelwesen, die sich in denselben behaupten können, dies nur ausnahmsweise einer allgemeinen grosseren Ttichtigkeit zu verdanken haben werden, sodass dabei von einer erblichen Fortpflanzung und demzufolge einer Zunahme derartiger Eigenschaften nicht die Rede sein kann. Aber dann fallt auch der Selektionswert jenes Kampfes weg, worauf ja der ganze Darwinismus beruht. Selektion mit einem derartigen Kampf gegen die Lebensverhaltnisse zusammenzuschmieden ware bloss ein Spielen mit Worten. Die jetzt von Kropotkin vorausgesetzte, wenn auch schon von Darwin angedeutete, selektiv wirkende gegenseitige Mithilfe hat denn auch dies voraus, dass darin doch auch wieder nur von einer einzigen Eigenschaft die Rede ist. Dieses Wortspiel mit den Ausdrücken Selektion und Kampf ums Dasein, wobei diese Begriffe in ganz verwasserter Form gebraucht werden, ist jetzt nicht selten bloss ein Mittel, das Unhaltbare des Darwinismus zu beschönigen. Bisweilen auch soll dadurch dem Publikum dieser annehmbar gemacht werden. So findet man deren jetzt, welche mit keinem andern Zweck, als um dem Publikum Honig um den Mund zu schmieren, mit Nachdruck darauf hinweisen, dass der Mensch nicht von den Affen abstamme. Dem Worte nach, ganz mit Recht; von einer des jetzt lebenden Affenarten stammt der Mensch nicht ab. Wenn man jedoch noch einmal einen Pithecanthropus erectus Dubois oder eine noch etwas altere Form wie den siberischen Mammouth mit Haut und Haar finden könnte, so wurde wohl ein jeder, der dieses Tier zur Gesicht bekcïme, es ohne Zweifel einen Affen nennen. Soweit denkt jedoch ein Publikum nicht. Es ist nun ebenso unrichtig, die gegenseitige Mithilfe als das grosse Naturgesetz aufzufassen, das deshalb die menschliche Gesellschaft beherrschen müsse, wie den Kampf aller gegen alle. In der lat weist denn auch Kropotkin darauf hin, dass beide Extreme, sowohl die optimistische Auffassung der Naturverhaltnisse RoUSSEAUS, wie der darwinistische Pessimismus Huxleys in dieser Hinsicht irren, aber dennoch will er in der Entwicklung des sozialen Lebens das Resultat der Neigung zur gegenseitigen Hilfe sehen und will er deswegen dieselbe als das Naturgesetz betrachten, welche das Leben beherrschte. Beides jedoch, der gegenseitige Vernichtungskampf, wie die gegenseitige Hilfe, sind, wie ich schon in M. S. D. betont habe, nur Erscheinungen der allgemeinen Tatsache, dass jedes lebende Wesen, es sei tot oder lebendig, dem Nutzen andrer dienen muss, und diese se Tatsache ist es allein, die sich in der Natur wahrnehmen lasst. Daraus allein lasst sich jedoch kein soziales Naturgesetz ableiten, denn diese Tatsache schliesst sowohl die Verhaltnisse in sich, welche der Gewalt, wie diejenigen, die der Hilfeleistung entspriessen. Um das Wesen der gesellschaftlichen Entwicklung zu erklaren muss man einen andern Weg einschlagen. Wenn es auch war ist, dass der unkultivierte Mensch im allgemeinen in seiner Umgebung ziemlich friedlich und in gegenseitiger Hilfeleistung lebt, wie dies Kropotkin so ausfuhrlich darlegt, so schliesst dies doch nicht aus, dass bei jenem Menschen doch die geringfügigste Veranlassung genügt, seine Leidenschaften in ungezügeltester Weise hervorbrechen zn lassen und er darin jedes Mass überschreitet. Nur wird dies in dem einfachcn, meist gleichförmig verlaufenden Gang seines Lebens verhaltnissmassig selten vorkommen. Sobald jedoch die Gesellschaft anfangt sich mehr zu entwickeln, besonders wenn Privateigenthum und Sklaverei darin eine Hauptrolle zu spielen anfangen, mehren sich die Anlasse zum Hervorbrechen dieser Leidenschaften in starkem Masse und werden demnach Gewalt und Raub normale Erscheinungen. Dann entsteht deren Beschrankung, die Regelung der gegenseitigen Verhaltnisse und somit der Übergang von einem blossen Zusammenleben, in dem die soziale Rechte und Pflichten nur in rudimentarem Sinne vorhanden sind, in eine eigcntliche Gesellschaft, durch die allmahlige, höhere Entwicklung des psychischen Elements in dem Menschen, das die Begriffe von Recht und Moral entstehen lasst und nach diesen Begriffen die Regelung zustande bringt. Auf diese Weise und nicht aus der bloss einseitigen Neigung zur gegenseitigen Hilfeleistung entsteht somit das führende Prinzip, das wirkliche Gesetz des Gemeinschaftslebens. Die menschliche Gesellschaft ist namlich nicht, wie Kropotkin sie, echt darwinistisch, auffasst, ein bloss chemisch-physikalisch entstandener Organismus, und Selektion spielt auch in ihrer Entwicklung keine bedeutendeRolle. Ihre Entstehung ist das Ergebniss des psychischen Evolutionsprozesses in dem Menschen. Gewiss aussert sich nun dabei als ein Ausfluss des darin auftretenden alteruistischen Faktors auch die gegenseitige Hilfe in starkem Grade. Doch beruht dies nicht auf dem von Kropotkin angegebenen Grunde. Die neuere sich immer bewusster offenbarende alteruistische Richtung entspringt der höhern psychischen Entwicklung des Menschen, hangt jedoch nicht historisch zusammen mit den alten in dieser Beziehung unbewusst verlaufenden Zustanden aus weniger kultivierten Zeiten, wie Kropotkin es im Interesse seines sozialen Strebens darstellen will. All jene mittelalterlichen Vereinigungen z. B., worüber er sich so ausführlich au.ilasst, gingen gerade aus dem Umstand hervor, dass damals für einen jeden irgendein Schutz noch in hohem Masse notwendig war und dass also die allgemeine Lage weit mehr von egoistischen als alteruistischen Faktoren bcstimmt war. Sie standen auch der übrigen Gesellschaft gegenüber auf sehr egoistischer Grundlage, und eine derartige gcgenseitige Hilfeleistung, die, wie die ihrige, sich auf die nachste Umgebung beschrankte, steht im moralischen Sinne gar nicht so hoch, und nahert sich dem Kampf aller gegen alle erheblich mehr, als Kropotkin wohl zuzugestehen scheint. Die neuere, alteruistische Richtung ist ganz anderer Art; sie hat sich denn auch nicht aus jenen frühern Verhaltnissen entwickelt. Ware sie historisch so fest begründet, so würde sie auch sich jetzt noch sich als weit kraftiger erweisen, als es der Fall ist. Denn tatsachlich ist sie noch sehr schwach und zwar gerade, weil sie noch so jung ist. Die Vorstellung Kropotkins über den Ursprung des Rechts, z. B. den des Strafrechts, dass dieses namlich aus dem Rachegefiihl hervorgehe, ist übrigens keine andere, als die, welche man bei vielen sozialistischen Schriftstellern findet, aber darum nicht weniger falsch. So verhalt es sich auch mit seinen andern historischen Anschauungen; in hohem Grade einseitig ist z. B. seine Ansicht über die Ursachen des Verschwindens der mittelalterlichen Zünfte. Völlig blind scheint er gegen die grossen Mangel zu sein die diesen anhafteten und bei der allmahligen Entwicklung der gesellschaftlichen Verhaltnisse und des wechselseitigen Verkehrs so stark hervortraten, dass sie mit denselben nicht mehr vereinbar waren. Wie Wassmann seinen religiösen Ansichten, so sucht auch Kropotkin die Errungenschaften der Naturwissenschaft und die Erfahrungen der Geschichte seinem politischen Glauben anzupassen. Denn Kropotkin ist ein Schwarmer, wenn auch ein edler Schwarmer und das Übertriebene seiner Auffassungen lasst sich durch die schrecklichen Zustande seiner Heimat voll und ganz entschuldigen. Immerhin ist die Anzahl der Anhanger der darwinistischen Selektionslehre noch eine sehr grosse. Sie sind der festen Überzeugung, die wissenschaftliche Wahrheit in ihr über die betrefienden Gebiete zu besitzen. Es giebt sogar deren, welche sich nicht scheuen, deswegen einen überaus anmassenden und sogar groben Ton dem gegenüber zu führen, der ihnen darin widerspricht. Aber alles das kann ihnen nichts helfen. Noch sehr unlangst fand ich ganz mit Recht bemerkt, dass fasst ein Jahrhundert hindurch die Herkunft der Indogermanen aus Mittelasicn als ein Axiom angenommen worden sei, und zahllose Schriftsteller immer darauf weitergebaut hatten, wahrend dieser Annahme doch keine einzige wissenschaftliche Tatsache zugrunde lag, sondern sie nur ein Ausfluss der Paradieslegende war. In der Tat, dieser Kampf ums Dasein mit der damit verbundenen Naturselektion ist auch solch' eine Paradieslegende, ist ihm doch sogar ein gewisser religiöser Hauch nicht fremd. Dennoch treten immermehr Naturforscher auf, die sich durch ihre Studiën veranlasst sehen, die Lehre der alleinseligmachenden Selektion zu verwerfen. Der eine lasst sich ganz, der andere, der weniger energischer Natur ist, teilweise bekehren, da er nicht einsieht, dass der allgemeine Charakter dieser Lehre eine teilweise Beibehaltung nicht zulasst. Eine alleinseligmachende Lehre ist mit der Möglichkeit, auf irgendeine andere Weise selig zu werden, unvereinbar. So soll z. B. sich auch noch aus den Studiën über die Landmollusken von Celebes der bekannten Reisenden P. und F. Sarasin ergeben haben, dass ihre Arten fortwahrend sich in einer bestimmten Richtung umwandeln und zwar auf eine mit der Theorie, nach der das organische Wachsen teilweise durch Epistase unterbrochen wird, wodurch anscheinend verschiedene Arten entstehen, übereinstimmende Weise, was nach der darwinistischen Entwicklungstheorie keineswegs zu erklaren ware. Die Theorie der Naturselektion und die der Mimicry sind hier nicht anwendbar, weil die Veranderungen, welche die Schalen der Mollusken erleiden, für den Wohlstand des Tieres ohne Bedeutung sind. Ebensowenig die der sexuellen Selektion, da es hier hermaphroditische Tiere betrifft. Die geographische Verteilung macht es unmöglich die Zwischenformen einfach als Bastarde der Endformen aufzufassen. Von einem innern Strebcn nach Vervollkommnung oder Verbesserung ist dabei keine Spur. Nur die eigentümliche Konstruktion des Tieres führt zu diesen Veranderungen. Aussere Faktoren verschaffen sich zwar Geltung, jedoch in sehr beschranktem Masse; aus vielen Beispielen 16 erhellt, dass sie nicht die eigentliche Ursache vieler Veranderungen sein können '). Diese Tatsache war mir bei der Bearbeitung von M. S. D. entgangen; ich halte sie jedoch für bedeutend genug, um an dieser Stelle darauf hinzuweisen. Ich möchte hier auch auf eine Abhandlung des Herrn Dir. Wilhelm Petersen in Reval aufmerksam machen, in der er die Artbildung behandelt, die Eimer schon 1874 bemerkte, und Kyesamechanie nannte, und die auch von Romanes als Physiological Selektion bezeichnet wird. Auch ich habe auf S. 409 von M. S. D. im Zusammenhang mit den auf S. 49 erwahnten Untersuchungen Dr. H. de Graafs diesen Punkt erörtert, und was jetzt Herr Petersen über diese von ihm physiologische Isolierung genannte Artbildung anführt, stimmt mit meiner Auffassung ganz überein. Auch diesem Gelehrten ist es klar, dass dies nicht durch die darwinistische Selektionstheorie erklart werden kann. Dasselbe behauptet er auch noch in bezug auf mehrere andere Falie von Formveranderung, insbesondere bei Lepidopteren. In dieser Form der Isolierung tritt die Hemmung der Kreuzung, die ich Panmixie nenne, besonders stark in den Vordergrund. Diese ist es, welche bei jeder Isolierung dadurch, dass sie den Verlauf der Einwirkung — die sich in dem evolutionelle Prozesse offenbart — innerhalb einer kleinen Anzahl Einzelwesen sozusagen konzentriert, und auf diese Weise beschleunigt, hauptsachlich die Bildung einer neuen Art herbeiführt. Auch wenn Tiere oder Pflanzen irgend anders wohin ausserhalb ihres naturgemassen Aufenthaltsorts versetzt worden sind, trit dies ein. Wenn die Tatsache, dass sie fremden Einflussen ausgesetzt werden, wie ein Reiz wirkt, der zu einer bestimmten Evolution anregt, so wird dies ziemlich gleichzeitig bei den verschiedenen jenem Reize ausgesetzten Einzelwesen eintreten, und wenn sie also darin sich wenig voneinander unterscheiden werden, wird die auf jene Einzelwesen beschrankte gegenseitige Panmixie auch nur wenig zu 1) Biolog. Ccntralblatt 1 Marz iqoo. 2) Biol. Ccntralblatt i Juni 1903. tun haben, so dass die evolutionelle Veranderung schnell vor sich gehen wird. Bei einer sich selbst bestaubenden Pflanze vor allem wird dies auf sehr auffallende Weise erfolgen können. Mit der Selektionslehre hangt aufs engste die Theorie der alles beherrschenden Nützlichkeit zusammen. An vielen Stellen in M. S. D. habe ich dieselbe bestritten. So auf S. 357 die Auffassung, dass die grosse Fruchtbarkeit einiger Insekten ein Mittel ware, dass sie sich erworben hatten, um sich in dem sogenannten Kampf ums Dasein gegen die Gefahr der Vernichtung zu beschützen, und zwar mit dem Hinweis darauf, dass man gerade bei solchen Tieren, die sehr wohl imstande sind sich selbst und ihre Jungen zu schützen, oft die grösste Fruchtbarkeit, andrerseits aber bei andern Tieren, die viel mehr Schutz vonnöten hatten, dieselbe nicht antrifft. Auch dieser Irrtum spukt noch immer herum. Bei Wasmann z. B. finden wir ihn wieder und zwar in jener bestimmten Form, die immer den von keinem Zweifel berührten Glauben — in diesem talie den darwinistischen Glauben — gegeniiber dem freien Verstand kennzeichnet, der sich nicht leicht in so absoluter Weise ausspricht. „Wir finden" — sagt dieser Naturforscher — „als allgemeine Regel in der Insektenwelt, dass die Zahl der Eier eines Insektes im umgekehrten Verhaltnisse steht zur Zahl der sich glücklich entwicklenden Eier und Larven desselben; je ungünstiger die aussern Existenzbildungen für letztere sind, desto grösser ist die Zahl der Eier, die ein Insekt hervorbringt um seine Nachkommenschaft zu sichern". Beweise dafür bringt er jedoch nicht bei und wir wissen übrigens von dem mehr oder weniger günstigen Verhaltnis solcher Existenzbedingungen ziemlich wenig. Es wird mit Insekten in dieser Hinsicht wohl nicht anders gehen, als mit andern Tieren auch, und der ganze Erguss wird wohl nichts andres sein, als ein Nachschwatzen der gewöhnlichen darwinistischen I'hrase. Die von mir beigebrachten Beispiele zeigen deren Unwahrheit zur Genüge. Ebenso fand ich die Beobachtung verzeichnet, dass Störche. Stare. Hahirhte. aljcs sehr streitbare Vögel, durchschnittlichfünf Eier, die schwachern Kolibris jedoch nur zwei legen. Nicht unrichtig ist ferner die Bemer- kung, dass in Anbetracht dessen, dass die Form des sogenannten Kampfes ums Dasein, die sich als der Kampf aller gegen alle darstellt, gewiss nirgends so stark hervortritt, als unter den Fischen, die wahre Raubtiere sind, die grosse Fruchtbarkeit hier allerdings ein grosser Vorteil für die Instanderhaltung der Art sein kann, aber dass dies dann ganz und gar auf Wahrscheinlichkeitsrechnung beruht und nicht auf einer geringeren oder grosseren Geeignetheit von einigen, sodass dabei von natürlicher Selektion nicht die Rede sein kann. Ferner, dass nicht nur schwache, sondern auch sehr kraftige Raubtiere dieselbe Fruchtbarkeit aufweisen, sodass die Notwendigkeit, einen fortwahrend grossen Verlust von Einzelwesen durch dieselbe wieder wettzumachen nicht vorhanden sein kann, sondern in dieser Beziehung nur von einer natürlichen jedoch ohne irgendeinen teleologischen Nützlichkeitszweck vorhandenen Tatsache die Rede sein kann. Hier sei auch noch einmal an den auf S. 224 bereits erwahnten Aufsatz Virgile Brandicourts erinnert: auch mit dem darin Angeführten ist die Nützlichkeitstheorie nicht vereinbar. Ein deutlicher Fingerzeig dafür, wie die Tage des Darwinismus gezahlt sind, liegt auf jeden Fall in der Tatsache, dass immermehr ernste Biologen gegen ihn Stellung nehmen. Ein sehr bedeutendes Werk in dieser Hinsicht ist eine Arbeit Dr. Thomas Hunt Morgans'), in welcher der Verfasser sowohl die darwinistische Selektionstheorie, wie die des Kampfes ums Dasein, somit die Nützlichkeitslehre und den Missbrauch des Schlagwortes „Anpassung" in ebenso erfolgreicher wie ausführlicher Weise bestreitet. Im Jahre 1905 erschienen weiter mehrere Schriften, nicht nur die naher zu besprechenden Werke Dr. Driesch' und Prof. Dr. Reinkes, sondern unter ihnen auch zwei von der Hand von GelehrtenJ), die, im übrigen völlig entgegengesetzter Meinung, 1) „Evolution und AdaptationNew York 1903. 2) Prof. Dr. A. Pauly, Darwinismus und Lamarckismus. ATïtnchen IQ05. Prof. Dr. Max Kassowitz, Vitalismus und Teleologie (Biolog. Ccntralblatt IS fiez. igoj). dennoch merkwürdigerweise, was die Leugnung der darwinistischen Zuchtwahllehre betrifïft, ganz übereinstimmen. Wahrend namlich der eine die bloss mechanische Erklarung der Lebenserscheinungen, wie sie im Darwinismus gegeben wird, in sehr eingehender Weise bestreitet und an dessen Stelle eine eigene psychologisch-physikalische oder vitalistische Theorie entwickelt, will der andere von keiner Teleologie, die ihn immer supranatural anmute, etwas wissen, sondern stellt sich auf den Standpunkt des aussersten Materialismus. Aber wie nun Pauly mit unausweichbarer Bestimmtheit das Zuchtwahlprinzip und den daran verbundenen Kampf ums Dasein als wissenschaftlich unhaltbar hinstellt, so erklart auch KASSOWlTZ die Lehre der natürlichen Auslese für unhaltbar und weist, wie ich es auch getan habe, auf die Tatsache hin, dass ihre Anhanger in einem unverrückbaren Glauben befangen,derBeweisführung nicht zuganglich sind und einfach die alten Argumente unaufhörlich wiederholen, jedoch an den dagegen erhobenen Einwünden mit Stillschweigen vorbeigehen. So sieht denn derjenige, der mit mirdergleichen Erscheinungen evolutionell auffasst, des obenerwahnten Ausspruchs WEISMANNS eingedenk, hierin eine Evolution der Verstandestatigkeit in der biologischen Wissenschaft. Denn wahrend KASSOWlTZ nur erst einen Anfangsstandpunkt erreicht hat, da ist PAULY schon weiter fortgeschritten. Einmal in Bewegung gesetzt, wird diese Entwicklung jedoch weitergehen und den alten Standpunkt des Darwinismus bald als einen überwundenen hinter sich lassen. „Die Zahl der Widersacher der Zuchtwahllehre", sagt letzterer Gelehrter, „hat sich insbesondere in den letzten 20 Jahren so stark vermehrt, dass man ihren Untergang mit Sicherheit voraussagen kann. Sie fest begründet zu nennen und zum unverlierbaren Besitz der Wissenschaft zu rechnen (wie es viele noch tun) entspricht nicht der tatsachlichen Lage der Dinge". In der Tat, der eigentliche Darwinismus kaut, wie Prof. Dr. KASSOWlTZ mit Recht bemerkt, nur immer das alte wieder, besitzt aber nicht die Lebenskraft, die allein die Wissenschaft fördert. Innerhalb der Schulgelehrtheit beschrankt, ist er wie eine Kulturpflanze, die keinen Samen mehr hervorbringt, sondern allein künstlich durch Stecklinge fortgepflanzt wird so dass sich keine neue Pflanzenart mehr entwickeln kann' Ausser in d.eser offenbaren Ohnmacht, sich gegen ernsthche wissenschaftliche Angriffe zu verteidigen, zeigt sich die Kntkraftung der Selektionslehre auch besonders, wenn man ausSführiich aChenHm BCtraCht 2iCht' diC kh °ben bereits ausfuhrhch ause.nandergesetzt habe. Erstens den hoffnungs- rSchr rdRder mimicrytheorie' die doch laut Weismann das scharfste Beweismaterial für diese Lehre liefern soll, und es dessen was damit zusammenhangt. Zweitens — ich be- ^ 6| f ere'ts auf S. 139 — den geringen Rest dessen Platf t T" Ve/teidiger des Darwinismus wie Prof. Dr.' era^htétJ Und Th 'VO" Selektlonsthe°rie für haltbar ïh ten TT f * Z' ^ S* '4° Sleichfalls ange- rten Umstand, dass jetzt auch dieser Verteidiger erklart me Lr ÜbliChC Ubertr« J'ener Lehre auf die menschhche Gesellschaft ganzlich verwerfen zu mussen. Denn d.ese Ubertragung als solche ist an und für sich keine Unwenn'g ZWeifelI°S eine logis<*e Notwendigkeit, bekenn^T/" , 7 ^ auf biol°g^hem Gebiete bekennt. Sie lasst sich also nicht schlankweg ableugnen ohne dass damlt auch die Richtigkeit jener angegriffen ware Was ble.bt, so betrachtet, wirklich denn noch von ihr übrig? Als ein merkwürdiges Beispiel für die Weise, wie' der rwinistische Glaube den Verstand wissenschaftlicher Manner kan?6"" 1° ^ ^ ^hen Richtung führen kann, fuge ich hier noch einige Worte an, die auf S der 4en u„d jen Auflage (1905) von Dr. August ForeS bekanntem Werke: „Die sexuelle Frage" vorkommen: „Aber auch der Kampf ums Dasein und die natürliche uchtwahl sind unbedingt feststehende Tatsachen. Man braucht eigentlich in der Natur nur die Augen aufzumachen und genau zu beobachten, um sie allenthalben zu finden lies fnsst einander oder wenigstens rauft miteinander in der selbst',eSb H 16 ,PflanZen' W'e dk Tlere' und Tiere Pflal' L?rt "^.Wasser, fas, von ilc,cii- i^ass aabei die am weniesten Geeigneten auss,e,bc„ und die fa, den Kampf am bLen ausgerüsteten am ehesten am Leben bleiben, ïst eigentncn selbstverstandlich und ich kann die heutigen Verachter ÜARWINS nicht begreifen, die auf einmal, durch neue Suggestionen blind gemacht, diese Tatsachsn nicht mehr sehen". Mit einem blossen „die Augen aufmachen" und mehr oder weniger genau „beobachten", darf sich jedoch ein wissenschaftlicher Untersucher nicht zufrieden geben. Er weiss doch dass der Schein oft betrügt und dass aus solchen Wahrnehmungen an sich noch kein Naturgesetz wie der „Kampf ums Dasein" hervorgehen kann, sondern dass, um zu dieser Schlussfolgerung zu kommen, eine auf logischer Vergleichung beruhende Verstandestatigkeit vonnöten ist. Wird eine solche hier angewandt, so kommt man, wie ich es schon in M.S.D. darlegte, zu einer andern Aufïfassung. Und „selbstverstandlich" ist dem wissenschartlichen Forscher auch nichts; dieser fordert Beweis. Der letzte Satz jedoch erklart alles und weist auf das Vorhandensein einer alten Suggestion hin, die zu einem Glauben geworden ist, und die — im folgenden Abschnitt hofife ich dies noch weiter auszuführen — mit der freien Verstandestatigkeit, ohne die sich keine Naturforschung denken lasst, nicht zu vereinbaren ist. die tierseele. Das geistige Vermogen der Tiere ist ein wichtiger Gegenstand meiner Erörterung gewesen. Wird doch vieles was be. den niedern Tieren sonst ausserst dunkel erscheint 'meines Krachtens, bei einer richtigeren Auffassung dieses Punktes als wie man sie gemeinhin antrifft, erklarlich. Besonders deutze'gte sich dies bei einigen der unerklarlichsten sogenannten Mimicryerscheinungen der Insekten, die ich einem suggestiven Einflusse zuschreiben zu müssen mich genötigt sah, wie ich dies vor allem im Abschnit XI von m s d auseinandergesetzt habe. Denn dazu muss doch notwendigerweise eine Psyche der Tiere angenommen werden die so sehr sie ,m ubngen ihrer Entwicklung nach in vieler Hinsicht relativ von der der Menschen verschieden sein möge qualitativ nicht von letzterer verschieden sein kann. Nur dann lasst sich die Wirkung suggestiver Einflüsse, ganz wie wir dies bei dem Menschen beobachten, auch bei Tiere verstehen. Nimmt man dies einmal an, so ist die Grosse oder Organisation eines Tieres weiterhin von untergeordneter Beentüng. Sind doch die psychischen Krafte der kleinen Ameisen grade die hochstentwickelten aus der ganzen Tierwelt und stehen denen der Menschen am nachsten. Dies ist mein Stand- ?Uin rl Ta Prolégomènes meiner obenerwahnten letzten Schrift findet man denselben denn auch so dargestellt und 111 den Vordergrund gerückt. Da jedoch meine diesbezüCTjjche Me,nung ma„cher Hmsicht sich von den he.rschenden uflassungen mehr oder «eniger unterscheidet, und, wie wir derartig' -»• de, - a ™ v.illlgci augar ajs ganz unwissenschaftljch scheint, glaube ich sie hier noch einmal naher darlegen zu müssen. Wenn es für mich nun auch wenig Anziehendes hat, so zum dritten Male einundselben Gegner zu widerlegen, so glaube ich doch dabei keinen bessern Weg einschlagen zu können, als dass ich die vor kurzem erschienene dritte Auflage einer Arbeit Herrn Erich wasmanns ') meinen Betrachtungen zugrunde lege. Denn dieses Werk stellt nicht nur die neueste Behandlung jener Frage dar, sondern es ist auch sehr ausführlich; da man eine grosse Anzahl von Schriften darin erwahnt und erörtert findet, verschafift es eine ausserst bequeme Übersicht und gewahrt nebenbei den Vorzug durch blossen Hinweis auf diese Quelle meiner Arbeit eine ganze Reihe von umstandlichen Wiederholungen zu ersparen. Endlich ermöglicht es mir die in demselben von dem Verfasser geübte Kritrik, haufig die meinige in der Form irgendeiner Erganzung oder Beurteilung derselben kurz zusammenzufassen. Übrigens ist dieses Werk nicht so hoch zu bewerten, als viele es tun. Ja sein Gewicht kann sogar in der heutigen Wissenschaft nur gering angeschlagen werden, jetzt, da der Verfasser in seinem auf S. 30 schon erwahnten und seitdem erschienenen Werke seinen allerdings nie verleugneten Standpunkt so unumwunden dargelegt hat, dass er sich damit demjenigen, dem dieser noch nicht klar war, sozusagen entlarvt hat. Er zeigt sich auch hier wieder, gerade wie ich es oben schon angedeutet habe, als einen überaus fleissigen und klaren Sammler und Bearbeiter dessen, was andere auf diesem Gebiete hervorgebracht haben, der zudem auf umfassende eigene Beobachtung auf einem besonderen Teil dieses Gebietes hinweisen kann, der jedoch an eignen Ideen sehr arm ist. Fehlt ihm doch die freie und deshalb höhere Verstandestatigkeit, die Vorbedingung der Entwicklung jener Ideen, da sein Denkvermogen noch in dem unzerbrechlichen Banne seines religiösen Glaubens steht. Es steht auch hier für ihn von vornherein fest: was irgend die Naturforschung uns auch lehren moge, nur das, was sich mit der Lehre der katholischen Kirche vertragt, kann wahr sein; alles muss 1) Instinkt und Intelligenz im Tierreich. Freiburg im Breisgau, 1905. derselben also angepasst werden. Es kommt also für ihn nur darauf an, zu seinem auch oben erwahnten Schlusse zu kommen, dass die tierische und die menschliche Psyche durch eine Kluft von unüberbrückbarer Weite getrennt seien. Denn so will es jene Lehre. Dadurch wird aber nicht nur eine unparteiische, ehrliche Naturforschung unmöglich, sondern wird Herr W. um der beabsichtigten Auffassung zum Siege zu verhelfen, zu allerhand künstlichen Schlussfolgerungen nnd Praktiken geführt, die in der Tat mit der Ehrlichkeit im Widerspruch sind, obgleich die Ansichten, die durch seine besondere Erziehung seinen Geist beherrschen, ihm vermutlich nicht erlauben werden, dies als richtig anzuerkennen. Am besten tut der wissenschaftliche Beurteiler seines Werkes daran, ihm genau denselben Massstab anzulegen, nach dem er selbst von seinem Standpunkte aus die Resultate der Naturforschung zu beurteilen pflegt. Nur insoweit kann man seinen Ausführungen Wert beilegen, als sie, ohne die genannte religiöse Auffassung in Betracht zu ziehen, sich als richtig erweisen. Nur dann könnte seine nicht unter irgendeinem fremden Einfluss stehende Behandlung des Stoffes, infolge seiner Kenntnisse, als in der Tat ebenso richtig wie bedeutend gelten. Jene oben erwahnte Beschranktheit tritt nun hier auf merkwürdige Weise zutage. Die katholische Kirche muss notwendigerweise in dem Menschen ein zwar mit dem Körper aufs engste verbundenes, aber doch selbstandiges, psychisches Element, eine Seele statuieren, und ist also in dieser Hinsicht durchaus im Widerspruch mit der jetzt auf dem Gebiete der Psychologie und Biologie sich stark hervordrangenden physiologisch-psychologischen Richtung, die besonders in der Einseitigkeit der Psychiater wurzelt und z. B. in Dr. Forel einen eifrigen Vorkampfer gefunden hat. Sie betrachtet alle psychischen Erscheinungen bloss vom physiologischen Standpunkt, als die Folge materielier Gehirntatigkeiten. Diese Richtung nun — wenn sie auch, wie W. behauptet, philosophisch schon alteren Ursprungs sein mag — ist, wie sie jetzt in der Wissenschaft auftritt, zweifelsohne in der materiellen, mechanischen Auffassung der Lebenserscheinungen begründet, die den Darwinismus kennzeichnet und dort sich in der Selektionslehre aussert. Auf diese stützt sie sich; mit ihr steht und fallt sie also auch. Wer irgend also Anhanger der darwinistischen Lehre und — da ja dieselbc, wie wir sahen, für nicht wenige zu einer Art wissenschaftlicher Religion wurde — in dem festen Glauben an sie verhartet ist, muss sich auch zu jener psychiatrischen Richtung bekennen. Wer jedoch aus dem Banne des Darwinismus befreit, die Lebenserscheinungen vorurteilslos studiert, wird zu dem Schlusse kommen mussen, dass dieselben sich nicht auf jene mechanische Weise allein erklaren lassen, sondern auch die Annahme einer besondern psychischen Wirkung dazu erforderlich wird. Eine solche entspricht u. a. der Auffassung der nachher, wo ich den Vitalismus besprechen werde, ausführlicher zu behandelnden Gelehrten auf diesem Gebiete, Prof. Dr. S. reinke, Dr. H. Driesch, Prof. Dr. A. Pauly und noch vieler anderer. Aus demselben Grunde konnte ich auch schon in M. S. D. die darwinistische Ansicht nicht teilen und habe ich denn auch in meinen bereits erwahnten Études jene physiologische Psychologie ausdrücklich geleugnet. Alle diese Gegner jener Richtung finden nun also auch W. als ihren Mitkampfer, obschon er gewiss durch einen ganz andern Drang religiöser Art dazu getrieben wird. So ist, weil sie hier namlich nicht allein auf jener religiösen Auffassung beruht, nun auch die in W.' Werk enthaltene Kritik jener Richtung ebenso richtig, wie bedeutend. Das wissenschaftlich Unhaltbare jener Richtung, namentlich auch die irrtiimliche Verquickung des Kausalgesetzes mit dem herrschenden mechanischen Energiegesetze, die kennzeichnend für dieselbe ist, werden in seinem genannten Werke ebenso ausführlich wie klar auseinandergesetzt. Dies fand seitdem in den so bedeutenden Entdeckungen über früher nie geahnte riesige Quelleu latenter Energie eine überaus kraftige Stütze, wenn auch ganz andrer Art, als W. erwartet haben dürfte. Sowohl durch diese, wie auch durch die von obengenannten Gelehrten dagegen angeführten Gründe, ist nun die betreffende monistische Richtung für mich als ein überwundener Standpunkt erwiesen. Ich halte es darum für vollkommen überflüssig auf dieselbe noch weiter einzugehen und also alle gegen sie erhobenen Einwande noch einmal abzuschreiben. Wenn man die Schriften jener Psychologen, z. B. die Dr. FüRELS, liest, so stösst man nur auf einen Schwarm dem Gebiete der Nervenpsychologie angehörender Ausdrücke, wie Kreuzung oder Abschliessung von Nervenbahnen oder Nervenströmen, Reflexe von Denkprozessen im Gehirn, Ausstrahlungen, Derivate und dergleichen, die als wahre Schlagwörter vorgebracht werden, aber man findet keine Spur von irgendeiner klaren Vorstellung der geistigen Funktionen. Es zeigt sich daran deutlich, dass diesen Leuten die psychische Tatigkeit volkommen unklar ist und sie begnügen sich denn auch mit der erwahnten Phraseologie, gerade in derselben Weise wie dieses auf mystischem Gebiete durch die religiös Glaubigen geschieht, auf deren Beschranktheit sie selbst meistens schimpfen. Denn, da bei beiden der Glaube die Verstandestatigkeit hemmt, erscheint diesen darwinistisch-wissenschaftlichen Glaubigen all dieses Unklare und Unverstandliche gerade als das Kennzeichen tiefsinniger, wissenschaftlicher Wahrheit, wie der religiös Glaubende in dem Unfasslichen der mystischen Lehrsatze gerade das Merkmal ihrer übernattirlichen Art sieht. In hohem Masse ist denn auch bei dieser Psychologie, mit welcher Ostentation sie sich auch als wissenschaftlich aufspielen möchte, das zu beobachten, was — wie ich noch spater naher auseinandersetzen werde — auch für die biologischen Studiën so bezeichnend ist, das unbesorgte Fortfahren ohne sich um eine ernste Beweisführung für die grundlegenden Satze zu kommern, ohne die doch keine wirklich wissenschaftliche Behandlung sich denken lasst. Dass zwischen den psychischen und den physischen Erscheinungen, die sich in den Organismen wahrnehmen lassen, ein enger Zusammenhang besteht, lasst sich zweifelsohne beweisen; daraus ergiebt sich jedoch noch nicht beider Identitat. Im Gegenteil, ich halte es, ohne in irgend eine transcendentale Betrachtung zu verfallen, für die wissenschaftlich am besten begründete Auffassung, das Vorhandensein eines selbststandigen psychischen Elements anzuerkennen, das als ein sehr bedeutsamer Faktor bei der Entstehung der Lebens- erscheinungen auftritt. Von diesem Standpunkt aus beurteile ich alles Einschlagige. Unter dieser Voraussetzung kann jedoch die Annahme der Wirksamkeit jenes Elementes nicht auf den Menschen beschrankt bleiben, sondern man muss sie auch notwendigerweise — um von den Pflanzen vorlaufig nicht zu reden — auch auf die Tiere ausdehnen. Auch W. gibt dies zu; er erkennt auch eine Tierseele an; aber denn erliebt sich die Frage: ist nun dieses Element bei Tier und Mensch derselben Art, nur quantitativ verschieden, nach dem Grade ihrer Entwicklung, oder auch qualitativ, nach ihrem Wesen? Die Beantwortung der Frage im ersten Sinne liegt gewiss am nachsten; vom religiösen Standpunkt Wasmanns ist sie jedoch durchaus unannehmbar. Jene göttliche Seele mit ihrer hohen Bestimmung kann unmöglich auch nur dem entwickeltestcn Tier eigen sein. Die Religionslehre beschrankt sie denn auch ausdrücklich auf den Menschen. Dennoch kann auch W. nicht leugnen, dass die menschliche Psyche unwidersprechlich vieles mit jener der Tiere gemein hat. Es wird also ihm zur Aufgabe die Grenzen festzustellen, die beide psychisch voneinander trennen. Diesem Zweck ist denn auch ein grosser Teil seiner genannten Arbeit gewidmet. Die Ausführung desselben geht also, wie es wohl nicht anders sein kann, von dem a priori als feststehend angenommenen Standpunkt aus, dass dieser Unterschied bestehe und bestehen miisse. Sie besitzt also nicht den unparteïschen Charakter, der eine wirklich wissenschaftliche Untersuchung kennzeichnet und die für sie unentbehrlich ist, soll sie einen Wert besitzen. Will man hier den wirklich wissenschaftlichen Weg verfolgen, so muss man selbstverstandlich zu einer gewissenhaften Vergleichung zwischen der menschlichen und der tierischen Psyche übergehen, wie sich diese in ihren Ausserungen beobachten lassen. Nur auf solche Weise lasst sich die Frage, ob ein Unterschied existiere oder nicht, entscheiden; in dem Sinne jedoch, dass man auch der Möglichkeit bloss gradueller Unterschiede Rechnung trage. Wo wirklich Unterschiede relativer Art angetroffen werden, weist dies ja noch keineswegs auf das Vorhandensein eines qualitativen Unterschieds hin. Es ist jedoch nicht zu leugnen, ich werde spater darauf noch im besondern zurückkommen, dass der Ausdruck Evolution bei den Anhangern der Biologie zwar wohl viel gebraucht und zur Not auch als Schlagwort angewandt wird, dass jedoch der Forderung, alle Lebenserscheinungen immer aus einem wirklich evolutionistischen Standpunkte betrachten zu mussen, bei ihnen meistens in vielen Punkten noch nicht entsprochen wird. Dennoch können jene ohne denselben unmöglich verstanden werden. Dies geht auch hieraus hervor; nur wenige der vielen von W. in seinem Werke besprochenen biologischen Schriftsteller tragen, was die Behandlung dieses Gegenstands betrifft, dem Evolutionsprinzip Rechnung, und wenn sie es tun, auch dann in einem meines Erachtens nicht genügenden Masse. Aber diesen wissenschaftlich einzig möglichen Weg schlagt W. natürlich nicht ein. Wo der Schluss der Beweisführung a priori feststehen muss, kann man eben denselben nicht von den ungewissen Resultaten einer ernsten Untersuchung abhangig sein lassen, sondern muss man seine Zuflucht zu eine Advokatenrede nehmen. So macht er es auch jetzt wieder und zieht dabei alles heran, was nach seiner Meinung seinem Zweck dienen könnte, ohne sich um den Wert der von ihm benutzten Mittel viel zu kümmern. Gerne sucht er dabei, da dies einen gewissen Schein von Wissenschaftlichkeit mit sich bringt, seine Stütze in der vergleichenden Psychologie, obgleich doch alle altere Psychologie von einem so beschrankten Standpunkt menschlicher Erkenntnis auf biologischem Gebiet ausgeht, dass sie sich jetzt nur noch in sehr geringen Masse für die wissenschaftliche Behandlung irgendeines Gegenstands auf diesem Gebiet eignet, und die neuere, die der Psychiater, ganz auf der rein physiologischen Grundlage beruht, die auch er selbst für falsch erklart. Nun muss notwendigerweise eine sich auf dergleichen Voraussetzungen gründende vergleichende Psychologie aller Bedeutnng entbehren, aber dessen ungeachtet wirft er jedesmal dem, der sich nicht um diese psychologischen Theorien KÜiïïinerl, Mangel an psychologischer Schulung vor. Von vornherein nimmt er weiter die landlaufige Meinung über das Vorhandensein zweier psychischer Formen als richtig an, die man als Instinkt und Intelligenz unterschcidct, und sondert er die Reflextatigkeiten als blosse Nervenmechanismen davon ab, weil diese nicht, wie die Instinkte, durch sinnliche Wahrnehmung und Empfindung geleitet würden und bei ihnen das psychische Element also fehle. Intelligenz definiert er dann als die Fahigkeit, die Beziehungen der Dinge zu einander zu erkennen und daraus Schliisse zu ziehen, und Instinkt als die erbliche, zweckmassige Anlage des sinnlichen Erkenntnis- und Begehrungsvermögens im Tiere. Den Instinkt teilt er weiter wieder in Instinkthandlungen im engern und im weitern Sinne. Erstere sind namlich die unmittelbar aus der ererbten Anlage des sinnlichen Erkenntnis* und Begehrungsvermögens entspringenden, letztere jene, die aus derselben erblichen Anlage durch Vermittlung der Sinneserfahrung des Tieres hervorgehen, und so sinnliche Vorstellungsassociationen entstehen lassen. Instinkt ist sowohl bei dem Menschen, wie bei dem Tiere vorhanden und tritt dann bei beiden als ein gewisses sinnliches Bewusstsein auf, das grosse Ahnlichkeit mit Intelligenz hat und sich mit derselben also leicht verwechseln lasst, und doch sich in seinem Ganzen von der eigentlichen Intelligenz unterscheidet, die ausschliesslich dem Menschen eigen ist und sich in einem geistigen Selbst- und Zweckbewusstsein ofifenbart. Mit der Verteidigung der in diesen Definitionen ausgedrückten Unterschiede meint er dann seine Sache gewinnen zu können. Wo sich gleichwohl noch Schwierigkeiten erheben, sucht er sie durch apodiktische Behauptungen zu beseitigen. Werden ihm Tatsachen entgegengehalten, so leugnet er sie einfach. So wird eine bedeutsame Mitteilung des Naturforschers, Geoffroy St. Hilaires, über den Verstand eines anthropomorphen Affen als vermutlich ungenügenden Beobachtungen entstammend bezeichnet, eine von Kolhe angeführte Tatsache als nicht ernst gemeint. In Bezug auf letztere, einen von einer Ameise ausgeübten Diebstahl, beschrankt er sich nicht einmal darauf eine falsche Auslegung der Tatsache anzunehmen, was in diesem Talie gewiss nicht unmoglich ware, sondern erklart er apodiktisch einen Diebstahl bei Ameisen für unmoglich, nicht nur, vveil so etwas weder von ihm noch von andern Myrmicologen je wahrgenommen ware, sondern auch weil dies per se ununmöglich und deshalb ein biologisches Unding ware. Dann würde man ja den Ameisen eine auf Überlegung beruhende Kenntnis von „Mein" und „Dein", von Eigentum und Pflicht zuschreiben mussen, und das ware rein menschliche Phantasie. Falie von Diebstahl sind jedoch auch bei Bienen, Vögeln und Hausdieren bekannt, und viele Wahrnemungen zeigen, dass einige Tiere das Unerlaubte desselben gewissermassen einsehen. Ungesellig lebende Raubtiere wie z. B. Katzen sind sich dessen gar nicht bewusst. Sie sind in dieser Hinsicht in der Tat geboren Diebe. Hunde sehen es allein insoweit ein, insofern sie wissen dass vermutlich Strafe die Folge davon sein wird. Sehr viele Diebe unter den Menschen stehen freilich auf demselben Standpunkt. Aber bei socialen Insekten und mehr oder weniger gesellig lebenden Vögeln scheint in der Tat auch das Bewusstsein, dass solche Handlungen dem Gesamtwohl, dem sozialen Interesse widersprechen, sehr deutlich vorhanden zu sein. Ich werde noch spater naher darauf zurückkommen. Die Diebstahle von Hunden und Katzen betreffen übrigens keine Gegenstande wie Nester oder Honig d. h. Produkte eigner Arbeit, in Bezug auf die sich der Begriff des Eigentums wohl früher entwickelt haben dürfte, als auf irgendein hier oder dort gefundenes* Fressen. Zu dem Verstandniss, dass letzteres sich anzueignen unerlaubt ware, dürfte wohl eine höhere geistige Entwicklung erforderlich sein, als sie noch bei irgendeinem Tiere anzunehmen ist. Unter den Menschen stehen Wilddiebe noch ungefahr auf demselben Standpunkt und nicht viel höher stehen viele Glieder auch der gebildeten Kreise, die sich nichts daraus machen, den Staat, d. h. die Gemeinschaft, durch Umgehung der Zollgebiihren zu bestehlen. Denn dass Tiere durchaus keine abstrakten Begriffe haben könnten, behauptet W. auch wohl, obgleich doch eine ernste Untersuchung das Gegenteil beweist. Als ein wahres Schlagwort hantiert er auch mit dem Vorwurf der Vermenschlichung des Tieres, obgleich er doch an andern Stellen zugeben muss, dass bis auf einen gewissen Grad sogar die psychischen tierischen Ausserungen sich sehr wohl durch Vergleichung mit den menschlichen erklaren lassen und ebenso auch aus den sichtbaren Ausserungen des tierischen Zusammenlebens auf die psychischen Fahigkeiten der Tiere zu schliessen erlaubt ist. Unrichtig und unwissenschaftlich ist auch die von ihm, namentlich was die Erklarung der Tierpsyche betrifft, hervorgehobene Behauptung Lloyd MoRGANS: „In keinem Falie dürfen wir eine Tatigkeit als die Wirkung einer höhern psychischen Fahigkeit deuten, wenn sie als die Wirkung einer niedern gedeutet werden kann". Jede doktrinare, a prioristische Aufstellung, wie immer sie auch lauten möge, ist unwissenschaftlich und im Widerspruch mit der Freiheit der Untersuchung. Ob jene landlaufige Unterscheidung zwischen Intelligenz und Instinkt nun wohl richtig ist, untersucht w. jedoch nicht. Wenn sie namlich nicht richtig ware, so würde man beide psychischen Zustande nur für verschiedene Ausserungsformen einunddesselben psychischen Elements halten müssen, und sie dann auch wohl als verschiedene Entwicklungsstufen zu betrachten genötigt sein, die als solche ineinanderfliessen. In Erwagung dessen jedoch, dass, was nach w. unter Intelligenz verstanden werden muss, unantastbar ist, kann dies nicht angenommen werden. Wo ein solches Verfahren jedoch allzu schwierig wird, muss seine Erfindung einer höhern Instinktskategorie Hilfe schaffen, die beide Zustande einigermassen wie die Bander um die Gelenke zweier Knochen zusammenhalt und somit den Tieren ein gewisses Mass von Verstand zuerkennt, wodurch sich also eine bisweilen allzu handgreifliche Übereinstimmung zwischen geistigen Handlungen von Menschen und Tieren auch erklaren lasst. Gewiss eine hübsche Erfindung, die jedoch unglücklicherweise auf reiner Phantasie berüht! Nach unten hin bietet das Zusammenfliessen des Instinktes für den wasmannschen Standpunkt nicht eine so grosse Gefahr, und dass Instinkte und Reflexe in einander übergehen, findet er deshalb wohl annehmbar. Nur nennt er dies hier kein Zusammenfliessen, sondern erklart, die moderne Naturforschung — d. h. also die übrigens von ihm so bekampfte physiologische Psychologie — habe gezeigt, dass die instinktiven Tatigkeiten des Tieres (wie 17 7 des Menschen) grossenteils an physiologische Reflexe anknüpften, wobei dan aber die zweckmassige Tatigkeit, d. h. das psychische Element des Instinktes, erst nach der Auflösung der physiologischen Reflextatigkeit hinzutritt. So entgeht er dann der evolutiven Erklarung, denn, wenn er auf diese einginge, so würde auch die Menschenseele einfach als aus der Tierseele hervorgegangen angenommen werden mussen, und das ist von seinem Standpunkt a priori unmöglich. „Denn der Mensch", erklart er apodiktisch, „ist das einzige geistige Wesen in der ganzen Natur, wahrend die Tiere bloss Sinneswesen sind". Dies ware dann aber durch die Angabe einer deutlichen Grenze zwischen beiden und nicht bloss durch die Annahme irgendeiner Definition zu beweisen, umsomehr, da die hohe Bedeutung dieser Frage eine sehr gewissenhafte Untersuchung und schlagende Belege erfordert. Ich glaube jedoch nicht, dass dies Herrn W. auch nur annaherungsweise gelungen ist. Bei der Betatigung des psychischen Elements kann man deutlich zwei Richtungen erkennen, die sich als die des Verstandes- und die des Empfindungslebens unterscheiden lassen. Wo man nun Erscheinungen antrifift, in denen sich die erste jener Richtungen offenbart, lasst es sich leicht erkennen, dass in derselben die genannte psychische Tatigkeit keineswegs immer denselben Charakter tragt, sondern das eine Mal klarer mit gewisser Freiheit und oftenbar als eine höhere auftritt, das andere Mal niederer Natur ist, sich durch geringere Klarheit kennzeichnet und unleugbar unter einem gewissen natürlichen Zwange stattfindet. Man unterscheidet dies als Verstand und Instinkt. Bei einer tiefer gehenden Untersuchung wird man weiter bemerken, dass die Tatigkeit des Verstandes überdies aus der einer grossen Anzahl von verschiedenen Vermogen zusammengesetzt ist, von denen eines mehr entwickelt ist, als das andere. Und vergleicht man dann die Menschen unter diesem Gesichtswinkel mit einander, so zeigt sich auch noch, dass, da die Entwicklung eines jeden Individuums selbstandig ist, auch die eines jeden der erwahnten Vermogen bei jedem Einzeiwesen verschieden ist. Wahrend, was den Instinkt betrifft, dieser ebenfalls bei den verschiedenen Einzelwesen verschiedenen Zielen entgegenstrebt und also auch viele dergleichen Vermogen enthalt, die auch wieder bei den Einzelwesen nicht gleich stark entwickelt sind. Man vergegenwartige sich einmal in wie verschiedenem Grade die Kraft des mütterlichen Instinktes sich bei den verschiedenen Frauen aussert. Aber obendrein zeigt uns eine solche genauere Betrachtung, dass, wenn einigc jener mstinktiven Vermogen sich sehr stark entwickeln, sie denn auch in dem Masse den Charakter der freieren, höheren Funktionen annehmen, dass sie offenbar mit densélben zusammenfliessen und als davon verschiedene niimlich als sinniche Vorstellungsassociationen, nicht mehr zu erkennen sind. In meinen bereits erwahnten Études behandelte ich denselben Gegenstand, und führte als Beispiel dafür die Liebe an, die doch unleugbar ursprünglich sogar bloss reflexiver Natur, bei gering entwickelten Menschen auch noch bloss instinktiv auftntt, und, wie man sagt, rein materiell ist, sich bei anderen jedoch hoher entwickelt und zwar so sehr, dass sieeinen hohen morahschen Charakter erlangt, der ganz den höhern Funktionen entspricht und auf diese Weise sogar zu rein geistiger Liebe aufsteigen kann. Denn nur auf diese Weise, durch allmahliche Entwicklung, lasst sich ein so grosser Unterschied in Ausserung dessen, was doch dem Wesen nach dasselbe ist, verstellen. Steht man auf dem erwahnten phychiatrischen Standpunkt, der psychische Ausserungen nur als Gehirntatigkeiten betrachtet, so muss man sich hier, wie Dr. Forel, nut Phrasen wie: „Derivate der sexuellen Anziehungsgefühle,' Derivate des Sexuellebens, oder Ausstrahlungen der sexuellen Liebe ïm Seelenleben" zufriedenstellen, die Sache selbst aber vüllig im Dunkeln lassen. Derivate und Ausstrahlungen vertreten keine hohern Standpunkte der Entwicklung desjenigen, von dem sie ausgehen. Weiter lehrt dieselbe Studie noch, was, wie wir bereits sahen, auch von W. zugegeben wird[ dass die niedern instinktiven Funktionen gleichfalls wieder mit den Reflexerscheinungen zusammenfliessen und dass also auch diese wohl insofern zu dem psychischen Gebictc gcrechnet werden miissen, jedoch hier auf der untersten Stufe stehen. Demzufolge gehen jene drei Formen psychischer Betatigung, die unter den Namen Reflex, Instinkt und Verstand bekannt sind, tatsachlich evolutiv ineinander über, wenn sie sich bei einer oberflachlichen Betrachtung auch leicht unterscheiden lassen. Der Instinkt ist denn auch in der Tat, wie Romanes ihn definiert: reflexaction into which is imported the element of consciousness, wenn man wenigstens nicht, wie auch dieser Naturforscher tut, unter consciousness Verstand und Bewustsein miteinander verwechselt. Wir können ihn sehr gut kennen lernen aus der für uns leicht verstandliche Form, in welcher derselbe sich bei dem Menschen auf abstraktem Gebiet darstellt; namlich in der des Glaubens. Denn Glaube ist keineswegs, wie man vielfach wohl meint, etwas anderes als Verstand oder sogar ein diesem entgegengesetztes Vermogen, sondern nur eine niedrigere Entwicklungsstufe desselben, wobei es sich erst gering ausgebildet hat, obgleich doch schon erheblich mehr als in dem Reflexzustand. Mangel an Freiheit ist es, was den Verstand auf dieser Entwicklungsstufe gegenüber der höheren kennzeichnet. Es ofïfenbart sich in dem Glauben darin, dass, wahrend in dem eigentlichen Verstand das Wissen immer auf Beweisgründen beruht — abgesehen davon ob sie wirklich richtig sind — das Wissen in dem Glauben deren nicht braucht, sondern auf Autoritat beruht, d. h. auf einem gewissem festen psychischen Zwange. Da nun der Glaubige mit seinem noch nicht höher entwickelten Verstand denkt, kann er jedoch selbst die Unvollstandigkeit seiner Verstandestatigkeit nicht einsehen. Ihm selbst kommt dieses glaubende Wissen also ebensogut als beweiskraftig vor als das wirkliche. Man vergesse hierbei jedoch nicht, dass bei dem ungleichen Gang, der stets das Wesen der Evolution kennzeichnet, bei derselben Person das geistige Vermogen in gewissen Punkten sich schon zu einem freien Wissen entwickelt haben kann, wahrend es sich in andern Punkten noch immer in der Glaubensperiode befindet. Nirgends tritt dies deutlicher zu tage, als bei dem, was sich jetzt katholische und bei den ultradogmatischen Protestanten, wenigstens in Holland, christliche Wissenschaft nennt, worunter die Wissenschaft verstanden wird, insofern sie nicht mit der römischc Kirchcnlehre oder protcstantischcn Dogmatik im Widerspruch ist. Eigentlich kann eine derartige Auffassung den Namen Wissenschaft nicht beanspruchen. Ist doch das erste Erfordernis einer solchen eine völlige Freiheit der Untersuchung. Wo sie dabei teilweise an Fesseln liegt, entbehrt sie geradezu des wissenschaftlichen Charakters. Diese Unfreiheit nun ist keine andere als die des sich auf diese Weise aussernden Glaubens, wo dieser noch nicht den freien Verstandesstandpunkt, welcher der Wissenschaft eigen ist, erreichen kann. Darum können denn auch, wie gesagt, Glaubige diesen Unterschied nicht einsehen und halten sie die Dogmatik für eine wahre Wissenschaft. Sodass in diesem Falie bei demselben Menschen auch beide Entwicklungsstufen nebeneinander erreicht sein können, unter der Bedingung, dass jeder sich auf einen andern Gegenstand beziehe. Bezüglich desselben Punktes kann z. B. nicht zugleicherzcit katholische und eigentliche Wissenschaft, ebensowenig wie Glaube und Verstand zusammengehen. Auf diese Weise wird auch das Wesen des Instinktes klar als ein noch grosstenteils unfreier Verstandeszustand auf konkretem Gebiet, der jedoch in einigen Punkten schon höher entwickelt sein kann und dann insofern in der Tat mit dem freien Verstand zusammengeflossen ist. So besteht also zwischen Verstand und Instinkt keine feste Grenze, sondern beide unterscheiden sich nur stufenweise in der Entwicklung, und letzerer geht allmahlich in den erstern über. In dem Umstand, dass dabei Bewusstsein vorhanden ist, kann diese Grenze nicht liegen. Ist es doch völlig im Widerspruch mit der Wahrnehmung, was W. es als eine Tatsache der wissenschaftlichen Psychologie darstellt, dass in dem Menschen zwei grosse Hauptgruppen psychischer Vorgange stattfanden unbewusst zweckmassige und bewusst zweckmassige, oder instinktive und intelligente, zwischen denen also das Vorhandensein des Bewusstseins die Grenze angabe. Denn ebensowie es ein gewöhnlicher Irrbegriff ist, wie wir ihn oben auf S. 259 bei Herrn RoMANES feststellten, das Bewusstsein mit dem Verstande zu identifizieren oder ersteres das Vermogen zum Denken zu nennen, ist es auch grundfalsch, dieses, wie es einige immer, oder, wie es W. bisweilen tut, für mit der Verstandestatigkeit fest verbunden zu halten. Das Bewusstsein tritt sowohl in dem Verstandes- wie in dem Empfindungsleben durchaus nicht immer, sondern nur unter bestimmten Bedingungen auf, deren Art uns noch unklar ist. Sehr hohe geistige Funktionen werden bisweilen auch in einem Zustand der Unbewusstheit verrichtet. So erwahnt Prof. Pauly auf S. 253 seines naher zu besprechenden Werkes einen interessanten Fall. Nimmt man nun mit mir von dem Standpunkt des Vitalismus an, dass die Bildung der so kunstvollen innern Organe der Menschen durch Intelligenz geleitet sein muss, und dass dieselbe auch deren Funktionen beherrscht, so findet nian dort ein weites Feld geistiger Tatigkeit, wovon sich nur ausserst wenig mit Bewusstheit paart. Rein physische Verrichtungen, wie z. B. das Lassen des Urins, werden dahingegen mit Bewusstsein verrichtet, und dies sogar nicht nur bei dem Menschen, sondern auch zweifelsohnc bei einigen Tieren, wie z. B. der Katze. Auch tritt dort bisweilen das Bewusstsein im Verein mit dem Verstande auf. I4 indet doch die fakale Fntlastung bei niedern Tieren höchstwahrscheinlich unbewusst statt, bei dem Menschen ist dies nicht nur nicht der Fall, sondern wird der Verstand durch das Bewusstsein in den Stand gesetzt, bei dieser Verrichtung mitzuarbeiten und sie sogar an bestimmte Zciten zu binden. Auch der Haushund, wenigstens der Stubenhund, hat dieses Vermogen entwickelt. In noch starkerm Masse zeigt sich diese gcnieinschaftlichc Tatigkeit des Bcwusstseins und des Verstandes darin, dass, obgleich dem unwissenden Menschen, wie dem Tiere, bei Krankheit in irgendeinem innern Organe nur der dadurch verursachte Schmerz zum Bewusstsein kommt, der mit der Anatomie seines Körpers und der Funktion seiner innern Organe bekannte Arzt, durch solchen Schmerz geleitet, entdecken kann, welches Organ angegriffen ist, und auf welche Weise dessen Funtionen gestort worden sind, sodass in Wirklichkeit seine geistige Kenntnis sich mit seinem Bewusstsein in dieser Hinsicht vereint. Was das Empfindungsleben bctrifft, tragen 2. B. viele Tatsachen der Mutterliebe vollkommen den Charakter physischer dem Generationsleben angehörender Erscheinungen, die durch das Hinzutreten des Bevvusstseins zu grösserer Klarheit und zu psychischem Ausdruck kommen. Die psychische Tatigkeit besteht ofïfenbar aus einer Menge einzelner Funktionen oder Seelenkraften. In meinen schon erwahnten Prolégomcnes habe ich gemeint diese für sich und nach ihren Verbindungen vergleichen zu dürfen mit den in den Keimzellen enthaltenen zahlreichen und sehr verschiedenartigen Eigenschaften der Eltern. Zudem stellen sich jene Seelenkrafte als in gewissen Bündeln von gleicher Richtung vereinigt dar; als derartige Bundel betrachten wir, was wir das Verstandes- und das" Empfindungsleben ncnnen. Das Bewusstsein stellt sich uns nun dar als ein Zustand gcistiger Erhellung, die neben dem Verstandes- und dem Empfindungsleben in der Psyche auftretcn und bisweilen eng damit verbunden sein kann, jedoch nicht notwendigerweise und ebensowenig immer in gleich starkem Masse damit verkniipft ist. Es ist also eine gewisse Selbstandigkeit daran eigen. Weiter tragt es offenbar gerade wie das Verstandesund Empfindungsleben deutlich einen evolutionellen Charakter an sich. Veranlassen doch schon Handlungen der Protozoen uns dazu, sogar bei diesen primitiven Tierchen ein gewisses Gefühl einer selbstandigen Existenz und also eine elementare Form des Bewusstseins anzunehmen. Bei höheren Tieren sieht man, wie dieses Gefühl kraftiger wird und bei dem Menschen erreicht es eine noch viel höhere Entwicklungsstufe. Wenn ich nun Obiges zusammenfasse, so erscheint es mir am Annehmbarsten, in dem Bewusstsein eine besondere psychische Function zu sehen und zwar eine solche, die der vielleicht altesten der Seelenkrafte sehr verwandt ist, dem sowohl bei dem Verstandes-, wie bei dem Empfindungsleben auftretenden Erinnerungsvermögen, daraus also vielleicht difïferenziert ist. Denn recht betrachtet ist das Bewusstsein doch für die Gegenwart dasselbe wie jenes Vermogen für die Vergangenheit, wie es denn auch in der Unbestandigkeit seiner Erscheinung eine grosse Ahnlichkeit mit diesem Vermogen zeigt. Es kann gleichfalls, wo die Psyche künstlich zu einer altern Entwicklungsstufe zurückgedrangt wird ') im Zusammcnhang mit diescm auftreten (Unterbewusstsein) und fliesst dann mit dem Erinnerungsvermögen zusammen. So vermag es auch ebensowenig wie dieses Vermogen mit der Verstandestatigkeit gleichen Schritt zu halten, wenn diese sehr rasch vor sich gelit. Man sieht dies z. B. in der Fechtkunst, bei der aus einer einzigen Bewegung der Gegenpartei deren Absicht erkannt wird und die Bewegungen berechnet werden, die den Angriff parieren und ihn mit einer unmittelbaren Riposte beantworten können. Ebenso werden die schnellen Fingerbewegungen beim KlavierspieJ wohl auch durch den Verstand geleitet, aber bleiben doch die raschen, dazu erforderlichen, einzelnen Verstandesfunktionen, eine jede für sich, ebenso unbewusst, wie die Zusammenziehungen welche z. B. den Blutsumlauf bestimmen; man kann sich dieser Bewegungen ebensowenig erinnern. Dennoch geschieht die Handlung als Ganzes mit Bewusstsein. Letzeres ist also nicht imstande, der Verstandestatigkeit zu folgen. Ich halte es darum für sehr wahrscheinlich, dass das Bewustsein sich aus dem Erinnerungsvermögen entwickelt habe und als eine evolutionell fortgeschrittene Difterenzierung des letzteren betrachtet werden miisse. Wen wir sehen, dass bei dem erwachsenen Menschen der bewusste Verstand weit kraftiger entwickelt ist als bei dem Kinde, andrerseits aber das Gedachtnis offenbar geschwacht ist, sodass z. B. das Gelesene wohl besser verstanden, aber nicht mehr so gut und leicht auswendig gelernt wird, so erinnert dies doch an die Verdriingung der altern Form durch eine neuere, 1) In meinen obenerwahnten Études habe ich diese meine Auiïassung des suggestiven Zustandes auseinandergesetzt. Es geht dann auf psychischem Geblete, meiner Ansicht nach, ahnliches dem vor, was in den auf Sn. 194 — 196 ff. erorterten Experimenten von Dr. E. Fisciier und andern auf physischem (■cbiete stattfindet, wenn durch künstliche TemperatureinflUsse alte Evolutionsperioden der Korm oder Farbe in die Entwicklung der Schmetterlinge zum wicderautleben gebracht werden. Das ist um so wichtiger, da ja — worauf ich noch zurückomme — von vitalistischem Standpunkt betrachtet, durch diese Einflusse in der Tat psychische Wirkungen liervorgerufen werden, die jene Storungen in der Entwicklung verursachen. was auf physischem Gebiete eine sehr bckanntc Erscheinung ist, aber sich doch auch auf dem psychischen bcobachtcn lasst, z. B. wenn die alteruistischc Richtung die egoistische, der sie entsprossen ist, zurückdrangt. Auch eine Vergleichung der Psychen ergiebt deutlich die Tatsache, dass dieselben unter sich evolutionell verschieden sind, namlich die von Menschen aus den höchst entwickeltcn und die von Personen aus den weniger gebildeten Kreisen. Man findet dann die höhern psychischen Funktionen im allgemeinen bei erstern erheblich starker entwickelt als in der zweiten Kategorie. Vergleicht man weiter an der Hand der Völkerkunde solche hoch entwickelten Psychen mit denen der niedrigsten Menschenrassen, so sieht man, dass bei letzteren jene hohen F unktionen noch mehr zurücktreten und daneben auf psychischem Gebiete das Instinktmassige bei weitem die Oberhand besitzt. Bei ganzen Vólkern gcht überdies dasselbe vor sich wie bei den Individuen. Bei jeder der höchst gebildeten Nationen sind so auch einige geistige oder moralische Eigenschaften höher entwickelt als bei andern und im allgemeinen stehen sie, was diese Eigenschaften anbelangt, hoch über den ungebildeten Vólkern. Nun wissen wir aber, dass auch die Voreltcrn der Völker, die jetzt am höchsten stehen, sich einst sogar auf einem niedrigeren geistigen Standpunkt befunden haben als jetzt noch die am niedrigst stehenden Wilden, und dass sie nur stufenweise zu ihrem jetzigen Standpunkt heraufgestiegen sind. So steht es denn wissenschaftlich fest, dass die Psyche des Menschen sich immer evolutionell fortgebildet hat, von dem Niedrigen fort zu dem Höhern hin, und nach der Ungleichheit und auch im übrigen ganz in der Weise, wie auch im Lauf der Zeiten die körperliche Bildung bekanntlich stattgefunden hat. Ferner miissen wir von wissenschaftlichem Standpunkt auch dafiir halten, dass jene psychischen Differenzen, die wir unter den obigen Benennungen andeuteten, zwischen denen wir jedoch keine festen Grenzen anzugeben wissen, nur soviele Stadiën einunddesselben psychischen Evolutionsprozesses sind, die, wie dies fur alle evolutionellen Veranderungen kennzeichnend ist, bei den Einzelwesen in der grössten Verschiedenheit zutage treten. Wenden wir uns jetzt zu den Tieren, wahrend wir die Pflanzen einstvveilen beiseite lassen. Schon bei den einfachsten einzelligen tierischen Wesen, die noch ohne die Spur eines Nervcnsystems sind, beobachten wir Verrichtungen, die eine intellektuelle und also psychische Funktion andeuten. Von diesen angefangen ist dies nun im ganzen Tierreich zu beobachten. Man sieht, wie jenes psychisches Element bei der stetigen körperlichen Evolution auch an Umfang und Klarheit zunimmt, sodass es bei höher entwickelten Tieren eine Höhe erreicht, die sich, was einige Vermogen betrifft, der Psyche des Menschen sehr nahe kommt und die der gering entwickelten Menschen bisweilen übertrifft. Ganz so sind ja auch in Bezug auf bestimmte sinnliche Vermogen, das Gesicht z. 1?. oder den Geruchssinn, viele 'I iere dem Menschen überlegen. Dieser Fortgang ist jedoch auch wieder ungleich, bei einer Tierart weit starker als bei der andern und beschrankt sich bei einer auf diese, bei andern wieder auf andre Vermogen. Er halt iiberdies durchaus nicht gleichen Schritt mit der körperlichen Entwicklung, sodass Wesen, die körperlich niedriger stehen als andere, sich psychisch auf einem höhern Standpunkt befinden können. Bei den wirbellosen, physisch ganz anders als die Wirbeltiere gebildeten und als solche sehr stark von letzteren abweichenden Ameisen hat jedoch die psychische Entwicklung einen gleichartigen Charakter und ist sie sogar weiter fortgeschritten als bei den höchsten Wirbeltieren. Auch kommen, um nun von den Insekten nicht einmal mehr zu reden, bei physisch wenig entwickelten Wirbeltieren z. B. bei Fischen, Ausserungen psychischer Art vor, die auf eine höhere psychische Entwicklung als die auf diesem Gebiete bei einigen Saugetieren wahrgenommene zu deuten scheinen. Auch was die gleichfalls hierzu gehörenden Kunstfertigkeit anbelangt, so stehen manche Fische, und vor allem auch Vogel, höher als die höchsten Saugetieren. Ja, sogar in Bezug auf das Organ, dessen Entwicklung nach der physiologischen Psychologie die der Psyche bestimmen sollte, teilt W. unter Berufung auf Edinger mit, dass die Hirnrinde bei den Vögeln schwacher entwickelt sei als bei den Reptilien, obgleich das E7 'Tï1" ïiel« »«r das de, Zt Ube?'®' Srde™ *• d» «tater» Saugetiere, deren H,„ruide doch e,»e viel vollkomme»e,e Entwfcklung Ta,li 7 T 3 ClSt' Ua2u stimmt Z"" e™»» ''te Jrh }e' r*u geiStlge VermöSen de* Menschen sogleich nach der Geburt und noch geraume Zeit darnach, durchaus n.cht auf einer gle.chen Entwicklungstufe steht wie der Körper obgle,ci dies bei vielen in geistiger Hinsicht weit nic-dr^ als der Mensch stehenden Tieren wohl der Fall ist; wahrend danach zwar jenes Vermogen neben dem Körper gewisser- massen in gleicher Weise zunimmt, jedoch, wo letzterer durrh A, k tiger ZU WCrden' ja' S°Sar dieser ren Alter schon stark geschwacht ist, nicht nur oft kraftie ble.bt, sondern noch immer in der Entwicklung fortschreitet. D.eses zeigt doch die Selbstandigkeit der Psyche, so sehr sie mi ubrigen auch mit dem Körper verbunden ist, deutlich an. K. H. Franck ) erwahnt auch, dass unleugbar psychische Verrichtungen bei troschen, Hunden und Tauben wahrgenom- men worden seien, deren Grosshirn vollkommen weggenommen worden war. Das ware doch höchst sonderbar, wenn in der lat das geistige Vermogen nichts als eine rein materielle und also körperliche Gehirntatigkeit ware oder sogar aus den oben genannten Ausstrahlungen oder Derivaten bestünde. Wir sehen also deutlich, dass das psychische Element auch bei den Tieren ein Bild evolutiven Fortgangs aufweist, ana- 8 dem' den in diescr Hinsicht die körperlichen Formen uns ze,gen, und mit ebenso grosser Ungleichmassigkeit, jedoch se s andig und nicht an jene gebunden, vor sich gehend. ie hochste Stufe der psychischen Entwicklung des Tieres Kommt dahcr der des Menschen bisweilen sehr nahe. In vie en 1 unkten tragen auch die psychischen Ausserungen ei er ganz denselben Charakter. Jedoch bleibt diese Gleichheit auf die niedern Ausserungen der menschlichen Psyche bescluankt, im übrigen gahnt dessen ungeachtet zwischen ei en eine weite Kluft. Der Grund dafür lasst sich jedoch lick- Hwdur VJta"S"'US 7"'3sc*scAaf'I'che Berechtigung? (NaturwhscmchaftWochmschnft, 20 Seft. ,9oj. Kleinere MUteilungen). ganz gut erkennen. Die Wahrnehmung der geistigen Vermogen des Menschen und all' dessen, was durch dieselben zustande gebracht worden ist, macht es gewiss, dass in diesem Wesen das psychische Element eine besondere Entwicklung erfahren hat, die es, wenn auch qualitativ nicht verschieden, dennoch quantitativ weit über den psychischen Standpunkt der Tiere hinaus geführt hat. Es ist allerdings eine Veranderung sehr einseitiger Art, welche mit der körperlichen, die in derselben Zeit und sogar teilweise unter ihrem Einfluss stattfand, durchaus nicht gleichen Schritt halt, sodass denn auch der psychische Unterschied zwischen Mensch und Tier erheblich viel grösser ist als der physische. Es giebt mehr Beispiele einer derartigen evolutionellen Veranderung. So hat die des Fliegvermogens aus den Reptilien die Vogel entstehen lassen und zwischen beiden Ordnungen auch solch' eine tiefe Kluft gegrabcn. Wenn dies der Fall gewesen ist, so kann es wohl nicht anders sein, als dass, was den Zustand der Psyche angeht, notwendigerweise jetzt zwischen dem Menschen und sogar den hóchst entwickelten Tieren eine breite Kluft besteht, umsomehr, da die Zwischenformen, die den Menschen aus einem affenartigen Wesen entstehen hessen, sogar körperlich, ausgenommen etwa einige wenige Überreste des Pithecanthropus erectus Dubois, psychisch aber ein für allemal, sich unsrer Wahrnehmung entziehen. Wenn nun aber trotzdem die Psyche der am meisten entwickelten Tiere, die, wie wir jetzt wissen, nur eine höhere evolutive Stufe jener der niedriger stehenden darstellt, und die Psyche des Menschen sich im allgemeinen nur dadurch von einander unterscheidet, dass die höchsten Ausserungen letzterer in der Tierpsyche nicht oder nur in primitiver Form vorhanden sind, so können wir mit Fug und Recht daraus schliessen, das die Psychen beider sich nicht qualitativ sondern nur dem Grade der Entwicklung nach unterscheiden. Das lehrt uns nun auch ihre Vergleichung. Will W. nun dem gegenüber seine Behauptung annehmbar machen, so hat er, wie wir schon sagten, die Grenzen zwischen der Psyche des Menschen und jener der Tiere deutiich darzustellen. Ja, eigentlich wurde dies noch nicht genügen. Die Tatsache dass man zwischen den geistigen Funktionen des höchstentwickelten Menschen und denen des Wilden einen grossen Unterschied beobachten kann, lasst sich auch nicht leugnen. Will man also dem Menschen im allgemeinen dennoch speziell jene höhere eigent- liche Intelligenz zuerkennen, so muss man annehmen, dass bei dem Wilden das Vermogen dazu zwar vorhanden ist, sich jedoch noch nicht weiter als zu ein Anfangsstadium entwickelt habe. Darnach soll doch dieses Vermogen sich überhaupt evolutionell verandert haben, aber woher hatte es denn nun seinen Ursprung genommen ? Hierauf liesse sich keine andere Antwort geben, als dass es plötzlich, infolge einer besondern Schöpfung oder göttlichen Gabe, bei dem Menschen entstanden ware, eine Lösung, die nun gewiss in das religiöse System WASMANNS vollkommen hineinpasst, jedoch an und fiir sich schon andeutet, dass seiner Meinung jeder wissenschaftliche Wert abzusprechen ist, wie es weiter auch in starkem Masse zeigt, was es für ein Unding ist, wenn man Wissenschaft der Religionslehre anpassen will. Wenn sich der Mensch körperlich aus einen affenartigen Tiere entwickelt hat, wie man es vom wissenschaftlichen Standpunkt aus annehmen muss, so rnöchte ich doch wissen, auf welchem Punkte, vor oder nach dem Pithecanthropus erectus ÜUüois diese geistige Umwandlung denn geschehen ware, wie man diesen Punkt in einer solchen allmahlichen Evolution nachweisen will ? Oder wird man hier eine Sprungevolution zur Hilfe heranziehen, wie es schon öfters versucht worden ist, wenn man sich nicht zu helfen wusste ? Woraus zeigt sich dann, dass sie vorgekommen ist? Aus nichts; so bleiben nur die Schöpfung Adams und die Sprungevolution Evas aus Adams Rippe übrig! Was im übrigen die erwahnte Grenze betrifft, so haben wir schon gesehen, dass W. die nach ihm speziell dem Menschen zukommende Intelligenz als die Fahigkeit definiert, die Beziehungen der Dinge zueinander zu erkennen und daraus Schlüsse zu ziehen. Diese kennzeichnet sich nach ihm besonders durch den Besitz eines Abstraktionsvcrmögens, d. h. der Fahigkeit, aus mehrern Einzelvorstellungen das Gemeinsame zusammenzufassen und so allgemeine Begrifife zu bilden, weiter durch eine Überlegungsfahigkeit, die zum Selbstbewusstsein und zu einem vernünftigen freien Handeln führt, und die also den freien Willen mit sich bringt. Nun kommen aber sogar bei niederen Tieren Handlungen vor, in denen die Fahigkeit die Beziehungen der Dinge zueinander zu erkennen und daraus Schlüsse zu ziehen^deutlich hervortritt. Ich will mich auf einige Beispiele beschranken. Eine merkwürdige Handlung der Raupe von Adolias Adonia cram. die allerdings anderwarts auch schon von westwood bei T/iecla Isocrates F., Limenitis Camilla SCHIFi' krmüller und Satumia Promethea Drury bemerkt worden ist, beobachtete ich u. a. auf Java selbst. Diese Raupe nahrt sich von den fleischigen Blattern von Loranthus pcntandms L., deren Stengel sich sehr leicht von den Zweigen loslöst. Bevor sich nun die Raupe an einem solchen Blatt aufhangt, um dort zur Puppe zu werden, tragt sie dafiir Sorge, erst den Stengel des Blattes mit etvvas Gespinnst an dem Zweiglein zu befestigen, sodass für den Fall, dass dieses loslassen könnte, das Blatt und also auch die Puppe an dem Zweiglein hangen bleiben. Wenn das Blatt von dem Baume fiel, so würde vermutlich der Untergang der Puppe die Folge dav°n sein. Auch sah ich einmal, dass dieselbe Raupe mit ein wenig Gespinnst den Rand eines Blattes, das dicht neben dem Blatte hing, an dem sie sich verpuppen wollte, lose an dem Rande des letztern befestigte, sodass dieses jetzt immer gerade vor dem Blatte, an dem ihre Puppe befestigt worden war, hangen blieb, und die Puppe nach aussen hin ganz verborgen blieb. Die Raupe von Hesperia conjuncta H. S. auf Java heftet ihre sehr langliche Puppe auf die obere Seite eines Bambusblattes in der Langsrichtung desselben, indem sie das Schwanzende an demselben befestigt und weiter noch /.wei dünne Laden schrag über die Puppe spinnt, die dieselbe gegen das Blatt festlegen. Nun hat aber jenes Blatt, besonders Wenn es alt wird, eine starke Neigung sich der Breite nach aufzurollen. Geschicht dies nach der Unterseite zu, so^ muss dass zur Folgen haben, dass die zwei Faden, die sich auf der Oberseite befinden, zerreissen und die darauf befestigte Puppe, falls ihr Hinterende nicht angeheftet bleibt, von dem Blatte fallt, odcr abcr werden sich diese Faden so spannen, dass sie die Puppe sehr klemmen und verletzen. In beiden I'allen geht die Puppe zu Grunde. Darum spinnt die Raupe, bevor sie sich verpuppt, erst noch zwei starke, je aus vielen I oh"e das eigentliche psychologische Gebiet zu betreten, dem Instinkt wohl nahcr kommen, als mit der i) „Mit Blitzlicht und Bïtchse". Annahme einer noch niedriger entvvickelten und daher noch erblich durch starkc Bande festgelegten Form des Verstandes aus, die gleichwohl sich nicht qualitativ davon untcrscheidet ? Gefühle und Wünsche eines Hundes, ja einigermassen seine Gedanke sind nicht selten an seinen Augen abzulesen, und wer dies gewohnt ist, muss wohl zu der Einsicht kommen, dass daraus der Ausdruck einer Tierpsyche laut wird, die allein dadurch, dass sich die menschliche Psyche ihrem Wesen nach nicht von jener unterscheidet, von den Menschen verstanden wird. Der Ausdruck ist denn auch öfters in der Tat ganz menschlich. Aber Herrn W. dürfte wohl weder der Mensch, noch das höhere Tier genügend bekannt sein, wenn er auch die Ameisen gut beobachtet hat. Die Lebensverhaltnisse, in denen er sich befindet, und die ihm zwar erlauben sich in der Gesellschaft zu bewegen, aber sozusagen gespensterhaft, ausserhalb dessen, was das innere Leben des Menschen erwarmt, ohne wahre Mannerfreundschaft wie ohne t rauenliebe, und ohne sich an irgendein Wesen, also auch nicht an einen Hund oder eine Katze hangen zu dürfen, dies alles muss ihn daran verhindern, so mit ihnen mitzufühlen, als nötig ist, um Mensch oder Tier gut verstellen zu können. Er betrachtet ihre Psyche wie der blosse Systematiker ihre Körperform betrachtet; ebensowenig wie letztrer, versteht er es, biologisch ihr Wesen zu erfassen. Die Weise, worauf er die Psyche bloss mittelst einer Definition zu erklaren versucht, oder, wie er pomphaft erklart, durch eine klare Analyse der psychologischen Begriffe, weist deutlich darauf hin. Anthropolog ist er allerdings auch nicht und persönliche Erfahrung in der Beobachtung der Entwicklung tiefstehender Völker fehlt ihm völlig. Solche Tatsachen, wie die von Geoffroy St. Hilaire bei einer Schimpanse wahrgenommene und die von Dr. Knauer über die Schimpanse Maja mitgeteilte, lassen sich nicht so einfachhin leugnen; und dergleichen Falie giebt es mehr. Eine mit der von dem genannten französischen Naturforscher erwahnten ziemlich übereinstimmende Handlung eines Orang-Utans, namlich das Losmachen eines Knotcns in einem Seil, mit dem eine Luke angebunden war, die der Orang-Utan offen haben wollte, ist auch vor vielen Jahren scherf Ga'rÏ T ?°°g™ Prof- Dr" Vrolik ™ zoologischen Garten zu Amsterdam beobachtet worden. Bei solchen Oh fl mTw nUn ZWar bisweilen Selbstbetrug oder dies' derfT' ^ ^ ^ ^ "icht wird dies der I all gewesen sem. Wenn Dr. Knauer versichert dass em kurz vorher nach Wien gebrachte MantelpavSn wie esewUTtm,t Sfeirn a;fSChlUg' S° iSt CS wohlbequem( re es W. tut, einfach zu behaupten, dass dies den Affen wohl von rrgend jemand beigebracht worden sei, jedoch weist in der BeuTteil h """n ^ 3Uf UnParteilichkeit m der Beurte.lung hin. Dass Affen solch' einfache Werk- euge nicht gebrauchen könnten, ist keineswegs eine unbe- rng e Tatsache. Prof. Branco erwahnte neulich ') dass nach -ner M,t.eilu„g Prof. F. E. Schulzes di«s„ l >hm gehonger kleiner Affe, als er die ihm gegebenén Nüsse mit den Zahnen nicht zu öffnen vermochte> dnen ^ tehL Sh mit.dlCSem aufs^lug. Dass Paviane sich ver- na hu' 'n S1C 'hre Fdnde mit Steinen werfen soll nach Brehm von Reisenden wahrgenommen sein. Der' ka thag.sche Adm.ra1 Hanno erwahnte dies schon 500 Jahren rülas h" t/on den Affen, vermutlich von den Go- las, denen er auf der westlichen Kuste Afrika begegnete Prof Branco scheint es in der ebenerwalmten Schrift auch l"lgt FrüchteWKotn' a^"' WaS ihnen ZUn*chst gt, £ ruchte, kokosnusse, Aste ergreifen, um es gegen Men- chen von denen s,e sich bedroht fühlen, zu schleudern oder wie deTbeTe^ers"^"' '""'f ^ giebt es "°ch mehr, der bei einer Schimpansen beobachtete, der, nachdem er gesehen hatte wie sein Aufwarter das Schloss der Kette an der er festgelegt war, mit einem Schlüssel öffnete da^f dasselbe mit ernem stück Holz versuchte, in der Tat eine auf erstandeswirkung beruhende Handlung, die ganz mit Unrecht jenem Nachahmungstrieb zugeschrieben worden ist der den Affen ergen sein soll. Schon auf S. 15 von MS D C 1Ch de" AbeiBlauben bekampft, als ob dieser Trieb in so ^a«iichen *«" ■»"' Fussfahrun des terti&ren Mmschen" r7,it g"> logisch en Gesellschafft, Bd. j-ó, Heft IV S 'Jf Nach: D,e antieken Sfuren des tertiaren Moeken. 0Saea, besonders starkem Masse gerade den Afifen eigen ware. Einem sehr bedeutenden Aufsatz R. S. Pococks ') darf man entnehmen, dass das jetzige, hoch entwickelte Fangnetz vieler Spinnenarten sich allmahlich aus dem ursprünglich zur Beschützung der Eier gesponnenen Cocons entwickelt habe, was spater zum Spinnen von Faden zum eignen Schutz führte, und dass dabei der Übergang von dem Gespinst zum eignen Schutz zu einem F angnetz wohl auf nichts andres beruhen könne, als auf der zufalligen Reobachtung, dass Insekten sich in den gespannten F aden verwirrten. So müsste dabei denn auch von einer tatsachlichen Verstandestatigkeit die Rede sein. W ie ist es überhaupt möglich, dass ein Myrmicolog wie W. hier die Tatsache übersieht, dass einige Spinnen, wie der ostindische Oecophylla smaragdma F. ihre Nester von lebenden Blattern bauen, die sie durch ihre eignen Larven, welche sie dabei ganz und gar als Mittel benutzen, zusammennahen lassen ? Seine Behauptung, dass das Anlegen eines Ofens durch eine Schimpanse, was Knauer ervvahnt, etwas Angclerntes sei, wird vermuthlich an sich wohl richtig sein. Doch will es mir erscheinen, dass man hierbei nicht übersehen darf, dass so etwas über die eigentliche Dressur hinausgeht, und dass die I-ahigkeit, so etwas zu erlernen bereits eine geistige Kraft voraussetzt, die eine höhere Entwickelungsstufe erreicht hat, als dass man sie bloss eine sinnliche Association nennen könnte. Ein derartiger Verstand kann nicht anders, als evolutionell solch' eine Höhe erreicht haben und warum sollte denn weitere Evolution nicht möglich sein? Auch die von Krahen berichtete Tatsache, sie hatten die Jager gezahlt, die sich ihren Nester genahert und sich in einer Hütte versteekt hatten — als namlich zwei der Jager die Hütte wieder verlassen hatten, wagten sich die Krahen doch nicht heran, offenbar in der Überzeugung, dass sich noch einer in derselben versteekt hielt — lasst sich nicht so schlankweg, wie es Lloyd Morgan unter eifriger Beistimmung Wasmanns tut, bloss durch den Unterschied im Gesichtseindruck 1) „Some suggestions on the origine und evolution of web-spinning in stiders". {Nature, 28 Febr. i8qsj. zwischen zwei oder drei Menschen erklaren. Ob man dies „zahlen" nennen will oder nicht, tut wenig zur Sache, die Krahen wussten den Unterschied zwischen zwei und drei nicht nur zu beobachten, sondern daraus auch die ziemlich abstrakte Schlussfolgerung zu ziehen, dass, wenn nur zwei zurückkamen, die Gefahr für sie ebensogross blieb, als da deren noch drei waren. Jenon allein zurückgebliebenen Jager hatten sie nicht apart gesehen. Nach der Beendigung des internationalen zoologischen Kongresses zu Cambridge befand ich mich mit dem Zoologen Dr. van Bemmelen, jetzt Professor in Groningen, im Zoologischen Garten in London. Wir standen vor zwei Kain deren einem sich zwei lebhafte junge Schimpansen befanden, mit denen viele Besucher sich laut sprechend und lachend unterhielten, wahrend daneben in dem andern Kafig eine weibliche Orang-Utan sich aufhielt. Zwischen beiden Kafigen nun ragte ein offenstehender Laden heraus, mit dem der eine Kafig vermutlich nachts geschlossen wurde und zwar so, dass dadurch der Orang-Utan dem Gesicht der Besucher vor dem Schimpansekafig entzogen war. Wir beiden jedoch, die etwas zurück standen, sahen beide Kafige. Nachdem dies so einige Zeit gcdauert hatte, steckte die OrangUtan die Hand aus ihrem Kafig und klopfte mit den Knochen einige Male laut an den Laden, der sich zwischen ihr und den Besuchern fand. Diese Handlung war so auffallend, dass wir beide unmittelbar ihre Absicht errieten, und uns gegenseitig darauf aufmerksam machten. Sie war eine typisch weibliche. Die Dame konnte es nicht vertragen, dass man sich nur mit ihren Nachbarinnen unterhielt. Sie wollte damit sagen: hier bin ich auch noch, sie könnten sich doch ■auch einmal mit mir unterhalten. Es war dies eine Ausserung der Eifersucht, wie sie dem instinktiven Geschlechtsleben entspriesst. Eine derartige Eifersucht findet man nun zwar auch bei höhern Tieren, z. B. bei Hunden, aber sie beschrankt sich dort doch allein das auf Verlangen nach körperlicher Liebkosung. Hier war dieselbe jedoch auf die bei dem oben von mir angeführten Beispiel der Liebe erwahnte Weise vom Instinkt zum Verstand entwickelt worden und auf dieselbe Stufe gelangt, wie wir sie auch bei gebildeten Frauen beobachten. Dem nun, der mit dem Vorhandensein der psychischen Evolution, wie auch mit der Tatsache der Selbstandigkeit in der Evolution bestimmter Vermogen bekannt ist kann es nicht zweifelhaft sein, dass sich in dem erwahnten' ein derartiger evolutioneller Fortschritt offenbarte, der vollkommen demjenigen entspricht, wie er auch bei 'dem Menschen stattgefunden hat. Aber dann muss er auch notwendigerweise zu der Schlussfolgerung kommen, dass dasselbe, wenn die Umstande dazu mitwirken, auch wohl in andern Punkten stattfinden kann. Warum sollte denn anderwarts auf dem Gebiete der geistigen Entwicklung nicht — wje es hier ja auch nicht bezweifelt werden kann — der Unterschied zwischen Affen und Menschen nur ein quantitativer sein? Durch solch gesuchte und künstliche Thesen wie die des Herrn W. lasst sich diese Frage nicht beantworten. Den Unterschied, den W. zwischen der menschlichen und der tierischen Psyche aufstellt, hat er also keineswegs wissenschaftlich zu beweisen sich fahig gezeigt. Was er als Beweisgrunde anzuführen versucht hat, kann einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht standhalten. Deutliche Kennzeichen durch die sich dieser Unterschied bemerkbar machen sollte, hat er nicht angeben können. Aber wie der Tintenfisch in 'dem durch ïhn getrübten Wasser sucht er sich nur in der durch vage, schlecht begrenzte, künstliche Unterscheidungen hervorgerufene Verwirrung zu verstecken. Ist doch sein eigenthches Argument nicht eins der Intelligenz, sondern eins des Glaubens und liegt sonach ausserhalb des Gebietes der Naturwissenschaft. Für die noch immer zahlreichen Biologen oder Psychologen, deren wissenschaftliche Einsicht noch nicht soweit fortgeschritten ist, dass sie Existenz eines psychischen Elements anzuerkennen wissen, oder die noch nicht zu der Einsicht gekommen sind, dass dieses Element ebenso wie das körperliche evolutioneller Veranderung und Vervollkommnung unterworfen ist, bleibt gewiss, wenn sie auch nicht auf dem religiösen Standpunkt W.'s stehen, die trage ob dieser Unterschied bestehe oder nicht, dcnnoch ungelost. Für den Naturforscher jedoch, der sich ohne Rucksicht auf irgendwelche religiöse oder wissenschaftliche Dogmatik auf das stützt, was ihn die Wahrnehmung lehrt, kann es nicht zweifelhaft sein, dass zwische jenen verschiedenen Formen, worin sich das psychische Element geradeso bei dem Menschen, wie bei den Tieren darstellt, und die man Reflexe, Instinkt und Verstand nennt, sich keine Grenzlinien ziehen lassen. Sie unterscheiden sich nicht in ihrem Wesen, sondern nur evolutionell als Entwicklungsstadien und also nicht qualitativ, sondern nur quantitativ. Darum darf er denn auch, wenn er nur diesen Unterschied immer im Auge behalt und alle Phantasie beiseite lasst, iibrigens die psychischen Vermogen sogar der niedern Tiere ohne Scheu nach dem, was ihm von der eigentlichen menschlichen Psyche bekannt ist, zu erklaren versuchen, ohne sich an das Modeschlagwort Vermenschlichung zu kehren. Auch hier ist allein der Missbrauch, nicht der Gebrauch zu tadeln. Daher habe ich denn auch in M. S. O. auf das Vorhandensein des psychischen Einflusses der Suggestion bei Tieren hingewiesen und gemeint, damit auch einige Erscheinungen angeblicher Mimicry erklaren zu können. Ich halte diese Meinung noch immer aufrecht. Ich erwahnte in dieser Hinsicht auf S. 161 daselbst eine sowohl von mir auf Java wie von Dr. Thwaites auf Ceylon wahrgenommene Tatsache, dass man namlich bei den grossen Hijgen ziehender Pieriden, die dann und wann dort vorkommen, auch wiederholt einige Individuen anderer Arten einige Zeit mit diesen mitfliegen sieht. Es geschieht dies ofïfenbar aus Nachahmungstrieb, unter dem psychischen Einfluss ihrer Umgebung, geradeso wie Menschen, die zufalligerweise in einen Volksauflauf geraten sind, oft durch einen psychischen Zwang dahinkommen, sich auch an dem Tun derjenigen, unter welchen sie sich befinden, und sogar an Exzessen zu beteiligen. Dem kann ich noch eine derartige Tatsache hinzufügen. Major Neville Manders teilt namlich mit, ebenso das Mitziehen von Papilio Jason Esp. mit Schwarmen Catopsilias wiederholt auf Ceylon beobachtet zu haben '). Was denkt man ferner über Folgendes, 1) Transactions of the Ent. Soc. of London 1904. das ich bei w., der es einem Werke Wilhelm Haackes entnommen hat, finde ? '). »Die Makis (Halbaffen) lieben es, dass man sie mit Tabaksrauch anblast. Die Einwirkung des Rauches auf ihr Riechorgan ruft offenbar ein angenehmes Jucken auf ihrer Haut hervor, denn sie fangen, sobald man ihnen Tabaksrauch in die Nase blast, sofort an, sich am ganzen Körper zu kratzen. Sind sie dann gewöhnt sich eines solchen Rauchgenusses mit einiger Regelmassigkeit zu freuen, so genügt es schon, dass man, ohne dass man eine brennende Zigarre oder Pfeife zur Hand hat, Miene macht, sie anzublasen, um sie ihr Gesicht vorstrecken zu lassen. Und blast man sie dann lediglich mit dem Atem an, so genügt schon dieses, um Kratzbewegungcn bei ihnen auszulösen". Ich frage nun, ist dies keine Autosuggestion ? Interessant ist auch, was diese psychische Wirkung betrifft, folgende Mitteilung von Schillings in seinem bereits erwahnten Werke. Ein Pavian war viele Jahre in Moshi vor den Toren des Forts angekettet gefangen gehalten. Als nun in der Weihnachtsnacht des Jahres 1899 ein Angriff der Eingeborenen erwartet wurde und die gesammte Bevölkerung der Station sich gegen neun Uhr Abends plötslich, einer Schafherde gleich, in die Schützenden Mauern des Forts gedrangt hatte, riss auch dieser Pavian, von Angst befallen, sich völlig unbegreiflicher Weise von seiner Kette los und flüchtete mit dem Menschenstrom ins Fort. So genügte die offenbare Angst der Menschen in der Umgebung dieses Affen bei ihm eine heftige Angst hervorzurifen und ihn zu bewegen, nicht seine Freiheit wiederzugewinnen, sondern zusammen mit den Menschen einen schützenden Ort aufzusuchen. Ich denke, dass solch ein suggestiver Einfluss sich sehr schwierig erkliiren liesse, wenn die Psyche dieses Tieres qualitativ anders als die menschliche organisiert ware. Und, man vergesse ferner nicht, die Wasmannsche Grenzlinie fallt zwischen den Menschen und das Tier. Was also bei einem Affen möglich ist, darf, wenn wenigstens Tatsachen da sind, die darauf hinweisen, auch für Insekten angenommen werden. 1) Die Schópfung des Menschen und seine Ideale. Jena iSgj. VARIABIUTAT. „Dans le Darwinisme, sagt Gaston Rageot '), la variaion est ton jours p0Sée (T avance, jamais expliquée, elle est eet thénrii» " \\j Ü "y " püS " remonter' le postulat de la HirW ■ Cnn ma" aUCh 'n den letzten Jahren in dieser nsicht ln etwa fortgeschritten ist, so enthalt der Aus- spruch gewiss noch viel Wahrheit. Es darf deshalb keine erwunderung erregen, wenn ich in meinem Kampf Ke£en tl .genan,\te/heo"e an dieser Frage nicht vorbeigegang n bin und daruber eine ganz über den Gesichtskreis vieler i Ddrw,nismus festgewurzelter Naturforscher hinaus cehende Me.nung ausgesprochen habe, die mit der üblichen uftassung vollig ,m Widerspruch steht. Noch immer jedoch nennen I', daV0" 'aSSC"' <""• W3S S" Variabili.at un!l R u Ausgangspunkt von allerhand Messungen nd Berechnungen zu gebrauchen, sogenannte Gesetze daraus v f ,Strahieren' und was deren mehr ist; sie nehmen die ariab.htat also offenbar immer als eine selbstandige biolog che Kraft an. Ich kann jedoch solchen Messungen u. s w in den meisten Fallen nicht den Wert zuerkennen, den man eiaem d f ï *** 65 hier mit dem' was neuIi<* in derartigen tall Von Aigner Abafi, meines Erachtens ganz mit Recht bemerkt hat >). Sie sind wohl für einen possen Teil als Ausflüsse der noch naher zu besprechen- der H ^Xp"imentalmode' und damit auch als Ausserungen dem Darwinismus eignen mechanischen Naturauffassung VI^™.SPENCER " * PA'"OSOpAie * " VU CReU"' "" de"x 2) Zeitschrift für wissenschaftliche InsektmHologie, I Sn te 2o7. '9 zu betrachten, die auf mechanischem Wege alles erklaren zu können meint. Inzwischen ergab es sich mir, dass ich auch in meiner Betraclitungsweise der Variabilitat nicht ganz allein stehe, und dass es auch hier zu tagen beginnt. Nicht zwei lebenden Wesen sind vollkommen gleich. Zwischen allen bestehen Unterschiede von allerhand Art, und es hat ein grosses Interesse, iiber die Ursachen, welche diese hervorrufen, möglichst viele Kenntnisse zu sammeln; die Behandlung aller Fragen biologischer Art hangt damit aufs engste zusammen. In Anbetracht dessen, dass ich nun über viele dieser Fragen eine Meinung vertrete, die von der herrschenden abweicht, halte ich es für nötig, über das Wesen und die Ursachen dieser Differenzen meine Aufïfassung auszusprechen. In ihr hat namlich nicht selten die von mir vertretene Ansicht ihren Grund. Am liebsten möchte ich jedoch das Wort „Variabilitat" ganz und gar beiseite lassen. Bedeutet doch dieses Wort, wie ich es schon in M. S. D. auseinandersetzte, ebensowenig wie Mimicry, für mich etwas wirklich Bestehendes, eine tatsachliche Eigenschaft namlich, sondern, wie Prof. Reinke dies auch von der Vererbung sagt, »nur ein Schauspiel, das wir vor unsern Augen ablaufen sehen, doch keinen dynamischen Begriff, keine Naturkraft." Nur ein hohler Begrifif ist sie also, einer jener entités imaginaires, die in ihrer Schwache die Denkkraft bildet, um dem Vorstellungsvermögen entgegenzukommen, wie ich dies in den öfters erwahnten Prolégomènes in Hinsicht auf die Personifizierung und Materialisierung abstrakter Begriffe, eingehend besprochen habe. Der Darwinismus hat die betreffenden Unterschiede durch die Selektionstheorie zu erklaren versucht. Dass ich diese Theorie jedoch verwerfen muss, darüber habe ich schon so ausführlich gesprochen, dass ich jetzt darauf wohl nicht zurückzukommen brauche. Eine andrc Erklarung hat Lamarck in seiner Theorie der funktionellen Anpassung zu geben versucht. Diese hat allerdings mehr für sich, namentlich in so weit man die Vererbung erworbener Eigenschaften annehmen kann, wahrend deren Leugnung jedoch immer zu der Ablehnung von Lamarcks Erklarung fiihrt. Aber wenn man auch mit mir, diese Vererbung wenigstens bis auf einen gewissen Grad anerkennt, ist doch diese Theorie nicht hinreichend um eine grosse Anzahl Umwandlungen oder vorhandene neue organische Bildungen genügend zu erklaren. Auch vermag sie, insofern sie im übrigen auch annehmbar scheint, doch meiner Ansicht nach nicht den inneren Grund der Veranderlichkeit aufzuklaren. In der letzten Aeit hat man angefangen, die Erscheinungen der sogenannten Variabilitat in solche zu teilen, die als eine Folge der Vererbung anzusehen oder wohl auch der Einwirkung ausserer Einflüsse zuzuschreiben sind, und in solche, die sich spontan, selbstandig, als neue Bildungen darstellen. Aber warum solche spontanen Bildungen entstehen, bleibt auch dann unaufgeklart, wahrend es überdies scheint, dass die Grenzen zwischen beiden Kategorien nicht scharf gezogen werden können. Die Möglichkeit besteht ja, dass auch aussere Einflüsse wohl einmal neue Bildungen herbeiführen können. Die Frage ist also noch alles weniger als klar, es dürfte daher wohl angebracht sein, mit nichts zurückzuhalten, was vielleicht noch irgendwie zur Klarung der Sache beitragen könnte. Ich meine auch meiner Ansicht einen Wert in dieser Beziehung zuschreiben zu dürfen. Dass ein jedes lebende Wesen von allen andern sich einigermassen unterscheidet, ist wohl an sich nichts Besonderes; es ist ebenso der Fall mit jedem Sandkorn, mit jeder Schneeflocke. Von einem besondern Naturgesetz, welches das Leben beherrschen sol], kann also dabei nicht die Rede sein. Die Sache ist einfach die, dass die Ursachlichkeit der Existenz eines Wesens nie vollkommen der eines andern gleicht und dieser Umsstand sich bei jeder Bildung zeigt. Auf lebende Wesen übertragt die Vererbung sowohl Eigenschaften der Eltern wie der Voreltern, aber auf sehr verschiedene Weise. Dadurch mussen Unterschiede entstehen, die bisweilen nicht gering sein werden. Notwendigervveise muss also immer ein Unterschied bestehen in der Entwicklungsgeschichte aller Individuen, wie klein er auch sein moge. Sogar bei parthogenetisch erzeugten Individuen werden wenn sie auch gleichzeitig mit vielen andern zur elt gekommen sind, die mütterlichen Eigenschaften nicht bei allen vollkommen in demselben Masse vorhanden sein und wird auch die embryonale Bildung bei dem einen wohl unter einigermassen andern Einflüssen vor sich gehen, als bei dem andern. Stets wird die Difïferenz auftreten' die nach weismann eine Folge der ererbten Ungleichkeit ist, eine Polge der Ascendentenmischung der ersten Keimablage eines Individuums, sowie der von Haeckel nachgewiesenen, ungleichen Einflüssen von Ernahrung und Druck auf die jüngsten Eizellen im Eierstock eines Tieres. Jeder Samen einer Pflanze muss irgendeinen Unterschied mit jedem andern aufweisen, und dasselbe muss der Fall sein mit dem daraus entstehenden neuen Pflanzchen. Überall soweit wir unsre YVahrnehmung ausdehnen können, beobachten wir dies. Darum kann denn auch die starkste Inzucht, wie sie sich z. B. bei den Bienen zeigt, wie Darwin schon' bemerkte, die Entstehung individuelier Unterschiede nicht verlundern. Wohl aber werden hierbei kleine Unterschiede immer bei weitem öfter sein mussen als grössere, auch hier jedoch nicht, weil irgend ein geheimnisvolles Gesetz oder Regel hierbei waltete, sondern weil auch die Faktorcn, deren Einwirkung diese Verschiedenheit herbeiführten, im alloniemen bei den einzelnen Individuen keine grosse Abweichung aufgewiesen haben werden. Wie allgemein dies übrigens vorkommt, zeigt die in letzter behufs Wiedererkennung von Verbrechern übliche Untersuchung der Fingerabdrücke. Nur in einem von 64000 Milhonen Fallen soll Gleichheit .in den Linien der Fingerspitzen zwischen zwei Menschen wahrscheinlich sein. Aber nicht nur wahrend ihrer Entstehung sind die lebenden Wesen Einflüssen ausgesetzt, die für jedes einzelne Wesen verschieden sind, ihr ganzes Leben hindurch findet ..asselbe auf zahllose Weisen statt. Der Unterschied 111 der Ernarung, wodurch das eine Individuum sich kraftiger entwickelt als das andere, ist hierbei z. B. von grosser Wichtigkeit. In der obenerwahnten Einteilung werden nun alle diese Unterschiede individuelle oder fluktuierende Variationen genannt. Man meint also den Unterschied zwischen diesen und den spontanen Variationen besonders darin zu erblickcn, dass nur aus den letzteren neue Bildungen entstehen könnten, wahrend dies bei den ersteren nicht möglich sei, oder nur, wie einige behaupten, in soweit diese Variationen aus Vererbung entstanden sind. Für den Fall jedoch, dass dieselben durch aussere Einflüsse verursacht sind, sollen nach dieser letzten Meinung daraus auch wohl solche Bildungen entstehen können, obgleich es dann nur selten vorkommen würde und also zur Erklarung der ausserordentlich grossen Anzahl von lebenden Bildungen und der Entstehung neuer Arten nur von geringer Bedeutung sein könnte. Es will mir aber scheinen, dass auf diese Weise zwischen beiden Kategorien, wie ich schon bemerkte, nicht eine so feste Grenzlinie angegeben wird, als zum richtigen Verstandnisse der Unterschiede für notwendig gehalten werden miisste. Dass die rein durch Vererbung entstehenden Unterschiede nicht zur Bildung neuer Arten führen können, halte ich meinerseits für sehr annehmbar, aber bei den Unterschieden, die aus Veranderungen hervorgehen, welche die Folge der Einwirkung ausserer Einflüsse sind, ist dies, meiner Meinung nach also, das eine Mal wohl, das andere Mal nicht der I" all. Diese Einflüsse scheinen mir sowohl individuelle wie spontane Variationen bewirken zu können. Wie lasst sich dies aber erklaren ? Die Umwandlungserscheinungen sind bei den lebenden Wesen so allgemein und treten auf so zahllose Weisen auf, dass man wohl zu der Annahme genötigt ist, dass eine bestimmte Neigung zur Umgestaltung den lebenden Substanz eigen sein muss, die zu jenen Umwandlungen führt. Und obgleich sich das Vorhandensein dieser Neigung nicht geradeswegs nachweisen lasst, so kann man doch die Möglichkeit ihrer Existenz hypothetisch dermassen annahernd feststellen, dass sie keineswegs unannehmbar wird. Darf es, meiner Ansicht nach, doch durchaus nicht unmöglich heissen, dass die anorganische Materie unter bestimmten uns nicht bekannten Umstanden, jenes eigentümliche Wesen angenom men hat, das wir das Leben nennen, und also den" durch Nahrung und Fortpflanzung gekennzeichneten und gegen den crhaltln hab HUSS «-=■■«- c££ erhaiten habe, der u. a. fur uns die Organismen von den anorganische Gegenslanden unterseheidet. Ferner dass dann Tet d SU"g 2U' re6Une' *» SEZ Tuien de, anorganische» Materie in starkem Masse eigen als e.ne'N, 0rf sich, wenigstens teilweise, Kche Frsche 8 _Un',6CS'alt"ne «««, deren telsachErscheinung wir Evolution nennen. Nicht nur jene Neigung jedoch stellt sich in der Evolution Richt50 " T daS VermÖ^en' dieselbe m einer bestimmten Richtung zu leiten. Besonders hierdurch unterscheiden sich Dadurch deutllch von der anorganischen Materie. Dadurch w.rd man dann weiter zu der Vermutung geführt auch „eichf'nZU,rKr " rT Vermi*™s hauptsachlich, wenn' auch nicht ausschliesslich, der obengenannte unbekannte Umstand gewesen sein wird, der das Leben entstehen HesÏ Dieses Vermogen nun, w,e es sich in der Erscheinun? der Evolution beobachten lasst zeigt sich da offenbar als ein F^I t y ndH'elcher 'ntel^ektueller Art. Und wenn dies der all «t, kann „ur ,n einem psychischen Element die leitende Kraft jener Umwandlungen erkennt werden, das namlich was diese Umwandlungen bewirkt und sie weiter beherrscht Nur bei dieser Auffassung lasst es sich denn auch verstehen wie auch auf dem rein geistigen Gebiete völlig den psysischen Umwandlungen entsprechende Vorgange auftreten Lnnen die sei aus einem selbstandigen Drange, es sei anlass' hch gewisser Reize sich da entwickeln. Weist dies doch unwidersprechlich daraufhin, dass die evolutive Tatigke t ntht Linth HPlaSma 'elChrënkt iSt Aber dan" kann auch EvoluHon ° der, ^ Materie nicht die Ursache der . olution zu suchen sein, sondern wird diese in einer selb geister .rVU,r2Cln' dlsh sich j" auf dem g suöen wie auf dem matenellen Gebiet ofifenbart auch de beherrscht. Es ist selbstredend, dass insofern man noch auf dem von mir verworfenen auf S. 250 besprochcnen Standpunkt steht, das geistige Vermogen bloss als das Produkt gewisser Gehirnfunktionen zu betrachten, Obiges nicht auf die von mir angegebene Weise verstanden werden kann. Die Tatsache, dass auch dieses Vermogen sich evolutionell entwickelt, bleibt dann aber auch ganz unerklarlich. Die evolutionelle Umwandlung scheint mir also infolge ciner Wirkung jenes psychischen Elements zu erfolgen, das, insoweit von physischer Evolution die Rede ist, das Protoplasma dazu anregt und in eine bestimmte Richtung lenkt. Dies wird dann selbstandig, aus eignem Entwicklungsdrang hervorgehend, geschehen können, oder zu einer derartigen Wirkung durch gewisse Reize veranlasst sein. Das Vorhandensein und der Einfluss solcher Reize lassen sich ja deutlich wahrnehmen. Erstens kommen die hier gemeinten Umwandlungen in so grosser Verschiedenheit vor, dass dazu wohl irgendeine Veranlassung da sein muss, und dann lasst sich diese kaum anders denken denn als eine Folge der Reaktion auf gleichfalls verschiedenartige Reize. Weiter lassen sich im Verlauf vieler Evolutionen Perioden von Stillstand oder Epistase beobachten und liegt es nun gewiss auf der Hand, darin die Folge eines zeitweiligen Nachlassens der Ursache zu sehen, welche dieselben hervorrief. Wenn nun eine derartige Evolution aus eignem Entwicklungsdrang entstanden ware, so würde ein solches Nachlassen gewiss befremden. Es scheint also der Wirklichkeit naher zu kommen, sie als die Erscheinung einer Reaktion auf irgendeinen Reiz aufzufassen. Endlich zeigen viele Falie evolutioneller Umwandlung einen so deutlichen Charakter von Befriedigung irgendeines Bedürfnisses, dass sie unleugbar als eine Reaktion erscheinen, die auf eine bestimmte Aktion, die jene herausforderte, hinweist. Als derartige Reize fordern gewiss an erster Stelle aussere Einflüsse unsere Aufmerksamkeit; sie sind es ja allein, die sich nicht selten in der letzterwahnten Weise so überaus deutlich kundgeben. Aber auch innere Einflüsse mussen dabei doch gewiss in Betracht gezogen werden, denn, auch aus dem korrelativen Drang, es sei des ganzen Organismus, EinflüsJ hervóSen dte d ?' "S"™ nolw™di8«weiSe nen. Alleind„fch 11 ""S' R"K h«"orrufe„ kö„. möglich Z Entstehunp ' !°°T W'rd «s «* er klaren, deren Vorhandenséin'die'"ge zu sich jedoch nicht als rfip F i ahrnehmung lehrt, die und also auch nicht 1! V ëUSSCrn Einflusses verstehen lassen. Die blosse'TatsaX"? " ^ UmgebunS Form sich genüeend mTu „che' dass ""gendeine neue erforderliche Lebensfahi,mgebun2 vertragt, um die notwendigervveise mit sifh H ÏT' bri"gt doch nicht die Umgebung entstanden 'ware! Austknselben ^ n.P*SSung an man denn weiter i nselben Grunden muss bloss aus dem selbsLdl"11 nen'dreinigeUmwandIungen entstehen können also des Psychischen Elements Reiz, es sei denn 'dass °ine AnreSung d"rch irgendeinen «ve„ Drang ^ diese Weise lasst sirh • 4 j ^ wo,lte- Denn n"r auf anderer evolutioneller V F'ntstehung verschiedener Wirkung inne "" oder I "" SChWWlich d» können a"SSerer Re,ze ^eschrieben werden gehe'n, ''"f UmS«'»lt»»gen vor sich Einflüssen hervortrehend " 8 dem aus ausseren Da wir aber auch auf re" 'l! "n'8erl"ass™ klar machen. nungen geistigër E™l ! >>S>;eh'1*he"> Gebiet als ErscheimasL „e" Mdune rr hVe™de™"^ »»« gewisser- selben Art. Wenn^diTOberh" .kemeSW.egs immer der" stark und dauernd den Sn ^ m"" welssen Menschen wird sie dadurch in ein„ w ausgesetzt wird, so wittern nennen konnt*MS«g"ffen, die man ver- ein chcmisch.physikaj'scheT?. SCh'ii,,, daW W°hl bloss Ereignis kan' j£„cfd ^ Ei" Btóches herbeiführcn, dis ge.™ II ^ l""S """ H»«P'f!">™ts g gen jene Emwirkung schützt. Dann deutet dies auf das Hinzukommen einer gewissen Intelligenz hin, also des psychischen Elements, das diese Verteidigung zustandebringt. lm letztern Falie erfolgt dann, was man Anpassung nennt; im erstern jedoch erfolgt sie nicht. Dasselbe ereignet sich, wenn fremde Organismen in Körper eindringen. Die morbiden Veranderungen, die sie dann herbeiführen, und mit denen man auch die durch Verletzungen verursachte auf eine Stufe stellen kann, scheinen zunachst einen durchaus chemisch-physikalischen Charakter zu haben, aber ausserdem finden doch auch in den Körpern bestimmte Bildungen statt, die zur Abwehr oder Bestreitung jener fremden Organismen dienen, und dann weist auch dies auf eine psychische Funktion hin. So scheint auch der Verdauungsprozess an sich, in wie bedeutender Weise er auch auf das Individuum einwirken kann, doch durchaus chemisch-physikalischer Art zu sein; dennoch kann auch dabei eine Anpassung an eine besondere Art oder an eine bestimmte Menge des Futters stattfinden, und auch dann wird mann versucht sein die Einwirkung eines intelligenten Elements anzunehmen. Dass rein psychische Einflüsse auf jenen Prozess einwirken können, ist übrigens bekannt. Was ist jedoch der Grund, weshalb jene Anpassung bisweilen wohl, bisweilen nicht stattfindet? Viele Organismen befinden sich fortdauernd in einem Zustand, in dem sie denselben Einflüssen ausgesetzt sind, die bei andern bestimmte Reize herbei führen, ohne dass dies jedoch bei ihnen zu irgendeiner Veranderung führte, sodass also durch dieselben bei ihnen keinerlei Einwirkung stattzufinden scheint. Auch kann wenn ein derartiger Zustand schon geraume Zeit gedauert hat, jene Einwirkung sich doch noch immer einstellen. Die Begründung sucht man in der sogenannten Disposition des Organismus; nur wenn diese in erforderlichem Masse vorhanden ist, soll ein ausserer Umstand Einfluss auf denselben ausüben können. An einem Namen fehlt es also hier wieder nicht, ebensowenig wie bei der Variabilitat und den andern obengenannten Termina. Man hat jedoch hier ebensowenig wie oben, an eine besondere Naturkraft zu denken. Was man unter dieser Eigenschaft zu das Studium rf 1h J V"* ZiCmliCh du"kel zu sei«" Aber Gebiet kann dal" , ErSChdnUne auf medicinischen schaffen Dort " T MdnUng W°hl einiges Licht gewisse ' namentVh ?WichtiSkeit der D'sposition für kannt ' , ™entlich Infekt10nskrankheiten seit langem be- dass d-Dilr aUCh SCh°" ZU der Erkenntnisgekommen, e Disposition ïrgendeines Organismus für giftje schad hche krankheitsstoffe sich i„ Immunital dag ® ;„indurn T*. B17«"TV"»' *" z B von Bazillengift angegriffen werden, ein Geeenmft ~elï6nnSdie das Vi™ stam.é cm rkrmene ImmUnitit "»'<=" ™ be- • mmtes Gift erlangt werden kann. Eine derartige Dildung bloss zat Verteidignng dienender Antikorper lasst sich wc„igstc„s auf dom von mir ei" genommenen Sta„dp„„kt, anch „icht anders .erstehen 2 dass eme ,,,,eUigen,e Kraf, sic i„, Lcbcn g„Jf°„ ^ solchc kan" 'mstande sein ihre Notwendigkeit für' den brSn'Ts Z", rt" °"d daS Erf"d«li'he zustande zn In H 1 ' t'"° Kraf' das psychische Element. statig, dU'Ch F°^"d- "e- Es ist bekannt, dass tiefer Seelenschmerz in den kor- Kralkh". nct,onen Störungen herbeiführen, für einige Fin derMilr'sT ^ PradisPositi» ve.nrsaci.en kann. die „Ze 7 fr"!""" '5t d"e Psychische Erscheinnng, gin ka„„ ah t" aUS PhySi!<:hen Ursacl™ hervor' gehen kann, aber mcht weniger unzweifeihaft bei eincm Urlc7eriSUven.:K,>rPerMStand a"S rd" Psychische" gelanpen ' ah • °rï°anSen' d,e zur Kenntms der Psyche einstehen' k d """ Kör'>er 2a baben, sich schen K li. . !'" dan° den Charakter eine, psychi- ™ Gebiete DeoDachten I„ der Rechtsgeschiede 2eigt sich die fort den Tn difsnt""BklUntg "" Rechtsid«. «e sich allmahlich anpasst h p"®, Selt,!nd machc"d«" Bedürfnissen anpasst und so d,e Rechtsinstitute i„s Leben ruft Uiese real"rt'S Kei' a'S° "'°h' d" Rdz' auf de" die Psycl.o reagiert. Kemeswegs ist aber die • «.eaktion eine unverme d- S„;„ diëT; r"™rFolge-z«"» «-S konnen die Bedurfnisse bestehen, ohne dass die erwünschte Reaktion erfolgte. De„„ „ur dann kann dies 1™^ Ié.4„ irsZus,and der Psychc mi* hindert wW^d T* """ ""d 'e,2tere lIs° "id,t hindert wirde, d. h. wenn die Psyche die Fahigkeit erlanet alie'rhand 'eZ^ TuTdaTBed 1? ^Tn ^ l£etr-; wr K£ nche rsyche darauf praktisch zu reagieren wusste Sie w„ üu-er Kfnnt11^ * ^ ^ hrer Kenntnisse genügend fortgeschritten war. In dem hief TT di%Ent^ S:flrtadSeIieSe? habe' dn V°TS^on rZ\Jsychi. j a J{°rrdatlV J'ed0ch mit andern in der Psyche Stfv1nnseen Tngen ZUSammenha«gt und dadurch korelativ in seiner Ausserung beschrankt ist. Und nur in diesem Srrïïri T dief in Rede s,ch™d* des ÏziLlen Bed'^'°° 1. den ïussern ues sozialen Bedurfmsses hervorgerufenen Reiz. Auf analoge Weise nun, meiue ich, müsste die phvsischc E.npfindhchkeit antgefasst werden. Das Protoplasma eines Organ.smus is, nanrlich, wenn ein ausserer Einfluss anftri." schon in evolutioneller Bewegung begriffen, frühcr auch schon durch rein psychische oder korrelative oder auch wohl durch aussere Einflüsse gereizt. Die Wirkung all dieser Entwicklungsfaktoren in demselben Organismus muss dann auch auf die Fahigkeit zur evolutionellen Veranderung in der Richtung, welche ein neu hinzutretender Einfluss anzugeben versucht, zurückwirken. Ein jeder derartiger Einfluss hat ja seinen eigenen Charakter und kann nur in einer bestimmten Richtung evolutionelle Veranderung herbeiführen. Durch alle frühern Falie, in denen irgend ein Einfluss einwirkte mussen daher im Organismus auch ebensoviele besondere Umwandlungsrichtungen entstanden sein, die darin als evolutionelle Einhciten auftreten, und mit denen nun die Möglichkeit einer neuen Umwandlung rechnen muss. Diese Einflüsse werden dann gewiss eventuell auch die Unfahigkeit mit sich bringen konnen, noch auf irgendeinen hinzukommenden Reiz zu reagieren. Allerdings wird dies bei der fortwahrenden Veranderung, die so stattfindet, bisweilen auch nur zeitweilig der Fall sein, wahrend irgendeine das Reagieren verhindernde Hemmung spater wieder wegfallen und dadurch die Reaktion wieder möglich machen kann. Auch muss man dann die Möglichkeit annehmen, dass eine derartige Hemmung erst. wenn irgendeine Reaktion schon einige Zeit im Gange ist, sich einstelle und dann einen Stillstand oder Epistase von unbestimmter Dauer zuwege bringe, wobei die angefangene Umwandlungsrichtung jedoch latent bestehen bleibt und also spater, wenn etwa die Hemmung wieder aufhört, auch wieder weitergehen kann. Und dasselbe wird auch noch geschehen können, wenn irgendein Reiz bisweilen aufhört; auch dann wird sich Epistase von kürzerer oder langerer Dauer einstellen. Dies alles muss sich nun, da ja ein jedes Individuum eine selbstandige Entwicklung hat, von diesem Gesichtspunkt aus bei jedem einzelnen Wesen in verschiedener Weise bemerkbar machen, und ist somit eine der Ursachen, welche die schon öfters erwahnte Mannigfaltigkeit in ihrer Entwicklung herbeiführt. Epistase scheint also zu bedeuten: das Aufhören der psychischen Tatigkeit, welche die evolutionellen Formveran- derungen herbeiführt. Darum stort sie nur den cvolutionellcn tortgang eines angcfangenen Umwandlungsprozesses. Die bloss chemisch-physikalischen Wirkungen jedoch, die dadurch verursacht sind, gehen weiter fort, können aber dann nur noch zu solchen Umwandlungen hinfiihren, die aus Mischung oder Trennung des schon Vorhandenen sich ergeben, und nicht zu solchen, die einen Fortgang der Evolution bedeuten. Sie können also auch keine neuen Arten hervorbringen. Jedes Individuum behalt dann seinen in dem Umwandlungsprozesse schon erreichten Standpunkt bei und übertragt diesen erblich seinen Nachkommen, in dem Sinne jedoch, dass er in der Regel durch die Kreuzung, die ich Panmixie nenne, bei allen Individuen auf einem gewissen Durchschnitt und somit auf eine gewisse Gleichheit reduziert wird. Gleichwohl können doch bei einer derartigen Panmixie einige im vorhergehenden evolutionellen Prozesse einigermassen schwacher aufgetretene Eigenschaften durch Kumulation sich eventuell kraftigen und sogar die Oberhand gewinnen. So kann dies z. B. in dem auf S. 190 envahnten Falie von Atavismus geschehen sein. Die Tatsache, dass die bloss chemisch-physikalischen Prozesse, die urspriinglich durch psychische Wirkung entstanden sind, nicht inne halten, auch wenn jener psychische Einfluss zu wirken aufhört und obgleich damit auch die weitere evolutionelle Entwicklung abgeschlossen ist, lasst sich, meiner Meinung nach z. B. bei den Erscheinungen der Vererbung beobachten. Obgleich ohne Zweifel unter einer intelligenten und also psychischen Leitung entstanden, scheint dennoch der Fortpflanzungsprozess weiter bloss chemisch-physikalisch und also nicht unter psychischer Leitung zu verlaufen, und deshalb auch nur zu den sogenannten fluktuierenden Varietaten, nicht aber zu neuer Artbildung führen zu können. Denn, wie schon bemerkte wurde, nachdem der psychische Einfluss aufgehört hat, geht dennoch was dieser zuwege gebracht hat, nicht verloren. Es setzt sich dann jedoch diese Wirkung auf dieselbe Weise fort, wie das mit den Reflexbewegungen der Pall ist, die ebenso ihre Entstehung psychischer Wirkung verdanken. Als Reflexbewegung erscheint die einfachste Ausserung der psychischen Wirkung auf das Protoplasma. Dabei ist, um es so einmal auszudrücken, nur noch die Rede von dem Vermogen auf eine bestimmte Frage zu antworten, welches Vermógen jedoch bloss als eine gezwungene Tatsache, als eine notwendige Folge, auftritt, ohne dass es zugleicherzeit dazu befahigt ist, das Nützliche dieser Antwort im Zusammenhang mit andern Forderungen zu beurteilen und demnach eventuell die Antwort zu verweigern. Erst bei einer höhern Entwicklung des psychischen Elements tritt auch die letztere Pahigkeit auf und wird also seine Ausserung in den Lebenserscheinungen bedeutender. Wenn jedoch dieses psychische Element auf einem derartigen höhern Entwicklungsgrad wieder aufhört auf irgendeine Lebensausserung Einfluss auszuüben, scheint es, dass die tolgen seines Einflusses dennoch zwar bestehen bleiben, aber fortan mit solchen Übereinstimmung aufweisen, die durch jene elementarste Wirkung dieses Elements zustande kommen, die wir als Reflexbewegungen bezeichneten. Hierzu gehort das, was man die Kraft der Gewohnheit nennt und was bekanntlich bei Menschen und Tieren solch eine grosse Rolle spielt. Es sind dies Handlungen die durch psychische Denkakte entstehen und die, wenn sie vielfach wiederholen worden sind, ohne dass eine solche Denkakte sie erregt, also ganz wie Reflexerscheinungen ausgefiihrt werden. Auf S. 27 citierte ich davon schon ein Beispiel. Auch in solchen Fallen lasst sich dies beobachten, wo das Vorhandensein einer psychischen Wirkung gewiss nicht angenommen, aber andrerseits doch nicht bezweifelt werden kann, dass ursprünglich eine solche die Veranlassung dazu war. So z. B. in den Reflexbewegungen, die uns das Herz eines Haifisches erblicken lasst, wenn es aus dem Körper geschnitten ist, oder in denen, die unlangst beobachtet wurden, als nach einer operativen Entfernung von dem Anhangsel des Blinddarms dieser ausserhalb des Körpers durch eigene Zusammenziehungen die in demselben anwesenden fakalen Stofife ausschied. Auch auf künstlichem Wege können dergleichen Reflexbewegungen hervorgerufen werden und zwar nicht nur, wenn der Körper noch lebt. Auch tote Körper sollen eventuell noch Bewegungen zur Abwehr machen können. Gewiss kann dabei nur an eine bloss chemisch-physikalische Wirkung gedacht werden, aber dennoch ist diese nichts andres als die Fortsetzung dessen, was einmal als Lebenserscheinung unter psychischem Einfluss ins Leben gerufen war. Bisweilen scheint es jedoch, als ob nach dem Nachlassen der psychischen Leitung, die einmal erlangte evolutionelle Richtung erhalten werden kann. Giebt es doch gewisse, spater noch ausführlicher zu erwahnende Vorgange, die ursprünglich vermutlich anlasslich eines korrelativen Reizes unter psychischem Einfluss entstanden, sich spater diesem Einfluss und der Leitung, welche dieser mit sich bringt, zu entziehen scheinen, sich aber gleichwohl in der einmal angenommenen Richtung fortsetzen. Allerdings erhalten sie dann auch durch diesen Mangel an Führung allmahlich einen exzessiven, monströsen Charakter, der sehr ungünstig und sogar vernichtend auf den Organismus zurückwirkt. Dies lasst sich nun nicht leicht erklaren. Würde es vielleicht möglich sein, dass, wenn unter dem psychischen Drang der betreflende evolutionelle Vorgang ganz von dem chemischphysikalischen Prozesse der Ernahrung abhangig geworden ware, wie dies bei den excessiven Bildungen wohl der Fall zu sein scheint, so lange die Ernahrung fortdauert, dementsprechend auch die evolutionelle Fortdauer in der Umgestaltung beibehalten bliebe ? Das Aufhören der Ernahrung würde dann ja wieder gleichfalls nur infolge psychischer Leitung erfolgen können, und müsste also, wo diese fehlt, auch ausbleiben. Man sieht ja doch, wie sich ganz ohne jeden psychischen Einfluss, krankhafte Bildungen wie Geschwülste, die sich auch aus dem Organismus ernahren, in demselben entwickeln. Es steht fest, dass sich analoge Tatsachen auch auf dem rein psychischen Gebiete wahrnehmen lassen. Auch in der Geschichte der Menschheit sieht man allerhand neue Bildungen in Wissenschaft und Kunst, auch als soziale oder religiöse Ansichten, entstehen und sichtlich ein sehr kraftiges geistiges Lebcn effenbaren. Wenn aber „ach einigcr Zeil der Geis. der sie erweckte, erlosch, so bleiben die Ideen doch noch' er"treJÜdS' ausserlich immer dassclbc Ge ,der' J ,k" aU d?U"ich dass d" Weelende ta di'Jm M u e'"m d6en War' 'ctzl fehl<- Sie sind n diesem I all auch ausserstande sich höher zu entwickeln e ganze Geselschaft wird von solchen entseelten Auffassungen und Instituten beherrscht. inf!Lern die °benerwfnten Störungen sich in einer einmal infolge eines aussern Reizes entstandenen Umwandlung nicht gitend machen, so wird diese gewiss weitergehen, bis die alsdann a "rc[cht ist, und erst dann wird, da alsdann auch der psychische Drang aufhören wird, Epistase eintreten Mamhch was diese Umgestaltung betrifft. Denn auc" unter ZuSammenha»g «nd neben dieser unter dem Einfluss andrer Reize in demselben Orga- n.smus wieder andre Umwandlungsprozesse entstehen Nut adaptat.v entstandene Bildungen sind normal erblich, und wenn wenigstens nicht bestimmt in eine entgegengesetzte Richtung drangende Vorgange sie daran hindern, imstande sich weiter fortzusetzen. Besonders ist das der Fall wenn dieselbe Linwirkung auf viele aufeinanderfolgende Generationen fort- in T 1°■ rman Vermutlich die dunkle Hautfarbe der VrrJ-H- SSe" Land,crn entwickelten Menschenrassen als Verteidigungsmassregel gegen das starke Sonnenlicht erklaren mussen M,t den Veranderungen, die keinen adaptiven Charakter tragen und also bloss auf chemisch-physikalischem Wege zustan de gekommen sind, scheint dies normaler Weise s'VsötnMS DU Se,n' Tr°tzdem hat man' ^e schon auf auf dn A f' er°rterVSt' mChrere F^lle beobachtet, die a^f eine Ausnahme von dieser Regel zu deuten scheinen. Wie lasst sich dies erklaren ? Die Vererbung durch aussere Einflüsse hervorgebrachter Veranderungen schei»' also im Allgemeinen abhangig „„ Z" I0d einen adaptativen Charakter tra en d.h. ob dabei uas psychische Element in Tatigkeit ntt oder nicht. Ware man dann nicht etwa zu der Vermutung berechtigt, dass auch bei Verwundungen und ahnlichen, 20 korpcrliche Zerstörungen obgleich dabei nur von einem chcmisch-physikalischen Vorgang die Rede zu sein schei.it, in der Tat doch bisweilen das psychische Element einigermassen mitreden und deshalb auch Vererbung derselben bewirken konnte ? E,ne derartige psychische Wirkung wird z. B. stattfinden, wenn die Rede ist von dem Regenerationsvermögen • w.e .ch oben schon auf S. 272 anführte, ist dabei doch das ij reten einer psychische Tatigkeit sehr wahrscheinlich. Hinsichtlich solcher Verwundungen und Amputationen, bei denen keine Regeneration erfolgt, würde dann gewöhnlich auch keine psychische Tatigkeit eingreifen und also auch ke.ne Vererbung bestehen. Es lasst sich gleichwohl die MögIichkeit behaupten, dass dies mit solchen Verletzungen, d.e .n hochst störender Weise auf allgemeine physiologische Funct.onen und damit auf deren psychische Leitune einwirken, doch wohl der Fall sein kann. Man brauchte dann nur anzunehmen, dass, sobald dieses Element in noch so geringem Masse mit irgendeiner Umgestaltung zusammeng.nge, dieser E.nfluss sich alsdann auch — wenn auch nur m der noch naher zu besprechenden Form der Erinnerung — auf die Keimzellen ausdehne. So würde es sich dann erklaren lassen, wie bisweilen auch Veranderungen, die durch aussere Einflüsse verursacht werden, erblich sein konnen, obgleich dies mit den sogenannten fluktuierenden Var.at.onen, d.e aus dem bloss chemisch-physikalisch verlaufenden Vorgang der Vererbung hervorgehen, nicht der Fall ist Ich gebe willig zu, dass man sich hier noch ganzaufdem geb.ete der Hypothese bewegt. Man vergesse jedoch nicht, dass es hier auch nur Betrachtungen über noch sehr dunkle Naturvorgange gllt' Auffassungen, die nóch im Werden begnffen sind. Selbstverstandlich wird man noch dies oder jenes davon abziehen oder hinzufügen konnen, aber dennoch g aube ich, dass die Grundideen dieser Vorstellungen sich als r.cht.g erweisen können. Es ist hier nur davon die Rede, er airheit annaherungsweise beizukommen. Mehr beanspruchen obige Ausführungen nicht. Unmöglich ist die Richtigke.L dieser Vermutungen aber durchaus nicht und ihr Wert halb auch nicht geringer als jener der sogenannten Erklarungen, mit denen man sich jetzt gewöhnlich begnügt. Die genannten aussern Einflüsse nun lassen sich, wie es sich in den von mir angeführten Beispielen zeigte, bisweilen sehr deutlich erkennen. Andere muss man wohl annehmen, da wo die deutlich wahrnehmbaren Umwandlungen in ihrem Entstehen unleugbar auf eine Reaktion auf einen derartigen Reiz hinweisen. Es giebt aber deren auch, die sich zweifellos als solche erweisen, trotzdem das, was diesen Reiz bildet, ganz unbekannt bleibt. Von letzterm giebt das Studium der Lepidopterologie interessante Beispiele. Es giebt eine Familie der Tagfalter, die der Helikoniden, welche ausschliesslich in Amerika und zwar hauptsachlich in Süd-Amerika heimisch ist, und sich durch eine eigentümliche der Lange nach ausgedehnte Flügelform auszeichnet. Diese Form ist also speziell amerikanisch. Nun findet man aber in Südamerika auch viele Schmetterlinge, die zu den Familien der Danaiden, Pieriden und Nymphaliden gehören, welche Familien wohl nicht amerikanischer Herkunft sind, sondern sich wahrscheinlich dahin anderswoher verbreitet haben. Die Danaiden sind vermutlich ursprünglich in Afrika, die Pieriden im Indo-Australischen Gebiet heimisch, wo sie denn auch in vielen Genera und Arten vorkommen. Auch die Nymphaliden sind in der alten Welt so zahlreich, dass sie gleichfalls wohl daher stammen werden. In jenen Gegenden nun besitzen die Schmetterlinge dieser drei Tamilien nicht die erwahnte speziell amerikanische Flügelform und auch in Amerika ist dies noch keineswegs immer der Fall. Man findet da jedoch einige Arten, welche jene Form besitzen; diese werden sie also wohl dort erlangt haben. Bei den amerikanischen Danaiden ist dies sogar, einige Arten ausgenommen, im allgemeinen schon der Fall, unter den Pieriden und Nymphaliden jedoch nur bei wenigen, sodass man zu der Annahme berechtigt ist, jene Schmetterlinge befanden sich jetzt in Südamerika in einer Periode evolutionellen Umgestaltung, bei der sic allmahlicli auch die eigentumliche Form der Helikoniden annehmen, was jedoch bis jetzt nur noch bei einigen Arten stattgefunden hat. Namentlich findet dies eine genus DismlrJhiTtoU ^rten' ^ebTd^f^" Pieridcn" Umwa„dlu„g erfahren haben, jedoch 'auch Indre,'ïeTdene" diese ofifenbar noch im Gano-e i• nnten' P°lymorphisudsseiDe, trint man hinsichtlich der Farhe t? ÜtrTL- r-als <«• bef de. andres als eine FoIïtp . . r n*chts faitigkeit, die bei jeder Evolution t^lTs^T* sr dEinfluss'dw *- staltung, was doch aus d T"" • evo,utlonelle Umgedie ket^Lenfrur ltL^TT'™ **• gente psychische Lei.ung hinzodenten'" ""fj' hérrIXadied" - ihren' Auftreten ' massig erfolg,' Weieher EifflUTd" ahe" > e™arte, man hier nalilrlich die An£<£ erklart jedoch garnichts. Weder das Klim • S ïï£ ot Gego.,de„dieses ansgedehnLTSeb" es^^ri^" Evolution aber nicht stattfindet. Zeisen, wo jene Etwas Ahnliches lasst sich in dem F„r.i *• Euploeas wahrnehmen. Dieses Genus bildet" !°nspr0*esse der lischen Zweig der vermutlirl, ar i emen ""^austradenfamilie, der UwZl' h n""* »>nai. aufweist, Lof defTehr fd*'"! F«<* Flcckcn bemerkbar sind. Bei ein£en"ArtT'^t P'"ll"C °d" Weiss noch nicht* ?u spiirer h ' & • " zwar von dem -—~ wieder werden diese Tüpfelchen zu kleinern und grössern weissen Flecken. Dies geht so weiter, bis bei ciner Art li. Browni Gdm. Salv. der Schmetterling fast ganz weiss geworden ist und von der braunen Farbe nur noch Relikte zu sehen sind. Im allgemeinen scheint nun das Weiss nach dem Osten des malaiischen Archipels hin immer zuzunehmen. E. Browni stammt denn auch von dem Bismarckarchipel und New-Irland. Die Weise jedoch, wie es auftritt wird von lokalen Einflüssen bedingt. Von den auf Celebes vorkommenden Arten dieses Genus sind sechs dieser Insel besonders eigen, wahrend die übrigen sich auch auf andern Insein finden. Bei allen erstgenannten nun tragen die besprochenen weissen Streifen und Mecken einen bestimmten Charakter, der fiir einen Sachkundigen deutlich zu erkennen ist. Denselben Charakter besitzen ferner auch schon zwei der auch auf andern Insein vorkommenden Euploeas, die in dieser Beziehung sich von ihren Artgenossen anderswo zu unterscheiden anfangen. Bei den andern aber ist dies noch nicht der Fall gewesen, schon wieder ein deutlicher Beweis der evolutionellen Ungleichheit, wonach einige Arten noch unempfindlich bleiben gegen den hier besprochenen Einfluss. Auf den Philippinen haben die Flecken und Streifen auch wieder einen eigentümlichen, obgleich nicht so scharf hervortretenden Charakter, wahrend an mehreren Orten im Osten des malaiischen Archipels die Hügel einiger Arten ein mehr oder weniger breites, weisses Band annimmen. Auf den Kei-Insein erreicht dies den Gipfelpunkt. Drei dort vorkommende, aber auch an andern Orten lebende Euploea-Arten zeigen da dasselbe breites, weisses Band auf so auffallige Weise, dass sie sozusagen allmahüch eine mimetische Ahnlichkeit erlangen. Auf denselben Insein erfahrt übrigens auch ein andrer Schmetterling, eine Nymphalide, Hypolimnas antilope Cram. (Anomala Wall.), die auch anderswo wohl einige Neigung dazu zeigt, ein solches Weisswerden, das ihr Ausseres ganz verandert. Auf rimor soll es bei diesem Schmetterling auch der I' uil sein. Ich habe auf S. 94 und 107 von M. S. D. schon auf dies alles hingewiesen, meinte aber noch etwas eingehender darauf zurückkommen zu mussen. So besteht also offenbar auch in diesem Falie ein gleicher Einfluss, wie der in Südamerika, der aber selbst keine evolutionelle Veranderung ins Leben ruft, sondern auf eine schon vorhandene einwirkt und diese in eine spezielle Richtung lenkt. Welcher Einfluss ist dies hier? Von einem klimatischen Unterschied könnte hier schwerlich die Rede sein. Es steht also fest, dass die Organismen aussern Einflüssen verschiedener Art in starkem Masse unterworfen sind und dass diese bisweilen erblich bleibende Formveranderungen herbeiführen können. Insoweit namlich, meines Erachtens, als der Einfluss einen solchen Reiz ausübt, dass dadurch die zu der Veranderung erforderliche psychische Reaktion eintritt. Auch nichtvitalistische Beobachter haben übrigens schon öfters ausgesprochen — man sehe z. B. die auf S. 196 geausserte Ansicht Dr. E. Fischers — das eine aussere Einwirkung, welche eine Formveranderung herbeiführt, nicht in direkter, sondern in indirekter Weise zu wirken scheint, und zwar, wie man es nennt, durch Beeinflussung des Nervensystems. Das, was mit diesem Ausdruck namlich gemeint ist, ist tatsachlich nichts Andres, als das psychische Element. Ein derartige Einfluss kann dann als Reiz auf ïrgendeine Entwicklungsrichtung, wie sie durch das betreffende Element geleitet und beherscht wird, einwirken. Er kann jedoch auch, z. B. wo er narkotischer Art ist, oder in den betreffenden Experimenten, soweit sie einen exzessiven Charakter tragen, das Protoplasma in einen morbiden Zustand versetzen, was denn auch durch die Wechselwirkung, die zwischen Psyche und Körper besteht, das funktionieren der psychische Tatigkeit verwirren bezw. zerstören wird. Wie gesagt, entstehen jedoch nicht alle evolutionellen Vorgange aus dem Reiz der aussern Einflüsse. Durch korrelativen Drang scheinen bisweilen einige nicht mehr dienliche Organe entfernt zu werden, wie dies z. B. in dem Prozcssc von dein Schwinuen des Horns der Sphingidenraupen der t all ist. Auch in solchen Prozessen tritt aber, wie dies z. B. das Anhangsel des Blinddarms zeigt, bisweilen Epistase auf, woraus also folgt, dass auch dabei das psychische Element tatig ist. Dass bei solchen durch viele Jahrhunderte selbstandig nebeneinander, aber doch offenbar alle in derselben Richtung nach einem bestimmten Ziel, laufenden Prozessen, wie dem des Verschwindens, früher dem des prothorakalen Flügelpaars, jetzt des prothorakalen Paars Füsse und der Hinterflügel bei den Lepidopteren, worüber meine bereits citierte Abhandlung sich auslasst, auch korrelativer [Einfluss mitgewirkt hat, lasst sich wohl vermuten. Ohne Zweifel hat dabei auch das psychische Element eine führeude Rolle. So verhalt es sich auch, wenn wir die offenbar gleichfalls auf Intellekt hinweisenden Bildungen in Betracht ziehen, welche die verschiedenen tierischen Organe aufweisen. Um eine rein psychische Wirkung scheint es sich auch wohl in Fallen wie denen zu handeln, welche ich aufS. 169 in M. S. D. betreffs der Hauer des verwilderten Schweines und auf S. 172 daselbst in Bezug auf den sogenannten Instinkt der Bienen besprach, besonders was den Einfluss der Domestizitat auf das Weiswerden vieler Tiere betrifft, wie dies oben erörtert worden ist. Bei dem auf S. 172 daselbst erwahnten Falie von Phryanistriata Fruhstorferi (?) können auch wohl korrelative Forderungen auftreten, wahrend die von mir in M. S. D. ausgesprochene Vermutung, dass an eine suggestive Wirkung unter Einfluss der Umgebung bei sogenannten Mimicryfallem von Farbe und Form gedacht werden kann, gewiss eine überwiegende psychische Wirkung, jedoch als Folge ausserer Einflüsse, sich behaupten lasst. Auf dem eigentlich psychischem Gebiete kommt selbstverstandlich die rein psychische Wirkung ausschliesslich vor. Auf diese Weise glaube ich, dass die Ursache der grossen Verschiedenheit zwischen den lebenden Wesen wohl verstanden werden kann. Sowohl in den fiir jedes Einzelwesen verschiedenen Umstanden, welche die Vererbung beherrschen, wie in den ebenso verschiedenartigen bloss chemisch-physikalisch einwirkenden aussern Einflüssen, denen sie unterworfen sind, weiter in den Prozessen der evolutionellen Umgestaltung, findet dieselbe ihren Grund. In letzterem Falie zeigt diesc Vcrschiedcnhcit dann ein Bild der verschiedcnen Entwicklungsstufen, auf denen sich die Arten oder die Einzelwesen befinden. In Anbetracht dessen, dass diese Stufen zahllose sind und jede Umgestaltung überdies nur einige Teile des Organismus, bald diesen bald jenen betrifft, wobei dann noch der Fortgang jeder evolutiven Umwandlung bei einer Art und sogar bei einen Einzelwesen viel schneller als bei dem andern stattfindet, entsteht jene überaus grosse Mannigfaltigkeit in den Evolutionserscheinungen, auf die ich schon so oft hingewiesen habe. Zur Erklarung jener Verschiedenheit braucht man also keine besondere Naturkraft oder irgendein Naturgesetz. Wohl ist dabei unumganglich, dass man einen psychischen Faktor anerkennt und also einen vitalistischen Standpunkt einnimt. Die wissenschaftliche Wichtigkeit dieses Standpunkts tritt hierbei also deutlich hervor. Das ebenervvahnte Prinzip der Mannigfaltigkeit, wie Prof. Dr. REINKE es nennt, muss dabei vor allem in Betracht gezogen werden. Dies geschieht noch keineswegs. Wie oft ich auch schon darauf hingewiesen habe, so scheint es mir dennoch nicht überflüssig zu sein, hier noch dies und jenes in dieser Beziehung einzuschalten. In der Insekten-Bórse \om 9 Februar 1905 fand ich als wissenschaftlich festgestellte Tatsache mitgeteilt, dass bei den in grosse Meerestiefen lebenden Krebsen teilweise die Augen verkleinert seien, das Pigment mehr oder weniger verschwinde, die Zahl der Fazetten geringer und das Auge weniger beweglich sei, und dass Tiere ein und derselben Art die angegebenen Veranderungen aufwiesen, je nachdem sie aus geringerer oder grösserer Tiefe entnommen würden. Ferner gebe es im Baikalsee Krabbenarten, an denen man die ganze Stufenleiter der Augenverkümmerung demonstrieren könne. Letztere geht soweit, dass Korstner Exemplare gefangen hat, bei denen das eine Auge noch ganz deutlich ausgepragt, das andere ganz rudimentar war. Auch noch in einer dem Studium der Anatomie des Menschen entstammende Beobachtung, die mir zufalligerweise unter die Augen kam, zeigt sich die Ungleichheit der Evolution auf merkwürdigc Weise. In der Revue Scientifique ') las ich namlich folgendes: „En effet, penetrant dans Pintwuté de la fonction nous apprenons quil est des systèmes ayant une phase ascensionnelle ou de croissance indéfiniment prolongêe, alors que d" au tres systèmes semblent s ar r eter préviaturement, tant leur marche est imperceptible. Ou pourrait comparer l inégalité de développement des divers systèmes anatomiques cliez un mème individu a Vinègalitê (T evolution de la taille dans la série des individus; les uns ont leur taille dêfinitive a 14. ans, les autres grandissent jusqu'a 20 ans, quelques-uns mème jusqua 23 et 30 ans." Die Ursache dieser Mannigfaltigkeit liegt also in der ungleichen Fahigkeit, sich irgendeinem Einfluss anzupassen, die wieder eine Folge der jedem Individuum eigen Selbstandigkeit ist, nach dessen Bedürfnissen das psychische Element sich zu richten hat. Diese Ungleichheit bringt namlich mit sich, dass, wenn auch ein derartiger Einfluss eine Umwandlung herbeiführt, dieser dennoch, auch wenn alle Einzelwesen einer Art demselben Einfluss ausgesetzt sind, sich nicht gleichzeitig bei ihnen geltend macht, sondern erst nur bei denen, die am empfindlichsten dafür sind, und dann je nach der Disposition allmahlich bei mehr Individuen auftritt, bis er sich endlich über die grosse Mehrzahl ausdehnt und nur noch bei einigen der alte Zustand bestehen bleibt, wobei dies dann gewöhnlicherweise als eine atavistische Erscheinung gedeutet wird. Da nun ein solcher Umwandlungsprozess, nachdem er einmal angefangen hat, wenigstens insoweit keine Störung stattfindet, fortgeht, bis das als Rciz auftretende Bcdürfnis befriedigt ist, werden sich notwendigerweise die Individuen, je nachdem dieser Prozess früher oder spater bei ihnen aufgetreten ist, in verschiedenen Entwicklungsstadien befinden. Weiter besteht die Möglichkeit, dass sie, wenn Epistase eintritt, kürzer oder langer in einem bestimmten Stadium verharren, was z. B. auch allein bei lokalen Gruppen einundderselben Art vorkommen kann. Aus diesem Grunde kommen z. B. die Umwandlungen, die 1) 18 Jan. 11)04. de Vries bei Oenothera Lamarckiana Seringe wahrnahm nur noch bei einigen Individuen dieser Pflanzenart vor. Auch ist dies der Grund, dass allerhand Veranderungen andrer Pflanzen, welche dieser Botaniker erwahnt, bisweilen ganz selbstandig und dann auch an verschiedenen Orten auftreten. Um derartige Umwandlungen, wenn sie sich erst bei einigen Individuen zeigen und dann als neue Varietaten betrachtet werden, zu behalten, wendet man im Gartenbau künstliche Zuchtwahl an. Die Natur kennt diese jedoch nicht, es handelt sich dabei dann auch nur um erste Manifestionen eines Umvvandlungsprozesses, der allmahlich, ohne irgendwelche Zuchtwahl, deutlicher zutage treten wird, sodass dann die neuen Bildungen sogar sehr gewöhnliche werden. Natürlich nur, wenn die Umstande für die Einwirkung des Einflusses, der sie entstehen lasst, gunstig bleiben, und auf diese Weise die Fahigkeit, sich in der angenommenen Richtung umzugestalten, in demselben Masse fortdauert. Nirgends lasst sich wohl diese Mannigfaltigkeit, wie sie im Zusammenhang mit der Erscheinung der Epistase zutage tritt, deutlicher wahrnehmen, als wo sie sich in den Farbenumwandlungen bei den Lepidopteren zeigt, und dort auch haufig als Variabilitat betrachtet wird. Bisweilen sieht man, wie sich dieser Prozess erst in beiden Sexen entwickelt, dann aber, nachdem er eine gewisse Höhe erreicht hat, aufhört, um auf lange Zeit in einem Zustand der Epistase zu verharren. In dem Sinne aber, dass, wie oben gesagt, die sogenannten fluktuierenden Unterschiede, die mit diesem evolutionellen Prozesse nichts auszumachen haben, immer noch vorkommen werden. Bei andern Lepidopteren jedoch stellt sich, wenn ein gewisser Höhepunkt der Evolution erreicht ist, die Epistase nur in einer Sexe ein, die andere setzt ihre Umwandlung fort. Hierdurch entsteht die bekannte, meistens ganz falsch und als solche sexuell aufgefasste Tatsache des Di- und Polymorphismus solcher Schmetterlinge. Jedoch nicht allein zwischen den Sexen findet man diesen Unterschied, sondern auch zwischen Rassen und Arten, in denen dann die Sexen bisweilen wieder auf einem gleichen Standpunkt stehen können. Uberdies ist er sogar zwischen den Einzelwesen nicht selten so gross, dass offenbar auch unter ihnen der betreffende Vorgang bald schneller, bald langsamer vor sich geht. Dass dies der Fall sein kann, lasst sich denn auch, wenn man den Lauf der evolutionellen Vorgange auf die oben angedeutete Weise auffasst, wohl verstehen. Wo eine derartige Veranderung sehr langsam vor sich geht, wird sie, wie einleuchtet, kaum die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Jedoch darf man annehmen, dass dies z. B. erfolgen kann, wo infolge eines Einflusses auf einen dafür empfindlichen Organismus die psychische Tatigkeit schon zu einer Umwandlung den Anstoss gegeben hat, ohne dass jedoch die Folgen schon in die aussere Erscheinung treten. Es hat den Anschein, dass — ich wies auf S. 299 daraufhin — ein derartig Prozess allmahlig und vielleicht einigermassen kumulativ verlauft, sodass die Formveranderung nur auf einem bestimmten Standpunkt, aber dann auch sehr schnell, erfolgt. Etwas Ahnliches muss auch der Fall sein, wenn nach einer der Hautungen einer Raupe diese ziemlich plötzlich eine andre Farbe erhalt. Dies muss ja die ontogenetische Reproduktion eines frühern phylogenetischen Prozesses sein, der doch wohl nicht so plötzlich stattgefunden hat, sodass diese ziemlich plötzliche Farbenveranderung in der Ontogenese sich nur als den Effekt einer vorhergehenden Kumulativen Vorbereitung dazu denken lasst. Eine derartige Farbenveranderung meine ich namlich — ich werde sogleich darauf zurückkommen — einmal innerhalb sehr kurzer Zeit wahrgenommen zu haben. Darum dürfte man wohl zu der Annahme berechtigt sein, dass, wenn in irgendeiner Art, nach einer Periode von Epistase, eine neue Form plötzlich und offenbar kraftig auftritt, hier sozusagen der Ausbruch eines kumulativ sehr kraftig gewordenen Veranderungsfaktors vorliege. Beschleunigung ist dann an die Stelle der Epistase getreten. Giebt es doch mehr Beispiele, dass in irgendeinem Entwicklungsvorgang bisweilen auch Beschleunigung eintreten kann, auch auf psychischem Gebiete, wie ich schon auf S. 41 von M. S. D. in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft angedeutet habe. Auch der Werdeprozess des Menschen dl!rCh TT0 besonders beschleunigte Entwicklung des psvchi schei, Elements i„ diesem Wesen, und die plötzliche ÏT sowohl geist,gc wie körpcrliche Entwicklung, wclchc nur ■n de, weiblichen Sexe des Mensehen „ach det elZ Lebcnsalter eintatt, sind hie, von Beden,ung. jedocl, schcint Rel,7 , r ,^0ndere" Ein,1ÜS5e" tZ Regel den,et alles auf allmahliche Umwandlung „nd insowdï TdenL Lr0:'" -°e "denken hat, ist eigentlich doch auch von jener die Rede Geschichte der Menschheit weist ebenso unleugbar auf üb^ das V hnT?1Ueg hin" S° laS iCh,) VOr kurzem auch forsrl daS.Geb,et der SPrache- dass der italienische Sprach- r^r^~VUrCh Untersuchun- gen uber die B.ldung der Sprachen zu der Überzeugune Sekommen se., dass diese im allgemeinen allmahlig differen z eren, nur in gewissen Fallen von besonderer phonetischer dannlteit SChrite die Verënderu"g schnell voran, und Sprachen emem k'UrZen Zeitraum whlreiche Die im letzten halben Jahrhundert in mehrern Landern nahme^d w'T ^lederlandcn' ^ahrgenommene starke Zu- L und' Trn U,"ter de" LePid°Pte™ Ocneria P L. und Amphtdasis betularia L. - bekannt als die van e emita Ochs. und Doubledayaria Mill. - welche zu wer^ mTenS mit dCm Schlagwort Melanismus abgetan zu werden pflegt jedoch tatsachlich eine haufige Erschefnung der I arbenevolution andeutet, kann auch durch eine der "ge beschleunigte Entwicklung verursacht sein. Dies braucht abc, nicht der Fall zu sein; die Möglichkeit existiert .1-, de, evCutioneUe Vorgang de, FatheLtandlu^bei'jenen Schmettelingen einfach schon sn weit fortgnnchrittei^ dass s,e nun z.emlich allgemein auftutreten anfangt und da durch besonders die Anfmerksamkeit auf sich zieht. Vereleicht" man ,edoch die Erscheinungen, die als Saisondimorphismus bekannt sind, mit den Farbcnverandemngcn bei ,,o„tche„ Schmetterhngen wie z. li. bei Cylh I.eda L„ abc, die ich in 1) ' u.d Altir de, (C„a, ^ meiner Studie übcr die Farbenevolution bei den Pieriden handelte, so wird es deutlich, dass erstere gewiss als Falie beschleunigter Entwicklung betrachtet werden müssen. Sic treten eben in Gegenden auf, wo die klimatologische Unterschiede, die den Reiz bilden, sehr bedeutend sind und nur auf scharf getrennte Generationen einwirken, wahrend diesc Veranderungen, obgleich ganz derselben Art, bei den genannten tropischen Schmetterlingen nur allmahlig und langsam erfolgen, da bei diesen die ebengenannten Unterschiede nicht so scharf sind und auch die Generationen, auf welche sie Einfluss ausüben, allmahlich aufeinander folgen. Hier sehen wir also, wie besondere Umstande eine Beschleunigung in der Evolution herbeiführen können. Die Tatsache aber, dass besondere Umstande dazu mitwirken müssen, zeigt deutlich, dass allmahliche Evolution die normale sein muss. Vielleicht lasst sich in der Entwicklungsgeschichte der Saugetiere auch eine derartige Beschleunigung nachweisen, wie ich sie namlich auf S- 354 v°n m. S. d. nach dem Ausspruch Dr. W. Brancos erwahnte. In der ganzen mesozoischen Periode scheint sie nur langsam fortzuschreiten, jedoch mit Beginn der Tertiarperiode sehr kraftig aufzutreten, und dann wenigstens viel schneller als in der vorhergehenden Periode weiterzugehen. So besonders rasch ist die Entwicklung der Reptilien dahingegen wahrend des mesozoischen Zeitraumes gewesen, dass man dabei wohl etwas Derartiges vermuten darf. Die Tatsache, dass der Mensch auf künstlichem Wege das Wachstum, die Blüten- und Fruchtbildung von Pflanzen beschleunigen kann, weist auch auf die Möglichkeit davon hin. Man ist also zu der Annahme berechtigt, dass derartige Beschleunigungsprozesse unter dazu günstigen Umstanden vorkommen können. Diese Umstande und die Einflüsse, welche dazu gehören, dürften aber oft wohl zu viele sein, auch zu verwickelt und zu langsam wirkend, dass wir ihnen nachgehen könnten. Bis auf einen gewissen Grad wird hier aber vielleicht das Experiment mithelfen können. Ais eine derartige beschleunigung habe ich, wie ich schon auf Seite 410 von m. S. d. erörterte, auch immer die soviel Aufsehen erregende Entstehung neuer Arten oder Rassen aus Oenothera Lamarckiana Seringe aufgefasst. Also ungca j auf dieselbe Weise wie A. Giard, wenn er sich folgendermassen ausspricht: qu'on voit dans une mutation, c est / apparition brusque et soudaine dun caractère qui n'existait pas antérieurement, mais ce caractère nest que la manifestation subite cTun état qui a p„ être tres lentement préparé chez les ancctres de 1'individu oii il apparaiC '). Ich kann diesem hreignis also nicht die grosse biologische Bedeutung zuerkcnnen, die Prof. Dr. hugo de Vries ihr beilegen zu mussen glaubt. Preilich braucht man sich nicht darüber zu verwundern, dass für die vielen Naturforscher, die, ganz und gar in den darwinistischen Auffassungen versunken, an dieselben all ihre Betrachtungen anknüpfen, das Ereigniss e.ner derartigen Veranderung einer Pflanze, in der man das auftreten einer neuen Rasse oder sogar Art sehen kann, wie d.es die Zucht de Vries' lehrte, ausserst bemerkenswert sein musste, zumal auch, da die unter ihnen herrschende Uberschatzung des experimentellen Beweises diesem Factum C'"e ^e®°ind,ere Bedeut»ng verlieh. Die Tatsache, dass eine Ar plotzhch in eine andere übergehen kann, hatte man also deutlich vor Augen gesehen. Aber, wenn ich auch diese Beobachtung nun zwar keineswegs für unbedeutend halte so starken E.ndruck hat sie jedenfalls nicht auf mich machen -onnen Ich hatte dasselbe namlich schon lange wahrgenommen jedoch so aufgefasst, dass sein plötzlicher Charakter nicht so ch einen Eindruck auf mich machen konnte und mir nur als e»ne beschleunigte Allmahlichkeit erschien. Auf S. 368 von M.S D. und S. 128 und 129 meiner Studie: Über die arbenevolution bei den Pieriden, habe ich die Tatsache erwamt, dass der in Ostindien sehr gewöhnliche Schmetterling e> tas IJecdbe L., wie seine Farbenevolution lehrt, noch vor verhaltmsmassig nicht langer Zeit aus demselbcn Stamme als Tertas San Horsf. sich difïferenziert haben müsse und dass dies denn auch in der Ontogenese der Raupen dieser beiden Arten deutlich zutage trete, wodurch auch der Um- jLt"rTda"C" aClU"US de 'a 1"0rph0'°SU " >" raPPorts avec In autres ■ (Revue scitntijique; Revue rose 11 fivrier igosj. Art™ tl . J Zt ,n ' Tat ZWCi deUtlich g^rcnnte Arten bestehen, ausser Zweifel gesetzt wird. Beide Raupen sind namlich grun und einander sehr ahnlich, wenn sie auch m der Nuance des Grün, das bei T. Hecabe L. immer siniCr ak' uaÓ SeltC" in gdb überSeht' verschieden . nd. Aber der hauptsachlichste Unterschied besteht in der ^arbe des Kopfes. Der Kopf Von T. Sari Horsf. hat namlich die allgemeine grüne Körperfarbc, wahrend jener von T. Hecabe L. nur noch in den ersten Stadiën ihrer Ontogenese dieselbe Farbe besitzt, in den spatern Stadiën jedoch, besonders in dem letzten, sich deutlich von erst- genannten Raupen dadurch unterscheidet, dass er dann schwarz ist, 0der wenigstens das Grün durch eine starke Zu- nahme des schwarzen Pigments so dunkel geworden ist, dass es schwarz zu sein scheint. Was mir aber damals nicht so bedeutend erschien, und was ich deshalb nicht gleichfalls erwahnt habe, ist die Tatsache, dass ich diese Veranderung daS Kennzeichen. worin was die Raupe betrifft, die eine Art sich von der andern unterscheidet also d,e Artveranderung, vor meinen Augen in sehr kurzer habe vor sich gehen sehen. Ich sah, wie eine Raupe von T. Hecabe L., ihre Haut abstreifte, um in ihr letztes Stadium uberzugehen. Als aber die Hautung stattgefunden hatte, hatte dennoch der Kopf die frühere grüne Farbe bchalten. Vor meinen Augen ging diese nun etwa binnen einer Stunde allmahhch und also fast unmerklich in Schwarz iiber. Nach aussen hin steilte dieser Vorgang sich als einen Pro«ss der Vertrocknung dar. Gleich nach der Hautung hatte die Raupe noch ein feuchtes Ausseres, das allmahlich, gleichze.fg mit der Farbenveranderung des Kopfes verschvvand. Zwe,fel. war' ^h sah, nichts Andres als das was man bei den Imagines der Coleopteren oft wahrmmmt und alsdann Ausfarbung nennt. Diese Ausfarbung sch,en hier aber unverkennbar den Übergang zu bilden von einem evolutiv altern Standpunkt der Farbenentwicklung zu einem weiter f^rtgeschrittenen. Zweifelsohne fand hier ein evolutioneller Veranderungsprozess statt und wird man nicht bezweifeln können, dass das, was hier zur Vollendung kam, sich im vorhergehenden Stadium allmahlich und zwar kumulativ entwickelt hatte. Ich erinnerc mich noch, einen derartigen Fall bei der Hautung einer Raupe von Pap. Agamemnon L. beobacht zu haben, in welchem Falie die Farbe der Raupe noch ganz dieselbe blieb wie in dem vorigen Stadium, bis sie sich ebenso durch eine scheinbare Austrocknung veranderte. Leider habe ich diese Wahrnehmung nicht wie die vorigen in meinen damals auf Java gemachten Notizen wieder finden können. Wohl habe ich dagegen aufgezeichnet '), dass die Farbenveranderung, welche bei der Raupe dieses Schmetterlings wahrend ihrer Ontogenese stattfindet, zwar bei jeder ihrer ersten drei Hautungen scliarf hervortritt, aber doch jedesmal schon wahrend das vorhergehendes Stadium sichtbar als eine allmahliche Ausbreitung des schwarzen Pigments verlauft; woraus sich also ergiebt, dass dieser Prozess tatsachlich auch einen allmahlichen Verlauf haben muss. Wie ich ferner J) lese hat Herr Dr. C. A. Merriam, nach einer Mitteilung in der Zeitschrift Science, in einem auf einer in New-Orleans abgehaltenen Versammlung der American Association for the Advancement of Science erklart, dass ein langes Studium der amerikanischen Saugetiere es ihm durchaus unmöglich mache, anzunehmen, dass in dieser Ordnung Formveranderungen durch Mutation stattfinden, ihn dahingegen davon überzeugt habe, dass derartige Veranderungen dort nur allmahlich entstanden sein könnten. Ferner, dass seines Erachtens, wenn dies auch ausnahmsweise vorkomme, die Evolution der grossen Mehrheit der'Pflanzen wohl gleichfalls allmahlich vor sich gegangen sein müsse. Nun, nach alle dem, was mir die evolutionellen Ungestaltungen der Lepidopteren gezeigt haben, muss ich dieser Meinung beistimmen. Dass sprungweise Veranderungen dabei als normaler Verlauf auftreten, bestatigt sich mir nicht. Es sei denn, dass man, wie ich dies auf S. 354 von M. S. D. anführte, 1) Dr, M O. Piepers, Ühr die F.ntivicklungsgeschickte einiger javanischen Papilioniden-Raupen. (Tijdschrift voor Entomologie XXXT, 188SJ. 2) Nature, 28 March, iqob. auch jene sehr kleinen Spriinge darunter verstehen wollte aus welchen sich naturgemass jede Veranderung zusammenS? ,^elch. letzere dennoch vor unsrer Wahrnehmung als eine allmahlich verlaufende erscheint. Wie ich ebendaselbst sagte, verhalt es sich damit, wie mit den Zeigern einer Uhr die immer weiterzugehen scheinen, die aber sich tatsachlich' stosswe.se fortbewegen. Wenn man nun auch alle organischen Veranderungen zu Atomen- oder sogar Elektronenbewe^ungen re uziert, so müssen diese auch wohl sprungweise zustande 'ommen. Dies ist jedoch nicht die Auffassung der Mutat.onstheorie von de Vries. Man merke auch wohl, dass wenn auch das plötzliche Auftreten der neuen OenotheraFormen sprungweise erscheint, dies doch nur für die Einzelwesen gilt. Das Auftreten jener veranderten Oenotheren ist ja nichts Anders als der Anfang des Hervortretens einer Artveranderung, wie sich diese erst nur bei den empnndlichsten Individuen oftenbart, um sich spater allmahlich je nach der individuellen Disposition weiter auszubreiten. Uie Art als ganzer—und hierin liegt ja die biologische Bedeutung — andert sich demnach nur allmahlich. Gewiss ist es dass der vor nicht langer Zeit entdeckte Umstand, dass noch' immer zwischen dem Menschen und den Anthropomorphen eine enge Verwandtschaft besteht, obgleich sich beide Zweige schon in langst vergangenen tertiaren Zeiten von einander getrennt haben, nicht auf schnelle Evolution deutet. Ebensowenig, wie der in meiner Abhandlung „ Ueber die sogenannten Schwanze der Lepidoptera" dargestellte Verlauf von dem Verkummerungsprozesse des prothorakalen Fusspaares dieser Insekten. Epistase scheint dennoch davon im letztern Falie nicht die Ursache zu sein, sondern nur die Tatsache, dass die Empfindlichkeit für diese bereits in der tertiaren Periode angefangene evolutionelle Umwandlung noch immer nur in sehr genngem Umfang entwickelt ist. Ich erwahnte soeben, wieviele Tagfalter in Südamerika eine spezielle Amerikanische Form annehmen, und dass in diesem Umwandlungsprozesse mehrere Arten nur wenig fortgeschritten sind, sowie, dass dabei dann die beiden Sexen bisweilen noch einen Unterschied aufweisen, sodass die eine in 21 diesem Punkte ofifenbar schon weiter fortgeschritten ist als die andere, obgleich beide doch nur ein kleines Stiick auf diesem Wege zurückgelegt haben. Wie ist es möglich, auch hierbei an etwas Andres als an einen allmahlichen Fortgang dieses Prozesses zu denken? Auf S. 67, 68 von M. S. D. sprach ich über die Bedeutung des schwarzen, hakenförmigen Streifens am Vorderrande der Vorderflügel bei den Qijeiniger Rassen von Pap. Dardanus Brown. (Merope Cram.). Was Anderes sieht man denn da als eine allmahliche Zunahme des schwarzen Pigments, sodass hierdurch schliesslich das Aussere jenes Falters sich ganz verandert? lm Genus Hebomoia zeigt uns die Farbenevolution in den verschiedenen Formen der Falter ebenso deutlich nichts Anderes als einen immer ungleichen, aber doch allmahlichen Verlauf des Umwandlungsprozesses. Denn, wie ich bereits öfters betonte, WEISMANN bemerkte schon vor langem mit Recht, dass den' I" arbenveranderungen der Schmetterlinge keine andern Ursachen zugrunde liegen, als denen der Form. Wie liesse sich sonst die Tatsache erklaren, dass, wo einige Q Q — wie es sich auch bei Antocharis cardaminis L. zeigt — den roten Flecken auf der Oberseite der Vorderflügel verloren haben, die bei den cf cf noch vorhanden ist, es deren auch noch giebt, welche an derselben Stelle noch Relikte eines solchen Fleckens aufweisen ? Oder wie will man den gelben Querstreifen auf der Oberseite der Vorderflügel von H. Glaucippe L., die dort die Grenze zwischen dem Weiss uud dem Rot anzeigt, anders verstehen als einen letzten Rest jener Phase im Verblassungsprozesse des Rot an dieser Stelle, als es noch nicht, wie jetzt, schon weiss, sondern erst gelb geworden war? Uberall weisen doch bei den Lepidopteren die so zahlreichen Farbenrelikte, wie auch z. B. die sogenannten Schwanze der Tagfalter darauf hin, dass der Veranderun«rSprozess nicht auf plötzliche Weise zustande kommt. Der Polymorphismus vieler Schmetterlinge, der besonders in der Indo-Australischen Fauna so stark auftritt, zeigt uns evolutionelle l dass er nicht genug beachtet wird, ist die das/ sie 'an eV°'Utl°"e"e Umwandiung der Organe. Nicht, dass sie an sich unbekannt ware. Es handelt sich hier ia wohl um dasselbe, was Roux im Auge hat, wenn er sagt Pew" emZeinK\ , emeS °r&anismus. obgleich sie in einer g issen Abhangigkeit von einander entstanden, wenn sie einma entstanden sind, sich ohne Rücksicht auf andere Teile weiter entwickelten. Dies ist jedoch im weiteren Sinne zu verstehen, sodass auch die Entstehung neuer Organe angenommen werden darf, es sei mit sehr geringer, es sei ohne ïrgendeine Rücksicht, nicht allein auf andere Teile, sondern auch auf den Gesamtorganismus, d. h. nicht oder nur sehr wemg dem korrelativen Drang desselben unterworfen. Wie wo e man z.B. auch die obenerörterte Artbildung durch physiologische Isoherung anders verstehen als wie die Folge einer esondern, selbstandigen Veranderung der Geschlechtsorgane 1CL ,°fhstens unter irgendeinem korrelativen Drang entsteht. ) Herr Direktor W. Petersen erörterte diese auch DrVw Sn,4r' 50 V0D M-S,D- teiUe ich eini«e in dieser Hinsicht von Dr H. W DE Graaf angestellte Untersuchungen mit. Einen höchst interes- santen Beitrag zu dieser Frage empfing ich seitdem noch von seiten des SdLTtELLENM f DSmIiCh VOD dCm bekannten Lepidopterologen Dr. Jordan (Tring Museum) mxtgeteilt worden, dass folgens dessen Untersuchungen fndi^r^lT PapUi° SarpeJ°n L" V°n Java -d andern Insein des NeuGuinea T hPC ^ °bgleiCh S'C ubrigens sich °'cht von denen, welche auf eu-Gumea leben, zu unterscheiden scheen, dennoch, was die'manniichen Geschlechtsorgane betrifft, einen erheblichen Unterschied davon aufweisen D,ese Organe sollten jedoch bei den Faltern von Neu-Guinea schon ganz anders zguSÏffl eSeieteere Werd6n alS° W0M aQgCfaDgeü b3beD V0D derStammform t V°? !m bchanddte Fr^ wieder auf dem 6en Vortra^ ■)"u ml Z00l°gei*0nSres in cin™ ^ehr bedeutenden hier dl V1 W1CSr Recht daraufhin-dassNaturzüchtung die Ent Jf ,niChlZUr Klarheit bringen könne> s°"d-n führten C " eranderungen, die so zur Artbildung fuhrten anders verstanden werden müsse. „Veranderungen 1 l Cn T"1'- Sagt Cr' StörunSen des Gleichgewichts irgendwelcher Art ,m Centralorgan, bilden den Ausgangspunkt für Abanderungen nach der Peripherie hin. Zu dfesef Annahme werden «ir immer mehr gedrangt und so allein können wir eme plaus.ble Erklarung für die unendliche Falie der Formrsc ie enheiten gewinnen, die uns die einzclnen Teile des direktestePnrzeS' ^ f°imdrÜSen sammt den mit ihnen im ten" TeÏ l TT" ,ang Stehenden Hilfsapparaten dabieTT h i v 3U h'er einwcnden zu müssen, dass die IW z V 7 aUCh hl dCm °bcn Schon besprochenen Drang zur Evolution liegen kann. Öben auf S. 202 erwahnte ich u. a. die Bestatigung meiner Douiriookt Tlfu^sung' dic sich aus Dr. A. H. Man- EÏischerTlleS,S/rgiebt- Wenn man nun sieht' wie Dr• . EK auf s. 367 semer obenerörterten Experimental- vo°nSCihmgen SOV,el M"he darauf Verwendet' auf Grund der von lhm wahrgenommenen Tatsachen die Eimersche Vor- stellung zu bestreiten, dass die Farbung und Zeichnung der Ltpidopteren an die innere Umgestaltung des Körpers ge- £ if p ;z: a„d„n evotaiSen iteteg^gen findet r In der Ta, trilt diese Selbstandigkeit injenenEx" nn,enten de»,hel, z„,age. Iel, halte es namiich in! GegenX Dr. l-,sc„ERs Auftassung für sehr annehmbar, da,3 die von ,hnr angewandten Rcize einen morbiden Zustand herbei- .) u„„ dir ArM won nen'en^ "b- Formen" nJTeilT!T W"me "nd KSIte tZ :r«"' ■*- .«.cheTaZLtSS weTL Vu "" h 7"S der 'ebend,!n Substanz verstanden werd» rnuss be, den durch Hitze und Frost gewonnenen D-Formen jedoch zu einer sehr ernsten Sti>,ung in dc" lieh " da °"!i„Pr0T dK ''iSme"tS fU"rte- Der Ums>Md "»■»- j;„ t . , . -iiere dabei umkommt, und auch ZenwStaft d" Erseheinungen «benso durch d e^M"'0" Narkose n,,r «V , Memung. Ich kann mir doch • hvver als einen Auslösereiz denken Hem- mi." deP,r°Fa b^ W", Dr' F,SCHER md"' k"° wer :Lz£*rola>,°"bekannt *- •— mittribf Gr'r" J? L,NDra kam' «« >»' S- .8; nul w r IJntc"uchll"S'=" *" derselben Mei. nung. Wenn man „„„ abe, die Fischerschen Experimente ohne Rueksicht a„f die al,en Vorur.eile, lm Lkh.e dc; litZt r, ' b0traC,"M *eta"' » W-I»" ie dennoch trotz der oben gegebenen Bemerkungen sehr bedeu.san, Denn dann geh, daraus doel, deu.licb hervor, dass rrrc^richt physiologischen Prozess der Pig^enMding' btóeh"' en"t- clr:c, F?bng °?er eine Ls,,mu^ ■- — , arbenevolution zuwege bringt. Dieses zeiet intión"" wrTeCh"Ch *" s° woh' diss Evo. crrLt:t:L"x,s,'crt ais da* sie — a°Cl',-di0 Evolution d» Equiden, wie sie jetzt ei» Jr rerc:, naci,!-,ew,«se"ist »«* ^ emfache EntwicMungsreihe aufweist, durebau. den Eindruck. tos d,e bent,gen Huftiere nieht dnreh eine algen,eine Ent- sind h""5 ' re "'S °der Eohippm entsprungen sind, sondern es nnr die Bewegnngsorgane gewesen sind, die 'OTen altete" Eo™.„ «ine bes.imm,c Entwieklungs- richtung eingeschlagen haben ?') So überherrschend ist ofifenbar diese spezielle Richtung gewesen, dass der ganze weitere Körperbau dadurch beeinflusst wurde und auf diese Weise allmahlich die Equidenformen entstanden sind. Dasselbe sieht man noch deutlicher in der besondern Entwicklung des Fliegvermögens, welche die Vogel entstehen liess, und durch die der Gesamtorganismus eine solche Modifikation erfahren hat, dass sogar dort, wo dieses besondere Vermogen spater wieder verloren ging, wie dies z. B. bei den straussartigen Vögeln und den Pinguinen der Fall gewesen ist, diese Tiere dennoch Vogel bleiben. Die spezielle Entwicklung bestimmter Organe hat hier aufs deutlichste korrelativ die Entwicklung des ganzen Organismus in sich einbezogen. Die korrelative Kraft des letztern ist jedoch nicht dazu imstande gewesen jene spezielle Richtung zu leiten. Es sind nicht die Bedürfnisse des Tieres als ein Wesen gedacht, welche hier seine evolutionelle Veranderung veranlasst haben. Es ist nicht eine bestehende Form als solche die als Objekt der Evolution aufgetreten ist. Wenn man z. B. sieht, dass unter den altesten Saugetieren im untersten Eocan ein Tier gelebt hat wie der in Nordamerika gefundene Coryphodon testis (?), bei dem man Merkmale antrifift, die jetzt den Baren, den Elefanten und den Nilpferden eigen sind, so erklart man dies dadurch, indem man sagt, dass diese verschiedenen Tierformen sich im Laufe der Zeiten aus dem ursprünglichern Typus differenziert hatten. Und zwar mit Recht, wenn man mit dieser Annahme wenigstens eine ziemlich klare Vorstellung der Art und Weise verbindet, wie sich denn dieser Dififerenzierugsprozess gestaltet hat, und es sich nicht bloss um ein Schlagwort handelt. Ich habe namlich alle Ursache zu fürchten, dass dies nicht selten der Pall ist. Denkt man sich diesen Prozess auf die i) Es werden denn auch an den Beinen der Pferde noch besonders viele «getroffen, was meines Dafürhaltens auch wohl darauf hinweist, dass gerade diese Körperteile in der evolutionellen Veranderung eine Hauptrolle Respielt haben mussen. Ich entnehme diese Tatsache einem Aufsatze des bekannten englischen Zooiogen r. Lydekker: Some rudimentary structures (setentific American, Sept. 8, icjoó Suppl.J. «*nerthterte Weise, als die gemass den Lebensumstanden selbstandige Entwicklung jeder dieser Eigenschaften unabKang.g von den andern, sodass die übrige Körperform sich ann jedesmal korrelativ jenen anpassen musste, so wird es nach meiner Ansicht verstandlich, wie auf diese VVeise verschiedene neue Tierformen entstanden sind und wie zugleic erzeit die alten verschvvinden mussten, nicht wegen irgend eines Kampfes ums Dasein, sondern weil sie sich in andern Normen auflösten und nur als solche weiter fortlebten. Nicht ïrgendein Bedürfnis des Tieres brachte dies zu wege, sondern ^bstandiger evolutioneller Drang, der unter bestimmten verantasste. ^ ^ beS°ndern Entwi<*'-g Prof Dr. Plate giebt zu, dass die Entwicklung des Pferdefusses mcht durch Selektion verursacht ist. Es erklart sie aber nach der Lamarckianische Betrachtungsweise als die £olge einer orthogenetischen Gebrauchswirkung. Aber weshalb und wozu musste dann der Gebrauch die Veranlassung azu sein Auch ein Tier mit gespaltenen Hufen kann gut und schnell laufen, ebensogut wie Huftiere. Und sogar der dreizehige Neoliippanon aus dem Miocan soll nach Prof Osborne ein schnelfüssiges Tier gewesen sein. Ware es nicht angemessener, hier das Vorhandensein einer selbstandigen Entwicklungstendenz in Bezug auf die Bewegungsorgane anzunehmen, die, wenn sie ursprünglich auch vielleicht irgendeinem Einfluss der Aussenwelt zuzuschreiben ware, sich dann ebenso selbstandig fortgesetzt hatte, wie das die Tendenz zum Verschwinden bei den Hörnern der Sphingidenraupen und in andern von mir studierten Evolutionsprozessen getan hat? Es ware alsdann die Umwandlung des ganzen lieres die Folge davon gewesen, ebenso wie jetzt die Lepidopteren wahrscheinlich in Dipteren übergehen. In der oben auf S. 3,3 mitgeteilten Studie kommt auch die selbstandige Evolution der verschiedenen anatomischen Systeme deutlich zum Vorschein. Besonders stark zeigt ^ich dassclbc ferner in der Erscheinung der exzessiven Bildungen, auf die ich auf S. 37 und 390 von M. S. D. und auch oben auf S. 304 hinwies. Die Beispiele, die ich an diesen Stellen anführte, lassen sich noch durch viele andere vermehren. Noch immer wird angenommen, dass der lange Hals der Giraffe dem Umstande zuzuschreiben sei, dass dieses Tier sich von hoch über dem Boden wachsenden Baumblattern nahre, wie sich dies deutlich aus seiner Greifzunge zeige. Auch sein weiterer Körperbau soll sich dem angepasst haben. Prof. Dr. Pauly nennt das sogar unzweifelhaft und bemerkt, dass der schnelle Gang des Tieres wohl zeige, dass hier nicht von einer krankhaften Bildung die Rede sein könne. Als ob nicht beides sehr gut zusammen vorkommen könnte. Sowohl für diesen Gelehrten, wie für Prof. Dr. Plate ist die Giraffe im Punkte der Anpassung noch immer ein wahres Mustertier. Aber nahrt sich in der Tat die Giraffe denn allein von hoch wachsenden Baumblattern, auch da, wo daneben auch niedrig wachsende vorhanden sind, was doch die Regel sein wird, und, wenn auch solche niedrigen Blatter da sind, gebraucht das Tier dann dafür seine Greifzunge nicht? Und warum ist denn bei dem Okapi der Hals offenbar auch nach derselben Richtung verlangert, jedoch noch nicht in dem Masse, dass man dafür dieselben Ursachen anführen konnte? Die letzten Nachrichten von Hauptmann G. B. Gosling über dieses Tier lassen vermaten, dass es hauptsachlich in morastigen Gegenden lebt. Die Greifzunge wird sich in der Tat wahrscheinlich zwecks Ernahrung von Baumblattern entwickelt haben, jedoch darum noch nicht notwendig mit Hinsicht auf solche, die sehr hoch wachsen. Wenn man einmal gesehen hat, wie Hirsche, oder dergleichen Tiere, die von altersher den Raubtieren zur Beute gedient haben und dadurch einen sehr furchtsamen Charakter erhalten haben, gewohnt sind den Hals auszustrecken, um so weit wie möglich über das hohe Gras und das niedrige Gebüsch hinaussehen und gut hören zu können, so lasst es sich wohl verstehen, dass, ebenso wie ihre Ohren grösser geworden sind, auch der Hals bei allerhand Hirschen und Antilopen eine Neigung bekommen hat, langer zu werden, nach demselben Grundsatze, nach welchem man in Japan die Schwanzfedern von Hahnen lang hat auswachsen lassen, indem man fortwahrend an denselben zog. Auch die Tatsache, dass der Hals der Eisbaren langer ist als der von andern Barenarten, wird u. a. von Pauly als eine Folge des Umstandes erklart, dass diese Tiere gevvohnt sind grosse Strecken im Meere zu schwimmen und sie dabei immer gezvvungen werden, den Kopf über Wasser zu halten. Und ebenso möglich ist, dass bei solchen Tieren, bei vvelchen aus irgendeinem Grunde die korrelative Wirknng des übrigen Organismus nicht kraftig genug war um dies zu verhindern, ein exzessives Auswachsen des Halses die I'olge davon gewesen sein kann, wie sich ein derartiger Anfang schon bei den Giraffengazellen (.Lithocranius Walleri Broks) und bei dem bereits genannten Okapi zeigt. Dies hat sich nun aber bei den Giraffen sosehr entwickelt, dass dieses Tier eine monströse Form erlangt hat, wobei auch die Vorderbeine sich unverhaltnismassig haben verlangern mussen und demzufolge das Tier sogar nicht anders als in einer sehr gezwungenen Haltung mit dem Maul den Boden und die darauf wachsende Nahrung erreichen kann. Bei einigen Vögeln dahingegen, namlich den Flamingos, deutet alles mehr auf eine exzessive Entwicklung der Beine hin, derzufolge sich der Hals auch hat verlangern müssen, und möglicherweise auch die Form des Schnabels sich verandert hat. Prof. Plate nennt in seinem schon citierten Werke weiter auch noch in diesem Zusammenhang die Hauer des Babirussa alfurus Lesson von Celebes, die mitten durch die Haut der Backen hindurchbrachen, den Narwal mit seinem nur auf der einen Seite enorm verlangerten Stosszahn, den Anarynchus frontalis Quoy und Gaim., einen Strandlaufer von Neu-Seeland, dessen Schnabelspitze plötzlich um c.a. 300 nach rechts abbiegt, den enorm verlangerten, fast die doppelte Lange des übrigens Körpers erreichenden, faden- dünnen Hals des Rüsselkafers Apoderus tenissimus Pascoe, dem sich übrigens noch viele andere dergleichen exzessiven Bildungen unter den Coleopteren anschliessen — die riesigen, ungefahr der halben Stirnbreite gleichkommenden Augenstiele des Taschenkrebses Macrophtalmus Latreillei Desm., und die noch langeren des Podophtalmus vigil Lam., den Mesophlodon, dessen Maul im Alter nur wenig geöffnet werden kann, weil jederseits ein Unterkieferzahn den Oberkiefer umgreift. Die Ziegenrassen mit 4 Hörnern und auch solche mit einem Halsanhangsel auf beiden Seiten unter dem Ohre rechnet er ebenfalls dazu. Er erblickt darin auch abnorme, einigermassen monströse, aber erblich beibehaltene Erscheinungen. Auch die immer schwerer vverdenden Stossziihne der afrikanischen Elefanten dürften nach meiner Ansicht w°hl unter diesem Gesichtspunkte betrachtet werden, und würden, wie ich dies schon von dem irischen Riesenhirschen behauptete, vermutlich wohl allmahlich zu dem Untergang des Tieres geführt haben. Es ist denn auch sehr wohl möglich, dass dies mit den Mammouth- und Mastodonarten der Fall gewesen ist, denn, wenn wir auch annehmen, dass diese Tiere gleichzeitig mit dem Menschen gelebt haben, so war letzterer weder zahlreich noch kraftig bewaffnet genug, dass er ein solches lier hatte ausrotten können. Sogar die weit zahlreicheren und besser bewafïfneten Afrikaner haben so etwas nicht zustande bringen können. Erst die jetzigen Feuerwaffen vertilgen den Afrikanischen Elefanten. Auch Dr. Plate nimmt dasselbe als die Ursache an für das Aussterben vieler früher lebenden Tiere, z. 13. von Smilodon neogaeus Lund., wobei er sich auf DöDERLEIN beruft. Ebenso spricht Prof. Dr. C. Keller ') die Meinung aus, dass die mit sabelförmigen Schlagzahnen gewaffneten tigerartigen Raubtiere (Machairodus), die im Obermiocan erscheinen, in der Diluvialzeit ausgestorben seien, weil die tiberaus starke Entwicklung der obern Eckzahne schliesslich so unzweckmassig wurde, dass sie das Aussterben herbeiführte. Sogar Wasmann kann an der Anerkennung solcher Exzessivformen nicht vorbeikommen, wenn er auch selbstverstandlich, nach der Gewohnheit der im darwinistischen Glauben verharteten Menschen, versucht, ihre Unvereinbarkeit mit der alleinseligmachenden Theorie der Nützlichkeit, die hier so deutlich zutage tritt, auf echt darwinistische Weise durch eine haltlose und der am Tage liegenden Wahrheit widersprechenden Phraseologie zu verschleiern. Exzessive Mimicry nennt er die Tatsache, „dass sich bei einigen Dorylinengasten einige Körperteile derartige 1) Naturgeschiehte der Haustiere, Berlln 1905. Weise entwickeln, dass wir dadurch den Eindruck erhalten, als ob hier die einmal eingeschlagene und sich als nützlich ervveisende Entwicklungsrichtung aus innern Ursachen weiter verfolgt worden sei, als es der Nutzen forderte, solange sich namlich die Verfolgung jener Richtung nicht als direkt schadlich erwies". Letzteres ist aber ganz sicher der Fall. Dass so etwas auch, wie ich auf S. 37 in M. S. D. schon erwahnte, durch das Fehlen der erforderlichen Korrelation d.h. des morphologischen Gleichgewichts im Organismus verursacht werden kann, dafür habe ich seitdem ein gutes eispiel gefunden. In Nature') teilte namlich Frank E. Eüdard mit, dass bei eincm japanischen Wassermolch (Megalobatrachus maximus SCHLEG.), der, nachdem er viele e im Zoolog. Garten zu London gelebt und riesig gross geworden war, starb, bei Eröffnung die Todesursache in dem Umstande gefunden wurde, dass die Herzklappen nicht im Verhaltnis zu dem übrigen Teil des Herzens gewachsen waren und demzufolge eine Störung in der Herzfunktion und in dem Blutsumlauf eingetreten war. Prof. Dr. Plate giebt aber nach meiner Meinung von jenen exzessiven Bildungen, die weit über die Grenzen der Nützlichkeit hinausgehen, eine keineswegs befriedigende Erklarung. Er sieht darin die Folge einer akkumulativen Steigerung der Reizwirkungen, welche die Entstehung derartiger organischen Bildungen herbeigeführt hatten, welche Steigerung dann "ewohnlich nach einer gewissen Anzahl von Generationen durch Gewohnung wieder erlösche, jedoch in einigen Fallen erst sehr spat, sodass sogar das Aussterben des Tieres durch den hierdurch verursachten Nachteil die Folge davon sei. Mir scheint diese Erklarung jedoch sehr gesucht. Die Tatsache, dass in der Entwicklungsgeschichte der höhern Tiere einige Organe in einem Zustand von Epistase auf einer niedri"en Entwicklungsstufe stehen geblieben sind, trotzdem die andern weiter fortschritten, zeigt doch auch deutlich, dass jedes Organ selbstandig dabei zu betrachten ist. Sehr deutlich lasst sich diese selbstandigc Evolution — wie ich dies I) 24 September iqoj. auf Seite ^ 38 ff. in M. S. D. bereits eingehend crörtert und in den Prolégomènes meiner mehrerwahnten Études weiter ausgearbeitet habe — auf rein psychischem und deshalb z. B. auf ethnologischem und linguistisehem Gebiete beobachten, wie auch in der ganzen gesellschaftlichen Entwicklung. Für den in dieser Beziehung Urteilsfahigen, der dazu die wissenschaftliche Uberzeugung erlangt hat, dass die Evolution, die sich dort wahrnehmen lasst, nicht von jener der zoologischen oder botanischen Formen verschieden ist, und also auch wohl von denselben Grundsatzen geleitet werden wird, steht diese Tatsache denn auch fest. Hierdurch wird dann aber auch eine ganz andere Auffassung des Evolutionsprinzips, als die übliche, wie auch eine unbedingte Verwerfung der Selektionslehre und daher des eigentlichen Darwinismus unumganglich. Diese richtigere Auffassung von der Tatsache, dass die Entwicklung der einzelnen Bestandteile der Organismen ungleichmassig, beziehungsweise selbstandig, vor sich geht, ist nun von grosser Wichtigkeit. Es ist wahr, dass, wie ich schon sagte, die Tatsache selbst wohl bekannt ist, aber, wie mir erscheint, versteht man es nicht, auf biologischem Gebiete genügenden Gebrauch davon zu machen. So wies ich im vorhergehenden Abschnitt bereits darauf hin, dass auf diesem Wege die sogenannte Mutationen nach allen Richtungen hin s.ch wohl verstehen liessen. Ich habe jedoch noch nicht gesehen, dass jemand andres dies schon bemerkt hat. Wenn man aber diese Tatsache nicht beachtet, entstehen unrichtige Ideen auf dem Gebiete der Biologie und noch mehr auf dem der 1 sychologie. Geht doch aus der Ungleichheit in der Entwicklung der einzelnen Körperteile nicht nur vielfach körperliche Ungleichheit zwischen den Individuen hervor, sondern ist auch auf dem geistigen Gebiete dasselbe in 'nicht geringerem Masse der Fall. Für das Studium der KriminalAnthropologie z.B. ist diese Erkenntnis von grosser Bedeutung. Aber auch dort wird sie vernachlassigt, denn die herrschende physiologische Psychologie ist sich deren Bedeutung nicht bewusst. In der einseitigen Auffassung der Psychiater belangen hat sie gar kein Auge für eine selbstandige Entwicklungsgeschichte der menschlichen Psyche, die für sie nur eine Ausstrahlung des Gehirns ist. So ist denn auch für sie die Psyche etwas von ziemlich einheitlicher Art, die bei jedem Menschen nur mehr oder weniger von cinem gewissen als normal angenommenen Zustand abweicht; sie als eine bloss korrelativ verbundene Agglomeration einer grossen Anzahl selbstandig entwickelter, psychischer Elemente aufzufassen, liegt ganz ausser ihrem Gesichtskreis. Der Mensch kann nun einmal die notwendige Ordnung in seinen geschichtlichen Vorstellungen nicht aufrecht erhalten, ohne dieselbe an gewisse feste Punkte zu binden. Dazu muss ïhm die Chronologie dienen. Aus einem praktischen Gesichtspunkte lasst sich dagegen auch nichts einwenden. Wenn man aber, wissenschaftlich betrachtet, nur nicht vergasse, dass alle diese willkürlichen Einteilungen und Abgrenzungen der ewigen Zeit nicht in der Wirklichkeit bestehen und sich also auch nur in sehr beschranktem Sinne zu weitern Schlüssen anvvenden lassen. So muss auch der Psychiater, wo er praktisch verfahren will, den Menschen und seinen Geisteszustand in cinem allgemeinen Begriffe zusammenfassen. Darum stellt er sich theoretisch einen sogenannten normalen Menschentypus zusammen. Praktisch lasst sich auch dagegen nichts einwenden, wenn man sich nur stets vergegenwartigte, dass dieser Normalmensch tatsachlich nicht existiert, sondern bei jedem Menschen die Entwicklung der einzelnen Elemente, aus denen seme Psyche zusammengesetzt ist, selbstandig und also auf verschiedene Weise stattgefunden hat. Die Gewohnheit jedoch, immer auf diesen Normaltypus zu starren, lasst die Psychiater dies nur zu oft vergessen und so tragen sie ihren Normalmenschen als etwas Wirkliches auch in die Wissenschaft hinein und wollen ihn als solchen auch für jede praktische Anwendung, wie z. B. was die Kriminalitat betrifft, als Norm anerkannt sehen. Dies übt aber einen ungünstigen Einfluss aus. So können auch die Biologen sich meistens nicht gut vom Begriffe der Einheit eines jeden Wesens losmachen und kommen auf diese Weise zu falschen Auffassungen. Darum ist es so nótig auf die Tatsache, denen dieser Abschnitt gewidmet ist, mit Nachdruck hinzuweisen, es gilt ja dabei ein Hauptprinzip fur die richtige Beurteilung vieler biologischen Fragen. Dass ich übrigens in mciner Auffassung über die starke Einseitigkeit der Psychiater — die sich ebenso z. B. bei Forel wie bei Lombroso feststcllen lasst — worauf ich auch in meinen bereits erwahnten Études schon hinvvies, nicht allein stehe, zeigte sich mir neulich aus einem Aufsatze B. Katschers1). Dort heisst es: „Der Irrtum der Degenerationsprediger liegt in ihrer falschen Diagnose. Sie gehen darauf aus, aus der Liste der Genies die Kntartung zu beweisen, indem sie jede Abweichnng vom Normahnenschen als solche bezeichnen. Aber der Normalmensch ist nur eine Abstraktion, eine Figur von gewisser Höhe, gewissem Gewicht und gewissen Proportionen — sonst nichts. Der krankhafte Psychologe vergleicht diese Figur mit dem Genie und findet, dass Darwin, der an Übelkeiten litt, und Caria'LE, der ein Dyspeptiker war, von dem Idealnormalmenschen abwichen, also degeneriert gewesen sein mussen". I) „ Langlebigkeit und EntartungHimmel und Er de" Oktober 1903J. III. DAS STUDIUM DER BIOLOGIE ALS SELBSTSTANDIGE WISSENSCHAFT UND DER VITALISMUS. die forderungen der biologischen wissenschaft. Im Laufe dieser Arbeit habe ich mich genötigt gesehen meuten ursprünglichen Plan, wie ich ihn auf S. 5 angegeben habe, einigermassen Zu modifizieren. Es schien mir namlich besser die nahere Auseinandersetzung der in m. s. d. behandelten Fragen, die ich dort als einen Teil des dritten Abschnitts meines Werkes ankündigte, dem zweiten anzu- leHM' h T an dCn i€h jetZt Selan^ bin> wird also ledighch das ubnge enthalten, was ich dort ankündigte, und so könnt HlnUqf ^ auseinandersetzen, was dazu dienen konnte, das S ud.um der biologischen Wissenschaft in mehr wissenschaftliche Bahnen zu lenken, als die sind, auf denen °ft °ieSer Mangd an hinreichend wissenschaftl.chem Sinn ist ja doch letzlich der Grund, dass s°lch unricht'ge Auffassungen entwickelt haben, die ilLI Efg"bmSSe der Wissenschaft gelten und „ach der allgememen Mc.nung den höchst erreichten Standpunkt der menschlichen Kenntnis auf diesem Gebiete wiedergeben. E.n allerverderblichster Einfluss auf den heutigen Menschen und auf die ganze Gesellschaft ist dadurch ausgeubt worden. Soll hierin Wandel geschafft werden, so an erStCr Stcllc geb°ten, dass der selbstandige Chaakter der biologischen Wissenschaft, der Lehre von den Wesen der Lebenserscheinungen, besser erkannt werde. Auch Prof. Dr. Pauly bemerkt in seinem naher zu besprechenden Werke, wie diese Wissenschaft bis auf jetzt noch ohne ideelles Ziel gearbeitet und in der Zoologie eine untergeordnete Stellung eingenommen habe. Man kennt die typische französische blague, die der Ausspruch CuviERS enthalt, dass namlich die Zoologie ganz in der Anatomie auf gehe. Unglücklicherweise wird dieser Satz, obwohl er nichts anderes als eine blague ist, in der Tat von vielen Zooiogen nahezu für eine wissenschaftliche Wahrheit gehalten. Auf S. 363 von M. S. D. klagte ich schon darüber. Wie wichtig doch die anatomischen Studiën unzweifelhaft sein mogen, das Gebiet der Zoologie umfasst auch die Physiologie und die Embryologie, die Morphologie und ihre Systematik, wahrend auch die Anthropologie, insoweit sich diese wenigstens auf physischem Gebiete bewegt, nur ein Unterteil davon ist. Von allen diesen Fachern ist nun ein gewisses Mass von Kenntnis erforderlich, wenn man in der Tat in dem Sinne auf den Namen Zooiogen Anspruch erheben will, um damit den Erwerb der P ahigkeit zur Behandlung der allgemeinen zoologischen P ragen zu bezeichnen. Eine tiefere Kenntnis von einem oder sogar von einigen der genannten speziellen Facher genügt in dieser Hinsicht nicht. Auch kann die oberflachliche Kenntnis der übrigen Facher, die bloss aus übernommener Schulweisheit besteht, dabei nicht zur Erganzung genügen. Nun kann allerdings wohl keiaer in allen diesen Fachern Specialist sein, aber möglich ist es doch jedenfalls, diese alle eingehender als ganz oberflachlich zu studieren und dieses Studium durch die Kenntnisnahme der tiefergehenden Untersuchungen der Specialisten zu erganzen. Durch eine solche breitere Vorbildung, wobei jedoch auch die Ergebnisse eines eingehenden Studiums zur Geltung kommen, lasst es sich ermöglichen, die Zoologie oder die Botanik — denn für beides gilt ini allgemeinen wohl dasselbe — als selbstandige Wissenschaft zu betreiben. Ebensowenig wie ein blosser Specialist auf zoologischem Gebiete deshalb dazu befahigt ist, im allgemeinen als Zoolog aulzutreten, ist dies auch der Pall mit dem Zooiogen oder dem Botaniker auf dem Gebiete der biologischen Wissenschaft. Denn diese umfasst ein noch viel wciteres Gebict und ihr gegenuber steht, wcr nur Zoolog oder Botaniker ist ebenso schaffso * gegenÜber der z°ologischen Wissen¬ schaft. So sagt auch Dr. Ludwig Wilser '), wo er die For- A„rt7n|Clner.hÖhern Auffassung von dem Studium der ein Verser- PriCht' Red,t: »Es gehört dazu n Verstandnis naturwissenschaftlicher Fragen, wie man es GelehT ThCh Sprachlich und geschichtlich vorgebildeten m s,e?nA„rh,,Cn Wil"Md andern Seite die eisten Anthropologen in allen ausserhalb ihres engen anatomschen Gcsichtskreises liegende Di„gc„ auf ei„ 4c„es mé 7'ff mös»cn"- Of™1»" schliesst er sich alSo ner Auffassung an über die Notwendigkeit des Zusammen schaften Z™Khe" den Ph"°!0Phische» »"d <*« Nat„rwisscnin lch bereits auf S. 413 von M. S. D. und weiter ü h ™ Vorwort meiner oben erwahnten Études so eindringhch behauptete Die Lehre von der Erkenntnis des Lebe„s muss aus der Vergleichung aller Lebenserscheinungen ~c_ schopft werden, und dazu gehören nun nicht nur die, welche uns ie eigentlichen zoologischen und botanischen Studiën -ennen lehren. Schon bei den Lebenserscheinungen der Tieren darf man das Studium ihrer psychischen ExistL nicht ver- Hau rif" "ï bd dCm Menschen sP'eIt dies sogar eine Haupfrolle, auch weil die dazu gehörigen Erscheinungen s!ch Ïnze F' gyt,bc°bachten lassen" Damit gehört dann aber die ganze Psychologie des Menschen zu diesem Studium und weiter die Kenntnis aller Gebiete, auf denen sich seine Psyche jctzt noch auf wissenschaftlichem oder sozialem Gebiet ausscrt oder fruher geaussert hat. aussert den S •* ganZ widersinni£> wenn man das Leben aus den Erschemungen, in denen es sich offenbart, kennen ernen, doch eine grosse Anzahl derselben, und zwar die wichel \,V°" der ®etrachtung ausschliessen wollte. Der unverbruchhche Zusammenhang zwischen allen diesen Ausse- rungcn zeigt sich denn auch aus dem grossen Einfluss, den der europüischcn die dem Studium der Zoologie und Botanik entnommenen biologischen Einsichten, die man die darwinistischen nennt, auf das ganze soziale Leben ausgeübt haben. So ïst auch die Biologie eine besondere Wissenschaft. Sie bildet als solche den Übergang zwischen den philosophischen und den Naturwissenschaften. Sie fordert demnach besondere und sehr ausgedehnte Studiën. YVer nur Zoolog oder Botaniker ist, oder etwa sogar nur ein blosser Fachspecialist, verfügt nicht über ein genügendes Material, urn auf diesem Gcbiet urteilsfahig zu sein. Die grossen biologischen Fragen, die von vielen Seiten betrachtet werden müssen, liegen wenigstens zum Teil ausserhalb seines Bereiches. Darnit soll natürlich nicht gesagt sein, dass es nicht seinen Nutzen haben könnte, wenn solche Zooiogen oder Botaniker ihre betreffenden Ansichten nach dem Mass ihrer wissenschaftlichen Kenntnis zum besten geben, wenn nur der beschrankte Wert ihrer Aussprüche erkannt wird. Dies geschieht aber in den meisten Fallen nicht. Derartige Beurteilungen wollen sogar bcanspruchen, dass sie von völlig und sogar höchst befugter Seite ausgehen, und, sind nun diese Personen auch tatsachlich verdiente Zooiogen oder Botaniker, so werden diese Ansprüche dann auch als solche anerkannt. Das alles deshalb, weil der Begrifï der Biologie als einer aparten Wissenschaft, die auch eigene Fahigkeiten voraussetzt, noch keineswegs geniigend durchgedrungen ist, und sie mit Unrecht auch von dem eigentlichen Darwinismus, dessen mechanische Auffassung den psychischen Studiën wenig Raum liess, verdrangt worden ist. Meistens betrachtet man sie als eine Art von angewandter Zoologie und Botanik, sodass Zooiogen oder Botaniker sich auf deren Gebiet für völlig kompetent erachten, wahrend sogar auch Specialisten wohl meinen, mit Hülfe ihrer algemeinen Schulweisheit darüber urteile'n zu konnen. In unbeschranktem Masse tritt dies zutage. Man begeht dabei jedoch einen groben Fehler auf wissenschaftlichem Gebiete. „ Wcnn also aus diesem Grunde sogar die erforderliche Kenntnis bei vielen, die sich auf ihre zooiogischen oder botanischen Studiën stützend die biologischen Fragen besprechen, schon viel zu wünschen übrig lasst - die Art und Weise zu°r!ehrSle/U kC SChen' entSpricht diesem Mangel nur sehr „La sctence sans phtlosophie est un simple bureau Tenregtstrement . Dieses Motto schickt Prof. Dr. S Reinke seinem Werke: „Philosophie der Botanik» voraus, und dise Worte sind sehr richtig. Die blosse Beobachtung und Auf! zeichnung von Tatsachen steht nicht höher als ein Handwerk seiC sZTr Fert,'Skeitund Übung dazu auch nötig sei. Sogar d>e Erklarung der Tatsachen an sich ist noch keme cgenthche Wissenschaft. Erst wenn diese logisch ver- ertet und durch Vergleichung mit andern der Erlauterunp- und eventuellen Beantwortung von Fragen allgemeinerlr Art ïenstbar gemacht werden, wenn man auf diesem Wege zu em Wesen der Erscheinungen durchzudringen versacht fangt die philosophische Behandlung derselben und damit die eigenthche Wissenschaft an. Darum ist ein solches Ve . fahren hier durchaus geboten, denn in dem Hervortretcn des philosophischen Standpunkts liegt gerade das, was die biologische Wissenschaft von jener der Zoologie oder Botanik hkrmit das61 qf h" miCh jed°Ch "icht fals^, als ob hiermit das Studium irgendeines philosophischen Systems g meint ware. Im Gegenteil, von ganz andern Grundsatzen ausgehend und meistens ganzlich deduktiver Art, kann ein auf d" w m d/H' Wahrhdt VOr allem -dukt" dem Wege der Erkenntnis des wirklichen sucht also en Naturforscher, ,n der Regel nur auf Irrwege führen Nicht die bestehende Philosophie ist hier nötig, sondern die philosophische Behandlung des Bestehenden. Ein klarer Begnff weiter von dem, was man unter induktiver und deduktiver Methode versteht und auf welche Weise diese beiden m dem Studium der biologischen Wissenschaft zur Anwendung kommen müssen. Scheinen doch nicht wenige ietzt ganz zu vergessen, dass auf der induktiven Methode alle Naturwissenschaft begründet sein muss, andere wieder ver! werfen aus beschrankter Einsicht jede Deduktion. Weiter lLein\g"te l0f'Schc ScIlu,ung geboten, denn ohne Logik lasst sicheine solche Arbeitsmethode nicht durchführen Auf veine andere Weise kann man aus der Menge von Tatsachen richtige Schlüsse ziehen und diese miteinander in Zusammenhang bringen. Allein auf diesem Wege kann man wissenschaftliche Wahrheit erlangen. Wie wenig ich sonst, wie ich bereits umstandlich auseinandersetzte, den Standpunkt wasmanns auf biologischen Gebiete teilen kann, so bin ich doch ganz mit dem einverstanden, was er in dieser Beziehung gegen Forel anführt und was ich auf S. 64 schon citiert liabe. Forel tritt da wirklich auf als der Wortführer des unwissenschaftlichen Elements unter den heutigen Naturforschern. Nur ist es schade, dass auch wasmann nicht immer nach der Regel verfahrt, die er selbst so richtig anzugeben weiss. Weil — der Mensch nun einmal nicht ein Ganzes ist. Der Forderung der Logik schliesst sich nun auch die an, dass die Tatsachen, die als wissenschaftliche Grundlage dienen sollen, feststehen, dass sie also bewiesen seien. Jedem, der eine wirklich wissenschaftliche Arbeitsmethode gewohnt ist, und demzufolge blosse Behauptungen oder Betrachtungen, ohne eine strenge Beweisführung d. h. also ohne inneren logischen Zusammenhang, keinen wissenschaftlichen Wert zuerkennen kann, muss es auffallen, welch' einen ausserst schwachen logischen Charakter nahezu alles aufweist, was auf biologischem Gebiete vorgebracht wird. Es ist dort fast zu einer allgemeinen Regel geworden, alles auf Grund einer persönlichen Meinung oder Auffassung anzunehmen, ohne sich auf triftige Beweisgriinde zu stützen. Besonders scharf tritt dieser Übelstand zutage, was die Hauptprinzipien der darwinistischen Theorie betrifïft. Nur eine ganz persönliche Deutung gewisser wahrgenommener Erscheinungen bildet deren Grundlage, und ebenso wie hier der erforderliche Beweis der Behauptung ganzlich fehlt, werden wieder aus dieser Deutung, nicht in logischer Weise, sondern der subjektiven Auffassung gemass, allerhand Schlüsse gezogen. Auch die weitere Entwicklung dieser Theorie zeigt dasselbe Übel. Diese Methode aber ist auf biologischem Gebiete vorherrschend geworden; überall fallt dem logisch Gebildeten ihr überaus unwissenschaftlicher Charakter auf. Die Ursache ist darin zu suchen, dass die Naturiorscher ïm allgemeinen im Punkte der Beweisführung sehr schwach sind. Wenn sie e,nmal.tatsachlich an eine Beweisfuhrung heranwagen so vermogen s,e ,n der Regel nur den mathematischen leweis hat ihnenft' d ' ^ mathemktische Ausbildung hat innen fur diesen eine viel zu einseitige Ehrfurcht einee flosst und sie überdies in Unkenntnis über die Existenz cines puÏktTnIr"" frT HinZU k°mmt' daSS dieser Stand' punkt in Bezug auf d.e Beweisfuhrung auch mit der in ihrem Studium erreichten Stufe des menschlichen Denkvermogens srerin dcr Tat steht ab-d- -th-Ta! tische Beweis auf einer t.efern Stufe und kann denn eigent- werden ai o H des Anorga™chen angewandt ist es »h r u CXakten Wissenschaften. Nun es aber ein z.eml.ch allgemein herrschender Irrtum jede Wissenschaft, die sich mit dem beschaftigt, was man t wohnhcherwe.se die Naturforschung nennt - obgleich do&ch ausserhalb ,^erec'lnet -W. d=swege„ ausserhalb der Natur liegt - als eine exakte zu betrachten der Mein .F°!ge' dass in der die Naturforscher Meinung sind, dass auch auf dem biologischen Gebiete sir SÏt BCWeiSfUhrUng gdtCn — ~ TatsachenathematiSChe Beweis fordert absolut feststehende schaften a' ^ ^ ******' mathei"atischen Wissen¬ schaften angenommen werden. Solche bestehen aber in den nichtexakten nicht. Die Tatsachen der lebenden Natur gehen ausFaktoren hervor, die durch verschiedene und veranderhche Einflüsse bedingt werden und tragen deshalb selbst einen ungew.ssen Charakter. Im Zusammenhang damit wird demnach deren Beweiskraft ganz und gar davon ab- hangig inwiefern man ihnen Beweiswert zuerkennt. Diese urteilung aber wird durch das geistige Vermogen dessen veïanÏten angcbliche Tatsachen den verlangten Beweis br.ngen sollen. Die Beurteiler werden sonach, schon allein wegen der schwankenden Art der Tatsachen selbst, zu verschiedenen Schlüssen kommen. Überdies der ?F f16- ,apazitat zu eincr richtigen Wertschatzung ab von leses UrteS gf .T ge"annten Ve™ögens bei dem, welcher U teil zu f allen hat. Diese nun ist, je nach der Zeit, in der er lebt und der Stufe, welche die menschliche Kenntnis und Wissenschaft in jener Zeit erreicht hat, verschieden. Zahlreiche Ansichten, die den frühern Gelehrten " tig erschienen, und nach der damaligen menschlichen Kenntnis aus n.cht anders erscheinen konnten, haben sich heute als irrtümlich erwiesen. Das namliche wird sich ohne Zweifel spater herausstellen und was viele Ansichten betrifft Qie wir heute für gewiss und feststehend halten, herausstellen mussen. So durchschlagend z. B. die von Dr. Driesch angefuhrten sogenannten Beweise für die Autonomie der Lebensvorgange uns jetzt vorkommen, wir können durchaus keine Gewissheit haben, dass spatere Geschlechter dieselben nicht als irrtümlich werden betrachten müssen. Was hier nun von den eigentlichen auf Beobachtung beruhenden Tatsachen gesagt worden ist, gilt natürlich in gleichem Masse von dem, was logisch aus der gegenseitigen Vergleichung derselben abgeleitet wird. Der logische Wert davon ist doch zunachst auch wieder abhangig von der logischen Kraft des Denkvermogens des Beurteilers. Aber zudetn beruhen solche Schlussfolgerungen, wie richtig sie auch gemacht seien, immer notwendigerweise auf der grössern o er genngern Richtigkeit der Deutung der Beobachtungen aus denen sie abgeleitet sind. Nicht Mathematik, sondern die ËntwicWung des menschlichen Denkvermogens giebt dabei schhesshch den Ausschlag. Unter diesen Umstanden kann somit der Beweiswert des mathematische,, Beweise, auf dem Gebiete der lebenden Natur in Wirklichkeit nur gering sein. Schon bei rein zoologischen oder botanischen Fragen macht sich seine Unzulanghchkeit oft deutlich fühlbar. Wo aber das philosophische Flement ganz in den Vordergrund tritt, wie bei dem Studium der Biologie, kommt man erst recht nicht mit ihm aus. Da raucht man einen höhern philosophischen Beweis. Kann man doch die Mathematik gewissermassen die Wissenschaft des Anorganischen nennen. Die Biologie aber ist die des Organischen, und letzteres mag nun zwar aus anoreanischen bestandteilen zusammengesetzt sein, in der Verbindung haben sie dennoch einen speziellen Charakter erhalten. Es ist der V,:hw,,emiSCh"PhySika"SChen Theorie' d** * "ie, Solch emen höhern Beweis werden aber n>,r a• • ■ ^^tudrj^ktaTïnïb^it,^ne p Crf°'«cl' '«■ verstehen diésen Bewek'ÏÏT,,ƒ':h"",rseric,Iten mit dem Gebraueh blosser VermLng'eTNicht seUcn'i" Ltdlierafs,richtem'obsie,ch ih"e" <""<* theoretisch bekannt ist AM t"6'8 ''°dl wcl,'Sstens fiihrt, wie ich bereits auf S ' T d'eSCm Gcbictc heit Draktisel, , 9' ''°' betonte, eitel Schulgelchrt- .t aP„de ÏÏhdi: Get'%Wen" ** „icllt über StraSrten ÏJ ? 1""^"- Z^>"^ Urteile ** beka"M - Beschrankth ■> f Entwicklung nötig, wie sie mit der Jeschrankthe.t des menschliehen Verstandes un.ereinbar ist e ne solehe, w,e sie sieh deshalb der Menseh i„ sehenA„ schauungen „ur als aussehliesslich den, höchsten w vorstellt. Wir wissen rl=,c ■ t j nocnstcn Wesen eigen hat. Aber diese T.r 1 befi"det' Bebildet aufhin, dass slJ^Z**£ SSJTk^ s«r^tï,d^bih" ricl",,st ~ sein und dann muss nohvendigerweise jeder Beweis, der absolute Gewissheit zu verschaffen scheint, nur scheinbar sein und nur einem derartigen Denkvermogen als cntscheidend erscheinen, der sich noch in einem nicdrigen Stadium der geistigen Entwicklung befindet. Wo aber die Beurteilung durch einen höhern Intellekt geschieht, kann er diesen Charakter nicht mehr beibehalten und muss er demzufolge seine Beweiskraft verlieren. Wenn der Mensch sich aber in dieser Hinsicht noch auf einer niedrigeren Stufe geistiger Entwicklung befindet, vermag er dies nicht einzusehen, und deshalb stösst man bei den im allgemeinen noch wenig philosophisch gebildeten Naturforschern auf die sehr verbreitete Meinung, dass es dem Menschen möglich sei, absolute Gewissheit über etwas zu erlangen. Diese Meinung griindet sich auf die Überzeugung, dass man in der Tat mehrere Dinge bestimmt weissen soll, wobei man namentlich solche im Auge hat, an die man in \V irklichkeit nur glaubt. Der Unterschied zwischen Glauben und Wissen ist, wie oben schon ausgeführt worden ist, den meisten Menschen überhaupt unbekannt. Steht man auf dem einseitigen, z. B. von Wasmann eingenommenen Glaubensstandpunkt, so meint man auch, wie dieser sich in seiner bereits angeführten Schrift ausdrückt, dass das Verhaltnis zwischen Glauben und Wissen nur aus der theologischen Er klarung desselben erkannt werden kann. Der Naturforscher jcdoch vermag es wohl auf eine andere und richtigere Weise zu erkennen, und dann findet er, dass, was wir Glauben nennen, nichts anders als die niedriger entwickelte Verstandesfunktion ist, die jedoch auch, wo sich die höhere Form schon in einigen Punkten entwickelt hat, daneben noch bei nahezu allen Menschen vorhanden ist, sodass sie beides miteinander verwirrend dann vieles für Wissen halten was tatsachlich nichts anders als Glauben ist. Im Zusammenhang mit diesem Irrbegriff herrscht dann ebenso die falsche Auffassung, dass, um zum Wissen zu gelangen,, Tatsachen an sich genügen können, und dass so besondre durch Beobachtung gewonnene Tatsachen die Existenz von etwas beweisen können. JJem Ciiauben genügt das freilich. Da fordert man keinen wirklichen Beweis. Aber dennoch konnen solche Fakten an und für sich einen derartigen Beweis nicht liefcrn. Die Überzeugung das etwas bewiesen sei kann sich daraus erst durch eine Verstandeswirkung entwickeln, und zwar durch deren logische Vergleichung mit andern Taisachen oder mit aus denselben abgeleiteten Schlussfolgerungen, sei es auch, dass diese Verstandstatigkeit unbewusst functioniere. Gewisheit kann der Mensch also nicht erlangen, nur Wahrscheinlichkeit. Das grossere oder geringere Mass dieser Wahrscheinlichkeit vermag er jedoch zu beurteilen, und so muss sich sein Streben nach Wahrheit nicht darauf richten eine unerreichbare absolute Gewissheit zu erlangen, sondern sich darauf beschranken, die möglichst grosse Wahrscheinlichkeit zu erreichen und diese für den Menschen auf dem heutigen Standpunkt seiner Entwicklung und der Wissenschaft &als Beweis anzuerkennen. Weiter zu gelangen vermag er nicht und er ist also wohl genötigt dies von seinem Standpunkt aus als Wahrheit und somit als Grundlage für seine weitere wissenschaftliche Arbeit anzunehmen, oder er muss von ieder weitern wissenschaftlichen Arbeit Abstand nehmen. Die möglichst grosse Wahrscheinlichkeit nun lasst sich in der biologischen Wissenschaft nur mittelbar gewinnen und zwar durch die Übereinstimmung vieler Indizien. Anzeigen oder Indizien nennt man namlich Tatsachen, die eine jede für sich von geringer Bedeutung sein können, aber miteinander verglichen deuthch einen gewissen Zusammenhang aufweisen, was wieder auf das Vorhandensein von irgendetwas hinweist, das diesen Zusammenhang verursacht. Wenn nun solche Indizien schwach und gering in Anzahl sind so bleibt die Möglichkeit, sie dem Zufall zuzuschreiben. Sind sie jedoch zahlreicher oder von grössrer Bedeutung, so kann der Gedanke an einen Zufall nicht mehr standhalten. Dann wurde doch der Zufall in solch einer Weise auftreten, wie er in der bisherigen wissenschaftlichen Erfahrung noch niemals beobachtet wurde, und darf man demnach annehmen, dass er für die menschliche Beurteilung nicht in Betracht kommt. Alsdann lasst sich dem menschlichen Verstande gemass ein derartiger Zusammenhang nicht anders verstehen, ais dass man darin die Wirkung ein und derselbcn Ursache er ickt, und dann wird die Anwesenheit dieser Ursache also sehr wahrscheinlich. Mehrt sich nun die Zahl oder die Wicht,gke,t solcher Indizien erheblich, so würde die Wahrscheinhchkeitsrechnung hinsichtlich der Möglichkeit jenes Zu alls, in Ziffern ausgedrückt, zu Zahlen führen, wie die welche die Distanzen der Erde von den festen Gestirnen ange en. Man darf diese Möglichkeit von menschlichem Gesichtspunkt fur unendlich klein halten und als solche vernac assigen. Man erlangt also die möglichst grosse Wahrscheinlichkeit. Man beachte jedoch immer genau, dass derartige Indizien nur aus auf ernste Beobachtung oder daraus abgeleitete logische Schlüsse sich gründenden und demnach selbst schon sehr wahrscheinlichen Tatsachen hervorgehen konnen. Blosse, unbewiesene Behauptungen können niemals ^ne"; und Hypothesen allein dann, wenn sie auch wissenschafthch begründet sind und dann mit andern mehr direkten Indizien übereinstimmen. Um die Art und den Wert solcher Indizien recht deutlich zu machen, sei es mir erlaubt, hier etwas über die juristische Beweislehre im Knminalprozess mitzuteilen, auf welchem Geder Zwang der Notwendigkeit diesen Gegenstand menschhcher Wissenschaft am meisten ausgebildet hat, was jedoch den meisten Naturforschern als nicht-Juristen wohl unbekannt sein dürfte. <; ^ Mh TSrtrajfrichter muss' um zu der Überzeugung der c uld des Verdachtigten zu gelangen von Beweismitteln Gebrauch machen. Als einfachstes erscheint wohl, das Bekenntnis. Aber es bedarf wohl keines Beweises, dass dieses be. we.tem nicht immer, und, besonders in den wichtigsten Fallen, nur wen,g dienen kann. Bei manchen Vólkern wird e.n Verdacht,gter nur selten seine Schuld eingestehen. Gewisse Begnffe von Ehre oder Stolz veranlassen ihn, sogar gegenuber den uberzeugendsten Tatsachen, seine Unschuld Ml. . La"P ' Tflter huten Sich gerade die gefahrlichsten ia Erf h ' f ^eru erbrecber> wohl davor - sie haben ja Erfahrung auf d.esem Gebiete - ihrc Schuld zu gestehen va ren bei den komplizierten, grossen, von intellektuell' gebildeten Personen aus den höhern Klassen der Gesellschaft verubten Verbrechen, diese klug genug sind ihre Schuld nicht zu gestehen. Darum wandte man früher allerlei Foltern an, um das Gestandniss zu erzwingen, abcr abgesehen davon, dass die Prinzipien der höheren Humanitat dies nicht mehr zulassen, vvürde überdies heute ein gebildeter Richter einem solchen erzwungenen Gestandnisse keinen Wert beilegen. Zudem weiss der Richter auch, dass nicht selten Gestandnisse falschlicherweise abgelegt werden, bisweilen um einen anderen zu retten, indem man selbst die Schuld übernimmt, oder auch wohl mit der Absicht, .sich in irgendeinem Kreis einen Namen zu machen, oder aber aus einem krankhaften, hysterischen Drange, und auch hierauf hat er zu achten. So kann tatsachlich, wenigstens was die einigermassen wichtigen Sachen betrifft, in der Praxis diesem Gestandnisse als Beweismittel nur eine geringe Bedeutung zuerkannt werden. Ein sehr gewöhnliches und in den Augen des Laien sehr kraftiges Beweismittel ist der Zeugenbeweis. Wenn einige zuverlassige Personen, etwa sogar eidlich, erklaren, dass sie geselien haben, dass der Verdachtigte die betreffende Tat verübt hat, so meint man vielfach, dies genüge um die ernste Uberzeugung zu erlangen, dass die Sache sich wirklich so zugetragen hat. Ein erfahrener Berufsrichter weiss jedoch nur zu gut, dass kein Beweismittel ungewisser ist als dieses. Auch auf S. 413 von M. S. D. wies ich daraufhin und fuhrte dazu die Meinung des bekannten deutschen Juristen Prof. Dr. von Liszt an. Vorsatzlich falsche Zeugnisse, entweder um den Angeklagten zu belasten oder ihn zu entlasten, sind überall und immer zu fürchten. Bei manchen Völkern und unter gewissen Umstanden, da, wo z. B. die Polizei die Zeugen beeinflusst, sind diese sogar sehr haufig. Aber nicht weniger unzuverlassig sind oft die durchaus bona fide abgelegten Zeugnisse infolge der geringen Fahigkeit, welche die meisten Menschen besitzen, richtig wahrzunehmen, das Wahrgenommene richtig zu behalten, und unabhangig zu bleiben von dem Gerede ihrer Umgebung. Völlig bona fide erganzen sie unbewusst das von ihnen Wahrgenommene durch das, was sie von andern darüber gehort haben, und bilden sich dann 23 ein, dass der Vórgang sich wirklich so zugetragen habe. Sie verwechseln dann eins mit dem andern. Dem Zeugnisse von Menschen geringer intellektueller Entwicklung — und dazu gehort immer die grosse Mehrheit der Zeugen im Strafprozess — kann demzufolge, besonders wenn sich der betreffende Fall schon vor einiger Zeit zugetragen hat, nur ein sehr relativer Wert beigelegt werden. Es lasst sich öfters schwer feststellen, was sie selbst gesehen und was sie vom Horen sagen haben; wissen sie es doch selbst nicht. Hinzu kommt, dass, wenn man etwas tiefer in sie einzudringen versucht, sie, wie es heisst, einem scharfen Verhör unterziehen will, sie bei solch schwachem Intellekt leicht auch durch diesen Drang wieder suggeriert werden, und man ihnen also dann auch nicht mehr traucn kann. So ist denn auch der Zeugenbeweis unzuverlassiger Art und kann er in schwierigen Fallen nur wenig Gewissheit verschaffen. Auch den meisten andern Beweismitteln, über die der Richter verfügt, haftet diese Unzulanglichkeit in starkem Masse an. Protokolle, die Beamte in Jlagranti aufgenommen haben, sind unter bestimmten politischen oder sozialen Zustanden auch wenig zuverlassig. Sie kommen im übrigen, was schwere Verbrechen betrifft, selten vor. Schriftstücke, die von dem Verdachtigten selber herriihren, können grosse Beweiskraft besitzen. Sie sind aber meistens auf einige Kategorien von Delikten beschrankt. Alle genannten Beweismittel versprechen weit mehr als sie geben. Ausgenommen in speziellen oder sehr einfachen Fallen wird ilire überzeugende Kraft erst dann genügend, wenn verschiedene Arten der Beweismittel zusammentreffen, wenn z.B. Zeugnisse durch Bekenntnisse gestützt werden, und somit auf verschiedenen Wegen das namliche erwiesen wird. Durch ein derartiges Zusammentreffen erhalten sie in der Tat den Charakter des besten und überzeugendsten Beweismittels, namlich den der Indizien. Was man unter Indizien zu verstehen hat, habe ich oben bereits dargelegt. Zu einem vollen Indizienbeweis, sagt ein namhafter deutscher Jurist, gehort ein solches Zusammentreffen und Ineinandergreifen der Anzeichen, dass cs sich nur aus deren Zusammenhang mit dem Verbrechen erklaren lasst, und dass die Zurückführung der Verdachtsgründe auf unverfangliche Verhaltnisse bloss mit Hilfe der unwahrscheinlichsten Annahmen zu ermöglichen ware. Ich werde versuchcn das hier einmal durch ein Beispiel zu verdeutlichen. Man findet die Leiche einer in gewalttatiger Weise getöteten Person A, und zwar ist nach dem Gutachten der Sachverstandigen der Tod durch einen Messerstich herbcigcfiihrt worden, einige Stunden bevor man die Leiche fand. Niemand hat die Tat gesehen. Es zeigt sich aber (I), dass A in schlechtem Einverstandnisse mit einem gewissen I? lebte, oder dass B an H's Tode interessiert war. Es zeigt sich (II), dass B sich früher wohl einmal in drohender Weise iiber A ausgelassen hat. Es zeigt sich (III) dass A wohl einmal gesagt hat, er fürchtete, dass ihm durch B Übles zustossen werde. Es zeigt sich (IV), dass B am Tage des Mordes, und zwar kurz bevor dieser veriibt wurde, in Gesellschaft von A gesehen worden ist, oder wenigstens in der Gegend, wo der Mord stattgefunden hat. Auf die Frage, wo er sich zu dieser Zeit aufgehalten habe, kann B keine genügende Aufklarung darüber geben (V). Man konstatiert Menschenblut (VI) auf B's Kleidern, oder auch, dass er seine Kleider, kurz nach den Zeit, in welcher der Mord stattgefunden haben muss, sorgfaltig ausgewaschen hat, was sonst nicht seine Gewohnheit war. Es zeigt sich (VII), dass B kurz vor dem Morde im Besitze eines Messers gewesen ist von der namlichen Form wie das, mit dem nach den Sachverstandigen der Mord veriibt sein muss. Auf die diesbezügliche Frage sagt B, er habe dieses Messer verloren, kann diese Aussage aber nicht annehmbar machen (VIII). Ein derartiges Messer wird einige Zeit nach dem Morde an einer Stelle gefundcn, wo es offenbar versteekt oder weggeworfen war (IX). Es zeigen sich Blutflecken darauf (X). Es zeigt sich (XI), dass B am Tage des Mordes oder wenigc Tagc spater, in der Nahe des Ortes gewesen ist, wo man das Messer gefunden hat. Hier handelt es sich also um elf Tatsachcn, die einejede fiir sicli nahezu nichts gegen B beweisen, die an und für sich nicht notwendigerweise mit einander im Zusammenhang stehen, deren Ursache unbekannt ist und vielleicht einfach dem Zufall oder Umstanden, die mit dem betreffenden Mord nichts zu tun haben, zugeschrieben werden müssen. Bringt man sie jedoch mit der betreffenden Missetat in Zusammenhang und sucht man auf diesem Wege ihre Erklarung, so konimt man zu der iiberraschen Entdeckung, dass sich darin niciit nur für eine oder zwei, sondern für alle ohne unter Unterschied eine sehr triftige Erklarung finden lasst, und dass alsdann zwischen allen ein deutlicher Zusammenhang besteht, der die Schuld von B klarlegt. Ein derartiges Zusammentreffen aller jener Falie wird man nicht mehr auf das Konto des Zufalls schreiben können, da der Zufall nie in einem solchen Umfang vor uns auftritt. So ergiebt sich dann aus diesem Zusammentreffen eine darauf sich gründende Überzeugung von B.'s Schuld, die erheblich kraftiger ist als solche, die je aus den obenerwahntcn Beweismitteln hervorgehen kann. Zwar wird auf diese Weise nicht geradeswegs bewiesen, dass B. das Verbrechen verübt hat, aber es zeigt sich doch, dass es nach menschlicher Berechnung für unmöglich gehalten werden muss, dass er es nicht getan hat und in praxi kommt dies auf dasselbe hinaus. Denn absolute Gewissheit kann man überhaupt nicht erlangen, man muss sich also mit dem höchst erreichbaren Grad der Wahrscheinlichkeit begnügen, der sich doch in der Regel wohl nicht von der Gewissheit unterscheiden wird. Und einen solchen Grad der Wahrscheinlichkeit hat man auf diese Weise erreicht. Man beachte aber genau, dass jedes Indiz eine richtig festgestellte Tatsache oder wenigstens eine sehr begründete Hypothese sein muss und blosse Vermutungen nie an deren Stelle tieten dürfen, wie auch, dass keineswegs alle Falie so einfach sind als das oben absichtlich dazu gebildete Beispiel. Ware dies der Fall, so brauclite man zum Verstandnisse dieses Beweises keinen besonders entwickelten Intellekt. Vielfach sind sic jedoch höchst verwickelter Natur. Dann wird es schwierig, die Indizien aufzuspüren und festzustellen, ihren Zusammenhang mit dem Verbrechcn und auch ihren gegenseitigen Zusammenhang zu verstehen. Es wird dann ein weiter Bliek und ein scharfes Unterscheidungsvesmögen gefordert, sonst wirft man alles durcheinander und vveiss Vermutungen nicht mehr von Indizien zu unterscheiden. Was den Wert der Beweisfiihrung in den biologischen Studiën betrifft, gilt das niimliche. Auch hier kann in komplizierteren Sachen allein der philosophische Indizienbeweis zur Kenntnis der Wahrheit fiihren, soweit dicse dem Menschcn überhaupt erreichbar ist. Aber auch hier ist es ein erstes Erfordernis, dass man den Standpunkt geistiger Entwicklung erreicht habe, der die Anwendung eines solchen Beweismittels ermöglicht. Die grosse Anzahl derer, die sicli auf dem Gebiete der Biologie bewegen, und die in Wirklichkeit vielfach selir wenig philosophisch entwickelte Zooiogen oder Botaniker sind, versteht es denn auch nicht mit diescm Beweis zu hantieren, und nimmt dann ihre Zuflucht zu dem mathematischen Beweis, dessen Anwendung jedoch nur zur Verwirrung Anlass giebt. Zvvar geben sie hier und dort auch w°hl Acht auf Indizien. Allein, da diese für sie meistens nicht viel mehr als Vermutungen sind, so verstehen sie deren Bedeutung nicht, und betrachten sie als Beweismittel ganz nebensachlicher Art. Man beachte z. B. einmal, wie Dr. H. Driesch auch wohl Indizien anführt, deren Beweiswert jedoch ganzlich in den Hintergrund schiebt, wahrend er dagegen dem seines Dafiirhaltens mathematischen Beweis eine höchst übertriebene Bedeutung zuerkennt. Geradc das umgekehrte ware das Richtige. Es ist psychologisch nicht ohne Interesse neben der Entwicklung des menschlichen Denkvermogens überhaupt, wie ich sie oben auf S. 260 fif. darlegte, auch einmal die zu verfolgen, in der sich das Streben nach einer logischen Ordnung offenbart, wie sie in der Entstehung und Verbreitung des Bedürfnisses nach Beweis zutage tritt. Nicht nur, dass so das Wcsen und die Bedeutung von der Lchrc des Beweises ins Licht gerückt wird — durch den parallelen Lauf beider und iliren unverkennbaren Zusammenhang zeigt sich auch deutlich, dass meine Auffassung von der Evolution des geistigen Vermogens in der Tat richtig sein muss. Wie gesagt, geht der freie Verstandeszustand erst allmahlich aus einem altern Zustand hervor, den ich als den des Instinktes gekennzeichnet habe und der sich durch einen unbegrcnzten Glauben charakterisiert. Ist doch Instinkt nichts anders als der Name, den wir der Verstandestatigkeit geben, vvelche die Handlungen beherrscht, die verrichtet werden, solange sich der Verstand noch in dem Glaubensstadium befindet. In diesem Stadium besteht demnach iiber alles, hinsichtlich dessen irgendeine Verstandestatigkeit stattfindet, naturgemass absolute Gewissheit. Und da kommt selbstverstandlich das Bedürfnis nach einer Beweisführung nicht auf. Was für gewiss erachtet wird, braucht keinen Beweis. Wenn dann allmahlich der Verstand anfangt sich aus diesem Zwangszustande freizumachen, reisst diese Befreiung naturgemass auf jedem Punkte, wo sie stattfindet, auch den Glauben und mit ihm auch die Gewissheit mit sich fort. Alles, was sich ja einer freien Beurteilung unterwirft, erscheint nicht mehr als et was absolut Feststehendes. Gerade das Streben, diese Gewissheit zu erlangen, wird durch diese Beurteilung vorausgesetzt. So entstcht das Bedürfnis nach dem Beweise. Jede Evolution und sonach auch die des menschlichen Intellekts ist, wie wir sahen, ebenso allmahlich wie ungleich. Darum beschrankt sie sich erst lange Zeit auf konkrete Auffassungen und alsdann genügt bereits blosse Autoritat, d. h. Glaube, nicht mehr, sondern fühlt man nur noch das Bedürfnis nach einem derartigen Beweise, der zur Erlangung dessen dienen kann, was in einem so niedrigen Stadium geistiger Entwicklung als genügend betrachtet wird. Es kommt hinzu, dass der Entwicklungsprozess auf jedem Punkte und bei jedem Menschen selbstandig fortschreitet, sodass es möglich wird, dass nicht nur ein Mensch viel allgemeiner und höher entwickelt ist ais der andere, sondern auch, dass bei ein und demselben Menschen die geistige Evolution in cinigen Punkten weit fortgeschritten sein kann, wahrend sie in andern zurückgeblieben ist und sogar noch in dem Glaubcnsstadinm sich befindet. Und dann stellt sich bei solch einem Menschen das Bedürfnis nach einem Beweis selbstverstandlich nur beziiglich derjenigen Gegenstande ein, in denen er höher entvvickelt ist und also keine Gewissheit mehr besitzt, und weiter je nachdem seine Entwicklung, was derartige Gegenstande betrifft, fortgeschritten ist, je nachdem er namlich in dieser Hinsicht mehr oder weniger die Fahigkcit erlangt hat, abstrakt zu denken. Dieses Bedürfnis macht sich doch nicht fühlbar, wenn der Mensch sich noch in dem Glaubensstadium befindet und somit Gewissheit besitzt. Am deutlichsten tritt dies zutage, was den religiösen Glauben betrifft. So kann man denn auch sehen, dass, wo dieser z. B. für einen glaubigen Naturforscher wie u. a. WASMANN ins biologische Gebiet eingreift, die gröbsten, völlig dem Wesen der biologischen Wissenschaft widersprechenden Theorien ohne Bedenken und ohne, dass offenbar das geringste Bedürfnis nach einem Beweis verspürt wird, als ganz und gar feststehend angenommen werden. Der religiöse Glaube jedoch, ich habe schon öfters darauf hingewiesen, unterscheidet sich seinem Wesen nach nicht von irgend einem andern Glauben. So fühlen denn auch diejenigen, die ganz und gar in dem darwinistischen Glauben aufgehen, denen wie gesagt, der Darwinismus zu einer wahren Religion geworden ist, wenig von diesem Drang nach Beweis, der sich erst bei der freien Tatigkeit des Verstandes einstellt, der keine Gewissheit besitzt und deshalb vor allem Gewissheit zu erlangen sucht. Nun besteht aber infolge der Ungleichmassigkeit der geistigen Evolution bei vielen Naturforschern der Glaubenszustand des Darwinismus nur noch teilweise, indem bei ihnen hinsichtlich vieler Gegenstande bereits die freie Beurteilung durch den Verstand in Tatigkeit getreten ist. Insoweit dies nun der Fall ist, macht sich denn auch bei ihnen das Bedürfnis nach einem Beweis fühlbar. Er steht dann aber, wie gesagt, infolge seiner Ausbildung und seines speziellen Studiums — die Zoologie und die Botanik, von den im wahren Sinne exakten Wissenschaften nicht einmal zu reden, beschaftigen sich doch ausschlicsslich mit dem Konkreten - meistens nicht auf jenem Standpunkt geistiger Entwicklung, in dem auch das abstrakte Denken dermassen auftritt, dass das Bedürfnis nach einem höhern, philosophischen Beweis sich in starkem Masse geltend macht, wie es das Studium der Biologie erfordert. Was das Vermogen betrifft, abstrakt, namlich ohne raumJiche Vorstellung, zu denken, ist der menschliche Geist im allgemeinen noch immer sehr beschrankt. Kein einziger Mensch, auch nicht der höchst entwickelte, ist sogar heute noch dazu ïmstande, so klar zu denken, dass er z. B. Geschichte, Zoologie oder Botanik ohne Hilfsmittel wie Chronologie oder Systematik verarbeiten kann. Sein Verstand vermag in dieser Hinsicht noch nicht frei zu arbeiten. Er muss sich derartige Einteilungen, d. h. also Einschrankungen, als Hilfsmittel schaffen. Das namliche lasst sich auch im Laufe der Entwicklung hinsichtlich der Beweisführung beobachten. Die mathematische Form der Logik mit derselben Gewissheit und Bestimmtheit, die auch dem Glauben eigen sind, in dem alles unanfechtbar und Dogma ist, reprasentiert ebenso eine niedrigere Stufe geistiger Evolution, die abstrakte Logik eine höhere. Darum lasst skh denn auch die erstere lediglich für das Gröbere, Materielle verwenden nicht aber da, wo, wie in der Biologie, das psychische Element in den Vordergrund tritt. Die, welche auf diesem Geblete aber noch auf dem niedrigern Standpunkt geistiger Entwicklung stehen, legen gerade jener Bestimmtheit des mathcmatischen Beweises denselben Wert bei, der auch die Glaubigen die dem Glauben eigene Gewissheit der nicht stillstchenden und daher auch nie so bestimmten Wissenschaft vorziehen lasst. Man sieht also, wie sich auch noch zwischen den Menschen, die sich jetzt auf einer hohen Stufe geistiger Entwicklung zu bewegen scheinen, in dieser Hinsicht ein deutlicher, gradueller Unterschied wahrnehmen lasst. Und dieser Unterschied ist nichts andres als eine Folge des Evolutionsprozcsscs, dem auch jene geistige Entwicklung untcrwoffen ist und in dem die Menschen, wenn sie übrigens auch alle auf diesem Wege mehr odcr weniger fortgeschritten sind, dennoch nicht dieselbe Stufe erreicht haben. Die Art und Weise, wie sich in ihrem geistigen Vermogen der Wissensdrang befriedigen lasst, weist unverkennbar daraufhin. Auf einer tiefern Stufe genügt Autoritat, über alles besteht da Gevvissheit, alles ist Dogma. Dass dieses anfechtbar ware, vermogen sie noch nicht zu begreifen. Dann entwickelt sich allmahlich das freie Urteil; anfanglich aber noch in der beschranktern Aufifassung, welche ich auf S. 413 von M. S. D. als die von FlEISCHMANN bestritten habe, in der namlich bloss die wahrgenommene Tatsache verstanden wird. Erst spater kraftigt sich der Verstand in dem Masse, dass er auch dem bei Vergleichung der Tatsachen logisch daraus gefolgerten Schlusse denselben Wert zuzuerkennen vermag. Wenn nun die Entwicklung des freien Urteils die Überzeugung der Gewissheit antastet, entsteht das Bedürfnis nach Beweis. Anfanglich lasst sich dasselbe durch den konkreten, mathematische Beweis befriedigen. Erst spater fordert es auch den höhern, abstrakten, philosophischen Beweis. Dies alles ist nun gradueller Fortgang, Evolution. Man würde doch auch hier völlig fehlgehen, wenn man sich in dieser Hinsicht auf den Standpunkt der Konstanztheorie stellen und meinen wollte, dass der heute von dem geistigen Vermogen erreichte Standpunkt immer als solcher eine hohe Entwicklungsstufe vertreten würde. Nach einem gewissen Zeitverlauf wird das höchstentwickelte Begriffsvermögen und zu gleich das, was man alsdann für einen geniigenden Beweis halten wird, ebenso hoch über den heute in dieser Hinsicht erreichten Standpunkt hinausgehen, wie letzterer jetzt über den des Glaubens. Dann dürften die am höchsten stehenden Auffassungen von heute wohl ebenso beschrankt erscheinen, wie uns jetzt der Glaube vorkommt. Wie sich dann aber dieses Denken und Wissen gestalten wird, können wir jetzt ebensowenig vermuten, wie der, dessen Verstand sich heute mit dem Glauben zufrieden giebt, die für höher stellende absolute Notwendigkeit verstehen kann, einzig und allcin auf Grund eines Beweises zu urteilen. Man könnte allein etwa die Vermutung aussprechen, dass eine derartige höhere Verstandes- tatigkeit der beschlcunigten Einsicht nahc kommen werde, die vvir Intuition nonnen, welche ja, wo es sich um zukünftige Begebenheiten handelt, vielfach für uns den Charakter einer Prophezeiung annimmt und als solche uns meistens als übernatürlich erscheint. Kommt dem Menschen doch in der Regel alles, was über seinen Begriff geht, übernatürlich vor. Ich muss hier auch noch auf einen andern Ausfiuss derselben Unkenntniss über die Beweislehre hinweisen, über den ich schon oben auf S. 22 in meiner Antikritik gegen WASMANN gesprochen habe. Ich meine die Vernachlassigung des Grundsatzes, dass derjenige, der eine Behauptung aufstellt, diese zu beweisen habe, bevor ihr ein wissenschaftÜcher Wert zuerkannt werden kann. Bis dahin ist die Behauptung nur loses Geschwatz und hat sie keine wissenschaftliche Bedeutung. Es ist dann also völlig überflüssig, den Beweis zu liefern, dass sie unrichtig ist. Niemand ist dazu berechtigt von dem, der eine solche These ablehnt, diesen negativen Beweis zu fordern. Erst gilt's einen positiven Beweis zu erbringen, und dagegen können dann eventuell Bedenken erhoben werden, die selbstverstandlich auch wieder bewiesen werden mussen. Von der Frage ob dadurch jener positive Beweis erschüttert wird oder nicht, hangt dann die wissenschaftliche Berechtigung der aufgestellten Behauptung ab. Erfolgt dieser Beweis der Bedenken, so bleibt wieder nichts als eine These ohne Beweis übrig. Bei jeder ernstlichen wissenschaftlichen Behandlung irgendeines Stoffes hat man also eine solche Diskussion herauszufordern, damit auf diese Weise die Frage entschieden wird, ob irgendeine Behauptung von der Wissenschaft anerkannt werden kann, also bei weiteren Studium als Grundlage in Betracht kommen darf. Dieses Ziel kann aber nur durch eine regelrechte Diskussion erreicht werden, in welcher streng darauf geachtet wird, dass, wer eine These aufstellt, die Verpflichtung übernimmt, dieselbe zu beweisen, und solange dies nicht geschehen ist, solch eine Sentenz nicht oder höchstens — wenn sie wenigstens einigermassen begründet erscheint — als eine Hypothese gelten darf. Von diesem allem nun erblickt man bei den meisten, die sich auf dem Gcbicte der biologischen Wissenschaft bewegen, nur herzlich wenig. Darum tragt ihre Arbeit denn auch oft nur einen sehr relativen vvissenschaftlichen Charakter. Die I atsache, dass eine Romantik wie die von der Mimicry oder der Bedeutung der Blumen und der darauf entwickelten Wegweiser für Insekten, dass ferner dergleichen tatsachlich ganzlich unbewiesenen Thesen, wie die der natürlichen oder der geschlechtlichen Selektion und die von dem Kampf ums Dasein darin so in den Vordergrund treten, liefern dafür die überzeugendsten Beispiele. Freilich giebt es auch nicht wenige, die sich gar nicht urn eine Beweisführung kümmern, weil sie einfach ihre eigenen Aufifassungen ausposaunen wollen, ohne den Ansichten andrcr kechnung zu tragen, weshalb sie denn auch meistens die frühere einschlagige Literatur nur höchst oberflachlich erörtern, wenn sie diese überhaupt nicht ganz ignorieren. In keiner andern Wissenschaft redet man so darauf los, ohne sich die Mühe zu nehmen, das früher von andern Angeführte einer ernsten Betrachtung zu unterziehen und eventuell erst zu widerlegen. Gewiss macht man sich die Sache auf diese Weise sehr leicht. Es erinnert an Parlamente und andere politische Versammlungen, wo vielfach die Sachen auch in der Weise behandelt werden. Aber da wird denn auch nicht nach Wahrheit gestrebt, sondern nur versucht irgendeiner, oft sehr unwahren, Meinung aus praktischen Gründen zum Siege zu verhelfen. Mit Wissenschaft hat so etwas jedoch gar nichts zu schaffen. So finde ich z. B., indem ich die letzte Hand an diese Arbeit lege, in der Insekten-Börse ') einen Aufsatz, in dem Prof. Dr. S. VOSSELER mehrere in Deutsch-Ostafrika über Insektenwanderungen besonders von Lepidopteren gemachte Beobachtungen mitteilt. Nun besteht wohl keine so ausführliche und ausgearbeitete Arbeit über sogenannte Lepidopterenwanderungen, besonders was die Tropen betrifft, als die meinige, die ich schon vor einigen Jahren in zwei Abhandlungen veröffentlichte. Allerdings vermochte ich darin das i) jgoó Nos. 17—20. Phanomen noch nicht völlig zu erklaren, aber wohl war ich imstande festzustellen, dass die landlaufige Auffassung, die sie den Nahrungs- oder Fortpflanzungsbedingungen zuschreibt, ein Irrtum sein müsse, und habe ich die begründete Vermutung ausgesprochen, dass dabei von eigentlichen Reisen gar nicht die Rede sei und jene Erscheinung wohl eine sehr gewöhnliche sein könne, die nur dann und wann unter besondern Umstanden starker hervortrete. Weiter habe ich durch viele Vergleichungen die Punkte angeben können, auf welche spatere Wahrnehmungen speziell ihre Aufmerksamzu "chten hatten, wodurch die Möglichkeit eröffnet wurde, vielleicht allmahlich diese Erscheinung zur Klarheit zu bringen. Nur auf jene Weise kann sie geschehen und a auf d'esem Wege gemachte Wahrnehmungen dürften a so jetzt als wissenschaftlich gelten. Aber Prof. Dr. Vosseler scheint davon auch wieder nichts zu wissen, und so hören wir nur, dass auch er in Afrika gesehen hat, was andere anderswo schon gesehen haben, etwas, das freilich nicht aller Bedeutung entbehrt, aber dennoch die Wissenschaft nicht fördert wah- rend sich doch die Gelegenheit dazu vielleicht geboten hatte. Es dürfte hier auch wohl am Platze sein, auf einen ferneren Mangel hinzuweisen, der den Ernst der biologischen Studiën stark beeintrachtigt. Ich meine die Tatsache, dass vielfach ein Autor einigen Ausdrücken oft eine andere Bedeutung beilegt, wenigstens eine sehr modifizierte, als die, welche andere ihm zuerkennen. Ein grosser Mangel, der in der juristischen Wissenschaft wohl bekannt und dem man da durch den Gebrauch von Definitionen abzuhelfen versucht von denen es nicht erlaubt ist abzuweichen, ohne dies wenigstens ausdrücklich gesagt zu haben. So verhalt es sich jetzt mit Naturselektion, Kampf ums Dasein, u. s. w. Ich habe schon wiederholt darauf hingewiesen. Ordnung ist ein Erfordernis jeder ernsten Wissenschaft, so auch der Biologie Dergleichen Praktiken schaffen aber nur Verwirrung. Eine oft sehr ungenügende Kenntnis und Fahigkeit zur Beurteilung der Tatsachen und eine ausserst mangelhafte, wenn nicht ganzlich fehlende piiiiosophische Methode bei deren Verarbeitung spielen also jetzt eine grosse Rolle in den biologischcn Studiën. Dürftc es dann Wunder nchmen, dass ïhre Rcsultate auch oft sehr mangelhaft sind und so-ar ZXTTu ?Lgun fÜr dCn MenSchen und dic Geselbchaft gefuhrt haben Ebenso wie dic juristische Wissenschaft sich einer Reform zu unterziehen hat auf der Basis der aus den Naturwissenschaften hervorgegangenen biologischen Studiën, die eine Vermehrung des menschlichen Wissens zur Folge ï *?' _s° umSekehrt die biologische Wissenschaft aus ihr die Methode des Denkens und wissenschaftlicher Diskuss.on heruberzunehmen, die sich in ihr besonders entvvickelt haben sie für die Menschheit fruchtbar wirken wü, Ware dies geschehen, so würde man vieles durch den Darwimsmus herbeigeführte Elend viclleicht verhütet haben Die ganze Entwicklung der Menschheit geht hervor aus TVr- e^oistischen Streben nach Lust, was jedoch allmahlich immer mehr altruïstisch dem allgemeinen Nutzen dienstbar gemacht wird, vvenn auch' bei den Menschen deren Arbeit dies zuwege bringt, noch lange Zeit dieses egoïstische Streben bestehen bleibt und nur einige allmahlich sich jener hohen Tendenz bewusst werden und mit Bewusstheit daran mit arbeiten. Dasselbe zeigt auch die Entwicklung jener Ausserung geistigen Lebens des Menschen, die man die Wissenschaft nennt. Die Tendenz jeder Wissenschaft ist: nutzheh zu sein lm Dienste der Menschheit, aber ihr IWung liegt doch immer in irgend einem Streben, eigene Lust oder eigenes Bedurfnis zu befnedigen, und noch lange Zeit auch wenn sie schon weit fortgeschritten ist, bezweckt ihr Studium „och hauptsachlich eigenen Vorteil. So macht sie nun a erdings immer Fortschritte und wird sie demnach dem allgemeinen Wohl immer nützlicher, aber die Arbeit, welchc dies zuwege bringt, ist dennoch überwiegend egoistisch und steht darum an sich moralisch d. h. menschlich im wahren Entwicklungssinne, noch keineswegs auf einer hohen Stufe. j rSt J6nn ,S'ch die Wlssenschaft bewusst, völlig dem Nutzen der Menschheit unterordnet, fangt sie an einen wirklich hohen Standpunkt der menschlichen Entwicklung zu vertreten und erreichen die, welche sich mit ihr beschaftigcn, denn auch diesen Standpunkt. Soll also die biologische Wissenschaft der Menschheit wirkhch nutzhch werden, so muss man sie an erster Stelle als eine selbstandige Wissenschaft aufifassen. Weiter muss man bei ihrem Studium alles Gegebene verwerten und darf keinem Urteil auf ihrem Gebiete einen entscheidenden wisse nschaftlichen Wert zuerkannt werden, wenn es auch nur einen Teil dieses Gegebenen vernachlassigte. Endlich muss jcdes Studium auf ihrem Gebiete philosophisch und also mit Beobachtung aller andern oben erörterten Bedingungen getrieben werden. Die geistige Kapazitat nun, die für eine so ausgedehnten, das Studium sovieler Facher voraussetzende Übersicht von Tatsachen notig lst, und ferner dazu erforderlich die Tatsachen dermassen zu verarbeiten, dass daraus allgemeine Schlüsse gezogen werden können, somit der überwiegend philosophische Charakter, vvelcher dieser Wissenschaft eigen ist, stellen, will man sie richtig studieren, hohe geistige Anforderungen. Sie machen sie nur dem zuganglich, bei welchem der Intellekt in seiner evolutionellen Entwicklung schon auf einem Standpunkt angelangt ist, den man vom jetzigen Zustand der Menschheit betrachtet, hoch nennen darf. Ich habe schon in den / rolégomèncs meiner mehrerwahnten Études und nachher oben auf S. 258 fif. meine Ansichten iiber die natürliche - volution des Intellekts auseinandergesetzt. Nach diesem Massstab ist der hohe hier gemeinte Standpunkt der, auf dem sich der Verstand bereits grösstenteils, wenn auch nicht ganz, aus der altern Form des Glaubens entwickelt hat und also nicht mehr oder nur noch wenig in Glaubensfessel gehalten st Unter Glauben wird hier jedoch keineswegs, wie ich dies schon vielfach erortete, allein der religiöse Glaube verstan^en sondern auch der wissenschaftliche Autoritatsglaube. : hat sich auch in dem Darwinismus eine Dogmatik — eine Rechtglaubigkeit nennt Prof. Pauly es - gebildet mit esten Dogmata, von denen das der Selektion, des Kampfes ums Dasein und der Nützlichkeit die hauptsachlichsten sfnd, ncbcn denen uaS von der Mimicry und der Bedeutung der Blumen und andere auftreten, wahrend über deren Auffassung wieder in ahnlicher Weise besondere Meinungen entstehen, geradeso wie wir es bei der Entstehung der religiösen Sekten beobachten. Denn es ist allein infolge religiöser Voreingenommenheit, dass man dem religiösen Glauben einen andern Charakter -zuerkennen will als jedem andern Glauben. Es handelt sich hier immer um dasselbe, nur richtet es sich jedesmal auf einen andern Gegenstand. Wenn man nun einmal mit mir einsieht, dass Glaube nichts andres ist als eine tiefere Stufe der Verstandesevolution, so wird es auch einleuchten, dass alles was man Personen lehrt, deren natürliche Anlage noch einen solchen niedrigen Verstandeszustand mit sich bringt, kurz alles was in ihren Verstand einfach hineingegossen wird, notwendigerweise jene Form annehmen muss. Diese nun, und wie die grosse Mehrzahl der Menschen gehören auch noch die meisten Zooiogen und Botaniker dazu, wenn auch einer immer in dieser Hinsicht weiter in der geistigen Evolution fortgeschritten ist als der andere, besitzen das soeben angedeutete höhere geistige Vermogen nicht, das fur das richtige Studium der biologischen Wissenschaft erforderlich ist. In einigen Punkten lasst sich dies oft sehr deutlich wahrnehmen. Je geringer jemandes Verstand sich entwickelt hat, um so weniger ist er ïmstande zu abstrahieren oder sich die Sachen anders vorzustéllen, als er sie sinnlich wahrnimmt. Nun ist, um die biologischen Fragen auf dem jetzigen Standpunkt des menschlichen Wissens gehorig behandeln zu können, ein klarer Begriff von dem Wesen der Naturevolution durchaus notwendig. Dazu muss aber der Intellect fahig sein, zwei Dinge richtig einzusehen, erstens, dass jede Materie von den kleinsten Teilen bis zu den grössten festen Gestirnen sich in fortdauernder Bewegung und also in einem daraus sich ergebenden Zustand der Veranderung befindet. Zweitens, dass die Körper, die wir als ein Ganzes wahrnehmen, tatsach''ch aus einer Menge kleiner Teile zusammengesetzt sind, und dass also auch namentlich Tiere und Menschen aus einer Menge zusammengefügter Einheiten bestehen, die w°hl innig verbunden sind, aber dessen ungeachtet jedes fur sich auch ein selbstandiges Wesen haben und sich als solche auch selbstandig in dem ebcncrwahnten Zustand der Bewegung und Verandcrung bcfinden. Um dies richtig zu erfassen, ist die betreffende höhere Verstandeskapazitat unentbehrlich und namentlich ein gewisses derselben eigenes Abstraktionsvermögen. Aber es hat den Anschein, dass noch nicht viele Naturforscher dazu hoch genug entwickelt sind. Freilich sind ihnen diese Tatsachen, wenn sie wenigstens eine bestimmte Ausbildung genossen haben, nicht unbekannt. Sie erkennen diese denn auch an, jedoch bloss weil sie glauben und nachreden, was man sie gelehrt hat. Zwar sehen sie dies selbst nicht ein, weil ihr Glaube nicht etwas andres als der Verstand ist, sondern nur eine niedrigere Form desselben, und ihnen selbst also immer als Wissen und deshalb als der Produkt einer Verstandestatigkeit erscheint. Es offenbart sich darin, dass sie demzufolge nicht imstande sind das Gelernte zu verarbeiten und dem, wo sie sich aufs biologische Gebiet wagen, nicht oder nicht genügend Rechnung zu tragen wissen. Ohne diese Grundlage kann man jedoch das Wesen der evolutionellen Naturvorgange nicht richtig erfassen. Sentenzen biologischer Art, die sich notwendigerweise darauf stützen mussen, haben dann keinen wissenschaftlichen Wert. Dennoch werden sie durch den erwahnten Mangel an wissenschaftlicher Methode als solche betrachtet und wird darauf weitergebaut. DAS WESEN DES EVOLUTIONELLEN UMWANDLUNGSPROZESSES. Wo die betreffende höhere geistige Kapazitat von Natur fehlt, muss man sich bescheiden und ist es nur wünschenswert, dass man sich auf eine solche Arbeit beschranke, die mit dem Masse der vorhanaenen Fahigkeit übereinstimmt, dass man also die biologischen Fragen zum grössten Teil beiseite lasse. Aber auch da, wo die Kapazitat vorhanden ist, kann doch die Mangelhaftigkeit der erworbenen Kenntnisse die Ursache sein, dass biologische Studiën nicht in erforderlicher Weise gemacht werden und somit auch nicht zu nützlichen Resultaten führen können. In der Tat ist dies keine seltene Erscheinung. Zunachst, was die oben besprochene philosophische Bildung betrifft. Diese, wie ich sie dort beschrieb, und also keineswegs eine doktrinare philosophische Ausbildung, sollte einem jeden, der sich zu höhern Naturstudien vorbereitet, durch Belehrung und Uebung beigebracht werden. Hier bleibt jedoch bis jetzt sehr viel zu wünschen iibrig und die biologischen Studiën tragen in starkem Masse die Spuren dieses Mangels. Weiter können die auf naturwissenwissenschaftlichem Gebiete gewonnenen Kenntnisse auch dadurch ungenügend sein, dass die bei deren Erwerbung eingeschlagene Richtung zu spezialisiert war, wahrend doch eine grosse Tiefe die erforderliche Breite nicht ersetzen kann. Im Zusammenhang damit kann dann auch stehen, dass man sich nie ernstlich mit dem beschaftigt hat, was als das Hauptprinzip der heutigen zoologischen oder botani'schen Wissenschaften betrachtet werden muss, und also nie versucht hat grundlich das Wesen von dessen zu erfassen, was als Evolution bezeichnet wird, ohne welchen Begrift aber, 24 bir srin m^T T'! iedes bi0l°5iSChe Stadium bar sein muss. Der Ausdruck „F.volution" wird dann — schon aur S. 32 von M. S. D wies ich daraufhin - ci„ Schlacwort r ak s istDuns tr,nochtichfbhekdanSntLIben ?"*• ^ . „ cnt DeKannt, aber das wissen wir doch das» d.e Formen, unter denen wir cs jetzt auftreten T*' durch fortwahrende Veranderungen aus früheren und auch diese w,ederum aus „och slieren ,ieh entwickeit haben die ursprungltch sehr einfach gewesen sein mussen. Auch dirfen wir es a annehmen, dass alle jetzt bestehenden sich wieder andern werden. Wir erkennen a.so eine Neig,mg der Orga n men 2„r fortwahrenden Veranderung, die sich durch Ncu b. dung von Verschiedenem aus mehr oder wenigër Gtól Difweise" anf'di' d'eS was wi'E™lu«on nennen. u J- S1C vermutl'ch zustande kommt ist oben dieraïït1bt b/handeite' be~ -£„n; ebenso die Tatsache, dass der Verlauf jener Veranderuntren von kurzern oder langern Perioden des Stillstands oder der Epistase unterbrochen wird. Das Wesen dieses organischen Evolutionsprozesses wird ï ut W'e gCSagt' nOCh verstanden umj Zr Ï* t;;Sne^m SChlUSSe dM V°rige" K^«="eme :,e wetl dazu eine gewisse geistige Entwicklung erforderlich ist dt a".S7emem "°H Ui. ('Preussischc bikker», August 1905J. 2) Ernst Haeckel. Der Kampf um den Entwicklungs-Gedanken, Berlin 1903. ordnet diesem jede wissenschaftliche Betrachtung unter. Aber, wenn es nun auch wahr sein kann, was haeckel behauptet, dass Reinke voll festen evangelischen Kirchenglaubens seij der tatsachlich nicht nur dem Katholizismus, sondern sogar oft dem Jesuitismus nahe verwandt ist, so zeigt sich mir aus dem obenangeführten Werke dieses Gelehrten dennoch nicht, dass auch seine wissenschaftlichen Anschauungen dermassen unter dem einseitigen Einfluss dieses Glaubens stehen, und treffe ich darin auch nicht, wie Haeckel vorgiebt, mystische Deduktionen an, abgesehen von dem, was den Anfangspunkt angeht, wo auch er eine Schöpfung annimmt. Aber, wenn dies nun auch allerdings einen Kardinalpunkt betrifft, so wird dadurch an sich die Kraft seiner wissenschaftlichen Anschauungen gegenüber der maschinellen Auffasssung des Darwinismus nicht beeintrachtigt, da er diese nicht darauf, sondern auf andere Argumente gründet. Übrigens kommt mir Haeckels Naturgott oder monistischer Gott, als allumfassendes Weltwesen, mit der Materie zur ewigen und unendlichen Substanz verbunden, auch noch zu pantheistisch vor. Auch in der pantheistischen Anschauungsweise erblicke ich noch immer die einer Persönlichkeit. Die allgemeine Substanz ist für mich ein Ding und kein Wesen. Sie kann, meiner Meinung nach, nur aus Materie bestehen, wiewohï nicht nur aus raumlicher Materie. Ich kann mich nun mit einer derartigen Auffassug des Lebendigen, wie die der genannten Gelehrten ist, nicht efnverstanden erklaren. Die Existenz einer allgemeinen, bewussten, kosmischen Intelligenz zeigt sich mir aus nichts. Im Gegenteil, Umstande wie dieser z. B., dass evolutionelle Prozesse, indem sie exzessiv werden, bisweilen einen dem Organismus schadlichen Charakter erhalten, ja wahrscheinlich sogar das Aussterben vieler Arten herbeigeführt haben, scheint meines Erachtens darauf hinzuweisen, dass dabei von einer allgemeinen, festen und daher notwendigerweise andauernden intelligenten Regelung nicht die Rede sein kann. Auch die von Reinke selbst aufgeführten Mangel in der Organisation des menschlichen Auges lassen sich bei einer solchen Auffassung nicht erklaren. Übrigens erscheint, wie wir spater sehen werden, das intelligente, psychische Element bei den lebenden Wesen auf allerhand Entwicklungsstufen, und darunter auf noch sehr primitiven, was deutlich auf etwas hinweist, das einer evolutionellen Veranderung unterworfen ist, jedoch mit dem Begriff einer allgemeinen, höhern und somit notwendigerweise auch immer gleich hoch stehenden Intelligenz unvereinbar ist. Es will mir scheinen, als ob diese Gelehrten, um zu dieser Anschauung zu gelangen, den induktiven Weg zu sehr verliessen, der doch stets der Ausgangspunkt des Naturforschers bleiben soll. üriesch behauptet denn auch, dass hier das Gebiet der Naturwissenschaft aufhöre und das der Naturphilosophie beginne. Mit Unrecht aber und mit falscher Anwendung des Wortes Naturphilosophie. Was Driesch hier namlich mit diesem Ausdruck meint, besteht in philosophischen Betrachtungen über die Natur, in denen sich viele Philosophen ergangen haben. Davon ist hier aber nicht die Rede; es gilt hier lediglich die philosophische Beurteilung der Naturtatsachen, das, worauf sich das von Reinke seinem erwahnten Werke vorangesetzt Motto bezieht: „La science sans philosophie est un simple bureau cl'enregistrement'', und dies bildet nun mit der Naturwissenschaft ein Ganzes. Es ist nichts andres als ihre Bearbeitung durch die höchste menschliche Intelligenz. Und als solche das, was sie erst zur Wissenschaft macht. Ebenso wie z. B. die Baukunst, die Malkunst, die Tonkunst, erst durch die Vereiniging mit einem psychischen Element, das in diesem Falie jedoch mehr dem Gefiihls- als dem Verstandesleben angehört, von einem Handwerkc zur Kunst geworden ist. Es stützt sich insofern immer ganz auf die beobachteten Tatsachen und entwickelt sich erst aus diesen. driesch meint namlich, dass der Begriff einer die Naturerscheinungen leitenden psychischen Kraft sich nicht aus der Beobachtung von Tatsachen, also nicht induktiv, ableiten lasse. Diese Meinung aber ist wieder eine Folge seiner, meines Erachtens, unrichtigen Auffassung von dem Begriffe Materie, der auch Reinke eigen ist, wodurch beide in Wirklichkeit sich wieder dem alten dualistischen Standpunkte nahern, den der Monismus verdrangt hatte. Sie gründen diese Meinung auf die Tatsache, dass das maschinelle Wesen des Monismus sich als unrichtig erwiesen hatte. Aber, so möchte ich fragen, lasst sich denn dieser Monismus nicht anders als nach unsern hcutigen chemisch-physikalischen Kenntnissen auffassen ? Muss man notvvendigerweise, wenn man diese Erklarung verwirft, deshalb zu dem alten Dualismus zurückkehren ? Meines Dafürhaltens kann man ihn sehr wohl auf eine andere Weise auffassen, und lasst er sich alsdann ganz gut verstehen. Ich halte denn auch wirkliche Beobachtung und Studium von Tatsachen hinsichtlich des Wesens des psychischen Elements ohne Zweifel für möglich, und meine daher, dass man auf diese Weise seine Kenntnis darüber erlangen kann. Der Standpunkt Driesch' in dieser Frage ist übrigens wohl kein andrer als derjenige Kants; denn dieser Philosoph lehrt, dass, da ja das Transcendentale für unsere Kenntnis unerreichbar sei, unsere Untersuchungen sich auch nicht darauf ausdehnen dürften. Aber dazu muss man dann erst die Existenz des Transcendentalen von vornherein annehmen und dann in dem betreffenden Fall ebenso das psychische Element zu diesem Transcendentalen rechnen. Weder das eine, noch das andere hat sich mir als richtig erwiesen, und deswegen glaube ich, dass sich dieses Element sehr wohl zu einer Untersuchung eignet und ein ernster Naturforscher sich derselben nicht entziehen darf. Weshalb sollte man den Begriff der Materie gerade auf etwas mchr oder weniger Raumerfüllendes, Wiederstandleistendes, etwas von raumlicher Gleichförmigkeit, wie DRIESCH sich ausdrückt, beschranken ? Hat man doch immer auch die Hypothese eines allgemeinen Zwischenstoffes, des sogenannten Aethers, für annehmbar gehalten, der dieser beschrankten Aufïfassung nicht entsprach, aber gleichwohl als Materie gedacht wird. Anfanglich stand der Begriff der Materie gewiss dem des Geistes gegenüber, wie man diesen in der menschlichen Psyche wahrnahm und darauf transcendental aufgefasst und erweitert hat, aber was hindert nun, auf Grund grössrer Kenntnis und unter Beseitigung jener transcentalen Aufïfassung, dieses psychische Element nicht mehr als etwas der Materie Gegenübergesetztes, sondern als eine andere, daneben bcstehende Form der allgemeinen monistischcn Substanz zu vcrstehen ? Mciner Ansicht nach steht dem nichts im Wegc. Auch dann bleibt es doch ein Naturfaktor sui generis, cine elementare Besonderheit, die neben dem aus Physik und Chemie Bekannten auftritt, wie Driesch seine Entelechie betrachtet. Lediglich der Begrifïf der Materie wird erweitert, aber dieser BegrifT geht nicht notwendigervveise aus der Wahrnehmung hervor, sondern ist deduktiv festgestellt. Auch ein Naturfaktor sui generis gehort zvveifelsohne dem Gebiete des Naturstudiums an. Schon in der obenerwahnter von mir im Jahre 1899 veröfïfentlichten Schrift dachte ich mir den lebenden Stoff als eine Verbindung jener beiden Formen, wobei ich die Vermutung wagte, dass vielleicht das psychische Element nichts andres ware als der sogenannte Aether. Zur Verdeutlichung meiner Meinung sprach ich dann von einer quasi-chemischen Verbindung. Ich habe seitdem in der von Driesch verfassten Geschichte des Vitalismus und in paulys Werk auch frühere mir zu der Zeit unbekannte Auffassungen angetroffen, die der von mir damals geausserten sehr nahe kommen. Seitdem hat fortgesetztes Studium des geistigen Elements, wie es sich in der menschlichen Psyche und derjenigen der Tiere wahrnehmen lasst, mich immermehr von dem materiellen Charakter derselben überzeugt und somit meine Meinung befestigt, dass dieses Element und die gewöhnliche grobe Materie nichts andres als Formen ein und derselben Substanz sind, bei deren Verbindung erstere als vitalistische Kraft oder Entelechie auftritt. Dabei haben allerdings meine früheren Ideen darüber, was die Form betrifïft, eine Modifikation erfahren. Um dies zu verstehen muss man einfach fortfahren alles zu beobachten was sich dazu darbietet, und durch Vergleichung der Ergebnisse Kenntnisse darüber zu sammeln. Man verfahrt also ganz nach der Regel der Naturforschung. Wenn die beiden genannten Gelehrten annehmen, dass diese sich nicht auf Untersuchungen über die Art des vitalistischen Elements erstrecken dürfe, wenn Reinke behauptet, dass den Grund der Finalbeziehungen bei Pflanzen und Tieren zu erkennen eine metaphysische Aufgabe sei, oder Driesch ex cathedra erklart, dass die Biologie bei ihrer eigentlichen Untersuchung alles „Psychologische" streng fern zu halten liabe, weil Psychologie im strengen Sinne keine Naturwissenschaft sei, so verlassen sie, meiner Ansicht nach, einfach den Standpunkt der wirklich naturwissenschaftlichen und deshalb induktiven Naturphilosophie, urn den der deduktiven Philosophie über die Natur einzunehmen, den die Metaphysiker Naturphilosophie nennen. Ich kann diesen jedoch nicht als wissenschaftlich berechtigt anerkennen. Wo das biologische Studium an den Naturforscher psychische Erscheinungen herantreten lasst, ist er gezwungen, diese zu studieren und zwar immer auf dem bekannten Wege der Beobachtung und Vergleichung. Und diese Anschauungsweise war auch wohl diejenige Darwins, die er in einem Citat aus Bacon als Motto für sein Werk über ,die Entstehung der Ar ten" deutüch zum Ausdruck brachte. Warum sollte das hier nicht möglich sein? Wenn Driesch schreibt: „Von Seelen gibt es eben für mich als Forscher nur die meinige, und von dem Bewusstsein eines Körpers zu reden, der doch in meinem Körper ist, ist für den erkenntniskritisch festen Naturforscher eine völlige Sinnlosigkeit", oder: „von Bewusstsein kenne ich nur meines", so scheint mir ersteres nur Phraseologie zu sein, und sehe ich gar nicht ein, weshalb ich diese Erscheinung, weil sie auch bei mir auftritt, auch nicht bei andern wahrnehmen könnte. Aber der springende Punkt wird wohl der sein, dass Driescii hier die direkte, mathematische Beweisführung nicht anwenden kann, in deren Bann er gefangen ist. Was dies angeht, so stehe ich ganz auf der Seite Haeckels. Den Engel mit dem flammenden Schwerte, der nach den genannten Gelehrten ihnen den Eingang zu diesem Paradies verbiete, halt der wahre Naturforscher doch wohl für ein Traumgesicht. Allerdings kann er dieses Element nicht sinnlich wahrnehmen, wohl aber die dadurch hervorgerufenen Effekte, und das genügt hier. Verhalt es sich vielleicht mit der Elektrizitat anders? Auch deren Ursprüng kcnnt er nicht; kennt er denn etwa den der körperlichen Formen wohl ? Was wusste Lamarck von der Zelle und ihrer Teilung ? Wie gering war sogar in Darwins Zeiten diese Kenntnis! Hat dies etwa diese Naturforscher daran verhindert, durch das Studium der lebenden Wesen die Tatsache ihrer evolutionellen Entwicklung zu erkennen ? Ich habe hier bis jetzt nur die Ansichten Prof. Dr. reinkes und Dr. Driesch' besprochen, aber das zugleich erwahnte Werk Prof. Dr. Paulys noch ganz ausser Betracht gelassen. Durchaus jedoch nicht, weil es mir weniger bedeutend erscheint. Im Gegenteil; weit naher kommen viele meiner Ansichten in diesem Punkte denen dieses Gelehrten, obgleich sie sich für einen andern Teil wieder erheblich davon entfernen. Pauly, der als Lamarckist auftritt, und wie er angiebt, nur die Ideen Lamarks wieder aufïfnimmt und weiter ausarbeitet, leugnet lediglich den eigentlichen Darwinismus, namlich die Selektionslehre und die einen Teil derselben ausmachende Theorie des Kampfes ums Dasein, aber nicht mehr. Sogar so weit geht er nicht einmal, dass er, wie ich, auch andere darwinistische Lehrsatze, die jedoch mit der Selektionslehre in engem Zusammenhang stehen, wie z. B. die Lehre der Mimicry, verwirft. Er hat sich jedoch offenbar auch nicht genügend in die jenigen Fragen eingearbeitet. die abseits seines Arbeitsplanes lagen. Mit der Abstammungslehre und auch mit der Tatsache der Übereinstimmung zwischen Phylogenese und Ontogenese z. B. erklart er sich ganz einverstanden. Er weist ausdrücklich daraufhin, wie diese seit Boveri auch in der Stammesgeschichte des Auges der cranioten Wirbeltiere nachgewiesen worden ist. Mit der Lehre der Selektion verknüpft sich aber auch die darwinistisch-mechanische Theorie der Lebenserscheinungen, und gegen diese, welche, wie er beweist, auch durchaus im Widerspruch mit den Ideen Lamarcks ist, richtet sich nun hauptsachlich seine Arbeit. Mit grosser Gelehrsamkeit und unausweichbarer Logik legt er so das Unhaltbare des Zuchtwahlprinzips dar, weist nach, dass allein durch dieses sich die Lebenserscheinungen nicht erklaren lassen, und kommt so zu dem Schlusse, dass es durchaus unannehmbar sei, die Lebensausserungen ohne die Mitwirkung einer intelligenten Kraft zu verstehen, und dass allein die Erkenntnis eines derartigen Einflusses dieselben auf klaren 27 könne. Überaus deutlich setzt er dies auseinander, sowohl in seinem bereits citierten Werke, wie auch in einer spatern Schrift. ') Aber er bleibt nicht wie die beiden ebenerwahnten Gelehrten auf diescm Punkte stehen und verteidigt nicht die Meinung, dass hier ein unübersteiglicher Schlagbaum den Naturforscher an der weitern Untersuchung verhindere. Er scheut sich auch gar nicht, auch die Psychologie in den Bereich dieser Untersuchung zu ziehen. Er erklart im gegenteil mit Recht, dass dieses Studium unumganglich sei, wenn man die Wirkung dieses psychischen Einflusses verstehen wolle. Wenn jene beiden Gelehrten diese Wirkung einer ausserhalb des Organismus liegenden und demselben beherrschenden geistigen Macht zuschreiben, nimmt er dahingegen ein in dem Organismus selbst gegenwartiges und in demselben wirkendes Prinzip an. Er meint deshalb der organischen Substanz eine psychologische Grundeigenschaft beilegen zu mussen und stellt sich in der Hinsicht auf den von ihm mit den Worten K. c. Schneiders' wiedergegebenen Standpunkt, nach welchem dieser „eine besondere Energieart, eben eine vitale oder psychische, die sich an den biologischen Stoffen und zwar an deren lebenden Bausteinen, den Biomolekülen betatigt", annimmt. Er halt also die Lebenserscheinungen für psychophyschischer Art, die einer dem organischen Stoffe selber eigenen psychischen Energie entspringen, welche als ein allenthalben der organischen Materie immanentes, urteilendes Prinzip, je nach dem Bedürfnis, zweckmassig, auf physischem Wege, dem genügt, und in der Weise jene Erscheinungen zuwege bringt, deren leitendes Prinzip eben die Zweckmassigkeit ist. Seine Lehre findet, nach ihm, vor allem ihren Rückhalt in dem Umstand, dass sie dem Kausalgesetze und dem Gesetze von der Erhaltung der Energie entspricht. Sie beseitige namlich das wichtige Bedenken der Physiologen gegen den Einfluss einer psychischen Kraft auf die Lebenserscheinungen, dass es zwischen den physiologischen und den psychischen Phanomenen keinen Kausalnexus I) Erliiuterungen zur Darwin-Lamarckschen Fragc. Beilage zur Allgemeitien Zcitung vom 27 Mai iqo6. geben könne. Sie ist daher vitalistisch und enthalt als solche eine psychophysische Teleologie, halt sich aber dennoch ganz frei von Transcendentalem. P. liefert oline Zweifel ein gutes, wissenschaftlich ausgearbeitetes System. In verschiedener Hinsicht stimmen seine Anschauungen mit den meinigen, wie ich sie bereits früher angegeben oder an andern Stellen dieser Schrift dargelegt habe, völlig überein. Nicht selten spricht er sich in genau derselben Weise über die Fragen aus, die ich auf diesem Gcbiete immer für sehr wichtig hielt. Wie ich bereits andeutete, drückt er sich, was meine obige Ausserung betrifft, dass ich gar nicht einsehe, weshalb nicht der Naturforscher, wetin er einmal zur Erkenntnis eines psychischen Elements im Prozesse der Lebenserscheinungen gelangt ist, alsdann weiter in der Erkenntnis dieses Elements vordringen könne, sehr bestimmt aus. „Dass jeder Versuch psychologischer Betrachtung auf biologischem Gebiete die Klarheit mechanistischer Vorstellung in Mystik verwandein sollte, sagt er mit Recht, ist nichts als ein durch den festen Glauben, dass mechanische Erklarungen allein naturwissenschaftliche seien, bei den heutigen Naturforschern sosehr eingewurzeltes Vorurteil, dass man fast sich zu entschuldigen genötigt sieht, wenn man eine andere Anschauungsweise aussprechen will". Diese Meinung beruht nach ihm auf einer blinden Furcht, dass, wenn der Naturforscher das psychologische Gebiet betrete, dies notwendigerweise zu der Rückkehr einer ausseren, göttlichen Teleologie führen müsse, oder zu der Annahme einer überzahlichen fiktiven Naturkraft, einer Lebenskraft, oder wohl zu dem Geraten in ein unbestimmtes mystisches Dunkel, oder aber dazu dass er endlich in die Tauschungen des Anthropomorphismus verfallen müsse. „Psychologie mit ihren nur vom Verstand, „nicht von den Sinnen erfassbaren Erscheinungen und ihrem „verdachtigen Zusammenhang mit Philosophie, ist für sie eine "Art von Mystik, in welcher Naturforschung, die allein den „Sinnen, dem Verstand aber weniger als Philosophie vertraut, „nicht endigen darf; das ware ein Ende in Dunkelheit". Das ist aber, sagt er, Vorurteil. Wie allgemein herschend dieses Vorurteil jedoch ist, zeigte sich schon aus den Ansichten der beiden obengenannten Gelehrten. P. führt zum Bevveis auf S. 68 seines Werkes noch einen Ausspruch Karl Dettos an, in welchem dieser sich nicht scheut zu erklaren, dass die Annahme, dass Psychisches und Physiches in ein Kausalverhaltnis zueinander treten könnten, denkunmöglich sei. Auch der obenervvahnte Prof. Dr. Max Kassowitz hat diesen Standpunkt noch nicht überwunden. Psychische Zustande sind nach ihm allein subjectiv wahrnehmbar. Alle teleologische Weltanschauung vvurzelt, eingestandermasser oder nicht, wie er behauptet, in dem Glauben an eine personifizierte Schöpfungskraft. Bei Reinke und Driesch mag das nun der Fall sein. P. beweist aber deutlich, dass dies nicht immer der Fall zu sein braucht; auch meine Anschauungsweise erweist dasselbe. Ebenso der bei vielen Darwinisten so beliebte Naturzweck, welcher der Natur als einer Person Absichten unterlegt und dieselbe somit zur Person, zum schöpferischen Subjekt macht, eine Auftassung, der ich mich auf oben schon widersetzte. P. verwirft diese denn auch ebenso energisch wie ich. Dass aber die heutige Psychologie, fur die es erst jetzt, in unsrer Zeit, wie er sagt, zu dammern anfangt, in Anbetracht, dass sie selbst von diesem mechanistischen Standpunkt ausgeht, noch unzulanglich ist, die betreffende psychische Wirkung richtig zu erklaren und des- halb einer natürlichern gegenüber das Feld zu raumen hat diese unwissenschaftliche Unerhörtheit in den Augen vieler, die sich jetzt für Psychologen erachten, und die ich in meinen obenerwahnten Études schon ausgesprochen habe, finde ich ebenso mit Verweisung auf W. Dilthey in dem Werke P.'s wieder. Auch in meiner Auffassung eines mehr oder weniger entwickelten Zustandes des psychischen Elements und hinsichtlich der Behauptung, dass Intelligenz auch ohne Bewusstsein möglich sei, wie ich dies in meinen Études und auch oben bei der Erörterung der qualitativen Gleichheit der Ivlenschenund der Tierseele auseinandersetzte, stand ich, soweit mir bekannt ist, bis jetzt noch ziemlich allein. Prof. Reinke betont nachdrücklich, wie ich bereits erwahnte, dass er sich die Psyche nicht anders, als mit Bewusstsein verbunden vorstellen könne. Prof. Dr. KASSOWITZ spottet über eine unbewussten Intelligenz. Auch WASMANN kann so etwas nicht fassen. P. jedoch finde ich wieder auf meiner Seite. „Urteil, sagt er mit Recht, bringt nicht notwendigerweise Bewusstsein mit sich". Es ist aber wahr, dass der Begriff „Bewusstsein" wohl nicht von allen auf dieselbe Weise aufgefasst wird. Die qualitative Identitat der höchsten intellektuellen Manifestationen im menschlichen Verstande und der elementarsten in den Protozoen und sogar in den Pflanzen wird auch von ihm ebenso wie von mir anerkannt. Auch hinsichtlich der physischen Auffassung des Psychischen komme ich, wenn auch auf anderm Wege, zu dieselben Mci- nung wie dieser Gelehrte. Man sieht demnach, wie eng viele Ideen jenes Autors über diesen Gegenstand den meinigen verwandt sind, was ich für mich für überaus wichtig erachte, weil ich mich dabei nun fortan auf einen biologischen Fachgelehrten stützen kann, der vielfach imstande war, die betreffende Argumentation in bestimmten Punkten deutlicher auseinanderzusetzen, als ich es vermochte. Aber, wenn ich auch seine Anschauungsweise richtig zu schatzen verstehe, so kann ich mich dennoch im übrigen nicht damit zufriedengeben. Die Wirkungsart des betreffenden psychischen Elements im Organismus lasst sich nach meiner Ansicht, wie er sie aufïasst, nicht genügend erklaren. Ich glaube denn auch das Verhaltnis zwischen jenem Element und dem Organismus anders verstehen zu müssen. Ich halte dafür, dass sich, um zu der richtigen Erfassung des erstern zu gelangen, ein andrer Weg einschlagen lasst und dass P. diesen versaumt hat. Wenn er doch einmal, ebenso wie ich es tue, anerkennt, dass die qualitative Art desselben die namliche sein muss, sowohl in seinen höchsten Formen, denen des menschlichen Verstandes in allen seinen gesellschaftlichen Manifestationen, wie in seinen beschranktesten, die er sich als Denkakte in den Korperoder Pflanzenzellen oder in einzelligen Organismen vorstellt, so müssen, um zu der richtigen Erkenntnis jenes psychischen Elementes zu gelangen, namentlich jene höchsten Ausserungen gründlich studiert werden. Denn diese eignen sich dazu am meisten. Es will mir nun erscheinen, als ob dies bei P. nicht in genügendem Masse stattfande. Nach seiner Theorie ware jenes psychische Element zwar nicht ein Produkt, aber doch eine energetische Wirkung der organischen Materie selbst, deshalb immer allenthalben in jeder Zelle vorhanden und gabe es den chemisch-physikalischen Prozess jedes Fortgangs darin an und leitete es denselben. Bedürfnis sollte es immer dazu anregen und zweckmassig darauf reagieren lassen. Zudem sollte jedes Bedürfnis, das sich bei einer Zelle einstellte, sich auch in den andern Zeilen fortpfianzen und dadurch auch diese zu zweckmassiger Mitwirkung anregen und sollten die allgemeinen Bedürfnisse des Ganzen also durch psychische Korrespondenz zwischen den als Ursachen entstandenen Bedürfnissen von Organen und den die Befriedigung schaffenden Gebilden stattfinden. Weiter nimmt er an, dass ausser diesen psychischen Vorgangen in den Körperzellen auch noch andere, die er als rein psychische Vorgange unterscheidet, in den Ganglienzellen vorkommen, besonders im Gehirn, und dass diese Tatigkeit des Nervensystems sich über den ganzen Organismus ausstrecke. Man könnte also die Auffassung Prof. P.'s die Theorie der organischen Zweckmassigkeit nennen. In diesem Sinne kann ich jedoch mit ihr mich nicht einverstanden erklaren. Ebenso wie der Darwinismus das Prinzip der Nützlichkeit, stellt jene Theorie das der Zweckmassigkeit ganz in den Vordergrund. Keine Erklarung biologischer Fragen kann mich aber befriedigen, die irgendein Prinzip in den Vordergrund schiebt. Jede Erklarung muss sich auf durch eine gewissenhafte Untersuchung gewonnene Ergebnisse stützen. Wenn man jedoch von aprioristischen Aufstellungen ausgeht, wird notwendigerweise die wissenschaftliche Behandlung beeintrachtigt. Alles wird dann denselben angepasst und nötigenfalls darauf zugeschintten; die Feststeiiung der wissenschaftlichen Wahrheit hat sich dann danach zu richten. Zweckmassigkeit ist denn auch nur wieder eins jener Schlagwörter wie Variabilitat und andere, worüber ich bcreits öfters meine Meinung sagte. Zweckmassigkeit, heisst es, kann man überall in den Naturerscheinungen beobachten, und wo diese nun überhaupt besteht, muss es auch ein 1 rinzip geben und sogar nur eins, nach dem sie erzeugt wird. Ich kann dies nicht einsehen. Ich muss vorab bemerken, dass man in den Naturerscheinungen selbst die Zweckmassigkeit nicht wahrnimmt, sondern nur zweckmassige Erscheinungen, und man es kein Ergebniss der Beobachtung nennen darf, wenn man nun eine Eigentümlichkeit jener Erscheinungen zu einem Prinzip abstrahiert, das dieselben verursachen sollte. In derselben Weise ist dies auch, wie oben gesagt, hinsichthch der Variabilitat, Mimicry, u. s. w. geschehen. Die Biologen haben eine ganze Menge derartiger Prinzipien erfunden. Oben trafen wir z. B. bereits das der Sparsamkeit und das der Mannigfaltigkeit an. Werden sie eventuell in den Vordergrund gestellt, so stellen sie sich nicht selten ziemlich mystisch dar. Tatsachlich handelt es sich dabei allein um gewisse Eigenschaften, die bestimmten Naturerscheinungen eigen sind. Bisweilen ist die Annahme berechtigt, dass sie als solche deren Charakter ausdrücken, bisweilen sind sie bestimmt sekundarer Art. Keinesfalls ist man wissenschaftlich dazu berechtigt einen derartigen Charakter für die Ursache jener Lebenserscheinungen zu halten, und ihn in der Weise zu einem sie dermassen beherrschenden Gesetz zu erheben, dass er auch die wissenschaftliche Erklarung dieser Erscheinungen enthielte. Zu dem Zweck wird jedoch ein solches Prinzip, wenn man es einmal angenommen hat, benutzt. Gegen diese Gesetzmacherei habe ich bereits in M. S. D. und auch oben meine Stimme erhoben. P. missbilligt es ebenfalls auf S. 21 seines Werkes, das zu Erklarende durch ein Gesetz zustande gekommen zu nennen, wahrend die theoretische Aufgabe in dem analytischen Nachweis von Ursache und Wirkung bestehe. Es will mich aber bedünken, dass er selbst in diesen Fehler verfallt. Denn ob man von einem Gesetze oder von einem Piiiuip spricht, kommt hier ja auf dasselbe hinaus. Und nachdrücklich nennt er die Zweckmassigkeit die innere Ursache, aus der dann die seelische Natur abgeleitet wird. Zweckm iTTS rht annchmen' dass die organische dcr Leh J aUgemeine Theorie für die Erklarung wenn mr 'f rnUn5en dienen könnte" Er ist erk'^h Dsvchis^ ^ u"1 darw,nistischen Standpunkte auch die wie P L.rSfemunSen rein maschinell aufifasst, und so den Leh ^ u Werkes Sanz mit Recht bemerkt, den Lebenserscheinungen tatsachlich nicht genügend Rech nung Iragt, sondern das Wichtigste beiseite lafst - dass man unter solchen Umstanden sich mit einer Theorie wie derjenigen der Nützlichkeit zufrieden stellt. Wenn man da- fnerkenm HdfS V°rha"denSein eines Psychischen Elements bellen , J ma" l « mit dnCr dCrartiSen Annahme n-ht Theorfe ? d'eSem/alle darf ja von einer allgemeinen schen gCn' " aUCh aIle höheren' rein Psychi" Ise nun ;pngen /'U Crklaren Wi3Se" S°gar ^nn man nitt ° m nUr energetische Ausserungen derorganischen Materie halt, würde es „ur ein Wortspiel werdS X Th dhnbBTiffder Zweckm^eit daraufan wenden j ' habe bereits auf S. 39 von M. S. D. und auch lies noch' mh diHer fChrift d3raUf hinSewiesen ™d hoffe dér Dsvch \ da7^gCn' daSS un'eugbar die Entwicklung „en von H IK ""r ^ physischen Lebenserscheinungen von denselben Grundsatzen beherrscht werden und dass infolgedessen für das Studium der letztern auch das der erstern, wie s.e bei dem Menschen so deutlich in die Er- scheinung treten, unentbehrlich ist, vveil allein durch beider gegenseitige Vergleichung Vieles auf dem physischen Ge- dunlr«bf Wird' wS bei d"em e'nse't'Sern studium velden , Wiï P" mit mi' «"• verstanden ist, dass bei der physischen Entwickluiu, auch 'warTn 1S„C, h E^m<5n' f' bed^nde Roile spie!, und ser!„«„ h dessen,Art auch 'n seinen höehsten Ausserungen, ln denen namheh, welche als das intellektuelle 2TwertChe L;be" deS W "« elwesen wie in dem ganzen gesellschaftlichen Leben das von dem"' 't H't, ErScheinune trctcn> qualitativ nicht als osvehis -h wSCïC1 ' WaS SCine niedrigsten Ausserungen psychische Wirkung in der Pflanze und in den elementarsten tierischen Wesen ofïfenbaren, der muss notwendigerweise auch den Wert eines solchen vergleichendeu Studiums anerkennen. Lenkt man dann aber von diesem Gesichtspunkt aus seine Aufmerksamkeit auf die Erscheinungen, die im geistigen Leben des Menschen zutage treten, so sieht man, dass darin in grosser Anzahl psychische Wirkungen stattfinden, die sich als allerhand Denkakte darstellen, die sich oft sehr weit ausdehnen und fortpflanzen, bei deren Entstehung jedoch die Zweckmassigkeit jedenfalls sehr fraglich sein diirfte. Ohne Zweifel hat oft sogar nur der Zufall sie veranlasst. Das Zweckmassige tritt in den rein-psychischen Wirkungen — um einen Ausdruck P.'s zu gebrauchen — wenn es überhaupt auftritt, dennoch gewiss nicht überwiegend auf. Dann kann man es aber auch nicht als ein allgemeines Prinzip annehmen und kann man ihm, auch was die physische Evolution betrifft, nicht eine so überwiegende Bedeutung beilegen. Weiter glaube ich, dass, wenn auch diese Theorie das Vorhandensein jener Neigung zur Zweckmassigkeit nicht so ganz unerklart lasst und ihre Erscheinung nicht so ganz dem Zufall überlasst, wie dies in der Theorie der Nützlichkeit der Fall ist, Zweckmassigkeit und Nützlichkeit im Grunde doch sehr wenig verschiedene Begriffe sind. Auf dem Boden beider sehe ich unleugbar dieselbe alte transcendentale Auffassung liegen, dass alles von einer höhern Macht weise und zweckmassig eingerichtet sei, d. h. von einer höhern Weisheit, deren Wirken notwendigerweise nützlich und zweckmassig sein muss. Hierauf beruht denn auch, vielleicht unbewusst, die bereits erwahnte aprioristische Anwendung jener Prinzipien. Das überaus wichtige gegen die Nützlichkeitstheorie angeführte Bedenken, dass ofïfenbar viele organische Werdesprozesse nicht nützlich sind und somit schwerlich nützlichkeitshalber entstanden sein können, muss dann auch gegen die andere Theorie gelten. P. fühlt sich übrigens genötigt anzuerkennen, dass in den Organismen auch Unzweckmassiges erzeugt werde. Er sucht dies dann an erster Stelle durch die Annahme zu erreichen, dass die Reaktionen, die solche Erscheinungen zuwege bringen, durchaus bedürfsmassig verlaufen könnten, und also für zweckmassig gehalten werden mussen, obgleich sie vom Gesichtspunkt eines höhern Bedürfnisses aus beurteilt, unzweckmassig sind. Eine Einschrankung, die notwendigerweise eine Bestreitung seiner Theorie sehr schwierig macht. Lasst sich eben auch durchaus keine Zweckmassigkeit entdecken, so kann man immer noch behaupten, dass diese wohl bestehe, sich aber der YVahrnemung entziehe. Weiter führt er zu diesem Zweck die Möglichkeit von Irrtümern an. Ich werde auf dies und jenes noch zurückkommen. Keine Erklarung wird aber, meiner Meinung nach, irgendeine Tatsache, die Unzweckmassigkeit aufweist, jemals mit einem in der Weise vorausgesetzten, allgemeinen, alles beherrschenden Prinzip verstandlich machen können. Nach meiner oben im Abschnitt der Variabilitat auseinandergesetzten Meinung, braucht auch keineswegs jedes Bedürfnis notwendigerweise zur Reaktion zu führen. P.'s Theorie scheint dies gleichwohl vorauszusetzen. Bedürfnis hat nach diesem Gelehrten den Charakter rein physikalischer Energie, namlich einer Art Spannung, die erst bis zu einer gewissen Höhe anschwellen muss, um die entgegenstehender Hindernisse zu überwinden, bezw. um merkbare Folgen auszulösen. Im Zusammenhang damit nennt er auch die Wahl des Mittels, die ein Organismus zur Befriedigung seines Bedürfnisses trifft, ein rein psychomechanisches Reagieren, ohne disponierende Voraussicht. Obgleich auch ich das Vorhandensein der hier ofïfenbar von P. gemeinten, kumulativen Wirkung, die sich bei der Befriedigung von Bedürfnissen wahrnehmen lasst, annehmen zu müssen meine, so scheint es mir doch sehr zweifelhaft, ob diese Auslegung richtig ist. Im ebengenannten Abschnitt habe ich eine andere Erklarung dafür gegeben. Gewiss ist, dass ein Bedürfnis sehr lange vorhanden gewesen sein kann, ohne einen Effekt zur Folge zu haben, obgleich doch die von P. gemeinte Spannung schon so lange hatte angeschwollen sein müssen, dass sie, wenn es nur von ihr abhinge, einen Effekt hatte verursachen müssen. Aus nichts zeigt sich mir denn auch, dass das Bedürfnis anschwelle. Nach meiner Meinung bleibt der Reiz derselbe, aber nimmt dann die psychische Wirkung auf die Materie fortwahrend an Kraft zu, bis sie endlich deren Umwandlung herbeiführt. Nach P. ist das Bedürfnis die Ursache aller Zweckmiissigkeit und kann seine Steigerung sich die Befriedigung erzwingen, wenn dies überhaupt möglich ist. Gegenüber einer solchen zwingenden Kraft würde dann gewiss das psychische Element wohl nicht vielmehr sein als eine blosse Reagenzmaschine. Ich kann mich mit einer derartigen Betrachtungsweise nicht einverstanden erklaren. Es erhellt mir übrigens überhaupt nicht, dass die Entstehung aller Lebenserscheinungen aus irgendeinem Bedürfnisse liervorgehe. Nach P. müsste dies der Fall sein. Ein vom Organismus wahrgenommenes Bedürfnis, sagt er, ist die unmittelbare Veranlassung einer zweckentsprechenden Umwandlung. Und der ganze Prozess, der ganze Chemismus, wodurch dieser zustande kommt, wird durch seelische Zustande verursacht, soweit er namlich aus Vorgangen besteht, die irgend ein Bedürfnis des Organismus erfüllen. Denn, wenn dahingegen diese Vorgange etwa selbstandiger, für ihn gleichgültiger Natur sind, trifft dies nicht zu. Er citiert dabei die Worte BUNGES „was sich an Vorgangen in unserm Organismus mechanisch erklaren lasse, sei keine Lebenserscheinung, so wenig als die Bewegung des Blütenstaubes durch den Wind von einer Pflanze zur andern". Wenn also derartige selbstandige, für den Organismus gleichgültigen Vorgange darin stattfinden, sind diese keinen Bediirfnissen zuzuschreiben und nicht als Lebenserscheinungen zu betrachten. Wie solche dann aber in einem Organismus neben einem allenthalben in demselben immanenten und ihn beherrschenden Prinzip, wie dem der Zweckmassigkeit, überhaupt möglich sind, bleibt für mich alsdann unaufgeklart. Wahrend überdies solche Vorgange sich nicht nur ganz und gar als echte Lebenserscheinungen darstellen, sondern bisweilen in der Tat ohne Zweifel da/u gerechnet werden müssen. Man sieht in den Organismen durch aussere Einflüsse Vorgange entstehen, die sogar von langer Dauern sein könncn, obgleich diese Einwirkung ohne Zweifel ausser iigendeiner vom Organismus ausgehenden Mitwirkung erfolgt ist, und dabei also an irgend eine Zweckmassigkeit, eine Harmonie zwischen Bediirfnis und Befriedigungsmittel nicht gedacht werden kann. Ebensowenig wie die in irgend einem Organismus durch eine Verletzung herbeigeführte Störung die Folge eines Bedürfnisses ist, kann dies mit denjenigen Prozessen der Fall sein, die darin durch eingedrungene kleine lebende Wesen verursacht werden. Es handelt sich dabei also wohl um die ebengenannten Vorgange, die nach P. nicht irgend ein Bediirfnis des Organismus erfüllen und also nicht durch seelische Zustande verursacht werden. Aber trotz dieses Ursprungs und des bloss chemisch-physikalischen Verlaufs, der dabei dann stattfinden muss, stellen derartige Vörgange sich doch durchaus als Lebenserscheinungen dar. Man hat denn auch, bevor man jene kleinen Wesen kannte, die dadurch verursachten Krankheiten immer als solche betrachtet. So verhalt es sich z. B. auch mit dem von P. selbst aufgeführten Beispiel von den krankhaften Geschwulsten, die ebenso von Blutgefassen durchsetzt und ernahrt sind wie gesunde Teile. Er sucht dies nun wohl durch die Annahme zu erklaren, dass ein solches Geschwulst doch auch Nahrung und Sauerstoff benötige, was sich dem Subjektsgefühl als Bedürfnis zu erkennen gebe, worauf der Organismus mit dem gewöhnlichen Mittel der Blutzufuhr reagiere. Aber in P.'s System kann, meine ich, ein solches Subjectsgefühl nicht anders als psychisch geleitet und eine Reaktion darauf also als eine Lebenserscheinung angenommen werden. Obschon der Ursprung der Entstehung also nicht in irgendeinem wirklichen Bedürfnisse des Organismus zu suchen ist, so ist der weitere Verlauf dieses Vorgangs gleichwohl geradeso, als ob dies wohl der Fall ware, und zeigt er als solcher keinen Unterschied mit jenen Vorgangen, die von P. als Lebenserscheinungen anerkannt werden. Die auf S. 304 und 335 fïf erwahnten excessiven Bildungen mussen in der Tat wohl infolge einer psychischen Wirkung und dann auch bediirfnismassig oder zweckmassig entstanden sein, aber seitdem offenbar ohne intelligente Führung sich exzessiv entwickelt haben und so dem Organismus schadlich geworden sein. Sie entnehmen aber ihre Nahrung immer noch aus dem Organismus und stimmen in der Beziehung mit den genannten Geschwulsten überein. Da sie jedoch als wahre Lebenserscheinungen entstanden sind, kann man sie doch schwerlich jetzt, nur weil sie schadlich geworden sind, nicht mehr dazu rechnen. Und doch haben sie jetzt als solche ganz denselben Charakter wie die obigen Geschwulste. So sieht man auch in den oben auf S. 303 besprochencn Fallen, wo Reflexbewegungen, die ohne Zweifel ursprünglich Lebenserscheinungen waren, noch nachdem ihr Zusammenhang mit dem Organismus zerrissen war, fortbestehen und sogar nach dem Tode erregt werden können. Aus diesem allem meine ich nun ableiten zu diirfen, dass Vorgange im Organismus wie die, welche man als Lebenserscheinungen auffasst, nicht notwendigerweise als psychische Reaktionen auf Bedürfnisse zu erscheinen brauchen. Ich meine weiter, wie ich dies bei der Erörterung der Variabilitat auseinandergesetzt habe, dass man bei allen den Formveranderungen, die als fluktuierende Variationen bezeichnet werden, auch keine psychische Leitung anzunehmen braucht, ebensowenig wie in dem Prozesse, der die Vererbungserscheinungen zuwege bringt. Ich kann darin auch keine Reaktion auf irgendein Bedürfnis erkennen. Ebensowenig im Verlaufe des Fortpflanzungsprozesses — der sexuelle Trieb, der diesen veranlasst, tut hier nichts zur Sache — und auch nicht in den niedrigern Formen der Reproduktion durch Parthenogenesis oder Teilung Es leben eine Menge von Tier- und Pflanzengebilden, die sich noch auf einer sehr tiefen Entwicklungsstufe befinden, und aus denen sich schon in alten Zeiten höhere Formen entwickelt haben. Hat sich nun bei diesen allen dasselbe Entwicklungsbedürfniss, das dies verursachte, in jener ganzen Zeit nie fühlbar gemacht? Nein, sagt P., denn zujedem Fortschritt ist das Vorhandensein einer konkreten Nötigung erforderlich, und letztere kann durch allerhand Umstande verhindert werden. Neben der Neigung zur Entwicklung besteht namlich auch eine Neigung zum Beharren. Ich muss jedoch, wie ich es auf 5. 301 er'kiart habe, das Wesen der Epistase anders auffassen, namlich so, dass, wo sich diese einstellt, die Empfindlichkeit für Reaktion auf irgendein Bedürfnis hin fehlt. Im Zusammenhang damit habe ich denn auch versucht, die Wesensart der Empfindlichkeit zu untersuchen. Hierauf nimmt jedoch P., wenn ich nicht irre, gar keine Rücksicht. Wie vertriigt sich dem überhaupt damit die zwingende Kraft des Bedürfnisses ? Auch die über sehr lange Zeit laufenden organischen Veranderungen verdienen hier beachtet zu werden. In meiner Verhandlung „ Ueber die sogenannten Schwanze der Lepidopteren ') habe ich ausführlich den Prozess der regressiven Evolution beschrieben, der sich in dieser Ordnung offenbart mit der Tendenz die Fiisse und Flügel dieser Insekten verschwinden zu lassen. Ich zeigte dabei, wie dieser Prozess seit sehr alten Zeiten bei den Pseudo-Neuropteren, von welchen die Lepidopteren, wie man annehmen muss, abstammen, mit der allmahlichen Verkümmerung der damaligen prothorakalen Flügel angefangen hat und zwar vor so langer Zeit, dass es bei fossil erhaltene dazu gehörigen Insekten aus der devonischen und der Kohlenperiode bereits weit fortgeschritten war. Ich legte weiter dar, dass diesem jetzt abgelaufenen Prozesse seit dem bei vcrschiedenen aus diesem Stamme hervorgehenden Insektenordnungen mehrere andere derartiger Verkümmerung gefolgt sind, namentlich eine solche bei den Lepidopteren mit vollkommen derselben Tendenz, namlich die Verkümmerung des hintern Flügelpaares. Dieser Prozess ist noch im vollen Gange, wahrend sich daneben noch zwei andere in derselben Richtung entwickelt haben. Und zwar erstens die allmahliche Verkümmerung des prothorakalen Fusspaares, die schon in der fertiarperiode im Gange war und seitdem, soweit mir wenigstens bekannt, noch nicht erheblich fortgeschritten zu sein scheint, obschon sie in der Ungleichmassigkeit mit der sie auftritt, allerdings deutlich ihren evolutionellen Charakter bekundet. Zweitens der Prozess, den ich die Farbenevolution nannte und der allmahlich das Pigment und dann auch die Schuppenbedeckung der Flügel verschwinden lasst. Alle diese Vorgange bewegen sich nun ofïfenbar in derselben i) Deutsche Entomol. Zeit schrift, Iris, 1903. Richtung und scheinen sonach wohl ein gemeinschaftliches Ziel anzustreben. Von einem harmonischen Zusammenwirken ist dabei jedoch geradezu nichts zu erblicken. Die Tatsache, dass drei dieser Evolutionen, die, welche jetzt noch tatig sind, erst begonnen zu haben scheinen, als der ersterwahnte Prozess nach überaus langer Zeit entweder ganz oder wenigstens bei weitem für den grössten Teil abgelaufen war, weist auch nicht darauf hin. Ebensowenig, dass man bei derselben Schmetterlingsart die Verkiimmerung der Hinterflügel und die Farbenevolution nebeneinander verlaufen sieht, ohne dass jedoch eins auf irgend eine Weise mit dem andern im Zusammenhang steht. Zwar behauptet dies ElMER, ohne die Farbenevolution zu kennen, aber mit Unrecht. Das von ihm beobachtete Zusammentrefifen derartiger Evolutionen ist nicht die Folge irgendeines gegenseitigen Zusammenhangs. Überdies stellt sich dann noch mitten in jedem derartigem Prozesse vielfach die Epistase ein, durch die der Fortgang der evolutionellen Veranderung auf kürzere oder langere Zeit unterbrochen wird, wie dies immerhin bei solchen regressiven Vorgange sehr gewöhnlich ist. Sind doch alle Relikte im Organismus, die einen gewissen Stillstand aufweisen, auf diese Erscheinung zurückzuführen. Nach meiner auf S. 301 mittgeteilten Aufïfassung dieser Erscheinung lasst sich dies denn auch hier sehr gut verstellen; in P's. System kann ich jedoch deren Möglichkeit nicht einsehen. Dass die hier gemeinten Organe, indem sie nicht mehr gebraucht wurden, einfach chemisch-physikalisch verschwinden sollten, lasst sich ja kaum annehmen. Für eine solche Untatigkeit lasst sich erstens durchaus kein Grund anftihren, wahrend auch im übrigen jene Prozesse so ausserst allmahlich verlaufen, dass dies doch besonders anfanglich, einen sehr unbedeutenden Einfluss jener Untatigkeit mit sich gebracht haben müsste. Was dies betrifft, so dürfte doch wohl dasselbe gelten, was gegen die darwinistische Theorie von der Entstehung der Arten durch Naturwahl angeführt worden ist, dass namlich die ersten Abweichungen so gering gewesen sein müssen, dass ihnen kein Selektionswert zugebilligt werden kann. Wir stehen hier vermutlich vor einem evolutionellen, durch einen korrelativen Reiz entstandenen, und durch psychische Wirkung ausgelösten Drang. Die Tatsache dann, dass dieser Prozess sich auf die ervvahnte Weise immer fortgesetzt hat, kann so verstanden werden, indem man annimmt, dass derselbe korrelative Drang, der jenen veranlasste, sich fortdauernd auch in allen folgenden Generationen ofïfenbart, und den Fortgang des Prozesses stets und ebenso auf psychischem Wege in derselben Richtung geleitet hat. Will man nun jenen Drang ein Bediirfnis nennen, und jene psychische Leitung als die Reaktion darauf betrachten, so soll es mir recht sein. Ich sehe in demselben einen — wie ich es nenne — innern Reiz. Ich kann jedoch in einem solchen nur wenig zwingende Kraft erblicken und eine Erklarung dieses Prozesses der Formveranderung als eine Befriedigung irgendeines Bedürfnisses, nach der Theorie von P., will mich nicht befriedigen. Übrigens ist es nicht einmal gewiss, dass hier solch ein korrelativer Drang die Ursache gewesen ist. Auch an eine rein psychische Wirkung aus eigner evolutioneller Bewegung oder eigner Einsicht, wie man es nennen könnte, kann hier, wie ich auf S. 296 angab, wohl gedacht werden, und dann würde bloss von einer psychischen Aktion, aber von keiner Reaktion die Rede sein, und, wenigstens im Sinne P.'s, kein Bediirfnis entstehen können. Die Möglichkeit einer solchen Aktion passt nun zwar in P.'s, Lehrgebaude nicht, aber ist damit noch nicht ausgeschlossen. Allerdings scheint es mir, dass seine Theorie auch der Möglichkeit von innern Reizen zu wenig Rechnung tragt. So erklarte denn auch Dr. E. DACQUIÉ in einer Besprechung') von P.'s Werk, die Zweckmassigkeit der Einrichtungen und Lebensausserungen bloss als die Anpassung der Teile an die durch die Aussenwelt bedingte Lebensbedürfnisse, und erachtet dies für die wesentlichste Eigenschaft des Lebendigen gegenüber dem Unbelebten. Schliesslich weist auch hier wieder die Vergleichung mit dem, was auf rein psychischem Gebiete stattfindet, auf das Unannehmbare, dieser Auffassung. Auf S. 190 von dem 1) Darwinisinus ttml Lamarckismus (Die Prophylecn vom 16 Mat igoój. zweiten Teile meiner Études habc ich darzulcgen vcrsucht, wie die Ausserung von psychischen Prozessen, wie denjenigen, die sich in verbrecherischen Handlungen offenbaren, als eine Reaktion auf irgendeincn Reiz entstehe. Aber solch ein Reiz triigt nun doch gewiss nicht den Charakter eines Bedürfnisses. Einen jeden Reiz schlankweg als ein Bedürfnis zu erklaren ist doch nur denkbar, wenn man diesen Ausdruck als ein Schlagwort gebrauchen will. Beruht also die Anerkennung eines herrschenden Prinzips der Zweckmassigkeit, wie P. es in den Vordergrund stellt, notwendigerweise auf der Meinung dass es immer Bedürfnisse gibt, die in der Weise zweckmassig befriedigt werden sollen, in nicht geringerm Masse ist es dafür erforderlich irgend eine Kraft anzunehmen, die das zu beurteilen vermag, was zu der zweckmassigen Befriedigung dienen kann und diese herbeiführt. Diese Kraft lasst sich aber nur psychisch oder vitalistisch denken, und P. stellt sie sich denn auch auf die eigentümliche, oben bereits erwahnte Weise vor und meint die dort angegebene energetische Wirkung der Materie als eine Zellenfunktion betrachten zu mussen, oder wenigstens als eine Ausserung, die sich in jeder Zelle beobachten lasse. In dem Sinne sei jedoch dies zu verstellen, dass die Zeilen keineswegs alle dieselbe psychische Kapazitat besassen, weder bei den verschiedenen Wesen, wie z. B. bei Tieren und Pflanzen, noch bei demselben Wesen, bei welchem beispielsweise die Ganglienzellen und namentlich die des Gehirns weit höher standen als die andern. Überdies finde bei allen Zeilen gegenseitige Korrespondenz statt, und zwar so dass jede Zelle, wenn irgendein seinem Urteil unterworfenes Bedürfnis über die Kapazitat seines Urteils gehe, die von andern zur Hilfe heranrufe und solche erhalte, sogar in dem Masse, dass dadurch niedriger entwickelte Zeilen bisweilen völlig die Kapazitat von Gehirnzellen erlangten. Es bedarf wohl keines Beweises, dass diese Theorie nur eine durchaus aprioristische Behauptung enthalt. Sie stützt sich gar nicht auf Tatsachen und darf also nicht den Rang einer wissenschaftlichen Hypothese beanspruchen. Das einzige, was sich dafür vielleicht anführen liesse, scheint 28 wohl der Umstand zu sein, dass bei Wegnahme bestimmter Gehirnteile, auch bestimmte psychische Funktionen aufhören. Dies bevveist aber nicht, dass diese aus jenen Gehirnteilen hervorgehen. Uas namliche wiirde ja auch geschehen, wenn hierbei nur die Rede ware von Organen, die bloss als Instrumente einer solchen psychischen Tatigkeit dienen. Die 1 atsache, auf welche DriesCH die Aufmerksamkeit lenkt, dass bei einer derartigen Wegnahme andere Teile des Gehirns jene Funktionen wenigstens zu einem Teil übernehmen können, wie auch die auf S. 267 erwahnte Mitteilung von FrancÉ, weisen vielmehr daraufhin, dass in einem solchen Falie die Tatigkeit selbst nicht vernichtet wird und diese also wohl nicht als ein 1'rodukt — wenn man sich diesen auch nach der Auffassung P.'s denkt — solcher besonders entwickelten Zeilen betrachtet werden muss. Es ware vielleicht möglich experimentell zu untersuchen, inwiefern die \\ egnahme solcher Gehirnteile Finfluss ausiibe auf die Hildung jener künstlichen innern Organe, deren Bildung P. durch die Mitwirkung der höchstentwickelten Zeilen erklaren zu müssen meint. Dass es in dem Organismus verschiedene Arten von Zeilen mit verschiedener Kapazitat giebt, ist zwar physisch eine 1 atsache, aber, wenn nun P. gleich behauptet, dass offenbar die einzelne Zelle in der Physiologie dieselbe elementare Rolle spiele, wie sie es in der Anatomie tue, so zeigt sich mir doch nichts, weshalb man dazu berechtigt ware, dies auch auf das psychische Gebiet zu iibertragen. Im Gegenteil, es scheint mir wenig dem vermutlichen Charakter eines nicht der raumlichen Materie angehörenden Elements, wie des psychischen zu entsprechen, wenn man sich dieses in seiner Verbindung mit der raumlichen Materie auch geradeso raumlich eingeteilt vorstellen wollte. Kunn man hier doch die Lokalisierung einiger geistiger Vermogen in bestimmten Gehirnzellen nicht zum Beweis jener Auffassung anführen. Denn abgesehen von dem soeben bei Driescii besprochenen relativen Charakter dieser Lokalisation, kann man diese auch einfach als eine Einrichtung bestimmter Zeilen zu einem bestimmten Zweck verstehen. Die Auffassung von P. ist jedoch andrer Art und geht auch weiter. P.'s Betrachtungsweise in diesem Punkte schliesst sich, wie oben schon bemerkt, tatsachlich ganz der Aufifassung an, welche die heutige Nervenpsychologie von der Function der Gehirnzellen hat. Nur dehnt sie dieselbe, wenn sie sich deren Wesen auch auf einigermassen andere Weisc denkt, auf alle Zeilen aus. Aber diese Auffassung beruht ebensowenig auf einer festen Grundlage und ist denn auch nichts weniger als klar. Über die Nebel der Nerven psychologie sprach ich schon auf S. 252. Es ist jetzt etwa 2000 Jahre her, dass der alexandrinische PsEUDO-SALOMO den Epikureern die Worte in den Mund legte: „Denn Rauch ist der Atem in unsern Nasenlöchern und das Denken ein Funke in den Bewegungen unsres Herzens". Die Wissenschaft hat also in jenen 2000 Jahren eigentlich nur eine Verschiebung jener Bewegungen von dem Herzen nach dem Gehirn zustande gebracht. Es erscheint mir nun, dass dies den Fortschritten, die wir im übrigen in der Kenntnis der Natur seitdem gemacht haben, nicht ganz entspricht und dass somit eine davon abweichende Meinung wohl einige Wahrscheinlichkeit für sich hat und allerdings keinen zurückgebliebenen Standpunkt verrat. Es ist mir noch nicht recht klar, wie P., der sich in so scharfen Worten über den dunkeln, zurückgebliebenen Zustand der Psychologie ausspricht, in der erst jetzt die Dammerung hereinbreche, dennoch selbst so ganz und gar auf dem Standpunkt der heutigen Nervenpsychologie stehen kann. P.'s Vorstellung in dieser Hinsicht scheint mir ebenso in Nebel gehüllt zu sein, und zwar in solche, wie sie sich immer da bilden, wo die warmen Luftströmungen der Phantasie mit den kiihlen aus der Wahrnehmung heraufsteigenden Luftlagen zusammentrefifen. Obendrein glaube ich, dass seine Vermutungen sich durchaus nicht durch irgendwelche Notwendigkeit rechtfertigen lassen, da sich ja die Tatigkeit des psychischen Elements auch wohl auf eine andere Weise denken lasst. und zwar auf eine, meiner Ansicht nach, annehmbarere. P. erkennt der Zelle eine überaus grosse intelligente Kapazitat zu. Er meint diese aus der Tatsache folgern zu müssen, dass eine einzige Zelle imstande ist, als Tragerin der Vererbung alle Eigenschaften des Körpers, dem sie angehört, zu reproduzieren. Mir scheint diese Auffassung jedoch sehr fraglich zu sein. Allerdings muss man sich eine derartigc Kapazitat der Zelle als Tragerin der Vererbung als eine psychischer Natur denken. Aber auch dann ist sie, wie wunderbar es uns erschcinen möge, höchst wahrscheinlich nur als ein psychisches Vermogen von niedriger Ordnung zu denken. Bereits Haeckel ist es nicht entgangen, wie deutlich die Tatsache der Vererbung auf das Erinnerungsvermögen zurückweist und in der Tat scheint man hier wohl daran denken zu mussen. Dieses Vermögen ist ja wohl die elementarste psychische Ausserung. Schon bei den einfachsten einzelligen tierischen Wesen, kann man sie beobachten, dahingegen scheint sie in den höhern evolutionellen Zustanden abzunehmen, in demselben masse wie der freiere höhere Verstand zunimmt. So kommt bei den Menschen, wie ich oben bereits auf Seite 272 ff ervvahnte, die Vererbung geistiger Eigenschaften, die bei niedrerer Tiere vermutlich noch im starken Masse da ist, nur noch in sehr geringem Masse vor. So sehen wir bei den gebildeten Menschen ein viel starkeres Gedachtnis von Kindem und jungen Leuten als von Erwachsenen, bei denen sich der Verstand dagegen mehr entwickelt hat, und diese Abnahme wird immer grösser je nach dem Alter, sodass dieses Vermogen im Alter erheblich schwiicher wird, auch dann, wenn im iibrigen das geistige Vermögen sich noch in voller Kraft erhalt. P. führt hiergegen an, dass die Tatigkeit einer Zelle, einen ganzen Organismus zu entwickeln, viel mehr ausdrücke als blosses Gedachtnis. Darum handelt es sich aber hier nicht, sondern allein um die Übereinstimmung zwischen dem neuen von solch einer Zelle hervorgebrachten Organismus und demjenigen, wozu jene Zelle gehort, und dies lasst sich wohl auf Gedachtnis zurückführen. Es giebt noch ein andres Vermögen, namlich das der Regeneration, das wie P. mit Recht betont, in dieser Hinsicht wohl den namlichen Charakter zu besitzen scheint, wie die Vererbung. In dem Sinne jedoch, dass bei Regenerationsprozessen das psychische Element noch intellectuell leitent auftritt, wahrend in den Vererbungserscheinungen diese intellektuelle Tatigkeit schon aufgehört hat und nur noch die ursprünglich dadurch hervorgerufencn Vorgange tatig sind. Auch hier scheint nun kein hohcr Standpunkt psycliischer Entwicklung vorhanden zu sein. Was dieses Regenerationsvermögen betrifft hat man z. li. beobachtet, dass die Bildung einer neuen Linse, wenn man sie bei einem Triton extirpiert hat, von der Iris aus erfolgt, also von einem andern Mutterboden als dem, welchem die ürsprüngliche Linse entsprossen ist, wobei sich auch statt einer Linse deren zwei bilden können. Lbenso, dass, wenn man gewissen Krebsen ein Auge extirpiert, sich an der Wundstelle ein Fühler entwickelt. In diesen Fallen ist also gewiss nicht nur die Rede von einer solchen Nachahmung, die sich bloss auf das Erinnerungsvermögen zurückführen liesse, sondern tritt unzweifelhaft auch ein gewisses Urteil auf. Dennoch hat dieses keine weitere Tendenz als die Erreichung desselben Zwecks, wozu das vernichtete Organ diente, wobei es dies nun im Zusammenhang mit den veranderten Umstanden auszuführen hat, sodass, wo diese ganz demselben Weg zu folgen nicht erlauben, ein andrer eingeschlagen wird. Man wird dann wohl annehmen mussen, dass es in dem betreffenden Falie nicht recht möglich ist, die Linse auf dieselbe Weise wieder entstehen zu lassen. Sogar ein angewachsener Eidechsenschwanz ist ja auch dem, wel- chen er ersetzt, nicht völlig ahnlich. Die ürsprüngliche Bildung hat wohl im korrelativen Zusammenhang mit der Entwicklung des ganzen Individuums stattgefunden, und dies kann sich natürlich bei der Wiederherstellung nicht wiederholen. Ein Facettauge, wie das eines Krebses, kann darum vielleicht gar nicht rekonstruiert werden und wird somit an dessen Stelle ein andres Sinnewerkzeug, ein Geruchs- oder Tastorgan gesetzt, um auf anderm Wege doch soviel wie möglich demselben Zweck der Verbindung mit der Umgebung zu genügen. So nehmen auch bei Menschen, die blind geworden sind, andere Sinneswerkzeuge sehr an Kraft zu, um jenen Mangel einigermassen zu ersetzen. Die Vermutung liegt denn auch nah, dass dabei nicht — wie meistens angenommen wird — nur Übung, sondern auch wohl ganz bestimmt cinc psychische VVirkung eine Rolle spielt. Die Lntstehung zweier Linsen weist aber zweifellos auf einen jener Irrtümer hin, die bei psychischen Wirkungen immer vorkommen können. Wenn also in diesen Fallen auch nicht allein von dem Erinnerungsvermögen die Rede ist, so spielt es dennoch eine grosse Rolle, besonders was das angestrebte Ziel betrifft. Und die psychische Kraft, dieses Ziel dann weiter im Zusammenhang mit den Umstanden zu erreichen, deutet gewiss noch nicht auf eine hohe psychische Entwicklung; tritt sie doch auch bei dem Aufbau aller Organe, sogar bei denen der am niedrigsten stehenden Tierformen zutage. In P.'s System würden bei einer solchen Regeneration, wie der des ganzen Auges eincs Tritons, unzweifelhaft die hüchststehenden Zeilen mitarbeiten miissen. Das könnte man nun etwa experimentell bei Tieren untersuchen, denen sowohl die Gehirnzellen wie ein Auge extirpiert würden. Seitdem man die überaus grosse in den Elektronen enthaltene Energie kennt, lasst sich die Möglichkeit von dem Vorhandensein einer grossen psychischen Kraft in einer Fortpflanzungszelle wohl sicher annehmen, aber deshalb braucht diese noch nicht qualitativ einen hohe Stufe psychischer Evolution und also auch von Intelligenz erreicht zu haben. So hoch nun P. sich auch die Kapazitat der Fortpflanzungszellen vorstellt, diejenige der Zeilen niedrigrer Ordnung halt er doch auch für sehr beschrankt. Hierauf bezieht sich wohl sein auf S. 425 bereits angeführter Ausspruch, mit dem er die Tatsache, dass in dem Organismus auch Unzweckmassiges erzeugt wird, zu erklaren versucht, dass namlich die durch irgendein Bedürfnis ins Leben gerufenen Reaktionen vollkommen bedürfnismassig verlaufen können und demnach für zweckmassig gehalten werden müssen, obgleich sie von Gesichtspunkt eines höhern Bedürfnisses aus beurteilt, unzweckmassig seien. Er meint damit doch nach meiner Ansicht dasselbe, was er anderwarts anlasslich der Entwicklung der bereits oben erwahnten krankhaften Geschwulste ^>agt, dass man die Beurteilung von dem, was zweckmassig ist, also die psychologische Wahl der Mittel, die dies zustande bringen werden, nicht nach dem menschlichen Verstande, sondern nach dem beschranktcn Standpunkt der psychischen Entwicklung der Zelle zu bemessen hat, durch welche dieses Urteil stattfindet. Denn hier können doch die Beschranktheit der Wahrnehmung und die primitive Natui des Urteils zur unzweckmassigen Reaktion fiihren und auf die Weise die Ursache eines unzweckmassigen Ausfalls teleologischer Akte sein. Und dann, fügt er hinzu, kann auch jede psychische Tatigkeit noch irren, wie dies auch beim menschlichen Verstand vielfach vorkommt. Gewiss, diese Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, man muss jedoch, meines Krachtens, unter den gegebenen Umstanden dem Zufall doch sehr dankbar sein, dass dann schliesslich noch soviel Zweckmassiges zustande kommt. Wie sich eine derartige ungewisse und unregelmassige psychische Funktion der Zeilen mit cinem alles beherrschenden Prinzip der Zweckmassigkeit vereinbaren lasst, ist aber wieder nicht grade besonders deutlich. Sicherlich scheint die niedriger stehende Zelle oft ziemlich wenig Urteil zu besitzen. Wenn eine höchst unbedeutende Berührung der Oberhaut eines Menschen stattfindet, kann diese das Gesammtwohl des Organismus betreffen, wie z. B. wenn sich ein Insekt darauf niedergesetzt hat. Sie kann aber auch sehr unbedeutend sein. Im ersten F all ist er notwendig, dass die höhere psychische Funktion im Organismus, die imstande ist in seinem Interesse Massregeln zu nehmen, z. B. indem sie ein solches Insekt entfernt, Kenntnis davon nehme, nnd unmittelbar wird denn auch eine derartige Berührung nach der hohen psychischen Funktion hinübertelegraphiert. Und das geschieht in der Weise, dass dies bei dem Menschen dermassen zum vollen Bewusstsein kommt, dass nach jener Mitteilung sogar die Art der Berührung vielfach beurteilt und dementsprechend gehandelt werden kann. Aber auch, wenn diese völlig unbedeutend und die Mitteilung demnach absolut unnötig und nutzlos ist, erfolgt sie dennoch in vollkommen derselben Weise. Man muss also wohl annehmen, dass jene berührte Zelle oder jene Zeilen nicht darüber urteilen können, ob diese Mitteilung notwendig und daher auch ob irgendein Bediirfnis vorhanden sei, was gewiss irgendwelche Selbstiindigkeit jener Zeilen und die Erótenz einer Zellseele, wie P. sie annimmt, sehr in Frage Dass sich in diesem Falie das psychische Element in einer solchen Zelle offenbart, ist ja wohl auch meine Ansicht, aber es stellt sich nur in diesem psycho-mechanischen Verlaufe — urn hier einmal einen Ausdruck F.'s zu übernehmen ebenso wie m allen Reflexen noch in so elementarer Weise dar, cass man ihm nicht solch ein Urteilsvermögen zuerkennen kann, das, wie primitiv man es sich übrigens auch denken will, dennoch über jene lautere Gedankenverknüpung, die fur die blosse Erfüllung irgendeines Dranges genugt, hinausgehen würde, und das auch die Zweckmassig- t J^ner Befnedigung würde beurteilen können. P. aber, ac ï c essen Meinung jede Erklarung des Organischen von .e enserscheinungen der Zelle aus unternommen werden muss, kennt ein derartiges Urteilsvermögen, d. h. was er als r;en,tele°loglSChen Akt beze'chnet, jeder Zelle zu. Jeder lebendigen Zelle, sagt er, kommen teleologische Fahigkeiten ZU wobei sie allerdings die Mithilfe andrer, psychisch höher entwickelter Zeilen heranziehen kann. Immerhin scheint er sie stets fur fahig zu halten, zu beurteilen, ob dies im Interesse einer zweckmassigen Reaktion nötig ist, etwas, was Jedoch z.B. dem psychischen Vermogen des Menschen durchaus nicht eigen ist, der sich ja über das, was über den andpunkt seiner eignen Intelligenz hinausgeht, nie irgend r"f en kann' Die intelligentesten Handlungen ass durch ein derartiges Zusammenwirken von Zeilen zustande kommen, sogar, auf S. 162 wiedersprach ich dem bereits, Ausserungen des Schönheitsgefühls. Aber so grosse Fachkenntnis, besonders auf dem Gebiete der Anatomie und der Physiologie P. überhaupt an den Tag eg , so weit seine Kenntnis in dieser Hinsicht, ich will es gerne zugeben, die meinige übertrifft, dennoch bleibt mir das Zusammenwirken aller jener besondern Zellenseelen unklar Ich kann kernen Grund einsehen, der mich dazu nötigte je er ,e ,e eme solch' sclbstandige psychische Einheit zuzu■r ennen, noch weniger finde ich latsachen nachgewiesen, die auf derartiges hindeuteten. Wenn man auch psychische Ausserungen in den einzclnen Zeilen wahrnimmt, so ergiebt sich doch aus nichts, dass diese dort entstanden, und also soviel Einheiten wie Zeilen bildeten. Es kann ebensogut die Rede sein von lokalen Ausserungen einer allgemeincn psycliischen Einheit, die den ganzen Organismus durchdringt. Wohl begreife ich sehr gut, wie diese Zellseelen sich in P's Lehrgebaude als eine direkte Folge seiner Auffassung ergeben in dem psycliischen Element der Organismen bloss eine energetische Ausserung der organischen Materie zu sehen, aus welchem Grund er denn auch das Vorhandensein eines ganz allgemeinen Unterscheidungsvermögens der lebendigen Materie für jede Art von physikalischer Einwirkung, im weitesten Sinne des Wortes, annimmt. Denn bei einer derartigen Betrachtungsweise liegt es auf der Hand, jene psychischen Ausserungen denn auch der Organisation der Materie gemass aufzufassen, die hier ganz aus je eine selbstandige Einheit bildenden Zeilen aufgebaut ist, und dies dann weiter der Theorie der heutigen Nervenpsychologie anzupassen. P's Auffassung von dem Wesen des psychischen Elements ist jedoch nichts als eine blosse, keineswegs aufTatsachen beruhende Vermutung, der ich in keinem Stück beipflichten kann. Nach P.'s Theorie ist das psychische Prinzip allenthalben und stets in der organischen Materie vorhanden und müssen alle Lebenserscheinungen als Reaktionen desselben betrachtet werden. Meine Beobachtung führt mich zu der Meinung, dass wenn auch deren viele sicherlich unter bestandieer psychischer Leitung verlaufen, dies gleichwohl mit andern nicht der Fall ist, die also nur durch rein chemisch-physikalisch verlaufende Prozesse verursacht werden können, und zwar, wie ich deren oben, als ich die Theorie des Bediirfnisses besprach, verschiedene Falie erwahnte, weil der psychische Einfluss, der sie früher entstehen liess, sich seitdem nicht mehr geltend machte. Ich meine auch gezeigt zu haben, dass Erscheinungen im Organismus vorkommen können, die obgleich in jeder Hinsicht den Lebenserscheinungen ahnlich, doch ganz ausserhalb einer derartigen Mitwirkung, aus von aussen her einwirkenden Einflüssen entstanden sind. Dies alles lasst sich, meiner Meinung nach, mit P.'s Theorie nicht in Einklang bringen. VVenn alle Lebenserscheinungen ganz und gar von einer der organischen Materie eigenen psychischen Energie geleitet werden, kann ich mir auch nicht erklaren, wie denn der Mensch dazu einstande sein könnte, eventuell seine eigne psychische Energie an deren Stelle zu setzen und in der Weise allerhand künstliche Formungen im Tier-und Pflanzenreich entstehen zu lassen, und wie die künstlich herbeigeführte Selektion und des Menschen grosser Einfluss auf die Zucht von Pflanzen dann möglich ware. Wo man dagegen mit mir annimmt, dass er alsdann nur ganz chemisch-physikalisch verlaufenden Prozessen eine bestimmte Richtung giebt, besteht diese Schwierigkeit nicht. Wir brauchen hier iibrigens nicht allein bei eigentlichen Formveranderungen stehen zu bleiben. Auch viele Handlungen, welche unzweifelhaft psychischer Tatigkeit entspringen, wiirden dann nach P.'s Auffassung erklart werden mussen und dadurch würde die Aufgabe keine leichtere werden. Es lasst sich jedoch in vielen Fallen kaum annehmen, dass irgend ein Bedürfnis und eine dementsprechende Reaktion der Zellseele die Ursache gewisser tierischen Handlungen gewesen ware. Bekanntlich sind die Ameisen erpicht auf den süssen Saft, den die Blattlause absondern, und führen sie diese Absonderung herbei, indem sie die Blattlausen mit ihren Antennen streicheln. Oberst BlNGHAM teilte neulich das namliche über den indischen Schmetterling Allotinus Horsfieldii, Moore, der das Streicheln aber mit dem Vorderfüssen verrichtet, mit. Eine derartige Handlung fordert nun gewiss eine weit tiefer gehende geistige Überlegung als bei einer blossen Reaktion einer Zellseele angenommen werden kann. Ich kann sie nur verstehen als die Ausserung eines gewissen stufenweise erreichten, bereits weit fortgeschrittenen Stadiums geistiger Entwicklung, wodurch der Schmetterling imstande ist, das Mittel zu entdecken, seine durch sinnliche Wahrnehmung erregte Begier zu befriedigen. Wie würde doch eine so primitive Verstandestatigkeit wie eine blosse Reaktion der Zellseele hier z. B. bei dem einen Tier die Antennen, bei dem andern die Füsse, alszweckdienliches Mittel anzudeuten verstehen? Wenn das Tier einmal soweit cntvvickelt ist, handelt es, wo die Umstande es erforderlich machen, dementsprechend, und zwar ein jedes Tier noch in gleicher Weise, aber doch schon mit vernünftlicher Anpassung an die gegenwartigen Mittel, wie ja auch die erste Geistesentvvicklung der Menschen sich in seinen primitiven Geraten und Einrichtungen in der Regel überall in gleicher Weise, aber doch verschiedenes, örtliches Material anwendend, geaussert hat. So last sich, vielleicht auch im Bunde mit vererbter Erinnerung, die Arbeit der geschlechtslosen Formen der sozialen Insekten verstehen. Nicht irgendein Bedürfnis liess sie als Reaktion entstehen, sondern das Stadium ihrer geistiger Entwicklung aussert sich hier in selbstandiger Aktion. Der Mensch verrichtet weiter viele Handlungen, bei denen das Bedürfnis nach denselben, wenn man überhaupt ein Solches annehmen will, nur als das Resultat von Denkakten entstanden sein kann. Man würde also annehmen müssen, dass ein derartiges psychisches Produkt einiger Zeilen wieder andern Zeilen gegenüber eine zwingende Kraft besitzen könnte, die letztere dann zu zwingen vermochte, jene Handlungen herbeizuführen. Mir ist dies aber unklar. Die Sache ist wohl die, dass, wie ich oben bereits sagte, nicht jeder Reiz ein Bedürfnis bildet, wenigstens nicht in dem Sinne, den P. diesem Ausdruck beilegt, und also mit der ihm innewohnende zwingende Kraft. Ist man aber dieser Meinung und macht man sich von der Lehre des Bedürfnisses, wie P. sie ausgebildet hat, als der Ursache aller Erscheinungen des organischen Lebens, los, wenn auch nur teilweise, so wird seine Theorie unhaltbar. Jene ist mit dieser nnverbrüchlich verbunden. Auch auf dem rein psychischen Gebiete besteht nach P. alles in Folgen von Bedürfnissen. So ist, nach seiner Ansicht, Wissenschaft das Bedürfnis nach Erkenntnis um ihrer selbst willen, und Kunst, das Bedürfnis nach Empfindung um ihrer selbst willen. Ich halte dies aber für Phantasie und den sich in der Arbeit auf wissenschaftlichem oder Kunstgebiet offenbarende Drang für eine Erscheinung selbstandiger geistiger Entwicklung. Ich glaube, dass P. sich hier, wie soviele andere, von seinem Gegenstand hat hinreissen lassen. Tatsachlich lasst sich, wie bereits oben bemerkt, auf geistigem Gebiete mit seiner Theorie nichts anfangen. Zwar niöchte sie sich in den Nebeln der Nervenpsychologie verkriechen, aber damit ist sie nicht gerettet. Das so iiberaus mannigfaltige geistige Leben in ahnlicher Weise bloss als eine energetische Ausserung der organischen Materie zu betrachten, darf, meines Krachtens, ebensowenig eine Erklarung desselben heissen, als das Verstandnis des Lebens ohne seinen Begriff, und die Erkenntnis desselben ohne Erforschung seines Wesens, was P. ganz mit Recht bereits am Anfange seines Werkes dem Darwinismus zur Last legt. Man begnügt sich auf diese Weise mit Worten, durch die man sich den Weg verschliesst, der Lösung des Lebensratsels wenigstens so weit wie möglich sich zu nahern. In Wirklichkeit steht P., wenn nun auch der Darwinismus eine maschinelle, chemisch-physikalische Tatigkeit des Nervensystems anstatt einer der organischen Materie eignen psychischen Energie annimmt, in dieser Hinsicht doch wohl auf demselben Standpunkte. Er vermag ebensowenig die I atigkeit der Psyche im höhern geistigen Leben klar zu machen, als die darwinistische Theorie es fertig bringt. Wenn man das geistige Leben nur als die Folge von Energiewirkungen der organischen Materie versteht, dass heisst hier also des Gehirns — nach P. entwicklen sich ja das Empfindungsvermögen und das Urteilsvermögen bis zur der ausserordentlichen Vollkommenheit der Vorgange im Gehirn des Menschen so sehe ich nicht ein inwiefern sich dies nun von der erwahnten psysiologischen Auffassung unterscheidet, die darin auch nichts andres als Gehirntatigkeit sieht. Gerade das Unvermögen dieser Auffassung für die Erklarung ist jedoch ein Hauptargument für den Vitalismus. Nimmt man dagegen ihre Möglichkeit an, so scheint es mir nicht logisch zu sein, die maschinelle Auffassung der übrigen Lebenerscheinungen für unzulassig zu halten. Nachdem er durch selbstandiges, freies und logisches Denken zu der Überzeugung gelangte dass die darwinistisch-mechanische Erklarung in Wirklichkeit keine wissenschaftlich annehmbare Deutung der Lebenserscheinungcn enthalte, sondern die Anerkennung der Mitwirkung eines intelligenten und somit psychischen Elements unumganglich sei, hat P. versucht, dieses Element aufzuspüren. Frei von dem Bannc des Darwinismus und erhaben auch über das Vorurteil, dass sich die Naturforschung nicht über das psychologische Gebiet erstrecken könne, hat er es jedoch nicht vermocht, sich freizuhalten von der auf S. 419 ervvahnten, von ihm selbst angedeuteten blinden Furcht vor dem, was er dort eine überzahlige fiktive Naturkraft oder eine Lebenskraft nennt, und hat er in dieser Verblendung übersehen, dass das Überzahlige und Fiktive dabei allein in sofern wissenschaflich feststeht, als man die alte, transcendentale Auffassung damit verbindet. So beachtete er gar nicht, dass eine nicht zur raumlichen Materie gehorige Natur- oder Lebenskraft an und fïir sich keineswegs wissenschaftlich undenkbar ist, und dass wir somit dort den geeigneten Weg finden werden, auf dem wir jene unentbehrliche psychische Kraft suchen mussen. Indem er sich nun diesen Weg abschnitt, blieb ihm nichts andres übrig als die Meinung, jenes psychische Element für in J der raumlichen Materie selbst verborgen zu halten, und so kam er dann endlich dahin, der organischen Substanz eine psychologische Grundeigenschaft beizulegen und sich dieses Element als ein allenthalben der organischen Materie immanentes Prinzip vorzustellen. So meint er nun ein intelligentes, urteilendes und sonach psychisches Prinzip gefunden zu haben, das aber zugleicherzeit physischer Natur ist, weil es physikalische Wirkungen ausübt. Und da nun dieses Prinzip so allenthalben in der organischen Materie vorhanden sein muss, und letztere ganz aus miteinander in Verbindung stehenden Zeilen aufgebaut ist, kommt er, wie gesagt, dahin, alle Erscheinungensformen jener psychischen Energie als Reaktionen zu betrachten, die in den Zeilen erregt werden, es sei denn, das dieselben auf eine Zelle beschrankt bleiben oder durch ein psychisches Zusammenwirken mehrerer Zeilen zustande kommen. Ich kann dieser Theorie nicht beipflichten. Ich kann einen solch' aprioristischen Satz wie den vom Prinzip der Zweckmassigkeit nicht annehmen, der im Übrigen, meiner Meinung nach, durch die Beobachtung der Tatsachen nicht geniigend bestatigt wird. Auch der Regen hat öfters eine nützliche Wirkung. Ist man deshalb aber berechtigt, den Regen als etwas Zweckmassiges zu betrachten und dabei einen Zweck und damit ein Prinzip der Zweckmassigkeit anzunehmen ? Hierin liegt wohl der grosse Fehler von P.'s 1 heorie, dass sie nicht auf der selbstandigen Beobachtung von latsachen aufgebaut worden ist, sondern sich auf die diesbezüglichen Vorstellungen anderer gründet. Denn jene Zweckmassigkeit heisst lamarck, wie P. denn auch selbst erklart, nur die Anschauungsweise dieses grossen Naturforschers ausarbeiten zu wollen. Wenn man nun aber mit recht Darwin, trotz seinen unverkennbaren Verdiensten, für nicht solide genug halt, um sich auf ihn zu stützen, so braucht man sich doch noch nicht an Lamarck anzulehnen, wie gross dessen Verdienst auch sein möge. Warum steht ein Gelehi ter wie P. nicht ganz auf eignen Füssen ? Seine Arbeit zeigt ja, dass er dazu wohl imstande sein wtirde. Ich kann weiter das Bedürfnis nicht als die einzige Veranlassung des Entstehens aller Lebenserscheinungen anerkennen. Die Beobachtung der Tatsachen bestatigt dies nicht. Ebensowenig giebt es für mich hinreichende Gründe, um mich mit der in dieser Theorie vertretenen Lehre der Zellenseelen einverstanden erklaren zu können. Diese ergiebt sich allerdings folgerichtig aus P.'s Auffassung, als ob das psychische Element in den Organismen nichts andres als eine energetische Ausserung der organischen Materie ware und zu dieser Anschauungsweise steht die meinige in geradlinigem Gegensatz. Ich halte dieses Element für ein selbstandiges, wenn auch aufs engste mit der Materie verbundenes Vermogen. Mir scheint sonach die Auffassung von Reinke und driesch, die jede psychische Wirkung der chemischphysikalischen Materie verwerfen und infolgedessen auch für das von ihnen zur Erklarung der Lebenserscheinungen als unumganglich anerkannte psychische Element einen selbstandigen Charakter annehmen, besser begründet zu sein. Daraus braucht man jedoch nicht zu folgern, dass deshalb auch die kosmisch-transcendentale Natur, die sie diesem Element beilegen, angenommen werden miisse. Die in Rede stellende Meinungsverschiedenheit zwischen P. und mir beruht freilich in der Tat auf einen tiefliegenden Grunde. P. erklart namlich in der psychischen Energie etwas zu sehen, das schon auf niedriger Daseinsstufe, als der des organisclien Lebens, vorhanden gewesen ware, ja, das als das Urvermögen des reaktionsfahigen Punktes unserer Welt anzusehen sei. Das heisst, wenn ich ihn richtig verstehe, dass er in den Lebenserscheinungen dasselbe zu erkennen meint, was sich auch in der Bewegung der kleinsten Teile der anorganischen Materie ofïfenbart. In der Tat meine ich auch, dass der heutige Stand unsres Wissens im allgemeinen diese 13etrachtungsweise mit sich bringen muss, aber darum ist man, meines Erachtens, noch nicht dazu berechtigt in den Lebenserscheinungen einfach eine blosse Fortsetzung jener Bewegung zu sehen und demnach jene psychische Energie als etwas zu betrachten, das immer in gleichen Masse der riiumlichen Materie eigen ware, wie dies in P.'s Theorie in Zusammenhang mit seiner Auffassung jener Energie als einer Ausserung der Materie, angenommen wird. Dafür besteht doch noch immer eine zu grosse Verschiedenheit zwischen dem Organischen und dem Anorganischen, auch wenn man letzteres nicht mehr für so tot halt, wie man ehemals wohl meinte. P. springt über diese Kluft hinweg, was ich aber für unzulassig halte. Deshalb habe ich versucht eine Brücke darüber zu schlagen. Auf S. 294 führte ich denn auch aus, dass ich das organische Leben als eine durch besondere Umstande herbeigeführte Entwicklung des Anorganischen betrachte, und wagte ich dann die Vermutung, dass dieser besondere Umstand etwa in dem Hinzutritt eines aparten Vermogens psychischer Natur bestande. So erhalt dann das psychische Element für mich den Charakter eines selbstandigen Vermogens, dessen Verbindung mit der anorganischen Materie oder deren eigentümliche Verbindung damit vielleicht die dieser letztern eigene Bewegung teils zu jener eigentümlichen umgestaltet, die sich in vielen Lebenserscheinungen als Evolution offenbart. Hier liegt der Grundunterschied zwischen P.'s Aufifassung von dem Charakter der psychischen Energie in den Organismen und der meinigen. Ich glaube diese Kluft nicht wegleugnen zu diirfen. Auch die der anorganischen Materie eigne Bewegung tritt noch in den Lebcnserscheinungen auf. Es ist diejenige, welche sich dort als eine bloss chemisch-physikalische Tatigkeit wahrnehmen lasst. Sie ist da aber von der eigentümlichen organischen scharf verschieden, in der das psychische Element, vvenn es auch bei den anorganischen Bildungen nicht ganzlich fehlt, wenigstens ungleich kraftiger und in eigentümlicher Weise in den Vordergrund tritt. Allerdings bleibt auf diese Weise, so sehr ich mich im Ubrigen von seiner Betrachtungsweise entferne, der Kardinalpunkt in P.'s biologischer Aufifassung, der Grundsatz des \ italismus, die Anerkennung der Tatigkeit eines psychischen Elements, von mir unangetastet. Hierin liegt denn auch wohl, nach meiner Ansicht, sein wissenschaftliches Verdienst. Niemand hat wohl die Unumganglichkeit dieser Annahme der darvvinistischen Schule gegenüber in so schlagender Weise dargetan. Nur glaube ich dieses Element anders verstehen zu müssen. Es scheint mir, dass man, um dessen Wesensart möglichst gut kennen zu lernen, einen andern Weg einschlagen, oder vielmehr auf dem einmal eingeschlagenen Weg weitcrgehen muss. Diesen Weg habe ich oben bei der Erörterung der Anschauungsweise von Reinke und Driesch schon angedeutet. Man muss einfach damit fortfahren, alles zu beobachten, was sich überhaupt in den Wahrnehmungskreis hineinbeziehen lasst; denselben Weg also gehen, den man bei jeder Naturforschung befolgt. Es scheint mir höchst bedauerlich, dass P. sich nicht von Lamarck hat losmachen können und diesen Weg nicht eingeschlagen hat; er, der, wie wir oben sahen, so richtig und kraftig die Behauptung zurückwies, dass hier den Naturforscher eine unübersteigbare Barriere am Weitergehen verhindere, — er ware dazu die geeignete Person gewesen. Das psychische Element, ist freilich, weil es nicht zu der raumlichen Materie gehort, fur uns an sich nicht wahrnehmbar. Wohl aber ist dies der Fall mit seinen Wirkungen. Indem man also diese beobachtet und gegenseitig vergleicht, kann man versuchen zur Erkenntnis jeues VVesens, das dicse Effekte zuwege bringt, soweit es in unsern Kraften steht, vorzudringen. Man darf sich dabei aber nicht beschranken auf das Studium der Erscheinungsformen worin sich das geistige Vermogen des Menschen aussert, wie es die heutige Psychologie tut, eingeengt wie sie ist durch die alte, auf religiösen Aufïfassungen beruhende Irrlehre, dass dem Menschen allein wirkliche psychische Ausserungen eigen seien. Wie weit immer die Wahrnehmung sich auszudehnen vermag, müssen wir versuchen jenen Erscheinungen auf die Spur zu kommen und sie kennen zu lemen. Man dürfte dann berechtigt sein überall das Vorhandensein des psychischen Elements anzunehmen, wo man in den Naturerscheinungen Vorgange antrifïft, die denen, welche wir auch als Wirkungen unsres eigenen Intellekts wahrnehmen, gleichartig sind. Zum grössten Teil kennzeichnen sich nun diese durch Urteil und somit durch eine vernünftige Gedankenverknüpfung, und dies berechtigt uns dazu, als deren Ursache eine intelligente Kraft vorauszusetzen, welche derjenigen des menschlichen Intellekts analog, und somit, wenn wir letzere aus den obgenannten Gründen nicht darwinistisch-mechanisch aufïfassen wollen, ebensovvenig auf eine solche Weise erklarlich ist. Von diesem Standpunkt aus lasst es sich ermöglichen durch Vergleichung die erwünschte Aufklarung zu erhalten. Sind doch die Ergebnisse auf diesem Gebiete bei dem Menschen so zahlreiche und verschiedene, dass man aus denselben mit Hilfe der Geschichte, Ethnologie, Anthropologie und anderer Wissenschaften die Tatigkeit der menschlichen Psyche ziemlich genau verstellen zu lernen vermag und mit dieser auch die verschiedenen Faktoren, die in ihr zusammenwirken, und die Art und Weise, wie sie in grösserm oder geringerm Masse, und zeitlich oder ortlich bedingt, auftreten, das heisst also ihre Entwicklung. Und wenn wir nun das psychische Element da, wo wir es in ahnlicher Weise ausserhalb 29 des Menschen wahrnehmen, für dem analog halten dürfen, was sich als die menschliche Psyche darstellt, so können auch alle die zahlreichen Resultate, die uns das Studium der letztere verschafft, als eben soviele Punkte zur Vergleichung dienen, um mit diesen das Element überhaupt zu studieren. Allerdings kann man auf diese Weise nicht an alle psychischen Erscheinungen herankommen. Alles muss hier analog dem, was uns von dem Menschen bekannt ist, beurteilt werden. Aber dies letztere reicht nicht weiter als zu der Fahigkeit zu der uns der Zusammenhang zwischen Ursache und Folge mittelst unsres Bewusstseins erkennbar wird. Allerhand Bildungen und Verrichtungen finden aber bei dem Menschen ganzlich unbewusst statt, sodass uns dieser Zusammenhang dunkel bleibt. Gleichwohl giebt es auch wieder solche Erscheinungen, bei denen das Bewusstsein nicht ganz fehlt, und können die namlichen Verrichtungen, die in der Regel mit Bewusstsein verbunden sind, auch bisweilen ohne dasselbe geschehen. Daraus können wir schliessen, dass auch in den in Rede stehenden Fallen die psychische Tatigkeit wohl ganz gewiss und auch in ahnlicher Weise stattfindet, und dass es dabei einerlei ist, ob das Bewusstsein dabei auftritt, oder nicht. Wahrend auch die kunstvolle Einrichtung vieler Organe unverkennbar auf das Vorhandensein eines intelligenten Elements bei deren Entstehung hinweist, wenn auch diese übrigens völlig unbewusst stattfand, da ja die Gestaltung und Wirkung dieser Organe ganz und gar dem entspricht, was durch die Intelligenz des Menschen wenigstens einigermassen zustande gebracht und sonach auch verstanden werden kann. Auf S. 270 erwahnte ich z. B. dasss viele Raupen sich offenbar dessen bewusst sind, welchen Gefahren sie im Puppenstadium ausgesetzt sein werden und deshalb Massregeln zu ihrem Schutz ergreifen. So kennen mehrere Insekten auch die Bedürfnisse ihrer künftigen Progenitur und handeln dementsprechend. Diese Kenntnis muss wohl durch Erfahrung gewonnen sein und sich dann durch Vererbung weiter verbreitet haben. Aber in welch ausserst dunklem und zweifelsohne unbewusstem Geistesstadium muss dann jene Erfahrung erworben sein! So lasst sich verstehen, dass auch bei der Bildung der kunstvoll zusammengesetzten menschlichen Organe Verstandestatigkeit vorhanden gewesen sein könne, obgleich alles doch unbewusst geschehen ist. Ubrigens lassen die Studiën bezüglich das sogenannte Unterbewusstsein auch deutlich erblicken, dass Verstandestatigkeit ausserhalb des Bewusstseins stattfinden könne. Da man auch vveiss, dass suggestive, also psychische Einflüsse die verschiedensten physischen Veranderungcn und sogar Heilungen herbeiführen können, die eine bedeutende Modifikation in dem augenblicklichen Zustand der Organismen erfordern, wie auch in den morbiden Bildungen, die darin stattfinden, so liegt in der Annahme, dass auch zu der normalen Bildung von Organen der Antrieb wohl von einer psychischen Kraft aus erfolgen wird, sicherlich nichts, was für unannehmbar erachtet werden müsste. Mag nun auch die sehr gewöhnliche Auffassung von Gesellschaft, Staat, und sogar von derartigen Komplexen, wie z. B. dem Heer, als Organismen Bedenken unterworfen sein, es ist doch gewiss, dass zu jener Auffassung die grosse Übereinstimmung Anlass giebt, die sich nach Einrichtung und Tatigkeit hin zwischen ihnen und den lebenden, tierischen Organismen nicht verkennen lasst. Auch von jenen Komplexen ist doch die ganze Organisation ohne Zweifel nichts andres als eine raumliche Ausserung menschlichen Geistes. Auch dort ist von einer rein psychischen Tatigkeit die Rede, die keineswegs aus der raumh'chen Materie hervorgeht, sondern im Gegenteil selbstandig auftritt und letztere für das von ihr Bezweckte geeignet macht. Liegt es nun nicht auf der Hand, hierin alsdann eine Fortdauer derselben Tatigkeit des psychischen Elements zu erblicken, die in ahnlicher Weise wie dies bei der Bildung und Umbildung der körperlichen Organe der Fall war und noch immer ist, vor sich geht? Dann ergiebt sich hieraus aber ein deutlicher Fingerzeig dafür dass es erlaubt ist, auch diese Bildungen als durch die Wirkung eines selbstandigen psychischen Elements auf die raumliche Materie entstanden sich vorzustellen, wie diese aus dem eigentümlichen Zusammenhang zwischen jenem Element und dem Raumlichen in dem Zustand, den wir das Leben nennen, hervorging. Wenn nun auch P. freilich nicht in den oben erörterten, auch auf S. 261 bei RoMANES verzeichneten Fehler verfallt, Intellekt mit Bewusstsein zu verwechseln, so halte ich dennoch seinen Ausspruch für unrichtig, dass Urteil nicht schon Bewusstsein sei, sondern es erst auf sehr spaten Stufen, durch erklarende Assoziationen, die wir Intellekt nennten, und die einen sehr verwickelten Aufbau hatten, wiirde. Das Bewusstsein halte ich, wie ich bereits auf S. 263 ausgeführt habe, für ein selbstandiges Vermogen, dessen Auftreten zwar mit dem durch die psychische Entwicklung erreichten Standpunkt in einigem Zusammenhang steht, aber durchaus nicht von demselben abhangig ist. Es ist übrigens keineswegs nötig für die Entstehung jener oben genannten künstlichen physiologischen Bildungen und Verrichtungen eine so hohe intelligente Tatigkeit als absolut notwendig anzunehmen, wie P. es will. Lasst sich doch diese Auffassung, namentlich, wenn man die Tatsache kennt dass auch das psychische Element sich evolutionell verandert, schwerlich mit dem Umstand in Ubereinstimmung bringen, dass solche doch auch bei gewiss in psychischer Hinsicht noch sehr niedrig entwickelten Tieren vorkommen; man denke z. B. an die Augen und die phosphorescierenden Organe bei allerhand niedern Seetieren. Wenn ich z. B, P.'s. Beschreibung von der Einrichtung und der Funktion des Herzens lese, macht dies auf mich bestimmt den Eindruck einer überaus sanguinischen Auffassung. Es kommt mir vor, als ob man dazu jedoch ebensowenig berechtigt ware, wie wenn man aus den egyptischen Pyramiden und andern Bauten ableiten wollte, dass die alten Egypter die heutigen Dampfkrane und andere Produkte der heutigen Mechanik gekannt hatten. Die mathematische Genauigkeit von dem Zellenbau der Bienen deutet noch nicht auf Kenntnis der Mathematik, ebensowenig der Bau der Damme, welche der Biber macht, auf die der Wasserbaukunst. Zwar ist sein Werk eine wasserbaukundige Arbeit, aber die Fahigkeit dazu hat er wohl erlangt durch eine viele Jahrhunderte lang fortgesetzte, Schritt für Schritt weitergehende Anpassung an die bestehcnden Umstanac, wobei die gewonnene Erfahrung hauptsachlich erblich übertragen wurde. Auf diese Weise kamen auch die riesigen Bauten der alten Völker zustande, wobei aber Unterricht die Erblichkeit der Kenntnis ersetzte. So bewundernswert uns die auf langem Wege erzielten Resultate nun auch erscheinen mögen, dennoch sind sie allein durch auf Erfahrung gegründete, praktisch gewonnene Kenntnis zustande gebracht, nicht aber durch jene höhere, mit abstrakten Begrifïfen arbeitende Intelligenz, die sich in der Wissenschaft ofifenbart. So meine ich auch das Zustandekommen der obigen künstlichen organischen Bildungen verstehen zu miissen. Intelligenz, psychische Tatigkeit, hat dabei gewiss mitgespielt; die tritt ja auch in der Arbeit des Bibers oder der Biene auf. Sie ist aber deshalb noch nicht ei'ne von hoher Entwicklung. Nicht immer hat ja, wie ich es schon eben bemerkte, das psychische Element einen hohen Standpunkt von Entwicklung erreicht; es darf darum auch nicht als eine höhere, kosmische Intelligenz gedacht werden. Man hat also, um zu der gewünschten Kenntnis zu gelangen, den Weg zu gehen, den Haeckel den der vergleichenden Seelenkunde genannt hat. Alsdann kommt man zu dem Schlusse, dass eine intelligente Psyche nicht nur selbst bei den elementarsten, einzelligen tierischen Wesen, sondern sogar schon bei den Pflanzen vorhanden sein muss, und zwar, wenn auch quantitativ, d. h. dem Grad der Ausbildung nach verschieden, qualitativ aber bei allen lebenden Wesen die gleiche ist. Die Erscheinungen aus denen sich das Vorhandensein eines psychischen Elements bei Amöben und andern primitiven Wesen ergiebt, sind, wenn auch sehr elementar, unverkennbar derselben Natur, wie die, welche man bei dem Menschen beobachtet. Wo man noch das Gegenteil behauptet, also einen qualitativen Unterschied, wie es z. B. Wasmann tut, gründet sich diese Meinung denn auch nicht auf die Wahrnehmung, sondern auf religiösen Glauben, und kann sie somit nicht wissenschaftlich verteidigt werden und hat also keinen wissenschaftlichen Wert. Dieser Aufïfassung nach —• nicht aber, wie P. dies nun zu erklaren sucht — kann ich mich ganz mit dem einverstanden erklaren, was 1878 HAECKEL sagte, dass das Seelenleben in allen lebenden Materien und in allem Plasma anwesend und nur was die Stufen ihrer Ausbildung nnd ihren Zusammenhang betrefft, sehr verschieden und so im allmahlichen Aufstieg zur Menschenseele durch eine lange Reihe aufsteigender Zwischenstufen hin begrifïfen sei. In dem Sinne jedoch, dass derselbe auch bei dem Menschen sich noch immer fortsetzt, denn derselbe evolutionelle Prozess findet auch innerhalb derselben Art zwischen den Einzelwesen statt und zwar stets mit derselben überaus grossen Mannigfaltigkeit, die ich oben schon andeutete. Man hat denn auch die Reihe, über die HAECKEL spricht, sich durchaus nicht als eine solche von geradeswegs aufsteigenden Stufen vorzustellen, sondern als ein ausserst verwickeltes Netzwerk, sodass lediglich bei einer umfassenden Übersicht dieses Aufsteigen merkbar wird. Insofern stehe ich also in der Hauptsache auf seiten HAECKELS. Im Folgenden werde ich aber einen eignen Gedankenkurs einschlagen. Bevor ich weitergehe, möchte ich jedoch noch einmal, so oft ich es auch schon getan habe, nachdrücklich an das erinneren, was WEISMANN bereits vor vielen Jahren ganz mit Recht bemerkt hat, eine Betrachtungsweise, die den noch viel zu wenig gebrauchten Schlüssel zu der Erklarung vieler Lebenserscheinungen enthalt. Die namlich, wonach bei den Individuen einundderselben Art, wenn man bei ihnen standig Unterschiede antrifït, die, obgleich völlig derselben Art, dennoch unter sich quantitativ verschieden sind und also gleichsam aneinander grenzend, deutlich eine bestimmte Richtung anweisen, in der das Variieren von sich geht, an einen Evolutionsvorgang gedacht werden muss, dem alle jene Individuen unterworfen sind. In einem derartigen Prozesse müssen doch, wie bereits auf S. 312 ff. gesagt worden ist, zwischen den Individuen viele Differenzen entstehen, da ja ein jedes je nach seiner individuellen Empfindlichkeit in dieser Hinsicht mehr oder weniger fortgeschritten ist. In allen Gruppen lasst sich dies stets wahrnehmen, ebenso zwischen den Arten unter sich wie unter den Individuen unter sich, wenn cs auch im erstern Falie, weil dann vielfach auch andere Ursachen, die eine Differenz zuwege bringen, im Spiele sind, nicht so stark in die Augen springt. Ich muss dies hier wieder hervorheben, weil auch auf dem psychischen Gebiete die namlichen Unterschiede wahrnehmbar sind. Wie ich auf S. 40 von M. S. D. und auch in meinen mehrerwahnten Études bereits ausführte, weisen auch die Psychen der Menschen unter sich in dieser Beziehung Unterschiede auf und das namliche ist der Fall zwischen denen der Tiere unter sich und ebenso zwischen der Psyche des Menschen und derjenigen irgendeines Tieres. In allen diesen Fallen ist jedoch der Unterschied immer bloss quantitativ. Dafür lasst sich nun wohl keine andere Erklarung finden, als die namliche, die Weismann so mit Recht für die körperlichen Bildungen nachgewiesen hat. Dann muss aber das psychische Element ebenso wie die raumliche, lebende Materie, evolutionellen Veranderungen unterworfen sein. Wenn man namlich wirklich die Entwicklung des menschlichen Geistes in obenerwahnter Weise an der Hand der Geschichte und der andern genannten Wissenschaften verfolgt, kann in der Tat kein Zweifel übrig bleiben, dass sich in diesem Prozesse derselbe evolutionelle Charakter oftenbart, den uns die Entwicklungslehre in Bezug auf die körperlichen Bildungen zeigte. Findet doch die Veranderung auch in letztern ofïfenbar in der namlichen Weise statt. Die eigentümlichen Erscheinungen, die, wie ich es im Abschnitt über „Das Wesen des evolutionellen Umwandlungsprozesses" ausfü h r lich auseinandergesetzt habe, die Evolution dieser Bildungen kennzeichnen, werden darum ebenso in jener psychischen Evolution angetroffen. Deutlich verlauft die letztgenannte Evolution dabei aber immer wie ein selbstandiges Ganze. Allerdings ist die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche, die beide aufs engste mit einander verknüpft sind, stets eine sehr grosse. Aber dennoch bleiben sie, ein jedes für sich, selbstandig. Der enge Zusammenhang zwischen beiden lasst dies zwar bei dem einseitigen Studium einer einzelnen Psyche leicht übersehen, aber bei dem weitern Überblick, den die Entwicklungsgeschichte der menschlichen Psyche in ihrem Ganzen gewahrt, springt die Selbstandigkeit so deutlich in die Augen, das sie nicht angezweifelt werden kann. Bereits auf S. 267 wies ich daraufhin, wie ihre Entwicklung bei demselben Menschen durchaus selbstandig neben der des Körpers steht. Aus diesem Umstand allein lasst sich auch der riesige qualitative geistige Unterschied erklaren zwischen dem gebildeten Europaer und dem Weddah oder dem Buschmann, obgleich doch in Vergleich damit der aus ihrer körperlichen Evolution sich ergebende Unterschied unbedeutend ist. Das fallt noch starker in die Augen, wenn man noch die psychische Entwicklung des Menschen mit derjenigen der anthropomorphen Aften im Zusammenhang mit ihrer grossen physischen Verwandtschaft vergleicht. Die Tatsache der Ungleichheit zwischen der psychischen und der physischen Evolution lasst sich immerhin, wie ich ebenda bereits ausführte, bei vielen Tieren deutlich nachweisen. Die Ausbildung ihrer geistigen Vermogen ist offenbar völlig unabhangig von der Grosse und der ganzen Organisation ihrer Körper. Besonders leuchtet dies ein, was die Insekten betrifïft, die eine körperliche Entwicklung und Stammesgeschichte aufweisen, die erheblich von derjenigen der Wirbeltiere abweicht, wobei aber dessenungeachtet das psychische Leben nicht weniger kraftig zutage tritt, und von denen sogar eine ganze Gruppe, die der Ameisen, in ihrer psychischen Entwicklung von allen Tieren am höchsten steht, sich dichter als irgendeins dem Menschen nahert, ja, in einigen Punkten manchmal sogar die des noch auf sehr tiefer Stufe stehenden Menschen übertrifïft. Dies lasst sich unmöglich verstehen, wenn man die Psyche, es sei als ein Produkt einer Gehirntatigkeit, es sei als eine der raumlichen Materie innewohnenden psychischen Energie und sonach als eine blosse Function dieser Materie aufïfasst. kurz als etwas, das nicht selbstandig ausserhalb derselben bestehe. Ginge sie, auf welche Weise denn auch, aus dieser Materie hervor, so würde auch ihre Evolution der physischen Evolution leiztrer entsprechen mussen; uas Gegenteil ist aber der Fall. Erstere verlauft durchaus eigengesetzlich, und nimmt auf letztere gar keine Rücksicht. Auch die im Abschnitt über die Variabiliteit erörtertc Tatsache, dass das psychische Element nicht immer die Leitung aller Lebenserschcinungen zu übernehmen scheint, deutet auf eine solche Selbstandigkeit hin; dass es sich nur zeitweise oder überhaupt nicht an der Leitung beteiligt, ware sonst unverstandlich. Endlich verdienen hier auch die nachher naher zu besprechenden Paralellerscheinungen auf psychischem undaufphysischem Gebiete in hohem Masse unsere Aufmerksamkeit, bei denen doch nichts auf irgendwelche Abhangigkeit der ersterer von den letzeren hinweist, sodass demnach beider trotzdem nicht zu leugnende Gleichartigkeit auf andere Weise erklart werden muss. Ich meine daher dem psychischen Element eine selbstandige Existenz zuerkennen zu müssen, die allerdings mit der raumlichen Materie so eng verknüpft ist, dass man in Wirklichkeit von einem untrennbaren Zusammenhang des Geistes und des Körpers reden kann. Man verstehe diese Selbstandigkeit nur nicht in dem Sinne, der ihr nach der transcendentalen Auffassung eigen ist, als ware die Psyche eines Wesens eine Persönlichkeit für sich. Eine derartige Gespensterseele habe ich damit nicht im Auge. Die Persönlichkeit irgendeines Wesens ist demselben nur als solchem und somit infolge der Verbindung eines psychischen mit einem raumlichen Element eigen, die eben jenes Wesen ausmacht. Sie muss also mit jener Verbindung anfangen und aufhören. Jede evolutionnelle Veranderung kann darum ebenso, sowohl beim psychischen wie beim physischen Element erst dann beginnen und nur solange fortdauern als die Verbindung beider vorhanden ist. In dieser Vereinigung nun ist das psychische Element in dem Sinne selbstandig vorhanden, dass es nicht auf irgendeine Weise aus dem andern Raumlichen oder infolge dieses Raumlichen entsteht. Es bildet darin ein Element, dessen eigentümlicher Charakter in dem, was durch die Verbindung zustande gebracht wird, eine wichtige Rolle spielt, und das sich als solches in ihren Ausserungen sowohl psychischer wie physischer Natur deutlich kennbar macht. Zwar findet das innigste Zusammenwirken, aber keine Auflösung des einen in das andere statt. Wie selbstandig die Entvvicklung der menschlichen Psyche ist, geht z. B. sehr deutlich aus folgendem aus dem Gebiete der Ethnologie bekannten Umstand hervor. Allerhand primitive Wafifen und primitives Gerat finden sich bei vielen Völkerstammen, die weit voneinander entfernt leben und in keiner Verbindung zueinander gestanden haben, sodass derartige Gegenstande dort also jedesmal durch ein und dieselbe Verstandestatigkeit hervorgebracht worden sein mussen. Das namliche ist der Fall mit manchen Sitten, Gewohnheiten und religiösen Auffassungen. Der Einfluss der Umgebung macht sich dabei nur in zweiter Linie geltend. Man hat sich z. B. auf die Verwendung irgendeiner, in einer bestimmten Gegend vorkommenden Steinart zur Anfertigung der Waffen beschranken müssen. Aber die Tatigkeit des menschlichen Geistes, hat sich allmahlich zur Anfertigung und Vervollkommung jener Wafifen entwickelt und zwar an jedem Orte selbstandig, auseinem innern Drange. Hierbei war jedoch bloss von der Evolution des psychischen Elements die Rede. Angesichts einer solchen selbstandigen Existenz des psychischen Elements lasst sich dieses denn auch als der denkende Teil des lebenden Wesens verstehen und zugleich als das, was, sei es denn auch grossenteils unbewusst, auch die erforderliche Energie entfaltet, um die chemischen und physischen Prozesse ins Werk zu setzen, die als Lebenserscheinungen wahrzunehmen sind, deren Entstehung aber ohne eine derartige Ursache schwerlich erklart werden kann. Das Denken lasst sich denn auch nicht mehr als die Summe einer Anzahl zusammenhangender Gehirnfunktionen auffassen. Wie will man überhaupt in solchen Denkakten im Ernst blosse Folgen physischer Tatigkeiten erblicken, wo man doch soviele Denkreaktionen ofïfenbar allein auf blosse psychische Einflüsse reagieren sieht? Nicht auf Beobachtungen, sondern auf aprioristisch-darwinistische Auffassungen beruhen solche Meinungen, deren nebelhafte Unklarheit schon meines Erachtens den ernsten Naturforscher zwingt sie zu verwerfen, sogar dann, wenn er sich nicht imstande fühlt eine andere Erklarung an deren Stelle zu setzen. In einer Psyche entstandene Gedanken können u. a. durch Laute, Worte oder durch Schriften in eine andere Psyche übertragen werden, und zwar, nachdem sie in raumlicher Form geaussert durch die Sinneswerkzeuge dieser Psyche wahrgenommen und auf diese Weise nach einem andern Gehirn gekommen sind, durch Vermittelung eben dieses Gehirns. Wie hat man sich eine solche durch Sinneseindrücke vermittelte Wechzelwirkung der lebende Wesen aufeinander nun vorzustellen ? Von einer eigentlichen Übertragung kann hierbei wohl nicht die Rede sein, weil Gedanken nicht raumlicher Natur sind. Laute, Worte und Schriften sind denn auch nicht die Gedanken selbst und können diese auch ebensowenig in dem betrefïfenden Sinne, d. h. raumlich, enthalten. Mit den Sinneswerkzeugen und dem Gehirn ist dasselbe der Fall. Was lasst sich dann in solchen Lauten, Worten oder Schriften etwas anders erblicken als raumliche Schöpfungen, welche die Psyche, von der sie ausgehen, gebildet hat und zwar zu dem Zweck, Reize hervorzurufen, die in einer andern Psyche dieselben Gedanken, d. h. dieselbe psychische Tatigkeit herbeiführen können. Dies kann jedoch von diesen Schöpfungen selbst wegen ihrer raumlichen Natur nicht unmittelbar, wie sie die Sinneswerkzeuge wahrnehmen, geschehen. Dazu ist die Vermittelung eines speziellen Organs erforderlich, das dieselben in auf die Psyche wirkende Reize umsetzen kann. Dass nicht ein Gedanke selbst, sondern lediglich ein Reiz übertragen wird, der einen gleichen Gedanken erwecken kann, dürfte man ja wohl aus dem Umstand schliessen, dass allein insoweit das durch die Laute, Worte oder Schriften zum Ausdruck Gebrachte in ahnlicher Weise in einer anderen Psyche hervorgerufen werden kann, als diese ihrer eignen Entwicklungsstufe gemass dazu imstande ist. Das macht es doch sehr wahrscheinlich, dass sie hier nicht empfangt, sondern reagiert. Als dieses spezielle Organ betrachte ich nun das Gehirn, und zwar als ein solches, das den Zusammenhang zwischen der raumlichen Materie und der Psyche besorgt und in der Weise die aus einer von beiden hervorgehenden Reize auf die andere einwirken lasst, und somit auch die Leitung des physischen Lebens durch die Psyche zu stande bringt. Das Gehirn muss also nach meiner Ansicht als ein zu dem Zweck von der Psyche hervorgebrachtes Organ betrachtet werden, als auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der Zusammenhang zvvischen Psyche und Körper so verwickelt wurde, dass zu dessen Regelung ein besonderes Organ notwendig wurde. Solange dieser noch ziemlich einfach war und das Bedürfnis also noch nicht da war, war auch noch kein Gehirn vorhanden, obgleich doch auch bei sehr niedrig stehenden Tieren und ebenso bei den Pflanzen, bei denen noch kein eigentliches Nervensystem vorhanden ist, dessenungeachtet psychische Fahigkeiten als Empfindung, Reizbarkeit, Reflextatigkeit sich nachweisen lassen, die also auch nicht notwendigerweise Gehirnfunktionen sind. Dass, wo die Psyche Organe wie das Gehirn braucht, ein krankhafter Zustand dieser Organe auf ihre Ausserungen einwirken wird, lasst sich auf diese Weise auch sehr gut verstellen. Es beweist ebensowenig gegen die selbstandige Tatigkeit der Psyche wie der falsche Ton einer geborstenen Trompete beweisen würde, dass ein Laut aus diesem Instrument hervorgehen könne, ohne darauf zu blasen. Ebensowenig stellt die bereits auf S. 434 ff erwahnte Tatsache, dass man verschiedenen Geistestatigkeiten im Grosshirn eine bestimmte Lokalisierung zuerkennen muss, diese Auffassung in Frage. Auch hier ist nur die Rede von der Weise, worauf die Psyche sich mittels jenes Organs offenbart. Im Gegenteil vertragt sich die bereits erwahnte von DRIESCH stark in den Vordergrund gerückte Tatsache, dass bei Zerstörung einiger Teile des Gehirns andere Teile bisweilen ihre besondern Funktionen iibernehmen, gewiss viel besser mit jener Auffassung, als mit der Meinung, dass jeder Teil der Psyche est durch eine bestimmte Gehirnausbildung entstanden ware. Man könnte sogar fragen ob die Tatsache, dass, die jetzt die Kulturwelt arg heimsuchende Neurasthenie, die sich erst in einer Zeit so stark entwickelt zu haben scheint, als nahezu in allen Schichten der Geseilschaft die Kenntnis ausserordentlich zugenommen hat und somit zu deren Verarbeitung dem Denkvermogen besondere Anforderungen gestellt worden sind, auch nicht dafür spricht. Ist man nicht zu der Annahme berechtigt, dass dem erblichen Einfluss des Alkoholismus und dergleichen, die man jetzt zur Erklarung anführen zu mussen meint, dabei doch, wenn sie auch die Empfindlichkeit dafür gefördert haben mögen, keineswegs eine so überaus wichtige Rolle zuerkannt werden muss, sondern die Ursache vielmehr darin zu suchen sein, dass das zentrale Nervensystem einer so ausserordcntlichen Tatigkeit nicht gewachsen ist, d. h. dass die Kapazitat des Gehirns den Anforderungen der Psyche noch nicht genügt? Was anderes bedeutet sonst das Gerede von Überladung des Gehirns, das man überall hört? Wenn die Psyche nur das Effect von Gehirnfunktionen ware, liesse es sich schwerlich verstehen, wie das Gehirn psychisch ungenügend arbeiten, wie eine solche Überanstrengung erfolgen könnte; wohl aber wird dies verstandlich, wenn umgekehrt die Psyche es ware, welche dieses Organ funktionieren liess. Die grosse Zunahme der Nervenkrankheiten, besonders des Irrsinns, die sich in der heutigen Kulturwelt konstatieren lasst, hat man gewiss wohl mit Recht auf den ausserordentlich unruhigen Charakter zurückgeführt, der das heutige Leben kennzeichnet. Umsomehr, weil das heutige Geschlecht dazu bereits erblich disponiert ist. Seit dem Ende des i8en Jahrhunderts hat die Zerstörung der bestehenden Anschauungen auf allerlei Gebiete und der Drang, sich neuen anzupassen und nach ihnen die Praxis des Lebens einzurichten, stets zugenommen. Diese Erscheinung halt jedoch bei der Mehrzahl der Menschen nicht gleichen Schritt mit einer eignen allmahlichen Entwicklung, sondern tritt durch gewissen suggestiven Einfluss und riick- oder sprungweise auf. Die bestehenden physischen Organe, besonders das zentrale Nervensystem, waren jedoch noch nicht geniigend entwickelt, um im Zusammenhang mit dem so veranderten und vermehrten psychischen Andrang richtig zu funktionieren. Demzufolge entstand ein morbider Zustand, der, weil dieselbe Ursache noch immer besteht und sogar zunimmt, in folgende Generationen erblich hinübergetragen, sich fortwahrend verschlimmert und endlich in bestimmten, deutlich hervortretenden Krankheitssymptoncn zutage tritt. Auch in der medizinischen Wissenschaft scheint man so immer mehr zu der Ansicht zu gelangen, dass viele Nervenkrankheiten psychischen Ursprungs sind und deswegen besonders durch Psychotherapie behandelt werden mussen, wobei die physische Therapeutik nur noch eine untergeordnete Rolle spielt '). Liegt hierin auch nicht deutlich die Erkenntnis der Psyche als eines Teiles des Organismus, der wie eng auch mit dem Übrigen verbunden und i^ Wechselwirkung damit, dennoch nicht im physischen Teile desselben seinen Ursprung hat, weshalb denn auch die medizinische Behandlung sich nicht mehr, wie bis jetzt ublich, auf ietzteren Teil erstrecken muss? Aus einer solchen selbstandigen Existenz der Psyche ergiebt sich nun aber nicht, dass sie auch nicht materielier Natur sein könnte. YVenn man sieht, dass, obgleich die psychische Evolution nicht von derjenigen der Materie abhangig ist, bei beiden gleichwohl der Prozess dieser Veranderungen gleichartig verlauft, so wird man wohl zu der Annahme gezwungen sein, dass beiden, so selbstandig auch ein jedes für sich sein möge, ein und derselbe Charakter eigen ist. Dies nun macht es gewiss auch höchst wahrscheinlich, dass dann beide nur der Form, nicht aber dem Wesen nach verschieden sind, und dann ergiebt sich wieder hieraus, dass man sich gleichfalls das psychische Element als materieller Natur denken muss. Also auch als Materie, aber als eine andere, als die raumliche. Die Gleichartigkeit beider Evolutionen ist in der Tat zu auffallig, als dass man an etwas anderes denken könnte. In den eben genannten Paralellerscheinungen tritt dies ganz besonders zutage. Zunachst wohl durch den hohen Grad der Mannigfaltigkeit in dem evolutionellen Verlauf, was ja für die körperliche Evolution so besonders kennzeichnend und oben schon öfters besprochen worden ist. Auf S. 40 ff. l) Ich entnehme dies einer in der Revue Générale des Sciences pures et appliquées ij April 1903 vorkommenden Rezension von Dr. Paul Sérieux tiber das Werk von Dr. Dubois: Les psychoneuroses et leur traitement. Paris 11)04. von M. S. D. habe ich hierauf bereits die Aufmerksamkeit gclenkt. Auch in den mehrerwahnten Prolégomènes bin ich ausführlich darauf eingegangen. So findet man auch in der psychischen Evolution dasselbe, dessen Bedeutung für die physische mich veranlasste diesem Gegenstand einen besondern Abschnitt zu widmen, namlich den über die Selbstdndige Evolution der Organismuseinheiten. So kann sich bei einem Menschen irgendeine spezielle Eigenschaft ungleich höher ausbilden als bei dem andern; die Vergleichung der Völker unter sich zeigt das namliche. Auch dies habe ich wiederholt, wie z. B. an den obenzitierten Stellen, ausführlich dargelegt. Auf die Erscheinung der Epistase in der Geschichte der Menschheit wies ich bereits auf S. 41 ff. von M. S. D. hin. Relikte spielen darin und in dem ganzen gesellschaftlichen Leben überhaupt eine wichtige Rolle. Ebenso lasst sich auf dem Gebiete der psychischen Entwicklung die Existenz von Reizen, besonders von denen der aussern Einflüsse, deutlich erkennen. Kommen jetzt neben den höhern tierischen und pflanzenartigen Formen auch noch immer solche vor, die mit den primitiven übereinstimmcn, die in alten geologischen Lagen angetroffen werden, so zeigt sich auf ahnliche Weise, sogar in den im übrigen höchst entwickelten Organen, das psychische Element noch immer in solchen Ausserungen höchst elementarer Art, die wir Reflexe nennen, und die völlig mit denen übereinstimmen, wie sie bei den am tiefsten stellenden Tieren wahrgenommen werden. Weiter muss hierbei auch der sowohl auf S. 164 in M. S.D ., wie oben auf S. 272 erwahnten Tatsache gedacht werden, dass die psychischen Eigenschaften in ahnlicher Weise erblich übertragen werden, wie die physischen. Deutet doch auch dieser Umstand auf eine Übereinstimmung zwischen der Natuf des psychischen Elements und der der raumlichen Materie hin, die sich lediglich begreifen lasst, wenn wir auch für ersteres einen materiellen Charakter annehmen. Endlich kommt hier noch die Erscheinung der Beschleunigung in Betracht, uber deren Vorkommen auf physischem Gebiete auf S. 315 ff. gehandelt wurde und die sich dort bisweilen als die ausserordentliche Ausbildung einer bestimmten Funktion darstellt. Rei dem Menschen findet man die namliche Beschleunigung als cine normale und also bloss aus eignem Entwicklungsdrang hervorgehende Lebenserscheinung, z. B. in der Entwicklung des weiblichen Geschlechts, wodurch die der Madclien vom ucn bis zum i8en Lebensjahr dem mannlichen erheblich voraneilt, und zwar sowohl körperlich, wie geistig. Es hat darum dann sogar den Anschein, als ob die Psyche durchaus durch die körperliche Entwicklung beherrscht würde, sodass die psychischen Erscheinungen, die sich dann einstellen, tatsachlich nur als eine Abspiegelung derselben erscheinen, und so die physiologisch-psychologische Theorie zu bestatigen scheinen. In Wirklichkeit zeigt sich aber lediglich, dass die Beschleunigung von dem Prozesse der individuellen physischen Entwicklung, die dann stattfindet, und die doch als der Efïfekt einer gewissen psychischen Tatigkeit betrachtet werden muss, als eine Folge des engen Zusammenhangs zwischen Körper und Psyche, auch in letzterer dermassen bemerkbar wird, dass diese evolutionell auf eine höhere Stufe ansteigt, wodurch der darin in Betreff gewisser Vorgange des Geschlechtslebens noch bestehende instinktive Zustand, der zu gleicher Zeit, wie ich auf S. 263 andeutete, durch das Hinzutreten des Bewusstseins in psychischer Hinsicht klarer wird, analog dem Vorgang, den ich auf S. 259 erwahnte, in die höhere Phase des Verstandes übergeht. Bei der Menschwerdung, die, wie ich bereits auf S. 268 bemerkte, gleichfalls einer derartigen speziellen Entwicklung und zwar des psychischen Elements zuzuschreiben ist, hat nun eine derartige Beschleunigung in der Entwicklung der Psyche jedoch wohl ganz selbstandig, ausserhalb einer solchen der physischen Materie stattgefunden. Von dieser Tatsache soll, wie ich erwahnt finde, in der embryologischen Beschleunigung der Entwicklung des Grosshirns der Beweis noch bewahrt sein, wie namlich durch diese das Bild der Ahnenphasen in der menschlichen Entwicklungsgeschichte ganz betrachtlich entstellt wird. In der Tat, wenn man die psychischen Erscheinungen nicht mehr für blosse Gehirntatigkeiten halt, muss man wohl annehmen, dass das Gehirn durch den Drang des psychischen Elements als ein für dessen Funktion nötiges Organ gebildet worden ist, und dann erhellt es auch, dass seine Entwicklung bei jedem Tiere der seiner Psyche entsprechen muss. Dem hier Gesagten schliessen sich nun die von HAECKEL zum Beweise für das materielle Wesen der Psyche angeführten Gründe an. Einigen derselben lege ich freilich keine grosse Bedeutung bei, wenn er z. B. Teile der Geistestatigkeit messen und durch mathematische Formeln bestimmen will. Dabei handelt es sich ja nur um Erscheinungsformen der Psyche in ihren physischen Organen und somit um die Tatigkeit der letzterer. Im allgemeinen halte ich dieselben aber für richtig, mit der Einschrankung jedoch, dass ich keineswegs zugeben kann, dass daraus hervorgehe, dass der Psyche keine selbstandige Existenz zuerkannt werden könne. Die auf S. 299 erwahnte Tatsache, dass die psychische Tatigkeit die zur Umbildung führt, vielfach nicht anders als kumulativ auftreten kann, deutet gewiss auch auf deren materielle Natur hin. Ein überaus interessantes Anzeichen für das materielle Wesen der menschlichen Psyche und infolgedessen des psychischen Elements überhaupt, besteht weiterhin in dem Umstand, dass mehrere der oben bereits besprochenen Prinzipien, welche die Richtung angeben, in der sich gewisse Lebenserscheinungen entwickeln und sich als solche in der raumlichen Materie deutlich wahrnehmen lassen, auch auf psychischem Gebiete in Paralellerscheinungen zutage treten. Der enge Zusammenhang zwischen Körper und Psyche, die fortwahrende Wechselwirkung zwischen beiden, der grosse Einfluss, den die stetige psychische Tatigkeit auf die körperlichen Verrichtungen hat und umgekehrt z. B. krankhafte körperliche Zustande auf die Ausserungen der Psyche haben, und besonders auch die Tatsache, dass ein derartiges Prinzip, auch da, wo es sich in der körperlichen Entwicklung offenbart, dennoch selbst psychischer Natur ist, lassen uns dies zwar keineswegs befremdlich erscheinen. Aber trotzdem bleibt es doch sehr bemerkenswert, dass dasselbe sich auch auf dem rein psychischen Gebiete ereignen kann, dass auch dort unter einem namlichen Drange 30 solch eine Umbildung und Entwicklung stattfinden kann, und dies zwar offenbar als ein Vorgang gleicher Art, obgleich er, wie die Psyche selbst, von der er eine Ausserung ist, einen selbstandigen Charakter triigt. Meiner Meinung nach deutet dies unverkennbar daraufhin, dass das in der Weise unter denselben Einflüssen wie die raumliche Materie umbildbare Medium, in welchem dergleichen denen der genannten Materie analoge Prozesse vorgehen, also wohl ein Medium sein muss irgend einer materielier Natur, wenn diese Materie auch von einer andern Art und für den Menschen nicht sichtbar oder fühlbar sein kann. Eine derartige Paralellerscheinung zeigt sich mir, worauf ich schon in den Prolégomènes meiner mehrenwahnten Études hinwies, in dem Egoismus. Als ein Prinzip, das die Lebenserscheinungen der raumlichen Materie beherrscht, offenbart sich der Egoismus in der notwendigen Fürsorge für die Selbsterhaltung, aus dieser Fürsorge entwickelt sich dann aber nicht nur ein durch eignes Interesse geleitetes Streben, auch da, wo dieses nicht mehr absolut notwendig ist, sondern auch, sobald aus der ursprüngliche Zelle viele andere entstehen, die jedoch auch noch gemeinsame Interessen behalten, die gerade entgegengesetzte Richtung des Altruismus. Die Fürsorge für die Selbsterhaltung nimmt dann aber noch immer die erste Stelle ein. In den zwei grossen Funktionen, die das materielle Leben beherrschen, die der Assimilation oder Ernahrung und die der Fortpflanzung, lassen sich die Rolle des Egoismus und die des Altruismus deutlich erkennen. Die Entwicklung der letztgenannten Funktion mit der damit verknüpften Trennung der Sexen, führte, wie ich es an erwahnter Stelle ausführlicher auseinandergesetzt liabe, durch die Anziehung der Sexen zueinander, spater auch durch ihr Zusammenleben und die gemeinschaftliche Fürsorge für die Jungen, zu einer besondern Kraftigung des altruistischen Prinzips. Auf dem rein psychischen Gebiete finden wir nun den Egoismus und den Altruismus in ahnlicher Weise die zwei grossen Richtungen vor, die das Empfindungsleb<;n des Menschen beherrschen, jedoch in selbstandiger Entwicklung. Die Sorge für die Selbsterhaltung ist nun stark in den Hintergrund getreten, diejenige für das eigene Interesse dagegen weit kraftiger, nicht selten sogar exzessiv geworden, und der Altruismus hat sich in Wirklichkeit in einer Weise entwickelt, die zu seiner Bedeutung auf dem materiellen Gebiete in keinem Verhaltnisse mehr steht. Der starke Nachahmungstrieb, der Menschen und Tieren eigen ist, und den ich bereits auf S. 155 und 158 von M. S. D. hervorhob, scheint auch wohl nichts andres zu sein als die psychische Form der Einwirkung des Milieus, der in dem physischen Leben eine so wichtige Rolle spielt. Auch der verschiedene Grad der Empfindlichkeit dafür, den ich auch bereits besprach, zeigt sich ebenso in beiden Fallen und weist, wenn auch ihr Wesen in beiden Fallen je ein anderes sein kann, doch wieder auf einunddieselbe Art hin. Der Idealismus gleicht sehr einer psychischen Form des Dranges nach Veranderung, der die körperliche Evolution kennzeichnet, die aber, im Zusammenhang mit der ungleich starkern Ausbildung der altruistischen Richtung, die sich auf dem rein psychischen Gebiete geltend macht, zum Vervollkommungstrieb geworden sein soll. Das Schönheitsgefühl könnte ebensowohl dasselbe sein, wie die Neigung zur Symmetrie, die sich geradeso in der physischen Evolution, wenn auch bei genaucrcr Beobachtung in Wirklichkeit oft Asymmetrie besteht, im allgemeinen sicherlich erkennen lasst. Deutlich offenbart sich diese z. B. in den prachtvollen Formen der Medusen und vor allem in denen der mikroskopischen Tiere und Pflanzen, aus welchen das sogenannte Plankton besteht. In ahnlicher Weise könnte dann vielleicht auch die Übereinstimmung erklart werden zwischen dem schon bei den primitivsten, einzelligen Tierformen vorhandenen psychischen Vermogen des Gedachtnisses und der erblichen Wiederkehr derselben körperlichen Bildungen, worauf, wie oben ausgeführt, Haeckel soviel Gewicht legt. Immer bleibt aber der Unterschied in der Ausserung zwischen beiden Kategorien der Erscheinungen deutlich und zeigt sich die Selbstandigkeit der Psyche völlig in der Ungleichheit, welche die Ausbildung beider kennzeichnet. Am starksten sieht man dies wohl in der bereits erwahnten besonderen Entwicklung des Altruismus auf dem rein psychischen Gebiete. Als ein Beispiel dafiir gab ich auf S. 259 das der Entwicklung der Liebe, die bei den niedern Tieren noch ganz materiell ist, wobei wenigstens das psychische Element noch ,n keiner höheren Form denn als Reflextatigkeit auftritt und denn auch ganz und gar einen egoistischen Charakter tragt, die nun aber bei den Tieren durch das Zusammenleben der Sexen und die gemeinsame Erziehung der Jungen immermehr psychisch entwickelt und dann zugleich einen altruistischen Charakter erhalt. Auf diese Weise entsteht sogar schon bei einigen Tierarten eine überaus kraftige und lebenslang fortdauernde Anhanglichkeit zwischen den Gatten, wahrend dieselbe sich bei dem Menschen noch starker entwickeln, und sogar bisweilen, verbunden mit dem Ideahsmus, einen sehr erhabenen Charakter annehmen kann, bei dem das psychische Element, hoch entwickelt auftritt und vollkommen das Übergewicht über das, materielle Element erlangt. Auf S. 505 des oben auf S. 371 angeführten Artikels von Dr. R. Nacke weist dieser so auf den engen Zusammenhang von asthetischem und sexuellem Empfinden hm. Mit Unrecht meint er aber deshalb ersteres als beginnendes, unterbewusstes sexuelles Gefühl bezeichnen zu mussen. Das Umgekehrte ist doch wohl der Fall; das asthetische Gefühl ist nach meiner Meinung ein höheres und ïntellektuelles sexuelles Gefühl, das sich auf dieselbe Weise wie die Liebe entwickelt hat. Diese Entwicklung erfolgt dabei nach der allgemeinen Regel der Evolution, in der mehrerwahnten Mannigfaltigkeit nach Arten und sogar Individuen ausserst ungleichmassig. Viele Menschen stehen in dieser Beziehung tiefer als manche Tiere. Nimmt man nun eine derartige selbstandige Existenz und unabhangige Evolution des psychischen Elements neben der des raumhchen an, — beide als von materieller Natur gedacht und aufs innigste miteinander verknüpft, — so führt dies zu uberaus wichtigen Schlüssen. Zunachst wird in dieser Weise der maschinellen Aufifassung der Lebenserscheinungen, der rem chemisch-physikalischen Theorie, unbedingt der Todes- stoss versetzt. Weiter ergiebt sich aus der Tatsache von der Identitat der psychischen Entwicklung mit derjenigen der physischen nun die wissenschaftliche Grundlage für etwas, auf dessen Wichtigkeit ich bereits wiederholt und besonders auf S. 398 ff. hingewiesen habe, das aber noch immer eines solchen festen Bodens entbehrte. Für die Notwendigkeit namlich, dass bei dem Studium von allerhand Erscheinungen, die sich bei der physischen Evolution wahrnehmen lassen, die des psychischen Lebens zur Vergleichung herangezogen werden müssen, wodurch also überaus wichtige Resultate erzielt werden können. Von solchen Erscheinungen der psychischen Entwicklung sind uns doch beim Menschen viele wohl bekannt oder lassen sich dort wenigstens besser als bei den Tieren studieren. Dieses Verfahren habe ich denn auch öfters angewandt; z. B. zur Verteidigung meiner Auffassung über die selbstandige, evolutionelle Veranderung einzelner Organe, die durch die korrelative Kontrolle des Organismus in seinem Ganzen oder diejenige andrer Organe nicht oder nur wenig beeinflusst werden. Ebenso zur Theorie der Vererbung erworbener Eigenschaften und zur Bekampfung der Lehre von dem Kampf ums Dasein und der daraus hervorgehenden Naturselektion. Das namliche lasst sich auch anderswo in weitem Umfang anwenden, und wird so eine Anzahl biogenetischer Erscheinungen aufklaren können, die jetzt noch dunkel sind, aber zu deren Lösung auf diesem Wege die meisten, die dieser Wissenschaft obliegen, sich jetzt für noch nicht berechtigt halten. Auch geht hieraus das so wichtige Indiz über die Richtigkeit der Descendenzlehre hervor, das ich auf S. 407 andeutete. Für einen betrachtlichen Teil lasst sich doch der Verlauf der psychischen Evolution bei dem Menschen auf ethnologischem, historischem und soziologischem Wege ziemlich genau beobachten, und in diesem Teil der Stammesgeschichte der Seele, wie HAEKEL ihn nennt, offenbart sich nun die Entwicklung der höhern Zustande aus den niedern in so deutlicher Weise, dass sie unanfechtbar ist. Sie findet auch hier zwar in der Regel allmahlich, zeitweilig aber beschleunigt, jedoch immer in hohem Masse ungleichmassig statt. Das heisst also, dass sie geradeso verlauft, wie es bezüglich der körperlichen Evolution nach der Descendenzlehre der Fall gewesen sein muss. Es scheint mir dann weiterhin, dass, wenn man nun einmal das Vorhandensein der erwahnten zwei Formen der Substanz im lebenden tierischen Wesen annimmt, wie auch die Tatsache, dass beide sich evolutionell nebeneinander entwickelt haben, sich dann auch aus der grossen Übereinstimmung, welche diese Paralellerscheinungen zwischen jenen beiden aufweist, ein sehr bedeutsames Anzeichen fur die Tatsache ergeben muss, dass die körperliche Evolution der Tierformen auch nach demselben Grundsatz, wie die der Psyche, und somit nach der Descendenztheorie stattgefunden haben muss. So macht es denn die Beobachtung der Psyche von Mensch und Tier sehr annehmbar, dass diese tatsachlich auch eine Form der materiellen Substanz ist, wenn auch eine Form andrer Art als die raumliche Ausdehnung besitzende, die wir als Materie zu bezeichnen gewohnt sind, wie auch, dass die Vereinigung jener beiden Formen in einem Körper die Erscheinungen zuwege bringt, welche wir diejenige des Lebens nennen. In der Tat ist es nun auch in den letzten Zeiten wissenschaftlich sehr wahrscheinlich geworden, dass nur eine Art der Substanz oder vielmehr der Energie besteht, die sich in verschiedenen Formen offenbart und von der die sogenannte raumliche Materie nichts andres als eine besonders konzentrierte Form ist. Nichts scheint dann noch im Wege zu stehen, in dem psychischen oder vitalistischen Element eine andere, in dem lebenden Wesen auf eigentümliche Weise mit jener Materie verbundene Form derselben zu vermuten. Auf die Weise wird dann auch die grosse Schwierigkeit gelost, die ichaufS. 418 erwahnte. Denn eine überaus reiche Quelle der Energie ist dann auch in dem psychischen Element vorhanden. Aber, so wird man vielleicht sagen, in der Weise kommt man schliesslich doch ganz bestimmt wieder zu einer physikahschcn Auffassung der Lebcnserscheinungen. Ailerdings; aber gerade deshalb wies ich dann auch am Anfange dieses Kapitels über den Vitalismus nachdrücklich darauf hin, dass ich diese Auffassung verwerfend mich auf den Standpunkt desjenigen steilte, was heute von der Wissenschaft auf dem Forschungsgebiete der Chemie und Psysik noch angenommen wird. Eine selbstandige Existenz, eine selbstandige Tiitigkeit mussen dann aber dem psychischen Element trotzdem zuerkannt werden. Und für irgendeine Rückkehr zu transcendentalen, metaphysischen Auffassungen, welche auch immer, bleibt in meiner Vorstellung ebensowenig Raum, wie in derjenigen des alten Denkers Anaxagokas bezüglich des meinen betreffenden Ideen ofïfenbar sehr verwandten psychischen Elements, das er voü* nennt, und dem er ebenso alle intelligente und geistige Macht zuerkannte, aber dennoch jede Göttlichkeit absprach. Was aber unwidersprechlich für ausserst merkwürdig erachtet werden muss, ist der Umstand, dass die heutigen Ergebnisse der Wissenschaft sich tatsachlich erheblich der alleraltesten, primitivsten Auffassung des menschlichen Denkvermogens nahern, die man in der Religionsgeschichte den Animismus nennt und wobei alles Bestellende durch eine gewisse Lebenskraft beseelt wird, die man sich als einen feinen, aetherischen Stoff denkt, in dem Sinne aber, dass heute der Mensch in geistiger Hinsicht eine weit höhere Entwicklungsstufe erreicht hat und demzufolge zu dem Wesen dieser Auffassung durchgedrungen ist. Es handelt sich jetzt nicht mehr um eine blosse Meinung, sondern um eine, wenn auch nicht vollkommene, infolge geistiger Verarbeitung errungene Erkenntnis derselben als einer wissenschaftlich begründeten Tatsache. Nach meiner Überzeugung ist diese Erscheinung denn auch keineswegs eine zufallige, sondern lasst sie sich im Zusammehhang mit dem, was uns der obenbesprochene Verlauf der Entwicklung des menschlichen Geistes gezeigt hat, sehr wohl erklaren. Als das menschliche Denkvermogen soweit entwickelt war, dass es aus dem instinctiven Zustand allmahlich in den überging, in welchem der eigentliche Verstand sich geltend macht, war es anfanglich nur dazu imstande, das Konkrete zu erfassen. Dann entstand allmahlich das Streben nach der Bildung abstrakter Begriffe, worunter in diescm primitiven Denkvermogen alles fiel, was sich nicht init den Sinneswerkzengen wahrnehmen lasst und damit auch die genannte Lebenskraft. Eigentlich abstraktes Denken war aber noch nicht möglich. In wie beschranktem Zustand in dieser Hinsicht sich gegenwartig noch sogar der entwickelteste Mensch befindet, und wie er demnach noch immer sein Vorstellungsvermogen braucht, um das Abstrakte an konkrete Begriffe zu binden, darauf wies ich bereits auf S. 360 hin. Das namliche nun geschah damals durch Personifikation. Erst erkannte man jenem unbestimmten Stoff insoweit er als in bestimmten Gegenstanden oder Wesen enthalten gedacht wurde, einen persönlichen Charakter zu, spater auch eine diesem Gegenstand oder Wesen entsprechende Gestalt. So entwickelte sich der Geisterglaube und ging der Animismus in Spiritismus über. Hiermit hatte man sich in einen Irrtum verwickelt, der seitdem die weitere Entwicklung des Verstandes ununterbrochen bis auf den heutigen Tag begleitet hat. Auf religiösem Gebiete in der Auffassung der persönlichen Götter, auf politischem Gebiete in der Verpersönlichung der Staatsmacht und des Gesamtinteresses in Fürsten. Auch die Festlegung abstrakter Begriffe in Dogmen ist eine Erscheinung derselben Art, ein Ausfluss der dem Menschen innewohnende Neigung, sich das Abstrakte in einer konkreten Form vorzustellen. Gewiss war die ursprüngliche Auffassung niemals volkommen erloschen. Die Geschichte lehrt, dass sie auch bei scharfen Denkern immer wieder mehr oder weniger auftauchte. Aber inzwischen hatte der Verstand überhaupt eine höhere Entwicklungsstufe erreicht und damit stimmte sie nun nicht mehr uberein; die also entwickelte Wissenschaft konnte damals eine derartige Auffassung nicht annehmen. Erst heute ist die Entwicklung des menschlichen Denkvermögens und folglich auch die der Wissenschaft soweit fortgeschritten, dass dieselbe angefangen hat, sich von dem genanntcn Irrtum loszureissen, und kehrt sie damit denn auch zu der ursprünglichen richtigen Einsicht zurück; jetzt aber so gefasst, wie die jetzige Entwicklungsstufe des Verstandes das ermöglicht hat. Dass dies in der Tat die Folge davon ist, dass man überhaupt zu einer höheren intellektuellen Entwicklung gelangt ist, geht aus der Tatsache hervor, dass sich Ahnliches auch anderswo ausserhalb der Wissenschaft als ein Fortschritt des menschlichen Geistes beobachten lasst. Überall sieht man doch, wie dieser sich von den früher unentbehrlichen Requisiten der Verpersönlichung und der Dogmen immer mehr lossagt. Auf dem religiösen Gebiete sind die Klagen iiber den Verfall der Religion und die Zunahme des Unglaubens so allgemein, dass hier wohl keine nahere Auseinandersctzung nötig erscheint. Auch auf dem politischem Gebiete ist die Neigung, sich die Autoritat des Staates verpersönlicht zu denken, in der Abnahme begriffen. Alle jüngern Staatenbildungen in ganz Amerika sind Republiken, und die politische Entwicklung in Süd-Afrika und Australien folgt offenbar derselben Richtung. In Europa hemmt zwar die Kraft des Überlieferten den Fortgang dieser Entwicklung, aber ihre Existenz lasst sich dennoch auch da nicht leugnen. Was die Dogmen betrifft, so sucht man auf jedem Gebiete sich von ihnen frei zumachen, auch auf dem des Darwinismus. Und was sieht man nun weiter auf religiösem Gebiete? Wenn der nicht wissenschaftlich Entwickelte diesen Drang nach Verpersönlichung nicht mehr fühlt, macht sich ebenso öfters eine, wenn auch unbewusste, starke Neigung geltend, zu der genannten ursprünglichen Aufïfassung zuriickzukehren, zwar nicht zu dem reinen Animismus, da bei solchen Personen die Neigung zur Verpersönlichung meist nicht ganz verschwunden ist, sondern zum Spiritismus. Das Tischrücken und allerhand anderer Okkultismus tragen deutlich diesen Charakter zur Schau. Es ist das nahmliche also wie das, was jetzt in der Wissenschaft auftritt, aber in der Weise, wie es sich bei den nicht wissenschaftlich Gebildeten aussert. Wo diese Bewegung aber unbewusst fortschreitet reist sie mit der Religion auch den moralischen Grundsatz mit, dessen evoiutioneile Entwicklung ebenso darin ihre Verpersönlichung gefunden hattc, und in derselben Weise mit dem monarchistischen Grundsatz auch den der gesellschaftlichen Ordnung. W ird dagegen der alte Irrtum auf dem vvissenschaftlichen Wege des Vitalismus vertrieben, so gerat man nicht auf diese falsche Bahn, sondern sowohl der moralische Grundsatz, wie auch derjenige der gesellschaftlichen Ordnung wird dabei auf neuen Grundlagen aufgebaut, und so der Weg zu einer gesunden weitern Entwicklung der menschlichen Gesellschaft geebnet. In meinen Études sur la Réfortne du droit liabe ich dies darzulegen versucht. Nun glaube ich allerdings, dass viele eine derartige Auffassung noch nicht verstehen konnen und dass die Verwirklichung meiner Ansichten also w°hl noch geraume Zeit auf sich werde warten lassen, aber dennoch bin ich der Überzeugung, dass man früher oder spater dazu gelangen wird. Nach dieser Richtung bewegt sich doch, meiner Meinung nach, die ganze geistige Evolution des Menschen. Wie man nun durch weitere Beobachtungen von diesem Standpunkt aus und die Verarbeitung dieser Beobachtungen das psychische Element in seiner Tatigkeit und Entwicklung verstehen zu lernen vermag — das habe ich in den mehrerwahnten Prolégomènes auseinanderzusetzen versucht. Darauf gründete ich eine neue naturhistorische Auffassung von dem Wesen des Rechts und der Moral und eine neue Betrachtungsweise der sozialen Instituten und des sozialen Lebens, die heute von der platt materiellen, das psychische Element als selbsstandiges verneinenden Lehre des Darwinismus beherrscht werden, sei es, dass diese in direkter Weise als das Recht des starkeren formuliert wird, sei es, dass sie in irgendein philosophisches System eingetragen ist, wie z. B. in das der positivistische Sozioiogie, der man heute in Frankreich so allgemein huldigt. Denn dringend braucht die gesellschaftliche Bildung Westeuropas solch eine Reform, soll sie nicht in Zügellosigkeit untergehen oder zurück in den alten Glaubens- und Priesterzwang verfallen. Spricht Haeckel in seinem letzten Werke von dem steigenden Übermut einer intoleranteu Orthodoxie, dem Übergewicht des ultramontanen Papismus und den dadurch drohenden Gefahren für die deutsche Geistesfreiheit, die Universitat und Schule, nicht allein in Deutschland, sondern auch anderswo, in Holland, Belgien und Frankreich kann man das namliche beobachtcn; die Gefahr ist in der Tat gross. Den Vitalismus, nach meiner oben auseinandergesetzten, alle transcendentalen Begriffe völlig ausschliessenden Auffassung desselben, erachte ich für die folgerichtige Durchführung, die wissenschaftliche Erganzung der Evolutionslehre. Er muss an die Stelle des Darwinismus im engern Sinne treten. Aber erst dann wird dies geschehen können, wenn richtigere und klarere Begriffe über das Wesen der Evolution bei den Biologen zum Siege gelangt sind. Heute sind wir leider, noch weit davon entfernt. NACHWORT. Am Anfange dicses Werkcs, auf S. 4, schrieb ich über meine Rcformbestrebungen, denen ich durch die Veröffentlichung von M. S. D. Ausdruck gab, dass ich, obgleich ich bisher nur sehr geringes Verstandnis gefunden hatte, dagegen über den sachlichen Erfolg meiner Arbeit alle Ursache zur Zufriedenheit hatte. Am Schlusse dieses Werkes will ich das noch naher beleuchten. Das, was in M. S. D. in den Vordergrund trat, war der Kampf, den ich gegen die Mimicry und gegen alles führte, was mit ihr zusammenhangt. Siegreich beherrschte ja damals diese Irrlehre die biologische Wissenschaft. Jetzt, vier Jahre spater, konnte ich auf S. 141 erklaren, dass ich sie als einen überwundenen Standpunkt betrachten dürfte. Weist doch alles daraufhin, dass ihre Tage gezahlt sind und dass sie allmahlich aussterben wird. So ist denn die Wissenschaft jetzt einen bedeutenden Schritt weitergegangen auf dem auch von mir eingeschlagenen Wege. Und wenn ich nun auch weder der erste, noch der einzige gewesen bin, der sich an diesem Kampfe beteiligt hat, so darf ich doch davon überzeugt sein, dass ich zu diesem Resultat auch mein Teil in nicht geringem Masse beigesteuert habe und jener Irrlehre vermutlich im richtigen Augenblick einen kraftigen, vielleicht den entscheidenden Stoss versetzt habe. Man lese nur auf S. 77, wie einer meiner heftigsten Gegner sich in dieser Beziehung ausspricht. Unbedingt schmeichelhaft war mein Erfolg auf dem Gebiete der Botanik. Nicht anders als durch wissenschaftliche Notwendigkeit dazu gezwungen, hatte ich dieses Gebiet ja betreten, nur zögernd hatte ich mich, meiner geringen betreffenden Kenntnisse wohl bewusst, dazu entschlossen. Es war mir klar geworden, dass vieles, was ich dort antraf, wie z. B. die Bedeutung der Blumen für ihre Befruchtung durch Insekten, vor allem solche Romantik, wie die auf ihnen für diese Tiere vorkommenden Wegweiser, so deutlich von demselben Gedankengang ihren Ausgang genommen hatte, dem wir in der Mimicrytheorie begegnen, dass ich es zu unternehmen wagte, auch diese irrtümlichen Auffassungen zu bekampfen. Auch diese Irrbegrifife dürften wohl bald, wie die Mimicryphantasien, aussterben. Unter ihnen traf ich u.a. des Behauptung von einer angeblichen Symbiose von Pflanzen und Ameisen an, die, obgleich es hiess, dass sie wissenschaftÜch feststande, von mir aus denselben Gründen, analog dem, was sich mir aus dem Studium der Tiere gezeigt hatte, so stark angezweifelt wurde, dass ich glaubte die Botaniker zu einer nahern ernsthaften Untersuchung nach dieser Richtung hin auffordern zu müssen. Auf S. 227 hat man nun lesen können, wie ich, obgleich Laie auf dem Gebiete der Botanik, also nur durch logische Vergleichung dieser Tatsache mit andern mir bekannten, hier richtig gesehen habe, richtiger als damals die landlaufige Auffassung der Fachgelehrten war. Und wenn ich nun auch, wie ich ebenda betonte, für Triumphe unempfindlich bin, so darf ich dennoch diese Tatsache gewiss als einen für mich sehr schmeichelhaften Erfolg betrachten. Trat ich überhaupt als Bekampfer des Darwinismus') 1) Erst als ich meinem Werke, nachdem es bereits zum grössten Teil gedruckt worden war, dieses Nachwort hinzufügte, gelangte das 1907 in I.eipzig erschienene Werk R. H. Francés „Der heutige Stand der Darwin' schen Fragen" zu 'meiner Kenntnis. Ich bedaure lebhaft, dass ich diese sich durch eine besondere Deutlichkeit auszeichnende Arbeit nicht beizeiten habe kennen gelernt; ich hatte dann einen nützlichen Gebrauch davon machen können. Wenn der Verfasser sich aber in dieser Schrift in so scharfer Weise gegen den Gebrauch des Ausdrucks „Darwinismus" wendet, kann ich nicht seiner Meinung sein. Mit Unrecht sieht er darin eine Geringschatzung von Darwins Arbeit und Verdienst. Auch ich schatze Darwin und seine Arbeit hoch. Die Wissenschaft aber hat sich nicht mit der Person zu beschaftigen, sondern mit den Richtungen, die sich auf ihrem Gebiet im ïnenschlichen Denken offenbaren. Und wenn nun die hier in Rede stehende, durch die Lehre von dem Kampf ums Dasein und der Selektiou sich kenuzeichnende Richtung auf — nicht nur sind viele seitdem dieselben Bahnen gewandelt, sondern, auch wo ein Specialist wie Prof. Dr. Plate dagegen noch eine Verteidigung dieser Lehre versuchte, zeigte es sicli, dass sie sich nur so reduziert verteidigen liess, dass man auch die Tage des Darwinismus ruhig für gezahlt halten darf. Auch dort also befand ich mich in den vordersten Reihen der wissenchaftlichen Kampfer und hatte auch ich meinen Anteil an dem von ihnen errungenen Sieg. Was ferner die vitalistische Bewegung betrifft, so habe ich zwar erst in diesem Werke meine diesbezüglichen Ansicht ausgearbcitet, aber gleichwohl scheinen diese sich damals schon, wenn auch noch nicht genügend entwickelt, in den richtigen Bahnen bewegt zu haben und in einigen Punkten richtig gewesen zu sein. Sie hatten also ebenso in dieser Hinsicht einen höhern Standpunkt erreicht, als der war dem man durchschnittlich in der biologischen Wissenschaft huldigte. Dagegen kann sich meine Entdeckung oder wenigstens meine Deutung von der Erscheinung der Farbenevolution die latsache selbst hat ja bereits vor mehr als einem Vierteljahrhundert WEISMANN') wahrgenommen, jedoch falsch sich gleichsam parasitisch auf der Entwicklungslehre in dem Grade festgesetzt hat, sodass sic lctztcrc in der Tat eine Zeitlang fast erstickt hat, so handelt die Wissenschaft, wenn sic diese Richtung bezeichnen will, vollkommen richtig, wenn sie dieselbe nach demjenigen benennt, von dem sie — wenigstens als biologische Iheorie ihren Ausgangspunkt genommen hat; auch wenn die Nachfolger die von dem Urheber gesteckten Ziele weit überschritten haben. Die Entwicklungslehre selbst Darwinismus zu nennen, ware unrichtig, wenn sie Darwix auch zu vielem Dank verpflichtet ist. Denn diese Theorie ist nicht von ihm ausgegangen. Tate man dies, so müsste man auch de Lamarck einen Darwinisten nennen, was der Deutlichkeit in der Wissenschaft doch nicht zu Gute kommen würde. i) Das von Weismann schon damals in seinen Studiën zur DescendentTheorie ausgesprochene Einsicht, dass der Farbendimorphismus bei den Sphingiden-Raupen einer und derselben Art durch einen Umfarbungsprozess entstehe, wodurch allmahlich eine altere Farbe durch eine neue verdrangt werde, enthielt die erste ernsthafte Observation hinsichtlich der Farbenevolution und zugleich die Grondlage zu deren Erklarung. Im Banne der henschenden darwinistischen ldeen befangen, begnügte sich dieser Gelehrte unglücklicherweise damit, diese Erscheinung apodictisch und also auch ober- rerstanden — eincs' derartigcn Erfolgs nicht rlihmen. Nienand hat sie bis heute ernsthaft untersucht und niemand lat sie denn auch nur im gcringsten wicderlegt, wenn man uich in der Wissenschaft mit allerlei Fahnchen herumlauft, tuf denen man Melanismus, Albinismus, Flavismus, Xanthismus, Rufismus, Ausfarbung, Temperatur- oder Klimaiinflüsse und dergleichen Schlagwörter lesen kann, ohne dass naan jedoch in Wirklichkeit etvvas damit erklart. Geschlagen fuhle ich mich also keinesvvegs, dieses Werk moge Zeugnis da von ablegen, so grosse Schreierei gegen meine Ansicht auch s{ch erhoben hat. Meines Mangels an Wehrhaftigkeit werden >ich meine Gegner auch noch wohl nicht rühmen können. Mur nötigt mich dieses Geschrei, mich etwas stolzer auszusprechen, als ich es vielleicht sonst getan hatte. Ich beabsichtige in kurzem, als Anfang einer Behandlung der Rhopalocerenfauna von Java, eine Monographie der javanischen Pieriden zu veröffentlichcn und in derselben mehrere Beispiele von Farbenevolution genau und mit Abbildungen erlautert zu besprechen. Sollte sicli jemand dazu imstande fühlen, die anzuführenden Falie auf andrem Wege — nicht eber nur durch hohle Phrasen, phantastische Klimaeinflüsse und dergleichen — in annehmbarer Weise zu erklaren, so wird ihm dann dazu die Gelegenheit geboten werden. Was endlich das betrifift, warauf ich im letzten Teil von M. S. D. hinwies, und worauf mein Streben sich hauptsachlich richtete, namlich das Unmoralische der Darwinistischen Lehrsatze und ihren verderblichen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben, so zeigte man sich von vielen Seiten seitdem mit dieser Aufïfassung einverstanden, sogar der ebengenannte spezielle Kampe für den Darwinismus, Prof. Dr. 1'LATE, befindet sich hier in meiner Gefolgschaft. Wenn ich nun auch auf den gewöhnlichen oder normalen Tragheitswiderspruch gestossen bin, der sich gegen jeden flachlich als eine Tatsache mimetischer Anpassung zu deuten, ohne dass er sich die Miihe gab, die Art derselben wirklich zu uutersuchen. Das sollte meine Sache werden. vvissenschaftlichen Fortschritt geltend macht ') so hat das nicht verhindert, dass ich kaum vier Jahre nach meiner Veröffentlichung auf obengcnannte Tatsachcn zurückblicker kann. Mit diesem sachlichen Erfolg darf nun mit Recht einer, der, wie ich, als Autodidakt auf biologischem Gebiete,; als Naturforscher ohne Schulgelehrtheit, es gewagt hat diesen Kampf zu unternehmen, zufrieden sein. Nicht jedermann kann sich eines solchen Erfolgs rühmen. Was soll dagegen alles persönliche Geklaffe und Anbellen? Wie unverschamt es auch auftrat, es war doch nichts andres als ein morituri te salutant, das die dem Tode geweihten Sklaven der hochtronenden Wissenschaft zuriefen. Dass nun morituri bitter gestimmt sind, lasst sich begreifen, der Triumphwagen der Wissenschaft aber setzt über deren Leichen den Siegeslauf fort. So ziehe ich dann auch in diesem zweiten Teil unversehrt und in voller Wafïfenrüstung wieder in ihren vordersten Reihen auf. Vieles was ich früher schon besprach, habe ich darin naher beleuchtet oder begründet. Darauf habe ich mich aber nicht beschrankt. Eine neue Einsicht in die vitalistische Aufïfassung hofïfe ich eröffnet zu haben. Viel meine ich zu einem richtigern Begrifif des Evolutionsprozesses beigetragen und damit auch eine bessere Würdigung desselben 1) Am Amfange dieses Werkes habe ich auf die Schwierigkeiten und Verleumdungen hingewiesen, womit sogar spater berühmt gewordene Manner in den ersten Zeiten, da sie mit ihren neuen Ansichte zutage traten, zu kampfen hatten. So fiel vor kurzem mein Auge auch auf das, was Driesch in Bezug auf A. Wigand schreibt, als dieser im Jahre 1874 als Kritiker gegen den Darwinismus aufgetreten war. „Ich kann aus eigner Erfahrung berichten, dass es noch Ende der achtziger Jahre unter Zooiogen für gewissermassen nicht anstacdig galt, von Wigands grosser Kritik anders als in den abfalligsten Ausdrücken zu reden, und in jenem Manne etwas andres als einen ausgemachten Idioten zu sehen". Sehr bemerkenswert sind auch die groben Angriffe, denen unliingst H. Piéron ausgesetzt gewesen ist, weil er es gewagt hatle das Vorkommen menschlicher Artefakte in Miocan — der sogenannten Eolithen — zu bestreiten und mit triftigen Griinden dargelegt hatte, dass die betreffenden Silexsteine Naturprodukte sein sollen. Man sehe darüber in der Revue Seientifique (Revue rose) vom 26 Jan. 1907 unter den Notes et Informations die Mitteilung: propos de l'homme tertiaire" CS. 119). auf dcm psychologischen Gcbictc vorbereitet zu haben, damit sich auf dicser neuen Grundlage in dor psychologischen Wissenschaft eine klarere Auflfassung des Menschen geltend mache. Denn nur daraus kann die wahre Erkenntnis seiner gesellschaftlichen Entwicklung hervorgehen, die fur eine cxesunde Reform eben dicser Gesellschaft unentbehrlich ist. Jetzt wird sie durch Irrbegriffe und Irrlehren dermassen beherrscht, dass aus ihren Einrichtungen für den Menschen viclcs Elend entsteht. Nach vielen Jahrhunderten eines unbewussten oder nur vag bewussten Lebens ist die geistige Entwicklung des Menschen heute soweit vorwiirts gekommen, dass die fortgeschritteneren wenigstens fiihig geworden sind, das Wesen und die Richtung seiner gesellschaftlichen Evolution zu erfassen und demnach seihe gesellschaftlichen Einrichtungen zu seinem Wohl nach dieser Richtung hin zu regcln. Eine tief einschneidende Reform des Bestehenden wird die Folge dessen sein müssen. Nur auf diese Weise jedoch kann das gesellschaftliche Leben des Menschen aus seinem heutigen Zustand der Dekadenz befreit und zu einer neuen, kraftigen, weitern Entwicklung erweckt werden. 13a ich diese Einsicht erlangt zu haben glaube, wünsche ich auch an ihrer Verwirklichung mitzuarbciten. So ist es ja die Pflicht und Schuld,gkeit eines jeden, der sich dazu imstande gcfühlt. Dem aber, der vvirklich den Beweis liefern kann, dass er diesen hohen, intelligenten Standpunkt einnimmt, wird eine gewisse Selbstbefriedigung wahrlich nicht versagt bleiben. Aber wie dem auch alles sei, was ich niederschneb, war nun einmal meine Auffassung der Dinge; nach ihr handle ich und ihr gemass spreche ich mich auch dem 1'ubhkum gegenuber aus &Ob man das nun billigt oder nicht,, ist mir gleichgultig. Manche Kritiker verraten allerdings durch ihre Unehrlichkeit und Gehassigkeit eine echt teuflische Natur. Das s'nd aber nur kleine Teufel; ich fürschte sie nicht. Dem grossen Druckteufel bin ich jedoch nicht gewachsen.