I i kiiiilüiM n lioT 1*[ aVj i||U# éul|l r,fe5j ?} *10: fJL LilVI4 ril f 4 lilH N joJ èJ DICHTER DER GEGENWART m7 6 - 1 1 1 8 DICHTER DER =— GEGENWART EINE BLÜTENLESE AUS NEUERER DEUTSCHEN LYRIK HERAUSGEGEBEN VON Pr. K. MAILANDER. ERSTER BAND. C. L. G. VELDT - AMSTERDAM. Stoomdrukkerij — H. Germs FHzn. — Doesburg \nnetle v. Droste- Hülshotf. Annette v. Droste-Hiilshoff Gcb. am 10 Jcinuar 1707, gest. am 24 Mai 1848. «Gedichte* 1854. — «Neue Lieder» 1870. — «Auf dem Heimweg* 1891. HEIDEBILDER. Der Weiher. Er liegt so stil! im Morgenlicht, so friedlich, wie ein fromtn Gewissen ; wenn Weste seinen Spiegel küssen, des Ufers Blume fühlt es nicht; Libellen zittern flber ihn, blaugoldne Stabchen und Karmin, und auf des Sonnenbildes Glanz die Wasserspinne führt den Tanz; Schwertlilienkranz am Ufer steht und horcht des Schilfes Schlummerliede; ein lindes Sauseln kommt und geht, als flüstr' es: Friede! Friede! Friede! Stille, er schlaft! stille, stille! Libelle, reg' die Schwingen sacht, dasz nicht das Goldgewebe schrille, und, Ufergrün, hab' gute Wacht, Kein Kieselchen lasz niederfallen. Er schlaft auf seinem Wolkenflaum, und iiber ihm laszt sauselnd wallen das Laubgewölb der alte Baum; hoch oben, wo die Sonne glüht, wieget der Vogel seine Fliigel, und wie ein schlüpfcnd Fischlein zieht sein Schatten durch des Teiches Spiegel. Stille, stille! er hat sich geregt, ein fallend Reis hat ihn bewegt, das grad zum Nest der Hanfling trug; su, su! breit', Ast dein grünes Tuch — su, su! nun schlaft er fest genug. Das öde Haus. Tiefab im Tobel liegt ein Haus, zerfallen nach des Försters Tode. dort ruh' ich manche Stunde aus, vergraben unter Rank' und Lode; s'ist eine Wildnis, wo der Tag nur halb die schweren Wimpern lichtet; der Felsen tiefe Kluft verdichtet ergrauter Aste Schattenhag. Ich horche traumend, wie im Spalt die schwarzen Fliegen taumelnd summen, wie Seufzer streifen durch den Wald, am Strauche irre Kafer brummen; wenn sicli die Abendröte drangt an sickemden Geschiefers Lauge, dann ist 's, als ob ein trübes Auge, ein rotgeweintes, drüber hangt. Wo an zerriss'ner Laube Joch die langen magern Schossen streichen, an wildverwachsner Hecke noch im Moose Nelkensprossen schleichen, dort bat vom tröpfelnden Gestein das dunkle Nasz sich durchgesogen, krcucht um den Buchs in tragen Bogen und sinkt am Fenchclstrauche cin. Das Dacli, vom Moose überschwellt, laszt wirre Schober niederragen, und eine Spinne liat ihr Zelt iin Fensterloche aufgeschlagen; da hangt, ein Blatt von zartem Flor, der schillernden Libelle Flügel, und ihres Panzers goldner Spiegel ragt kopflos am Gesims hervor. Zuweilen hat ein Sclimetterling sich gaukelnd in der Schlucht gefangen und bleibt sekundenlang am Ring der krankelnden Narzisse hangen; streieht eine Taube durch den Hain, so schwcigt am Tobelrand ihr Girreti, man höret nur die Flügel schwirren und sieht den Schatten am Gestein. Und auf dem Herde, wo der Schnee seit Jahren durch den Schlot gcflogen, liegt Aschenmoder feucht und ziih, von Pilzes Glocken überzogen; noch hangt am Mauerpflock ein Rest verwirrten Wergs, das Seil zu spinnen, wie halbvermorschtes Haar und drinnen der Schwalbe überjjihrig Nest. Und von des Balkens Haken nickt ein Schellenband an Schnall' und Riemen, mit grober Wolle ist gestickt »Diana" auf dem Lederstriemen; ein Pfeifchen auch vergasz man hier, als man den Tannensarg geschlossen; den Mann begrub man, tot geschossen hat man das alte trcue Tier. Sitz' ich so einsam am Gestrauch und hör' die Maus im Laube schrillen, das Eichhorn blafft von Zweig zu Zweig, am Sumpfe lauten Unk' und Grillen, — wie Schauer überlauft's mich daim, als hör' ich klingeln noch die Schellen, im Walde die Diana bellen und pfeifen noch den toten Mann. Der Heidemann. »Geht, Kinder, nicht zu weit ins Bruch ! Die Sonne sinkt, schon surrt den Flug die Biene matter, schlafgehemmt, am Grunde schwimmt ein blasses Tuch, der Heidemann kömmt 1" Die Knaben spielen fort am Raine, sie rupfen Graser, schnellen Steine, sie platschern in des Teiches Rinne, erhaschen die Phalan' am Ried und freun sich, wenn die Wasserspinne langbeinig in die Binsen flieht. „Ihr Kinder, legt euch nicht ins Gras! Seht, wo noch grad die Biene sasz, wie weiszer Ranch die Glocken füllt. Scheu aus dem Busche glotzt der Has, der Heidemann schwillt". Kaum hebt ihr schweres Haupt die Schmehle noch aus dem Dunst, in seine Höhle schiebt sich der Kafer, und am Halme die trage Motte höher kreucht, sich flüchtend vor dem feuchten Qualme, der unter ihre Flügel steigt. «Ihr Kinder, haltet euch bei Flaus! Lauft ja nicht in das Bruch hinaus; seht, wie bereits der Dorn ergraut, die Drossel achzt zum Nest hinaus; der Heidemann braut!" Man sieht des Hirten Pfeife glimmen und vor ihm her die Herde schwimmen, wie Proteus seine Robbenscharen heimschwemmt im grauen Ozean. Am Dach die Schwalben zwitschernd fahren, und melancholisch kraht der Hahn. „Ihr Kinder, bleibt am Hofe dicht! Seht, wie die feuchte Nebelschicht schon an des Pförtchens Klinke reicht; am Qrunde schwimint ein falsches Licht, der Heidemann steigt!" — Nun strecken nur.der Föhren Wipfel noch aus dem Dunste grüne Oipfel, wie übern Schnee Wacholderbüsche; ein leises Brodeln quillt im Moor, ein schwaches Schrillen, ein Qezische dringt aus der Niederung hervor. „Ihr Kinder, kommt schnell herein! Das Irrlicht zündet seinen Schein, die Kröte schwillt, die Schlang' im Ried; jetzt ist 's unheiinlich drauszen sein, der Heidemann zieht!" — Nun sinkt die letzte Nadel, rauchend zergeth die Fichte, langsam tauchend steigt Nebelschemen aus dem Moore, mit Hünenschritten gleitet's fort; cin irres Leucliten zuckt im Rohre, der Krötenchor beginnt am Bord. Und plötzlich sclieint ein schwaches Olühen des Hünen Olieder zu durchziehen; es siedet auf, es farbt die Wellen, der Nord, der Nord entzündet sich — Glutpfeile, Feuerspeere schnellen, der Horizont ein Lavastrich! „Gott gnad' uns! wie es zuckt und draut, wie 's schwelet an der Dünenscheid'! Ihr Kinder, faltet eure Hand', das bringt uns Pest und teure Zeit — der Heidemann brennt!" — Der Knabe im Moor. O, schaurig ist 's, übers Moor zu gehn, wenn es wimmelt vom Heiderauche, sich wie Phantome die Dünste drelin und die Ranke hakelt am Strauche, unter jedem Tritte ein Quellchen springt, wenn aus der Spalte es zischt und singt — O, schaurig ist 's übers Moor zu gehn, wenn das Röhricht knistert im Hauche! Fest halt die Fibel das zitternde Kind und rennt, als ob man es jage; liohl über die Flache sauset der Wind — was raschelt drüben am Hage? Das ist der gespenstige Graberknecht, der dem Meister die besten Torfe verzecht; hu, hu, es bricht wie ein irres Rind! Hinducket das Knablein zage. Vom Ufer starret Gestumpf hervor, unheimlich nicket die Föhre, der Knabe rennt, gespannt das Ohr, durch Riesenhalme wie Speere. Und wie es rieselt und knittert darin! Das ist die unselige Spinnerin, das ist die gebannte Spinnlenor', die den Haspel dreht im Geröhre! Voran, voran, nur immer im Lauf, voran, als woll' es ihn holen! vor seinem Fusze brodelt es auf, es pfeift ihm unter den Sohlen wie eine gespenstige Melodei; das ist der Geigenmann ungetreu, das ist der diebische Fiedler K'.iauf, der den Hochzeitheller gestohlen! Da birst das Moor, ein Seufzer gelit hervor aus der klaffenden Höhle; weh, weh, da ruft die verdammte Margret „Ho, ho, meine arme Seele!" Der Knabe springt wie ein wundes Reh; war' nicht Schutzengel in seiner Nah,' seine bleichenden Knöchelcheri fande spilt ein Graber im Moorgeschwele. Da mahlich gründet der Boden sich, und drüben, neben der Weide, die Lampe flimmert so heimatlich, der Knabe steil t an der Scheide. Tief atmet er auf, zum Moore zuriick noch immer wirft er den scheuen Bliek: Ja, im Geröhre war's fürchterlich, o, schaurig war 's in der Heide! Das Haus in der Heide. Wie lauscht, vom Abendschein umzuckt, die strohgedeckte Hütte, recht wie im Nest der Vogel duckt, aus dunkier Föhren Mitte. Am Fensterloche streckt das Haupt die weiszgestirnte Sterke, blast in den Abendduft und schnaubt und stöszt ans Holzgewerke. Seitab ein Gartchen, dornumhegt, mit reinlichem Gelande, wo matt ihr Haupt die Glocke tragt, aufrecht die Sonnenwende. Und drinnen kniet ein stilles Kind, das scheint den Grund zu jaten, nun pflückt sie eine Lilie lind und wandelt langs den Beeten. Am Horizonte Hirten, die im Heidekraut sich strecken und mit des Aves Melodie trimmende Lüfte wecken. Und von der Tenne ab und an schallt es wie Hammerschlage, der Hobel rauscht, es fallt der Span. und langsam knarrt die Sage. Da hebt der Abendstern gemach sich aus den Föhrenzweigen, und grade ob der Hütte Dach scheint er sich mild zu neigen. Es ist ein Bild, wie still und heisz es alte Meister hegten, kunstvolle Mönche, und mit Fleisz, es auf den Goldgrund legten: Der Zimmermann — die Hirten gleich init ihrem frommen Liede, die Jungfrau mit dem Lilienzweig, und rings der Gottesfriede. Des Sternes wunderlich Geleuclit aus zarten Wolkenfloren — Ist etwa hier im Stall vielleicht Christkindlein lieut geboren? Das Hirtenfeuer. Dunkel, dunkel im Moor, iiber der Heide Nacht, uur das rieselnde Rohr neben der Mühle wacht, und an des Rades Speichen schwellende Tropfen schleichen. Unke kauert im Suinpf, Igel im Grase duckt, in dem modernden Sumpf schlafend die Kröte zuckt, und am sandigen Hange rollt sich fester die Schlange. Was klimmt dort liinterm Ginster und bildet lichte Scheiben? Nun wirft es Funkenflinster, die löschend niederstauben; nun wieder alles dunkel — ich hör' des Stahles Pieken, ein Knistern, ein Gefunkel, und auf die Flammen zücken. Und Hirtenbuben hoeken im Kreis umlier, sie strecken die Hande, Torfes Broeken seh ich die Lohe lecken; da bricht ein slarker Knabe aus des Gestrüppes Windel und schleifet nach im Trabe ein wüst Wacholderbündel. Er laszt 's am Feuer kippen — hei, wie die Buben johlen und mit den Fingern schnippen die Funken-Girandolen! Wie ihre Zipfelmi'itzen am Ohre lustig flattern, und wie die Nadeln spritzen, und wie die Aste knattern! Die Flamme sinkt, sie hoeken aufs neu umher im Kreise, und wieder fliegen Broeken, und wieder schwelt es leise; glührote Lichter streichen an Haarbusch und Gesichte, und schier Damonen gleichen die kleinen Heidewichte. Der da, der Unbeschuhte, was streckt er in das Dunkel den Arm wie eine Rute, im Kreise welch Gemunkel? Sie spahn wie junge Geier von ihrer Ginsterschütte, ha, noch ein Hirtenfeuer, recht an des Dammes Mitte! Man sieht es eben steigen und seine Schimmer breiten, den wirren Funkenreigen übern Wacholder gleiten; die Buben flüstern leise, sie rauspern ihre Kehlen, und alte Heideweisen verzittern durch die Schmehlen. „Helo, heloe! Heloe, loe! Komm du auf unsre Heide, wo ich meine Schaflein weide, komm, o komm in unser Bruch, da gibt 's der Blüuieleïn genug! — Helo, heloe!" Die knaben scliweigen, lauschen nach Tann, und leise durch den Ginster zieht's heran: Gegenstrophe. „Helo, heloe! Ich sitze auf dem Walle, meine Schaflein schlafen alle, komm, o komm in unsern Kamp, da wiichst das Gras wie Bram so lang! — Helo, heloe! Heloe, loe!" Die tote Lerche. Ich stand an deines Landes Grenzen, an deinem grünen Saatenwald, und auf des ersten Strahles Glanzen ist dein Gesang herabgewallt. Der Sonne schwirrtest du entgegen, wie eine Mücke nach dem Licht, dein Lied war wie ein Blütenregen, dein Flügelschlag wie ein Gedicht. Da war es mir, als miisse ringen, ich selber nach dein jungen Tag, als horch ich meinem eignen Singen und meinem eignen Flügelschlag; die Sonne sprühte glühe Funken, in Flammen brannte mein Gesicht, ich selber taumelte wie trunken, wie eine Mücke nach dem Licht. Da plötzlich sank und sank es nieder, gleich toter Kohle in die Saat, noch zucken sah ich kleine Glieder, und bin erschrocken dann genaht; dein letztes Lied, es war verklungen, du lagst, ein armer kalter Rest, am Strahl verflattert und versungen bei deinem halbgebauten Nest. Ich möchte Tranen um dich weinen, wie sie das Weh vom Herzen drangt, denn auch mein Leben wird verscheinen, ich fühl's, versungen und versengt; dann du, mein Leib, ihr armen Reste! dann nur ein Grab auf grüner Flur, und nah nur, nah bei meinem Neste, in meiner stillen Heimat nur! Der sterbende General. Er lag im dichtverhiingten Saai, wo grau der Sonnenstrahl sicli brach, auf seinem Schmerzensbette lag der alte kranke General. Genüber ihm am Spiegel hing Echarpe, Orden, Feldherrnstab. Still war die Luft, am Fenster ging langsam die Schildwach auf und ab. Wie der verwitterte Soldat so sturnm die letzte Fehde kampft! Zwölf Stunden, seit zuletzt gedampft um „Wasser" er, urn „Wasser" bat. An seinem Kissen beugten zwei, des einen Auge rotgeweint, des andern düster, fest und treu, ein Diener und ein alter Freund. „Tritt seitwarts", sprach der eine, „lasz ihn seines Standes Ehren sehn! — Den Vorliang weg, dasz flatternd wehn die Bander an dem Spiegelglas!" Der Kranke sclilug die Augen auf, man sah wohl, dasz er ihn verstand, ein Bliek, ein leuchtender, und drauf hat er sich düster abgewandt. „Denkst du, mein alter Kamerad, der jubelnden Viktoria? Wie flogen unsre Banner da durch der gemahten Feinde Saat! Denkst du an unsers Prinzen Wort: „Man sieht es gleich, hier stand der Wart! Schnell, Konrad, nehmt die Decke fort, sein Odem wird so kurz und hart!" Der Obrist lauscht, er murmelt sacht: „Verkümmert wie ein welkes Blatt! Das Dutzend Friedensjahre hat zum Kapuziner ihn gemacht. — Wart! Wart! du hast so frisch und licht so oft dem Tode dich gestellt, die Furcht, ich weisz es, kennst du nicht, so stirb auch freudig wie ein Held! Stirb, wie ein Leue, adelig, in seiner Brust das Bleigeschosz, o stirb nicht, wie ein zahnlos Rosz, das zappelt vor des Henkers Stich! — — Ha, seinem Auge kehrt der Strahl! — Stirb, alter Freund, stirb wie ein Mann!" Der Kranke zuckt, zuckt noch einmal, und „Wasser, Wasser" stöhnt er dann. Leer is die Flasche. — „Wache dort, he, Wache, du bist abgelöst! Schau, wo ans Haus das Oitter stöszt, lauf, Wache, lauf zum Borne fort! — 's ist auch ein grauer Knasterbart, und strauchelt wie ein Dromedar — nur schnell, die Sohlen nicht gespart! Was, alter Bursche, Tranen gar?" „Mein Kommandant," spricht der Ulan grimmig verschamt, „ich dachte nach, wie ich blessiert am Strauche lag, der General mir nebenan, und wie er mir die Flasche bot, selbst diirstend in dem Sonnenbrand, und sprach: „Du hast die schlimmste Not", dran dacht ich nur, mein Kommandant!" Der Kranke horcht, durch sein Gesicht zieht ein verwittcrt Lacheln, dann schaut fest den Veteran er an. — Die Seele, der Viktorie nicht, nicht Fiirstenwort gelost den Flug, auf einem Tropfen Menschlichkeit schwimmt mit dem letzten Atemzug sie lachelnd in die Ewigkeit. Wasser. Alles still ringsum — die Zweige ruhen, die Vögel sind stumm. Wie ein Schiff, das im vollen Gewasser brennt und das die Windsbraut jagt, so durch den Azur die Sonne rennt, und immer flammender tagt. Natur schlaft — ihr Odem stcht, ihre grünen Locken hangen schwer, nur auf und nieder ihr Pulsschlag geht ungehemmt im heiligen Meer. Jedes Raupchen sucht des Blattes Hülle, Jeden Kiifer nimint sein Grübchen auf; nur das Meer liegt frei in seiner Fülle und blickt zum Firmament hinauf. In der Bucht wiegt ein Kahn, ausgestreckt der Fischer drin, und die lange Wasserbahn schaut er traumend iiberhin. Neben ihm die Zweige hangen, unter ihm die Wellchen drangen, platschernd in der blauen Flut scbaukelt seine heisze Hand: „Wasser," spricht er, „Welle gut, hauchst so kühlig an den Strand Du, der Erde köstlich Blut, meinem Blute nah verwandt, sendest deine blanken Wellen, die jetzt kosend um mich schwellen, durch der Mutter weites Reich, Börnlein, Strom und glatter Teich, und an meiner Hütte gleich schliirf' ich dein gelautert Gut, und du wirst mein eignes Blut, liebe Welle! heil'ge Flut!" — Leiser platschernd schlaft er ein, und das Meer wirft seinen Schein um Gebirg und Feld und Hain; und das Meer zieht seine Bahn um die Welt und um den Kahn. Die junge Mutter. Im grün verhangnen duftigen Gemach, auf wciszen Kissen liegt die junge Mutter; wie brennt die Stirn ! sie hebt das Auge schwach zum Bauer, wo die Nachtigall das Futter den naekten Jungen reicht: „Mein armes Tier," so flüstert sie, „und bist du aucli gefangen gleich mir, wenn drauszen Lenz und Sonne prangen, so hast du deine Kleinen doch bei dir." Den Vorhang hebt die graue Warterin und legt den Finger mahnend auf die Lippen ; die Kranke dreht das schwere Auge hin, gefallig will sie von dem Tranke nippen; er mundet schon, und ihre bleiche Hand faszt fester den Kristall, — o milde Labe! — „Elisabeth, was macht mein kleiner Knabe?" „Er schlaft," versetzt die Alte abgewandt. Wie mag er zierlich liegen! — Kleines Ding! — und selig lachelnd sinkt sie in die Kissen; ob man den Schleier um die Wiege hing, den Schleier, der am Erntefest zerrissen? Man sieht es kaum, sic flickte ihn so nett, dasz alle Frauen höchlich es gepriesen. Und eine Ranke liesz sie driiber sprieszen. „Was lautet man im Dom, Elisabeth?" „Madame, wir haben heut' Mariatag." So hoch im Mond ? sie kann sich nicht besinnen. — Wie war es nur? — Doch ihr Oehirn is schwach, und leise suchend zieht sie aus den Linnen ein Haubchen, in dem Strahle kümmerlich laszt sie den Faden in die Nadel gleiten; so ganz verborgen will sie es bereiten, und leise, leise zieht sie Stich um Stich. Da öffnet knarrend sich die Kammertür, vorsicht'ge Schritte übern Teppich schleichen. „Ich schlafe nicht, Rainer, komm her, komm hier! Wann wird man endlich mir den Knaben reichen ?" Der Oatte blickt verstohlen himmelwarts, küszt wie ein Hauch die kleinen heiszen Hande: „Geduld, Geduld, mein Liebchen, bis zum Ende! Du bist noch gar zu leidend, gutes Herz." „Du duftest Weihrauch, Mann." — „Ich, war im Dom schlaf, Kind!" und wieder gleitet er von dannen, Sie aber naht, und liebliches Phantom spielt um ihr Aug' von Auen, Blumen, Tannen. — Ach, wenn du wieder siehst die grflne Au, siehst iiber einem kleinen Hügel schwanken den Tannenzweig und Blumen driiber ranken, dann troste Gott dicli, arme junge Frau! Am Turme. Ich steli' auf hohem Balkone am Turm, umstrichen vom schreienden Stare, und lass' gleich einer Manade den Sturm mir wiihlen im flatternden Haare; o wilder Geselle, o toller Fant, ich möchte dich kraftig umschlingen, und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand auf Tod und Leben dann ringen! Und drunten sch' ich am Strand, so frisch wie spielende Doggen, die Wellen sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch und glanzende Flocken schnellen. O, springen möcht' ich hinein alsbald recht in die tobende Meute und jagen durch den korallenen Wald das Walrosz, die lustige Beute! 2 Und drüben seh' ich ein Wimpel wehn so keek wie eine Standarte, seh' auf und nicder den Kiel sich drehn von meiner luftigen Warle; o, sitzen mocht' ich im kampfenden Schiff, das Steuerruder ergreifen und zischend über das brandende Riff wie eine Seemöwe streifen. War' ich cin Jiiger auf freier Flur, ein Sttick nur von einem Soldaten, war' ich ein Mann doch mindestens nur, so würde der Himmel mir raten; nun musz ich sitzen so fein und klar glcich einem artigen Kinde und darf nur heimlich lösen mein Haar und lassen es flattern im Winde! Mondesaufgan£. An des Balkones Oitter lehnte ich Und wartete, du mildes Licht, auf dich. Iioch über mir, gleich trübem Eiskristalle Zerschmolzen schwamm des Firmamentes Malle Der See verschimmerte mit leisem Dehnen, — Zerflossne Perlen oder Wolkentranen ? Es rieselte, es dammerte um mich, Ich wartete, du mildes Licht, auf dich. Hoch stand ich, neben mir der Linden Kamm, Tief unter mir Oezweige, Ast und Stamm; lm Laube summte der Phalanen Reigen, Die Feuerfliege sah ich glimmend steigen, Und Bliiten taumelten wie halb entschlafen; Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen, Ein Herz, das übervoll von Gliïck und Leid Und Bildern seliger Vergangenheit. Das Dunkel stieg, die Schatten drangen ein, — Wo weilst du, weilst du denn, mein milder Schein! — Sic drangen ein wie siindige Gcdanken, Des Firmamentes Woge schien zu schwanken, Vcrzittert war der Feuerfliege Funkcn, Langst der Phalane an den Grund gesunken, Nur Bergeshaupter standen hart und nali, Ein diistrer Richterkreis, im Diister da. Und Zweige zischelten an meinem Fusz Wie Warnungsfliistern oder Todesgrusz; Ein Summen stieg im weiten Wassertale Wie Volksgemurmel vor dein Tribunale; Mir war, als müszte etwas Rechnung geben, Als stelie zagend ein verlornes Leben, Als stehe ein verkiimmert Herz allein, Einsam mit seiner Schuld und seiner Pein. Da auf die Wellen sank ein Silberflor, Und langsam stiegst du, frommes Licht, cmpor; Der Alpen finstre Stirnen strichst du leise, Und aus den Richtern wurden sanfte Greise, Der Wellen Zucken war ein lachelnd Winken, An jedem Zweige sah ich Tropfen blinken, Und jeder Tropfen schien ein Kammerlein, Drin flimmerte der Heimatlampe Schein. O Mond, du bist mir wie ein spater Freund, Der seine Jugend dem Verarmten eint, Um seine sterbenden Erinnerungen Des Lebens zarten Wiederschein geschlungen, Bist keine Sonne, die entziickt und blendct, In Feuerströmcn lebt, in Blute endet, — Bist, was dem kranken Sanger sein Gedicht, Ein fremdes, aber o ein mildes Licht. Eduard Mörike Geb. am 8 September 1804, gent. am 4 Juni 1875. — «Gedichte», 1838. Er ist 's. Frühling laszt sein blaues Band wieder flattern durch die Liifte; süsze, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Latid. Veilchen traumen schon, wollen balde kommen. - Horch, von fern ein leiser Harfenton Frühling, ja du bist's! Dich hab' ich vernommen! Die traurige Krönung. Es war ein König Milesint, von dem will ich euch sagen: Der meuchelte sein Bruderkind, wollt selbst die Krone tragen. Die Krönung ward mit Prangen auf Liffey-Schlosz begangen. O Irland! Irland! warest du so blind? Der König sitzt um Mitternacht Eduard Mürike im leeren Marmorsaale, sieht irr in all die neue Pracht, wie trunken von dem Mahle; er spricht zu seinem Sohne: „Noch einmal bring die Krone! Doch schau, wer hat die Pforten aufgemacht ?" Da kommt ein seltsam Totenspiel, ein Zug mit leisen Tritten, vermummte Gaste grosz und viel, eine Krone schwankt in Mitten; es drangt sich durch die Pforte mit Flüstern ohne Worte; dem Könige, dem wird so geisterschwül. Und aus der schwarzen Menge blickt ein Kind mit frischer Wunde; es lachelt sterbensweh und nickt, es macht im Saai die Runde, es trippelt zu dem Throne, es reichet eine Krone dem Könige, des Herze tief erschrickt. Darauf der Zug von dannen strich, von Morgen luft berauschet, die Kerzen flackern wunderlich, der Mond am Fenster lauschet; der Sohn mit Angst und Schweigen zuin Vater tat sich neigen, — er neiget über eine Leiche sich. Elfenlied. Bei nacht im Dorf der Wachter rief: Elfe! Ein ganz kleines Elfchen im Walde schlief — wohl um die elfe! — und meint, es rief ihm aus dem Tal bei seinem Namen die Nachtigall, oder Silpelit hatt' ilim gerufen. Reibt sich der Elf' die Augen aus, begibt sich vor sein Schneckenhaus und ist als wie ein trunken Mann, sein Schlaflein war nicht voll getan, und humpelt also tippe tapp durchs Haselholz ins Tal hinab, schlupft an der Mauer hin so dicht, da sitzt der Olühwurm, Licht an Licht. „Was sind das helle Fensterlein? Da drin wird eine Hochzeit sein: die Kleinen sitzen beim Mahle und treiben's in dem Saaie. Da guck' ich wohl ein wenig 'neiti!" — Pfui, stöszt den Kopf an harten Stein Elfe, geit, du hast genug? Gukuk! Gukuk! Der Feuerreiter. Sehet ihr am Fensterlein dort die rote Mütze wieder? Nicht geheuer musz es sein; denn er geht schon auf und nieder. Und auf einmal welch Gewühle bei der Brücke, nach dem Feld! Horch! das Feuerglöcklein geilt: Hinterm Berg, hinterm Berg brennt es in der Mühle! Schaut! da sprengt er wütend schier durch das Tor, der Feuerreiter, auf dem rippendürren Tier, als auf einer Feuerleiter! Querfeldein! Durcli Qualm und Schwüle rennt er schon und ist am Ort! Driiben scliallt es fort und fort: Hinterm Berg, hinterm Berg brennt es in der Mühle! Der so oft den roten Halin meilenweit von fern gerochen, mit des heil'gen Kreuzes Span freventlich die Glut besprochen — weh! dir grinst am Dachgestühle dort der Feind im Höllenschein. Onade Gott der Seele dein! Hinterm Berg, hinterm Berg rast er in die Mühle! Keine Stunde hielt es an, bis die Mühle barst in Trümmer; doch den kecken Reitersmann sah man von der Stunde nimmer. Volk und Wagen im Gewühle kehren heirn von all dem Graus; auch das Glöcklein klinget aus: Hinterm Berg, hinterm Berg brennt's! — Nach der Zeit ein Müller fand ein Gerippe samt der Mützen aufrecht an der Kellerwand auf der beinern Mahre sitzen: Feuerreiter, wie so kühle reitest du in deinein Grab! Husch! da fallt's in Asche ab. Ruhe wohl, ruhe wohl drunten in der Mühle! Der Zauberleuchtturm. Des Zauberers sein Magdlein sasz in ihrem Saaie rund von Glas; sie spann beim hellen Kerzenschein und sang so glockenhell darein. Der Saai, als eine Kugel klar, in Lüften aufgeliangen war an einem Turm auf Felsenhöh', bei Nacht hoch ob der wilden See, und hing in Sturrn und Wettergraus an einem langen Arm hinaus. Wenn nun ein Scliiff in Nachten schwer sah weder Rat noch Rettung mehr, der Loise zog die Achsel schief, der Hauptmann alle Teufel rief, auch der Matrose wolt' verzagen: O weh niir arinen Schwartenmagen! Auf einmal scheint ein Licht von ferm als wie ein heller Morgenstern; die Mannschaft jauchzet überlaut: Heida! jetzt gilt es trockne Haut! Aus allen Kraften steuert man jetzt nach dem teuren Licht hinan, wie einer Zaubersonne Olast, darin ein Magdlein sitzt und spinnt, sich beuget ihr Gesang im Wind; die Miinner stehen wie verzückt, ein jeder nach dem Wunder blickt uud horcht und staunet unverwandt, dem Steuermann entsinkt die Hand, hat keiner acht mehr auf das Schiff; da kracht mit eins am Felsenriff, die Luft zerreiszt ein Jammerschrei: Herr Gott im Himmel, steh uns bei! Da löscht die Zauberin ihr Licht; noch einmal aus der Tiefe bricht verhallend Weli aus einen Mund; da zuckt das Schiff und zinkt zu Grund. Um Mitternacht. Gelassen stieg die Nacht ans Land, lehnt traumend an der Berge Wand, ihr Auge sieht die goldne Wage nun der Zeit in gleichen Schalen stille rulin; und kecker rauschen die Quellen hervor, sie singen der Mutter, der Nacht, ins Olir vom Tage, vom heute gewesenen Tage. Das uralt alte Schlummerlied, sie achtet 's nicht, sie ist es müd'; ihr klingt des Himmels Blaue süszer noch, der flücht'genStunden gleichgeschwuugnesjoch. Doch immer behalten die Quellen das Wort, es singen die Wasser im Schlafe noch fort vom Tage, vom heute gewesenen Tage. Rauberlied. Jung Volker, das ist unser Rauberhauptmann, Mit Fiedel und mit Flinte, Dainit er geigen und schieszen kann, Nachdetn just Wetter und Winde. Fiedel und die Flint', Fiedel und die Flint'! Volker spielt auf. Ich sah ihn hoch im Sonnenschein Auf einem Hügel sitzen: Da spielt er die Qeig' und schluckt roten Wein, Seine blauen Augen ihm blitzen. Fiedel und die Flint' Fiedel und die Flint'! Volker spielt auf. Auf einmal, er sclileudert die Qeig' in die Luft, Auf einmal, er wirft sich zu Pferde: Der Feind kommt! Da stöszt er ins Pfeifchen und ruft: Biecht ein wie der Wolf in die Herde! Fiedel und die Flint', Fiedel und die Flint'! Volker spielt auf. In der Frühe. Kein Schlaf noch kiililt das Auge mir, Dort gehet schon der Tag herfür An meinem Kammerfenster. Es wühlet mein verstörter Sinn Noch zwischen zweifeln her und liin Und schaffet Nachtgespenster. — Angste, quale Dicli nicht langer, ineine Seele! Freu dich! Schon sind da und dorten Morgenglocken wach geworden. Schöri-Rohtraut. Wie heiszt König Ringangs Töchterlein? Rohtraut, Schön-Rohtraut. Was thut sie denn den ganzen Tag, Da sie wohl nicht spinnen und nahen mag? Thut fischen und jagen. O dasz ich doch ihr Jager war'! Fischen und jagen freute mich selir. — Schweig stille, mein Herze! Und über eine kleine Weil', Rohtraut, Schön-Rohtraut, So dient der Knab' auf Ringangs Schlosz In Jagertracht und hat ein Rosz, Mit Rohtraut zu jagen. O dasz ich doch ein Königssohn war'! Rohtraut, Schön-Rohtraut lieb icli so selir. — Schweig stille, mein Herze! Einsmals sie ruhten am Eichenbaum, Da lacht Schön-Rohtraut: Was siehst mich an so wunniglich? Wenn du das Herz liast, küsse mich! Ach! erschrak der Knabe! Doch denket er: mir ist 's vergunnt, Und küsset Schön-Rohtraut auf den Mund. — Schweig stille, mein Herze! Darauf sie ritten schweigend lieim, Rohtraut, Schön-Rohtraut; Es jauchzt der Knab' in seinem Sinn: Und würd'st du heute Kaiserin, Mich sollt's nicht kranken: Ihr tausend Blatter im Walde wiszt, Ich hab' Schön-Rohtrauts Mund geküszt! — Schweig stille, mein Herze! Ein Stündlein wohl vor Tag. Derweii ich schlafend lag, Ein Stündlein wohl vor Tag, Sang vor dem Fenster auf dem Baum Ein Schwalblein mir, ich hört' es kaum, Ein Stündlein wohl vor Tag: Hör an, was ich dir sag', Dein Schatzlein ich verklag': Derweil ich dieses singen tu', Herzt er ein Lieb in guter Ruh Ein Stündlein wohl vor Tag. O weh! nicht weiter sag! O still! nichts hören mag! Flieg ab, flieg ab von meinem Baum! — Ach, Lieb' und Treu ist wie ein Traum Ein Stündlein wohl vor Tag. Das verlassene Magdlein. Früh, wann die Hahne krahn, Eh' die Sternlein verschwinden, Musz ich am Herde stehn, Musz Feuer zünden. Schön ist der Flammen Schein, Es springen die Funken; Ich schaue so drein, ln Leid versunken. Plötzlich, da kommt es mir, Treuloser Knabe, Dasz ich die Nacht von dir Getraumet habe. Trane auf Trane dann Stürzet hernieder; So kommt der Tag heran — O ging' er wieder! Hermann von Gilm Geh. am 1 November 1812, gest. am SI Mai 1864. «Tiroler Schützenleben» 1863. — «Gedichte» 1864— 65. — «Nachtrag» 18 68. — Ein Grab. Es liegen Veilchen dunkelblau auf einem Grab im Abendtau, ein kleines Madchen kniet davor und hebt die Hande fromm empor: „O sagt, ihr Veilchen, in der Nacht der Mutter, was der Vater macht, dasz ich schon stricken kann, und dasz ich tausendmal sie grüszeti lasz." Allerseelen. Steil' auf den Tisch die duftenden Reseden, Die letzten roten Astern trag' herbei, Und lasz uns wieder von der Liebe reden Wie einst im Mai. Gieb mir die Hand, dasz ich sieheimlich drücke, Und wenn man's sieht, mir ist es einerlei; Oieb mir nur einen deiner siiszen Blicke Wie einst im Mai. Es blülit und funkelt heut auf jedem Orabe Ein Tag im Jahre ist den Toten frei; Komm an mein Herz, dasz ich dich wieder habe, Wie einst im Mai. Himmel oder Frühlin£? Habt ihr mich hinausgetragen, in den Wald, den morgenfrischcn, wo die Nachtigallen schlagen in den jungen Rosenbüsclien ? Mutter, hilf mir aus dem Bette! Auf den Rasen möcht ich springen wie das Reh, und um die Wette möcht ich mit der Lerclie singen. Und von Blumen welch Gewimmel! Ach, so schön war's nie auf Erden! Mutter, sag, ist das der Himmel, oder will es Frühling werden ? Kinderglaube. Schlingt dein Arm sich um den meinen, Driick' ich deine Hand so lind, Dann, Geliebte, will mir 's scheinen, Ich sei wiederum ein Kind. Und ich könne wieder beten, Meiner stolzen Freiheit satt, Könne keine Blume treten, Weil sie eine Seele hat. Und die Kette sei zerrissen, Die an Raum und Zeit mich band, Und dein Auge sei mein Wissen Und dein Herz mein Vaterland. Ein König. Mein ist der Wald, und mir sitid untertanig Die freien Tannen und die stolzen Buchen Und alle wilden Rosen! Ich bin König, Doch nach mir wird's kein anderer versuchen; Denn heimlich hassen Blumen und die Baume Den Menschen, jeden stillen Glftcks Zerstörer. Wie hochverrat'risch sind oft Lilientraume, Wie stürmt in mancher Eiche der Empörer! Ich nahte nicht mit Waffen in den Handen, Den freien Baum als Sklaven zu verkaufen, Des Waldes Sanger um sein Licht zu blenden Und schone Blumenheidinnen zu taufen. Sie sahen mich gezeichnet von der Vehme Und horten laut die Welt mein Lied verhöhnen; Da wanden mir die Eichen Diademe, Da fingen mich die Rosen an zu kronen. Es muszte sein! Es muszte sein! Wir hatten nichts gemeinsam, Du warst kein Epheu, ich kein morscher Turm, Mich trieb es rastlos fort, du weintest einsam, Du warst die Rose, und ich war der Sturm. Es muszte sein, ob auch mein Mund verblaszte — Du warst kein Adler, ich kein Alpensitz, Du lagst auf deinen Knieen, wo ich haszte, Du warst die Palme, und ich war der Blitz. Es muszte sein! Was niitzt die spate Klage? Begehrlieh suchtest du, was ich vermied, Du liebtest die Geschichte, ich die Sage, Du warst das Leben, und ich war das Lied. In der Vesper. Herr Pfarrer macht den Segen kurz! Der Zieler Hans im Oarten Zieht schon die roten Hosen an, Und an der Stange rciszt die Falin' Und will nicht langer warten. Herr Pfarrer macht den Segen kurz! Und laszt euch etwas sagen: Der Priester ist ein Friedensmann, Das ist gewisz, indessen kann Er doch den Stutzen tra gen. Herr Pfarrer macht den Segen kurz! Der Freund in unsern Noten Sei auch bei unserm Spiel dabei! Probiert das Ding, es ist nicht neu Und ihr diirft niemand töten. Herr Pfarrer macht den Segen kurz! Der Wein ist auch geraten, Ihr schieszt und trinkt und gelit dann heim Und bringt das Ding in schone Reim' Samt unsrer Vater fhaten. Herr Pfarrer macht den Segen kurz! Der Zieler Hans im Garten Zieht schon die roten Hosen an, Und an der Stange reisst die Fahn' Und will nicht langer warten. Meditation. Was liegt nicht alles zwischen unsren Wegen' Nicht Berg' und Taler sind die wahren Schranken, Die Liebe kann die Berge niederlegen, Und Brücken bauen können die Gedanken. Im Menschen selber finden sich die Marken Und das Gesetz, Fremdartiges zu scheiden — Wir sitzen in der kleinsten aller Barken, Und endlos liegen Weiten zwischen beiden. Im grünen Wasser eine Felsenspitze, Ein Sturm, der kaum die Tannen beugt. was weiter Am Kiele eine fingerbreite Ritze — Und unser kleines Schifflein ging in Scheiter. Und sanken wir nun tief und immer tiefer, Und hjitt das Schilf uns noch so fest umschlungenEin fremder Körper war' ich dir, der Schiefer, Der in den glanzenden Kristall gedrungen. Es blüht die Welt. Es blüht die Welt, ich bin allein im Zimmer! Das junge Saatfeld schwimmt im Sonnenlicht, Die Lerche singt, berauscht von all' dem Schimmer, Der rings aus tausend Blumenaugen bricht. Ich bin allein, allein mit meinem Leide; Wer bist dn, nimmersatter Qualer? — Sprich 1 In deinein trüben Aug' erstarb die Freude Wir wollen kampfen, du und ich! 3 Du bist an meiner Wiege schon gesessen Und sangst mir deinen Wahnsinn in das Ohr, Du hast den Kelch mir bis zum Rand gemessen Als meine junge Mutter ich verlor. Du hast der Kindheit Frieden mir getötet, Für mich gab's keine Freude, keine Lust! Für mich hat keine Rose sich gerötet, Oeöffnet keine Menschenbrust. Ich liebe die, die mich so kalt behandelt! — Wie war mir wohl! Das nie gezahmte Iierz, Das ewig wilde, hat sie mir verwandelt, Und al!' mein Denken zog sie himmelwarts. Ob sie wohl weiss, wie grenzenlos ich leide? Wer tragt die stillen Seufzer zu ihr hin? Wer sagt ihr. das an diesem Tag der Freude Nur ich allein verlassen bin? Wer wird wohl heute dich an mich erinnern? Schaust du wohl auf zum blauen Himmelszelt? Qeht deine Seele wohl aus ihrem Innern Hinaus in diese blütenvolle Welt? Dann war' mir wohl, ich wüsst' sie bei Bekannten, Am Abendhimmel steht ein heller Stern, Der liebt mich, und im Wald hat den Verbannten Auch manches kleine Blümchen gern. Warst du bei mir, damit ich dir erzahle Welch' brennendes Verlangen in mir glüht, Du kennst mich ja, du sahst in meiner Seele Das stille Eldorado aufgeblüht; Hast drinnen manche Knospe aufgeschlossen, Hast manche welke Blume fort und fort Mit deinen Tranen tauend übergossen, Dass keine einzige verdorrt. Der Abend naht, und ich mit meinem Leide So ganz allein! Im Grab war' Fried und Ruh' — Ich und mein Leid, wir schlummerten dann beide Und hielten uns die müden Augen zu. O wenn es wieder Frühling wird, wenn wieder Der erste Mai durch diese Fluren geht, Was kümmern dich noch meine toten Lieder Wenn nur dein Garten in der Blüte steht ' Friedrich Hebbel Geb. am 18 Marz 1813, gest. am 13 Dczember 1863. «Gescimtausgabe der Gedichte" 1857. Nachtlied. Quellende, schwellende Nacht, Voll von Lichtern und Sternen: In den ewigen Fernen, Sage, was ist da erwacht! Herz in der Brust wird beengt, Steigendes, neigendes Leben, Riesenhaft fühle ich's weben, Welches das meine verdrangt. Schlaf, da nahst, du dich leis, Wie dem Kinde die Amme, Und um die dürstige Flamme Ziehst du den schützenden Kreis. Der junge Schiffer. Dort blaht ein Schiff die Segel, Frisch saust hinein der Wind! Der Anker wird gelichtet, Das Steuer flugs gerichtet, Nun fliegt's hinaus geschwind. Ein kühner Wasservogel Kreist griissend um den Mast, Die Sonne brennt herunter, Manch Fischlein, blank und munter, Umgaukelt keek den Gast. War' gern hineingesprungen, Da draussen ist mein Reich! Ich bin ja jung von Jahren, Da ist 's mir nur ums Fahren. Wohin? das gilt mir gleich! Das Kind am Brunnen. Frau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht Doch die liegt ruhig im Schlafe. Die Vöglein zwitschern, die Sonne lacht, Am Hügel weiden die Schafe. Frau Amme, Frau Amme, das Kind steht auf, Es wagt sich weiter und weiter! Hinab zum Brunnen nimmt es den Lauf, Da stehen Blumen und Kriluter. Frau Amme, Frau Amme, der Brunnen ist tief! Sie schlüft, als lage sie drinnen. Das Kind liiuft schnell, wie es nie noch lief, Die Blumen locken 's von hinnen. Nun steht es am Brunnen, nun ist es am Ziel, Nun pflückt es die Blumen sich munter; Doch bald ermüdet das reizende Spiel, Da schaut's in die Tiefe hinunter. Und unten erblickt es ein holdes Gesicht, Mit Augen, so heil und so süsse. Es ist sein eignes, das weiss es noch nicht, Viel stumme freundliche Grüsse! Das Kindlein winkt, der Schatten geschwind Winkt aus der Tiefe ihm wieder. Herauf! Herauf! so meint's das Kind; Der Schatten: Hernieder! Hernieder! Schon beugt es sich über den Brunnenrand. Frau Amme, du schliifst noch immer! Da fallen die Blumen ihm aus der Hand Und trüben den lockenden Schimmer. Verschwunden ist sie, die süsse Gestalt, Verschluckt von der hüpfenden Welle; Das Kind durchschauert 's fretnd und kalt, Und schnell enteilt es der Stelle. Das Kind. Die Mutter lag im Totenschrein, Zum letztenmal geschmückt; Da spielt das kleine Kind herein, Das staunend sie erblickt. Die Blumenkron' im blonden Haar Gefallt ihm gar zu sehr, Die Busenblumen, bunt und klar, Zum Strauss gereiht, noch mehr. Und sanft und schmeichelnd ruft er aus: „Du liebe Mutter, gib Mir eine Blum' aus deinem Strauss, Ich hab' dich auch so lieb!" Und als die Mutter es nicht tut, Da denkt das Kind fiir sich: Sie schliift, doch wenn sie ausgeruht, So tut sie 's sicherlich. Schleicht fort, so leis' es immer kann, Und schliesst die Tiire sacht Und lauscht von Zeit zu Zeit daran, Ob Mutter noch nicht wacht. Die treuen Brüder. Es sind zwei treue Brüder, Die zielin in den Streit hinaus, Noch reden sie hin und wieder, Da schmettert's den einen danieder, Der andere sieht 's mit Qraus. Der Bruder in seinem Blute Erregt ihm bittern Schmerz; Dass ihn der Tod ereilte, Bevor er den Kampf noch teilte, Zerreisst ihm ganz das Herz. Der Sterbende blickt freundlich Noch einmal auf zu ihm, Dann greift er, als war er der Alte, Zur Büchse, die noch nicht knallte, Drückt ab mit Ungestüm. Nun bricht er wieder zusammen Und lachelt, und ist tot. — Der andre, als er sich wandte Sah einen Feind im Sande, ' Des Kugel ihm gedroht. Rose und Lilie. Die Rose liebt die Lilie, Sie steht zu ihren Füssen! Bald löst die Glut ihr schönstes Blatt Es fallt, um sie zu grüssen. Die Lilie bemerkt es wohl, Sie hiitt' das Bliittlein gerne; Der Wind verweht 's, und Blatt nach Blatt Jagt er in alle Ferne. Die Rose doch liiszt nimmer ab Liisst immer neue fallen; Sie grüsst, und grüsst sich fast zu Tot Doch keines trifft von allen. Das letzte fangt die Lilie Und tut sich dicht zusammen; Nun gliiht das Blatt in ihrem Kelch Als war 's ein Herz voll Flammen. Eine Mondnacht in Rom. Beim Dammerlicht des Mondes schau' ich P-erne Der grauen Weltstadt bröckelnde Ruinen Die uns als Mass für ihre Grosse dienen' Woran der Mensch sich selber messen lérne; Denn dieses Licht, das einem trüben Sterne tntfliesst, hat ihre Schlachten nie beschienen, Nur die Qefallnen mit den ehr'nen Mienen Umstanden von des Heeres bestem Kerne.' Jetzt tragt sie selbst, wie die, den Totesstempel Drum ziemt sich's, dass dasselbe Licht ihr leuchte tralimt vielleicht ein Dichter, dass die Sonnen Erloschen, wie Paliiste hier und Tempel Zusammenstiirzen, und der oft verscheuchte Vermchtungsengel jetzt den Sieg gewonnen! Der Wein. Du blinkst so heil und glanzend aus dem Becher A s ware ieder Strahl in dir zerronnen, ' oraus du einst die Feuerkraft gewonnen Die gluhend jetzt entgegenschiiumt dem Zecher. Ich aber saume, reizender Versprecher Ues Süssesten. und ziihle all die Sonnen Bwnï"? "t lh,rem Netz von Licht uinsponnen die Traube reif erschien dem Brecher ' Ich sehe ihn von Niichten und von Tapen Rf" r?ICvfn , -die' 'iinï?st hinabgesunken, scheidend all ihr Köstlichstes gegeben. Da mocht ich fast im Geist vor dir verzagen Kaum an den Lippen, bist du ausgetrunkfn •' Wie zahle ich den Preis für so viel Leben?' Apoilo von Befvedere. Wer schön wie du ist, soll dich einst zerschlagen ! So sprach der Meister, als er dicli vollendet Und vor dir stand, von deinem Qlanz geblendet; Er hatte nichts bei diesem Wort zu wagen. Denn wen auch noch seit deines Ursprungs Tagen Die neidische Natur hierher gesendet, Hier hat sich immer sein Triumph geendet, Kein Jüngling stand noch vor dir, als mit Zagen. Ja, könnte selbst in Zukunft einer kommen, Dir gleich und dennoch fahig, dich zu liassen, Er würde nimmer büssen sein Oelüste: Er hatte kaum die Axt zur Hand genommen, So inüsst' er sie schon wieder fallen lassen, Weil er schon dadurch hiisslich werden müsste. Ein Bild. lm Morgenwinde sah ich Blumen wanken Und sah, wie sie den Tau der goldnen Frühe, Dass jede voller dufte, tiefer glühe, Mit heissem Mund begierig in sich tranken. Gesattigt sah ich bald die meisten schwanken, Als glaubten sie, dass keine nun verblühe, Die Rosen tranken fort mit süsser Mühe, Bis ihre Kelche fast zur Erde sanken. Die andern wiegten sich in Lustgefühlen, Sie wollten eben lauten Spott erheben, Da schoss die Sonne ihre Flammenpfeile. Die Rosen löschten sie im Tau, dem kühlen, Doch jenen drangen sie in Mark und Leben, Man sah sie hingewelkt nach kurzer Weiie. Das Lied vom Schmied. 1833 Es hatt' ein Schinied sich irgendwo Ein Feuer angemacht; Das brannte heli und lichterloh Bei Tage und bei Nacht; Das briet sein Eisen, schmolz sein Erz, Das war im Dunkeln seine Kerz'. Eia! Eia! Das war ein köstlich Feuer! Da trat ans Feu'r von ungefahr Herzu ein kluger Mann; Der sprach: „Das flackert allzusehr, Hatt' keine Lust daran — Wie, wenn es wild sich einst erhebt Und in den Flammen dich begriibt? Eia! Eia! Dann ist es nicht geheuer!" Der Schmied, der kratzt sich hinterm Ohr; „Das mag wohl richtig sein. Es wirbelt wie ein Wind empor — Wie aber schrank' ich's ein?" — »Wenn du nur schnell die Luft ihm raubst So ist's gebiindigt, eh' du 's glaubst; Eia! Eia! Der Rat ist gar nicht teuer!" Der Schmied, der raubt dem Feu'r die Luft Mit froh-geschaft'ger Hand: Da sinkt es in die Aschengruft, Es stirbt der letzte Brand: „Herr Schmied, wo schmilzt er nun sein Erz^ Herr Schmied, wo hat er seine Kerz'' Eia! Eia! Wo brat er 's Essen heuer?" n!!dvStnder- F£rst nicht solch ein Schmied? Das Volk ein Feuer auch, Das leuchtend und erwürmend o-lüht Bei echter Freiheit Hauch? Und hebt auch hoch das Feuer sich Lass brennen, Fürst, es brennt für dich » tia! Eia! Zu deinem Nutz und Feier! Bild der Freiheit. Siehst du den Strom, den Bergeshöhn entquollen Die dunklen Wogen majestatisch rollen ? ts steht bei dir, ob er auf seinem Pfad Segen bnngend, ob verderbend naht. Grab ihm ein Bett, so wird er deine Auen Erquicken und zur Fruchtbarkeit betauen SnC^hte!]1^1StAdV dlch entSegen seinem Lauf, So geht dein Acker, samt der Frucht, darauf Theodor Storm. Theodor Storm Geb. am 14 Sept. 1817, rjest. am 4 Juli 1888. „Liederbuch dre'ier Freunde" 1843. „ Gedichte" 1853. Dammerstunde. In Nebenzimmer sassen ich und du; Die Abendsonne fiel durch die Gardinen, Die fleiss'gen Hande fiigten sich der Ruh, Von rotem Licht war deine Stirn beschienen. Wir schwiegen beid'; ich wusste niir kein Wort Das in der Stunde Zauber mochte taugen • Nur nebenan die Alten schwatzten fort - ' Du sahst mich an mit deinen Marchenaugen. Abschied. (1853.) Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen Wozu das Herz den vollen Sclilag verwehrtj Die Stunde drangt, geriistet steht der Wagen Es ïst die Fahrt der Heimat abgekehrt. Geht immerhin — denn eure Tat ist euer — Und widerruft, was einst das Herz gebot; Und kauft, wenn dieser Preis euch nicht zu teuer, Dafiir euch in der Heimat euer Brot! Ich aber kann des Landes nicht, des eignen, In Schmerz verstummte Klagen missverstehn; Ich kann die stillen Graber nicht verleugnen, Wie tief sie jetzt in Unkraut auch vergehn. — Du, deren zarte Augen mich befragen, — Der dich mir gab, gesegnet sei der Tag! Lass nur dein Herz an meinem Herzen schlagen, Und zage nicht! Es ist derselbe Schlag. Es strömt die Luft — die Knaben stehn und [lauschen, Vom Strand herüber dringt ein Möwenschrei; Das ist die Flut! das ist des Meeres Rauschen; Ihr kennt es wohl; wir waren oft dabei! Von meinem Arm in dieser letzten Stunde Blickt einmal noch ins weite Land hinaus, Und merkt es wohl, es steht auf diesem Grunde, Wo wir auch weilen, unser Vaterhaus. Wir scheiden jetzt, bis dieser Zeit Beschwerde Ein andrer Tag, ein besserer, gesühnt; Denn Raum ist auf der heimatlichen Erde Für Fremde nur, und was den Fremden dient. Doch ist 's das flehendste von den Gebeten, Ihr mögt dereinst, wenn mir es nicht vergönnt, Mit festem Fuss auf diese Scholle treten, Von der sich jetzt mein heisses Auge trcnnt! — Und du, mein Kind, mein jüngstes, dessen Wiege Auch noch auf diesem teuren Boden stand, Hör' mich! — denn alles andere ist Lüge — Kein Mann gedeihet ohne Vaterland! Kannst du den Sinn, den diese Worte führen Mit deiner Kinderseele nicht verstehn, So soll es wie ein Scliauer dich berühren Und wie ein Pulsschlag in dein Leben gehn ! Bettlerliebe. O lass mich nur von ferne stehn Und hangen stumm an deinem Bliek; Du bist so jung, du bist so schön, Aus deinen Augen lacht das Glück. Und ich so arm, so miide schon, Ich habe nichts, was dich gewinnt, O war' ich doch ein Königssohn, Und du ein arm' verlornes Kind! Schliesse mir die Augen beide. Schliesse mir die Augen beide Mit den lieben Handen zu! Geht doch alles, was ich leide, Unter deiner Hand zur Ruh'. Und wie leise sich der Schmerz Well' um Welle schlafen leget, Wie der letzte Schlag sich reget, Füllest du mein ganzes Herz. Die Nachtigall. Das macht, es hat die Nachtigall Die ganze Nacht gesungen; Da sind von ihrem sussen Schall, Da sind in Hall und Wiederhall Die Rosen aufgesprungen. Sie war doch sonst ein wildes Kind • Nun geht sie tief in Sinnen, Tragt in der Hand den Sommerhut Und duldet still der Sonne Olut, Und weis nicht, was beginnen. Das macht, es hat die Nachtigall Die ganze Nacht gesungen; Da sind von ihrem sussen Schall, Da sind in Hall und Wiederhall Die Rosen aufgesprungen. Abseits. Est is so still; die Heide liegt lm warmen Mittagssonnenstrahle, Ein rosenroter Schimmer fliegt Um ihre alten Grabermahle; Die Krauter blühn; der Heideduft Steigt in die blaue Sommerluft. Laufkafer hasten durchs Gestrauch In ihren goldnen Panzerröckchen, Die Bienen hangen Zweig um Zweig Sich an der Edelheide Glöckchen; Die Vögel schwirren aus dem Kraut — Die Luft ist voller Lerchenlaut. Ein halbverfallen' niedrig' Haus Steht einsam hier und sonnbeschienen; Der Katner lehnt zur Tür hinaus, Behaglich blinzelnd nach den Bienen; Sein Junge auf dem Stein davor Schnitzt Pfeifen sich aus Kalberrohr. Kaum zittert durch die Mittagsruh Ein Klang der Dorfuhr, der entfernten; Dem Alten fallt die Wimper zu. Er traumt von seinen Honigernten. - Kein Klang der aufgeregten Zeit Drang noch in diese Einsamkeit. 4 Weihnachtslied. Vom Himmel in die tiefsten Kliifte Ein milder Stern herniederlaeht; Vom Tannenwalde steigen Düfte Und hauchen durch die Winterlüfte Und kerzenhelle wird die Nacht. Mir ist das Herz so froh erschrocken Das ist die liebe Weihnachtszeit! Ich höre fernher Kirchenglocken Mich lieblich heimatlich verlocken In marchenstille Herrlichkeit. Ein frommer Zauber halt mich wieder, Anbetend, staunend muss ich stehn; Es sinkt auf meine Augenlider Ein goldner Kindertraum hernieder, Ich fühl's, ein Wunder ist geschehn. Die Stadt. Am grauen Strand, am grauen Meer Und seitab liegt die Stadt; Der Nebel drückt die Dacher schwer Und durch die Stille braust das Meer Eintönig um die Stadt. Es rauscht kein Wald, es schlagt im Mai Kein Vogel ohne Unterlass; Die Wandergans mit hartem Schrei Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei, Am Strande weht das Gras. Doch hangt mein ganzes Herz an dir, Du graue Stadt am Meer; Der Jugend Zauber fi'ir und für Ruht lachelnd doch auf dir, auf dir, Du graue Stadt am Meer. Eine Frühlingsnacht. Im Zimmer drinnen ist 's so schwiïl; Der Kranke liegt auf dem heissen Pfühl. Im Fieber hat er die Nacht verbracht; Sein Herz ist miide, sein Auge verwacht. Er lauscht auf der Stunden rinncnden Sand; Er halt die Uhr in der weissen Hand. Er zahlt die Schlage, die sie tickt, Er forschet, wie der Weiser rückt; Er fragt ihn, ob er noch leb' vielleicht, Wenn der Weiser die schwarze Drei erreicht. Die Wartfrau sitzt geduldig dabei, Harrend, bis alles voriiber sei. — Schon auf dem Herzen drückt ihn der Tot, Und draussen dammert das Morgenrot. An die Fenster klettert der Frühlingstag, Madchen und Vögel werden wach. Die Erde lacht in Liebesschein, Pfingstglocken lauten das Brautfest ein; Singende Bursche ziehn iibers Feld Hinein in die bliihende, klingende Welt. - Und immer stiller wird es drin; Die Alte tritt zum Kranken hin. Der liat die Hande gefaltet dicht; Sie zicht ihm das Laken iibers Oesicht. Dann gelit sie fort. Stumin wird's und leer, Und drinnen wacht kein Ange mchr. Ostern. Es war daheim auf unsrem Meeresdeich ; Ich liess den Bliek am Horizonte gleiten' Zu mir heriiber schoss verheisungsreich Mit vollem Klang das Osterglockenlaulen. Wie brennend Silber funkelte das Meer, Die Insein schwammen auf dem hohen Spiegel Die Möwen schossen blendend hin und her Eintauchend in die Flut die weissen Flügel.' Im tiefen Kooge bis zum Deichesrand War sammetgrün die Wiese aufgegangen; Der Friihling zog prophetiseh über Land,' e Lerchen jauchzten, und die Knospen sprangen. — Entfesselt ist die urgewalt'ge Kraft, Die Erde quillt, die jungen Safte tropfen, Und alles treibt, und alles webt und schafft Des Lebens vollste Pulse hör' ich klopfen ' Der Flut entsteigt der frische Meeresduft; Vom Himmel strömt die goldne Sonnenfi'ille; Der Frühlingswind geht klingend durch die Luft Und sprengt im Flug des Schlummers letzte Hülle. O wehe fort, bis jede Knospe bricht, Dass endlich utis ein ganzer Somrner werde; Entfalte dich, du gottgebornes Licht, Und wanke nicht, du feste Heimaterde! — Hier stand ich oft, wenn in Novembernacht Aufgor das Meer zu gischtbestaubten Hiigeln, Wenn in den Lüften war der Sturm erwacht, Die Deiche peitschend mit den Oeierflügeln. Und jauchzend liess ich an der festen Wehr Den Wellenschlag die grimmen Zahne reiben; Denn machtlos, zischend schoss zurtick das Meer— Das Land is unser, unser soll es bleiben! Weihnachtsabend. 1852. Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll, Der Kinder denkend, die ich liess zu Haus. Weinachten war's; durch alle Gassen scholl Der Kinderjubel und des Markts Gebraus. Und wie der Menschenstrom mich fortgespült, Drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr: ..Kauft, lieber Herr!" Ein magres Handchen hielt Feilbietend mir ein armlich Spielzeug vor. Ich schrak empor, und beim Laternenschein Sah ich ein bleiches Kinderangesicht; Wes Alters und Geschlechts es mochte sein, Erkannt' ich im Vorübertreiben nicht. Nur von dem Treppenstein, darauf es sass, Noch immer hört' ich, mühsam. wie es schien: „Kauft, lieber Herr!" den Ruf ohn' Unterlass; Doch hat wohl keiner ihm Oehör verliehn. Und ich? — War 's Ungeschick, war esdieScham, Am Weg zu handeln mit dem Bettelkind? Eh' meine Hand zu meiner Börse kam, Verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind. Doch als ich endlich war mit mir allein, Erfasste mich die Angst im Herzen so, Als sass mein eigen Kind auf jenem Stein Und schrie nach Brot, indessen ich entfloh. Gedenkst du noch ? 1857. Gedenkst du noch, wenn in der Frühlingsnacht Aus unserm Kammerfenster wir hernieder Zum Garten schauten, wo geheimnisvoll lm Dunkel duftetenJasmin und Flieder? Der Sternenhimmel über uns so weit, Und du so jung; ummerklich gelit die Zeit. Wie still die Luft! Des Regenpfeifers Schrei Scholl klar herüber von dem Meeresstrande; Und über unsrer Bauine Wipfel sahn Wir schweigend in die dammerigen Lande. Nun wird es wieder Frühling um uns her, Nur eine Heimat haben wir nicht mehr. Nun horch' ich oft schlaflos in tiefer Nacht, Ob nicht der Wind zur Rückfahrt möge wehen. Wer in der Heimat erst sein Haus gebaut, Der sollte nicht mehr in die Fremde gehen! Nach drüben ist sein Auge stets gewandt: Doch eines blieb, — wir gehen Hand in Hand. Oktoberlied. Der Nebel steigt, es fiillt das Laub; Schenkt ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden! Und geht es draussen noch so toll, Uncliristlich oder christlich, Ist doch die Welt, die schone Welt So ganzlich unverwüstlich! Und wimmert aucli eininal das Herz, — Stoss an, und lass es klingen! Wir wissen 's doch, ein rechtes Herz Ist gar nicht umzubringen. Der Nebel steigt, es fiillt das Laub; Schenk' ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden! Wohl ist es Herbst; doch warte nur, Doch warte nur ein Weilchen! Der Frühling kornuit, der Himmel lacht, Es steht die Welt in Veilchen. Die blauen Tage brechen an, Und ehe sie verfliessen, Wir wollen sie, mein wackrer Freund, Qeniessen, ja geniessen! Knecht Ruprecht. Von drauss vom Walde komm ich her; Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr! Allüberall auf den Tannenspitzen Sah ich goldene Lichtlein sitzen: IJnd droben aus dem Himmelstor Sah mit grossen Augen das Christkind hervor, Und wie ich so strolcht' durch den finstern Tann, Da rief's mich mit heller Stimme an: «Knecht Ruprecht", lief es, „alter Gesell, Hebe die Beine und spute dich schnell! Die Kerzen fangen zu brennen an, Das Himmelstor ist aufgetan, Alt' und Junge sollen nun Von der Jagd des Lebens einmal ruhn, Und morgen flieg' ich hinab zur Erden; Denn es soll wieder Weihnachten werden!" Ich sprach: „O lieber Herre Christ, Meine Reise fast zu Ende ist; Ich soll nur noch in diese Stadt, Wo 's eitel gute Kinder hat." — „Hast denn das Siicklein auch bei dir?" Ich sprach: „Das Siicklein, das ist hier; Denn Aepfel, Nüss und Mandelkern Fressen fromme Kinder gern." — „Mast denn die Rute auch bei dir?" Ich sprach: „Die Rute, die ist hier; Doch fiir die Kinder nur, die schlechten, Die trifft sie auf den Teil, den rechten." Christkindlein sprach: „So ist es recht; O geh mit Qott, mein treuer Knecht!" Von drauss vom Walde komm ich her; Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr! Nun sprecht, wie ich 's hierinnen find! Sind's gute Kind, sind's böse Kind? In Bulemanns Haus. Es klippt auf den Gassen im Mondenschein Das ist die zierliche Kleine, Die gelit auf ihren Pantöffelein Bebend und mutterseelenallein Durch die Gassen im Mondenscheine. Sie gelit in ein alt verfallenes Haus; lm Flur ist die Tafel gedecket, Da tanzt vor dem Monde die Maus mit der Maus, Da setzt sich das Kind mit den Mausenzu Schmaus, Die Tellerlein werden gelecket. Und leer sind die Schüsseln, die Mauslein im Nu Verrascheln in Mauer und Holze; Nun lasst es dem Magdlein auchliinger nicht Ruh' Sie schüttelt ihr Kleidchen, sie schnürt sich dié Dann tritt sie einher mit Stolze. [Schuh', Es leuchtet ein Spiegel mich goldnem Gestell, Da schaut sie hinein mit Lachen; Gleich schaut auch heraus ein Miigdelein heil Das ist ihr einziger Spielgesell; Nun woll'n sie sich lustig machen. Sie nickt voll Huid, ihr gehort ja das Reich ; Da neigt sich das Spiegelkindlein, Da neigt sich das Kind vor dem Spiegel zugleich, Da neigen sich beide gar anmutreicli, Da lacheln die rosigen Mündlein. Und wie sie lacheln, so hebt sich der Fuss Es rauschen die seidenen Röcklein, Die Handcheti werfen sich Kuss um Kuss, Das Kind mit dern Kinde nun tanzen muss, Es tanzen im Nacken die Löeklein. Der Mond scheint voller und voller herein, Auf dem Estrich gaukeln die Flimmer: lm Takte schweben die Miigdelein, Bald tauchen sie tief in den Schatten hinein, Bald stehn sie in bliiulichem Schimmer. Nun sinken die Qlieder, nun halten sie an Und atmen aus Herzens Grunde; Sie nahen sich schüchtern und beugen sich darm Und knien vor einander und rühren sicli an Mit dem zarten unschuldigen Munde. Doch miide werden die beiden allein Von all der heimlichen Wonne; Sehnsüchtig flüstert das Miigdelem: «Ich mag nicht melir tanzen im Mondenschein Ach, kame doch endlich die Sonne!" Sie klettert hinunter ein Trepplein schief Und schleicht hinab in den Garten. Die Sonne schlief, und die Grille schlief: ./Hier will ich sitzen im Grase tief, Und der Sonne will ich warten." Doch als nun morgens um Busch und Gestein Verhuschet das Dammergemunkel, Da werden dem Kinde die Aeugelein klein; Sie tanzte zu lange beim Mondenschein, Nun schlaft sie bei Sonnengefunkel. Nun liegt sie zwischen den Blumen dicht Auf griinem, blitzendem Rasen, Und es schauen ihr in das süsse Gesicht Die Nachtigall und das Sonnenlicht Und die kleinen neugierigen Hasen. Mondlicht. Wie liegt im Mondenlichte Begraben nun die Welt; Wie selig ist der Friede, Der sie umfangen halt! Die Winde rnüssen schweigen, So sanft ist dieser Schein; Sie sauseln nur und weben Und schlafen endlich ein. Und was in Tagesgluten Zur Blüte nicht erwacht, Es öffnet seine Kelche Und duftet in der Nacht. Wie bin ich solchen Friedens Seit lange nicht gewohnt! Sei du in meinem Leben Der liebevolle Mond! An KI. Groth. Wenn 't Abend ward, Un still de Welt und still dat Hart; Wenn möd up 't Knee di liggt de Hand, Un ut din Husklock an de Wand Du hörst den Parpendikelslag, De nich to Woort keem över Dag; Wenn 't schummern in de Ecken liggt, Un buten all de Nachtswulk flüggt; Wenn denn noch eenmal kiekt de Sünn Mit golden Schiin to 't Finster 'rin, Un, ehr de Slap kümnit un de Nacht, Noch eenmal allens lavt und lacht, — Dat is so wat vör 't Menschenhart, Wenn 't Abend ward. Ueber die Heide. Ueber die Heide ballet mein Schritt; Dumpf aus der Erde wandert es mit. Herbst ist gekommen, Frühling ist weit — Gab es denn einmal selige Zeit? Brauende Nebel geisten umher; Schwarz is das Krant, und der Hirninel so leer. War icli hier nur nicht gegangen im Mai! Leben und Liebe, — wie fiog es vorbei! Tannkönig. I. Am Felsenbrucli im wilden Taim Liegt tol und öd' ein niedrig Haus; Der Efeu steigt das Dach hinan, Waldvöglein fliegen ein und aus. Und drin am blanken Eichentisch Verzaubert schlaft ein Magdelein; Die Wangen blühen ihr rosenfrisch, Auf den Locken wallt ihr der Sonnenschein. Die Baume rauschen im Waldesdicht, Eintönig fiillt der Quelle Schaum; Es lullt sie ein, es lasst sie nicht, Sie sinket tief von Traum zu Traum. Nur wenn im Arm die Zither klingt, Da heil der Wind voriiberzieht, Wenn gar zu laut die Drossel singt, Zuckt manchesmal ihr Augenlid. Dann wirft sie das blonde Köpfchen heruin, Dass am Hals das giildene Kettlein klingt; Auf fliegen die Vogel, der Wald ist stumm, Und zuriick in den Schlummer das Miigdleinsinkt. II. Heil reisst der Mond die Wolken auf, Dass durch die Tannen bricht der Strahl; lm Grunde wachen die Elfen auf, Die Silberhörnlein rufen durchs Tal. «Zu Tanz, zu Tanz ain Felsenliang, Am hellen Bach, im schwarzen Tann! Schön Jungfraulein, was wird dir bang? Wach auf und schlag die Saiten an!" Schön Jungfraulein, die sitzt im Traum; Tannkönig tritt zu ihr herein Und küsst ihr leis des Mundes Saum Und nimmt vom Hals das Qüldkettlein. Da schlagt sie heil die Augen auf Was hilft ihr Weinen all und Flehn? n 1 annkönig, lass mich ziehn nach Haus, Lass mich zu meinen Schwestern gelui." »ln meinem Walde fing ich dicli," Tannkönig spricht, „so bist du mein! Was hattest du die Mess' versaumt? Koinm mit, komm mit zum Elfenreihn!" — »Elf! Elf! das klingt so wunderlich, Elf! Elf! mir graut vor dem Elfenreihn; Die haben gewiss kein Christentum, O lass mich zu Vater und Mutter mein!" „Und denkst du an Vater und Mutter noch, Sitz aber hundert Jahr allein!" Die Elfen ziehn zu Tanz, zu Tanz; Er hangt ihr um das Güldkettlein. Klaus Groth. Geb. am 24 April 1819, qest. am 1 Juni 1899. „ Quickborn" 1853. — * Hunderf Blatter'' 1854. — „ Voer de Goern" 1858. Min Modersprak. Min Modersprak, wa klingst du schön! Wa büst du mi vertrut! Weerok min Hart as Stahl un Steen, Du drevst den Stolt herut. Du bögst min stiwe Nack so licht As Moder mit ern Arm, Du tichelst 1) mi umt Angesicht — Un still is alle Larm. Ik föhl mi as en lüttjet 2) Kind, De ganze Welt is weg, Du pust 3) mi as en Vaerjahrswind De kranke Boss 4) torecht. Min Obbe 5) folt mi noch de Hann' Un seggt to mi: „Nu be!" 6) 1) streicheist; 2) kleines; 3) blast; 4) Brust; 5) Grossvater; 6) bete. Klaus Grom. Un „Vaderunser" fang ik an, As ik wul fröher de. 1) Un föhl so deep: dat ward verstan, So sprickt dat Hart sik ut. Un Rau 2) vunn Himmel weiht mi an, Un Allns is wedder gut! Min Modersprak, so slicht un recht, Du ole frame 3) Red! Wenn blot en Mund „min Vader" seggt, So klingt mi 't as en Bed 4). So herrli klingt mi keen Musik Un singt keen Nachdigal; Mi lopt je glik in Ogenblick De hellen Tran hendal. 5) Min Jehann. Ik wull, wi weern noch kleen, Jehann, Do weer de Welt so grot! Wi seten op den Steen, Jehann, Weest noch ? bi Nawers 6) Sot. 7) An Heben 8) seil 9) de stille Maan, Wi segen, wa he leep, 10) Un snacken, wa de Himmel hoch Un wa de Sot wul deep. Weest noch, wa still dat weer, Jehann ? Dar röhr 11) keen Blatt an Bom. So is dat nu ni mehr, Jehann, As höchstens noch in Drom. 12) Och ne, wenn do de Scheper 13) sung ,J) tat! 2) Ruhe; 3) fromme: 4) Bitte; 5) hinab.6) Nachtbars; i) Brunnen; 8) Himmel; 9) segelte; 10) lief; 11) rührte sich; 12) Traum; 13) Schaf er. Alleen int wide Feld: Ni wahr, Jehann? dat weer en Ton! De eenzige op de Welt. Mitiinner inne Schummerntid 1) Deun ward mi so to Moth. Denn löppt mi 't langs den Riigg so hitt, As domals bi den Sot. Denn dreih ik mi so hasti iitn, As weer ik nich alleen: Doch allens, wat ik sinn, Jehann, Dat is — ik sta un ween. Still, min Hanne. Still, min Hanne, hör mi to! Lüttje Müse pipt int Stroh, Lüttje Vageln slapt in Bom, Röhrt de Flünck un pipt in Drom. Still, min Hanne, hör mi an! Buten 2) geit de böse Mann, Baben 3) geit de stille Maan: „Kind wull 4) hett dat Schrigen dan?" Aewern Bom so still un blank, Aewert Hus an Heben lank, Un wo he frame Kinner süht, Kik 5) mal an, wa lacht he blid! 6) Denn seggt he to de böse Mann, Se wüllt en beten wider gan, Denn gat se beid, denn stat se beid Aewert Moor un aewer de Heid. 1) Dammerung. 2) draussen; 3) oben; 4) wer; 5) guck 6) freundlich. 5 Still, min Hanne, slap tnal rar! 1) Morgen is he wedder dar! Rein 2) So gel, 3) rein so blank, Aewern Bom an Himmel lank. AI1 int Gras de gelen Blom ! Vageln pipt in Appelbom, Still un mak de Ogen to, Lüttje Müse pipt int Stroh. Utsichten. Un wenn min Hanne lopen kann, So gat wi beidn spazeern, Denn seggt de Kinner alltohop: 4) »Wats dat vaern lüttje Deern?" Un wenn min Hanne groter ward, So krigt se'n smucken I lot, Denn seggt de Kinner alltohop: „Wa ward min Hanne grot!" Un wenn se noch vel groter ward, So kennt se er ni mehr, Denn seggt de Kinner alltohop: „Prinzessin keem derher!" Dar wahn en Mann. Dar wahn en Mann int gröne Gras, De harr keen Schüttel, harr keen Tass, De drunk dat Water, wo he 't funn, De plück de Kirschen, wo se stunn'. 1) schön; 2) ganz; 3) gelb. 4) alle zusammen. Wat weert en Mann! wat weert en Man 11! De harr ni Putt, 1) de harr ni Pann, De eet de Appeln vun den Bom, De harr en Bett vun luter Blom. De Sünn, dat weer sin Taschenuhr, Dat Holt, dat weer sin Vagelbur, De sungen em abends aewern Kopp, De wecken em des Morgens op. De Mann, dat weer en narrschen Mann, De Mann, de sung dat Gruweln 2) an: Nu moet wi all in Hüser wahn'. — Kunm mit, wi wöllt int Oröne gan! Prinzessin. Se weer as en Poppen 3) so smuck un so kleen, Se seet mi in Schummern 4) to drom' oppe Kneen, Se fat mi de Hand, un ik strak 5) er Gesiclit, Vertell ik er jümmer de ole Geschicht: „Dar weer en Prinzessin, de seet in en Bur, Harr Haar as en Gold un seet jümmer un lur; 6) Do keem maal en Prinz, un de hal er herut, Un he war de König, un se war de Brut." Un gau 7) is se wussen, 8) un nu is se grot! Se sitt m1 in Schummern noch still oppen Schot, Se hollt mi de Hand, un ik küss er Gesiclit, Vertell ik er jümmer de ole Geschicht: „Dar weer en Prinzessin, de seet bi en Bur, 1) Topf: 2) Grübeln; 3) Püppchen; 4) Dammerung;5)strich'; 6) lauerte; 7) schnell; 8) gewachsen. Harr Haar as en Gold un seet jümmer un lur; Do keem mal en Prinz, un de hal er herut, Un ik bün de König un du büst de Brut!" Matten Has'. Liitt Matten 1) de Has', De mak sik en Spass, He weer bi 't Studeern, Dat Danzen to lehrn, Un danz ganz alleen Op de achtersten 2) Been. Keem Reinke de Voss Und dach: „Das en Kost!" Und seggt: „Lüttje Matten, So flink oppe Padden? 3) Un dansst hier alleen Op de achtersten Been? Kumm, lat uns tosam ! Ik kann as de Dam! De Krei 4), de spelt Fitel, Denn geit dat canditel, 5) Denti geit dat mal schön Op de achtersten Been !" Liitt Matten gev Pot. De Voss beet em dot Un sett sik in Schatten, Verspis' de liitt Matten : De Krei, de kreeg een Vun de achtersten Been. 1) Martin; 2) hintersten; 3) Pfoten; 4) Kralie; 5) lustig. Aanten int Water. Aanten 1) int Water, Wat vaern Gesnater! Wanten in Dik, 2) Wat vaern Musik! De Wart 3) is wat heesch: 4) Wat wat wat schüll wi eten? Murt 5) inne Murt, inne Grund is dat fett! Höja! de graue fangt lud an to reden: Quark 6) und warm Water! Un alle ropt mit. Aanten int Water, Wat vaern Gesnater! Aanten in Dik, Wat vaern Musik! De Rünnsteen 7) hentlank 8) all int Trünneln 9) un Snappeln! 10) Barbeent 11) un plattföt un jümmer vergnögt! Hier is de Kaekenguss! 12) Beersupp mit Appeln! Wackeli, gackeli 13) — süh, wa se sökt! 14) Aanten int Water. Wat vaern Gesnater! Aanten in Dik; Wat vaern Musik! Nu oppen Wall! un nu ropt 15) wi de Günner 16) Nu kamt se an, un nu gift dat en Snack, 17) Nu fleegt wi dal, 18) un nu dukt wi uns 19) iinner! All dat warm Water löppt blank vunne Nack! 1) Enten; 2) Teich; 3) Enterich; 4) etwas heiser; 5) Morast; 6) Teichlinse; 7) Rinnstein; 8) entlang; 9) rollen; 10) fressen; 11)mi blossen Beinen: 12) Kiichengosse; 13) ahmt Gang und Geschnatter der Enten nach: 14) suchen; 15) ruft; 16) die dort; 17) Geplauder; 18) hinunter; 19) tauchen wir. Aanten int Water, Wat vaern Gesnater! Aanten in Dik, Wat vaern Musik! Wat wat wat wüllt wi? Nu wüllt wi na'n Misten, i) Hör! se döscht 2) Weten! Wi krupt 3) daer de Rill! 4) Kamt man! man sachden! op Töntjen! 5) mit Listen! Nückt 6) mit den Kopp, un et gau, 7) un swigt still! Aanten int Water, Wat vaern Gesnater! Aanten int Stroh — Wat vaern Halloh! Dar kumt de Koeksch ! 8) Neiht man ut, 9) brukt de Flünken! Hoch aewern Tun 10) un koppheister 11) na'n Dik! Swimm' as de Pocken, 12) un flegen as Lünken, 13) Klok as en Minsch — un so dick! un so dick! Aanten int Water, Wat vaern Gesnater! Aanten int Dik, Wat vaern Musik! De letzte Feide. (1559 Juni 20). Nicli en Wort war hört, nich en Stimm, nich enLut, Se stunn' as de Schap oppe Weid , Se stunn' as de Rest vun en danslan 14) Holt, To Föten de Trümmer vun Heid. 1) Diingerplatz; 2) dreschen Weizen; 3) kriechen: 4) Rinne; 5) auf den Zehen; 6) nickt; 7) fresst schnell; 8) Köchin; 9) kneift nur aus; 10) Zaun; 11) kopfüber; 12 Frösche; 13) Sperlinge; 14) niedergeschlagen. So wit man seeg, de Besten ut Land, Dar weern se fulln as dat Reet: 1) Nu stunn noch de Rest un sack oppe Knee — Se swert nu en Herrn den Eed. Dar klopp wul menni Hart inne Bost, Un dat Blot dat krop un steeg; Doch de Ogen gungn mit Thran'n aewert Land, Un de Mund weer stumm un sweeg. Denn wit umher de Besten ut Land, In Freden un Strit vaerut, De legen nu dot oppet Feld vun Heid Un stumm ünner Asch un Schutt. Nich en Lut war hört, as dat Haf 2) un de Floth, Un de Prester leet se swern, Oppe Knee dar leeg dat Ditmarscher Volk Un de acht und veertig Herrn. 3) Noch schint de Heben 4) der blau hindal Un grön dat Holt un de Eer: De Ditinarschen fallt de Tran int Gras, Un de Friheit sein se ni mehr! Min Platz vaer Daer. De Weg an unsen Tun 5) hentlank Dar weer dat wunnerschön! Dar weer des Morns min eersten Gank Int Gras bet anne Kneen. Dar spel ik bet to Schummern hin, Dar gev dat Steen und Sand; 1) Schilf; 2) Wattenmeer; 3) die Achtundvierziger, die gewahlte Obrigkeit der Dithmarschen; 4) Himmel; 5) Zaun. Des Abends hal mi Obbe 1) rin Un harr mi bi de Hand. Denn wünsch ik mi, ik weer so grot, Dat ik der raewer seh, Un Obbe meen un schütt den Hot, Doch keem noch veis to fröh. Dat keem so wit, ik lieff se sehn, De Welt dar buten 2) vaer: Ik wull, se weer man half so schön, As do min Platz vaer Daer. Abendfreden. De Welt is rein 3) so sachen, Als leeg se deep in Drom, Man hört ni weenn noch lachen, Se 's lisen as en Bom. Se snackt 4) man mank 5) de Blaeder, As snack en Kind in Slap, Dat sünd de Wegenleder Vaer Köh un stille Schap. Nu liggt dat Dörp in Dunkeln, Un Newel hangt dervaer, Man hört man eben inunkein, As keem 't vun Minschen her. Man hört dat Veh int Grasen, Un Allens is in Fred, Sogar en schüchtern Hasen Sleep mi vaer de Föt. 1) Grossvater; 2) draussen; 3) gar; 4) plaudert: 5)zwischen. Das wul üe Himmelsfreden Ahn 1) Larm un Strit un Spott, Dat is en Tid turn Beden — Hör mi, du frame 2) Qott! Dat Moor. De Borrn bewegt sik op un dal, As gungst du langs en böken 3) Bah!, 4) Dat Water schülpert 5) inne Oraft, 6) De Orasnarv bewert ') op un af; Dat geit hendal, dat geit to höch So lisen as en Kinnerweeg. ) Dat Moor is brun, de Heid is brun, Dat Wullgras schint so witt as Dunj 9) So week als Sid, so rein as Snee: Den Hadbar 10) reckt 11) dat bet ant Knee. Hie hüppt de Pock 12) int Ret 13) hentlank Un singt uns abends sin Gesank; De Voss de bru't, 14) de Wachtel röppt, 15) De ganze Welt is still un slöppt. 16) Du hörst din Schritt ni, wenn du geist, Du hörst de Rüschen, 17) wenn du steist, Dat levt un wevt int ganze Feld, As weert bi Nacht en anner Welt. Denn ward dat Moor so mit un grot, Denn ward de Minsch so lütt to Moth: Wull 18) weet, wa lang he doer de Heid Noch frisch un krafti geit! 1) °line; 2) fromme; 3) buchen; 4) Bohie; 5) schwappt: 6) Graben; 7) bebt; 8) Wiege; 9) Flaumfeder, 10) Storch 11) reicht; 12) Frosch; 13) Schilf; 14) Der Fuchs braut, der Nebel liegt auf den Wiesen; 15) ruft; 16) schlaft; 17) Binsen; 18) Wer. De Fischer. Schön Anna stunn vaer Stratendaer, 1) Vaer Stratendaer, De Fischer gung vaerbi: Schön Anna knüttst 2) du blaue Strümp, De blauen Strümp, De knüttst du wul vaer mi ? «De Strümp de kriggt min Broder an, Min Broder an Wul op de blaue See; Du makst je sülm 3) din Nett so grot, Din Nett so grot, Un Strümp bet anne Knee.'' Min Nett dat mak ik grot un wit, So grot un wit Man vaer de dumme Staer: 4) Du knüttst din Strümp so fin un dicht, So fin un dicht, Dar geit keen Seel hindaer. Schön Anna, knüttst du fine Strümp, Son fine Strümp, Un knüttst du se so blau: Dar fangst du all de Fischers mit, De Fischers mit, Un weern se noch so slau. Grotmoder. Grotmoder lünt 5) inn Laehnstohl Un hollt de Huspostill. 1) 1ür; 2) strickst; 3) selbst; 4) Stör; 5) sitzt vornübergeneigt. Ik weet ni, wat de Olsche 1) Nu jümmer lesen will! Se kikt 2) sik daer er Brillglas De Ogn noch redi 3) blind. Se is noch orri 4) strewi, 5) Doch lang ni mehr keen Kind. Vunmorgens is se ganzli Verbistert un verbas't, 6) Se süht ni, dat de Müppe 7) Er anne Rocken tas't. 8) Se markt ni, dat de Kater Er inne Nachmütz slöppt Un de Kanarjenvagel Er oppe Fingern löppt. De Siinn schint doch so fründli Un makt er Backen rot: Du lewe Qott in Himmel — De Olsche .... de is dot! Int Holt Wo dat Echo schallt Daer de Böken 9) hin, Na de gröne Wald Treckt mi Hart un Sinn, Wenn de Drossel fleit, Wenn de Blaeder weiht, Wenn de Wind der geit Baben 10) hin. 1) Alte; 2) guckt; 3) wirklich; 4) ziemlich; 5) strebsam: 6) verwirrt; 7) Mops; 8) zupft; 9) Buchen; 10) oben. De is jümmer fri, Als de grote See; Dar is Rum vaer mi Un dat schüchtern Veh, Daer de bittre Not Un den lewen Qott, Un dar deit de Dod Nich mal weh. Wenn de Drossel fleit, Spring ik rut to Holt, Wenn de Blaeder weiht, Ga ik noch to Wold: 1) Och, de seeg mi springn Un de hör mi singn, Un dar much ik liggn Still un kold. Min Port.* De Port 2) is noch dar, geit apen un to, Ok knarrt un jankt 3) un klappt se as do. Dar gung'n, de mi leef weern, ut un in: De Fru, de Kinner, Verwandte un Frünn, Wa oft, wenn se lclapp, dat ik dacht: Wa nu? So keem en Gesicht, dat ik reep: Dat büst du! In'n Sünnschin weer 't, Sünnschin op de Böm, Sünnschin opt Gesicht, opt Gras un de Blöm, Sünnschin int Hart — so keem 't in de Port, So gung 't in un ut, Dag an Dag, jümmer 4) fort. Dar keem wul Regen, un Snee mit mank, 5) Dat weih, dat de Port in de Angeln jank, Dat baller 6) un klapp, ik reep all binn: 7) Süh dar! Wa schön! Kum man in! Kum rin! 1) Wald; *) Spr. Poort; 2) Gartenpforte;3) quiekt; 4) immer; 5) dazwischen; ó) larmte; 7) drinnen. Allmahlich keem 't - do gung Een ut de Port Darnm gung de Weg, un nu weer Se fort Ja, rut weer se kam', torügg keem se nicli, Un mi - mi leepen de Tran'n vunt Gesicht. De Sunn schien wedder, de Blöm de blöhn. De Summer weer dar, un de Böm warn grön, Ik hor de Port, wa se klappt un knarrt — De Sünnschin kumt mi nich wedder int Hart. * * * Denn weer t en Anner 1) — ok He gung fort Hoch weer he wussen hier achter 2) de Port. ' Dat ^est ward to lütt, de Vagel ward flügg He geit in de Welt, he winkt noch torügfF Ade! ade! se Un de Port, de knarrt, Un ik sitt dar mit min eensam Hart. * * * So ward se still un stiller, min Port All wat mi leef, geit rut un blift fort. Bekannte to vel, jümmer weniger Frünn Un endlich bliv ik alleen hier binn Un wenn de Port toletzt mal knarrt, Denn is 't, wenn man mi rut dregen ward. Un denn vaer en Annern geit se as nu, Un he röpptto en Anner, wenn se geit: Dat büst du ' Un de hier plant hett un sett de Port Em drogen se rut 3) an en stillen Ort Min Anna is en Ros' so rot. Min Anna is en Ros' so rot, Min Anna is min Blom, Min Anna is en Swölk 4) to Fot, ein anderer; 2) hinter; 3) hinaus tragen: 4) Schwalbe. Min Anna is as Melk un Blot, Als Appel oppen Bom. De Vullmach 1) hett en Appelgarn, 2) Un Rosen inne Strat; De Vullmach kann sin Appeln arn: 3) Min Anna is min Staat! Se is min Staat, se is min Freid Un allens alltomal, Un wenn de Wind de Rosen weiht, Un wenn de Wind de Appeln sleit: 4) Se fallt mi nich hendal. 5) Se fallt ni af, se fallt ni hin, Se hett son frischen Moth: So blöht min Hart, so blöht min Sinn, Min Anna blift de Blom derin Bet an min seli Dod. De Lootsendochder. Se kunn de Nacht ni slapen, De See de gung so swar en lud De ganze Nacht ni slapen: He weer to fischen ut. „Min Vader lat uns rojen 6) De See de geit so lud un swar, Min Vader lat uns rojen, De Fischers stat Gefahr." — De Morgen grau int Osten, De See de gung so hoch, so holl: 1) Landschaftsabgeordneter aus dem Bauernstande; 2) Apfelgarten; 3) ernten; 4) schlagt; 5) hinunter; 6) rudern. Wat drev dar rop vunt Osten? Dar drev en kentert Joll. „Ik heff vunnacht ni slapen, Min Vader, wenn: 1) ik bün so slecht, Un recht wi noch ant Oewer, 2) So makt min Bett torecht." 1) wende; 2) Ufer. Julius Rodenberg. Eigentlich Julius Levy, geb. am 26 Juni 1831, lebt in Berliti. vLieder" 1853. — „Kleine Kriegs — und Friedenslieder" 1870. Ungeduld. Lerchenlieder und Herdengelaute, Duftige Blumen und scliattiger Wald — Wie micli das freute! War' es nicht morgen, war' es nicht heute War' es nur bald! Wo die fröhlichen Quellen schaumcn, Und im Winde die Haide wallt, Seliges Traumen Unter den hohen, den rauschenden Baumen — War' es nur bald! Schone Fraucn wandeln im Freicn, Folgen des Fri'ihlings froher Gewalt; Lustiger Reihen Schlingt sich im freundlichen Griine des Maien — War' es nur bald! Aber dies schaurige, traurige Wetter Lasst mir das Herz und die Seele so kalt! Lerchengeschmetter, Strahlende Sonne, leuchtende Bllitter — War' es nur bald! Mailied. Die Sonne hat ihren goldnen Schein Ueber die Welt ergossen; Maiglöckchen duften am Wiesenrain, Waldlilien und Veilchen sprossen. Die Quellen rauschen, es schaumt der Bach, Die Wellen scheinen und blinken: Die Lerchen steigen der Sonne nach, Und fröhlich schlagen die Finken. Der Wald steekt seine Fahnen aus, Es lodern die Bli'itenkerzen; Der Frühling schreitet von Haus zu Haus, Und pocht an Ti'iren und Herzen. O seht, wie jubelt die Kinderschar Dem freundlichen Herrn entgegen, Mit Kranzen schmiickt er ihr golden Haar, Und gibt ihnen still seinen Segen. Das Schönste, was man sich denken kann, Das hat er mir langst gegeben: Ich sehe die Welt und den Flimmel an Und freue mich i'tber das Leben. O Welt, Du bist so \Vunderschön! Nun bricht aus allen Zweigen Das maienfrische Orün, Die ersten Lerchen steigen, Die ersten Veilchen blüh'n; Und golden liegen Tal und Höh'n — O Welt, du bist so wunderschön lm Maien! Und wie die Knospen springen, Da regt sich 's allzumal; Die muntren Vögel singen, Die Quelle rauscht ins Tal; Und freudig schallt das Lustgetön: O Welt, du bist so wunderschön lm Maien! Wie sich die Baume wiegen lm lieben Sonnenschein! Wie hoch die Vögel fliegen, Ich möchte hinterdrein; Möcht' jubeln über Tal und Höh'n: O Welt, du bist so wunderschön lm Maien! O frischer Hauch in früher Stund'! Noch liegt die Welt im blauen Traum, Noch regt sich Wald und Wasser kaum, Das Tal noch heimlich diistert. Ich sitze schon mit hellem Aug', Mich hat geweckt der Morgenhauch, Der durch die Baume flüstert: ..Steh' auf, und lausche in das Lied, Das leis von Halm zu Halme zieht In rauschenden Akkorden; Das Wasser singt, die Blume spricht, — Du aber horst und siehst es nicht, Dass Frühling es geworden?" 6 O frischer Hauch in frülier Stund'! Bald blüht der Wald, bald liegt der Grand Ein heller Blumengarten. Wie Morgenduft verweht mein Harm — Mit offner Brust und offnem Arm Will ich den Lenz erwartea! Warte noch! Warte noch ein kleines Weilchen Liebe Sonne, lieber Wind! Bis die Primeln und die Veilchen Auf der Wiese kommen sind. Wasser fliessen, Wolken eilen. . . . Sieh, am Bach schon erstes Grün! Liebes Herz, \vo wirst du weilen, Wenn die ersten Rosen blühn ? Ins offne Meer hinaus. Der Morgenlüfte kühler Braus Das weisse Segel schwellt: Ich hab' ins offne Meer hinaus Mein Sehnen al!' gestellt. So blau der Himmel bis zum Rand, So spiegelklar die See, Und was mich je gefreut am Land, Ade, ade, ade! Rings Wassereinsamkeit! — Manch' Aug' Schaut diister iiber Bord; Mir aber weht der kühle Hauch Den letzten Seufzer fort. Wie Wellenspiel am Schiffesrand Zerschellt mein letztes Weh, Und was mich je gequalt am Land, Ade, ade, ade! Sonntag am Meere. Wie ist die Welt so selig heut', Wie andachtsklar der Himmelsbogen ! Des Glöckleins feierlich Gelaut Schallt in des Meeres dnmpfes Wogen. Schon steigt die Flut; sie flirrt und gleisst, Die Wellen murmeln goldbeschienen; So sanft ihr Hauch, als ob der Geist Des Herren schwebte iiber ihnen. Den Weg herauf, am Sandberg, geht Die bunte Schar der Kirchenganger; Und aus dem alten Kirchlein weht Schon der Choral andacht'ger Siinger. So traum' ich still am Felsenwall Und schaue auf das Meer hernieder; Die Brandung rauscht wie Orgelschall, Die Winde singen Kirchenlieder. Und was in Meer und Himmel rauscht. Das muss im Herzen widerschallen; Und still, von keinem Aug' belauscht, Muss ich anbetend niederfallen. Wie sie Dich nennen, wie Du heisst, Dem alle Wunder sich entschleiern; Fürwahr, Du bist der heil'ge Geist, Und weil Du 's bist, will ich Dich feiern. O Du, des Odem mich umweht, Wie eines Geisterfittigs Wehen: Lass untergehn mich im Gebet, Und selig in Dir auferstehen! Die Heide. Die Heide seh' ich gern, wenn tri'ib' zur Ri'iste geht Der Regentag, und wenn von Nebeldunst umweht Fern Horizont und Erd' verschwimmen. Der Regen rauscht, es zieht der Wind durch Moos und Moor, Bald leis und stürmisch, bald gleich einem Geisterchor, Und o! — wie lieb' ich diese Stimmen. Nun bleicht der Tag, nun bricht sein Schimmer noch einmal Sich durch die Wolken Bahn — ein Schimmer weiss und fahl, Die Heide ganz in Zwielicht tauchend; Für einen Augetiblick wird es im Westen heil, Und iiberm Hügel farbt ein Leuchteti, kurz und grell, Die Raderspur, von Nasse rauchend. Und nunmehr rollt es dumpf, nun schallt's wie Pferdetrab — Ein Karrner ist 's - er kommt vom Hügel dort herab, Das nahe Dörflein zu gewinnen; Getrost! — nach solcher Fahrt ruht doppelt gut sich 's aus, Bald winkt der Kirchturm dir, bald ist erreicht das Haus, Und o! wie traulich ist es drinnen. Ich aber wandre gern, wenn grau die Heid' und leer, Wenn dumpf der Tag versinkt, und wenn im Regen schwer, Die Weiden klagen und die Föhren: So zog ich einst dahin durchs fremde Land und meint' lm Heidewind, der mit der Dammrung sich vereint, Des Heimwehs traurig Lied zu hören. An die Einsamkeit. Einst, in ineiner Heimat Walde, Bei des Sommermittags Schein, Fand ich dich, und an der Halde Sass ich dann mit dir allein. In des Zwielichts grünem Dunkel Zaub'risch zitterte dein Hauch, Und des Marchens bunt Qefunkel Flimmerte durch Baum und Strauch, In des Daseins Ueberflusse Dünkt' ich mich so reich in dir, Und mit deinem Qeisterkusse Rührtest du die Lippe mir. Was mir damals in den Baumen Rauschte, blieb wohl unerfüllt; Anders als in Kindertraumen, Hat sich mir die Welt enthlült. Aber stets, wenn ich dich habe, Was mir sonst auch sei geraubt, Bin ich wiederum der Knabe, Der an schone Marchen glaubt. Manchmal, in des Haufens Mitten, Fühl' ich plötzlich deine Hand, Und ich folge deinen Schritten In das ferne Wunderland. Dann verklingt der laute Reigen, Um mich her webt Waldesruh; Denn vom Himmel ist das Schweigen, Und vom Himmel bist auch du. Hoffen, Sehnen, Glauben, Lieben — Alles wandelte die Zeit; Du nur bist dir gleich geblieben, Hehre Freundin, Einsamkeit. In den Waldem. H ier endlich, endlich bin ich denn alle in! Hier spinnt der Abendsonne roter Schein Verglühend um den hohen Stamm der Fichte. Hier ruft der Kuckuck unterm Schleierdach Der macht'gen Zweige Kindermarchen wadi, Ein Echo halb verschollener Gedichte. Wie gern betret' ich dieses Waldgebiet, In dessen Schoss der Pfad einladend zieht, Mich von der Welt entfernend weit und weiter; Wie blau der Rasen von Vergissmeinnicht, Wie hold das Spiel von Schatten und von Licht, Das neckisch mir vorausgeht als Begleiter. Und weht der Wind durch dieses Waldermeer, O welch' ein Brausen, feierlich und hehr, Gleich Orgelton in einem goth'schen Dome, Verwandte Klange weckend in der Brust, Von Leid verrauscht und von verrauschter Lust, Die beide langst vorüber mit dem Strome. Gestalten kehren dann, die einst mit mir Gewandelt unter diesen Baumen hier, Noch jung, noch fi isch, die Brust voll von Gesangen. Sie lacheln stumm, und bleich ist ihr Gesicht, Ihr Bliek unirdisch, zugewandt dem Licht, Das langsam schwindet an des Hügels Hangen. Und mit dem Licht auch ihre Form zerfliesst, Und wie die Dammrung leise mich umschliesst, Sina nur die Wipfel noch von Glanz umwoben; O welch ein Funkeln dort von Gold und Grün, Als sollte nun der Tag noch einmal blüh'n, Der ew'ge Tag, der ew'ge Lenz, dort oben ! Doch das auch bleicht und stirbt. Unddüsternun Liegt rings der Wald, und seine Kronen ruh'n In Dunkel, wie die Wurzeln in der Tiefe; Nacht hüllt den Pfad. Doch unten aus dem Tal Blinkt Licht nach Licht, als ob der traute Strahl Den Wandrer heimwarts zu den Merischen riefe. So folg' dem Rufe, der dich führt zurüclc — Dort unten wohnt wohl ein bescheiden Gliick. Was hilft's von der Gemeinschaft sich entfernen? Für Geister noch nicht reif zu dieser Frist, Flieh'n sie vor dir — und weil ein Mensch du bist, Musst mit den Menschen du zu leben lernen. In der Mondnacht. Durch schluminernde Maiengefilde Tragt mich der nachtliche Zug, Und tausend holde Gebilde Folgen mit leisem Flug. Sacht rauscht am Weg in den Baumen Der Wind von bewaldeten Höh'n — Ich kann nicht schlafen, nur traumen, Der Mond scheint gar zu schön. Mich mahnt die schimmernde Wiese, Des Himmels dammerndes Blau An Friihlingsnachte wie diese, Wie diese, so lind und lau. Und gabe dem pochenden Herzen Ein Wunder die Jugend zurück, Verlangst du noch einmal die Sciimerzen, Verlangst du noch einmal das Qlück? Die Flammen, die lang verglühten, Bewegt ihr noch einmal leis, Ihr Nachte, von silbernen Blüten Und silbernem Lichte weiss. Und silberne Stimmen klagen Und singen die Seele zur Ruli', Und silberne Traunie tragen Der fernen Heimat sie zu. Gottfried Keiler. Geb. am 19 Juli 1819, yest. am 16 Juli 1890. » Gedichte" 1846. —»Neuere Gedichte'" 1851. — »Gesammelte Gedichte" 1883. Spielmannslied. Im Frührot stand der Morgenstern Vor einem hellen Frühlingstag, Als ich, ein flüchtig Schülerkind, lm silbergrauen Felde lag; Die Wimper schwankte falterhaft, Und ich entschlief an Ackers Rand, Der Siimann kam gemach daher Und streute Körner aus der Hand. Gleich einem Facher warf er weit Den Samen hin im halben Rund, Ein kleines Trüppchen fiel auf mich Und traf mir Augen, Stirn und Mund; Erwachend rafft' ich mich empor Und stand wie ein verblüffter Held, Vorschreitend sprach der Bauersmann; Was bist du für ein Ackerfeld? Bist du der steinig harte Grund, Darauf kein Samlein wurzeln kann? Bist du ein schlechtes Dorngebüsch, Das keine Halme lasst hinan? Du bist wohl der gemeine Weg, Der wilden Vogel offner Tisch! Bist du nicht dies und bist nicht das, Am End' nicht Vogel und nicht Fisch? Unfreundlich schien mir der Qesell Und drohend seiner Worte Sinn; lch ging ihm aus den Augen sacht Und floh behend zur Schule hin. Dort gab der Pfarr den Unterricht lm Bibelbuch zur frühen Stuud'; Von Jesu Oleichnis eben sprach ' Erklarend sein beredter Mund. - Die Jahre schwanden und ich zog Als Zitherspieler durcli das Land, Als ich in einer stillen Nacht Die alte Fabel wieder fand Vom Samann, der den Samen warf; Da ward mir ein Erinnern licht, Ich spürte jenen Körnerwurf Wie Geisterhand im Angesicht. Was bist du für ein Ackerfeld? Hort' wieder ich, als war's ein Traum; lch seufzte, sann und sagte dann: O Mann, ich weiss es selber kaum ! lch bin kein Dornbusch und kein Stein Und auch kein fetter Weizengrund; lch glaub', ich bin der offne Weg, Wo's rauscht und fliegt zu jeder Stund'. Da wachst kein Gras, gedeiht kein Korn, Statt Furchen zieh'n Geleise hin Von harten Radern augehöhlt, Und nackte Füsse wandern drin; Das kommt und geht, doch fallt einmal Ein irrend Samenkörnlein drauf, So fliegt ein hungrig Vöglein her Und schwingt sich mit zum Himmel auf. Schifferliedchen. Schon hat die Nacht den Silberschrein Des Himmels aufgetan ; Nun spült der See den Widerschein Zu dir, zu dir hinan! Und in dem Glanze schaukelt sich Ein leichter dunkier Kahn; Der aber tragt und schaukelt mich, Zu dir, zu dir hinan! lch höre schon den Bruntien gehn Dein Pförtlein nebenan, Und dieses hat ein gütig Wehn Von Osten aufgetan. Das Sternlein schiesst, vom Baume fallt Das Blust in meinen Kahn; Nach Liebe dürstet alle Welt, Nun, Schifflein, leg' dich an! Jugeridgedenken. lch will spiegein in jenen Tagen, Die wie Lindenwipfelwehn entflohn, Wo die Silbersaite, angeschlagen, Klar, doch bebend gab den ersten Ton, Der mein Leben lang, Erst heut noch, widerklang, Ob die Saite langst zerrissen schon; Wo ich ohne Tugend, ohne Sünde, Blank wie Schnee vor dieser Sonne lag, Wo dem Kindesauge noch die Binde Lind verbarg den blendend hellen Tag: Du entschwundne Welt Klingst über Wald und Feld Hmter mir wie ferner Wachtelschkig. Wie so fabelhaft ist hingegangen Jener Zeit bescheidne Frühlingspracht, Wo von Mutterliebe noch umfangen Schon die Jugendliebe leis erwacht, Wie, vom Sonnenschein Durchspielt, ein Edelstein, Den ein Glücklicher ans Licht gebracht. Wenn ich scheidend einst muss überspringen Jene Kluft, die keine Brücke tragt, Wird mir nicht ein Lied entgegenklingen, Das bekannt und ahnend mich erregt? O die Welt ist weit! Ob nicht die Jugendzeit Irgendwo noch an das Herz mir schliigt ? Traumerei! was sollten jene hoffen, Die nie sahn der Jugend Lieblichkeit, Die ein unnatürlich Los getroffen, Frucht zu bringen olnie Blütenzei't ? Ach, was man nicht kennt, Danach das Herz nicht brennt Und bleibt kalt dafür in Ewigkeit! In den Waldeskronen meines Lebens Atme fort, du kühles Morgenwehn! Heiter leuchte, Frühstern guten Strebens, Lass mich treu in deinem Scheine gehn! Rankend Immergrün Soll meinen Stab tnnblühn, Nur noch Ein Mal will ich riickwarts sehn Liebchen am Morgen. Die Sonne fahrt durchs Morgentor Ooldfunkelnd iiber den Bergen, Und wie zwei Veilchen im fröhen Mai, Zwei blaue Augen klar und frei, Die lachen auf ihren Wegen Geöffnet ihr entgegen. Gliickauf, mein Liebchen ist erwacht Mit purpurroten Wangen! Ihr Fenster glitzert im Morgenstrahl Und alle Blumen in Garten und Tal Erwarten sie mit Sehnen, Die Auglein voller Tranen. Es ist nichts Schön'res in der Welt, Als diese grüne Erde, Wenn man darauf ein Schatzlein hat, Das still und innig, friih und spat, Für einen lebt und blühet, Ein heimlich Feuerlein, glühet. Halloh, du spater Jagersmann, Was reibst du deine Augen? Ich hab' die ganze Nacht geschwarmt Und mich am Mondenschein gewarmt Und steige frisch und munter Vom hohen Berg herunter. Mein Madchen durch den Oarten geht Und singt halblaute Weisen; Mich dünkt, ich kenne der Lieder Ton Was gilt's, ich habe sie alle schon Heut Nacht dort oben gesungen! Sie sind herüber geklungen. Der Schulgenoss. Wohin hat dich dein guter Stern gezogen, O Schulgenoss aus ersten Knabenjahren? Wie weit sind aus einander wir gefahren Fn unsern Schifflein auf des Lebens Wogen! Wenn wir die Untersten der Klasse waren, Wie haben wir treuherzig uns betrogen, Erfinderisch und schwarm'risch uns belogen Von Aventuren, Liebschaft und Gefahren! Da seh' ich just, beim Schimmer der Laterne, Wie mir gebiickt, zerlumpt ein Vagabund Mit einem Hascher scheu vorübergeht — ! So also wendeten sich unsre Sterne? Und so hat es gewuchert unser Pfund? Du bist ein Schelm geworden — ich Poet! Stille der Nacht. Willkommen, klare Sommernacht, Die auf bestauten Fluren liegt! Gegrüsst mir, goldne Sternenpracht, Die spielend sich im Weltraum wiegt! Das Urgebirge um mich her Ist schweigend wie mein Nachtgebet; Weit hinter ihm hör' ich das Meer lm Oeist und wie die Brandung geht. Ich höre einen Flötenton, Den mir die Luft von Westen bringt, Indes herauf im Osten schon Des Tages leise Ahnung dringt. Ich sinne, wo in weiter Welt Jetzt Sterben mag ein Menschenkind Und ob vielleicht den Einzug halt Das vielersehnte Heldenkind." Doch wie im dunklen Erdental Ein unergründlich Schweigen ruht, Ich fühle mich so leicht zumal Und wie die Welt, so still und gut. Der letzte leise Schmerz und Spott Verschwindet aus des Herzens Qrund: Est ist, als tat der alte Oott Mir endlich seinen Namen kund. Schlafwandel. Im afrikanischen Felsental Marschiert ein Bataillon, Sich selber fremd, eine braune Schar Der Fremdenlegion. Lang' ist ihr wildes Lied verhallt In Sprachen mancherlei; Stumm glüht der römische Schutt am Weg, Schlafend ziehn sie vorbei. Unter der Trommel vorgebeugt, Der schlafende Tambour geht, Es nickt der Kommandant zu Ross, Von webender Glut umweht; Es schlaft die Truppe, Haupt fi'ir Haupt Unter der Sonne gesenkt, Von der Gewohnheit Eisenfaust In Schritt und Tritt gelenkt. Und was sonst in der dunklen Nacht Das Zelt nur sehen mag, Tritt unterm offnen Himmelsblau lm Wiistenlicht zu Tag. Es spielt das schmerzliche Mienenspiel Unglücklichen Manns, der traumt; Von Gram und Leid und Bitterkeit Ist jeglicher Mund umsaumt. Es zuckt die Lippe, zuckt das Aug', Auf dürre Wangen quillt Die unbemeisterte Trane hin, Vom Sonnenbrand gestillt. Sie schau'n ein reizend Spiegelbild Vom kühlen Heimatstrand, Das griine Kleefeld, rot beblümt, Den Vater, der einst den Sohn geriihmt, Verlornes Jugendland! Ein Schuss - da flattert's weiss heran, Und schon steht das Karree Schlagfertig und munter, und keiner sah Des andern Reu' und Weh; Nur zorniger ist jeder Mann, Willkommen ihm der Streit; Doch wie er kam, zerstiebt der Feind, Wie Traum und Reu' so weit! Der Taugenichts. Die ersten Veilchen waren schon Erwacht im stillen Tal; Ein Bettelpack stellt' seinen Thron Ins Feld zum erstenmal. Der Alte auf dem Rücken lag, Das Weib, das wusch am See; Bestaubt und unrein schmolz im Hag Das letzte Hauflein Schnee. Der Vollmond warf den Silberschein Dem Bettler in die Hand, Bestreut' der Frau mit Edelstein Die Lumpen, die sie wand; Ein linder West blies in die Olut Von einem Dorngeflecht, Drauf kocht' in Bettelmannes Hut Ein sündengrauer Hecht. Da kam der kleine Betteljung', Vor Hunger schwach und matt, Doch glühend in Begeisterung Vom Streifen durch die Stadt, Hielt eine Hyazinthe dar In dunkelblauer Luft; Dicht drangte sich der Kelchlein Schar, Und selig war der Duft. Der Vater rief: »WohI, hast du mir Viel Pfennige gebracht?" Der Knabe rief: „O sehet hier Der Blume Zauberpracht! Ich schlich zum goldnen Gittertor, So oft ich ging, zurück, Bedacht nur, aus dem Wunderflor Zu stehlen mir dies Glück! 7 O sehet nur, ich werde toll, Die Qlöcklein alle an! Ihr Duft, so fremd und wundervoll, Hat mir es angetan! O schlaget nicht mich armen Wicht, Lasst euren Stecken ruhn! Ich will ja nichts, mich hungert nicht, Ich will 's nicht wieder tun!" »0 wehe mir geschlagnem Tropf!" Brach nun der Alte aus, »Mein Kind kommt mit verriirktpm kVmf Anstatt mit Krot nach Haus! Du Taugenichts, du Tagedieb Und deiner Eltern Schmach!" Und rüstig langt er Hieb auf Hieb Dem armen Jungen nach. Im Zorn frass er den Hecht, noch eh' Der gar gesotten war, Schmiss weit die Grate in den See Und stülpt' den Filz aufs Haar. Die Mutter schmalt' mit sanftem Wort Den missgeratnen Sohn, Der warf die Blume zitternd fort Und hinkte still davon. Es perlte seiner Tranen Fluss, Er legte sich ins Gras Und zog aus seinem wunden Fuss Ein Stücklein scharfes Glas. Der Gott der Taugenichtse rief Der guten Nachtigall, Dass sie dem Kind ein Liedchen pfiff Zum Schlaf mit süssem Schall. Friedrich von Bodenstedt. Geb. cim 22. April 1819, nest. am 18 April 1892. » Lieder des Mirza—Schaffy" 1851. — ■Aux Heimat urul Fremde" 2 Bde 1852/59. »Atis dem Naclilassc Mirza—Schaffy's" 1874. — »Einkchr und Umschau" 1876. - *Aus Morgenland und, Abendland" 1882. — »Neues Leben" 1886. Sonett. Erwarte Nichts, und Manches wirst du finden Das überraschend kommt dich zu erfreuen, Sei 's alter Zeit Erinn'rung zu erneuen, Sei 's Blumen dir zu neuem Kranz zu winden. Erwarte Viel, und wie von rauhen Winden Jahlings umwölkt wird dir der Himmel drauen, Und jeden Strahl, die Wolken zu zerstreuen, Siehst du, dein Hoffen höhnend, wieder schwinden, Oft sah ich in der Jugend Wanderjahren Sich meinen Himmel der Erwartung trüben, Als Stern der Hoffnung nur ein Irrlicht funkeln. So lernt' ich nie vor Tauschung mich zu wahren» Noch weniger, mich in Geduld zu üben Und selbst im Alter tapp' ich noch im Dunkeln. Aus wLieder des Mirza-Schaffy." Die schlimtnsten Schmerzen sind auf Erden, Die ausgeweint und ausgeschwiegen werden. Ein graues Auge Ein schlaues Auge; Auf schelmische Launen Deuten die braunen; Des Auges Blaue Bedeutet Treue; Doch eines schwarzen Aug's Qefunkel Ist stets, wie Oottes Wege, dunkel. Vergebens wird die rohe Hand Am Schonen sich vergreifen, Man kann den einen Diamant Nur mit dem andern schleifen. Wohl besser ist 's, ohn' Anerkennung Ieben Und durch Verdienst des Höchsten wert zu sein, Als unverdient zutn Höchsten sich erheben, Gross vor der Welt und vor sich selber klein. Wahne niemand sich den Weisen lm Genuss des Weins vergleichbar; Denn was wir im Trunke preisen, Bleibt den Toren unerreichbar! Durch den Wein zum Blumenbeet Wird die Phantasie verwandelt, Drin der Odem Gottes weht, Drin der Geist der Schönheit wandelt. Blumen blühen uns zu Füssen, Uns zu Haupten glülieu Sterne — Jene aus der Nahe grüssen, Diese grüssen aus der Ferne! Welch ein liebliches Gewimmel! Freude blüht auf jedem Scliritt mir — Und den ganzen Sternenhimmel, Samt den Blumen, trag' ich mit mir! Gelb rollt mir zu Füssen der brausende Kur lm tanzenden Wellengetriebe; Heil lachelt die Sonne, mein Herz und die Flur — O, wenn es doch immer so bliebe! Rot funkelt im Glas der kaclietische Wein, Es füllt mir das Glas meine Liebe — Und ich saug' mit dem Wein ihre Blicke ein — O, wenn es doch immer so bliebe! Die Sonne geht unter, schon dunkelt die Nacht, Doch mein Herz, gleich dem Sterne der Liebe, Flammt im tiefsten Dunkel in hellster Pracht — O, wenn es doch immer so bliebe! In das schwarze Meer deiner Augen rauscht Der reissende Strom meiner Liebe; Komm, Miidchen! es dunkelt und niemand lauscht O, wenn es doch immer so bliebe! Nicht mit Engeln im blauen Himinelszelt, Nicht mit Rosen auf duftigem Blumenfeld, Selbst mit der ewigen Sonne Licht Vergleich ich Zuleika, mein Madchen, nicht! Denn der Engel Busen ist liebeleer, Unter Rosen drohen die Dornen her, Und die Sonne verhüllt des Nachts ihr Licht. Sie alle gleichen Zuleika nicht: Nichts finden, so weit das Weltall reicht, Die Blicke, was tneiner Zuleika gleicht — Schön, dornlos voll ewigem Liebesschein, Kann sie mit sich selbst nur verglichen sein! Wenn der Frühling auf die Berge steigt. Wenn der Frühling auf die Berge steigt Und im Sonnenstrahl der Schnee zerfliesst, Wenn das erste Grün am Baurn sich zeigt Und im Gras das erste Blümlein spriesst — Wenn vorbei im Tal Nun mit einemmal Alle Regenzeit und Winterqual, Schallt es von den Flöhn Bis zum Tale weit: O, wie wunderschön Ist die Frühlingszeit! Wenn am Gletscher heiss die Sonne leekt, Wenn die Quelle von den Bergen springt, Alles rings mit jungetn Grün sich deckt Und das Luftgetön der Wjilder klingt — Lüfte lind und lau Würzt die grüne Au' Und der Mimmel lacht so rein und blau, Schallt es von den Höhn Bis zum Tale weit: O wie wunderschön Ist die Frühlingszeit. T Theodor Fontane. Theodor Fontane. Geb. am 30 Dezember 1819, gest. am 28 September 1898. » Gedichte' 1851. Der Kranich. Rauh ging der Wind, der Regen troff, Schon war ich nass und kalt, Ich macht' auf einem Bauerhof lm Schutz des Zaunes Halt. Mit abgestutzten Flügeln schritt Ein Kranich drin umher, Nur seine Sehnsucht Irug ihn mit Den Brüdern über 's Meer; Mit seinen Brüdern, deren Zug Jetzt hoch in Lüften stockt, Und deren Schrei auch ihn zum Flug In fernen Süden lockt. Und sieh, er hat sich aufgerafft, Es gilt emeutes Olück; Umsonst, der Schwinge fehlt die Kraft Und ach, er sinkt zurück. Und Huhn und Hahn und Hühnchen auch Umgackern ihn voll Freud'; — Das ist so alter Hühnerbrauch Bei eines Kranichs Leid. Der Gast. Das Kind ist krank zum Sterben, Die Lampe gibt tragen Schein, Die Mutter spricht: niir ist es Als waren wir nicht allein. Der Vater sucht zu lacheln. Doch im Herzen pocht 's ihm bang, Stiller wird's und stiller, — Die Nacht ist gar zu lang. Nun scheint der Tag ins Fenster, Die Vögel singen so klar; Die beiden wussten lange, Wer der Gast gewesen war. Der echte Dichter. (Wie man sich früher ihn dachte.) Ein Dichter, ein echter, der Lyrik betreibt, Mit einer Köchin ist er beweibt, Seine Kinder sind schmuddlig und unerzogen, Kommt der Mietszettelmann, so wird tüchtig gelogen, Gelogen, gemogelt, wird überhaupt viel, «Fabulieren" ist ja Zweck und Ziel. Und ist er gekammt und gewaschen zu Zeiten, Sc schafft das nur Verlegenheiten, Und ist er gar ohne Wechsel und Schulden Und empfangt er pro Zeile 'nen halben Gulden, Oder pendeln ihm Orden am Frack liin und her, So ist er gar kein Dichter mehr, Eines echten Dichters eigenste Welt Ist der Himmel und — ein Zigeunerzelt. Silvesternacht. Das Dorf ist stil!, still ist die Nacht, Die Mutter schlaft, die Tochter wacht, Sie deckt den Tisch, sie deckt für zwei, Und sehnt die Mitternacht herbei. Wem gilt die Unruh? wem die Flast? Wer ist der mitternachtge Gast? Ob ihr sie fragt, sie kennt ihn nicht, Sie weiss nur, was die Sage spricht. Die spricht: wenn wo ein Madchen wacht Urn zwölf in der Silvesternacht, Und wenn sie deckt den Tisch für zwei, Gewahrt sie, wer ihr Künftger sei. Und liatt' ihn nie gesehn die Maid, Und war' er hundert Meilen weit, Er tritt herein und schickt sich an, Und isst und trinkt, und scheidet dann. — Zwölf schlagt die Uhr, sie horcht erschreckt, Sie wollt' ihr Tisch war' ungedeckt, Es überfallt sie Angst und Graun, Sie will den Brautigam nicht schaun. Fort setzt der Zeiger seinen Lauf, Niemand tritt ein, sie atmet auf, Sie starrt nicht langer auf die Tür, — Herr Gott, da sitzt er neben ihr. Sein Aug' ist glüh', blass sein Gesicht, Sie sah ihn all' ihr Lebtag nicht, Er blitzt sie an, und schenket ein, Und spricht: „heut Nacht noch bist du mein. vlch bin ein stürinischer Gesell', Ich wahle rasch und freie schnell, Ich bin der Braut'gam, du die Braut, Und bin der Priester, der uns traut." Er fasst sie ura, ein einz'ger Schrei, Die Mutter hört's und komtnt herbei; Zu spat, verschüttet liegt der Wein, Tot ist die Tochter und — allein. Jan Bart Jan Bart geht über den Vlissinger Damni, „Hiir', Katrin, wi trecken tosanim; En Huus, en Boot, 'ne Zieg un 'ne Kuh', Wat mienst, Katrin? sy miene Fru," Katrin' an ihrem Friesrock zog, „Ne, Jan, bist mi nich Mynherr 'noog." Der nickt und lacht: „Na, denn adje," Und nach Frankreich geht er und sticht in See. Matrose, Maat, so fangt er an, Auf der zweiten Reise: Steuertnann, Auf der dritlen: Leutnant unter Du Quesne, Auf der vierten : Flottenkapitain. Und als es mit England kommt zum Krieg, Wo Jan Bart erscheint, erscheint der Sieg, Wie stolz das britische Banner auch weh', Jan Bart ist Herr und fegt die See. Heut aber tritt er vor seinen Herrn,' Vor Louis Quatorze. Der sieht ihn gern. „Willkommen, Jan Bart, in diesetn Saai, Ich ernenn' Euch zu meinem Gross-Admiral." Jan Bart verneigt sich: „Majestat, Was klug und recht ist, kommt nie zu spat." Alles starrt auf den König, der aber lacht, — Jan Bart hat sich wieder heim geinacht. Und am Vlissinger Damm, an alter Steil', Sitzt wieder Katrin auf ihrer Schwell', Ihren Aeltesten halt sie bei der Hand, Der Jiingste liegt und spielt im Sand. Er griisst sie lachend und noch einmal: „Katrin, ich bin nu Qross-Admiral, Katrin, w'rütn biste nich mit mi goahn?" „Joa, wenn ick 't wusst hiitt, hiitt' ick 't doahti." Herr von Ribbeek auf Ribbeek im Havelland. Herr von Ribbeek auf Ribbeek im Havelland, Ein Birnbaum in seinem Garten stand, Und kam die goldene Herbsteszeit, Und die Birnen leuchteten weit und breit, Der von Ribbeek sich beide Taschen voll, Da stopfte, wenn 's Mittag vom Turme scholl, Und kam in Pantinen ein Junge daher, So rief er: „Junge, wist' ne Beer?" Und kam ein Madel, so rief er: „Lütt Dirn, Kumm man röwer, ick hebb' ne Birn." So ging es viel Jahre, bis lobesam Der von Ribbeek auf Ribbeek zu sterben kam. Er fühlte sein Ende, 's war Herbsteszeit, Wieder lachten die Birnen weit und breit, Da sagte von Ribbeek: „leh scheide nun ab. Legt mir eine Birne mit in 's Grab." Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus Trugen von Ribbeek sie hinaus, Alle Bauern und Büdner, mit Feiergesicht Sangen „Jesus meine Zuversicht" Und die Kinder klagten, das Herze schwer^ „He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?' So klagten die Kinder. Das war nicht recht, Ach, sie kannten den alten Ribbeek schlecht, Der n e u e freilich, der knausert und spart, Halt Park und Birnbaum strenge verwahrt, Aber der alt e, vorahnend schon Und voll Misstraun gegen den eigenen Sohn, Der wusste genau' was damals er tat, Als um eine Birn' in 's Grab er bat, Und im dritten Jahr, aus dem stillen Haus Ein Birnbaumsprössling sprosst heraus. Und die Jahre gehen wohl auf und ab, Langst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab, Und in der goldenen Herbsteszeit Leuchtet 's wieder weit und breit. Und kommt ein Jung' über 'n Kirchhof her, So flüstert's im Baume: „wiste ne Beer?" Und kommt ein Madel, so flüstert's! „Lütt Dirn, Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn." So spendet Segen noch immer die Hand Des von Ribbeek auf Ribbeek im Havelland. Conrad Ferdinand Meyer Geb. am 12. Oktober 1825, gest. atn 28. November 1898. „Balladen" 1867. — „Romanzen nncl Bilder" 1870. — „Gedichte" 1882. Lenz Wanderer. Ich lag an einem Raine Mit meinem di'trren Stab. Was lauf' ich? Meine Beine Erlaufen nur das Qrab Ein Wand'rer zog derenden, War noch ein Knabe fast, Der hielt als Stab in Handen Den blütenreichsten Ast. „Griïss' Gott dich, schoner Wand'rer! Bist du es, Knabe Lenz?" Er rief: „Ich bin kein Andrer Und komme von Florenz!" Das musste mich erwecken, „Kind Lenz, ich wandre mit!" Wir hoben unsre Stecken In einem Schritt und Tritt. Die beiden Stabe hoben Kind Lenz und ich zugleich: Auch meiner ward von oben Bis unten blütenreich. Schwüle. Triib verglomm der schwüle Sommertag, Dumpf und traurig tönt mein Ruderschlag— Sterne, Sterne — Abend ist es ja — Sterne, warum seid ihr noch nicht da? Bleich das Leben! Bleich der Felsenhang! Schilf, was flüsterst du so frech und bang? Fern der Himmel und die Tiefe nah — Sterne, warum seid ihr noch nicht da? Eine Iiebe, liebe Stimme ruft Mich bestandig aus der Wassergruft — Weg, Oespenst, das oft ich winken sah! Sterne, Sterne, seid ihr nicht mehr da? Endlich, endlich durch das Dunkel bricht — Es war Zeit! — ein schwaches Flimmerlicht— Denn ich wusste nicht, wie mirgeschah. Sterne, Sterne, bleibt mir immer nah ! Schnitterlied. Wir schnitten die Saaten, wir Buben und Dirnen, Mit nackenden Armen nnd triefenden Stirnen, Von donnernden dunkeln Gewittern bedroht — Gerettet das Korn! Und nicht einer, der darbe! Von Garbe zu Garbe Ist Raum für den Tod — Wie schwellen die Lippen des Lebens so rot! Hoch thronet ihr Schonen auf güldeneti Sitzen, In strotzenden Garben umflimmert von Blitzen — Nicht eine, die darbe! Wir bringen das Brot! Zum Reigen ! Zum Tanze! Zur tosenden Runde! Von Munde zu Munde Ist Raum für den Tod — Wie schwellen die Lippen des Lebens so rot! Requiem. Bei der Abendsonne Wandern Wann ein Dorf den Strahl verlor, Klagt sein Dunkel es den andern Mit vertrauten Tönen vor. Noch ein Glöcklein hat geschwiegen Auf der Höhe bis zuletzt. Nun beginnt es sich zu wiegen, Horch, rnein Kilchberg lautet jetzt! Firnelicht. Wie pocht' das Herz mir in der Brust Trotz meiner jungen Wanderlust, Wann, heimgewendet, ich erschaut' Die Schneegebirge, süss umblaut, Das grosse stille Leuchten ! Ich atmet' eilig, wie auf Raub, Der Markte Dunst, der Stadte Staub. Ich sah den Kampf. Was sagest du, Mein reines Firenlicht, dazu, Du grosses stilles Leuchten? Nie prahlt' ich mit der Heimat noch, Und liebe sie von Herzen doch! In meinem Wesen und Gedicht Allüberall ist Firnelicht, Das grosse stille Leuchten. Was kann ich für die Heimat tun, Bevor ich geh' im Grabe ruhn? Was geb' ich, das dem Tod entflieht? Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied, Ein kleines stilles Leuchten ! Lethe. Jüngst im Traume sah ich auf den Fluten Einen Nachen ohne Ruder ziehn, Strom und Himmel stand in matten Gluten Wie bei Tages Nahen oder Fliehn. Sassen Knaben drin mit Lotoskranzen, Madchen beugten iiber Bord sich schlank, Kreisend durch die Reihe sah ich glanzen Eine Schale, draus ein jedes trank. Jetzt erscholl ein Lied voll süsser Wehmut, Das die Schar der Kranzgenossen sang — 8 Ich erkannte deines Nackens Demut, Deine Stimme, die den Chor durchdrang. In die Welle taucht' ich. Bis zum Marke Schaudert' ich, wie seltsam kühl sie war. Ich erreicht' die leise zieh'nde Barke, Drangte mich in die geweihte Schar. Und die Reihe war an dir zu trinken, Und die volle Schalt hobest du, Sprachst zu mir mit trautem Augenwinken: wHerz, ich trinke dir Vergessen zu!" Dir entriss in trotz'gem Liebesdrange Ich die Schale, warf sie in die Flut, Sie versank, und siehe, deine Wange Farbte sich mit einem Schein von Blut. Flehend küsst' ich dich in wildem Harme, Die den bleichen Mund mir willig bot, Da zerrannst du lachelnd mir im Arme Und ich wusst' es wieder — du bist tot. Am Himmelstor. Mir traumt', ich komm' ans Himmelstor Und finde dich, die Süsse ! Du sassest bei dem Quell davor Und wuschest dir die Füsse. Du wuschest, wuschest ohne Rast Den blendend weissen Schimmer, Begannst mit wunderlicher Hast Dein Werk von neuem immer. Ich frug: „Was badest du dich hier Mit tranennassen Wangen ?" Du sprachst: „Weil ich im Staub mit dir, So tief im Staub gegangen." Heinrich Leuthold. Geb. am 9. August 1827. — Gest. am 1. Juli 1879. „Gedichte" 1879. Blatterfail. Leise, windverwehte Lieder, Mögt ihr fallen in den Sand! Blatter seid ihr eines Baumes, Weicher nie in Blüte sland. Weiche, windverwehte Blatter, Boten nahcr Winterruh', Fallet sacht!... ihr deckt die Graber Mancher toten Hoffnung zu. Lenzlied. (Mignon.) Buntbeblümte Wiesen dehnen Fernhin sich, die Luft weht lind; Auf besonnten Wolkenkahnen Kam der Lenz ins Land geschwind ... Buntbeblümte Wiesen dehnen Fernhin sich, die Luft weht lind. Lass Mi ein Haupt an deines lehnen, Rühr' die Harfe, lioldes Kind! Lieblich wie Gesang von Schwiinen Klagt ihr Ton im Abendwind ... Lass mein Haupt an deines lehnen, Rühr' die Harfe. holdes Kind! Zages Hoffen, süsses Walmen Schwellt die Seele mir gelind, Banges, langverhalt'nes Sehnen Löst sich; Quellen rieseln lind... Doch ich weiss nicht, ob es Tranen, Oder ob es Lieder sind. Waldeinsamkeit. Deine süssen, süssen Schauer O Waldesruh', In meine Seele hauche Und traufle du! Lass mich traumen die Traume Der Jugendzeit! O Frieden, o Ruh'! kornm über mich! Wie lieb' ich dich, lieb' ich dich, Waldeinsamkeit! Marzveilchen blühen, es treibt in den Baumen, Der Frühling kam; Es zwitschern die Vögel, die Wipfel rauschen So wundersam; O Schöpfungsodem, der die Brust mir Bezaubert und feit! O Frieden, o Ruh'! Komm über mich! Wie lieb' ich dich, lieb' ich dich, Waldeinsamkeit! Feierlich sonntagliche Stille Und Frühlingszeit; Kein Laut, keine Seele Weit und breit! Nur ein leiser, leiser Kummer Ist mein Qeleit; O Frieden, o Ruh'! Komm über mich ! Wie lieb' ich dich, lieb' ich dich, Waldeinsamkeit! Spielmannsweisen. L O Frühlingshauch, o Liederlust, Wie liegt ihr mir im Gemixte! Kaum prangen Busch und Baum im Blust, Steht auch mein Herz in Blüte. Mein Herz ist wie ein grüner Hag, Das ist ein Zwitschern und Schallen Da nisten die lustigen Finken am Tag Und Abends die Nachtigallen. II. Die Ströme zieh'n zum fernen Meer, Die Wolken am Himmel fliehen, Und wenn ich ein flüchtiges Vöglein war', So möcht' ich mit ihnen ziehen. Und bin ich kein Vogel in der Luft, So lernt' ich doch pfeifen und singen; Und kommt der Lenz mit Klang und Duft, Dann mein' ich, es wüchsen mir Schvringen. Und kann ich auch nicht über Wald und Heid', Uber See'n und Berge schweben, So kann ich mich über das kleine Leid Des dürftigen Lebens erheben. III. Ich bin ein Spielmann von Beruf, Mein Leben ist Singen und Wandern; Als Qott, unser Herr, die Welt erschuf, Da gab er sie den andern. Doch, was das Qemüt des Menschen bewegt, Ich kann es singen und sagen, Kann den Lenz, der im eigenen Herzen sich regt, Hinaus in die Lande tragen. Nacht. Der Westwind streichelt die Locken Schauernder Baume; wie Schnee Fallen die Blütenflocken Klange der Abendglocken Zittern über den See. Oben im Wolkenlosen Kreiset der Sterne Lauf; Doch unter Küssen und Kosen Gehen hier unten Rosen, Rosen und Lieder auf. Trost im Leide. Nun lass das Lamentieren Und halte Mass! Mann kann nicht mehr verlieren, Als man besass. Wer einst mit vollen Armen So reiches Glück Umschloss, kann nie verarmen, Denkt er zurück. Wer so genoss der Wonne, So lang er jung, Den warmt wie eine Sonne Erinnerung. Tanzlied. Des Ooldbauern Hiesel, Dem ging es recht schlecht, Er liebte die Liesel, Die Liesel den Knecht. Des Ooldbauern Hiesel Hatt' Taler, die echt; Er gab sie der Liesel, Sie gab sie dem Knecht. Des Ooldbauern Hiesel Sagt, dass er sie mocht; Da lachte die Liesel Und küsste den Knecht. Des Ooldbauern Hiesel Hat alles verzecht, Da liess ihn die Liesel Und ging zu dem Knecht. Des Ooldbauern Hiesel Ward dennoch geracht; So wie ihn die Liesel, Verriet sie der Knecht. Am Strand. Der Hauch, der die schiiumende Meerflut erregt, O wie er das traumende Herz mir bewegt! Es walzen sich Hügel Von Wogen daher; O wüchsen mir Flügel, Ich flög' über Meer! Einst hört' ich durch tosendes Branden der Flut Zuerst dein liebkosendes: „Bist du mir gut?" Und denk' ich der Zeiten, So fühl ich gerührt Die klagendsten Saiten Der Seele berührt. Schon glüh'n, überm dunkeinden Ufer entfacht, Hoch oben die funkelnden Leuchten der Nacht; Dort strahlt im Oewimmel Der glanzendste Stern ... Doch du und der Himmel Wie seid ihr so fern! Ave Maria. Mit ihren Wonneschauern naht sie sacht Auf leichten Sohlen wandelt sie einher Die sanfte Zauberkönigin, die Nacht, ' Und ihres Sternenmantels stille Pracht Ausspannt sie langsam übers Mittelmeer — V?™ Kirchtein, einsam auf dem Fels am Strand, went leises Lauten über Meer und LandSonst alles still;— nur durch das Schilf sp'ielt lind Der Abendwind Ave Maria! Nun lehnt der braune Schiffer stumm am Mast Und sinnend starrt er in die off'ne See ■ Er denkt der Seinen bei der Abendrast,' Und ihn, des Meeres staten, rauhen Gast Erfasst ein banges, ungewohntes Weh. Ob er sie wiedersieht im Abendlicht, Die ferne Heimat, ach, er weiss es nicht, Er betet leis — und Tranen rieseln lind Für Weib und Kind: Ave Maria! Der finstere Bandit im Apennin Lasst ruh n die Beute, die er heut' geraubt Das Abendlauten, fremd ergreift es ihn; ' Er schlagt das Kreuz, liegt reuig auf den Knie'n, üeneigt sein trotziges, verfehmtes Haupt. Des Tages Mühen warf er über Bord; Die Hande, die noch blutig sind von' Mord Er streckt sie himmelwarts —, durch seine Seelegeht Ein stumm Gebet: Ave Maria! Der Waldsee. Wie bist du schön, du tiefer, blauer See', Es zagt der laue West, dich anzuhauchen, Und nur der Wasserlilie reiner Schnee Wagt schüchtern aus der stillen Flut zu tauchen. Hier wirft kein Fischer seine Angelschnur! Kein Nachen wird auf deinem Spiegel gleiten! Wie Chorgesang der feiernden Natur Rauscht nur der Wald in diesen Einsamkeiten! Wildrosen streu'n dir ihren Weihrauch aus Und würz'ge Tannen, die mich rings umragen, Und die wie Saulen eines Tempelbaus Das wolkenlose Blau des Himmels tragen. Einst kannt' ich eine Seele, ernst, voll Ruh, Die sich der Welt verschloss mit sieben Siegeln, Die, rein und tief, geschaffen schien wie du, Nur um den Hirnmel in sich abzuspiegeln. Paul Heyse. Geb. am 1,5. Marz 1830. „Oesammelte Werke, erster Band: Gedichte". Bilder aus Neapel. I. Zwei Bübchen sah ich heut in Lumpen beide, Rins barfuss, eins mit Stiefeln ausgerüstet, Danach wohl keine Seele sonst gelüstet — Fast wie das Messer ohne Qriff und Schneide. Sein Spielgesell indessen sah's voll Neide, Wie sich der Freund mit seinem Schuhwerk brüstetDenn ob es auch der Zahn der Zeit verwiistet Strahlt der Besitzer doch in stolzer Freude. Den Soldo *), den er erst erbetteln müssen, üab er dem Stiefelputzer, mit Grimassen —! Qrinsend vom einen bis zum andern Ohre. Und sein Triumphblick tat der Welt zu wissen: Wer Stiefel hat, kann sie auch putzen lassen Und wer sie putzen lasst, ist ein Signore. *) Franz. sou = 4 Pf. II. Der Tag ist wonniglich, die Insein liegen Entschleiert wie Sirenen in de Flut. Die Marchenstadt in San Martino's *) Hut Cilanzt wie ein Traum, da wir voriiberfliegen. Wir können uns bequem im Waglein wiegen, Das Lanb am Wege wehrt der Mittagsglut. Fast dünkt das Leben lieblich uns und gut — Was ist mir nur so feucht ins Aug gestiegen ? Ach, siehst du vorn an unsres Pferdes Schopfe Den Federbusch, der rastlos nickt nnd weht Beim lust'gen Schellenklang im Weitertraben ? Den Schmuck trim ia das PfprHrhpn atirh am kVmfp Das nun im öden Haus verlassen steht Seit seinen kleinen Reiter wir begraben! Lied von Sorrent. Zur Melodie: Sto crescenno no bello cardillo. Wie die Tage so golden verfliegen, Wie die Nacht sich so selig vertraumt, Wo am Felsen mit Wogen und Wiegen Die gelandete Welle verschaumt, Wo sich Blumen und Früchte gesellen, Dass das Herz dir in Staunen entbrennt — O du schimmernde Bliite der Wellen, Sei gegriisst, du mein schönes Sorrent! *) Der Pabst San Martino I. Und die Nacht, wenn so süss Luisella Ihre lachenden Lieder uns singt, Und der Wirbel der Lust, Tarantella, Wie ein Flammchen im Sturme sie schwingt. An der Bucht sich die Gatten erhellen Unterm leuchtenden Nachtfirmament — O du schimmernde Blüte der Wellen, Sei gegrüsst, du mein schönes Sorrent! Hier entrinnst du der Sorgen Oetriebe, Und es tragt dich auf Handen die Lust, Und sogar das Gedachtnis der Liebe, Hier beschleicht es gelinder die Brust. Und du tauchst in die heilenden Quellen, In des heiligen Meers Element — O du schimmernde Blüte der Wellen, Sei gegrüsst, du mein schönes Sorrent! Auch der tobenden Stürtne Getümmel, Hier belebst es nur Blüten zuhauf Und es lösen die Wetter am Himmel In ein fruchtbar Geriesel sich auf. Wenn die Früchte, die herbstlichen, schwellen, Ach wie weit, ach wie bin ich getrennt! Dann ade, o du Blüte der Wellen, Dann ade, du mein schönes Sorrent! Reisebriefe. I. Liebste, da ich heut im Regenzwielicht Von dir ging, noch unsern Buben herzte, Und die grossen Madchen sehr verschlafen Mir zum Abschied Mund und Wange boten, Dann der Morgenwind init frost'gem Schauer, Oar nicht lenzhaft, mein Oesicht umspriihte — Sinnlos schien ich mir und aberwitzig, Dass ich fortging, weil der Arzt geraten, Alten Gram in neuer Luft zu heilen. Der Gesundheit, ach, des Friedens Quelle, Fliesst sie einzig nicht im Bann des Hauses? Auch der schönsten Ferne fremdes Treiben, Farbenbunt geschaftig Weltgewimmel — Was dem wunden Herzen kann es bieten, Das ihm besser nicht daheim erblühte? II. Nach der Post, um deinen Brief zu holen, Ging ich, flog ich, kaum erst angekommen, Noch den Reisestaub auf meinen Kleidern. Schon drei ganze Tage wusst' ich nimmer, Wie du schlafst und wachst, und ob die Lüfte Mild genug, das Kind hinaus zutragen Ob es brav sei und sich redlich nahre. Dies und andres, schon drei ganze Tage Brannte mir 's gewaltig auf der Seele Lieblich war der Abend, blonde Kinder Spielten auf den blanken Hausertreppen, Hübsche Madchen, sittsam Arm in Arme, Schritten eifrig flüsternd mir vorüber, Erd' und Himmel lachten, und des Münsters Alter Turm schien wie in Gold gebadet. Und ich jauchzte: Bald werd' ich ihn haben, Meinen Brief! Geduld nur, liebe Seele! Dort ist schon die Post; noch zwei Minuten! Doch der Mann am Schalter, ein behab'ger Graubart, zarter Sehnsucht, siissem Hoffen Langst schon abgestorben — wohlbedachtig Einen Haufen postrestanter Briefe Langt er knurrend aus der obern Lade, Zweimal lasst er sich den Namen sagen, Dann mit Sorgfalt seine Brille putzend Und dazwischen erst dem Postgehülfen Wortreich einen kraft'gen Wischer gebend, Brief um Brief zu mustern jetzt beginnt er. Und ich stampf' und knirsch, und mit den Augen lhm voraus durchwühl' ich schon den Haufen. „Der vielleicht? Direktor Zeise?"— Nicht doch ! H—E Ypsilon!— „Ja so!— Bedaure! Nichts für Sie!" — Und wie vom Blitz getroffen Stand ich, konnte mich vom Fleck nicht rühren, Bis ein ungeschlachter Metzgermeister Ziemlich unsanft mich vom Schalter wegschob, Geld einzahlend für gekaufte Hammei. Wie? Ist plötzlich denn die Welt verwandelt? Nichts mehr will mir hold und lieblich scheinen ? Auf unsauberlichen Hausertreppen Seh' ich ungewaschne Kinder spielen, Statt der hübschen Madchen eine Herde Schnatterganse, und der alte Münster, Da das Sonnengold herabgeschmolzen, Gott verzeih' mir's, di'inkt mich nur ein plumper, Gothisch überladner Schnörkelkasten! Doch auf einmal muss ich herlich lachen, Sind wir denn nicht Toren, denen wahrlich Recht geschieht? Es treibt uns in die Ferne, Und der Heimat kaum entrückt, erscheint uns Nichts so wichtig, lieb und herzerquicklich, Als zu hören, wie 's zu Hause stehn mag, — Was wir billiger doch und naher hatten! Rispetti. I. Rispetti singt man Abends in der Kühle Und Mitternachts zur Stunde der Gespenster, Ein wenig aufzuatmen nach der Schwüle, Singt sie ein Liebender am Kammerfenster, Ich singe sie an einem kleinen Grabe, Drin ruht, was ich zumeist geliebet habe. Es kommt kein Gruss, kein Flüsterwort zurücke; Ein armer Spuk nur blieb von so viel Glücke. II. Mir war's, ich hört es an der Türe pochen, Und fuhr empor, als wjirst du wieder da Und sprachest wieder, wie du oft gesprochen, Mit Schmeichelton: Darf ich hinein, Papa? Und da ich Abends ging am steilen Strand, Fiihlt' ich dein Handchen warm in meiner Hand. Und wo die Flut Gestein herangewalzt, Sagt' ich ganz laut: Gib acht, dass du nicht fallst! IV. Um Mitternacht weckt mich die alte Wunde, Ich seh' den Mond so still ins Fenster scheinen, Auch du *) bist wach, und mit demTuch vorm Munde Ersticken möchtest du dein einsam Weinen. Ach, sollen mir nicht sagen deine Tranen, Ich dürfe niemals dich getröstet wahnen? Ach, sagen sie mir nicht: was dir geblieben, Sei kaum der Miihe wert noch, es zu lieben? *) Die Mutter. 0 Heinrich Seidel. Geb. am 26 Juni 1842. » GlocJcenspiel." — „Neues Glocfcenspiel Rosenzeit. Wenn die wilden Rosen blühn An des Feldes Rand, Frisch gemahtes Wiësengrün Duftet durch das Land, Wenn in stillen Waldesgründen Sich die roten Beeren riinden Und die Sommerszeit verkünden, Wenn der Himmel blaut so weit — O du schone Rosenzeit! Heil und warm ist nun die Nacht, Langer wird der Tag, Dass er all der Schönheit Pracht In sich fassen mag. Friihling ist noch nicht gegangen, Sommer hat schon angefangen, Beide hold vereinigt prangen, Herbst und Winter sind noch weit — O du schone Rosenzeit! Ja, in Rosen steht die Welt, Aber ahnungsbang Rauschet durch das Ahrenfeld Schon ein fremder Klang: Bald ertönt der Erntereigen, Und die Rose wird sich neigen, Und die Vögel werden sch weigen, Ach, wie bald, dan liegst du weit — O du schone Rosenzeit! Wilde Rosen. Ich ging im Wald, in schonen Junitagen; Da sah ich einen Birnbaum vor mir ragen Mit seinen Zweigen stolz und dunkelgrün, Doch, welch ein Wunder! Nahe seinem Oipfel, Aus seinem Laub, dicht unter seinem Wipfel, Da sah ich hundert wilde Rosen bliilm. Ich trat hinzu, das Ratsel zu ergründen, Und seltsam ist est, was ich muss verkünden Und was ich dort nach langem Suchen fand, Aus Dorngestrüpp kam eine lange Rute, Die hin und her mit ungebeugtem Mute Sich durch des Baumes Aste aufwarts wand. Und war es auch in Finsternis geboren — Das kleine Reis hat nicht den Mut verloren, Es strebet tapfer auf zum goldnen Licht, Es tastet sich einpor mit griinem Finger Und dreht und wendet sich in seinem Zwinger, Und sucht und harrt und hofft und zaget nicht. O, gebe Gott doch allen, die da streben Sich aus der Finsternis ans Licht zu heben, Ein gut Gedeih'n für redliches Bemiih'n Und Mut und Kraft und freudiges Vertrauen, Damit auch sie des Sieges Stunde schauen, Damit auch ihre Rosen endlich blüh'n! Der Zug des Todes. Ueber die Heide beim Morgengraun Wandert ein Zug, gar seltsam zu schaun. Voran der hagre Knochengesell: Wie tönt seine Glocke hart und grell. Sie schallt tiber Pfeifen — und Geigengetön Und durch des Krieges Donnergedröhn. Und wer sie hört, der muss hinteran, Und sei es Kind, Greis, Weib oder Mann. Ade, du rosiges Jungfnïulein! Du tanztest heute den letzten Reihn. Nimm Abschied, du junger Kriegsgesell, Es is dir schon bereitet die Steil. Unschuldige Kinderlein ziehen voran, Die Alten humpeln hinterdran. Vorüber unabsehbar viel — Sie wandern alle nach einem Ziel. Mit Augen gross und starr und weit — Die schaun schon in die Ewigkeit. Ueber die Heide beim Morgengraun Wandert ein Zug, gar seltsam zu schaun. Er wandert, seit die Menschlieit besteht, Und wandern wird er, bis sie vergeht. Bis einst die Glocke nicht mehr klingt. Kein Baum mehr rauscht, kein Vogel singt. Bis Erdenlust und Erdenleid Versunken in die Ewigkeit. Marie von Ebner—Eschenbach. Geb. am 13 September 1830. »Parabeln, Mdrchen und Gedichte" 1892. Ein kleines Lied. Ein kleines Lied, wie geht's nur an, Dass man so lieb es haben kann, Was liegt darin? Erzahle! — Es liegt darin ein wenig Klang, Ein wenig Wohllaut und Oesang, Und eine ganze Seele. Sommermorgen. Auf Bergeshöhen schneebedeckt, Auf grünen Hügeln weitgestreckt Erglanzt die Morgensonne; Die tauerfrischten Zweige hebt Der junge Buchenwald und bebt Und bebt in Daseinswonne. Es stürzt in ungestümer Lust Herab aus dunkier Felsenbrust Der Giessbach mit Getose, Und blühend Leben weckt sein Hauch lm stolzen Baurn, im nied'ren Strauch, In jedem zarten Moose. Und driiben wo die Wiese liegt, lm Blütenschmuck, da schwirrt und fliegt Der Mücken Schwarm und Immen. Wie sich's im hohen Grase regt Und froh geschaftig sich bewegt, Und summt mit feinen Stimmen! Es steigt die junge Lerche frei Empor gleicli einem Jubelschrei lm Wirbel ihrer Lieder, lm nahen Holz der Kuckuck ruft, Die Amsel segelt durch die Luft Auf goldenem Gefieder. O Welt voll Glanz und Sonnenschein, O rastlos Werden, holdes Sein, O liöchsten Reichtums Fiille! Und dennoch, ach — verganglich nur Und todgeweilit, und die Natur Ist Schmerz in Schönheitshülle. Das Schiff. Das eilende Schiff, es kommt durch die Wogen Wie Sturmwind geflogen. VoU Jubel ertönt's vom Mast und vom Kiele: »Wir nahen dem Ziele." Der Fahrmann am Steuer spricht traurig und leise: »Wir segeln im Kreise." Arthur Fitger. Geb. am 4 Oktober 1840. „Fahrendes Volk" 1875. — » Winternaclite" — »Requiem aeternam dona ei" 1894. Berglied. Qeht ins Oebrg deine Bahn, Anfangs umschatten dich laubige Wipfel, Und aus der Schenke manch guter Kuinpan Drangt sich mit Lachen und Singen dir an; Einsam jedoch auf verödetem Oipfel Trotzest du eisigen Stürmen. Einsam den Stürmen der Qual Trotz ich auf eisigem Feld der Gedankeri; Schneidigen Lichts unerbittlicher Strahl Brennt mir im Aug', und erstorben und fahl Dammert da drunten das Land und versanken All meine Freuden in Nebel. All meine Freuden entflohn! All meine Wandergefahrten geschieden! Ferne wohl ruft mich's mit liebendem Ton: Kehr uns zurück, du verlorener Sohn! Doch zu der Taler geselligem Frieden Hinter mir brach ich die Brücken. Brücken und Stege zerschellt, Zornige Wasser die Trümmer umtoben ! Tötlich umstarrt mich das einsame Feld; Adler im Blauen, du sonniger Held, Trage die sehnende Seele nach oben, Auf zu dem Urquell des Lichtes. Gesang der Werkleute. Nehemia, Capitel IV. »Als aber die Heiden vernahmen von fern, Dass neu wir erbauten den Tempel des Herrn, Da drangten sie an mit verderblicher Macht, Und die Statte des Baus ward zur Statte der Sclilaclit; Links schleppten wir Balken, links walzten wir Last, Die Linke hielt Hamtner und Kelle gefasst; Doch hocli in der Rechten erblitzte die Wehr, Das geschliffene Schwert und der eschene Speer. Und wir fügten die Steine, wir mauerten gut, Und wir mischten den Mortel mit purpurnem Blut. Wir erhuben der Saule gemeisselten Knauf Mit Sterbegeröchel statt frohem „Glück auf!" Und wir wölbten der Kuppel gewaltiges Rund, Ins innerste Leben getroffen und wund. Umschwirrt uns, ihr Heiden, umdriing uns, Qezücht, Du tötest uns, doch überwaltigst uns nicht." So sangen in Zion mit trotzigem Laut Die Manner, derweil sie den Tempel gebaut, Den Tempel des Höchsten, das heilige Haus. — Wann endet das Lied, wann klinget es aus? Jahrhunderte kamen, Jahrhunderte flohn, Wie die Vater gefallen, fallt heute der Sohn ; Wir bauen, wir fechten von Feinden umdraut, Und mischen mit Blute den Mortel noch heut. Vorposten. Ich steh allein auf dunkier Wacht, Allein bei meinem Panier; Doch fern im Lager zecht und lacht Rekrut und Offizier. Es schleicht und streicht im Dunkeln, Feindliche Waffen funkeln; Die Nacht ist schwarz, die Nacht ist stumni- Ich steh allein — der Tod geht utn. Und zieht ihr mit dein Morgenrot, Ihr Brüder frisch ins Feld, Auf meinem Banner lieg ich tot, Mein Waffen liegt zerschellt. Ich bitt euch nur das eine, Bestattet mein Oebeine, Und schmaht nicht, wenn der Staub mich deckt, Dass ruhmlos sich das Schwert gestreckt. Denn wo man stolz die Trommel rührt, Und wo das Pfeifchen geilt. Und wo der grosse Hauf' marschiert, Ist jeder leicht ein Held. O siegestrunknes Wandern, Wenn Einer schirmt den andern ! O weh, wie liegt er ungeehrt, Wer einsam in die Qrube fahrt! Abendsegen. Madchen, hör' die Pforte gehen Leise klirrend durch die Nacht." — Base, nur die Winde wehen, Qebt des spaten Larms nicht Acht; An die Fenster streicht der Regen; Schlafet ein, Ich allein Lese noch den Abendsegen. Ihr Töchter Jerusalems, horcht und lauscht:*) Mein Freund ist nahe, sein Fusstritt rauscht; Sein Fusstritt rauscht durch die dammernde Au' Die Locke trieft ihm vom nachtlichen Tau. «Madchen, hör's zur Treppe schleifen, Sorglich tasten Schritt vor Schritt." Base, nur die Mauschen pfeifen, Heimchen pfeift am Herde mit; An die Fenster streicht der Regen: Schlafet ein; Ich allein Lese noch den Abendsegen. Ihr Töchter Jerusalems! hört meinen Freund, Vom parten, wo purpurn die Feige sich braunt. Wo die Traube sich rankt über bluinige Zier, Er kommt, er suchet, er sehnt sich nach mir.' «Madchen, hör', nun spukt es droben Tappend in dein Kammerlein." — Base, wenn Gespenster toben, Wird ein Engel bei mir sein. #) Eine Anspieling auf das hohe Lied Salomons. An die Fenster streicht der Regen, Schlafet ein; Ich allein Lese noch den Abendsegen. Mein Freund, mein Oeliebter, du Schoner' du Trauter, Laut schlcïgt mir das Herze und lauter und lauter. Allum liegt's im Schlaf und es wachet kein Licht; Ihr Wachter von Zion, verratet uns nicht. Detlev von Liliencron. Geb. am 3 Juni 1844. »Adjutanlenritte und andere Gedichte''' 1883. — x> Gedichte" 1889. — »Der Heidegdnger" 1891. — *Neue Gedichte" 1893. Die Musik kommt. Klingling, bumbum und tschingdada, Zieht im Triumph der Perserschah? Und urn die Ecke brausend brichts Wie Tubaton des Weltgerichts, Voran der Schellenlrager. Brumbrum, das grosse Bombardon, Der Beckenschlag, das Helikon, Die Piccolo, der Zinkenist, Die Türkentrommel, der Flötist, Und dann der Herre Hauptmann. Der Hauptmann naht mit stolzem Sinn, Die Schuppenketten unterm Kinn, Die Scharpe schnürt den schlanken Leib, Beim Zeus! das ist kein Zeitvertreib, Und dann die Herren Leutnants. Freiherr Detlev v. Liliencron. Zwei Leutnants, rosenrot und braun, Die Fahne schützen sie als Zaun, Die Fahne kommt, den Hut nimm ab, Der bleiben treu wir bis ans Orab! Und dann die Orenadiere. Der Grenadier im strammen Tritt, In Schritt und Tritt und Tritt und Schritt, Das stampft und dröhnt und klappt und flirt, Laternenglas und Fenster klirrt, Und dann die kleinen Madchen. Die Madchen alle, Kopf an Kopf, Das Auge blau und blond der Zopf, Aus Tür und Tor und Hof und Haus Schaut Mine, Trine, Stine aus, Vorbei ist die Musike. Klingling, tschingtsching und Paukenkrach, Noch aus der Ferne tönt es schwach, Ganz leise bumbumbumbum tsching; Zog da ein bunter Schmetterling, Tschingtsching, bum, um die Ecke? Cincinnatus. Frei will ich sein. Meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug, Und ein fröhlich Herz, und das ist genug. Und schleichen die Wünsche wie schmeichelnde Panther, Tobt einer im Blut mir, ein höllengesandter, Dass ich Ruhe nicht finde bei Tag und Nacht, Dass ich ganz wirr bin und überwacht, Dass mir die Wangen einfallen und bleichen, Und kann doch und kann doch den Wunsch nicht erreichen: Ich schluck ihn zu den begrabnen andern, Fein still, und es saumt schon das rastlose Wandern, Das Wort klingt herb und hat traurigen Mund, Und tröstet mich doch und macht mich gesund. Meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug, Und ein fröhlich Herz, und das ist genug. Frei will ich sein. Bietet der Staat mir Wiirden und Amt, Und triig er mirs an auf purpurnem Samt, Ich winke den Bringern, ich lache dem Tand, Und wehre sie ab mit verneinender Hand. Mich schaudert vor Joch und Fessel und Druck, Vor des Dienstes grauem Bedientenschmuck, Vor des Dienstes Sklavenarbeiten, Vor seinen Riicksichtslosigkeiten. Ich beuge den Menschen nicht meinen Nacketi, Und lasse sie nicht an den Kragen mir packen. Der Oeier des Ehrgeizes richtet den Schnabel Ewig nur gegen den eigenen Nabel, Und frisst sich selbst in den Eingeweiden, Und schafft sich selbst nur die bittersten Leiden. Weg da, ihr Narren, und lasst mich in Ruh, Und drohend werf ich mein Hoftor zu. Meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug, Und ein fröhlich Herz, und das ist genug. Frei will ich sein. Doch ruft mich der Kaiser in Not und Oefahr, Ich entstiirze dem Haus mit gestraubtem Haar, Bin um ihn, wenn er von Feinden umdrangt, Bis wieder die Streitaxt am Nagel hangt. Muss das Vaterland drangvoll die Sturmflaggen hissen, Ho heida! die Klinge der Scheiden entrissen. Und droht es von Osten und draut es von West, Wir schlachten den Baren, den Hahn uns zum Fest, Fallt neidisch uns an auch die ganze Welt, Sie lernt uns schon kennen, der Angriff zerspellt. Und der Frieden strahlt auf, von Sonnen gezogen, Der Teifun erstarb in sanft platschernden Wogen, Der Ackersmann sat, und der alte Verkehr Findet versperrte Strassen nicht mehr. Dann stemm ich die Spitze von meinem Schwert Fest auf den hauslichen Feuerherd, Umfasse den Griff mit der einen Hand Und trockne das Blut von Rill und Rand Und schleif es, gewartig zu neuem Tanz, Doch heute bedeckt es ein Eichenkranz. Meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug, Und ein fröhlich Herz, und das ist genug. Frei will ich sein! Tot in Ahren. Im Weizenfeld, in Korn und Mohn, Liegt ein Soldat, utiaufgefunden, Zwei Tage schon, zwei Nachte schon, Mit schweren Wunden, unverbunden. Durstüberqualt und fieherwild, lm Todeskampf den Kopf erhoben. Ein letzter Traum, ein letztes Bild, Sein brechend Auge schlagt nach oben. Die Sense sirrt im Ahrenfeld, Er sieht sein Dorf im Arbeitsfrieden, Ade, Ade du Heimatwelt — Und beugt das Haupt, und ist verschieden. 10 Mit der Pinasse. Madchen, reich mir deine Hande, Spring ins Boot, nicht zu behende, Lös das Tau vom Bohlenring! Ueber kleine Wellenhügel Tanzen unsre Segelfliigel Wie der weisse Schmetterling. Blast Nordost uns frisch hinaus, Weht Südwest uns sanft nach Haus. Lustig Liebesabenteuer, Ich und du allein am Steuer, Weite Wassereinsamkeit. Letztes Ufer im Verblassen ; Hoch am Maste der Pinassen Wimpelt die Verschwiegenheit. Blast Nordost uns frisch hinaus, Weht Südwest uns sanft nach Haus. Wenn die Bretter plötzlich krachen, In die Tiefe taucht der Nachen, Sah es nur der wilde Schwan. Klopft dein Herzchen? Lass uns wenden Und die stille Fahrt beenden, Bald am Herde spriiht der Span. Blies Nordost uns frisch hinaus, Weht Südwest uns sanft nach Haus. Siegesfest. Flatternde Fahnen Und frohes Gedrange. Fliegende Kranze Und Siegesgesange. Schweigende Graber, Verödung und Gratiën. Welkende Kranze, Verlassene Frauen. Heisses Umarmen Nach schmerzlichem Selmen. Brechende Herzen, Erstorbene Tranen. Ernst von Wildenbruch. Geb. am 3 Febr. 1845. >Dichtnngen und Balladen" 1884; »Lieder und Balladen" 1887. Weisst du noch? Wie wir uns fanden zum erstenmal Unterm Fliederbusch, bei der Mühle im Tal, Wo die Quelle rann am verborgenen Platz, Hans du mein Lieb, Hans du mein Schatz, Weisst du noch? Weisst du es noch? "Hing nicht der Flieder iiber uns her, Eine schattige Laube, duftend und schwer? Sang nicht die Nachtigall süssen Laut? Klarchen mein Lieb, Klarchen mein Traut — Freilich doch Weiss ich es noch." Wie wir da sassen auf einsamcr Bank, Bis dir mein Haupt an die Wange sank, Wie es da ruhen und rasten blieb — Hans du mein Schatz, Hans du mein Lieb, Weisst du noch ? Weisst du es noch ? „Als wir uns setzten, stand hoch ja der Tag, Als wir aufstanden, der Mondschein lag Ueber den Wiesen, dirftig betaut; Klarchen mein Lieb, Klarchen mein Traut, Freilich doch Weiss ich es noch." Wie wir dann gingen durch Wiesen und Land, Arm im Arme und Hand in Hand, Was du mir sagtest und flüstertest dort, Hans du mein Schatz, das glückselige Wort, Weisst du noch? Weisst du es noch? „Seh' ich nicht glühen dein süsses Gesicht, Als ich dir sagte ganz leise, ganz dicht: Bist mir mein Alles, mein Herz, meine Braut— Klarchen mein Lieb, Klarchen mein Traut, Freilich doch Weiss ich es noch." Nicht mehr zusammen durch Wiesen und Land Gehen wir beide nun Hand in Hand — Sag' mir, wie lang ist das all nun vorbei, Siehst mich heut an, ob ich's selber noch sei, Fragst, wo das Antlitz das lachende blieb — Hans du mein Alter, Hans du mein Lieb Sprachest mir heut Nicht wie vor Zeit. „Rücke mir naher dein liebes Gesicht, Will dir was sagen, ganz leise, ganz dicht: Klarchen mein Altchen, Klarchen mein Traut, Warst mir mein Alles, mein Herz, meine Braut. Warst es vor Zeit, Bist es noch heut, Solist es mir bleiben in Ewigkeit." Unterm Machandelbaum (Alt-Markisch.) Unterm Machandelbaum Da ist ein Platz — Susala dusala — Da sitzt mein Schatz. Sitzt auf dein grünen Gras, Sitzt auf dem grünen Klee — „Hast ja die Augen nass, Bist ja wie Milch und Schnee — Susala dusala Wo tut's denn weh ?" „Kommst du so spat zurück? Nun ist 's zu spat fiirs Glück. Kenne dich gar nicht mehr, Mir ist das Herz verquer — Susala dusala Wollt', tot ich war!" „Schwarz ist das Grabeloch, Leb' doch ein Weilchen noch, Wart' noch bis Sankt Kathrein, Da will ich um dich frein, Wart' noch bis Sankt Martein, Da soll die Hochzeit sein — Susala dusala Gib dich darein." Weihnacht. Die Welt wird kalt, die Welt wird stumtn, Der Winter—Tod geht schweigend um; Er zieht das Leilach weiss und dicht Der Erde übers Angesicht — Schlafe — sclilafe. Du breitgewölbte Erdcnbrust, Du Statte aller Lebenslust, Hast Duft genug im Lenz gesprüht, lm Sommer heiss genug geglüht, Nun komme ich, nun bist du mein, Oefesselt nun im engen Schrein Schlafe — schlafe. Die Winternacht hangt schwarz und schwer, lhr Mantel fegt die Erde leer, Die Erde wird ein schweigend Grab, Ein Ton geht zitternd auf und ab: Sterben — sterben Da horch — im totenstillen Wald Was für ein siisser Ton erschallt? Da sieh — in tiefer dunkier Nacht Was für ein süsses Licht erwacht? Als wie von Kinderlippen klingt 's, Von Ast zu Ast wie Flammen springt 's, Vom Himmel konunt's wie Engelsang, Ein — Floten — und Schalmeienklang: Weihnacht! Weihnacht! Und siehe — welch ein Wundertraum: Es wird lebendig Baum an Baum, Der Wald steht auf, der ganze Hain Zieht wandelnd in die Stadt hinein. Mit grünen Zweigen pocht es an: „Tut auf, die sel'ge Zeit begann, Weihnacht! Weihnacht!" Da gehen Tür und Tore auf, Da konimt der Kinder Jubelhauf, Aus Türen und aus Fenstern bricht Der Kerzen wannes Lebenslicht. Bezwungen ist die tote Nacht, Zum Leben ist die Lieb' erwacht, Der alte Qott blickt lachelnd drein, Des lasst uns froh und fröhlich sein! Weihnacht! Weihnacht! Kaiser Heinrich. Die Rheines-Adler mit lastendem Flug, Sie zogen den schwebenden Kreis, Als Heinrich kam auf Schloss Hammerstein, Kaiser Heinrich, ein flüchtender Qreis. Der Abendsonne verscheidende Glut Lag zitternd auf Talern und Höh'n; Kaiser Heinrich sah in den strömenden Rhein: „O Deutschland, wie bist du so schön! Ihr Berge mit rebendurchglühter Brust, Du herdenbeveandelte Trift, Ihr steht mir geschrieben tief in das Herz Wie eine heilige Schrift. Wie ein rauschendes Buch voll Mare und Lehr', Deutschland, so liegst du vor mir; Deine Kaiser machten zum Griffel das Schwert Und schrieben den Inhalt dir. Und wenn er zu Ende sein Tagewerk schrieb, Tat jeder den Griffel zur Ruh', Er gab das Buch in des Nachstens Hand, Sprach: «Lies und schreibe nun du." Doch als mir der Vater das Buch übergab, War kindisch und schwach meine Hand, Es nahmen's die andren und lasen mir draus, Was nicht in dem Buche stand. Und als in dem Buch ich zu schreiben begehrt, Da kamen die Tage des Fluchs! Es hob sich von Mittag und Abend der Sturm Und griff in die Seiten des Buchs. Er warf sie herauf, er warf sie herab, Er warf sie die Kreuz un die Quer; Mein Auge ward trübe vom wirbelnden Staub, Und das Schreiben ward schwer, ward schwer. So ist meine Schrift nun verworren, verzerrt, Dass niemand sie lesen kann; Sie schiitteln die Haupter und nennen mich heut Einen alten, verworrenen Mann. Mein Tag geht zur Neige, mein Werk ist getan, Heut schreib' ich das letzte Blatt, Den Griffel tauch' ich ins eigene Herz, Da trink' er am Blute sich satt. Und ich schreibe hinein mit wankender Hand, Und ich schreibe mit eigenem Blut, Dass die Schrift soll leuchten durch Lander und Zeit In roter flammender Glut: Der Ehre verlustig, am Leben bedroht, Vertrieben von Land und von Thron, So flüchtet der Kaiser vor seinern Volk, Der Vater vor seinem Sohn." — Die Sonne versank, dumpf rauschte der Rhein, An die Türe schlug es mit Macht: „Deines Solmes Reiter sprengen im Tal, Zur Flucht, noch birgt uns die Nacht!" Kaiser Heinrich trat in das schwankende Schiff: „O Warner, du mahntest mich recht, Die Nacht gehort dem versunkenen Mann Und die Sonne dem neuen Geschlecht." Friedrich Nietzsche. Gel. am 15 October 1844, nest. am 12 April 1897. 'Lieder des Prinzen Vogelfrei," als Anhang von „Die Fröhliche Wissenschaft," Gedichte in „Also sprach Zarathustra" u. s. w*) lm Süden. So hang' ich denn auf kruminem Aste Und schaukle meine Müdigkeit. Ein Vogel lud mich her zu Gaste, Ein Vogelnest ist 's, drin ich raste. Wo bin ich doch ? Ach, weit! Ach, weit! Das weisse Meer lieg^ eingeschlafen, Und purpurn steht ein Segel drauf. Fels, Feigenbaume, Turm und Hafen, Idylle rings, Qeblök von Schafen, — Unschuld des Südens, nimm mich auf! Nur Schritt für Schritt - das ist kein Leben Stets Bein vor Bein macht deutsch und schwer. ) In den deutschen Anthologiën wird man Nietzsche vergebens iinter den Dichtern suchen. Er gehort nicht zu denjenigen, welche sich als Dichter „etabliert" haben, was nicht verhindert, dass er sehr schone Verse geschrieben hat. Ich hiess den Wind mich aufwarts heben, Ich lernte mit den Vögeln schweben, Nach Süden flog ich iiber 's Meer. Vernunft! Verdriessliches Geschafte! Das bringt uns allzubald an 's Ziel! Im Fliegen lernt' ich, was mich affte, — Schon fühl' ich Mut und Blut und Safte Zu neuem Leben, neuem Spiel . . . Einsam zu denken nenn' ich weise, Doch einsam singen — ware dumm! So hört ein Lied zu eurem Preise Und setzt euch still um mich im Kreise, Ihr schliminen Vögelchen, herum ! So jung, so falsch, so umgetrieben Scheint ganz ihr mir gemacht zum Lieben Und jedein schonen Zeitvertreib ? Im Norden — ich gesteh's mit Zaudern — Liebt' ich ein Weibellen, alt zum Schaudern «Die Wahrheit" hiess das alte Weib . . . Der geheimnissvolle Nachen. Gestern Nachts, als alles schlief, Kaum der Wind mit ungewissen Seufzern durch die Gassen lief. Gab mir Ruhe nicht das Kissen, Noch der Molm, noch, was sonst tief Schlafen macht, — ein gut Gewissen. Endlich schlug ich mir den Schlaf Aus dem Sinn und lief zum Strande. Mondhell war 's und mild, — ich traf Mann und Kahn auf warmem Sande, Schlafrig beide, Hirt und Schaf: Schlafrig stiess der Kahn vom Lande. Eine Stunde, leicht auch zwei, Oder war's ein Jahr? - da sanken Plötzlich mir Sinn und Gedanken In ein ew'ges Einerlei, Und ein Abgrund ohne Schranken Tat sich auf: — da war's vorbei! Morgen kam: auf schwarzen Tiefen Steht ein Kahn und ruht und ruht. .. Was geschah ? so rief's, so riefen Hundert bald: was gab es? Blut? Nichts geschah! Wir schliefen, schliefen Alle — ach, so gut! so gut! ..Mein Glück!" Die Tauben von San Marco seh' ich wieder: Still ist der Platz, Vormittag ruht darauf. In sanfter Kühle schick' ich müssig Lieder Gleich Taubenschwarmen in das Blau hinauf — Und locke sie zurück, Noch einen Reim zu hangen in 's Gefieder - mein Glück! Mein Glück! Du stilles Himmels-Dach, blau-licht' von Seide, Wie schwebst du schirmend ob des bunten Bau' Den ich — was sag ich ? - liebe, fürchte, neide . Die Seele wahrlich trank' ich gem ihm aus! Gab' ich sie je zurück? Nein, still davon, du Augen-Wunderweide! — mein Glück! Mein Glück! Du strenger Turm, mit welchem Löwendrange Stiegst du empor hier, siegreich, sonder Müh! Du überklingst den Platz mit tiefem Klange — Französisch, warst du sein accent aigu? Blieb' ich gleich dir zurück, Ich wiisste, aus welch seidenweichem Zwange... — mein Glück ! Mein Oliick ! Fort, fort, Musik ! Lass erst die Schatten dunkeln Und wachsen bis zur braunen lauen Nacht! Zum Tone ist 's zu früh am Tag, nog funkeln Die Oold-Zieraten nicht in Rosen-Pracht, Noch blieb viel Tag zurück, Viel Tag für Dichten, Schleichen, Einsam-Munkeln — mein Glück! Mein Oliick! Nach neuen Meeren. Dorthin — will ich; und ich traue Mir fortan und meinem Oriff. Offen liegt das Meer, in 's Blaue Treibt mein Genueser Schiff. Alles glanzt mir neu und neuer, Mittag schlaft auf Raum und Zeit — Nur dein Auge — ungeheuer Blickt mich 's an, Unendlichkeit! Madchenlied. Gestern, Madchen, ward ich weise, Gestern ward ich siebzehn Jahr! — Und dem greulichsten der Greise Gleich' ich nun — doch nicht aufs Haar! Gestern kam mir ein Oedanke — Ein Gedanke? Spott und Hohn! Kam euch jemals ein Gedanke? Ein Gefühlchen eher schon! Selten, dass ein Weib zu denken Wagt, denn alte Weisheit spricht: „Folgen soll das Weib, nicht lenken: Denkt sie, nun dann folgt sie nicht." Was sie noch sagt, glaubt' ich nimmer; Wie ein Floh, so springts, so stichts! „Selten denkt das Frauenzimmer, Denkt es aber, taugt es nichts!" Alter hergebrachter Weisheit Meine schönste Reverenz! Hört jetzt meiner neuen Weisheit Allerneuste Quintessenz! Gestern sprachs in mir, wie's immer In mir sprach: nun hört mich an: „Schoner ist das Frauenzimmer, Interessanter ist — der Mann!" Spruchartiges. Der Einsiedler spricht. I. Gedanken haben? Gut! sie wollen mich zum Herrn Doch sich Gedanken mach en, — das verlernt' ich gern Wer sich Gedanken macht; — den haben sie. Und dienen will ich nun und nie. II. Wer viel einst zu verkünden hat, Schweigt viel in sich hinein. Wer einst den Blitz zu zünden hat, Muss lange — Wolke sein. Gib acht! Oh Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? „Ich schlief, ich schlief, — „Aus tiefem Traum bin ich erwacht: — „Die Welt ist tief, „Und tiefer als der Tag gedacht. „Tief ist ihr Weh „Lust — tiefer noch als Herzeleid: „Weh spricht: Vergeh! „Doch alle Lust will Ewigkeit —, will tiefe, tiefe Ewigkeit!" Rimus remedium. Oder: Wie kranke Dichter sich trosten. Aus deinem Munde, Du speichelflüssige Hexe Zeit, Tropft latigsam Stund' auf Stunde. Umsonst, dass all mein Ekel schreit: »Fluch, Fluch dem Schlunde Der Ewigkeit!" Welt — ist von Erz: Ein gliihender Stier — der hört kein Schrei'n. Mit fliegenden Dolchen schreibt der Schmerz Mir in 's Gebein: „Welt hat kein Herz, Und Dummheit war 's, ihr gram drum sein!" Giess alle Mohne, Giess, Fieber! Gift mir in's Gehirn! Zu lang schon priifst du mir Hand und Stirn. Was fragst du? Was? „Zu welchcm — Lohne?" Ha! Fluch der Dirn', Und ihrem Hohne! Nein! Komm zurück! Draussen ist 's kalt, ich höre regnen — Ich sollte dir zartlicher begegnen? — Nimm! Hier ist Gold: wie glanzt das Stiick! — Dich heissen „Glück?" Dich, Fieber, segnen ? — Die Tiir springt auf! Der Regen sprüht nach meinem Bette! Wind löscht das Licht, — Unheil in Hauf'! — Wer jetzt nicht hundert Rei me hatte, Ich wette, wette, Der ginge drauf! Inhaltsverzeichnis. Seite. ANNETTE V. DROSTE-HÜLSHOFF. Heidebilder. — Der Weiher 1 Das öde Haus 2 Der Heidemann 4 Der Knabe im Moor 6 Das Haus in der Heide 7 Das Hirtenfeuer 9 Die tote Lerche 11 Der sterbende Oeneral 12 Wasser 14 Die junge Mutter 16 Am Turme 17 Mondesaufgang 18 EDUARD MÖRIKE. Er ist 's 21 Die traurige Krönung 22 Elfenlied 24 Der Feuerreiter 25 Der Zauberleuchtturm 25 Um Mitternacht 26 Rauberlied 26 In der Frühe 26 Schön-Rohtraut 26 Een Stündlein wohl vor Tag 27 Seite" Das verlassene Magdlein 28 HERMANN VON GILM. Ein Grab 29 Allerseelen 29 Himmel oder Frühling? 30 Kinderglaube 30 Ein König 31 Es musste sein! 31 In der Vesper 32 Meditation 33 Es blüht die Welt 33 FRIEDRICH HEBBEL. Nachtlied 36 Der junge Schiffer 36 Das Kind am Brunnen 37 Das Kind 38 Die treuen Brüder 39 Rose und Lilie 40 Eine Mondnacht in Rom 40 Der Wein 41 Apollo von Belvedere 41 Ein Bild 42 Das Lied vom Schmied 43 Bild der Freiheit 44 THEODOR STORM. Dammerstunde 45 Abschied 45 Bettlerliebe 47 Schliesse mir die Augen beide 47 Die Nachtigall 47 Abseits 48 Weihnachtslied 49 Die Stadt 49 Eine Frühlingsnacht 50 Ostern 51 Seite. Weihnachtsabend 52 Oedenkst du noch? 53 Oktoberlied 54 Knecht Ruprecht 55 In Bulemanns Haus 56 Mondlicht 58 An KI. Qroth 58 Über die Heide . 59 Tannkönig 59 KLAUS QROTH. Min Modersprak 62 Min Jehann 63 Still, min Hanne 64 Utsichten 65 Dar wahn en Mann 65 Prinzessin 66 Matten Has' 67 Aanten int Water 68 De letzte Feide 69 Min Platz vaer Daer 70 Abendfreden 71 Dat Moor 72 De Fischer . 73 Orotmoder 73 Int Holt 74 Min Port 75 Min Anna is en Ros' so rot 76 De Lootsendochder 77 JULIUS RODENBERG. Ungeduld 79 Mailied 80 O Welt, Du bist so wunderschön! 80 O frischer Hauch in früher Stund'! 81 Warte noch! 82 Ins offne Meer hinaus 82 Sonntag am Meere 83 Seite. Die Heide 84 An die Einsamkeit 85 In den Waldern . 86 In der Mondnacht 87 OOTTFRIED KELLER. Spielmannslied 89 Schifferliedchen 91 Jugendgedenken 91 Liebchen am Morgen 93 Der Schulgenoss 94 Stille der Nacht 94 Schlafwandel 95 Der Taugenichts 97 FRIEDRICH VON BODENSTEDT. Sonett 99 Aus „Lieder des Mirza-Schaffy" 100 Wenn der Frühling auf die Berge steigt . . . 102 THEODOR FONTANE. Der Kranich 103 Der Gast 104 Der echte Dichter 104 Silversternacht 105 Jan Bart 106 Herr von Ribbeek auf Ribbeek im Havelland. . 107 CONRAD FERDINAND MEIJER. Lenz Wanderer 110 Schwüle. 111 Schnitterlied 112 Requiem 112 Firnelicht 112 Lethe . . . 113 Am Himmelstor 114 HEINRICH LEUTHOLD. Blatterfall 116 Lenzlied 116 Seite. Waldeinsamkeit 117 Spielmannsweisen 118 Nacht 119 Trost im Leide 120 Tanzlied 120 Am Strand 121 Ave Maria 122 Der Waldsee 123 PAUL HEYSE. Bilder aus Neapel 124 Lied von Sorrent 125 Reisebriefe 126 Rispetti 128 HEINRICH SEIDEL. Rosenzeit 130 Wilde Rosen 131 Der Zug des Todes 132 MARIEVON EBNER—ESCHENBACH. Ein kleines Lied 134 Sommermorgen 134 Das Schiff 135 ARTHUR F1TGER. Berglied 137 Oesang der Werkleute 138 Vorposten 139 Abendsegen 140 DETLEV VON LILIENCRON. Die Musik kommt 142 Cincinnatus 143 Tot in Ahren 145 Mit der Pinasse . . . 146 Siegesfest 146 Seite ERNST VON WILDENBRUCH. Weisst du noch? 148 Unterm Machandelbaum 150 Weihnacht 150 Kaiser Heinrich 152 FRIEDRICH NIETZSCHE. Im Süden 154 Der geheimnissvolle Nachen 155 „Mein Glück!" 156 Nach neuen Meeren 157 Madchenlied 157 Spruchartiges 158 Oib acht! 159 Rimus remedium 159 DICHTER DER GEGENWART DICHTER DER = GEGENWART EINE BLÜTENLESE AUS NEUERER DEUTSCHEN LYRIK HERAUSGEGEBEN VON Dr. K. MAILANDER. = ZWEITER BAND. C. L. G. VELDT - AMSTERDAM. Stoomdrukkerij — H. Germs FHzn. — Doesburg Eduard Grisebach. (Der neue Tannhauser.) Geb. am 9 Oktober 1845. »Der neue Tannhauser" (anonym) 1869. »Tannhauser in Rom" 1875. Ich liege am einsamen Hünengrab. Ich liege am einsamen Hünengrab, Den Morgen zu vertraumen, Die Buche rauscht, du aber ruhst Dort wo die Wellen schaumen. Hier sollten meinem Oeisterruf Die keltischen Ahnen erscheinen, Helden in zottigem Barenfell, Mit der Axt aus Feuersteinen; Blauaugige Weiber, im blonden Haar Hellblonde Bernsteinschniire, Auch wollt ich leibbaft wandeln sehn Die riesigen Elentiere. Doch heut misslang die Beschwörung mir, Ich sah in meinen Traumen Nur immer dich am Schwanenstein Dort, wo die Wellen schaumen. II 1 Mein Fuss, bist du so müde denn? Was steigst du nicht zu ihr nieder? Ach, eine heimlich süsse Angst Fesselt ihn immer wieder. Das Bangen vor deiner Schönheit ist's, Die eben dem Meer entstiegen, Ich sehe an deiner weisse Stirn Das feuchte Haar sich schmiegen. Die dunklen Haare, die dir so oft Küssend ins Antlitz wehen, Auch fürcht' ich mich in die dunklen, Meertiefen Augen zu sehen. Dein glühender Augenstern der brennt, Wie die Sonne, die mittagheisse, Wie Mondlicht leuchtet geisterhaft In deinem Aug' das Weisse . . . Doch horch! was klingt vom Schwanenstein Herauf so süss und leise? Sie singt in den himmlischen Morgen hinein Eine rührende Weise. Das klingt wie ein Klang aus der Jugendzeit, O könnte mir dein Singen Ins Herz zurück das Paradies Verlorner Unschuld bringen! Am Grabesraine. Am Grabesraine hab' ich hier gesessen: Die trunknen Blicke auf den blauen Fiuten, Auf duftverklarten, fernen Bergen ruhten, Auf Vignengrün und dunkeinden Cypressen. Verschollen schien die laute Welt indessen, Des Herzens Wunden horten auf zu bluten, In Schlutnmer fielen des Oedankens Gluten, Die Seele schlürfte süsses Selbstvergessen. O lief' ich ein in diesen sel'gen Hafeti Einst, wenn der Wandrungstaub'ge Bahn durchmessen, Um jenen Schlaf, der ohne Traum, zu schlafen; Hier, \vo die Rose um das Kreuz sicli windet, Und Himmelsblau, durchleuchtend die Cypressen, Sich in den stillen Wogen wiederfindet. Montreux, 28 August 1864. Ein Brief. Ein Brief kam übers Meer zu niir, Ich kannte wohl der Aufschrift Hand: Viel hundert Briefe hat sie mir, Ein Menschenalter durch, gesandt; Wie froh das Siegel brach ich stets: Nur immer Liebcs stand darin — Heut aber starr' ich auf die Schrift Wie auf das Haupt der Gorgo hin. Ich weiss, es ist ihr Ietztes Wort, Kein zweiter Bote folgt ihm nach: Die Mutter schlaft den letzten Schlaf Schon manche Nacht und manchen Tag. Vor Wochen kiindet es der Draht Kurz, kalt und grausam wie ein Stahl — Und einen lieben Brief von ihr Ich öffn' ihn heut zum letzten Mal. Des Vaters Auge schloss sie einst, Den meine Blicke nicht mehr sahn; Die Tochter schloss die Augen ihr — Mich hielt im Bann der Ozean. lm Heimatstadtchen deckt sie langst Von Eschen iiberwölbt der Stein — Den Bruder tröstet Weib und Kind, Ich bin allein, allein, allein. Monat und Tage zahlt' ich schon, Zurückzukehren heimatwarts, Um, wie vordem so oft, zu ruhn An rneiner treuen Mutter Herz Gleicligültig sch' ich jetzt das Schiff Nach Deutschland fahren iibers Meer — Ob hier, ob dort, ist einerlei: Ich habe keine Heimat mehr. Alberta von Puttkamer. Geb. am R Mai 184!). •-> Dichtungen" 1885. — »Accorde und Gesange" 1890. — »Offenbarunaen" 1894. Aus Kindertagen. Es war ein goldner Tag zur Erdbeerzeit. Die Hecken dufteten im Sommerwalde, Die Stunde loekte zur Glückseligkeit, Der Tag vergliihte tiefrot an der Halde. Noch lag ein Sonnendammern weit im Rund; Das Spatlicht hing wie Perlen in den Asten — Wildtauben riefen aus dem Heidegrund — Ein Wind auf Abendflügeln kam von Westen. Wir aber flogen wilder wie der Wind, Mit heisser Stirn, und Sommerspiel im Herzen, Und vogelmunter, wie nur Kinder sind, Die Heid' entlang, in Frohmut und in Scherzen. Ich weiss es noch: am hellsten lachtest du, Das braune Kind, das fremd in unserm Reigen. Dein Auge schweifte waldwarts ohne Ruh, Als driing'es fragend in das grosse Schweigen. Du sprachst: Es komirit ein Erdbeerduft voin Qrund — «Ich will die süssen tief im Walde suchen". Ein di'irstend Lacheln kam um deinen Mund, Und dann entflogst du unter düstern Buchen. Aus knospenden Gebiischen tauchte dann Dein Köpfchen manchmal auf wie eine Blüte, Und neigte sich, und hob sich himmelan, Bis es wie junge Rosenbliitter glühte. Die hellen Beeren standen rings im Kraut, Gleicli wie Rubinlicht in zerstreuten Funken Die pflücktest du und jubeltest dann laut — Da plötzlich warst du unserm Bliek versunken Dann kam 's aus Weiten wie ein weher Ton, Und dann lag wieder rings das Abendschweigen — Mit goldnen Schatten dunkelte es schon, Und plötzlich stand die Furcht in unserm Reigen. Das Spiel hielt an — wir riefen laut zum Wald, Die Luft durchrann es wie ein bittres Weinen — Da hob sich aus den Büschen die Gestalt Des fremden Kinds im ersten Sternenscheinen. Sie kam zurück — ihr Röcklein hing zerfetzt, Und Blut troff ihr an Fuss und Hand und Wangen. Die Augen blickten fremd und ganz entsetzt — Sie war in Heidetiefen irrgegangen!.. . . Sie sprach: „Ich ging dem Schlehendufte nach, Er kam aus tiefen Waldesfinsternissen; Doch als ich von den kleinen Blüten brach, Da haben tnich die Dornen wund gerissen. Und rote Beeren hab' ich dann gesucht — Doch als ich von dem Erdbeerbusch gebrochen, Di gleissten dunkle Auglein bei der Frucht, Uid eine Sclilange hat mich tief gestochen." — Das ist nun lange her — die Jahre gehn. Dei alte Kinderreigen ward zerrissen — — Ooch seh' ich noch die Kleine jammernd stehn, Denheissen Wunsch bestraft von Schlangenbissen. Ach, süssgeheime Frucht im Lebensgrund! Die Shnsucht wird dicli ewig suchen gehen, Doch wer dich pflückt, den sticht die Sclilange wund, Und bjtend wird er in der Oede stellen. Sommernacht! Wie unken schlaft die Juninacht! Es istwie Duft von reifem Kom Weith- im Lande aufgewacht — Die Rte glüht am Fleckendorn. Der Berwald atmet; manchmal stehen Die Wi^e aus den Wolken auf, Und fül>n sehnsuchtsschwüles Wehen Der LeidiSChaft votn Tal herauf. Dort blitztxus dem entschlafnen Land Ein einzig -aches Fensterlein, Ich liabe b^ dein Haus erkannt, Von dort er0ht der schwüle Schein Und aus begllzten Büschen fragen Mich Nachtigien, wo du bist, Warum in dien trunknen Tagen Die Sehnsucht (cht die Liebe kiisst. — Dorfstille. Holunderduft liegt auf der Dorfesgasse — Die Hüttenfenster gleissen sonnenbunt, Die Büsche schatten breit — es fliegen blasse Und volle Blüten schwebend hin im Rund. Die Kirche ragt im goldengrünen Daminern Der Linden, die sie überdrangen breit. Nur aus verlorner Ferne dringt ein Hammen, Als sei 's der Herzschlag dieser Einsamkeit. . Sonst alles klangtot! und die Mittagstille Liegt wie mit erznen Fliigeln überm Land— Ich glaube fast, man hört es, wenn die Hlle Der Blatterknospen sprengt ihr braunlich ?and.. Ich glaube fast, man hört es, wenn im feste Die Schwalbe sich im Mittagschlafe reg; Und wenn ein Bienlein durcli die Lindniiste Die Würze tropfend aus den Blüten tr£t... M ittagsgespenster. Manchmal im smaragdnen Waldes;ht, War es dir am hohen Mittag nicb Als ob etwas heidetief dich führt .. Und wie schauernd deine Stirn wührt? Rings in aller Runde wandelt r-Ms Als ein Strahlenbiindel Sonnen-'hts .... Warmer Thymianduft *) steigt-us dem Kraut — Durch die Weite schwirrt's v Qlockenlaut — *) Thijm. — Thymus Serpyllum. Wandelt es wie eine Lichtgestalt Nicht aus letzten Schatten dort im Wald ? Ist es nicht, als ob's mit Handen winkt, Und wie tranenvolle Augen blinkt? Oder ist, was dich erschrocken hat, Nur ein weh'nder Zweig, ein taumelnd Blatt? Nur ein Schlehdorn, der im Heidgrund steht, Und mit blassen Knospen zu dir weht? Sind es liebe Seelen, die da ruhn, Tiefen Schlaf in deinem Herzen tun ? Die sich sehnsuchtsbange dort versteekt, Und die nun die Stille auferweckt? Geister, die dir tot sind oder fern, Oder langst entrückt zu anderm Stern ? Die das Lebeti nie dir wiedergibt, Nur der Traum: weil du sie so geliebt. ... Zuweilen wohl Zuweilen wohl in schwüler Maiennacht (Ein erstes Lenzgewitter zog vorüber) Bin ich von weichem Rufen aufgewacht, Das dann verklang im Garten trüb und trüber.... Dann flog ich jacli von meinem Lager auf — Wer kam? wer rief? — Der Mond gleisst anf den Dielen — Die Sterne blitzen grell herab, herauf, Wie Silberballe, womit Götter spielen. Wer kam? wer rief? — ich lös' das Fensterlein Und frage durch die Mondesdammernisse — Da aber quillt nur Lindenuft herein Und traumerischer Nachthauch der Narzisse Und eine Rose, die am Fenster steigt, Ist just wie ein Qeheimnis aufgebrochen. Da antwortlos die ganze Welt mir schweigt, Hat so die Mitternacht zu mir gesprochen? Und soll nun auch im jüngsten Kelchesblatt Mein Herz dem Ruf der Stunde sich enthüllen ?" Und alle Liebe, die es heimlich hat, Das Dasein wie ein Mainachtrausch erfüllen? Und soll mein Geist in seiner reinen Qlut Mit allem seinem Denken deiner warten, So wie das Mondlicht drüben traumt und ruht Durchsichtig, selig über diesem Oarten? Emil von Schönaich-Carolath. Geb. am 8 April 1852. „Lieder an eine Verlorene" 1878. — „Dichlungen" 1883; zweite sehr vermehrte Auflage 1894. Sommerfest. Ins helle Land das Bergschloss droht; Es rauschen von seinen Zinnen Die Seidenfahnen leuchtend rot, Trompeten schmettern drinnen. Die schone Braut am Söller steht: „Hilf, Mutter, spiih in die Runde." — „Mein Kind, der Staub in Schwaden geht, lm Dorfe bellen die Huilde." „Ach, Mutter, ich sah den Tod als Oast! Er kam um Festesmitten, Vom roten, flatternden Fahnendamast Qelockt, herbeigeritten. Die knöchernen Qlieder erzumstarrt Und wölfisch witternd nach Beute" .... „Mein Kind, dich hat ein Traum genarrt, Qeniesse das lachende Heute. Den Toten gönne das finstre Reich, Sie fordern Seelenmetten, Dich aber umschlingen voll und weich Des Lebens Rosenketten." «Siehst, Mutter, den Reiter du sprengen im Hag, Oefolgt von schnappenden Doggen!" »Ich sehe nur flimmern den Nachmittag Und iin Wïndstoss wogen den Roggen!'' «Ach, Mutter, der grinsende Tod sprengt an Auf klappernden Rosseshufen" „Mein Kind, dicli tauscht ein Brausen im Tann Und des Türmers Stundenrufen." Es stürzen die Gaste den Goldpokal, Die Blicke lachen und flammen; Da flieht die schone Braut zum Saai, Erbleicht und bricht zusammen. Aufschreien Herren wie Gesind', Zum Tor die Gaste drangen, Das Schloss wird leer; der Sommerwind Singt in den öden Gangen. Es ragt, von brütender Schreckenslast Erstarrt, das Schloss aus den Eiben; Die Eahnen senken sich halbmast, Der Abend brennt in den Scheiben. Daheim. Ein Weg durch Kom und roten Klee, Darüber der Lerche Singen, Das stille Dorf, der helle See, Süsses Wehen, frohes Klingen. Es wogt das Korn im Sonnenbrand, Darüber die Olocken schallen — Sei mir gegriisst, mein deutsches Land, Du schönstes Land vor allen! Neben Gewittern. Im sonnenbriitenden Erdbeerhag Die Kupfernatter geringelt lag. Auf dörres Moos und verkriippeltes Holz Der Mittag sengend niedersclunolz, Am Horizont aus Dunst und Hitze Wuchs schweres Oewölk im Sonnenblitze. Ein Krater schien es, dessen Rachen Von Brausen schwoll, von dumpfem Krachen. Wie Donner klang es, rastlos grollend, Wie Knattern und Brodeln, in Stössen rollend. Dort drüben rangen, verhüllt von Dampf, Zwei Heere den Vernichtungskampf, Es schnürte sich ein stahlernes Netz Um das berannte, verlorne Metz. Doch freundlich schien die Sonne hier, Auf Posten stand ein Grenadier, Stahlblau von Auge, heil von Haar, Ein Kerl, mit dem nicht zu spassen war, Der sperrte den Weg und rief sein Halt. Vor ihm, kaum sechzehn Winter alt, Barfiissig, ein Madchen, ein Kleid voll Flicken, Mass den Prussien mit bösen Blieken. Und wie der schweigend rückwarts wies, Schlich sie beiseit durch Heid' und Kies, Wollt' Beeren sammeln in einen Krug, Den mühsam ihr mageres Armchen trug. Doch tief im sonnenbriitenden Hag Die Kupfernatter geringelt lag, Die hat, zu züngelndem Sprunge gezückt, Den Zahn in des Madchens Ferse gedriickt. Aufschreit das Opfer sinnberaubt. - Da senkt der Feind sein behelmtes Haupt Und niederknieend halt er fest Den Mund auf die blauliche Wunde gepresst, Aufsaugend das Gift. errettend das Kind ... Im diirren Roggen schliff der Wind, Auf zwei gesenkte Menschenstirnen Fiel Liebesgruss von ew'gen Firnen. Sie schwiegen; die Sonne sank heiss und sacht, lm Blutrausch vertobte die Sommerschlacht, Ein Weltereignis brach dort sich Bahn, Hier ward ein Werk der Liebe getan, Und welches von beiden das grösste war, Macht einst das Jenseits offenbar. Denn nur die Liebe kann erlösen Von Hass, von Krieg, vom Fluch des Bösen. Vom Scheiden. Wenn dir ein Magdlein recht gefallt Und sie nimmt einen andern, Dann heisst es in die weite Welt Zu wandern. Da draussen viele Madchen sind, So viele blond und braune, Als Rosen bliihn im Maienwind Am Zaune. Mit neuem Glück an neuem Ort Zufrieden sind die mehrsten, Oft treibt ein zweiter Nagel fort Den ersten. Doch wenn die Kur dir schlecht gelingt, So werde Kapuziner, Und wenn kein Ablass Frieden bringt, Trink Valtelliner. *) Trink aus, und würfle bei Morgenrot Um Dirnen mit blankem Messer — Stach' dich vorher ein Landsknecht tot, War' 's besser. Und tut er 's nicht, so zeche fort, Doch wirf hinaus auf die Oasse Die Menschen mit ihrem Kramerwort, Dass Liebe sich heilen lasse.... Wenn dir ein Magdlein recht gefallt Und sie nimmt einen andern, Dann ist 's am besten, aus der Welt Zu wandern. Sang des Türmers. **) Ihr Schlafer! Wollt ihr meiden Schmerz und Spott, So bindet eure Stuten an! Erst dann Befehlt sie Oott. Wer sich den Mund verbrühte, blast zur Not Auf kalte Milch. Schlaf birgt mehr Glück denn Wachen! Dein bester Freund heisst Tod. Vernehmt, ihr Glaubigen, was ich zur Stunde Verkünden soll vom Rand des Minarettes: *) Valteline, Landschaft in Süd-ltaliën; **) Der Minaret einer Moschee. Nach Allahs unerforschlichem Befunde Ward gestern, um die Zeit des Nachtgebetes, Der Welt entrückt die Sultanin Fatthüme Des Grossherm*) Stolz, des Harems Lieblingsblume. War' euch bekannt, was mir an Wissenssachen Geoffenbart, enthüllt und angestammet, Ihr würdet weinen und gar wenig lachen; Doch segne Allah euch, so spricht Mohammet. Ein müdes Schiff, das seine Segel dehnt, Ein Menschenherz, das sich nach Frieden sehnt, Ob sie das Ziel verfehlten oder fanden, lm gleichen Hafen werden stets sie landen. In jedem Herzen zittert ein Magnet, Der rastlos sich zur ew'gen Heimat dreht. Ein Weg, daran mit kurzer Pause Der Schmerz als Meilenzeiger steht, Führt rasch nach Hause. Letzter Tanz. Es glüht im Fieber das graue Haus, Lichtstreifen fallen breit hinaus Auf sommertrübe Gassen; Es flammt der Saai von Kerzen ganz, Und wir beide tanzen den letzten Tanz, Eh' wir uns mussen lassen. Ich bin gezogen von Meer zu Meer, Und als ich "heimkam, die Taschen schwer, Warst du die Braut eines andern; *) Der Sultan. Die Spatzeil riefen 's von jedem Dach, Die Basen zischten und sprachen 's nach: Das komtnt vom Wandern, vom Wandern. Wir tanzen, als habe der Tod dich gepackt, Es fegt deine Schleppe spitzengezackt In welken Orangenzweigen, Schon geht der Zeiger auf Mitternacht, Dein junger Gemahl, er sieht 's und lacht — Es schluchzen so wild die Geigen. Ich wollte, wir irrten im nordischen Land, Von keinem geliebt, von keinem gekannt, lm Schneesturm über die Heide; Und dass du ruhtest unbewusst In meinem Mantel, an meiner Brust, Und dass wir stürben beide. Aus ,,Don Juans Tod." Die Fürstin schwieg. Gesenkt war, glutdurchflossen Ihr feines Köpfchcn. In den Scheiben blaute Ein jaher Blitz, durchleuchtend das Gemach. Ein Wetter kam auf fahlen Wolkenrossen Aus Siid geritten, doch Diava sprach Mit weichem Bliek, mit mitleidsvollem Laute: So hast du niemals betend und bewegt In Mutterhande deine Stirn gelegt? Und hast du nie — Des Sonntags müsst' es sein — Zur Junizeit, wenn weit die Felder wogen, Bei Orgelklang im Sommersonnenschein Ein Weib auf ewig an dein Herz gezogen? Es liat der Mann, sein miides Haupt zu betten, Zwei Orte nur, die ihn vor Stiirmen retten, " 2 Dahin er still nach jedem Schiffbruch kehrt: Der Mutter Herz, die beten ihn gelehrt, Das Herz der Frau, die still in Jugendschimmer Und Jugendliebe sein ward, sein für immer. Die Liebe beut mit lauternder Gewalt Aus weisser Frauenhand den Kelch der Gnaden (iustav Falke Gustav Falke. Geb. am 11 Januar 1853. „Mynher der Tod" 1891. — »Tam und Andacht" 1893. — Zwischen zwei Nachten" 1894. Auf dem Friedhof. Kirchenschatten, Diimmernacht Breitverzweigter Linden, Kreuz und Kranz so i'iberdacht Und umspielt von Winden. Glockenklang und Drosselschlag, Hügel still an Hügel, Drüber wiegt ein Sommertag Sich auf goldnem Fli'igel. Frühlingslied. Schone junge Frühlingszeit, Leerst dein Füllhorn auf mich nieder, Gibst der Seele Flügel wieder Und den Liedern Munterkeit. Nun der letzte Schnee zerweicht, Busch und Baum in Saften schwellen, Ach, in all den frischen Quellen Baden sich die Sinne leicht. Und die Liebe kommt auf Zeh'n, Wie ein Katzchen hinterm Rücken: Komm, wir wollen Veilchen pflücken. Und es gibt kein Widerstehn. Gebet. Herr, lass mich hungern dann und warm, Satt sein macht stumpf und trage, Und schicl- mir Feinde, Mann um Mann, Kampf halt die Krafte rege. Oieb leichten Fuss zu Spiel und Tanz, Flugkraft in goldne Ferne, Und hang' den Kranz, den vollen Kranz, Mir höber in die Sterne. Das Lied. Kein Segel lebt auf dem blanken Meer, Wildganse rudern aus Norden her, Der Wolken freic Wandergesellen Trompeten i'tber den weiten Wellen. Von den Dünen herab, wo dem wehenden Sand Die Distel trotzt, überm einsamen Strand, Wo der Tiitvogel lauft und die Möwen jagen Und des Klippers versandete Rippen ragen. Vom Dünenkamm singt des Schiffers Kind Seine junge L.ust laut in den Wind, Ein altes Lied, das die Mütter schon sangen Und die Vater, die draussen ins Grab gegangen. Das klingt .wie Sturm, wie der Wildganse Schrei'n, Ein Wikingerhorn dröhnt heil darein, Schwertschlag, Schildklang und der Wellen Brausen, die stürzend am Strande zerschellen. Halt' dich still, Lauscher im Grund! Die Freiheit singt aus Kindermund Ihr Lied, darunter die wundervollen Ewigen Meerakkorde rollen. Isolde Kurz. Geb. am 21 Dezember 1853. «Gedichte" 1889. An meine Mutter. Fort trieb mich 's in die weite Welt zu gehen, Goldfrüchte sah ich winken an den Zweigen, Und hatte fortgeschwemmt vom Lebensreigen Ein Irrlicht mir zum Leitstern ausersehen. Ach, manch'ein Trugbild muss't in' Rauch verwehen, Manch' Götterbild von seinem Sockel steigen, Manch' Aug' mir lügen, manche Lippe schweigen, Eh' ich die Wildnis sah, in der wir stehen. Ein Flerz nur schlagt; das Treue nie gebrochen, Ein Auge weiss ich, das mir nie gelogen, Nur einen Mund, der Liebes stets gesprochen. Da liess ich heimwarts meine Wimpel fliegen, Um riickgekehrt von schwanken Lebenswogen Bei dir im Port vor Anker still zu liegen. Nachtgebet. Die Sternennacht so still und hehr, Die laue Luft von Düften schwer, Ein Tonen zieht durch Wald und Flur Wie Traumeslallen der Natur, Die Brust wird wechselnd eng und weit lm Schauer dieser Einsamkeit. Die Himmelsaugen glüh'n micli an, Wie wag' ich 's dir, Natur, zu nah'n? Mir ist bei deines Odems Weh'n Als müsst' ich still in nichts vergehn. Du bist so gross, ich bin so klein, Lehr' mich, dein frommes Kind zu sein. Lehr' mich, dich fassen ganz und voll, Dir angehören wie ich soll. Nimm mich zu dir in Freud' und Pein, Lass mich vertrauend bei dir sein, Dass ich vor deiner Oröss' und Nah', Vor deinem Bliek nicht zitternd steh' 1 Nornengesang. Am Weltenborne Stumm halt die Norne Die ernste Wacht, Sie wirkt ihr Oewebe Aus Stirb und Lebe lm Schoss der Nacht. Der Völker Verhangnis, Der Grossen Bedrangnis, Der Kleinen Gewinnst, Und glanzende Thaten Mit goldenem Faden Ins graue Qespinnst. Leicht wie im Wetter Verstreute Blatter Des Rosenhags, Hinwehen und schwinden Die armen blinden Kinder des Tags. Die Winde mahen Was sie pflanzen und saen, Sie ernten 's nie. Und nirgends ein Retter, Denn ihre Götter Sind Staub wie sie. Doch über den Toten Aus keimendem Boden Sprosst neues Geschlecht. Und die Kommenden erben Gedeih'n und Verderben Nach ewigem Recht. Wir walten erhaben lm ew'gen Begraben, Vom Schicksal befreit, Kein Wahn berückt uns, Kein Alter drückt uns, Uns beugt sich die Zeit. Glücklos und schmerzlos, Wunschlos und herzlos, Ernstheiliger Bund. Kein Lenz uns fachelt Und nie gelachelt Hat unser Mund. Des Gestrigen Quelle Macht Künftiges helle, Und das Heute zum Schein, So dauert die Norne An Urdars Borne lm Wechsel allein. Egypten. O Land im Ruhme, Egyptenland, Du Wunderblume lm Wüstensand! Du liegst in Helle Dich badend da! Besonnte Schwelle Von Afrika! Iin Tempelfrieden Der Vorwelt ruht, In Pyramiden Der Weisheit Gut. Fünftausend Lenze Hast du geseh'n Wie welke Kranze lm Wind verweh'n. Die Palmen lauschen Am heiligen Nil Dein Redetauschen lm Wellenspiel. Geheimnis hausend In altester Nacht, Das manch Jahrtausend Die Sphinx bewacht. Wenn in den Wellen — Ein hehr Gedicht — Von seinen Quellen Der Stromgott spricht, Vom Fabelberge Mit ewigem Schnee, Vom Reich der Zwerge, Vom Grossen See. Südsterne blinken Da droben fromm, Mir ist, als winken Sie, komm', o komm'. Die erste Nacht. Jetzt kommt die Nacht, die erste Nacht im Grab. O wo ist aller Glanz, der dich umgab ? In kalter Erde ist dein Bett gemacht, Wie wirst du schlummern diese Nacht? Vom letzten Regen ist dein Kissen feucht, Nachtvogel schrei'n, vom Wind emporgescheucht. Kein Lampchen brennt dir mehr, nur kalt und fahl Spielt auf der Schlummerstatt der Mondenstrahl. Die Stunden schleichen — Schlafst du bis zum Tag Horchst du wie ich auf jeden Glockenschlag?" Wie kann ich ruh'n und schlummern kurze Frist, Wenn du, mein Lieb, so slecht gebettet bist? Madchenliebe. Nachtlich war 's am stillen Weiher, Wo ich ihm zur Seite stand, Als im Wind mein langer Schleier Sich urn seinen Nacken wand. Ach, was liess ich's nur geschehen, Dass er fest den Knoten schlang, Mich an seiner Hand zu gehen, Ein gefangnes Füllen, zwang! Denn seitdem auf allen Wegen Fühlt' ich unzerreisslich stets Ueber mich und ihn sich legen Magisch jenes Schleiers Netz. Seit mich gar sein Arm umwindet, Schwand der Freiheit letzter Rest. Fessel, die uns beide bindet, Liebe Fessel, halte fest! Wegwarte. Mit nackten Füsschen am Wegesrand, Die Augen still ins Weite gewandt, Saht ihr bei Qinster und Heide Das Madchen im blauen Kleide? — Das Glück kommt nicht in mein armes Haus, Drum steil' ich mich hier an den Weg heraus; Und kommt es zu Pferde, zu Fusse, Ich tiet' ihm entgegen mit Grusse. Es ziehen der Wanderer mancherlei Zu Pferd, zu Fuss, zu Wagen vorbei. —- Habt ihr das Glück nicht gesehen? Die lassen sie lachend stehen. Der Weg wird stille, der Weg wird leer, — So kommt denn heute das Glück nicht mehr? Die Sonne geht rötlich nieder, Ihr starren im Wind die Glieder. Der Regen klatscht ihr ins Angesicht, Sie steht noch immer, sie merkt es nicht: — Vielleicht es ist schon gekommen, Hat die andere Strasse genommen, Die Füsschen wurzeln am Boden ein, Zu Blumen wurde der Augen Schein, Sie fühlt's und fühlt's wie im Traume, Sie wartet am Wegessaume. Oskar Linke. Geb. am 15 Juli 1854. „Eros und Psyche". — „Aus dein Paradiese." Kennst du ? ftKennst du das Zauberland, Das fern im Siiden liegt, Das leis im ew'gen Scnlummer Die Meereswelle wiegt? Hier bliiht noch der Orangen Und Myrtenhain so schöti, Hier schimmert noch so blendend weiss Der Schnee auf Bergeshöh'n. O siehst du, wie die Welle Als wie ein kleines Kind Umkost, umspielt das Eiland So weich, so schmeichelnd lind? Wohl liegt der Schnee so blendend Hoch um des Aetna Firn, Und doch wie Trauer still und gross Umweht's der Insel Stirn Und hörst du, was die Welle Noch heute traurig singt, Was traurig widerhallend Zum hohen Norden klingt? Hier schlummert in zwei Sargen Ein goldner Kaisertraum, Der einst umspinnen wollte Den ganzen Erdenraum." Ferdinand Avenarius. Gel. am 20 Dezember 1856. ,, Wandern und Werden" 1881. Heut' traf ich einen wHeut' traf ich einen, den auch du gekannt. In einem Zug ums Auge, sagten sie, Sei er dir ahnlich, ich — ich fand es nie. Doch wie ich heut' ihn sah und unverwandt Das Bürschlein mir nun sorgsam scharf beschaue — Da seh' auch ich's: Dort zwischen Aug und Braue Die Linie ist der deinen ahnlich — ja! Und lange stand ich wie verloren da. Zwei Monde sind seit deinem Tod vorbei, Zwei Monde Schlafs und dumpfer Traumerei — Jetzt muss mich eine Zufallsposse wecken, Ein Zug von dir — im Antlitz eines Ge eken. Jetzt afft mich ein Gespenst mit deinen Zügen, Zwingt mich, statt weg mich in den Traum zu liigen, Hier auf der Welt mit ihrer Nichtigkeit Zu bleiben und zu sehn, wie endlos weit Von allem, was da lebt, zu dir die Kluft — So wach' ich denn. Am Sarg. In einer Gruft." „Von deinem Grab am Meere zu den Statten Des Alpenlands, die dich und mich gekannt, Jagt es mich hin und her — 'sist alles tot Und trauert so in Eis und Schnee mit mir. Doch furchtbar wird die Zeit, die kommen soll, Ach, furchtbar ist der Friihling — wenn die Welt Aufsteht und jubelt, und du bist nicht da: Ich kann's nicht denken, Gott.. »Im Tannenwalde droben, unsers ersten Gliicks Yertrauten, tote Liebe, such' ich dich. Wehmütig in den Wipfeln zittert aus Das letzte Abondrot, und weiches Dunkel Versenkt das Irdische. Dann, tote Liebe, Mit leisem Grusse her zu mir trittst du, Dann gehen wir mitsammen. Und der Wind Erwacht hoch droben, und wir lauschen ihm Wie ehedem. Der Wind rauscht in den Buchen Und singt zu uns und rauscht und singt uns zu Von Kommendem. Siehst du das kleine Haus, das er umsingt? Von Kinderstimmen mischt sich's in sein Lied, Und durch die Fenster leuchtet goldig her, Mein Weib, das Glück, das reiche, stolze, strahlende, Das grosse Glück. Die Zukunft, Gertrud, grüsst, Die Zukunft grüsst!... Der Bergwald rauscht, der Bergwald singt und rauscht, Am Arme dich schreit' ich halboffnen Aug's Den Hang hinab. Was er uns zugesungen, Mit Faden Lichtes spinnt es in uns fort, Zu deiner alten Wohnung kommen wir. Ein Kuss, ein Handedruck, im Weggeh'n schon Nochmals ein Gutenacht... Und erst, wenn ich daheim, erfasst es mich, Und wie ein Geier krallt in mich der Schmerz.,' Kornrauschen. Bist dn wohl im Kornfeld schon gegangen, Wenn die vollen Ahren überhangen, Durch die schmale Gasse dann inmitten Schlanker Fliisterhalme hingeschritten ? Zwang dich nicht das heimelige Rauschen, Stehn zu bleiben und darejn zu iauschen ? Hörtest du nicht aus den Ahren allen Wie aus weiten Fernen Stimmen hallen ? Klang es drinnen nicht wie Sichelklang? Sang es drinnen nicht wie Schnittersang ? Hörtest nicht den Wind du aus den Höhn Lustig sausend da die Fliigel drehn? Hörtest nicht die Wasser aus den kühlen Talern singen du von Radermühlen ? Leis, ganz leis nur hallt das und verschwebt, Wie im Korn sich Traum mit Traum verwebt, In ein Summen wie von Orgelklingen, Drein ihr Danklied die Gemeinden singen. Rückt die Sonne dann der Erde zu, Wird im Korne immer tief're Ruh', Und der liebe Wind hat 's eingewiegt, Wenn die Mondnacht schimmernd drüber liegt. Wie von warmem Brot ein lauer Duft, Zieht mit würz'gen Wellen durch die Luft. Vom Kirschbaum. Ist alles ganz kahl und still, Nicht mal im Grase sich 's regen will, Steht alles geduckt, Klappert im Frost und muckt Mit dem Winter. Der putzt es mit Rauhreif auf, Aber keines gibt was drauf. 3 Doch im Garten Sagt einer: Ich kann warten. Ist jemand, du kennst ihn wieder kaum, So dünn ist er worden: der Kirschenbaum. Schlaft er nicht? Trau einer dem Wicht! Heute mittag urn Uhre eins Gab 's mal ein Pröbchen Sonnenscheins; Darin — ich habe Das deutlich gesehn — Mit seinen Knospen Fingerte der alte Knabe, Ein wenig vorsichtig und geziert, Wie man Badewasser probiert. Und über seine Runzeln Ging ein Schmunzeln. Gebet. Ertrage du 's, lass schneiden dir den Schmerz Scharf durchs Gehirn und wi'ihlen hart durchs Herz Das ist der Pflug, nach dem der Samann sat, Dass aus der Erde Wunden Korn entsteht. Kom, das der armen Seele Hunger stillt — Mit Korn, o Vater, segne mein Gefild; Reiss deinen Pflug erbarmungslos den Pfad, Doch wirf auch ein in seine Furchen Saat! — Rolands Horn. Der König Karl beim Jubelmahl, Hoch schwang in der Hand er den goldnen Pokal „Lang lebe der Sieger, der heut noch fern, Roland, mein Roland, der Streiter des Herrn!" Da — bei der Becher Zusammenstoss, Wie Schatten sich 's über die Wande goss, Und als das jauchzende Hoch verscholl, Ein Dammer» über die Erde schwoll, Und weit, weit her es traurig hallt' Hinklagend über See und Wald. . .. Und als sie drangten zur Tür mit Macht, Da wuchs das Dunkel zur finstern Nacht, Und angstvoll durch die Luft herbei Rang sich's wie wilder Todesschrei Und als sie sich wandten entsetzt zum Thron, Da stöhnte zum drittenmal her ein Ton, Da zittert' es über Wald und See Wie aus verröchelnder Brust ein Weh... . Doch als der König sich bleich erhob, Blass wieder ein Dammern die Halle durchwob, Und als er rief: „Verrat! Zu Ross!1' Weiss wieder der Tag die Halle durchfloss. Wohl jagten sic windschnell querfeldein, Rastlos bei Sonnen — und Sternenschein Min bis zum Morgen nach Ronceval — Da kreischten die Krahen schon über dem Tal, Da lagen die Helden, die wunden vorn, Und stumm er, Roland, zerborsten sein Horn. Der goldene Tod. Kein Wind im Segel, die See liegt still — Kein Fisch doch, der sich fangen will! So ziehen die Netze sie wieder herein Und murren, schelten und fluchen drein. Da neben dem Kutter wird's heller und licht Wie weissliches Haar, wie ein Greisengesicht, Und ein triefendes Haupt taueht auf aus der Flut: «Ei, drollige Menschlein, ich mein's mit euch gut — Ich gönn' euch von meiner Herde ja viel, Doch hcut ist mein Jüngster als Fisch bcim Spiel, Den musst' ich doch luiten, ich alter Neck, Drum jagt ich sie all miteinander weg — Doch schickt ihr den Jungen mir wieder nach Haus, So werft nur noch einmal das Fangzeug aus: Der schönste ist mein Söhnchen klein, Das übrige mag eucr eigen sein!" Hei, flogen die Netze jetzt wieder in See! Ho, kaum dass ihr' Lasten sie brachten zur Höh'! Wie Iebende Wellen, so fort und fort Von köstlichen Fischen, so quoll's über Bord. Und patscht und schnappt und zappelt und springt Und bei den Fischern, da tollt's und singt. Nun plötzlich blitzt es — seht: es rollt Ein Fisch über Bord von lauterem Gold! Eine jede Schuppe ein Geldesstück! Wie Edelsteine, so funkelt's im Bliek! Die Kiemen sind aus rotem Rubin, Perlen die Flossen überziehn, Mit eitel Demanten besetzt, so ruht Auf seinem Hauptlein ein Krönchen gut, Und fürnehm wispert's vom Schnauzlein her: nIch bin Prinz Neck, lasst mich ins Meer!" Den Fang ins Meer? Sie rühren ihn an, Die Fischer, und tasten und stieren ihn an. „Lasst mich ins Meer!" Sie horen nicht drauf. „Lasst mich ins Meer!" Sie lachen nur auf. Sie wagen das goldene Prinzlein ab, Sie schatzen 's und klauben ihm Münzlein ab — Wie wiegt das voll, wie gleisst das hold ! !-iie denken nirlift; weiter — sie rlenken nnr OnlH Und seht: ein Goldschein iiberfliegt Jetzt alles, was von Fisch da liegt, Und wandelt's dass es klirrt und rollt: Seht: all die Fische werden Gold! Sinkt das Schiff von blitzender Last? »Schaufelt, was die Schaufel fasst!" ... Wie lustiges Feuerwerk sprüht das umher — Dann rauscht über alles zusammen das Meer. Der Seelchenbaum. Weit draussen, einsam im öden Rauin Steht ein uralter Weidenbaum Noch aus den Heidenzeiten wonl, Verknorrt und verrunzelt, gespalten und hohl. Keiner schneidet ihn, keiner wagt Vorüberzugehn, wenn 's nicht mehr tagt, Kein Vogel singt ihm im dürren Geast, Raschelnd nur spukt drin der Ost und West. Doch wenn am Abend die Schatten düstern, Horst du 's wie Sumsen darin und Flüstern. Und nahst du der Weide um Mitternacht, Du siehst sie von grauen Kindlein bevracht: Auf allen Asten hoeken sie dicht, Lispeln und wispeln und rühren sich nicht. Das sind die Seelchen, die weit und breit Sterben gemusst, eh' die Tauf' sie geweiht; lm Sarglein liegt die kleine Leich', Nicht darf das Seelchen ins Himmelreich. Und immer neue, — siehst es du? — In leisem Fluge huschen dazu. Da sitzen sie nun das ganze Jahr Wie eine verschlafene Kauzchenschar. Doch Weihnachts, wenn der Schnee rings liegt Und über die Lander das Christkind fliegt, Dann regt sich's, pludert sich's, plaudert, lacht, Ei, sind unsre Kauzlein da aufgewacht! Sie lugen aus, wer sieht was, wer? Ja freilich kommt das Christkind her! Mit seinem heillichten Himmelsschein Fliegt 's mitten zwischen sie hinein: „Ihr kleines Volk, nun bin ich da — Glaubt ihr an mich?" Sie rufen: „Ja!" Da nickt 's mit seinem lieben Oesicht Und herzt die Armen und ziert sich nicht. Dann klatscht's in die Hande, schlingt den Arm Ums nachste — aufwiirts schwirrt der Schwarm Ihm nacli und hoch ob Wald und Wies' Ganz graden Weges ins Paradies. Jacob Loewenberg. Geb. am 9 Marz 1856. Gute Nacht Wie Glockenklang vom Meeresgrunde Ein Wort durch meine Seele zieht, So wehmutsvoll wie Abendstimmen, So mild als wie ein Schlummerlied. Es weht rnir zu auf allen Wogen, lm Sturmgebraus, im Sauselwind, Und selbst im Traume klingt es wieder: Gute Nacht, Mutter! — Gute Nacht, Kind! Wenn nach des Tages muntern Spielen Der Knabe müd' zur Ruhe ging, Nach manchem Drollen erst und Bitten, Ob auch der Schlaf am Auge hing, Dann rief ich 's von der letzten Stiege Hinunter noch einmal geschwind, Und fröhlich kam die Antwort wieder — «Gute Nacht, Mutter!" — „Gute Nacht, Kind!" Und sass der Jüngling bei den Büchern, Ob noch so spat sein Bliek auch glitt Von Blatt zu Blatt hin, eifrig forschend, Ich hörte doch den leisen Tritt, Das Lauschen an der Türe hört' ich, Ich wusste, wer da sorgt und sinnt;' Hiniiber und herüber klang es: «Gute Nacht, Mutter!" - „Gute Nacht, Kind!" Dann kam die Zeit, da ich gesessen An deinem Bett, wie lang, wie oft! Hielt deine bleiche Hand umschlungen Und hab' verzagend noch gehofft; Sah dir ins müde, liebe Auge: O komm doch, Schlaf, erquickend lind! Er kam; - zum letztenmale klang es: «Gute Nacht, Mutter!" - „Gute Nacht, Kind!" Wie Glockenklang vom Meeresgrunde Ein Wort durch meine Seele zieht So wehmutsvoll wie Abendstimmen, So mild als wie ein Schlummerlied Und kann ich keine Ruhe finden, )^eni? ..9r?m un^ Sorge mich umspinnt, Dan hor ich's raunen, Frieden bringend: Gute Nacht, Mutter! - Gute Nacht, Kind! Wandern. Ich wandre sonder Zweck und Ziel Das ist das rechte Wandern. Die Bachlein fragen nicht wohin, Und kommt doch eins zum andern. Ein wenig Grün für meinen Hut Und Blumen gibt's allwegen, Und wenn der Sonnenschein nicht lacht, Erfreu' ich mich am Regen. Und ist 's kein fröhlich Menschenkind, So sind die lust'gen Wellen, Die Lieder heil, die Wolken hocli Mir traute Weggesellen. Wenn auch die Heimat noch so fern, Winkt mir nur eine Klause, Ein freundlich Aug', ein guter Trunk, — Da bin ich gleich zu Hause. Morgen. Lichter und Schatten im Wechseltanz Gaukeln über die goldenen Ahren. Roter Mohn in leuchtendem Olanz Triiumt von wundersamen Maren. Blühendes Leben in weiter Rund', Aber tief im Halmengrund Klingt wie Sensenschlag ein Ton: Morgen schon, Morgen! Auferstehung. Es kracht und donnert an den Strand. Wer da? — „Das Meer. Ich will ins Land, Ich lach' eurer Buhnen, spring über den Deich, Mein ist dies ganze Inselreich!" Es pocht und hammert an die Wand. Wer da? — „Die Toten vom Kirchhofsrand; Posaunensttiall durchdringt die Gruft, Der Tag der Auferstehung ruft." Die Sarge drangen wider das Haus, Die stossen und reissen die Wand heraus, Sie stürzen in das Innere jach, Sie schwimmen in des Priesters Gemach. Der faltet die Hande und sinkt aufs Knie. „Für euch, ihr Mahner, ist 's noch zu früh, Für mich alten Mann doch ist es Zeit, Ob Erde, ob Meer, ich bin bereit." Laterne! Laterne! Noch einrnal glanzt wie Goldgeschmeide Die Flut des Stromes leuchtend auf, Da steigt in leichtem Nebelkleide Der Sommerabend still herauf. Und wie er durch die Gassen schreitet, Aufatmend jede Brust sich weitet. Es ist, als klang' ein Friedenswort, Und Larm und Unrast fliehen fort. Da kommt 's aus Tür und Tor gesprungen, Und ordnet sich in langer Reih', Ein Zug von Madchen und von Jungen, Ein Kasehoch ist auch dabei. Wie sie die Köpfchen drehn und wenden, Die Stocklaterne hoch in Flanden! Dann zieht 's mit feierlichem Sang Die Strasse langsam stolz entlang: „Laterne! Laterne!" Sonne, Mond und Sterne! Meine Laterne brennt so schön! Morgen wollen wir wieder gehn." Die Sonne, tief schon in den Fluten, Iiört lachelnd noch der Kinder Reih'n: „Sie kommen schon, ich muss mich sputen," Und zieht die letzten Strahlen ein. Der Mond springt hinter Wolkenhaufen: „Ich will doch heimlich mit euch laufen." Ein Stern nur blinzelt ohne Ruh', Dann halt er sich die Augen zu. „Laterne! Laterne! Sonne, Mond und Sterne! Meine Laterne brennt so schön! Morgen wollen wir wieder gehn." Ich schau' vom Strassentor alleine Dem Zuge nach mit triibem Sinn; Mir ist 's, als zog' in hellem Scheine Dort meine eigne Kindheit hin. Und mit ihr Traum und Frieden gehen. — Des Lebens goldne Faden wehen Leuchtend weiter in schnellem Flug. Mein Kind, mein Kind singt mit im Zug: „Laterne! Laterne! Sonne, Mond und Sterne! Meine Laterne brennt so schön! Morgen wollen wir wieder gehn." Hermann Sudermann. Geb. am 30 September 1857. Die Sorge. Frau Sorge, die graue, verschleierte Frau, Herzliebe Eltern, ihr kermt sie genau; Sie ist ja heute vor dreissig Jahren Mit euch in die Fremde hinausgefahren, Da der triefende Novembertag Schweratmend auf nebliger Heide lag Und der Wind in den Weidenzweigen Euch pfiff den Hochzeitsreigen. Als hr nach langen, bangen Stunden lm Litauer Walde ein Nest gefunden Und zagend standet an öder Schwelle, Da war auch Frau Sorge sclion wieder zur Stelle Und breitete segnend die Arme aus Und segnete euch und euer Haus Und segnete die, so in den Tiefen Annoch den Schlaf des Nichtseins schliefen. Es rann die Zeit. — Die morsche Wiege, Die jetzt im Dunkel unter der Stiege Sich freut der langverdienten Rast, Sah viermal einen neuen Gast. Dann, wenn die Abendglut verblichen, Kam aus dem Winkel ein Schatten geslichen Und wuchs empor und wankte stumm Erhobenen Arms urn die Wiege lierum. Was euch Frau Sorge da versprach, Das Leben hat es allgemach In Seufzen und Weinen, in Not und Plage, In Miihsal trüber Werkeltage, lm Jammer manch durchwachter Nacht Ach! so getreulich wahr gemacht. Ihr wurdet derweilen alt und grau, Und immer noch schleicht die verschleierte Frau Mit starrem Aug' und segnenden Handen Zwischen des Hauses armen vier Wanden, Vom dürftigen Tisch zum leeren Schrein, Von Schwelle zu Schwelle aus und ein, Und kauert am Herde und blast in die Flammen Und schmiedetden Tag mit dem Tage zusammen. Herzliebe Eltern, drum nicht vcrzagt! Und habt ihr euch redlich geinüht und geplagt Ein langes, schweres Leben lang, So wird auch euch bei der Tage Neigen Ein Feierabend vom Himmel steigen. Wir Jungens sind jutig — wir haben Kraft, Uns ist der Mut noch nich erschlafft, Wir wissen zu ringen mit Not und Mühn, Wir wissen, wo blaue Glücksblumen blühn; Bald kchren wir lachend lieim nach Haus Und jagen Frau Sorge zur Tiir hinaus. Julius Hart. Gcb. am O April 1859. nSansara" 1871. — »Homo Sum" 1890. Auf der Fahrt nach Berlin. »Von Westen karn ich, — schwerer Heideduft Umfloss mich noch, vor meinen Augen hoben Sich weisse Birken in die klare Luft, Von lauten Schwarmen Krahenvolks umstoben, Weit, weit die Heide, Hügel gelben Sands, Und binseniiberwachs'ne Wasserwolke, Fern zieht ein Schafer in des Sonnenbrands Braunglüh'ndem Reich vertraumt mitseinem Volke. Von Westen kam ich, und mein Geist umspann Weichmütig rasch entschwund'ne Jugendtage. War 's eine Trane, die vom Aug' mir rann' Klang 's von dem MundwiesehnsuchtsbangeKlage?. Von Westen kam ich, und mein Geist entflog Voran und weit in dunkle Zukunftsstunden .... Wohl hob er machtig sich, sein Flug war hoch Und Schlachten sah er, Drang und blut'ge Wunden. Vorbei die Spiele, durch den Nebelschwall Des grauenden Septembermorgens jagen Des Zuges Rader, und vom dumpfen Schall Stöhnt, dröhnt und saust's im engen Eisenwagen... Zerzauste Wolken, wilddurchwühlter Wald Und braune Felsen schiessen wirr vorüber; Dort graut die Havel, und das Wasser schwallt Die Brücke, hei! Dumpf braust der Zug hinüber. Die Fenster auf! Dort drüben liegt Berlin! Dampf wallt empor und Qualm, in schwarzen Schleiern Hangt tief und steif die Wolke drtiber hin, Die bleiche Luft drückt schwer und liegt wie bleiern Ein Feuerherd darunter — ein Vulkan, Von Millionen Feuerbranden lodernd.... Ein Paradies, ein süsses Kanaan, — Ein Höllenreich und Schatten bleich vermodernd. Hindonnernd rollt der Zug! Es saust die Luft, Ein and'rer rast dumpf rasselnd rasch vorüber, Fabriken rauchgeschwarzt, im Wasserduft Glanzt Flamm' und Flamme, diister, trüb' und trüber, Engbrüst'ge Hauser, Fenster schmal und klein, Bald braust es dumpf durch dunkle Brückenbogen, Bald blitzt es unter uns wie grauer Wasserschein, Und unter Kahnen wandeln müd' die Wogen. Vorbei, vorüber! und ein geiler Pfiff! Weiss fliegt der Dampf,... ein Knirschen an den Schienen! Die Bremse stöhnt Iaut unter starkem Griff Langsamer nun! Es glanzt in aller Mienen! Glashallen über uns, rings Menschenwirr'n,... Halt! Und „Berlin!" Hinaus aus engem Wagen. »Berlin!" „Berlin!" Nun hoch die junge Stirn, Ins wilde Leben lass dich machtig tragen. Berlin! Berlin! Die Menge drangt und wallt, Wirst du versinken hier in dunklen Massen Und über dich hinschreitend stumm und kalt Wird niemand deine schwache Hand erfassen? Du suchst — du suchst die Welt in dieser Flut, Suchst bliihende Rosen, grime Lorbeerkronen .... Schau dort hinaus! Die Luft durchquillt's wie Blut, Es brennt die Schlacht, und niemand wird dich schonen. Schau dort hinaus! Es flammt die Luft nnd glüht, Horch, Geigenton zu Tanz und üpp'gem Reigen! Schau dort hinaus, der falile Nebel sprüht, Aus dem Gerippe nackt herniedersteigen .... Zusamtnen liegt hier Tod und Lebenslust Und Licht und Nebel in den langen Gassen .... Nun zeuch hinab, so stolz und selbstbewusst, Welch' Spur willst du in diesen Finten lassen ?" Gewitter. Den ganzen Abend hat es schon gegrollt Und bang geflüstert in dem dunklen Laube, Am Landweg kam im Wind der Staub gerollt, Die Wolke flog gehüllt in dunkier Haube, Scheu hat der Vogel sich ins Nest geduckt, Der Hase barg sich in dem Laub voll Schrecken, Als fern im Ost der erste Blitz gezuckt, Der erste Regen rauschte durch die Hecken. Nun ist 's herauf, hin saust die tolle Jagd Des Sturmes durch den Schlosshof, in dem Weiher Wühlt dumpf die Flut, wie dunkle Winternacht Flangt über Turm und Dach der Wolkenschleier. Die Wipfel sausen und das Schilfrohr pfeift, — Ein toller Junker, geht's durch Teich und Binsen, Hei, wie der Nebeldunst vorüberschleift, Ein Höllenzug mit Winseln und mit Grinsen. Flahi und hussa, wie das jagt und tollt, Der Blitz fahrt zuckend hin, auf erznem Wagen Kommt krachend hinterher der Donner angerollt, Vom Wolkenmantel dicht den Leib umschlagen, Ein Feuerstrahl fahrt prasselnd aus dem Wald, Und jach zum Himmel blitzen Flammenfluten, Drein jagt der Sturm, dass Hang und Heide hallt, Und peitscht die Lüfte mit rotglöh'nden Ruten. O könnt' ich doch auf dieser Wolken Nacht In Feuerlettern meine Dichtung schreiben, Die Dichtung, heiss von Himmelsglut entfacht, Und mit dem Sturm durch alle Lande treiben, Dann sollte, wie bei wirbelndem Trommelklang, Die Menschheit aus dem tragen Traumen schrecken, Schlafmordend sollte mein Oesang Zu heiligem Kampf die Müden wecken. Hört ihr es nicht? Hört ihr es nicht? In meinem Ohre bang Ewig tönt herber dumpfer Trommelklang. In heller Lenznacht in der Nachtigall Vertraumtes Lied rauscht schwerer Waffenschall. Der Sommer glüht in dunkier Rosen Duft — Wie Rossestampfen schallt es durch die Luft. Und wenn der Wein im grünen Olase quillt, — Flörst nicht das Schlachtwort, dasso blutigschrillt? O Winternacht! Der Sturmwind heulend fahrt, Die starrenden Wege leer sein Odem kehrt. Vergebens glüht am Feuerlierd der Rost, Starker als Feuer brennt der kalte Frost. An Haus und Wand und an des Wegs Geleis Fliegt Schnee und knarrt das dernantharte Eis. O Winternacht! Durch Eis und fliegenden Schnee Lauter als Sturmgeist schreit ein wildes Weh. In dunklen Scharen drangt es finster an, Mit Beil und Flammer wogt es dumpf heran. II 4 Zerlumpte Haufen, wie vom Sturm verwirrt, Das Eisen dröhnt, das blanke Messer klirrt. Das Angesicht, blass wie ein Wintertag, Sagt, wie das Elend gar so fressen mag. Das Auge tief, die Wange hohl und schmal, Auf Stirn und Wang der Krankheit brandges Mal. Parol die Frag: Was für ein seltsam Wesen? Antwort: Vom Elend wollen wir genesen .... Hört ihr es nicht? In meinem Ohre bang Ewig tönt herber dumpfer Trommelklang Reinhold Fuchs. Geb. am 8 Juni 18ö8. „Gedichte'" 1886. — „StrandguV 1890. Hünengrab. Den Geierhelm auf seinen blonden Haaren Fuhr einst, der friedlich schlummert hierirn Grunde, lm Siegesflug bis fern zum Griechensunde, Umjubelt laut von kühnen Wikingsscharen. Ein lustig Spiel nur deuchten ihm Gefahren; Sein Preis erscholl aus aller Skalden Munde, — Und dennoch ist verweht von ihm die Kunde lm Meergebrause schon seit tausend Jahren. Auf seinem Grab' wo vormals Ross und Skiave Geblutet wie an Herthas Heiligtume, Da weiden ruhig nun die Halligschafe. Im Winde schwankt darauf die Heideblume, Und gahnend streckt der Iiirt sich drauf zum Schlafe; — Sprich,Herz,begehrst du noch nach ew'gem Ruhme? Der neue Stern. Um eine Sonne, welche hundertmal Die unsre überstrahlt und dennoch kaum Ein matter Lichtpunkt ird'schen Augen scheint, lm fernsten Weltraum kreist ein Wandelstern, Ein schoner Stern mit himmelhohen Bergen, Mit blauen Meeren, breiten Riesenströmen Und stolzen Stadten, die sich in den Wellen Der Meere und der Ströme prachtig spiegeln. Und in den Stadten, auf den Fluren regt, Unzahlig fast, sich ein Qeschlecht von Wesen, Dem unsern ahnlich, aber schoner, grösser An Wuchs und Antlitz wie an Geisteskraft. Das ringt, geniesst, das jubelt und verzweifelt; Das traumt von künft'gem Glück und ew'gem Ruhm; Das wandelt zuversichtlich auf der Scholle, Der es entspross, die Nahrung ihm gewahrt, Die seine Hiitten und Palaste tragt. . . . Da kommt ein Tag, an welchem blutigrot Durch fahl Gewölk das Licht vom Himmel bricht, Und bange Schwüle, herz- und hirnbedrückend Herab sich senkt auf alles, was da lebt. Und nun? —Welch unheilschwangres, dumpfes Rollen Durchdröhnt die Stille? Ha, der Boden schwankt, Die Mauern schüttern, bersten, stiirzen ein, Und Bergeshaupter taiimeln in die Taler. Wie Schüttelfrost den Fieberkranken packt, So zuckt durch des Planeten Riesenleib Der inn're Krampf; — jah spaltet sich der Grund Zugleich an hundert Orten; brodelnd steigt Empor der Schwall geschmolzener Gesteine, Weissglühnder Erze, schwefeldampfumwogt, In heisser Lohe Feld und Wald und Triften Begrabend und in Qualm die Meere wandelnd, Verzehrend Hiitten, reiche Königsburgen Und hoher Tempel stolze Marmorhallen Samt Kronen, Szeptern, Priestern und Altaren. Der Denker Schriften und der Künstler Werke, In Asche löst sie auf dieselbe Stunde, Und keine Spur von ihrem Dasein bleibt.... Im weiten Weltraum ungehört verhallt Der Todesschrei von Milliarden Wesen, Und — schweigend rollt ein wüster Feuerball Glutsprühend duich die kalte Himmelsöde, Bis langsam er erstarrt zur schwarzen Schlacke. - Drei Jahre spater auf der Erde sitzt Ein Astronom in seiner stillen Warte, Den Horizont mit macht'gem Rohre musternd. Da zuckt es wie ein flücht'ger Freudenblitz Mit einmal auf in seinen ernsten Zügen, Und lange blickt er, angestrengten Auges, Auf einen Punkt Dann greift er zu dem Stift, Un ruhig schreibt er dieses Telegramm: „Entdeckt soeben ward durchs Teleskop Von mir im Bilde der Andromeda Ein nsuer Stern, mattglanzend, zwölfter Grosse.".. Max Hoffmann. Geb. am 27 Nov. 1858. „Irdischen Liederen" 1891. — «Die Morgens Vimmen'' 1893. Dem Morgen entgegen! Erwacht ist die Welt, mit Goldpfeilen schoss Die Sonne vom Himmel die Sterne, Ihr Scharlachblut in die Wolken floss, Mit Purpur malend die Ferne; Ein Jauchzen wirbelt von Tiefen und Höhn Auf allen Strassen und Stegen, Das ist ein wunderbares Getön Dem schimmernden Morgen entgegen. Auf silbernem Kahn durchsteuert die Luft Das Licht, der himmlische Ferge, Es schmiegt sich ein zartes Gewand von Duft Als Morgenkleid um die Berge, Die Walder wiegen die Kronen sacht lm niederflutenden Segen, Und selbst der gramliche Friedhof lacht Dem schimmernden Morgen entgegen. Die Rosen recken die Haupter zum Blau, Der Taumel des Schlafs muss schwinden, Die bunten Falter trinken vom Tau Und segeln mit günstigen Winden, Die Fische, die an dem Grunde geruht, Beginnen die Flossen zu regen, Und mit Gekrausel wirft sicli die FlutDem schimmernden Morgen entgegen. Ein leuchtendes Netz liegt über der Stadt, Die langst schon dehnte die Olieder, Ob mancher auch müde, kranklich und matt, Ihn ruft nun das Tagwerk wieder. Ein endloser Strom von Mensclien bricht Sich Bahn auf brausenden Wegen — Was schimmernder Morgen! Was flimmerndes [Licht? Sie gehen der A r b e i t entgegen ! Die Nacht. Der Tag hat langsam sich verblutet; Ihr Sternendiadem im Haar Setzt sich zu Thron die Nacht, es flutetj Ihr schwarzer Schleier wunderbar Die silbergraue Luft entlang. Wie Mondlicht rieselt in den Zweigen, So tönt hinab ins heil'ge Schweigen Ihr uralt-ernster, weicher Sang: „Komm in den Arm, du Tochter Erde, Die einst mit Schmerz gebar mein Schoss, Als ein geheimnisvolles Werde Dir zuerteilt das Lebenslos! Nur flüchtig streift dich jetzt mein Kuss, Weil bei dem raschen Vorwartsrollen Ich stets mit meinem liebevollen Umarmen nach dir haschen muss. Doch kommt die Zeit, da sinkst ermattet Du still an meine Brust zurück, Mein dunkles Lockenhaupt beschattet Für immer dein erstorbnes Gliick; Die Arme breit' ich dann geschwind Nach dir, zu stillen mein Verlangen, Doch seufzend werd' ich nur umfangen Ein kaltes, starres, totes Kind." Regenstimmung. Ich höre wohl das Weh der Zeit, Wie 's leise schluchzt, wie 's wütend schreit, Als ob viel tausend Raben schwirren; Zuweilen tönt ein Kriegsgejauchz, Ein lauter Ruf: Kanonen braucht 's! Lasst nur die Waffen klirren! — Der Regen strömt, die Trane rinnt, Und um die Dacher heult der Wind. Ich höre einen dumpfen Klang Wie Trommelschlag, wie Grabgesang, Ich seh' den Horizont in Feuer; lm Taktschritt naht 's, im Siegesmarsch, Dazwischen brüllt es schrill und barsch Wie wilde Ungeheuer. — Der Regen strömt, die Trane rinnt. Und um die Dacher heult der Wind. Ich sehe einen Strom von Blut, Die Menschheit steht mit trübem Mut Und sielit ihn schwellen voller Sorgen Die Wolken lasten bleiern — schwer, Und Finsternis ist rings uinher, Wann naht der goldne Morgen? — Der Regen rausclit, die Trane rinnt, Und um die Dacher heult der Wind. Musik. Musik! Musik! O flüstre, sausle, rausche, Du Geistersprache, Seelenwort! Dass jedes Ohr beseligt lausche, Scheuch' alle Erdenschwere von uns fort! Lass schwelgen uns, von jedem Zaum entzügelt, Wie die erwachte Sehnsucht uns beflügelt. Dann dringt bis zur verborgnen Lebensquelle Der sclirankenlose freie Geist, Er wandert mit Gedankenschnelle, Wie ihn der Töne Strom von dannen reisst, Und was sein irdisch Auge niemals schaute: Zuin Seher machen ihn die Wunderlaute. Er wird geheimnisvoll auf sanften Wogen Mit siegender Gewalt empor Zu nie geahnten Höh'n gezogen. Es öffnet leise sich der Wolkenflor, Und unsre Seele schwebt in lichten Raumen Um in der körperlosen Welt zu traumen. Maria Janitschek. Geb. am 23 Juli 1859. „ Gesammelte Gedichte" 1892. Geheimnisse. Der Wildbach braust, es rauscht die Luft, Schwefelfarbnes Gewölk' speit rote Flammen, Zerrissne Zweige treiben im Sturm, Die Tiere strecken die Köpfe zusammen. Auf schroffem Fels, der senkrecht fallt In die gahnende Tiefe, steht ein Weib Und jauchzt in die Wolken und herzt einen Mann, Und schlingt ihre Arme um seinen Leib. »Salve Jehova, brav gewettert, Hier stehen zwei und freuen sich bass Deiner Drommeten und Flammengarben, Rase weiter in deinem Wolkengelass. Wir sind sicher vor deinen Feuern, Heisser brennt unsre als ihre Glut, Wir sind sicher vor deinen Stromen, Höher schwillt unser drangendes Blut. Salve Jehova!" Die Güsse schweigen, Durch die Walder geht leises Erzittern hin, Stockende Donner stottert das Echo, Die Wolken schauern und — entfliehen. Monde verstrichen, Jahre vergingen, Sommer braunten die Halden an ihren Feuern, Winter küssten die Tannen, bis sie erblichen. Der Adler atzte seine Brut, Buhlende Winde streuten Samen In Felsensprünge, zwischen Geröll, Die Sonne brannte dazu ihr Amen. Da schleicht inmitten des Festgejubels Ein Schatten über die Hochzeitsstatte, Ein Leichnam, der unbegraben ist, Der sehnt sich nach seinem letzten Bette. Gierig blieken die Augen nach der Tiefe, Wo der Tod im Finstern sein Messer schleift, Befriedigt messen sie den gahnenden Abgrund, Da — zitternd die Hand nach dem Haupte greift. Ein schroffer Felsen, der senkrecht fallt Ins leere Dunkel, türmt sich auf, Edelweisswiesen traumen still, Tannen raunen aus der Schlucht herauf. Vor Jahren — Roter Himmel rings, Auf diesem Fells ein Mann, ein Weib, Er starb ihr jüngst, wer sagt warum ? Was suchet hier ihr müder Leib? Auf schroffem Felsen, der senkrecht fallt, In die gahnende Tiefe, ruht die Sonne, Tannen raunen aus der Schlucht herauf, Die Tiere kosen in scheuer Wonne. Es ist alles wie früher, — — — — O Jehova! Mein Sterben. Ich weiss, wie meine letzte Nacht verblaut. Im Frühling wird es sein zur Vollmondszeit, Wenn alle Walder Hochzeitsjubellaut. Ich sehe mich. Mein weisses Pilgerkleid Umschliesst zum letzten Mal die müde Hülle, Die Locken rieseln nieder haftbefreit Und schmeicheln mir in ihrer dunklen Fülle. Auf sammtnem Sessel ruh' ich hingesunken, Die küssefrohen Lippen glutenmatt, Die Augen wimperntrag und traumestrunken, Das hungergier'ge Herz gespeist und satt. Ich weiss, wie meine letzte Nacht verblaut, In hoher Kammer sitzt ein junger Dichter, Der traumend in die Vollmondswellen schaut, Und mit der Seele trinkt die weissen Lichter. Er sucht ein Wort, den saitenweichen Reim Auf einen Namen... Plötzlich Iachelt er, Und meine Seele flattert freudig heim. Ich weiss, wie meine letzte Nacht verblaut. Frida Schanz. Geb. am 16 Mai 1859. „Gedichte— „Neue Gedichte" 1895. Mein Herz. Mein Herz geht noch im Kinderkleid. — Grau werden bald die Haare; Mein Herz wird nie und nie gescheidt Trotz seiner reifen Jahre. Mein Herz geht fröhlich auf den Kauf Von allen Freuden plundern. Mein Herz hört nie und nimmer auf, Sich ob der Welt zu wundern. Mein Herz ist gleich zum Sterben schwer Bei jedem Erdenleide. — Mein Herz entwachst wohl nimmermehr Dem morschen Kinderkleide! Feiertage. Es ist Feiertag. — Da stromen die Massen Hinaus befreit von der Arbeitslast. Wie der Atem Gottes schwebt iiber den Gassen Die tiefe Stille der Sonntagsrast. Nur in meiner Seele umdüsterte Schranken Dringt nichts von dem heiligen Festtagshauch. Uber dem Herde meiner Gedanken Liegt noch der drückende Werktagsrauch. Da ist keine Weihe, kein Glanz, kein Friede. Die Hammer dröhnen mit dumpfem Schlag; Die rote Flamme zuckt in der Schmiede. — Meine Seele hat keinen Feiertag! lm Mühlental. Durch das Mühltal führte mich der Pfad. Traumend stand ich still, in Schaun versunken. Schaumend von dem nimmermüden Rad Niederstoben die kristallnen Funken. Durch die tiefe grüne Einsamkeit Scholl der Tropfenfall, der Ieise, klare. Mir erschien 's, als schwang das Rad der Zeit Seine Speichen: - Stunden, - Tage, - Jahre. Menschenjubel, hartes Menschenmühn, Glück und Leid, gewaltges, tausendfaches, Sah ich von dem Rade niedersprühn Und zerstieben, — wie den Schaum des Baches. Wenn der Tag erwacht. Nach wirrem Schlummer, nach schwüler Nacht, O Trost, o Glück, wenn der Tag erwacht! Die Schatten versanken; die Sterne verglühten, Es liegt wieder Tau auf des Lebens Blüten. Die Orgeln des Friedens tönen hernieder; Aufflattern die Tauben der Hoffnung wieder, Es weht wieder frisch utn dein Angesicht; Es wird wieder sonnig, es wird wieder licht. Die Schemen der Traume zerrinnen sacht. — O Trost, o Olück, wenn der Tag erwacht! Maienzeit. Aufatmend rast ich vom Waldesgange. Es bliiht! Es mait! Ich liege tandelnd am Veilchenhange; Meiner Seele Meister, das stumme Leid, Hat Ferienzeit. Entronnen bin ich dem strengen Zwange Und flechte froh in der Einsamkcit Feldblumen zum Kranze, Silben zuin Sange Erlöst, befreit, Glückselig wie in der Kinderzeit. Aufschauernd lausch ich den Frühlingswinden, Umhegt vom Wall Goldbliihender Birken, knospender Linden, Umklagt, umklungen vom Liedesschall Der Nachtigall. Sucht ihr niich Sorgen, ich bin nicht zu finden Mein Herz ging auf in der Düfte Schwall, Wie Klange verwehen, wie Farben schwinden. lm weiten All! — — lm Traum nur hör ich die Nachtigall. Erinnrung stöbert in allen Ecken Nach meiner Spur. O lustiges Spiel, o süsses Verstecken, O heitres Ruhn auf der Frühlingsflur In dir, Natur! Wie Schneestaub wehts von den Bliitenhecken, Es perlt der Tau von der Ranken Schnur, Ich liege tandelnd auf Veilchendecken. — — Ein Stündlein nur, Du seliger Lenztag, halt an die Uhr! Frühlingsnacht. Der Mond spielt in den Blattgeflechten; Duflschwere, schwüle Winde ziehn. Wie liegt in diesen Blütennachten Mein ganzes Wesen auf den Knien! O, jetzt die Schwingen auszubreiten Und aufzugehn in deiner Pracht, In deinen Sternen - Ewigkeiten, Du wunderbare Frühlingsnacht! Es schwillt der Duft der Bliitenbaume Oleich goldncm Strom zum Athermeer. Wo bist du, Land, von dem ich traume? Wo geh' ich hin? Wo kam ich her? Noch liegt verhalten, ungeboren, Mein tiefstes und mein bestes Sein, In Wahn und Weh bin ich verloren. — Du Licht der Wahrheit, brich herein! II 5 Da wird der Sehnsucht heisser Wille Zum grenzenlosen Schmerzensschrei: O führ' ein Sturm jeizt durch die Stille Und machte mir die Seele frei. Und liess sie gleich den Düften gleiten Und aufgehn in der Schöpfung Pracht, In deinen Sternen-Ewigkeiten, Du wunderbare Frühlingsnacht! Hermann Conradi. Gcb. avi 12 Juli 1862, gest. am 8 Mfirz 1890. "Licder cincs Sünders" 1887. Es spiegelt sich Es spiegelt sich das Abendrot Goldgelben in den Regenpfützen .... Und schmiegt sich an die Scheiben dicht, Dass sie wie rote Feuer blitzen Geregnet hat's den ganzen Tag' Nun hellt sich 's noch, bevor es nachtet.. . Hast du dein ganzes Leben lang Das Leben bodenlos verachtet: Zur Stunde, wenn's zum Sterben geht, Wird sich die Nacht noch einmal — klaren, Und wert, dass du sie kramphaft haltst, Wirst du sie finden, die — Chimaren! !ch weiss.... Ich weiss — ich weiss: Nur wie ein Meteor, Der flammend kam, jach sich in Nacht verlor, Werd' ich durch unsre Dichtung streifen! Die Laute rauscht. Es jauchzt wie Sturmgesang, — Wie Südwind kost — es geilt wie Trommelklang Mein Lied und wird in alle Herzen greifen... . Dann bebt's jah aus in schriller Dissonanz ... Die Blüten sind verdorrt, versprüht der Glanz — Es streicht der Abendwind durch die Cypressen. . . . Nur wen'ge weinen .... Sie verstummen bald. Was ich getrauint: sie geben ihin Gestalt — Ich aber werde bald vergessen.... Wie ich Wie ich mich auf den Frühling freue! Wie mir das Alte und doch so Neue Schon im tiefsten Winter die Seele bewegt! Noch ist 's erst Weihnacht! Noch atmet der Winter Aus vollen Lungen! Und doch ist 's mir, als ob schon dahinter Sehnsuchtsbezwungen, Leise, ganz leise der Lenz sich regt. ... Wenn der Weissdorn blüht — Wenn der Weissdorn blüht — Wenn der Weissdorn blüht, Wird 's mir so helle im Gemüt!... Flugs fliesst mein Blut, Und es spriesst mein Mut, Als ware die Welt mein eigen! Wenn der Weissdorn blüht, Wenn der Weissdorn blüht, Und die leuchtenden Biische sich neigen: Dann die Brust mir schwillt, Und die ungestillt lm winterlich schweren Schweigen: Die Sehnsucht breitet die Arme aus, Und die ganze Welt ist mein Vaterhaus, Soweit die Auen lenzen .... Wenn der Weissdorn blüht - Wenn der Weissdorn blüht, Und die Miigdlein mit Veilchen sich kranzen, Dann kennt mein Schwarmen keine Grenzen.. .. Dann kennt mein Schwarmen keine Grenzen.. .. Herbstabend. Ich kehrt' aus engeti Gassen Mich durch das alte Tor Waldpfade — wie verlassen ! Blauweisse Dünste schweben, Und die Gedanken geben Sich dem, was ich verlor... . Welcli' wundersames Feiern — Wie still am Waldeshain! Verhüllt von weissen Schleiern Entschwebet mir das Leben.... Just wie ein sanfter Traum — Und ich beklag' es kaum.... Und was in Schmerzen ich verlor: Hin nimmts zum andern Male Beim letzten Abendstrahle Der Schatten Schicksalschor.... Abschied. Nun ist die Stunde kommen, Da ich von hinnen muss ... O Mutter, liebe Mutter gieb Mir nun den Abschiedskuss! Ich weiss, du lasst mit Bangen Mich meine Strasse zieh'n — Und doch ein wild Verlangen Nimmt mich so ganz gefangen, Will mir die Brust vergliih'n.... O Mutter, liebe Mutter, Lass nur das Weinen dein!... Du warst so treu, du warst so gut — So wird 's nie wieder sein .... Doch mich lass still gewahren, Mein Herz ist stark und rein — Und trockne deine Zahren, Dein Schmerz wird sich verklaren — Dein Gott wird mit dir sein! ... Die Flut ist nun verbrandet Die Flut ist nun verbrandet, Der Sturm ist nun verdröhnt — Ich aber bin gelandet Wo Liebe still versöhnt! Wo Liebe leise atmet Und mir den Kummer ebbt, Den ich durch Staub und Schlachtendampf Tagüber mitgeschleppt. Es hat die Wunderaugen Die Nacht erschlossen weit, Und meine Blicke saugen Sich in die Ewigkeit. Mir ist, als hört' ich schlagen In mir das Herz der Welt, Als war' ich, ird'scher Grenzen bar, Dem Ew'gen zugesellt.... Wie dünkt mich Menschentrachten So zwerghaft nun und klein! Ein grosses Weltverachten Zieht in die Brust mir ein! Am Schild des Schrankenlosen Zerbröckelt, was bedingt! Was mich in Tagesschwall bewegt, Zerfallt nun und versinkt! Die Flut ist nun verbrandet, Der Sturm ist nun verdröhnt, Ich aber bin gelandet, Wo Liebe still versöhnt! In goldner Flut entquillt sie Dem Universumskern, Und ihren Schleier spannt sie aus Durch mich von Stern zu Stern! O köstliche Stille der Einsamkelt! O köstliche Stille der Einsamkeit! Es schweigen Nahe und Weite. ... Doch in mir wogt es und braust es wie Sturm — Klingt es wie Glockengelaute! ... Glückauf! Die grosse, die herrliche Zeit Strömender Frühlingsgefühle: Wieder bricht sie mit Macht herein — Ladt mich zum Waffenspiele.... Den Zeiter schnür'ich — ich scharfe mein Schwert: Noch spür' ich Jugendgemutung ! Die Winterklage sei abgetan — Die Sehnsucht nach stiller Verblutung! Nicht sterben will ich im Damtnerasyl, Umkreuzt von Nebelphantasmen — Nicht sterben will ich verwelkt und zermürbt, Umdünstet von Fiebermiasmen! Wo aus feuchter Scholle des Frühlings Blut Treibt lichtgrüne Ranken, Will ich mich betten und atmen tief — Atmen des Frühlings Gedanken !... Will lauschen der Wiesenwasser Gesang — Will wiedergeboren mich heben: lm Auge Flammen, den Muskei gestrafft — Will leben, leben, leben! Weisst du, verschüchterte Kreatur, Was Leben heisst und bedeutet? In den blühenden Frühling tritt hinaus, Wo die Welt dem Auge sich weitet! ... Da wird dir so gross, so siegreich ums Herz — Da fühlst du ein köstlich Erbeben — Ein Hauch von der Grosse der Schwarmerzeit — Ein einziges Schwellen und Leben! .. . Dann sprengst du die Bande! Dann reckst du dich weit! Dann fühlst du es wogen und gahren! Dann fühlst du, wie sich in wildetn Drang Eine neue Welt will gebaren! .. . Und jauchzend schreist du dein Dankgebet, Alleins mit den Weltengewalten: Fühlst du dich selig, fühlst du dicli stark — Spürst du die Kraft zum Gestalten! ... Zurück ihr Schemen der Alltagswelt! Zerfliesst vor dem Frühlingswunder!... Was ich geschaut, ist Unsterblichkeit — Ihr aber seid nichtiger Plunder! . .. O wonnige Stille der Einsamkeit — Es schweigen Nahe und Weite . .. Doch in mir — in mir klingt es wie »Sieg!" — Tönt es wie Ostergelaute!... Osterpsalm. Nun feiert vom Werke! des Alltags Gelüst, Nun bannt es aus Sinnen und Herzen! Und von der Sonne der Liebe geküsst Lasst flainmen die Freudenkerzen ! Wir haben gerungen mit schwieliger Hand, lm Werkeltagsstaube geschmachtet: Nun lasst uns vergessen den leeren Tand, Nun lasst uns zünden den Opferbrand, Und der Liebe, die lang wir verachtet, Die an 's Kreuz wir geschbgen in frevelndem Walm, Gekrönt mit Dornengewinden: Wir geben uns heute ihr unterthan, Auf dass Erlösung wir finden! Und der Liebe, die lang'wir verspottet, verhöhnt: Geeint und versöhnt Erschliessen wir heute die Herzen ! Und wie im jungfröhlichen Marzen Der Lenz mit allmachtigem Werdeton Durch die Lande ruft, der Sonnensohn, Und die Welt im Auferstehungsgesang, Ihm zujauchtzt, dass nun die Kette zersprang, Die der Winter ihr wand um die Olieder: Also auch wieder Werfen wir heute weit auf, weit auf Der Seele Pforten: zu Hauf nun, zu Hauf Sammelt euch, Lichtgedanken! Jungblühender Liebe Osterpracht, In Flammen und Gluten zum Leben erwacht Nach bleischwer lastender Winternacht, Heile die Müden und Kranken! Und wenn wir gebangt, gezagt und geklagt, Die Seele zerrissen von Schmerzen — Wir wissen es alle1: Es tagt, es tagt, Und im lichtgrünen Gekranz, Wandelt der Lenz Wandelt der heilige Osterlenz Heut' durch die Lande und Herzen! Otto Ernst Otto Ernst. Geb. am 7 Oktober 1862. »Gedichte" 1888. — >Neue Gedichte" 1892. Genügen. Wie trüg' ich wohl ein Fernverlangen, Ua hier der Tag in Rosen blüht, Die Sonne mich erweckt mit Prangen Und mir am Abend sanft vergli'iht? Vom Oarten schon in früher Stunde Herübertragt der Morgenwind Ein Lied aus froher Kinder Munde — Wie singt so heli mein eignes Kind! Der Mittagsruf klingt durch die Saaten. Wie Arbeit Stirn und Hande braunt! Es winkt, vom Werk sicli zu beraten, Zum Heimweg mir ein ernster Freund. Wie trüg' ich wohl ein Fernverlangen, Da du mein Rebenhaus bewohnst Und mir mit liebendem Umfangen Am Abend jede Miihe lohnst. Beseligt von des Tags Geschenken, Geniess' ich sein in spater Ruh'. Ein letztes, leises Überdenken — I Inrl tr.ïiimpnH fü 11t Hip Wimnpr 711 Neujahrsgruss. Ans Tor des Türmers hab' ich heut Gepocht mit lautem Rufen: «Komm, fiihre mich vor Mitternacht Zum Turm hinauf die Stufen! Denn ein Gelüsten treibt mich heut, Mit machtig hallendem Geliiut Die Welt zu meinen Füssen Zu grüssen." Und an des Alten Seite stumm Bin ich emporgestiegen. Tief lag die Erde schneeverhüllt, Geruhig und verschwiegen. Die weite Stadt — ein Liclüermeer! Das blinkte liold von unten her Wie goldnes Sterngewimmel Vom Himmel. Und oben hab' ich tiefen Zugs Den Hauch der Nacht getrunken; Berauscht von tausend Bilüern, ist Mein Geist in sich versunken — : Jed' Licht dort unten schien ihm da Ein Auge, das ins Ferne sah, An Tagen, die vergangen, Zu hangen. Und jeder Bliek erspahte bald Aus grauem Nebeldampfe Ein eignes und besondrcs Bild Vom ew'gen Erdenkampfe. Wie manche leise Triine rann .,. Wie manches feste Herz begann (n still erneuten Flutcn Zu bluten! ... . Hob sich aus fernem Dunkel nicht Hier — dort — ein Totenhügel ? Flog nicht ein freundlich Antlitz lier Auf traumbewegtem Fliigel ? O ja, in stiller Neujahrsnacht Der Toten wird zuerst gedacht, Der Lieben, die irn Hafen Nun schlafen. Doch tnehr als Tod ist Lebensnot Horch, horch — in mancher Kammer Geilt jah durch die Erinnerung Ein lauter, wilder Jammer! Ein nie verglommnes Weh entfaclit So manchem diese stille Nacht, Dem alles, was er traumte, Zerschaumte. Und ewig Kampf und ewig Streit Mit Leiden und Gefahren, Mit Elend, Krankheit, Lug und Trug Seit tausend, tausend Jahren ! Und war 's ein Jahr des Glücks vielleicht, So hat 's uns doch das Haar gebleicht, So ist es doch verronnen — Zerronnen — Wir kampfen mit der Nagerin, Der Zeit, der nimmermiiden — Still! War mir 's doch, als ob zur Lust Von fern Gesatige lüden — Fürwahr: ein leises Kling und Klang... Zum Mund mit Jubel und Gesang Den Trank voll Glut und Leben Sie heben!.... Ja! Eine Freudensonne glüht Inmitten wilden Krieges: In allen edlen Herzen ist 's Die Zuversicht des Sieges! Doch wo das Schwert, das ihn erwirbt, Das jeden Höllengeist verdirbt? Wo glanzt die blanke Welire, Die hehre? Nun Mitternacht! - Da liess ich weit Die Glocke donnernd scliwingen, Und meine Seele schrie hinein Mit Beben und mit Klingen: Sie soll uns Schwert des Lichtes sein, Die reine Siegerin allein In Nacht - und Sturmgetriebe: Die Liebe. Lütt Jan. Jan Boje wünscht sich lange schon Ein Schiff — ach Gott, wie lange schon! Ein Schiff so gross — ein Schiff — hurra Von hier bis nach Amerika. Die höchsten Tannen sind zu klein, Die Masten müssten Ti'irme sein, Die stiessen — hei, was ist dabei? — Klingling das Himmelsdach entzwei. Die Wolken waren Segel gut, Die knallen wild im Wind vor Wut; Jan Boje hangt am Klüverbaum Und strampelt nackt im Wellenschaum. Jan baumelt an der Reling, Jan! Und schaukelt, was er schaukeln kann. Wenn 's an die Planken plitscht und platscht. Der blanke Steert ins Wasser klatscht. Wie greift er da die Fische flink: Ein Butt bei jedem Wellenblink! Die dörrt auf Deck der Sonnenschein, Und Jantje beisst vergnügt hinein. Jan Boje segelt immerfort, Spuckt über Back - und Steuerbord Und kommt zurück trotz Schabernack, Das ganze Schiff voll Kautabak. Wer aber ist Jan Boje, he? Der Teufelsmaat und Held zur See? Jan Boje ist ein Fischerjung', Ein Knirps, ein KerI, ein frischer Jung'. Grad liegt er auf dem Bauch im Sand Und Ienkt ein schwimmend Brett am Band, Und ob die Woge komml und geht, Ob sich sein Brett im Wirbel dreht — : Sein starrer Bliek ins Ferne steht. Da schwillt's heran im Sonnengleiss Von tausend Segeln breit und weiss; Da hebt sich manch ein Riesenbug Wie düstrer Spuk und Augentrug.. .. Das wandert ewig übers Meer. Wann kommt Jan Bojes Schiff daher? Nis Randers. Krachen und Heulen und berstende Nacht, Dunkel und Flamtnen in rasender Jagd — Ein Schrei durch die Brandung! Und brennt der Himmel, so sielit man's gut: Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut; Cileich holt sich 's der Abgrund. Nis Randers lugt — und ohne Hast Spricht er: „Da hangt noch ein Mann im Mast; Wir müssen ihn holen." Da fasst ihn die Mutter: „Du steigst mir nicht ein! Dicli will ich behalten, du bliebst mir allein, Ich will 's, deine Mutter! Dein Vater ging unter und Momme, tnein Sohn; Drei Jahre verschollen ist Uwe schon, Mein Uwe, mein Uwe!" Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach! Er weist nach dcm Wrack und spricht gemach: „Und seine Mutter?" Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs: Hohes, hartes Friesengewachs; Schon sausen die Ruder. Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz! Nun muss es zerschmettern .... Nein: es blieb ganz! Wie lange? Wie lange? Mit feurigen Geisseln peitscht das Meer Die menschenfressetiden Rosse daher; Sie schnauben und schaumen. Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt! Eins auf den Nacken des andern springt Mit stampfenden Hufen! Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt! Was da? — Ein Boot, das landwarts halt — Sie sind es! Sie kommen! Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt... Still —. ruft da nicht einer? — Er schreit's durch die Hand: „Sagt Mutter, 's ist Uwe!" Wahlgeschichten. Der Rec/ierungskandidat. Die Hasen wollten sicli vertreten lassen Durch einen Abgeordneten beim Jager; Der sollte den so schwer bedriingten Massen Ein Anwalt sein und ihres Rechtes Trager. Da trat des Jagers Hund in ihren Kreis Und sprach — er liesssich gern herabzu wedeln — „Wer euch noch einen bessern Anwalt weiss Als mich, der rede frei heraus, ihr Edeln! Des Jagers Ohr, so darf ich schmeicheln mir, Besitz' ich ganz, und unverbrüchlich treu Fühl' ich mit euch, wohlweises Mitgetier, Vor vinsrem Herrn die gleiche fromme Scheu. Bekannt sind beide Teile mir auf Grund Lanjahriger Erfahrung, und bestandig War mein Intresse — dafür bin ich Hund!" Für Jager wie für Hasen gleich lebendig... " Da scholl Hurrah aus tausend Hasenkehlen, Und jeder drangte sich, den Hund zu wahlen. II 0 II Die frcie Walil. Erloschen war des Hundes Wahlmandat. Der Jager schoss die Hasen tot wie immer. Doch flog ein Etwas durch den Hasenstaat Wie erster schwacher Freiheitsmorgenschimmer. Zur Neuwahl liess der Hund die Hasen laden. Er rief bewegt: „Man juble, man erstaune! Mein Souveran von Blei und Pulvers Onaden Erwachte heut' in liberaler Laune. Er will, dass jeder frei sein Wahlrecht übe Und ganz nach seiner Überzeugung stimme; Wer frech das Bild der Volksabstimmung trübe, Dem droh' er schwer mit seinem höchsten Grimme. Dies ist sein Wunsch. Doch wünscht der Herrscher auch, Dass ich euch' klug zu wahlen, gründlich lehre, Dass ich des Rechts unwürdigen Gebrauch Beleuchte durch der Folgen ganze Schwere — Hört nicht auf Freiheitsphrasen, wüst und hohl — Ihr könntet eure Lage noch verschlimmern — Die Wahl ist frei! — Doch was zu eurem Wohl —" Hier liess der Hund die Zahne freundlich schimmern — Und wunderbar! Bei vorgenommner Wahl Fiel auf den Hund der Stimmen ganze Zahl. III Die moralische Konsequens. Und wieder Wahl nach abgelaufner Frist! Zur Zeit der Schonung ward sie angesetzt, Da von den Hasen nichts zu holen ist Und sie sich mehren dürfen ungehetzt, Des Jagers Büchse hatte den Etat An feisten Hasen reichlich eir.gebracht, Er sprach bei sich: „Gelegne Zeit ist da, Dass man zum Scheine Konzessionen macht." Da liess der Hund die Wahler sich versammeln: „Der Jager will", so rief er durch den Hain, „Ein Hase soll — vernehmts mit Dankesstammeln — In Zukunft euer Deputierter sein. Denn was sein Volk bewegt aus tiefstem Orunde (Der Herrscher nimmt es ernst mit seiner Pflicht!) Vernehmen will ers nun aus Hasenmunde; Ich aber kandidiere diesmal nicht!" Die Hasen wahlten wie aus einem Mund Zu ihrem Abgeordneten — den Hund. Ludwig Fulda. Gel>. am 15 Juli 1862. «Satura» 1SS4. — «Sinngedichte» 1886'. — «Gedichte» 1800. Wer aufwarts will.... Wcr aufwarts will, muss Einsicht haben, Mit Umsicht brauchen seine Gabcn, Sich keiner Ansicht widersetzen, Die Tat nach ihrer Aussicht schatzen Zu steter Nachsicht sich bequemen Und taglich so viel Riicksicht nehmen, Dass er aus Vorsicht ganz und gar Vergisst, was seine Absicht war. Sommernacht Schwüle Sommernacht; Diistere Wolken saumen Des Mondes Pracht, Lastend am Bergeshange; Es tönet in leiserem Klange Der Vögel Lied von den Baumen. I.uduig l'uldn Die Erde ruht. Die Strassen liegen verlassen; Mir ist zu Mut, Als müsst' ich von Sehnsucht getrieben All meine fernen Lieben Mit diesen Armen umfassen. Abend. Dieser Tag verglüht nun auch; Wie ein Himmelsgruss der Sterne Wehet abendkühler Hauch Aus der goldgetrankten Ferne. Regung bringt das Ieise Wehn Nur den höchsten Wipfelzweigen; Doch ich glaube zu verstehn, Was sie flüstern, was sie schweigen. Und als ob vom leichten Süd Meine Seele zitternd schwanke, Schwebet still durch mein Oemüt Alles, was ich dir verdanke. Stromab! Stromab! Stromab! Ich steh' am Rand Des Ufers mit verhaltnem Weinen, Und eine liebe, liebe Hand Ruht abschiednehmend in der meinen. Stromab! Stromab! Nun ist 's geschehn; Die Welle rauscht, die Segel wallen, Ein weisses Tüchlein seh ich wehn, Hör' einer Stimme Ruf verhallen. Stromab! Stromab! Zwei Furchen nur Verraten wo das Schiff gezogen; Schon überspülen ihre Spur Die fremden teilnahmlosen Wogen. O letzter Bliek! O letztes Wort! Die heisse Trane rinnt hernieder; So ziehet Glück und Jugend fort Stromab, stromab und kehrt nicht wieder. Arno Holz. Geb. am 26 April 1863. < Kling insherz» 1883. — «Deutsche Weisen» 1884. — «Buch der ZeiU 1885. Frühling. Wohl haben sie dich alle schon besungen l'nd singen dich noch immer an, o Lenz, Doch da dein Zauber nun auch mich bezwungen, Meld ich mich auch zur grossen Konkurrenz. Doch fürcht ich fast, ich bin dir zu prosaisch, Aus meinen Versen sprüht kein Fünkchen Qeist, Und denk ich gar an deinen Dichter Kleist, Klingt meine Sprache mir fast wie Havaïsch. Kein Veilchenduft versetzt mich in Ekstase, Denn ach, ich bin ein Epigone nur; Nie trank ich Wein aus einem Wasserglase Und nüchtern bin ich bis zur Unnatur. Der Tonfall meiner Iyrischen Kollegen Ist mir ein unverstandner Dialekt. Denn meinen Reim hat die Kultur beleckt, Und meine Muse wallt auf andern Wegen. Ins Waldversteck verirrt sie sich nur selten, Die blaue Blume ist ihr langst verblüht; Doch zieht die Ahnung neugeborner Weiten, ihr süsser als ein Marchen durchs Gemiith, Zur Armuth tritt sie hin und zahlt die Groschen, Ihr rotes Banner pflanzt sie in den Streit, An ihr Herz schiagt das grosse Herz der Zeit, Und aller Weltschmerz scheint ihr abgedroschen. Doch heute singt sie, was ihr langst verboten, Mir scheint, dein Lacheln hat sie mir behext, Und unter deine altbekannten Noten Schreibt sie begeistert einen neuen Text. Die Flur ergri'int und blaulich blüht der Flieder, Ich aber leire meine Lenzmusik, Und lachend schon vernehm ich die Kritik: Das denkt und singt ja wie ein Seifensieder! Schon blökt ins Feld die erste Hammelherde, Der Hof hielt seine letzte Soiree, Und grasgrün überdeckt die alte Erde, Kokett ihr weisses Winternegligee. Der Wald rauscht wieder seine Lenzgeschichten, Und mir im Schiidel rasselt kreuz und quer, Ein ganzer Rattenkönig von Gedichten, Ein Reim - und Rythmenungetüm umher. Wie Gold in meine armliche Mansarde, Durchs offne Fenster fallt der Sonnenschein, Und graubefrackt larmt eine Spatzengarde: Ich schnitt es geril in alle Rinden ein! Die Luft weht lau und eine Linde spreitet Grim übers Dach ihr junges Laubpanier, Und vor mir auf dem Tisch liegt ausgebreitet, Fein sauberlich ein Bogen Schreibpapier. O wie so anders, als die Herren singen, Stellt sich der Lenz hier in der Qrossstadt ein, Er weiss sich auch noch anders zu verdingen, Als nur als Vogelsang und Vollmondschein. Er heult als Südwind um die morschen Dacher, Und wimmert wie ein kranker Komödiant, Bis licht die Sonne ihren goldnen Facher Durch Wolken lachelnd auseinanderspannt. Und Frühling! Frühling! schallt's aus allen Kehlen, Der Bettler hört's und weint des Nachts am Quai; Ein süsser Schauer rinnt durch alle Seelen, Und durch die Strassen der geschmolzne Schnee. Die Damen tragen wieder lange Schleppen, Zum Schneider eilt nun, wer sich's „leisten" kann, Die Kinder spielen larmend auf den Treppen Und auf den Höfen — singt der Leiermann. Schon legt der Backer sich auf Osterkringel Und seine Fenster putzt der Photograph, Der blaue Milchmann mit der gelben Klingel Stört uns tagtiiglich nun den "Morgenschlaf. Mit Kupfern illustriert die Frauenzeitung Die neusten Frühjahrsmoden aus Paris, Ihr Feuilleton bringt zur Qeschmacksverbreitung Den neusten Schundroman von Dumas fils. Es tritt der Strohhut und der Sonnenknicker, Nun wieder in sein anpestammtes Recht, Und kokettierend mit dein Nasenzwicker Durchstreift den Park der Promenadenhecht. Das ist so recht die Schmachtzeit für Blondinen, Und ach, so mancher wird das Herzlein schwer, Ein Duft von Veilchen und von Apfelsinen, Schwingt wie ein Traum sich übers Hausermeer. Am Arm das Körbchen mit den weissen Olöckchen, Das blonde Haar zerweht voin Frühlingswind, Lehnt bleich und zitternd im verschossnen Röckchen, Am Prunkpalast das Proletarierkind. Geschminkte Damchen und gezierte Stutzer, Doch niemand, der ihm schenkt ein freundlich Wort; Und naht sich Abends der Laternenputzer, Dan schleicht es weinend sich ins Dunkel fort. Yerfolgt vom blutgen Schwarm der Manichaer, Umirrt nun Bruder Studio wie gehetzt; Bis er sich endlich rettet zum Hebraer, Und seinen Winterpaletot versetzt. Der Hypochonder sinnt auf Frühjahrskuren Und wettert auf die Stickluft der Salons, Der Italiano formt sich Gipsfiguren Und zieht vors Tor mit seinen Luftballons. Nun geht die Welt kopfüber und kopfunter, Auf Sommerwohnung zieht schon der Rentier, Die Anschlagssaulen werden immer bunter Und nachtlich wimmert oft das Portemonnaie. Der Schornsteinfeger klettert auf die Leiter, Und grinst uns an als Vogelperspecteur, Vor Klingeln kommt die Pferdebahn nicht weiter, Und Alles brüllt: He, schneller, Conducteur! Das Militar wirft sich in Drillichhosen, Und übt sich schwitzend im Paradeschritt, Als ging's kopfüber gegen die Franzosen, Und krampfhaft schleppt es die Tornister mit. Und blitzt der Exerzierplatz dann exotisch, Wie ein gemaltes Farbenmosaik, Dan wird die Schusterjugend patriotisch Und lautauf spielt die Regimentsmusik. Schon dampft der Kaffee hie und da im Garten, Der Scliosshund bellt, es kreischt der Papagei, Papa studiert die kolorierten Karten, Von Zoppot, Heringsdorf und Norderney. In den geschlossenen Theatern trauern Die weichen Polstersitze des Parquets Und rote Zettel predgen an den Mauern, Die goldne Aera der Retourbillets. An eine Spritztour denkt manch armer Schlucker, Doch dreht sie leider sich ums Wörtchen „wenn"; Am gelben Gurt den schwarzen Opemgucker, Stelzt durchs Museum nun der Englishman. Die Provinzialen aber schneiden Fratzen, Dank ihrer anerzogen Prüderie, Und unbemerkt nur schleichen sie wie Katzen, Urn unsre liebe Frau von Medici. Doch drauss vorm Stadttor rauscht es in den Baumen, Dort tummelt sich die fashionable Welt, Und junge Dichter wandeln dort und traumen, Von ewgem Ruhm, Unsterblichkeit — und Geld. Rings um die wieder weissen Marmormaler Spielt laut ein Kinderschwarm nun Blindekuh Und heimlich gibt der Backfisch dem Pennaler Am Goldfischteich das erste Rendezvous. Und macht die Nacht dann ihre stille Runde, Und blitzt es licht durchs dunkle Firmament, Dann ist 's dieselbe Lenznacht, die zur Stunde, Sich lagert um den Busen von Sorrent! Dann ist 's derselbe Mond, der rings das Pflaster, Sacht überdeckt mit seinem goldnen Vliess, Den vor Jahrtausenden schon Zoroaster, Als ewgen Flerold aller Lenze pries! O Frühling! Frühling, dem die Welt entlodert, Du führst im Schild ein Röslein ohne Dorn; Dass uns das Herz nicht ganz vermorscht und modert, Stösst du noch immer in dein Wunderhorn. Noch immer lasst du deine Nachtigallen lm Frührot schlagen, wie zur Zeit Homers, Und hebst empor die Engel, die gefallen. Die kranken Söhne Fausts und Ahasvers. Ob du vor Zeiten einst als junge Sonne Glorreich emporstiegst über Salamis, Indess Diogenes in seiner Tonne Sich philosophisch in die Nagel biss; Und ob dir heute noch im fernsten Norden Ein Opfer bringt der fromme Eskimo, Wie weiland an des Südmeers blauen Borden Der alte Mythenkönig Pharao: Du bist und bleibst der einzig wahre Heiland, Dein schoner Wahlspruch jauchzt: „Empor! Empor. Was soll uns noch ein waldumrauschtes Eiland? Du wandelst um den Stadtwall auch durchs Tor! Du bist nicht scheu wie deine Waldgespenster, Du setzt auch in die Orossstadt deinen Fuss Und wehst tagtaglich durch das offne Fenster Mir in das Stübchen deinen Morgengruss. Und jetzt, wo schon der Abend seine Lichter Rotgolden über alle Diicher strahlt, Krönst du mich lachelnd nun zu deinem Dichter Und hast mir rhythmisch das Papier bemalt. Ich aber gebe dieses Blatt den Winden, Die Fangball spielen um den Kirchturmknauf, Und wenn's noch heut die Strassenkehrer finden, Was kümmert's mich ? Flieg auf, mein Lied, ilieg auf! Een Boot is noch buten! „Ahoi! Klaas Nielsen und Peter Jehann ! Kiekt nach, ob wi noch nich to Mus sind' Jt hewt doch gesehn dem Klabautermann ? . Gott Lob, dat wi wedder to Hus sind!" Die Fischer riefen's und stiessen ans Land Und zogen die Kiele bis hoch auf den Strand, Denn dumpf an rollten die Fluten; Han Jochen aber rechnete nach Und schüttelte finster sein Haupt und sprach • „Een Boot is noch buten!" Und ernster keuchte die braune Schaar Dem Dorf zu über die Dünen, Schon grüssten von fern mit zerwehtem Maar Die Frau'n an den Grabern der Hiinen. Und „Korl !" hiess es und „Leiw Marie!" „'T is doch man schön, dat ji wedder' hie'" Dumpf an rollten die Fluten - „Un Hinrich, min Hinrich? Wo is denn dee? Und Jochen wies in die brüllende See: „Een Boot is noch buten!'' Am Ufer draute der Möwenstein, Drauf stand ein verrufnes Gemauer, Dort schleppten sie Werg und Strandholz hinein Und gossen Oei in das Feuer. Das leuchtete weit in die Nacht hinaus! Und sollte rufen: O komm nach Haus! Dumpf an rollen die Fluten — Hier steht Dein Weib in Nacht und Wind Und jammert laut auf und küsst Dein Kind: «Een Boot is noch buten!" Doch die Nacht verrann und die See ward still Und die Sonne schien in die Flammen Da schluchzte die Armste: „As Gott wil!!'' Und bewusstlos brach sie zusammen! Sie trugen sie heim auf schmalem Brett, Dort liegt sie nun fiebernd im Krankenbett Und draussen platschern die Fluten; Dort spielt ihr Kind, ihr «lütting Jehann , Und lallt wie traumend dann und wann: „Een Boot is noch buten!" So Einer war auch Er! Liegt ein Dörflein mitten im Walde, Überdeckt vom Sonnenschein. Und vor dem letzten Haus an der Halde Sitzt ein steinalt Mütterlein. Sie lasst den Faden gleiten Und Spinnrad Spinnrad sein Und denkt an die alten Zeiten Und nickt und schlummert ein. Heimlich schleicht sich die Mittagsstille Durch das flimmernde, grüne Revier. Alles schlaft; selbst Drossel und Grille Und vorm Pflug der milde Stier. Da plötzlich kommt es gezogen Blitzend den Wald entlang Und vor ihm hergeflogen Trommel und Pfeifenklang. Und in das Lied vom alten Blücher Jauchzen die Döriler: Sie sind da! Und die Madels schwenken die Tücher Und die Jungens rufen: Hurrah! Oott schütze die goldnen Saaten, Dazu die weite Welt; Des Kaisers junge Soldaten Ziehn wieder ins grüne Feld! Sieh, schon schwenken sie um die Halde Wo das letzte der Hauschen lacht! ' Schon verschwinden die ersten im Walde Und das Mütterchen ist erwacht. Versunken in tiefes Sinnen, Wird ihr das Herz so schwer Und ihre Tranen rinnen: »So Einer war auch Er!" Ein Herz, das zersprungen. Den Menschen fernab In Saint und in Trauer Liegt einsam ein Orab, Ein Grab an der Mauer. Kein Marmorstein deckt Den sinkenden Hügel, Doch drüberhin reckt Ein Baum seine Flügel. Ein Christuskreuz sieht Aus blühendem Flieder Und manchmal auch kniet Ein Weib davor nieder. Und gestern, als sacht Ich vorübergegangen, Da gab ich drauf acht, Was die Vögel dort sangen. Ich lauschte und sieh, Da war es die alte, Die Schmerzmelodie, Die noch niemals verhallte: Ein Baum, der verblüht, Ein Ton, der verklungen, Ein Stern, der vergliiht, Ein Herz, das zersprungen! Nachtstück. Langst fiel von den Baumen Das letzte Blatt, In Schlaf und Traumen Liegt nun die Stadt; Die Fenster verdunkeln Sieh Haus an Haus Und drüberhin funkeln Die Sterne sieh aus; Kalt weht es vom Strom her, Der Eisgang kracht, Un driiben vom Dom her Dröhnt 's Mitternacht. Ich aber schleppe mich zitternd nach Haus Der Nordwind blast die Laternen aus! Was half's, dass ich klagend Die Gassen durchlief Und mitleidverzagend „Hier Rosen!" ausrief? „Hier Rosen, o Rosen! Wer kauft einen Strauss?" Doch die Herren Studiosen Lachten mich aus! Und keiner, keiner .... Dass Gott erbarm! O unsereiner Ist gar zu arm! Mir wanken die Kniee, mein Herzblut gerinnt O Gott, mein Kind, mein armes Kind! In stockdimkler Kammer, Verhungert, vertiertü Schon packt mich der Jammer: »Ach Muttchen, mich friert! Ach bitte, bitte Ein Stückchen Brot!" Mir ist es, als litte Ich gleich den Tod! Mir ist es, als miisste Ich schreien: „Fluch!" — O dass ich dicli küsste Durchs Leichentuch! Darm war es vorbei und sie scharrten dich ein Und ich trüg' es allein, o Gott, allein .... Tagebuchblatter. II. Ins Meer versank des Abends letzte Röte Du gabst mir scheidend das üeleit ' lm nahen Wald blies eine Hirtenfiöte Ein altes Lied aus alter Zeit. Nicht Kiisse waren's, die wir heimlich tauschten Es war die Zeit des Blatterfalls, Doch als am Kreuzweg die drei Linden rauschten, rielst du mir weinend um den Hals! Und deiner Liebe Iangverhaltnes Leiden Aus deinem Herzen brach's hervor, Als ahntest du, dass jedes von uns beiden lm andern auch sieh selbst verlor! Und Worte sprachst du, die ich nie vergessen, Doch ach, uns gönnte das Geschick Nur noch ein letztes Aneinanderpressen .... Es war ein dunkier Augenblick! Doch nicht entweihen will ich jene Stunde, Schweig still, o still, Erinnerung! Denn nie schliesst sieh ein Herz um scine Wunde, Ein echtes Leid bleibt cwig jung. Noch immer, wenn des Abends letzte Röte Ins Meer taucht, wird das Herz mir weit, Und mich umklingt wie eine Hirtenflöte Ein altes Lied aus alter Zeit. XII. Jüngst sah ich den Wind, Das himmlische Kind, Als ich traumend im Walde gelegen, Und hinter ihm schritt Mit trippelndem Tritt Sein Bruder, der Sommerregen. In den Wipfeln da ging 's Nach rechts und nach links, Als wiegte der Wind sieh im Bettchen; Und sein Briiderchen sang: Di Binke di Bank, Und schli'ipfte von Blattchen zu Blattchen. Weiss selbst nicht, wie 's kam, Gar zu wundersam Es regnete, Iropfte und rauschte, Dass ich selber ein Kind, Wie Regen und Wind, Das Spielen der beiden belausehte. Dann wurde es Nacht, Und eh ich 's gedacht, Waren fort, die das Marchen mir scluifen. Ihr Mütterlein Halte sie fein Hinauf in den Himmel gerufen! XVII. Mein Herz schlagt laut, mein Oewissen schreit. Ein blutiger Frevel ist diese Zeit! Am hölzernen Kreuz verröchelt der Gott, Kindern und Toren ein seichter Spott: Verlöscht ist am Himmel das letzte Rot, Uber die Welt hin schreitet der Tod, Und trunken durch die Gewitternacht klingt Das sündige Lied, das die Nachtigall singtT Die Menschheit weint urn ihr Paradies, Draus sie ihr eigener Damon verstiess, Und heimlich zischt ihr die rote Wut 'hre Parole zu: Gold und Blut! Gold und Blut, Blut und Gold! Hei, wie das klappert, hei, wie das rollt! Und wüst dazwischen kraht der Halm: Volksohnmacht und Casarenwahn! Und immer dunkier wird die Nacht, Die Liebe schlaft ein und der Hass erwacht Und immer üppiger dehnt sich die Lust Und immer angstvoller scliwillt die Brust; Kein Stern, der blau durcli die Wolken bricht, Kein Lied, das süss von Erlösung spricht — Mein Herz schlagt laut, mein Gewissen schreit: Ein blutiger Frevel ist diese Zeit! XXXIII. In himmelblauer Ferne, Da liegt und lacht cin Paradies, Da singen die Sirenen, Da trocknen a'le Tranen, Da wohnt das Glück. In himmelblauer Ferne An mich selbst. Lass die Roscn ihren Du ft Amseln streun und Finken, Dürsten solist du nach der Luft, Draus die Adlcr trinken! Blut ist Blut nur wenn es rollt, Glück Iasst sich erhaschen, Wolkenblau und Sonnengold Pfropft man nicht in Flaschen! Es bleibt sich gleich! Es bleibt sich gleich! Ob du ein sogenannter Glückspilz bist, Der bunte Wasche tragt, Coupons abschneidet Und nur Havannas zu fünf Mark das Stück raucht, Ob du am Rand der staubigen Chausee Blödsinnig niederkniest und Steine klopfst, Es bleibt sich gleich! Nur deine Brille tut's, Der hohle Zahn, der dem Idioten weh tut, Schmerzt auch den besten Mathematiker. Und die Karriere, die der Leutnant X macht, Ist grad so glanzend und verführerisch, Wie die von seinem Putzer Y; Am Ende kommt der Totengraber Z, Macht: Papperlapapp, genehmigtsich ein Nordlicht Und pfeift auf beide Einstweilen! Die alte Welt is ein altes Haus Und furchtbar ungemütlich, Der Nordwind pustet die Lichter aus — Icli wollte, wir lagen melir südlich! Ich wollte. ... Puh Teufel, wie das zieht! Der Hagel prallt an die Scheiben, Drum singt nur einstweilen das tröstliche Lied: Es kann ja nicht immer so bleiben! Phantasus. I. Ilir Dacli stiess fast bis an die Sterne, Vom Hof her stampfte die Fabrik, Es war die richtge Mietskaserne Mit Flur — und Leiermannsmusik! Im Keiler nistete die Ratte, Parterre gab 's Branntwein, Grog und Bier, Und bis ins fünfte Stockwerk hatte Das Vorstadtelend sein Quartier. Dort sass er nachts vor seinem Lichte, — Duck nieder, nieder, wilder Hohn! — Und fieberte und schrieb Gedichte, Ein Traumer, ein verlorner Solui! Sein Stübchen konnte grade fassen Ein Tischchen und ein schmales Bett; Er war so arm und so verlassen, Wie jener Gott aus Nazareth ! Doch pfiff auch dreist die feile Dirne, Die Welt, ihn aus: Er ist verriickt! llim hatte leuchtend auf die Stirne Der Genius seinen Kuss gedrückt, Und wenn vom holden Wahnsinn trunken, Er zitternd Vers an Vers gereiht, Dann schien auf ewig ihm versunken Die Welt und ihre Nüchtemheit. In Fetzen hing ihm seine Bluse, Sein Nachbar lieh ihm trocknes Brot, Er aber stammelte: O Muse! Und wusste nichts von seiner Not. Er sass nur still vor seinem Lichte, Allniichtlich, wenn der Tag entflohn, Und fieberte und schrieb Gedichte, Ein Traumer, ein verlorner Sohn! VII. Die Nacht liegt in den letzten Ziigen, Der Regen tropft, der Nebel spinnt.... O, dass die Marchen immer liigen, Die Marchen, die die Jugend sinnt! Wie lieblich hat sicli einst getrunken Der Hoffnung goldner Eeuerwein! Und jetzt? Erbarmungslos versunken In dieses Elend der Spelunken — O Sonnenschein! O Sonnenschein! Nur einmal, einmal noch im Traume Lasst mich hinaus, o Gott, hinaus! Deun siiss rauscht's nachts im Lindenbaume Vor meines Vaters Försterhaus. Der Mond lugt golden um den Giebel, Der Vater traumt von Mars-La-Tour, Lieb Mülterchen studiert die Bibel, lhr Nestling koloriert die Fibel Und leise, leise tickt die Uhr! O goldne Lenznacht der Jasminen, Ö war ich nietnals dir entrückt! Das ewge Radern der Maschinen Hat mir das Hirn zerpflückt, zerstückt! Einst schlich ich aus dem Hans der Vater Nachts in die Welt mich wie ein Dieb, Und lieut — drei kurze Jahrchen spater! — Wie ein geschlagner Missetater, Schluchz ich: Vergieb, o Gott, vergieb! Wozu dein armes Hirn zerwühlen? Du grübelst und die Weltlust lacht! Denn von Gedanken, von Gefühlen, Hat noch kein Mensch sich satt gemacht ja, recht hat, o du sihse Mutter, Dein Spruch, vor detn 's mir stets gegraust Was soll uns Sliakespeare, Kant und Luther? Dem Elend dünkt ein Stückchen Butter Erhabner als der ganze Faust! IX. Der Mond blitzt durch die Fensterscherben Ums dunkle Dachwerk pfeift der Wind, Und Naclibars Liesclien liegt im Sterben Und ihre Mutter weint sicli blind. Das Haar gebleicht von tausend Sorgen, lm dünnen Kleidchen von Kattun, Erwartet sehnlich sie den Morgen, Der Apotheker will nicht borgen, Der Doktor hat »zu viel zu tun!" Der Miirznacht goldne Sterne scheinen, Ihr Himmel deckt uns alle zu: Hör auf, du Mütterchen, mit Weinen, Dein Kind ist besser dran, als du! Es braucht nicht naliend mehr zu sputen Sich spilt bis in die Nacht hinein, Und wenn die Lüfte sie umfluten Und rot die Rosen wieder bluten, Spielt urn sein Grab der Sonnenschein! Die Not im löchrigen Gewande Zertritt die Perle der Moral; Das Los der Armut ist die Schande, Das Los der Schande das Spital! Ja, jede Grosstadt ist ein Zwinger, Der rot von Blut und Tranen dampft; Drum hütet euch, ihr armen Dinger, Denn diese Welt hat schmulzge Finger — Weh, wem sie sie ins Herzfleisch krampft! Da horch! ein Ianggezognes Stölinen Und jetzt ein wilder, geiler Schrei! Was tut 's? Man muss sich dran gewöhnen ! Hier hiess es wieder mal: Vorbei! Schon übermorgen karrt der Racker Das arme Miidchen vor die Stadt, Und niemand kennt den Totenacker, Darauf beim öden Sterngeflacker Ein Herz sein Oliick gefunden hat! XII Schlag zu, mein Herz, die Flocken treiben Nicht wie im Winter mehr ums Dacli! Der Frühling pocht an meine Scheiben Urid tausend Wunder werden wach! Das Licht fiihrt seine goldnen Funken Tagtaglich wieder min ins Feld, Und mir im Herzen jubelt's trunken: O Gott, wie schön ist Deine Welt! Wie lieblich nur durchs offne Fenster Der Maiwind mir die Schlafen kühlt! Lebt wohl, ihr grübelnden Gespenster, Die winterlang mein Hirn durchwühlt! Als war ich gestern erst genesen Das Herz ist mir so süss erhellt — So wohl ist mir noch fiie gewesen: O Gott, wie schön ist Deine Welt! Hervor, hervor aus deiner Hülle, Du liebes Bildchen meiner Fee! O, dieser Locken goldne Fülle! O, dieses Busens weisser Schnee! Und wölbt sich über deiner Krone Auch purpurrot ein Throngezelt, Dein Herz schlagt doch dem Liedersohne — O Gott, wie schön ist Deine Welt! Doch still, mein Herz, was soll dein Pochen? O Tod, du kommst zur rechten Zeit! Das Schwert der Trübsal liegt zerbrochen Sei mir gegrüsst, o Ewigkeit! Beim Frühling hab ich tausendkehlig Ein Lerchengrablied mir bestellt: So sterb ich jubelnd, sterb ich selig O Gott, wie schön war Deine Welt! Richard Dehmel Richard Dehmel. Geb. am IS Nov. 18GS. „Erlösungen" 1891. — „Aber dia Liebc" 1893. Der Stieglitz. Die Sonnc blitzt, ein Distelfeld Belebt die stille Mittagswelt; lm starrgezackten Blattermeer Glülin purpurlockig kreuz und quer Die Blütenköpfe. Und durch den eisengrauen Busch, Ein bunter Vogel liupp, hupp, huscli, Hüpft durch das wilde Staudenheer, Als ob es ohne Stacheln war: Ein junger Stieglitz. Wie sind sie wunderlich geschweift! Ein leichtes Lüftchen kommt und greift Von Blütenspeer zu Blütenspeer Und wirft die Schatten hin und her; Weg ist der Stieglitz. Nuu will ich stille weitergehn Und mir die sonnige Welt beselin, Und durch das Leben kreuz und quer, Als ob es oline Stacheln war, . Das liebe Leben. Drohende Aussicht. Der Himmel kreist, dir schwankt das Land, Vom Schnellzug liin und lier gescliüttelt, Saust Ackerrand um Ackerrand, Ein Frösteln 'nat dicli wachgerüttelt: Die Morgensonne kommt. Miilisain entstrebt dein Nebelzelt Ein Krali'nvolk, lierbstlich abgemagcrt, Indes sicli dick aufs Düngerfeld Der Frührauch der Fabriken lagert; Die Morgensonne kommt. Schwarz schiebt sicli durch den granen Flor Ein langer Zug von Schlackenbergen, Scliornstein an Schornstein schnellt etnpor, Schreckhafte Hüter neben Siirgen; Die Morgensonne kommt. Vom Horizont her nahn mit Hast Und einen sicli zwei Strassendiimme, Von Apfelbiiumen eingefasst, Sclion blass beglanzt die knorrigen Stamme; Die Morgensonne kommt. Nun folgt zuin andern Hirnmelssaum Dein Bliek den fruchtberaubten Zweigen, Und plötzlich siehst du Baum an Baum" Sein bratidrot gliihendes Laub dir zeigen : Der Tag ist da. Die stille Stadt. Liegt eine Stadt im Tale, Ein blasser Tag vergeht; Es wird nicht lange dauern mehr, Bis weder Mond noch Sterne, Nur Nacht am Hitnmel steht. Von allen Bergen drücken Nebcl auf die Stadt; Es dringt kein Dacli, nicht Hof nocli Hans, Kein Laut aus ihrern Rauch heraus, Kaum Tiirme noch und Brücken. Doch als den Wandrer graute, Da ging ein Lichtlein auf im Qrund, Und durch den Rauch und Nebel Begann ein leiser Lobgosang Aus Kindermund. Nach einem Regen. Sieh, der Iiimmel wird blau; Die Schwalben jagen sich Wie Fische über den nassen Birken, Und dn willst weincn ? In deiner Seele werden bald Die blanken Baume und blauen Vogel Ein goldnes Bild sein. Und du weinst? Mit meinen Augen Seh' ich in deinen Zwei kleine Sonnen. Und du lachelst. Nacht für Nacht. Still, es ist ein Tag verflossen, Deine Augen sind geschlossen, Deine Mande, schwer wie Blei, Liegen dir so drückend ferne, Um dein Bette scliweben Sterne Dicht an dir vorbei. Still, sie weiten dir die Wande: Gieb uns her die schweren Mande, Sieh, der dunkle Himtnel weicht, Deine Augen sind geschlossen, Still, du hast den Tag genossen, Dir wird leicht. Nicht doch! Madel, lass das Stricken — geh, Tu' den Strumpf beiseite heute; Das ist was für alte Leute, Für die jungen blüht der Klee! Lass, mein Kind; Komm, mein Schatzchen! Siehst du nicht, der Abendwind Schakert mit den Weidenkatzchen Madel liebes, sieli doch nicht Immer so beiseite heute; Das ist was für alte Leute, Junge sehn sich ins Gesicht! Komm, mein Kind, Sieh doch, Schatzchen: Über uns der Abendwind Schakert mit den Weidenkatzchen... Siehst du, Madel, war's nicht nett So an tneiner Seite heute? Das ist was für junge Leute, Alte gehn allein zu Bett! — Was denn, Kind? Weinen, Schatzchen? Nicht doch — sieh, der Abendwind Schakert mit den Weidenkatzchen... Wiegenlied für meinen Jungen. Schlaf, mein Küken — Racker, schlafe! Guck: im Spiegel stchn zwei Schafe, Blakt ein grosses, makt ein kleines, Und das kleine, das ist meines! Bengel, Bengel, brülle nicht, Du verdammter Strampelwicht. Still, mein süsses Engelsfiillen: Morgen schneit es Zuckerpillen, Übermorgen blanke Dreier, Niichste Woche goldne Eier, Und der liebe Gott, der lacht, Dass der ganze Himmel kracht. Und du kommst und nimmst die Spenden, Sast sie aus mit Sonntagshanden, Und die Erde blüht von Farben Und die Menschen tuil 's in Garben — Herr, den Bengel kümmert nischt, Was tnan aucli für Lügen drischt! Warte nur, du Satansrachen; Meute Nacht, du kleiner Drachen, Durch den roten Höllenbogen Kommt ein Schmetterling geflogen, Huscht dir auf die Nase, hu, Deckt dir beide Augen zu; Dcckt die Flügel sacht zusammen, Dass du traumst von stillen Flamtnen, Von zwei Flammen, die sieh fanden, Holle Himmel still verbanden — — So, nu schlaft er; es gelang; Himmel, Holle, Gott sei Dank! Venus Mater. Traume, traume, du mein süsses Leben, Von dem Hitninel, der die Blüten bringt; Blutnen winken da, die beben Von dem Lied, das deine Mutter singt... Traume, traume, Knospe meiner Sorgen, Von dem Tage, da die Blume spriesst, Von dem hellen Blütenmorgen, Da dein Seelclien sieh der Welt erschliesst.. Traume, traume, Bliite meiner Liebe, Von der stillen, von der heilgen Nacht, Da die Blume Seiner Liebe Diese Welt zum Himmel mir gemacht. .. II Fitzebutze. Lieber, ssöner Hampelmann: Dcine Detta sicht dicli an! Ich bin dhoss und du bist tleiri, Willst du Fitzebutze sein ? Tomm! Tomm auf Hatcrns dhossen Tuhl, Flitziputze, Blitzepul, I later sagt: man weiss es nicht, Wie man deinen Namen spicht. Pst! Pst, sagt Hater, Fitzclpott War einmal ein lieber Dott, Der auf eincin Tulile sass Und sebratne Menssen ass. Hu! Hu, sei dut, ich bin so tlein Und will immer atig sein; Fitzebutze, du bist dhoss, Tleine Detta spasst sa bos! Sa? Sa: ich bin dir wirklich dut: Willst du einen neuen Hut? Tlinhlingling: wcr bingt das Band ! lönigin aus Mohrenland! Tnix! rnix: ich bin Fau Tönigin, I lab zvei Lippen von zutterosin! Fitzebutze, sieh mal an, Sieh, wie Detta tanzen tann! Hops! 8 Hopsa, hopsla, hopsala: Tönigin aus Afrika! Fitzebutze, Butzcbein' Wann soll unse Hochzeit sein? Du - ! Du! mein tleiner licbe Dott! Du? sonst deh ich wieder fot! Ach, du dummer Hampelmann, Siehst sa Detta darnicht an; Marsch! John Henry Mackay. Geb. am 0 Fcbruar 1864. „Im Thüringer Wald" 1886. — „Slurvi!" „(anonym). — „Dichttmgen" 1886. — „Fortgang" 1888. - „Das star/ce Jcihr" 1800. Heimliche Aufforderung. Auf, hebe die funkelnde Schale Empor zuin Mund, Und trinko bcim Freudenmahle Dein Herz gesuild. Und \veiin du sie hcbst, so winke Mir heimlich zu, Dan» lachlo ich, und dann trinke Icli still wie du.. . . Und still gleich mir betrachte Um uns das Heer Der trunkenen Schwatzer — verachte Sie nicht zu sehr. Nein, hebe die blinkende Schale, Gefüllt mit Wein, Und lass beim larmendcn Mahle Sie glücklich sein. Doch hast du das Mahl genossen, Den Durst gestillt, Dann verlasse der lauten Genossen Festfreudigcs Bild, Und wandle hinaus in den Garten Zum Rosenstrauch, — Dort will ich dicli dann erwarten Nach altcm Brauch, Und will an die Brust dir sinken, Eh' du 's erhofft, Und deine Küsse trinken, Wie ehmals oft. Und flechten in deine Haare Der Rose Pracht — O kom me, du wunderbare, Ersehnte Nacht! Wild schaumen auf... Wild schaumen auf zcrwirrte Klange: Hebt höher nun das Glas empor, Wer in des Lebens stummer Enge, Sich selber noch nicht ganz verlor! Wer weiss, ob ihr, bevor gesunken Der Tag hinab, nicht sterben müssl! Nicht e i n Glas bleibe ungetrunken, Nicht eine Lippe ungeküsst! Nicht eine dieser Sommer-Rosen, Die solche selige Nacht durchglühn, Soll, ohne in des Festes Tosen All ihren Duft zu streun, verblühn!. . . Am Ostseestrand. Und wieder nun ain Meer! Die Lippen diirfen Den salz'gen Hauch der Fluten wieder schlürfen' Hinaus zum Strand! Vorbei dem stillen I iafen Der eisbedeckt, gebandigt und verschlafen Zur unerwiinschten Ruh den Schiffer zwingt, Weil noch den Lenz der Winter niederringt.' — Vorbei! Ich will die Wasser wieder sehn, Zu denen mich die Sehnsucht hergetrieben.' Was schadet es, dass noch kein Frühlingswehn Mit i lm en kost? Mich tricb ein altes Lieben Durch Winterkalte her ~ , Ich bin am Strand. Da stehe ich, von Staunen festgebannt: So weit ich schaue bin in fernste Weite, Deckt Eis das Meer! Kein Wasser rings zu sehn' Nur eine weisse Flache. Wie sie spahn, Die Blicke, wie ich sie auch suchend breite, Ich sehe Eis und Schnee uur. Langsam steige Ich von der Dtïne nieder in den Schnee. Fast wallt es in mir auf wie Geistesweli, Dass ich mein Meer nicht schau'n soll, und ich neige Die Stirn, indes der Fuss auf Eisesplatten, Auf starren Blöcken, wildzerriss'nen, glatten Dahingeht.... und da dringt zu mir empor Ein dumpfes Murren an mein lauschend Ohr! Das ist das Meer! So will es micli begrüssen Mit seinen alten, wilden, vollen, süssen, Geliebten Lauten! Und ich lausclie wieder Und horche zu den dumpfen Tönen nieder. Das braust verhalten, gurgelt, murrt und grollt Und wühlt eintönig an der Eisesdecke Ja Flut, die unter mir den Flutsand rollt — So recht! — Und wenn du willst, so dehne, recke Die Arme und zersprenge diese Ketten Und schlinge sie in deinen Schlund hinab, Und wenn du magst, aucli mich wokann ich betten Mich besser als bei dir? Bei dir ein Grab! Wie gross und herrlich, wenn die ew'gen Wogen Hin i'iber den verstummten Schlafer zieh'n! — Wie hat der Winter seine Hand gespannt! Wie hangt doch über mir der Hiinmelsbogen, Und kalte Winde um die Stirn mir fliehn, Kein Vogelflug, kein Meer, kein Strauch, kein Land — Nur Schnee und Eis! Doch ich war froh — mich griisste Das Meer auf meinem Gang durch diese Wüste. Wie weit ich schritt, die dumpfen Laute drangen Herauf zu mir durch das erhab'ne Schweigen, Das alles Leben rings in Banden hielt. Ich aber musste mich ihm schauemd neigen, Und wie der Wogen Stimmen mich umklangen, Die, sichtlos, doch die alten Lieder sangen, Flab' ich Unendliches in mir gefiihlt. Letzte Erkenntnis. Einst wahnte ich sie zu verachten — Ich verachte sie nicht mehr. Ich kann nur noch betrachten: Ich schaue um mich her. Ich betrachte das Sein wie ein Leben, Von dem kein Teil ich bin — Ich bin inein — ich kann mich geben Nicht mehr den andern hin. Demi ich bin wiedergekommen Zu mir — was brauche ich mehr? Mein ward wieder, was mir genommen ; Was geflohn, kam wieder her. Und gab mir wieder die Hiinde — Ich bin unendlich reich! Von hier bis zum Erden-Ende Ist mir kein anderer gleich. Das flösst den Mut, den neuen Der klaren Seele ein: Es will sicli wieder freuen, Wieder stark die einsame sein ! .. . Sie rasen, die larmenden Toren, Und rennen die Grenzen an — Ich verschliesse meine Ohren, Was geht mich ihr Schreien an? Sie trennen Gerechte und Sünder Und halten wechselnd Gericht, Doch sie sind ewige Kinder, Und sie verstehen sich nicht. Icli ;iber verstelie alle Und nenne keinen schleclit: Ob er siege oder falie, Er ist in seinem Recht. Ob er falie oder siege, Es kann nicht anders sein. Ich steige, und ich erliege — Gewiss! — Doch ich bin inein! ... Marie Eugenie delle Grazie. Geb. am 14 Juli 18G4. ii Gedichte", vicrtc Auflcigc 1902. Ein Marlein von der Sehnsucht. Ging die lis' im Sonnenschein, Hört' die Glocken klingen — Die trugen Ostern ins Land hinein, Auf weichen, goldenen Schwingen — I lal li — alli — alloh — Weit, weit ins Land hinein! Und als sie kommen war in den Wald, Den tannenkühlen, diistern, Sie hört' atis einem Felsenspalt Ein Kichern und Raunen und Flüstern I lalli — alli — alloh! Im tannenkühlen Wald. Und vor ilir stand in weissen Kleid, Mit güldenein Hirtenstabe i Ein Elf, und rings auf grüner Weid' Viel gold'ne Lammchen und Schafe Halli — alli — alloh! Ringsum auf grüner Weid'. Und sprach zu ihr mit süssetn Ton: „Magst unsre Herd' du hüten, Und der Heimchen güldene Königskron' Zwischen Zaubergrolten und Blüten — ?" Halli — alli — alloh — Mit weichem, süssem Ton! „Dann welkst du nit, und stirbst du nie, Und tragst die Kron' im Haare, Doch darfst du, was du geliebt allliie, Nur seh'n alle hundert Jahre — Halli — alli — alloli! Dann welkst und stirbst du nie!" Und als gekommen war die Zeit, Da sass sie mit ihrem Stabe, Und ringsum lag die Welt so weit, Eine lachende Sonnengabe — Halli — alli — alloh — Als gekommen war die Zeit! Und sie ringt die Hand' und ihr Atig' wird nass, Und sie weiss es und kann es nicht fassen, Dass fiir Stab und Kron' sie alles das Verraten und verlassen — Halli — alli — alloh — Was einst ihr teuer war! Blauer Falter. Ein blauer Falter gaukelt Um einen Lindenbauin, Der wiegt sicli leis' und schaukelt Die Zweige wie im Traum — Die blüh'nden Zweige.. .. Sie schwanken auf und nieder Vor einem Kammerlein, Drin liegt in weissem Flieder Ein totes Kind . .. allein In weissem Flieder. Der fiel aus kleinen Handen Iierab wolil auf die Leich' — Die Sonn' gelit an den Wanden So lautlos und so bleicli ... Der Tag rückt weiter. Und milten in dem Kreise, üem mag'schen Zauberring Von Licht und Tod tanzt leise Der blaue Schmetterling lm Kreis — im Kreise.... Zarenmahl. Er tafelt.. . Vor der samtverhang'nen Türe, Die Hand am Schwcrte stehen die Hartschiere; Gewandt und mit ehrfiirchtigem Oekriech' Bedienen ihn die schwanzelnden Lakaien — Nun speise, Vaterchen, und labe dich! Sieh ringsum, deinen Gaumen zu erfreuen, Gehauft, was nur ein Weltreich bieten kann! Nicht reden darfst du, Grosser, nur ein Winken, Schon deiner stolzen Augen herrisch Blinken Genügt, und was du willst, es ist gelan! Und nahcr rückt der Zar die gold'nen Teller — Da, siehe, bricht es plötzlich wie ein greller Und blut'ger Widerschein daraus hcrvor: Gedenkst du Karas?" tönt es an sein Ohr, „Aus jenem Bergwerk, Zar, sind wir gewonnen, Dort glanzt es, wie von unterird'schen Sonnen Von Gold — und alles, Vaterchen, ist dein! Viel hundert Arme werken in den Minen — Verbannte sind's, Unschuld'ge unter ihnen, Und tiiglich, stündlich mehrt sich ihre Zahl — Schlaff ist ihr Körper und ihr Antlitz fahl; Seit Jahren traf ihr Ohr kein andrer Ton Als das Gesaus' der Ruten, oder Iiohn, Wenn schwiicher sie die müden Hiinde röhren; Und treibt sie der Kosak des Nachts zu Bette, So klirrt an ihrem Arm und Fuss die Kette, Dass sie im Traum noch deine Macht verspiire». An jedem Barren klebt ein Tropfen Blut, Ein wilder Fluch und eine Tranenflut — Wir wissen es — wir, deine Prunkgefasse ... Allein was tut es? Gold und Zarengrösse Verrosten nie! Nun iss und lass dir'smunden, Der Himmel schenke dir noch viele Stunden!" Zur Erde lasst der Zar die Teller klirren; Aufspringt er jiili und seine Blicke irren Wie fieberglastend durch den pracht'gen Raum .. . Herzuspringt der Lakai, dem Todesbleichen Zur Starkung das gefüllte Glas zu reichen — Er nimmt 's und trinkt, apathisch, wie im Traum. Da horch! Geschrei und Larmen auf der Strasse Zusammenfahrt, weit off'nen Aug's, der Blasse ti Wass soll dies?" haucht er, und sein Bliek wirdstier. „O Herr", erwidert, tief vor ihm sich neigend Ein Diener, schüchtern nach der Strasse ze'igend„Die nach dem Leben frech getrachtet dir, Man führt dieSchnöden heut' dem Strick entgegen, Milchbarte sind 's und Dirnen allerwegen; Die gottverlass'nen, tollen Nihilisten Gott schütze dich und alle guten Christen!" In tiefe Falten legt der Zar die Stirn. Das hainmert heul' so toll in seinem Hirn... Von seinen gift'gen Feinden wieder siebcn Entlarvt — er hat das Urteil unterschrieben — Nun führt der Henkerkarren sie zum Tod! Da zittert seine Hand, und blutigrot Entrieselt's seinen Fingern.... wie vom Bösen Gepackt, schreit furchtbar der Gequalte auf. Doch sieh, es ist nur sein Bordeaux gewesen, Den zitternd er vergoss - das edle Nass! Aufstampfend wirft er weit von sich das Glass ... Die Hand zu rcin'gen, reiclit ihm der Lakai Geschmeidig die entfaltete Serviette — Da raschelt ein Papier lieraus — fürwahr, Ein Brief! Auf seinem Tisch — an dieser Statte? Blcich wird der Diener, bleicher noch der Zar. - Wie kam dies her?" brüllt er. „Ihr miisst es wissen!" Doch schluchzend stiirzen jene ihm zu Füssen — «O Vaterchen, o Herr, wir wissen 's nicht! Jahrzehnte schon sind wir in deinen Diensten, Und treu und ungeübt in solchen Kiinstcn, Und Gott ergeben, dir und unsrer Pflicht!" Mit banger Hand entfaltet er das Schreiben Und liest: «Vernicht uns, doch wir werden bleiben ! Schick uns als Sklavcn nach Sibirien, Wir werden doch vor deinem Qeiste stehn; Wahn' dich gesichert, wahne dich allein — Wir geh'n doch allzeit bei dir aus und ein; Lass uns zu Tode knuten oder hangen — Die Menschheit wird aucli deine Ketten sprengen!' Irgendwo.... Irgendwo, irgendwo Hab' icli mein Glück begraben Helft suchen mir, helft suchen mir, Ich muss es wieder haben! Icli kenn' das Orab, icli kenn' das Orab: Ein Rosenstrauch welkt inmitten, Mein Liebster gelit darüber hin Mit langen, harten Schritten! Nun blüht — Nun blüht in ineiner Heimat Der weisse Primelgrund, Blauveiglein und Himmelschlüssel Durchsticken ihn duftig und bunt. Von gold'nen Mücken schwirren Die Lüfte um mich her, Die Donauwellen singen — Das Herz wird mir so schwer! Ihr müden, müdcn Augen, So könnt ihr weinen doch? Hier bin icli ein Kind gewesen — Ich wollt', icli war' es noch! Karl Henckell. Geb. am 17 April 1864. „Poetisches Skizzenbuch" 1SS5. „Strophen" 1SS7. — »Amsclrufc" hSS'S. — „Diorama" 1889. — Trutznachtigall" 1891. — „Zwischenspiel" 1893. Der heimliche Kaiser. Hcut will ich mich kronen mit Scepter und Kron' Von Pfirsichblüt' und Narzissen, Heut salb' ich mein 1 laupt und besteige den Tliron Von scliwellenden Bergmooskissen. Der Athcr leuchtet im Krönungssaal, Es blitzcn die taufrischen Reiser. Ich licbe die Hand übcr Berg und Tal, Ich bin ja der heimliche Kaiser. Eines Silbermantels aufflimmernde Pracht Giesst der Morgenstrahl urn die Gl ieder, Zwei Kaiserfalter in Scharlachtracht Schweben hoch und senken sicli nieder. Der bartige Fichtenfürst neben mir Ist mein Kanzier, mein gri'tner und greiser, Ich gönn' ihin die weisse, die würdige Zier, Ich bin ja der heimliche Kaiser. Ich habe die dunklen Gewalten besiegt, Die Feinde drinnen und draussen. Der Erbfeind liegt mir zu Füssen geschmiegt Nach tosenden Streiten und Straussen. Ibr schwarzen Sünden, du fressende Reu, Wie winselt ihr leis' und leiser! Ich streich' einer Schlangengelock ohne Scheu, Ich bin ja der heimliche Kaiser. O Freiheitswonnen auf einsamer First Der talerkrönenden Forste, Wo du, o Schwert meiner Freude, klirrst, Wo adlerherrüch ich horste! Ein klarer Weltsee, Iachelt mir tief Meiner Leidenschaften Geiser, Ich schreib' einen grossen Begnadigungsbrief, Ich bin ja der heimliche Kaiser. Es atmet der Tann, und das Eichhorn schwingt Sich knackend über die Kronen, Das si'issverliebte Vöglein singt: „Schatz, lass mich bei dir wohnen!" Goldkafer schmeichelt mir weich ins Ohr: „Prinz Vogelfrei, *) du Weiser!" Ich wirble mein Blütenscepter empor, Ich bin ja der heimliche Kaiser. Der Morgenwölkchen schneeweisser Flaum Errötet ob meiner Grosse, Der Giessbach über mir schleudert den Schaum, Der Wind, noch eben hörbar kaum, Wirft jauchzende Wogenstösse. Es braust durch die Tiefen, es schwillt in derHöh' *) Anspiclung auf „Lieder des Prinzen Vogelfrei" von Nietzsche. II 9 Das Heer meiner Jubler und Preiser, Ein majestatisches „Evoe!" Rollt von den Alpen zum funkelnden See: Hoch lebe der heimliche Kaiser! Schon lag auf Erden dunkles Schon lag auf Erden dunkles Schweigen, Nur hin und wieder dumpf ein Klang, Wenn von den fruchtbeladnen Zweigen Ein Apfel auf den Rasen sprang. Vom Garten wehte feucht erquickend Ein weicher, warmer Wind ins Haus, Ich aber lehnte, traurig blickend, Weit aus dem Fenster mich hinaus. „Wozu dies Zweifeln, dies Verlangen, Das qualend sich im Busen hauft? Wozu dies sehnsuchtsvolle Bangen, Das zitternd durch die Glieder lauft? Zum Herzen fiihlt' ich's heisser wallen, Mich übermannt' — o siisse Pein! — Der Trieb, der reizendste von allen, Zu lieben und geliebt zu sein. Da spürt ich meine Kraft versagen In Schauern und in Fieberglut: „Ich kann's, ich kann's nicht langer tragen, O lernt' ich nie, wie Liebe tut!" In Tranen schien der Mond 7.11 schimmern, Der hinter Wolken trübe schlich, Vor meinen Augen sah ich's flimmern, Ich hab' geweint — geweint um dich. Frühling. O reiner Himmel mit blauem Schein! O Sonnenstunde, o Wontietag! Eucli jauchz' ich ins lachende Auge hinein, Was meine Scele nur jauchzen mag. Du linder Lenzwind, streiche mir sacht Mit weichem Wehen die Locken zurück! Du brachst der brummigen Winternacht Mit einem Hauche das Eisgcnick. Du Sanger im Strauclie mit schmetterndem Schlag, Jnbriinstig flölende Kreatur! Nun pfeifen wir beide den licben Tag Und pfeifen und floten und schmettern nur: Wie der Ather blaut, wie der Segen taut, Wie die Katzchen baumeln, juchhei! Wie der Schatz dem Schatzchen ain Latzchen kraut, Wie sie zittern! — Tandaradei! Mein Ideal. Wo ist die Frau, die meine Seele sucht? Das Herz voll Liebe fiir die Unterdri'ickten, Das Herz voll Mitleid mit den Notgebiickten, Wo ist die Frau, die meine Seele sucht ? Die ihre Schwestern in der Tiefe kennt, Die das verlorne Volk des Elends schaute, Der vor dem Jammer dieser Menschen graute, Die ihre Schwestern in der Tiefe kennt. Der selbst im Busen cdle Schönheit glüht, Gebildet in des warmen Glückes Milde, Die tief die Welt sich sehnt zum Ebcnbilde, Der selbst im Busen ewge Schönheit glüht. Wenn eine ware so an Liebe reich Für alle, die den Weg der Leiden wandern, Sie wollt' ich wahlen mir vor allen andern — Wenn eine ware so an Liebe reich. Otto Erich Hartleben. Gcb. am 3 Juni 1864. iiStudenten-Tagebuch" 1880. — „Pierrot lunaire" 1892. — „Meine Verse" 1895. Ellen. I. Ich dachte, wie so weit und schön die Welt, So tausendfach von Licht und Qlück erhellt. - Ich dachte, wie du einzig bist und klein, Und wie ich doch bei dir nur rnöchte sein! II. Die du so fern bist in der grossen Stadt, Ich grüsse dich, die mein vergessen hat Einst hast du meiner Tag und Nacht gedacht, Stunden des Qlücks mit mir verbracht, verlacht. . Froh unter Scherzen schlossen wir den Bund — Funkelt dein Auge noch und lacht dein Mund? Auf einem weissen Auf einem weissen Tierfell kugeln sich Ein nacktes Kind und ein defekter Globus. Die blondgelockte Kleine setzt bedachtig Sich oben auf des Nordpols eisige Spitze - _ _ . - T I 11 I Wj f 1 ...-.A Dahiq una aann —. ïiauui mu jauwi^n strampeln Fahrt sie hernieder in das zottige Eell! Und gar nicht milde wird das Kind des Spiels: Es ist ganz ausser sich vor toller Freude, Dass Gott der Herr die Welt so rund geschaffen.. Wie herrlich lasst mit dieser Welt sich spielen! Süss duttende Lindenblüte.. Süss duttende Lindenblüte In quellender Juninacht. .. Eine Wonne aus meinem Gemi'ite Ist mir in Sinnen erwacht. Als klange vor meinen Ohren Leise das Lied vom Gli'ick, Als töne, die lange verloren, Die Jugend leise zurück Süss duttende Lindenblüte In quellender Juninacht Eine Wonne aus meinem Gemüte Ist mir zu Schmerzen erwacht! Ricarda Huch. Geb. am 18 Juli 1864. „Gedichte" 1893. Aus dem 30 jahrigen Kriege. Horcli, Kind, horch, wie der Sturmwind weht Und rüttelt am Erker! Wenn der Braunschweiger draussen steht, Der fasst uns noch starker. Lerne beten, Kind, und falten fein die Hand', Damit Gott den tollen Christian von uns wend'! Schlaf, Kind, schlaf, es ist Schlafens Zeit, Ist Zeit auch zum Sterbcn. Bist du gross, wird dich weit und breit Die Trommel anwerben, Lauf' ihr nach, mein Kind, folg' deiner Mutter Rat; Fallst du in der Schlacht, so würgt dich kein Soldat. «Herr Soldat, tu' mir nichts zu leid, Und lass mir mein Leben!" «lierzog Christian führt uns zum Streit, Kann kein Pardon geben. Lassen muss der Bauer mir sein Out und Hab', Zahle nicht mit Geld, nur mit dem kühlen Grab." Schlaf, Kind, schlaf, werdc stark und gross. Die Jahre, sie rollen; Folgst bald selber auf stolzem Ross Herzog Christian, dem Tollen. Wie erschrickt der Pfaff' und wirft sich auf die Knie — „Für den Bauern nicht Pardon, den Pfaffen aber nie!" Still, Kind, still, wenn Herr Christian kommt, Der lehrt dich zu schweigen! Sei fein still, bis dir selber frommt, Ein Ross zu besteigen. Sei fein still, dann bringt der Vater bald dir Brot, Wenn nach Rauch der Wind nicht schineckt, und nicht der Himmel rot. Frieden. Von dem Turme im Dorfe klingt Ein süsses Gelaute; Man sinnt, was es deute, Dass die Olocke im Sturm nicht schwingt. Mich dünkt, so hört' ich als Kind; Dann kamen die Jahre der Schande; Nun tragt 's in die Weite der Wind, Dass Friede im Lande. Wo mein Vaterhaus fest einst stand, Wachst wuchernde Heide; Ich pflück', eh ich scheide, Einen Zweig mir mit zitternder Hand. Das ist von der Vater Out Mein einziges Erbe; Nichts bleibt, wo mein Haupt sich ruilt, Bis einsam ich sterbe. Meine Kinder verwehte der Krieg; Wer bringt sie mir wieder? Beim Klange der Lieder Feiern Fürsten und Herren den Sieg. Sie freuen sich beim Friedensschmaus, Die müss'gen Soldaten fluchen — Ich ziehe am Stabe Iiinaus, Mein Vaterland suclien. Sehnsucht. Um bei dir zu sein, Trüg' ich Not und Fahrde, Liess' ich Freund und Haus Und die Fülle der Erde. Mich verlangt nach dir Wie die Flut nach dem Strande, Wie die Schwalbe im Herbst Nach dem südlichen Lande. Wie den Alpsohn heim, Wenn er denkt, nachts alleine, An die Berge voll Schnee lm Mondenscheine. Tief ist der Abgrund... Tief ist der Abgrund, der uns trennt, Du darfst den kühnen Sprung nicht wagen; Kein einzig Wort darf ich dir sagen, Wie sehr mein Flerz nacli deinem brennt. Nur neige dich ein wenig noch, Dann schau' ich deine Augen doch, Ob sie auch braun noch sind wie einst, Seit du so viele Tranen weinst. Hoch über meinem Vaterland. Hoch über meinem Vaterland Auf einem Thron von Stein, Den Strauss von Enzian in der Hand, Sitz' ich im Sonnenschein. Die Wolken wandern über mir Und unter mir dahin; Neugierig schaut das Murmeltier Und weiss nicht, wer icli bin. Der Wind um meinen Scheitel zieht Und weht mir Kühlung zu. O Land, so weit das Auge sieht, Ist nichts so schön wie du! Und wenn die Sonne westwarts wich, Steig ich zum Tal hinab Und bitte Qott um Heil für dich, Und hier für mich ein Orab; Wenn drüber hin die Oemse springt, Und bei der Firne Schein Der Sturm das Lied der Freiheit singt, Dann zittert mein Oebein. Wie fern der Welt Getümmel Wie fern der Welt Getümmel! Der Wildbach rauscht vorbei; Bedrohlich tönt vom Himmel Des Falken stolzer Schrei. Der Sturm braust wilde Weise, Wie er vorüberzieht — Ich singe scheu und leise Mein kleines Liebeslied. Anna Ritter. Geb. am 23 Febr. 1865. „Gedichte" 20e Auflayc 1005. — „Be- freiuny" '>c Aufl. 1904. Brautlied. Saumt mir des Lagers Linnen Mit dunk'ler Rosen Zier, Mit blühenden Gewinden Umkranzt die nied're Tür Und öffnet weit die Fenster, Die Sonne lasst herein: Voll Licht soll meine Kanimer, Mein Herz voll Jauchzen sein! Bescheiden ging mein Leben In stillen Gründen hin, Heut' trag ich eine Krone, Heut' bin ich Königin! In Freuden ihn zu grüssen, Harr' ich des Liebsten mein; Voll Licht soll meine Kammer, Mein Herz voll Jauchzen sein. Anna Ritter Wolil mag die Sorge kommen, Der Sturmwind uns umweh'n — Nie soll er meine Seele Verzagt und feige seh'n, Nie meinen Bliek vol Tranen Und meine Liebe klein: Voll Licht soll meine Kammer, Mein Herz voll Jauchzen sein. Und küsst der Tod die Lippen, Die heut' dem Leben bliih'n, Und bleiclit er diese Wangen, Die heut' in Sehnsucht gliih'n — Ich nchme, was micli tröstet, Mit in das Grab hinein: Voll Licht soll meine Kammer, Mein Herz vol Jauchzen sein. Hört, wie der Klang der Glocken Mein brautlich Haus umzieht, Sie singen meiner Liebe Ein jubelnd Hochzeitslied. Lilt, Madclien, ihm entgegen Und lasst den Liebsten ein: Voll Licht soll meine Kammer, Mein Herz voll Jauchzen sein. Traumglück. Und wenn du schlafst und traumst von mir Dann komm ich still gegangen Und leg' mein weinendes Gesiclit An deine braunen Wangen. Und nehme sclieu dein schlafend Haupt In meine beiden Hande Und denk, wir waren beide tot, Und alles war' zu Ende. Die Ahnung meiner Niihe hebt Dir wohl die trunk'nen Lider, Ich abcr ki'isse sie dir zu Und gehe heimlich wieder. Und wenn du morgens dann erwachst, Liegt wohl ein blasser Schimmer Von Traumglück und verweinter Lust Noch iiber deinem Zimmer. Vor deinem Hause. Ich hab' vor deinem Haus gestanden, Die Fenster grösst1 ich und das Tor, Aus dem du oft zu mir gegangen. Da fasste mich ein seltsam Bangen, So fremd kam mir das alles vor. Im Hofe platscherte der Brunnen, Der cinst so marchenhaft gerauscht, Votn Zaune nickte noch der Flieder, Und auch die Amseln bauten wieder, Die wir so oft, so oft belauscht. Und war doch alles wie verwandelt, Als ob cin kaltcr Winterhauch Den Oarten und das Haus getroffen, Verweht die Lust, zerstört das Hoffen, Und all' die süsse Schönheit auch. Und hab' so grosse Sehnsucht doch. Ich hab' keiu' Mutter, die mich hegt, Die Mutter schlaft im Orund, Ich hab' kein' Buhlen, der mich küsst Auf meinen roten Mund. Und hab' so grosse Sehnsucht doch Und hab' so jungen Sinn — Was hab' ich dir, o Oott, getan, Dass ich so einsarn bin? Wach' auf mein Lieb. Fernab der Zeit liegst du in deinetn Grabe Und traumst und traumst, Mich aber jammert es der schonen Tage, Die du versaumst. Mit roten Rosen kranz ich deinen Hügel — Spürst du den Duft? Dringt 's nicht wie Sonnenglanz und Liebesodem In deine Gruft? Wach' auf mein Lieb! Willst du den Lenz versclilafen Und seine Pracht ? Der kleine Vogel, den du liebst vor allen, Singt jede Nacht. Weiss ist mein Arm und meine Lippen brennen, Der Ampel Licht Blitzt wie ein Sternlein durch das Kammerfenster— Du siehst es nicht! Die Sehnsuclit kreist mir ruhelos im Blute, Ach, dass du kamst Und all mein Leid und meine grosse Licbe An's Herze nahmst! Was auch die andern von der Sonne sagen... Was auch die andern von der Sonne sagen — Ich lieb' den Sturm, denn königlich ist er! Ein unermesslich Reich liegt ihm zu Füssen, Vor seinem Scepter beugt sich Land und Meer. Den Wolkenmantel schlagt er urn die Schultcrn, Drückt sich den Kronreif in sein flatternd Maar, Dann breitet er die düstergraucn Schwingen, Und vor ihm her fliegt sieg'sgewiss ein Aar. Die Tanne neigt sich huldigend zur Erde, Die Felsen zittern und die Woge flicht, Die Menschen falten schreckensbleich die I lande, Und durch die Lüfte braust ein Jubellied. Sturm, Sturm, fahr nicht vorbei an mcinem Fenstcr, Die Arme breit ich aus in wilder Lust, Denn ein Atom von deiner Königssecle, Wohnt glühend, fordernd auch in meiner Brust. Ich wollt', ich war' des Sturmes Weib. Ic.li wollt', ich war' des Sturmes Weib, Es sollte mir nicht grausen, Auf Felsenhöhen wohnt ich dann, Dort, wo die Adler hausen. Die Sonne ware mein Gespiel, Die Winde meine Knappen, Mit dem Gemahl führ' ich dahin Auf flücht'gen Wolkenrappen. Frei würd' ich sein und stolz und gross, Die Königin der Ferne, Tief unter mir die dumpfe Welt Und über mir die Sterne! Sturmflut. Die Wogenrosse schaumen in 's Gebiss Und baumen auf, mit angstgeblahten Niïstern Flieh'n sie an's Land, Fin Damon halt die feuerfarb'nen Zt'igel In harter Hand. Wenn er die Peitsche ziickt, zerreisst die Nacht, Und über ihn und seine Rosse taumelt Fin blauer Schein, Dann stiirzen sich die Möven von den Felsen I lerab und schrei'n. Am Ufer stelit seit langen Stunden sclion, Wahnsinn'ge Angst in den erlosch'nen Blieken, Des Fischers Weib; Der Dlimou greift in tappischer Liebkosung Nach ihrem Leib. Wühlt in der wirren Schönheit ihres Haar's Und zerrt von ihren schmalen, weissen Schultern n 10 Die Falten fort, In 's Ohr ihr raunend mit der heisern Stimme Ein dreistes Wort. Sie liört es nicht! Sie wirft sich auf den Grund Und reckt die Arme flehend ihm entgegen: „Mein Mann .... mein Mann!" Dann schreit sie auf, und über ihre Glieder Geht das Gespann. Mein Traum. Liegt nun so still die weite Welt, Die Nacht geht schwebend durch das Feld, Der Mond lugt durch die Baume. Da steigts herauf aus tiefem Grund Da flüstert's rings mit süssem Mund, Die Traume sind 's, die Traume. Sie tragen Mohn im gold'nen Haar, Und singend dreht sich Paar um Paar In wundersamem Reigen — Nur einer steht so ernst bei Seit', In seinen Augen wohnt das Leid, Auf seiner Stim das Schweigen. O Traum, der meine Nachte füllt, Der meinen Tag in Tranen hüllt, Willkommen doch, willkommen! Du bist 's allein, der Treue halt, Da alles and're mir die Welt Genommeti hat, genommen. Gekrankte Unschuld. Ein Rad gebrochen ! — Da liegt das Heu . .. Da liegt der Wagen und nebenbei Ein blasses, schmachtiges Dirnchen steht, Das heulend die Zipfel der Schürze dreht. „Was willst'denn ?" Ieli streichle ihm sanft das Gesiclit, Da zeigt's auf den riesigen Wagen und spricht, Das zitternde Stimmchen von Schluchzen zerrissen: »Sie sagen, ich hatte ihn umgeschmisseu." Unkenschrei. Misstönig hallt der Unkenruf vom Orunde, Die Fledermause streichen scheu und leis, Der Nachtwind schleicht sieh lüstern um die Maucrn, Und der Jasminbusch duftet siiss und heiss. Das ist die Stunde, da aus gri'inen Tiefen Der Si'indenengel heimlich aufwarts schwebt Und mit den schonen, marmorweissen Handen Den dunklen Schleier sich vom Antlitz hebt. Was steht er dort und lachelt so verstohlen Und winkt hiniiber nach des Naclibars Maus? Um Oott, da lehnt die Grethel in der Tiire Und neigt sich lauschend in die Nacht hinaus. »Kehr um! Keiir um! Noch halt des Hauses Frieden Die junge Seele schützcnd dir umspannt.... " Sie hört mich nicht! Sie steigt die Stufen nieder Und grüsst die Simde mit der Kinderhand. Schneewittchen in der Wiege. So stille ist 's im Schlosse, Geht alles auf den Zeh'n, Die Bronnen hört man rauschen Die Winde hört man wehn. Schneewittchen in der Wiegen Traumt lachelnd für sich hin, Die Mutter schaukelt 's leise, Die blasse Königin. Sie singt ein altes Liedchen, Das hat so wehen Klang, Durch hohe Bogenfenster Schwebt zitternd der Gesatig. Da reckt der Tag die Olieder, Die Tauben werden wacli, Die Sonne klettert lustig Bis auf des Schlosses Dach. Schneewittchen in der Wiegen Traumt lachelnd für sich hin. Die Mutter ist gestorben, Die blasse Königin. Das verirrte Wölkchen. Ein Wölkchen irrt am Himinel hin, Verloren und verlassen, Der Mond sucht's mit der Strahlenhand Am Kleidchen zu erfassen. Das Wölkchen aber lauft und lauft, Der Sinn ist ihtn verwirret, Mat spielend sich vom rechten Weg Schon viel zu weit verirret. Nur wie ein Pünktchen seh ich 's noch Am Horizonte wallen, Das Herz steht mir in Bangen still Mir ist, als sah' ich 's fallen! lm Felde. Die Luft geht schwer. Zittert ein seltsames Licht Ober die Felder her .... Orad, als ob 's ein Qewitter war' ... Küsse mich nicht. — Wiegt sich die Weide dort Her und hin, Wackelt grad Wie die Nachbarin. Lass es die Alte Um Gott nicht sehn, Dass wir hier unten Beisammen stehn! Hat gar ein böses Maul. Bringt 's noch heute Unter die Leute, Zeigen sie mit den Fingern auf mich. • Sahst du, wie 's eben vorüber schlich? Mit heissem Atem Und huschenden Schritten? Hat eine braune Kutte an. Einen Strick um die Mitten Und zwei glühende Augen irn Gesicht. Küsse mich nicht! Ich wollt', ich war' erst zu Haus! Ist keine Seele im Feld - Alles so still und so dunkel und heiss - Pass mich nicht an Und sprich nicht so leis, Komm lieber und lass uns gehjn. Ist mir doch bang, dich zu seh'n, Dich und dein bittend Gesicht — Küsse mich nicht ach . .. Küsse mich nicht! ... i.i. _i _ ^ I ÏArl mirh an yyab golll uao IIWMIMW — Ich weiss nicht, was mir gar so bang Heut in die Kammer schallte Ein Vöglein sang vor Tau und Tag, Vor Tau und Tag im Walde. Mag auch ein Bursch gewesen sein, Der hier vorbei gezogen, Ein Bursch, der in die Weite ging, Weil ihn sein Schatz betrogen. Was geht das fremde Lied mich an, Dass ich im blassen Scheine Des Morgens mich ins Kissen druck Und weine Mein Bübchen. Ich ging hinaus und fragte die Wolken: »Liebe Wolken, ich bitt' euch schön — Habt ihr mein Bübchen nicht gesehn ? Ist gar ein lieber, kleiner Kerl, Singt und springt den ganzen Tag, Hat ein Stimmchen wie Lerchenschlag, Zwei Augen, so blau wie der Himmel, Und lacht, Sobald er sie morgens aufgemacht." Die Wolken brummten: „Den kennen wir nicht! Wir sahen ein Bübchen, das schrie nach der Mutter, Wollte von Singen und Springen niclits wissen, Lag am Abend so blass in den Kissen Und schlief doch vor lauter Jammer nicht ein Nein — Das kann dein lustiges Bübchen nicht sein." Ich weiss nicht, wie mir ist... Als ob ich weinen müsst'! Was gab ich auch mein Bübchen hin, Dass ich nun so alleine bin, Er dorten und ich hier — Ach Gott, behüt' ilm mir! Geh vorüber! Das Sonnenlicht kommt durch's Fenster geflogen, Küsst mich und lacht: „Guten Morgen." „Ach' liebes Licht, Rufe doch nicht, Siehe, die Sorgen Schlafen ja noch! Willst du sie wecken, Dass sie mich schrecken ? Spat erst hat sie die gütige Nacht Singend und schmeichelnd zur Ruhe gebracht. Da hab ich geschlafen und traumte so schön: Von lachenden Kindern, von Sonne und Veilchen. . .. Willst du nicht noch ein zögerndes Weilchen An meiner Kammer vorübergehn? Morgen. Wie du nun vom blauen Hügel, Sonne, deine Hande hebst Und auf goldgesaumtem Flügel Lachelnd nach der Höhe schwebst, Hangt sich meiner Seele Sehnen Weinend an dein weisses Kleid, Dass du mich aus Not und Tranen, Trügst in ew'ge Herrlichkeit! Morgenwanderung. Aus dunklen Talen, drin die Sorge rauscht, Lenk ich den Schritt auf vielgewundnen Wegen Dem ernsten Reich der Einsainkeit entgegen. Langst blieb des Stadtchens muntres Bild zurück, Die Buchenwalder wichen scheu zur Seite, Die schlanke Tanne giebt mir das Oeleite. Dann bleibt auch sie und macht den Kiefern Platz. Armselig Volk, gekrümmt von Sturm und Wettern, Das kaum den Mut noch hat, empor zu klettern. Und nun allein! Kein Laut des Lebens mehr, Dringt an mein Ohr, im klaren Morgenscheine Steh ich allein im Totenreich der Steine. Wie gross! Wie still! In Andacht bebt mein Herz, Denn zu mir nieder in dem heil'gen |Scli weigen Fülil ich die Oottheit ihre Stirne neigen. Und einsam kreist ein Falke liocli im Blau, Wie eine Seele, die den Staub bezwungen Und jubelnd sich zur Sonne durchgerungen. Otto Julius Bierbaum. Geb. arn 28 Juni 1865. Erlebte Gedichte" 1892. — „Nemt, froive, disen kram" 1894. — „Lobetanz" 1895. — „lrrgarten der Liebe" (1885— 1900.) Oft in der stillen Nacht. Oft in der stillen Nacht, Wenn zag der Atem geht Und sichelblank der Mond Am schwarzen Himmel steht, Wenn alles rullig ist Und kein Begehren schreit, Führt meine Seele mich lm Kindeslande weit. Dann seh' ich, wie ich schritt Unfest mit Füssen klein, Und seh' mein Kindesaug' Und seh' die Hünde mein Und höre meinen Mund, Wie laut und klar er sprach Otto Julius Bierhaum Und senke meinen Kopf Und denk' mein Leben nach: Bist du, bist du allweg Gegangen also rein, Wie du gegangen bist Auf Kindes Füssen klein? Hast du, bast du allweg Qesprochen also klar, Wie einsten deines Munds Lautleise Stimme war? Sahst du, sahst du allweg So klar ins Angesicht Der Sonne, wie dereinst Der Kindesaugen Licht? Icb blicke, Sichel, auf Zu deiner weissen Pracht; Tief, tief bin ich betrübt Oft in der stillen Nacht. Sehnsucht. Wie eine leise Olockc klingt Die Sehnsucht in mir an; Weiss nicht, woher, wohin sie singt, Weil ich nicht lauschen kann. Es treibt das Leben mich wild urn, Dröhnt um mich mit Gebraus, Und mahlich wird die Glocke stumm, Und leise klingt sie aus. Sie ist nur für den Feiertag Gemacht und viel zu fein, Als dass ihr bebebanger Schlag Drang in die Larmluft ein. Sie ist ein Ton von dorten her, Wo alles Feier ist; Ich wollte, dass ich dorten war, Wo man den Larm vergisst. Müde. Ich schliess die Türe hinter mir, Will oline Gaste sein; Ich hab mich selbst verlassen, Drum bin ich so allein. Ich mache alle Laden zu, Was soll mir Tag und Licht. Das Feuer ist verglommen, Die Sonne brauch ich nicht. Ich fühle gar kein Leben mehr; Die Liebe ist vorbei. Ich kann nicht einmal weinen, Aus mir ringt sicli kein Schrei. Ich liabe keinen Gott und Freund Und bin so sinnenleer, Dass, wenn das Glück jetzt kiime, Ich fühlte es nicht mehr. Ich schliess die Türe hinter mir, Bin nur für den zu Haus, Von dem es heisst, er fachelt Das letzte Flammchen aus. Der jungen Hexe Lied. Als nachts ich iiberm Gebirge ritt, Rack, schack, schackc mein Pferdchen, Da rilt ein seltsam Klingeln mit, Kling, ling, klingelalei. Es war cin schmeichlerisch bittcnd Getön, Es war wie Kinderstimmen schön. Mir wars, ich streichelt' ein lindes Haar, Mir war so weh und wuiiderbar. Da schwand das Klingeln mit einemmal, Ich sah hinunter ins ticfe Tal. Da sah ich Licht in meinem Uaus, Rack, schack, schackc mein Pfcrdchen, Mein Btibchen sah nach der Mutter aus, Kling, ling, klingelalei. Des Narren Nachtlied. In der Nacht, in der Nacht, heidideldumdei! Sing, sing, sösse Geige und Jache, Schalmei! In der Nacht giebts Wundcrwerk tnanchcrlei. Wollt ihr eins hören? O Sternc, o Stille, o mondliche Pracht! Wer hat in den tieftiefen Wald mich gebracht? An den schwarzen See in der schaurigcn Nacht? Kalt welien die Winde. Krank bin ich und müdc, und hier steh ich nackt. Zwei Arme haben mich rauh gepackt; Es hiimmern die Spechte in grasslichem Takt. Da lieg ich am Boden. Zwei Manner in Larven sind über mich her. Sie graben mich ein. Die Erde ist schwer. Des Windes Wehen hör icli nicht mehr. All — alles ist stille. Der lustige Ehemann. Ringelringelrosenkranz, Ich tanz mit meiner Frau, Wir tanzen urn den Rosenbusch, Klingklanggloribusch, Ich dreh mich wie ein Pfau. Zwar hab ich kein so schönes Rad, Doch bin ich sehr verliebt Und springe wie ein Firlefink, Dieweil es gar kein lieber Ding Als wie die Meine giebt. Die Welt, die ist da draussen wo, Mag auf dem Kopf sie stehn! Sie intressiert uns gar nicht sehr, Und wenn sie nicht vorhanden war Würd 's auch noch weiter gelin : Ringelringelrosenkranz, Ich tanz mit meiner Frau, Wir tanzen um den Rosenbusch, Klingklanggloribusch, Ich dreh mich wie ein Pfau. Erste Blüten, erster Mai. Lange schlug das Herz mir dumpf Und in faulen Schlagen, War ein tangbedeckter Sumpf Ohne Wellenregen. Bunte Blumen blühten rings, Und ich ging vorüber; Wissenschaft, die graue Sphinx, Gab mir Nasenstüber. Wissenschaft, die graue Sphinx, Mag der Teufel holen; Euch, ihr Blüheblumen rings, Sei mein Herz befohlen. Sonnevoll ist mein Gemüt, Eine grüne Wiese, Drauf es singt und springt und bliiht, Wie im Paradiese. Eine Geige klingt in mir, Glockenklar und leise.... „Oh du allerschönste Zier!. .. " Wundersame Weise. Glück und Glanz und Glorienschein Über allem Leben, Und die ganze Welt ist mein, Mir zu Lehn gegeben. Und mein Herz haucht Liebe aus, Alle Not verendet. Sorge, Simde, Hass und Graus Sind in GUick gewendet. Dumme, holde Traumerei, Immer kehrst du wieder: Erste Blüten, erster Mai, Schwarmerische Lieder. Maientanz. BliHenblatter jagt der Wind Von den jungeti Z.weigen, Die sich nun im ersten Sturm, Früiilingssturme neigen. Rosarote Apfelhlüt Tanzt mit sclmeeig weissen Kirschenbliiten Ringelreih Heil in Wirbelkreisen. Junge Birken beugen sich Jungfergriin im Winde, Leise wisperts, froh erstaunt, In der alten Linde. Heia, erster Friihlingssturm, Bliitenblatterfeger, Sei gegrüsst, Lenzjunker Wind, Allerliebster Jager! Nicht zum Morde ruft dein Horn, Ruft zu Tanz und Leben, Über deinem Hussa-Zug Schmetterlinge schweben. Letztes Winterwehtum treibt Dein Halli von hinnen, Hüte hoch und juhuhu! Maitanz soll beginnen ! Wie der Blütenblatterschnee WoII'n wir Wirbel drehen, Wie 's der alte Maienbaum Nimmer noch gesehen. Flöte kichert, Oeige singt, Und der Bass brummt bicder, Doch der Lenzwind über uns Hat die schönsten Lieder. Hat die grosse Melodei, Helle Sturmlustweise; Nach des Lenzen Pfeife tanzt, Tanzt die frohen Kreise! Zwei Prinzessen. Die Prinzessin fahrt zum Hochzeitsfest, Vier Schimmel am Wagen, Mit rotem Kragen Die Kutscher und silberbetresst. Trara! Heil schmettern Trompeten und Trompetineti, Prinzesslein sitzt da mit süssen Mienen In Galatoilette und Gloria. II 11 Die Menge verneigt sicli und hebt den Hut; Wie prunkt die Karosse! Wir stehn in der Qosse .... „Ach Ooit, so eine hats gut " Trara! Heil schmettern Trompeten und Trompetincn, Eine Kleine sagts mit sauren Mienen Und glanzt doch in Schönheit und Gloria. Die Prinzessin hab ich nicht mehr gesehn, Ich sah nur die feine, Die liebe Kleine lm wollenen Röckchen stehn. Trara! Heil schmettern Trompeten und Trompetincn, Doch alles hat golden überschiencn Der armen Schönheit Gloria. Scherzo. Es ist kein Wind von holdrer Art, Als der um ihren Kleidsaum welit, Wenn meine Frau im Tanzc Durchs Zimmer geht. Und gar kein schoner Tönen ist, Als das aus ihrem Munde klingt, Wenn meine Frau zur Zithcr Ein Liedel singt. Und ist auch gar kein schoner Licht, Als das aus ihren Augen braun, Wenn sie aus Herzenstiefen Hellfröhlich schaun. Huh! Aber wcnns gewittert! Huh! Der Donner grollt, der Sturm rafaunt! Flieht manniglich! Frau Sonne Ist schlecht gelaunt. Eine Parabel vom Mond und dem Riesen Hinter dem Berge Die tausend Zwerge Mit den grossen Schadeln gescheit und frech Lassen wieder gleissen lm grellen, weissen Sclieine das runde, blinkende Blech. Gespannt den Bogen! Die Sehne gezogen! Ich treffe das blitzende, glitzende Ding. Was soll das Geblecher! Zum Abendtrunkbeclier Brauch ich kein zitterndes FHmmergeblink. Es saust von der Sehne Der Pfeil, seine Mahne Wirft riickwarts der Riese und wartet gespannt. Dann brüllt er: Daneben! So will ich es heben Das Ding aus der Höhe mit eigener Hand. Es soll nicht dort hangen! Ich will es mir fangen, Ich will von den Zwergen nichts Glitzerndes selin Ich wills ihnen weisen! Ich will es zerschmeissen, Klirr soll es in tausend Kleinstücke mir gelin! Er rannte, der Riese Wild über die Wiese, Über Berge und Taler, durch Sümpfe und Kot. „Fort! Fort mit dem Scheine!" Er brach sich die Beine. Der Mond hangt noch oben, der Riese ist tot. Frühsommerphilosophie. Die roten Tulpenflammen sind verglüht; Maiglocken wachen auf; der Flieder blüht; Die Eiche, die so lange sich besann, Sleht nun in Laub, es steekt die Kerzen an, Die grünen Kerzen, übertrieft von Saft, Der alten Fichten innerliche Kraft. Urn jede Blüte ist ein Surretanz Von Schwebewesen, ein lebendger Kranz Von Schillerflügeln gelb, grün, blau von Olati Und an den Stengein kriecht in Drangelauf Das Kafervolk bunt, tausendfüssig auf. Die liebe Welt! Ob sie auch lange ruht, Sie machts zuletzt doch immer wieder gut. Mag sie nicht schelten. Eh eine andre uns nicht voller misst, Olaub ich einstweil, dass sie die beste ist Von allen Weiten. Reimhatz. Die Erde, der runde, Der bunte Ball, Spektakelt, Mirakelt Durchs Weltenall. Wir taumeln Und baumeln Spektakelnd mit, Werden alter, Werden kalter, Tante Mors ruft: Quitt! Stefan George. Geb. 1865. >Die Fibeh. — «Hymnen». — «Die Bücher der Hirten». — «Das Jahr der Seele». — «J)cr Teppieh des Lebens». Der Teppieh des Lebens. Vorspiel I. Ich forschte bleichen Eifers nach dem Horte, Nach Strophen, drinnen tiefste Kümmernis Und Dinge rollten dumpf und ungewiss — Da trat ein nackter Engel durch die Pforte: Entgegen trug er dem versenkten Sinn Der reichsten Blumen Last und nicht geringer Als Mandelblüten waren seine Finger Und rosa Rosen waren urn sein Kinn. Auf seinem Haupte keine Krone ragte Und seine Stimme fast der meinen glich: Das schone Leben sendet mich an dich Als Boten: wahrend er dies lachelnd sagte Entfielen ihm die Lilien und Mimosen Und als ich sie zu heben in ich gebückt, Da kniet auch Er; ich badete beglückt Mein ganzes Antlitz in den frischen Rosen. II. Gib mir den grossen feierlichen Haucli, Gib jene Glut mir wieder die verjünge, Mit denen einst der Kindheit Flügclscliwünge Sich hoben zu dem frühsten Opferrauch. Ich mag nicht atmen als in deinem Duft. Verschliess mich ganz in deinem Heiligtume! Von deinem reichen Tisch nur eine Krume! So fleh ich heut aus meiner dunklen Kluft. Und Er: was jetzt mein Ohr so stürmisch trifft Sind Wünsche, die sich unentwirrbar streiten. Gewiihrung eurer vielen Kostbarkeiten Ist nicht mein Amt und meine Ehrengift. Wird nicht im Zwang errungen, dies erkenn Ich aber bog den Arm an seinen Knieen Und aller wachen Sehnsucht Stimmen schrieen: Ich lasse nicht, du segnetest mich denn. III. In meinem Leben rannen schlimme Tage Und manche Töne hallten rauh und schrill. Nun halt ein guter Qeist die rechte Wage, Nun tu ich Alles was der Engel will. Wenn auch noch oft an freudelosem Ufer Die Seele bis zum Schluchzen sich vergisst, Sie hört sogleich am Ankerplatz den Rufer: Zu schönerm Strand die Segel aufgehisst! Wenn mich aufs hohe Meer geneigt ein neuer Oewittersturm umtost votn Wahne links, Vom Tode rechts — sogreift Er schnell dasSteuer Der Krafte Toben harrt des einen Winks|: Gebietend schlichtet Er der Wellen Hader, Die Wolken weichen reiner Blaue dort.... Bald zieht auf glatteu Wassern dein Geschwader Zur stillen Insel zum gelobten Port. Der Teppieh. Hier schlingen Menschen mit Gewiichsen, Tieren Sich fremd zum Bund, umrahmt von seidner Franze, Und blaue Sicheln weisse Sterne zieren Und queren sie in dem erstarrten Tanze. Und kahle Linien ziehn in reichgestickten, Und Teil um Teil ist wirr und gegenwendig Und keiner ahnt das Riitsel der Verstrickten . .. Da eines Abends wird das Werk lebendig. Da regen schauernd sich die toten Aste, Die Wesen eng von Strich und Kreis umspannet Und treten klar vor die geknüpften Quaste, Die Lösung bringend über die ihr sannet! Sie ist nach Willen nicht: ist nicht für jede Gewohne Stunde: ist kein Schatz der Gilde, Sie wird den Vielen nie nnd nie durch Rede, Sie wird den Seltnen selten im Gebilde. Urlandschaft. Aus dnnklen Fichten flog ins Blau der Aar Und drunten aus der Lichtung trat ein Paar Von Wölfen, schürften an der flachen Flut, Bewachten starr und trieben ihre Brut. Drauf huschte aus der glatten Nadeln Streu Die Schar der Hinde, trank und kehrte scheu Zur Waldnacht; eines blieb nur, das in: Ried, Sein End' erwartend still das Rudel mied. Hier litt das fette Gras noch nie die Schur, Doch lagen Stamine, starker Arme Spur, Denn drunten dehnte der gefurchte Bruch, Wo in der Scholle zeugendem Geruch Und in der weissen Sonnen scharfem Gliihn Des Ackers froh, des Segens neuer Mühn, Erzvater grub, Erzmutter molk, Das Schicksal nahrend für ein ganzes Volk. Der Freund der Fluren. Kurz vor dem Frührot sieht man in den Fiihren Ihn schreiten, in der Hand die blanke Hippe, Und wagend greifen in die vollen Ahren Die gelben Körner prüfend mit der Lippe. Dann sieht man zwischen Reben ihn mit Basten, Die losen binden an die starken Schafte, Die harten grünen Herlinge betasten Und brechen einer Ranke Überkrafte. Er schüttelt dann, ob er dem Wetter trutze. Den jungen Baum und misst der Wolken Schieben. Er gibt dem Liebling einen Pfahl zum Schutze, Und lachelt ihm, dem erste Früchte trieben. Er schöpft und giesst mit einem Kürbisnapfe, Er beugt sich oft die Quecken aus zu harken Und üppig blühen unter seinetn Stapfe Und reifend schwellen um ihn die Gemarken. Der Schleier. Ich werf ihn so: und wundernd halten inne Die auf dem heimischen Baumfeld Früchte kosten .. . Die Ferne flammt und eine Stadt vom Osten Enttaucht im Nu mit Kuppel, Zelt und Zinne. Einst flog er so empor: und öde Schranken Der Hauser blinkten scheinhaft durch die Nasse, Es regte sich die Welt in Silberblasse Am vollen Mittag Mondlicht der Oedanken! Er wogt und weht: und diese sind wie Hirten Der crsten Tale; jene Miidchen gleiten Wie sie, die einst im Rausch der Qöttin weihten .. Dies Paar ist wie ein Schatten unter Myrten. Und so gewirbelt ziehen sie zu zehnen Durch dein gewohntes Tor wie Sonnenkinder - Der langen Lust, des leichten Glückes Finder So wie mein Sclileier spielt, wird euer Sehnen! Weihe. llinaus zum Strom! wo stolz die hohen Rohre lm linden Winde ilire Fahnen schwingen Und wehren junger Wellen Schmeichelchore, Zum Ufermoose kosend vorzudritigen. Im Rasen rastend solist du dich betauben An starkem Urduft, olme Denkerstörung, So dass die fremden Hauche all zerstauben, Das Auge schauend harre der Erhörung: Siehst du im Takt des Strauches Laub schon zittern Und auf der glatten Fluten Dunkelglanz Die dünne Nebelmauer sich zersplittern ? Hörst du das Elfenlied zum Elfentanz? Schon scheinen durch der Zweige Zackenrahmen Mit Sternenstadten selige Qefilde, Der Zeiten Flug verliert die alten Namen Und Rauin und Dasein bleiben nur im Bilde. Nun bist du reif, nun schwebt die Herrin nieder, Mondfarbene Gazeschleier sie umschlingen, Halboffen ihre traumesschweren Lider Zu dir geneigt, die Segnung zu vollbringen: Indem ihr Mund auf deinem Antlitz lebte Und sie dich rein und so geheiligt sali Dass sie im Kuss nicht auszuweichen strebte, Detn Finger stützend deine Lippe nah. — Thekla Lingen Thekla Lingen. Geb. am 18 Marz 1866. „Am Schcicleivcge" 1900. Ganz wie bei uns. Scliusters Lotte, ein frühreifes Kind, Wie sie bei armen Leuten sind, Hatte in ihren dreizehn Jahren Bei Vater und Mutter viel Not erfahren, Und so gelernt, dass urn glücklich zu sein, Man Geld nur braucht — nur Geld allein. So kam es denn, dass mit der Zeit lm jungen Herzen nagte der Neid, Und wuchs ein Hass ohnegleichen Gegen die Reichen. Eines Abends im Dammerschein Schlendert sie durch die Strassen allein, lm Viertel, wo die Reichen lebten, Die stets in ihren Traumen schwebten. Oh, das war nun einmal schön, Die hellerleuchteten Fenster zu seh'n: Mit Spitzen und roten Seidengardinen, Vom elektrischen Licht beschienen, Und seltene Blumen und Palmenbaume, So recht wie Zaubermarchentraume! Und gar unten, aus den Küclien, Da strömt es nur so von Wohlgerüchen Zu Lotten hinauf. Und sie sperrte Mund und Nase auf. Ach ja! Die hatten es alle gut - Und Lotten wurde neidsch zu Mut. — Und still war es hier! — Kein Radergerassel und kein Geschrei; Und rollte einmal ein Wagen vorbei, Dann sauste er wie im Traume dahin, — Da sassen geputzte Damen drin Mit feinen Kindern — in Samt und Seidcn, — (Die mochte sie nun gar nicht leiden) — Aber dafür die noblen Herr'n, Die hatte sie nun wieder gern, In hohem Hut und geschniegeltcin Haar, Und Lackstiefeln — fütifzig Mark das Paar, Das wusste sie ganz genau, — und alles! Ach ja, das war' ein Leben! Was hatte Lotte nicht drum gegebcn! Und wehmütig schnuppert sie in der Luft Nach deni feinen Zigarrenduft, Und seufzte und dachte: Schon das ware schön, Die Herrlichkeiten einmal nahe zu sehn! Im Nu hing sie am Gitterzaun, Um in die erleuchtetcn Fenster zu schau'n, Und guckte hinein: War das aber fein ! Und reckte das Halschen höher hinauf — Und plötzlich riss sie die Augcn auf Und sah — und sah es ganz genau, Da stand eine weinende Frau, Und da — und da — nicht fem, Einer von den noblen Herr'n, Die Hand erhoben zu drohendem Schlag — Und Lotte vor Schreck auf dem Pflaster lag, Es schien ilir wie ein böscr Traum, Und sie fasste es kaum, Was sie geseh'n, Und wie es da drinnen konnte gescheh'n. Dann plötzlich rief sie erleiclitert aus: -Das ist ja ganz wie bei uns zu Haus!" Sehnsucht. So still und heiss ist die Sommernacht, Da bin ich jah aus dem Schlaf erwacht, Am Fenster duften die Linden — Die Sehnsucht sitzt auf des Bettes Rand Und winkt und winkt mit verstohlener I land, Und ich kann keinen Schlaf rnehr finden. Fernher das Meer herüberrauscht, I's zittert mein banges Herz und lauscht, Kann nimmer den Morgen erwarten. Weich geht der Nachtwind und seufzt und klagt, Und ich folge hinaus, hinaus in die Naclit, In den sommerduftenden Garten So geht 's. "Du grosser Sumser, sum, sum, sum, Du summst und brummst wie toll herum, Und immer, immer, um das Licht — Siehst du die glühe Flamme nicht, Den heissen roten Schein?" «Wohl seh ich sie, und sum, sum, sum, Muss ich doch immerzu herum — Weil sie so rot ist und so gliih Und ach, so schön! Drum lieb ich sie, Muss immer bei ihr sein!" Und sehnend geht es sum, sum, sum, Und immer um das Licht herum, Er streift 's mit heissein Kuss; Daim mit versengtem Flügelpaar Sinkt taumelnd hin der kleine Narr, Summt seinen letzten Oruss. So welie klagt er: sum — sum — sum — Dann liegt der Sumser tot und stumm, Es musste so geschehn!.... Er starb den allerschönsten Tod In seiner Elamtne heiss und rot — Wie war sie doch so schön! Hugo Salus. „Geb. am 3 Aug. 1S66. „Gedichte" 1808. - „Neue Gedichte" 1899. — „Ehefrühling1900. — „Reigen" 1901. — „Ernte" Altes Ghettoliedchen. Estherl, mein ScliwesterI, was ist mir gescheh'n! Ein Judenkind soll unter Christen nicht gch'n! Die Muiter hat recht; aber jetzt ist 's zu spat, Sie hab'n mich erkannt und gehöhnt und geschmaht Und gezerrt am Maar und das Kleid zerrissen Und Unflat und Steine nach mir geschmissen, Estherl! EstherI, mein SchwesterI, da ist es gescheh'n, Da hab' ich den Ritter kommen geseh'n, Mit dein Schwert an der Seite, mit dem Kreuz auf der Brust, Und ich hab' nur immer ihn anschau'n gemusst, Und sein Bliek hat die Christen von dannen getrieben, Und er ist bis ans Tor bei mir geblieben, Estherl! II 12 Estherl, mein Schwesterl, was ist mir gescheh'n ? Ich werd' wieder, ich weiss, in die Christenstadtgeh'n, Und wenn sie mich stossen, was liegt mir daran, Wenn ich i h n nur noch einmal anschau'n kann, Nur einmal! Dann sollen sie mich erschlagcn. Nur der Mutter, horst du, darfst du nichts sagen, Estherl! Die Puderschale. Die reizende Marquise sitzt beim Spiegel, Mit spitzen Fingern reicht die Kammerfrau Ihr duft'ge Flaschchen, Pflasterchen und Tiegel Und ordnet ihrer Locken Wunderbau. „Was seid ihr schön, Marquise! Heut' bei Hofe Erblasst vor eurem Reiz die Königin, Erglüht der König". — Und schon reicht die Zofe Der schonen Frau die Puderquaste hin. In weissen Wolken geht das Blondhaar unter; So hübscher passt die junge Haut zum Weiss. Der Grafin Augen blitzen schelmisch mui'ter, Die altklug spöttischen Lippen trallern leis'. Wie neckisch ist doch dieses Schneegeflimmer! Herr König, seht euch vor!" - Dastiehltsicii stumm Ein blulbesudelt, trunk'nes Weib ins Zimmer Und steht und schaut voll Hohn die Pracht ringsum. Sie tritt zur Zofe: die entflieht beklommen; Marquischen trallert. Aus dem Spiegel blickt Dcrweisse Kopf: „Heut' wird mein Sieg volkommen !'' Das diislre Weib steht neben ihr und nickt. Sie leert die Puderschale. Aus der Tasche Füllt sie die Schale bis zum Rande voll Und halt sie hin, gefüllt mit Staub imd Asche. Marquischen lacht: „Noch Puder? Du bist toll!" Ein Spiegelblick. Ein Schrei. Sie will entfliehen. Ein heis'res: „Halt! Dein Zöfchen biti jetzt ich! Ich dachte dein beitn Sturm der Tuilerien! Bestreu dein Haar! Der Hof erwartet dich !" Sternschnuppen. An so blauen Abenden, liebe Kinder, Oehen die Englein als Sternanzünder Über den Himmel, Schritt vor Schritt, Hat jedes ein Schachtelchen Streichhölzer mit. Seht ihr, jetzt wird es langsam Nacht. Schon glühn tausend Sternlein. Ist das eine Pracht! Die Ziindhölzchen aber Iöschen sie aus Und gehn artig sclilafen ins Engclhaus. Sind aber auch unartige Englein dort; Die werfen die glimmenden Zündhölchzen fort. Seht ihr, dort oben im grossen Bogen Kommt just so ein gliminendes Streichholz geflogen. Ja, die himmlischen Hölzchen leuchten selir. Sie fallen alle auf grosse Insein im Meer, Dort glimmen sie weiter als Morgenrot, Und erst der junge Tag tritt sie tot. Die sind unser Glück, diese Meeresinseln; Ihr wisst, brave Kinder dürfen nicht zünseln! Der liebe Gott hat auch solche Engel nicht gern Darf keiner mehr abcnds zu einem Stern! Leipaer Sprüchel. So hat uns der Leipaer Lehrer gelehrt: „Nord, Süden, Osten und Westen, Wie die Sonne über den Himmel fahrt, Merkt auf, so lernt ihr's atn besten: lm Osten hinter Dobern geht sie auf, lm Westen bei Liebich unter, Der Norden geht hinter den Spitzberg liinauf, Der Süden bei Neuschloss hinunter." Wo Neuschloss und Dobern sind, weiss jedes Kind, Bin oft auf den Spitzberg gegangen, Hab dort wenn die Maikafer kommen sind, Ein manches Hundert gefangen; Und die Sonne, hinter Dobern ging sie auf lm Osten, bei Liebich unter lm Westen, der Norden geht hier hinauf, Der Süden bei Neuschloss hinunter. O Leipa, wie ist die Welt so gross! Wie hat 's mich herum getrieben 1 Und doch, dich werd' ich mein Lebtag nicht los, Dein Sprüchel ist haften geblieben: Meine Sonne geht noch hinter Dobern auf. Noch immer bei Liebich unter, Mein Norden geht noch hinterm Spitzberg liinauf, Mein Süden bei Neuschloss hinunter Ludwig Jacobowski. Geb. am 21 Jan. 1868—, gest. am 2 Dcz. 1900. „Aus bewegten Stunden" 1888. — „Flinken" 1890. Am Abend. Sonnengold wie Feuerkohlen Blutet letzten Purpur aus. Damm'rung schleicht auf scheuen Sohlen Still von Haus zu Haus. Schwarze Schleier wallen nieder Wie ein trüber Trauerflor. Fahlgelb wie ein Sterbensmüder Starrt der Mond liervor. Diimm'rung wogt mit Schattenfluten In das Zimmer mir herein; Und des Mondes bleiche Gluten Funkeln silbern drein. An dem Boden, an den Wanden Wogt die alte Menschheitsschlacht. Würgend mit Gespensterhanden Kampfen Licht und Nacht. Aus des Mondes Angesicht Aus des Mondes Angesicht Tropft es silbern nieder; In sein kaltes keusches Licht Bad ich immer wieder. Oft durch Nachte wandre ich, Mondenglanzumsponncn; Selig überriesehi rnich Schauer kalter Wonnen. Langst verglomni die Purpurpracht Letzter Sonnengluten. Komm, dass ich in dir, o Naclit, Langsam kann verbluten... . Vor der Kirche. Drinnen in dem Gotteshause Schimmert heller Kerzen Pracht, Draussen atmet schattengahnend Totenstille Mondennacht. Drinnen in dem Gotteshause Klingt ein ernster Chorgesang. A11 das kalte Steingewande Lehn ich die erhitzte Wang. Wie verschollne Kindersage Schluchzt es mahnend her zu mir: Drinnen nur wohnt Glaube, Friede!. Weinend steil ich vor der Tür! Zwielicht.. Zwielicht leis im dumpfen Zimmer Auf und niederschleiclit. In des Taglichts Ietzte Schimmer Schlagt die Dammerung dunkle Trümmer, Und der Tag entweicht. Letzte falile Damm'rstreifen Rieseln zu mir sacht. Will sie halten, will sie greifen, Eh sie immerdar entschweifen In die Funkelnaclit. ... . Meines Lebens Darnm'rungsschleier Nachten mein Gemüt. Wie verkohlte Purpurfeuer Langst verscholl'ner Totenfeier, Still Erinnerung glüht. Streek ich nach ihr wegbezwungen Sehnend meine Hand, Greif ich kühle Dammernngen, Ach, und der Erinnerungen Letztes Zwielicht schwand .... lm Tiergarten. Was hoekt im Armutsgewande Das junge Weib auf der Bank? Wie müde die bleichen Wangen, Die Augen wie trübe und krank! In durstigen Zügen atmet Sie ein die sonnige Luft. Aus Bltunen und Blattern und Grasern Dampft sprühender Blütenduft. Und neben ihr lachelt verachtlich Ein stolzes herrliches Weib, In prunkendem Sommerkleide Qehüllt den blühenden Leib. So sitzen sie beide zusammen, Von Sonnenglut funkelnd umglanzt, Und höhnisch hoekt zwischen beiden Das graue soziale Qespenst... . Felix Dörmann. Gcb. 1870. „Sensationen" 1800. — „Neurotika" 1892. Mein Herz ist tot. Wenn meiner Lieaer düsterrote Feuer In wilden Flackertanzen dich umsprüh'n, O glaube nicht, dass du mir Iieb und teuer, Dass diese Flammen aus dem Herzen glüh'n. Mein Herz ist tot, wenn jemals ich besessen Ein solches Ding in meiner kalten Brust, Vielleicht auch, dass ich 's irgendwo vergessen Bei blassen Frauen nach verschwieg'ner Lust. Was ich liebe. Ich liebe die hektischen, schlanken Narzissen mit blutroteni Mund; Ich liebe die Qualengedanken, Die Herzen zerstochen und wund; Ich liebe die schillemden Schlangen, So schmiegsam und biegsam und kühl; Ich liebe die klagenden, bangen, Die Lieder von Todesgefühl; Ich liebe die herzlosen, grünen Smaragde vor jedem Oestein ; Ich liebe die gelblichen Dünen lm bliiulichen Mondenschein; Ich liebe die glutendurchtrankten, Die Düfte, berauschend und schwer; Die Wolken, die blitzedurchsengten, Das graue wutschaumende Meer; Ich liebe, was niemand erlesen, Was keinem zu lieben gelang: Mein eigenes, urinnerstes Wesen Und alles, was seltsam und krank. lm Palmenhaus. Es war im Palmenhaus; die feuchte Luft, Von Blumendünsten schwer, nmspiclte laulich In weichen Wellen unser beider Haupt. In eine tiefgebauchte, kiihle Gartenbank Zurückgelehnt, so sassen wir, ganz still. Verklungen langst war Wort und Gegenwort, Wir waren beide mild, und reglos starrten Wir durch der Wande spiegelklare Scheiben Tief in des Hiinmels safrangelben Glanz. Von Zeit zu Zeit, wenn abendkühl ein Windhauch Um uns're Iieissen Schlafen strich, erklang Gediimpft und mild durch weitgespreizte Fenster Das Schluchzen der Fontainen aus dem Garten, Und leise rauschten dann die Facherpalmen, Und Asiens wunderliche Riesenblumen, Von dunkelgrünem, satten Laub umspielt, Sie nickten langsam, wie Pagodenhaupter, Und schwergewürzte Glutarome rannen In die europamiidcn Schwarmerseelen .... Das Haupt an 's Haupt gelehnt und Hand in Hand, Mit lieimwehkranker Seele traumten wir Von einer fernen Südseeinsel Strand, Wo reicher die Natur und farbenheisser, Wo lilasilbern Meereswogen leuchlen In winddurchkoster, schwüler Tropennacht, Wo stil und traumerisch und sinnlich-mild, Das Leben weiterfliesst, wo keine Schranken Des Herzens traumerisch-bizarre Wünsche Stumpfsinnig-kühl verneinen und zerstören. Wo bist du, meine ferne Südseeinsel? In Memoriam. Ein Winterabend war 's. In schweren Flocken Sank . . . langsam . . . Schnee auf Schnee. - Verschimrnert war Der letzte Tagesschein, und trübes Licht Der Strasse glitt in 's damm'rige Gemach. Ich war allein .... Wie zornig-dumpfes Meeresbrausen grollte Der Larm des Lebens in mein stilles Heim, Und schrilles Pfeifen und verworrenes Rufen Und tausend andere Töne gellten drein .... Mir aber blieben diese Töne fremd Und fern und unverstanden, wie sonst nie Versunken war für mich der Lebensreigen, Der sich vor meinen Fenstern tosend schwang . . . . Vergang'nes war erwacht, und Todtes lebte Nach trostlos-stumpfen Jahren in mir auf — Und einer Seele dacht ich, die gestorben An ihrer grenzenlosen Einsamkeit Und ihrer Liebe .... Confiteor. Sich', du musst es mir vergeben, Wenn ich manchmal scliroff und hart ToII und traurig war mein Lebcn, Eine wi'iste Pilgerfahrt. Schwer liab ich nach Haus' gefunden, Bitter musst' ich irre geh'n, Und ich kenne Stunden .... Stunden, Wo Gespenster auferstehn. Noch einmal. Noch einmal, eh' die grosse Nacht Erdriickend mich umfangt, Hat eines Auges Sonnenpraclit Mir einen Bliek geschenkt. Es traf ein lichter Fimkenstrahl Mein Dornendiadem, Ich möchte gern ein letztesmal Noch beten ! — doch zu wem ? Franz Evers. Gcb. am 10 Juli 1871. „Symphonie" 1891. — „Fundamcntc" 1892. — «Sprüchen aus der Holte1' 1893. Sommerabend. Süssc Chopinmelodien Ziehen iibern stillen Park, In der Sonne Abenglühen Olirrt der gelbe Sand der Mark; Dunkelgrüne Kiefcrn ragen Fern am blauen Havelsee — Nur zwei kleine Wolken jagen Übern Himmel, weiss wie Schnee. Süsse Chopinmelodien Schmeicheln sich in mcinen Sinn, Und mir ist, als sah ich ziehen Fern die Abendkönigin — Und sie wandert durch die Felder Übern heissen, gelben Sand, Durch die Lüfte, durch die Walder Schleift ihr purpurnes Gewand. Wo die rotgebraunten Stamme Hoher Kiefern einsam stehn, Neigt sie sich, als ob sie kamme Ihrer Haare goldnes Wehn, Und wie Faden, weich von Seide, Zitterts durcli die Lüfte hin. Weiter dann im Purpurkleide Zicht die Abendkönigin. Dunkier wird es bald und blasser, Und der Nebel hüllt sie ein, Nur die blauen Havelwasser Tragen roten Widerschein — Und die Nacht senkt ihre Schwingen, .. Und die Abendfalter ziehn — Überm stillen Park verklingen Süsse Chopinmelodien. Abschiedsnacht. Du standest vor mir lm Abendliclit: Tiefgoldiger Schimmer Umfloss dein Gesiclit; Die Sonne sank In blutigem Scliein — Und ich traumte noch immer Ins Licht liinein. Und ich fühlte kaum Wie das Dunkel kam, Und wie miclis sacht In die Arme nahm; Hab dein gedacht Mit leisein Weh .... Auf Park und Garten Fiel Mondesschnee. Goldene Nacht. Waldeinsamkeit umschloss meiti Haus Und der Siidwind flüsterte sacht, Ich stand am Fenster und sah hinaus, Sah in die goldene Nacht, In die Nacht, die golden von Mondesglanz, Die schwer von Liedern war — Und ich triiumte — und sah den Myrtenkranz, Und sah dein dunkles Haar. Und ich traumte, du warst mein liebes Weib, Von Gott mir angetraut, Und die Vögel sangens zum Zeitvertreib, Soweit der Himmel blaut. Die Steme flammten in leuchtcnder Zahl — Da hab ich dein gedacht: Das machte der gliihcnde Mondenstrahl, Das machte die goldene Nacht. Vogelfrei. So habt ihr denn das letzle Band zerrissen; — Nun bin ich vogelfrei! nun bin ich stark! Im blauen Ather platschert mein Gewissen, Und Frühlingsstarke trinkt mein junges Mark. Nun bin ich frei! Das war das letzte Röcheln, Der Ietzte Rest der öden Alltagsschaft — Und neue Sprungkraft wachst mir in den Knöcheln — Ich trinke Morgenluft und Sonnenkraft. Nun bin ich ganz frei! Heil dir, du erlauchte, Du segenbringende, du stolze Lust, Du Schöpferkraft, ins Morgenlicht getauchte, Du ziehst mit Schauern ein in diese Brust, In diese Brust, die heiss für andre klopfte, In dieses Herz, das heiss für andre schlug — Sei mir gegrüsst, du strahlenübertropfte, Du heilige Kraft: Ich bin mir selbst genug! Ich bin mir selbst, was ich für andre wahnte, Ich bin mir selber Tröster nun und Trost; Mein Auge, das so oft für andre trante, Lacht in die Sonne, die im Osten glost, Lacht leuchtend in die goldne Purpurfriihe; Es hört mein Ohr ein neu Damaskuswort — Und selbst das Muh der plumpen Alltagskühe Schleicht murrend ins Gebrüll der Herde fort. Das fehlte nur, das hielt mich noch umnachtet. Zerschnitten nun das Band — der Schnitt war gut! — Studentisch-edel habt ihr mich verachtet Und auch gezeichnet — doch es floss kein Blut! Ihr seid der „Ehre" hohe Ritter worden! — Ich bin ein schlechter Kerl, Ich bin ein Tropf— Oh würde euch doch der verdiente Orden, Der bunte Rock mit blankem Talmiknopf. Erregt euch nicht! Ich will euch nicht verspotten; Ich lachle, weil ich euer Tun versteh. Meintwegen könnt ihr ruhig weitertrotten, Erlaubt nur, dass Ich m e i n e Wege geh ! In meiner Vogelfreiheit kühner Wonne Vergess ich eure blöde Alltagsschaft — Ich fühl mich stark wie eine junge Sonne! Ich trinke Morgenluft und Gotteskraft! II 13 Ein Frühlingsgebet. Hinter den Hügeln schlafen die Winde - Aber du fühlst, sie schlafen nicht lang'.... An den Asten springt schon die Rinde, Keimt der erste Knospendrang — Und du siehst, wie rings die Erde Dunkel den weissen Schnee durchdringt... Dass der Himmel voll Sonne werde, Bettelt dein Herz nun und braust und klingt. Weil die Winde nun bald erwachen Mit aufjauchzender Frühlingskraft, Fühlst dein Blut du zittern und lachen, Und in den Stammen treibt der Saft, Aus dem Dunkel schlafender Traume Dammert dein Sinn dem Lebendigen zu — Und wie Brüder sind dir die Baume, Denn sie gedeihen und wachsen wie du. Horch! schon werden zum Sturm die Lüfte .. . Hinter den hügeln erwachen sie schon, Feurige Sehnsucht sprengt die Grüfte, Und die taumelnden Wolken loh'n, Sonne! Sonne! Aus duftenden Becken Bringt die Erde dir seligen Dank, Die du zum Leben kannst erwecken, Taler, die schliefen, und Herzen, die krank! Die du die Wesen füllst mit Sehnen, Scheuche das Dunkel — verscheuche das Weh Sonne! Sonne! o tilge die Tranen, Wie du tilgst den Winterschnee! Wenn dein Olanz die Stürme begleitet, Leuchtend auf wilder Wanderschaft, Halten die Arme ausgebreitet Tausende, denen die Brust sich weitet, Die eine selige Sehnsucht leitet, Jugend zu trinken und Licht und Kraft. . .. Wenn dein Olanz die Stürme begleitet, Sonne! o gib uns deine Kraft!. .. Das Traumland. In weichem Lilapurpur Liegt fern ein Traumesland: Blaudunkel glühn die Wellen, Und golden ist der Strand. Cypressenwalder wiegen lm Wind ilir Nadellaub, Und in den Lüften liegen Maiglück und Sonnenstaub. Die himmelhohen Kuppeln Der ewigen Berge schau'n, lm Scharlachsclinee der Frühe Hin atif die goldnen Gau'n. Das Olück, das Gli'ick umschmiegt uns, Wir sind vom Schmerz befreit — Und unsre Seele wiegt uns In blaue Ewigkeit.... Carl Busse. Geb. am 12 Nov. 1872. „Gedichte" 1892. - „Neue Gedichte" 1895. Das Katzchen. Kam ein Katzchen angesprungen So den Wiesenrain entlang, Hört es einen kecken jungen Schmetternd-hellen Lustgesang. Und das Katzchen schlich zur Seite Über Stock und über Stein, Suchte schleunigst dann das Weite Links vom grünen Wiesenrain. Kam ein Madchen angegangen Ganz genau denselben Steg; Braunes Haar, verbrannte Wangen, Trat der Bursch ihr in den Weg. Fanden bald ein heimlich Platzchen, O du wunderschöner Mai! — Ja, das Madel war kein Katzchen, Deshalb kam es nicht vorbei. Ich möchte sterben.... Ich möchte sterben, wenn in Stadt und Hag Zu Ende geht ein lieber Frühlingstag. Die jungen Madchen steh'n vor Tür und Tor, Die Garten blühn, die Kinder spielen munter, Gross und verleuchtend geht die Sonne unter, Und Mütterchen nimmt sich die Bibel vor. Die Welt so still; so still mein graues Haus, Kaum dass im Zug sich die Gardinen regen, Und meine Sehnsucht auf verklarten Wegen Mit starken Schwingen schwebt sie mir voraus. Und dunkier wird 's, die ganze Welt schlaft ein, Ich aber geh' auf eine weite Reise, Und eine Stimme, eine tiefe, Ieise, Sagt mir ins Ohr: „Bald wirst du bei mir sein." Strophen. I. Über den Bergen, weit zu wandern, Sagen die Leute, wohnt das Glück. Ach, und ich ging im Schwarme der andern, Kam mit verweinten Augen zurück. Über den Bergen, weit, weit drüben, Sagen die Leute, wohnt das Glück II. Klipp und klapp, so klang mein Schritt, Röschen stand so heiter, Röschen, komm, ich nehm' dich mit, Blüh' am Hut mir weiter! Blüh' recht schön und düfte sacht, Qanz nach Lust und Laune, Bis ein andres Röschen lacht, Röschen überm Zaune! lm Traum. Ich sah mich selbst, den Spaten in der Hand, Ich grub ein Orab am fernsten Friedhofsrand, Grub Nacht um Nacht, wie bluteten die Hande! Und fand kein Ende. Sprach eine Stimme: Haltst du noch nicht ein? Soll denn mein Orab noch immer tiefer sein ? — Und Antwort scholl mit trüb verhaltnem Klange: «Mir ist so bange, «Ich grab so tief, dass Frieden um dich sei, Dass nicht zur Nacht mein wilder Sehnsuchtsschrei, Und nicht das Brausen ferner Lebenschöre Den Schlaf dir störe." Ausklang. Auf geheimnisvollen Sohlen Tritt ein Iieber Traum herfür, Eine lang verschlossne Tür Óffnet er und winkt verstohlen. Und ich seh dich still und scheu Tief gebeugt auf diese Lieder, Und ich hab' und halt dich wieder, Deine Seele blieb mir treu. Was in Erdenleid und-lust Sich verfehlte, sich verfrühte, Lachelnd in verschönter Blüte Qeht es auf in stiller Brust. Inhaltsverzeichnis. Seite. EDUARD ORISEBACH. Ich liege am einsamen Hünengrab 1 Am Grabesraine 2 Ein Brief 3 ALBERTA VON PUTTKAMER. Aus Kindertagen 5 Sommernacht 7 Dorfstille g Mittagsgespenster 8 Zuweilen wohl 9 EMIL VON SCHÖNAICH-CAROLATH. Sommerfest U Daheim 12 Neben Gewittern 13 Vom Scheiden 14 Sang des Türmers 15 Letzter Tanz 15 Aus „Don Juans Tod" 17 GUSTAV FALKE. Auf dem Friedhof ig Frühlingslied 19 Gebet 20 Das Lied 20 Seite. ISOLDE KURZ. An meine Mutter 22 Nachtgebet 23 Nornengesang 23 Egypten 25 Die erste Nacht . .■ 26 Madchenliebe 27 Wegwarte 27 OSKAR LINKE. Kennst du? 29 FERDINAND AVENARIUS. Heut' traf ich einen 31 Kornrauschen 33 Vom Kirschbaum 33 Gebet 34 Rolands Horn 34 Der goldene Tod 36 Der Seelchenbaum 37 JACOB LOEWENBERG. Gute Nacht 39 Wandern 40 Morgen 41 Auferstehung 41 Laterne! Laterne! 42 HERMANN SUDERMANN. Die Sorge 44 JULIUS HART. Auf der Fahrt nach Berlin 46 Gewitter 48 Hört ihr es nicht? . 49 REINHOLD FUCHS. Hünengrab 51 Der neue Stern 52 Seite. MAX HOFFMANN. Dem Morgen entgegen 54 Die Nacht 55 Regenstimmung 56 Musik 57 MARIA JANITSCHEK. Qeheimnisse 58 Mein Sterben 60 FRIDA SCHANZ. Mein Herz 62 Feiertage 63 lm Mühlental 63 Wenn der Tag erwacht 64 Maienzeit 64 Frühlingsnacht 65 HERMANN CONRADI. Es spiegelt sich 67 Ich weiss 68 Wie ich 68 Wenn der Weissdorn blüht 68 Herbstabend 69 Abschied 70 Die Flut ist nun verbrandet 70 O köstliche Stille der Einsamkeit! 71 Osterpsalm 73 OTTO ERNST. Genügen 75 Neujahrsgruss 76 Lütt Jan 78 Nis Randers 80 Wahlgeschichten 81 LUDWIG FULDA. Wer aufwarts will 84 Sommernacht 84 Abend 85 Stromab! 85 Seite. ARNO HOLZ. Frühling 87 Een Boot is noch buten! 93 So Einer war auch Er! 94 Ein Herz, das zersprungen 95 Nachtstück gó Tagebuchblatter 97 An mich selbst 100 Es bleibt sich gleich! 101 Einstweilen! 101 Phantasus 102 RICHARD DEHMEL. Der Stieglitz 107 Drohende Aussicht 108 Die stille Stadt 109 Nach einem Regen 109 Nacht für Nacht 110 Nicht doch! 110 Wiegenlied für meinen Jungen 111 Venus Mater 112 Fitzebutze 113 JOHN HENRY MACKAY. Heimliche Aufforderung 115 Wild schaumen auf 116 Am Ostseestrand 117 Letzte Erkenntnis 119 MARIE EUQEN1E DELLE ORAZ1E. Ein Marlein von der Sehnsucht 121 Blauer Falter 123 Zarenmahl 123 Irgendwo 126 Nun blüht 126 KARL HENCKELL. Der heimliche Kaiser 128 Schon lag auf Erden dunkles 130 Seite. Frühling 131 Mein Ideal 131 OTTO ERICH HARTLEBEN. Ellen 133 Auf einem weissen 134 Süss duftende Lindenblüte 134 R1CARDA HUCH. Aus dem 30 jahrigen Kriege 135 Frieden 136 Sehnsucht 137 Tief ist der Abgrund 137 Hoch über meinem Vaterland 138 Wie fern der Welt Getümmel 139 ANNA RITTER. Brautlied 140 Traumglück. . • 141 Vor deinem Hause 142 Und hab' so grosse Sehnsucht doch 143 Wach' auf mein Lieb 143 Was auch die andern von der Sonne sagen . . 144 Ich wollt', ich war' des Sturmes Weib .... 144 Sturmflut 145 Mein Traum 146 Gekrankte Unschuld 147 Unkenschrei 147 Schneewittchen in der Wiege 148 Das verirrte Wölkchen 149 lm Felde 149 Was geht das fremde Lied mich an 150 Mein Bübchen 151 Geh vorüber! 151 Morgen 152 Morgenwanderung 152 OTTO JULIUS BIERBAUM. Oft in der stillen Nacht 154 Seite. Sehnsucht 155 Müde 156 Der jungen Hexe Lied 157 Des Narren Nachtlied 157 Der lustige Ehemann 158 Erste Blüten, erster Mai 159 Maientanz 160 Zwei Prinzessen 161 Scherzo ! . 162 Eine Parabel vom Mond und dein Riesen . . 163 Frühsommerphilosophie 164 Reiinhatz 165 STEFAN OEOROE. Der Teppich des Lebens 166 Der Teppich 168 Urlandschaft 169 Der Freund der Fluren 170 Der Schleier 170 Weihe 171 THEKLA LINGEN. Ganz wie bei uns. • 173 Sehnsucht 175 So geht 's 175 HUGO SALUS. Altes Ghettoliedchen 177 Die Puderschale 178 Sternschnuppen 179 Leipaer Sprüchel 180 LUDWIG JACOBOWSKI. Am Abend 182 Aus des Mondes Angesicht 183 Vor der Kirche 183 Zwielicht 184 lm Tiergarten 184 Seite. FELIX DORMANN. Mein Herz ist tot 186 Was ich liebe 186 lm Palmenhaus 187 In Memoriam 188 Confiteor 189 Noch einmal 13q FRANZ EVERS. Sommerabend Abschiedsnacht ! . ! 191 Qoldene Nacht Vogelfrei 192 Ein Frühlingsgebet .194 Das Traumiand .195 CARL BUSSE. Das Katzchen 196 Ich möchte sterben 197 Strophen ' j 97 lm Traum ' ' ^ jgg Ausklang 198