nach den Seiten mit Vorhangen umgeben, durch die man üherraschend auftreten und schnell wie# der verschwinden konnte. Was an primitivster Dekoration, etwa ein kleiner Stadtprospekt, erfor# derlich war, konnte aufgehangt werden. Alles andere aber müssen wir uns wohl wie bei Shake# speare als gesprochene Dekoration vorstellen. Letzten Endes waren die szenischen Hilfsmittel bei solcher Starke des Theaters unwesentlich.

Die zentrale Erscheinung des Stegreiftheaters war der Schauspieler, nicht als Persönlichkeit, dern als Typus, den er darzustellen hatte. Für die uns heute gelaufige Formel „Rollen nach dualitat”, gab es auf diesem Theater keinen Raum. Alles spielte sich in einem verhaltnismassig klei# nen Rollenkreis ab. Ueberblickt man die Namen der Personen der commedia dell’arte, wie man sie in den Dokumenten, Szenaricn, Zetteln bis auf Molière aufgezeichnet findet, so erhalt man zwar eine riesige Liste, zuletzt aber lassen sie sich auf sieben Grundtypen reduzieren, denen dann jedes Land, jeder Schauspieler, die Sitten der Zeit je# weils eine besondere Kleinigkeit hinzugefügt ha# hen. Diese illustre, Gesellschaft, die zwei Jahr# hunderte ganz Europa beherrscht bat, Spanien wie Holland, Deutschland wie Frankreich und England, bestand aus dem Capitano, dem Panta# lone, dem Pulcinella, dem Dottore, den beiden Zanni: Harlekin und Brighella, und dem Pedrolino. Mit wechselndem Glück setzten sie sich überall durch, hier begeistert aufgenommen, werden sie dort ihrer losen Scherze und Anspielungen auf Zeitgeschehnisse wegen vertrieben, busgelassen# ste Schaulust wechselt mit puritanischer Prüderie. Als die Truppe Genaco und Maddalena Sacco es sich herausnimmt, Frau von Maintehon in einer recht eindeutigen Farce „Die Zimperliche” zu ver# spotten, mussten alle Truppen in einem Bannkreis yon dreissig Meilcn 1697 die Stadt Paris verlassen. Siebzig Jahre zuvor konnte man sie, wie wir sahen, nicht schnell genug dorthin bekommen. Watteau bat 1718 diesen weinenden und beweinten Auszug in dem berühmten Bild dargestellt. Vielleicht bat diesen Augenblick der unfreiwilligen Ruhe der be# rühmte, bei dieser Truppe engagierte Pantalone Antonio Riccoboni benutzt, seine ~Histoire du théatre italienne zu plannen oder gar zu schreiben anzufangen, ein Werk, das, als es 1723 erschien, eine unschatzbare Quelle für diese Zeit des Thea# ters wurde.

Diese oben genannten sieben ausgepragten Ty# pen halten das Stegreiftheater in seinem Innersten zusammen. Allerdings darf keiner die einmal für ihn abgesteckte Sphare verlassen, sowohl um sei# ner selbst willen als aueh für die schaulustige Menge. Man kennt Arleehino, weiss, was er als soleher zu tun hat; tritt er auf die Bühne, so erwar# tet man, dass er sich wie Arleehino benimmt und nicht etwa wie der Dottore, es sei denn, dass er sich so verkleidet und ein Zerrbild von jenem spielt. Von dem Pantalone verlangt man, dass er als solcher auf tritt und nicht etwa wie Brighella.

Diese klare Ordnung der Typen setzte jeden so# fort ins Bild. Und dies war nicht etwa eine Erfin# dung des 16. Jahrhunderts, sondern der antike Mimus arbeitete bereits mit der gleichen Tren# nung, so dass ,es für uns gar nicht einmal so schwer ist, den Sprung über so viel Jahrhunderte der dunkien Versickerung mitzutun.

Von allen traditionellen Personen ist Arleehino, obwohl eine der jüngsten, die am meisten charak# terisierte und bekannteste. Niemand indes kennt seinen wahren Namen, weiss man doch kaum sei# nen Ursprung. Trivellino, Mestolino, Truffaldino, Guazetto nennt man ihn. Aber darunter bleibt er selbst unfassbar, hat er etwas Uebergeordnetes, ja Ueberirdisches, vielleicht sogar, nach neueren Vermutungen, tragt er in sich etwas von der We# fsenheit des Gottes Merkur, des Schutzherrn der Kaufleute, Diebe und Unternehmer, aueh von Ge# schaften dunklerer Art. In der Tat beruft sich die satirische Komödie darauf, vor allem die lenones, ihr geflecktes Kostüm von ihrem Schutzpatron erhalten zu haben. Ueber dieses seltsame Kostüm besteht noch keine endgültige Deutung. Die einen meinen, es sei einfach aus bunten Flicken entstan# den, andere wiederum deuten es als die Wolken# fetzen der himmlisehen Herrseharen; so weit gehen die Meinungen auseinander. Joseph Gregor • hat sich zuletzt dahingehend ausgesprochen, dass es das mi#partis#System der mittelalterlichen Narren sei, en benderole gelegt, wodurch die regelmassis gen rhombischen Karrees zustande kommen. Das ware aber lediglich die Deutung eines stilisierten Fndzustandes. Vielleicht ist aber gar nicht die Buntheit des Kostüms das Ausschlaggebende, som dern ganz einfach die Zahl, die Vielfalt der Ab# wechslung. Und damit kamen wir möglicherweise zu einer anderen Deutung, namlieh der der Frueht# barkeit und würden hier an einen volkstümlichen Brauch des oberrheinisehen Karnevalzuges erinnert, in denen der „Fleekleshaas” mit einer nicht unabn? lichen Kostümanordnung eine ebensolehe überge# ordnete Rolle innerhalb des Karnevalzuges spielt wie der Arleehino in der commedia dell’arte. Und ist zudem nicht Merkur aueh zugleich der Gott der nachtlieh Liebenden und rührt von Ferne da# mit an das Mysterium von der Vielfalt des Le# bens? Noch dazu deutet ja bei beiden die Pritsche, neben dem Abwehrzauber durch das Gerausch, auf den heidnischen Früchtbarkeitszauber durch Berührung hin. In diesen lenones also kann man die Vorfahren Arleehinos erblicken, jene Phalluss trager, die ehemals von fremden Sklaven, viel# leieht Negern, gespielt, sich das Gesieht sehwarz farbten. Von ihnen her rührt aueh Arleehi# nos schwarze Maske. Seine Reinkarnation er# lebte er in Bergamo. Auf den Gravuren des 16. und 17. Jahrhunderts sehen wir ihn tanzen und springen; niemals in Ruhe, sucht er seine Gefühle durch die Geharde auszudrücken,- sei sie nun er# greifend oder komisch. Denn er ist zugleich trau# rig und grotesk, melancholisch und zynisch. „Er ist ein Chamaleon”, sagt Mamontel von ihm, „das