Die Tischbeins in den Niederlanden

Eine Darstellung von Herbert Wotte

„Men ziet zelden een geslagt zoo gelukkig en zoo vrugtbaar in het vóórtbrengen van achtenswaardige kunstenaaren als dat van Tischbein. Pieier Terwesten, 1786

Mengs und Winckelmann hat sich in den künst- lerischen Beziehungen Deutschlands zu seinen Nachbarn allmahlich jene Wandlung vollzogen, die dem 19. Jahrhundert das Geprage gibt: die einseitige Blickwendung nach Süden. Im Barock und Rokoko nalhmen die deutschen Künstler Anregungen ebenso gern aus Frankreich und aus den Niederlanden auf wie aus Italien. Vor allem der Granz des Goldenen Jahrhunderts der Niederlande strahlte damals verlockend in den deutschen Bereich Ihinüber. Die deutschen Sammler erwarben gern niederlandische Bilder. Junge deutsche Maler kopierten fleissig die berühimten Niederlander, die noch kein Klassizismus als „Kotmaler" verfemt hatte, und selbst reife Künstler arbeiteten mit Vorliebe 'in der Manier der berühmten niederlandischen Meister.

Zwar riss auch im 19. Jalhrhundert die wechselseitige Durchdringung deutscher und niederlandischer Kunst nicht ganzlich ab. Aber die Beziehungen der Kobells etwa und der Düsseildorfer zu den Niederlanden sind für die Entwicklung der deutschen Kunst von uritergeordneter Bedeutung. Sowohi die Romantiker wie die spateren grossen Einzelganger seizen sich fast aussdMiesslich mit Italien und der Antike auseinander.

An dem Geben und Nehmen, das zwischen der deutschen und der niederlandischen Kunst im 18. Jahrhundert, an der Wende von höüsch-barocker und bürgerlich kla'ssizistischer Kultur, nodh‘ blüht, hat die fruchtbarste aller deutschen Malersippen regen Anteil: die Familie Tischbein, die in mehreren Generationen rund vierzig Künstler und Künstlerinnen, allerdings sehr verschiedenen Ranges, hervorgebracht hat. I!hr Bestes und Bleibendes haben die Tischbeins im Bildnis geleistet. Ihre historischen und mythologisdhen Darstellungen deckt der Staub der Vergessenheit. Aber in der reichen Zahl ihrer Portrats lassen sie uns noch heute den grossen Szenenwedhisel der Geschichte und das Menschentum des 18. Jahrhunderts mit eigenen Augen schauen. Vielfach als Hofmaler tatig, gehören sie alle noch der alten Zeit an. Aber wahrend die ersten Tischbeins ihre Auitraggeber in der pomphaften Umgebung und mit den tlhieatralischen Gebarden des Barock konterfeien, passen sich die epateren dem Gesinnungswandel der Zeit an. Bürgerlicher Geist durchweht die Schlösser. Die Für,sten schranken die rauschende Prachtentfaltung der barocken Höfe ein. Der Herrscherpose ziehen sie die unaufdringlidhie Eleganz, dem Purper das vornehmschlichte Kleid des Patriziers vor. So wollen sie auch im Bildnis den Zeitgenossen und der Nachwelt erscheinen.

Die geistige Haltung dieser Uebergangszeit ist die der Autklarung. Vielseitig gebildet und tatig, oft weitgereist, mit offenem, interessiertem Bliek für fremde Art, beweglich, ohne dogmaisches Für und Wider so treten uns die Künstler des Rokoko entgegen, dessen Anmut und Liebenswürdigkeit gerade ein Friedrich August Tisdhbein ins Bürgerliche hinüberrettet.

Mit der Sichtung des Bildervermachtnisses der Tischbeins hat die Forschung viel Mühe gehabt. Noch heute ist die Zuschreibung vieler Arbeiten umstritten, da sidh die Künstler selbst um eine genaue Bezeichnung Arbeiten wenig s'orgten. Ausserdem deckt der Zeitstil die Besonderheiten der einzelnen zu.

Doch stehen die beiden bedeutendsten Tiager des Namens als Menschen wie als Künstlei fest iimrissen vor nns: Joh. Friedr. August (1750-1812) als der starkste und in sich gesclMoissenste Maler unter allen Tischbeins, zugleich als der grösste deutsche Portratist seines Jahrhunderts, und Joh. Heinr. Wilhelm (1751 1829) in erster Linie, ais der vielseitige und geistige rege Mensch,

JOH VALENTIN TISCHBEIN: PRINZ WILHELM IV., Statthaller m den Niederlanden. Im Todesjahr des Prinzen (1751) malie der deutsche Künstler dieses lebensgrosse signicrte Bildnis, das im Friesischen Museum zu Leeuwarden bewahrt wird.

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