Als Künstler wurde Wilhelm Tischbein zu Lebzeiten hochgeschatzt und fast vergessen und erst zu Anfang unseres Jahrhunderts wiederentdeckt und gewürdigt. Heute kennt jeder den „Goethe in der Campagna' im Staedel-Museum und die reizend intimen Bildnisskizzen nach Goetlhe, die dem gemeinsamen Aufenthalt in Italien entstammen. Merkwürdiger noch als der Künstler ist der Mensch Wilhelm Tischbein: lebhaft und weltoffen, vielseitig begabt und interessiert und mit einer seinem Lebensglück freilich nicht förderlichen Doppelnatur von Künstler und Gelehrten.

Als der junge Maler 1772 in Bremen seinen Koffer packt, um in die Niederlande zu reisen, nimmt er wie einst Dürer audh ein paar Kisten nut Zeichnungen, Gemalden und Kupferstichen mit. In Bremen hat er als Bildnismaler schon einen gewissen Ruf erlangt. Und wir erwarten nun, ihn wahrend seines Aufenthaltes in den Niederlanden fleissig 'zeichnen, kopiëren, malen und verkaufen zu sehen. In der Tat berichtet er von den ersten Wochen in Amsterdam: „Bei diesem Herumgelhen larbeitete ich doch jeden Tag so viel,, dass ich meinen Unterhalt verdiente, auch wo'hl noch mehr". Und weiter: „Auch Ihatte ich wahrend der Zeit viele Bekanntschaften gemacht und malte Portrats und Familienbilder im kleinen sowie andere Bilder von eigener Erfindung und verschiedene zu meiner Uebung". Aber dies sind in dem sehr ausführlichen Reisebericht die einzigen Bemerkungen über sein eigenes Schaffen in den Niederlanden, das übrigens fast völlig verschellen ist. Wichtiger als das Malen war ilhm der Genuss der Kunsteindrücke,

die hier in überreicher Fülle auf ihn eindrangen. Hier geht auch zura ersten Male der Kunstgelehrte mit ihm durch. Schon in Hamburg und in Bremen hat er Bilder der alten Niederlander bei Sammlern und Handlern kennnen gelernt. Nodh wirkt ja die niederlandische Kunst ungebrocben a.uf die deutsche ein. Die Tierradierungen eineis Roos, eines Ridinger zeigen beste deutsche Künstler jener Zeit den Niederlandem verpflichtet „Ich hatte ein unwiderstehliches Verlangen nach den Niederlanden, dem Lande, wo so viele grosse Maler gelebt hatten und wo zum Teil nodh ihre bewundemswürdigen Werke zu isehen waren”. In dieser ehrhirchtsvollen Haltung tritt der Einundzwanzigjahrige nun in Amsterdam und Den Haag vor die grossen Meister des 17. Jahrhunderts. Aus den Schilderungen der Selbstbiographie spricht nodh die Lebhaftigkeit der 'damaligen Eindrücke rmd die Frische seines Urteils. „Bei diesem langeren Aufenthalte versaumte ich keine Gelegenheit, WO Gemalde zu sehen waren". Er durchwandert die öffentlichen Sammlungen Amsterdams, besucht Bilderhandler und Versteigerungen und reist nach Den Haag, um Rembrandts Anatomie zu sehen und den berülunten Stier von Potter.

Ohne Mühe knüpft er Beziehungen zu den angesehensten Privatsammlern an, die oft einmalige Schatze besassen, wie Jan van Gooi, der Maler und Künstlerbiograph, der in Augsburg „die grosse herrliche Sammliuig der Ridingersdhen Handzeichnungen" gekauft hatte. Bereitwillig führen ihn die Sammler durch ihre Galerien. Noch als alter Mann erinnert er sich mit Vergnügen der lehrreichen Abendunterhaltungen, wenn etwa van Gooi „Gesellsdhaft von Kunstireunden bei sich hatte und seine schonen Bilder um die Tafel herumgab, WO die Zeichnungen eines Ostade, Potter, Vischer und anderer Meister von Hand zu Hand gingen und im Gesprache beurteilt wurden". Er ündet Eingang in die Familie der 1750 gestorbenen Blumenmalerin Rachel Ruysch und bekommt ihr künstlerisclhes Erbe zu sehen. Ploos van Amstel lernt er kennen und den Rotterdamer Hendrik Kobell, einen Verwandten der deutschen Malerfamilie Kobell.

Und er bildet sich sein eigenes wohlabgewogenes Urteil über die niederlandischen Sammler. Es missfallt ihm, dass sie gewöhnlich nur Bilder schatzen, „deren Meister eine vorzügliche Geschicklichkeit im Pinsel zeigen; wahrend manches Bild, das ein empfangliches Gemüt wohl anspricht und den aus der Natur genommenen Gegenstand noch so wahr nadhbildet, übersehen und wohlfeil verkauft wird. Das macht die Mode". Er kann genau aufzahlen, welche Meister zu einem guten niederlandischen Bilderkabinett gehören, und er weiss, dass die Sammler der Mode wie er es neimt mehr vertrauen als dem eigenen Urteil. Aber er hat audh Worte des Lobes für sie. Sö rechnet er es ihnen hoch an, dass sie verwaschene oder „ausgebesserte ' Bilder als wertlos ablehnen und damit der heillosen Zerstörungsarbeit der angeblichen Restauratoren von damals den Boden entziehen. Die niederlandisclhen Kenner verlangen von einem Bilde, ,/dass es nur mit dem Dunste der Zeit bedeckt ist". „De Dost ligt der noch up" so gibt Wilhelm Tischbein radebrechend wieder, was heute Patina genannt wird. Als er sich spater in Italien

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