Eine charakteristischer Vertreter der niederlandischen Philosophie

Zum Tode des niederlandischen Philosophen Bierens de Haan

VON H. J. J. MARINUS

ALLGEMEIN wird die Auffassung anerkannt, dass die niederlandisehe Philosophie kein eigenes nationales Geprage besitzt und im Ganzen eine Mittelstellung zwischen englischer und deut# scher Philosophie einnimmt. Trotzdem dürfte bes tont werden, dass die Weisheit, die das Studium des philosophischen Gedankengutes vermittelt, als eine auf das irdisehe Dasein angewandte besehaus hche Lebensbesinnung breiter und tiefer als bei den beiden Nachbarn in dem durehwegs kritischen Volkscharakter verankert liegt. Sie hat dem nies derlandisehen Volk den Ruf der Nüchternheit und der Abwagung verliehen.

Der kürzlieb verstorbene niederlandisehe Pbis losopb Bierens de Haan ist ein ebarakteristiseber Vertreter der eben gestreiften niederlandiseben Philosophie. Ein kurzer einleitender Ueberbliek über die niederlandisehe Philosophie wird das Urs teil über die Persönliehkeit des Verstorbenen ers leiehtern.

Naeh der kurzen, aber heftigen Auslebung der stur ealvinistisehen Dogmatik, die, mit politischen Faktoren verbonden, zu einer Art protestantisehen Inquisition führte, sehaffte die allmahlich eintres tende religiöse Toleranz haufig europaisehen Dens kern von Ruf die Mögliehkeit in die Niederlande zu kommen, um hier Zuflucht vor Verfolgungen zu suehen.

Niederlander mit ursprünglichem Gedankengut waren der grosse europaisehe Humanist Desides rius Erasmus von Rotterdam (1466—1536) und der Rechtsphilosoph Hugo Grotius (1583—1646). Im 17. Jahrhundert weilten der Franzose René Descartes, der Flame Arnold Geulinex und der portugiesische Halbjude Spinoza hier, ohne im Lande selbst viel zu wirken. Auch Voltaire verblieb in den Nieders landen. Der Niederlander Frans Hemsterhuis (1721—1790), der viel Einfluss auf die deutscben Frühromantiker ausübte, vertrat einen asthetisies renden, pantheistisehen Neuplatonismus. Hemsters huis stand im engen Verkehr zu dem Kreise um die Fürstin Gallitzin in Münster, dem auch Jacobi und Hamann angehörten. lm 19. Jahrhundert kam hierzulande der Einfluss von Kant, Schelling und Hegel zur Geltung; seit den 60. Jahren die Lehre Spinozas, die auf die Niederlander van Vloten, Land und Meinsma naehhaltig einwirkte.

Als Befreier der neueren Philosophie aus den Banden der hier stark vertretenen klass

sischen Philologiï und Theologie gilt Cornelis WiL lem Opzoomei (1821—1892). Ei will das philosos phische Denken, in den Dienst des Lebens stellen und lehnt jede zu einer Metaphysik führende Spekus lation ab. Sein Sebüler Van der Wijk (1836T925) lebrte einen an den deutseben

lïilösopneiï Gustav Fechner erinnernden idealistischen Monismus.

Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts entstand eine Hegelsßenaissance, geführt besonders durch den Leidener Professor G. J. P. J. Bolland (1854— 1922). Er war ein entschiedener Bekampfer des Katholizismus und des Judentums. In diesen Tagen kommen seine Werke, die zeitweilig der „Vergess senheit” anheimgefallen waren, wieder zur Gek tung. Besonders aufsehlussreich ist seine in Druck erschienene Rede „De Teekenen des Tijds” (Die Zeichen der Zeit), die er bei der Eröffnung des Studienjahres 1921 in Leiden, Den Haag, Rotter* dam und Amsterdam aussprach, zum jahen Er* sehrecken der allmahlich eingeschlaferten, tradi* tionellen Bürgerweisheit. Am 24. April 1930 wurde im Haag ein internationaler HegeLßund gegründet, der alle zwei Jahre Weltkongresse abhielt. Naeh Bolland war besonders Wigersma hierzulande für die Verbreitung des Neuhegelianismus massge* bend.

Psyehischer Monist im Sinne der deutscben Philosophen Fechner und Paulsen ist der Groninger Philosoph und Professor G. Heymans (1857—1930). Johannes Diderik Bierens de Haan wurde am 14. Oktober 1866 in Amsterdam geboren. Er bes suchte in Haarlem das Gymnasium, studierte Theologie in Utrecht, promovierte 1891 und wurde Predikant bei der „Ned. Hervormde Kerk” in den landliehen Gemeinden Ootmarsum, Hoogland und Roosendaal (Provinz Gelderland). lm Jahre 1906