an das fixierte Wort binden könnende und nicht binden wollende Kraft des spielerischen Temporas mentes. Und in dem gleichcn Masse wie die Kunst des Mimus die des Augenblicks ist, muss sie bei der Wirklichkeitsschilderung bleiben, und zwar so stark kritisch, dass sie sich von den ewig gleichbleis benden Situationen menschlicher Schwache nicht nur nicht zu lösen vermag, sondern sich im Gegons teil immer aufs neue an ihnen entzündet. Es ist also gar kein Wunder, dass der Mimus, naehdem er aus schwer festzulegenden Gründen in den ersten christlichen Jahrhunderten plötzlich verschwand, nach einem guten Jahrtausend mit fast dem gleis chen Figurenreigen wieder auftauscht. Damit haben wir auch schon eines der wesentlichen Merkmale dieser Improvisationskunst: sie arbeitet mit Typen, die sich dazu noch nicht einmal in einem allzu gross sen Umkreis bewegen. Und es scheint, als ob der menschliche Erfindungsgeist in Bezug auf die Viels fait der komischen Typen gewissen Einschrans kungen unterworfen sei. Jedoch ist die Typenbils dung in sich so stark, dass dies Theater sich der Maske bedienen kann. Wahrend es also in dem, was es darstellt, dem starksten Realismus sich hins gibt, sucht es ihn mit Hilfe einer Typenreihe zu verwirklichen, die sich noch dazu unter einer Maske der Wirklichkeit völlig entzieht ! Diames traler geht es nicht. Und wenn es einen Beweis für die innere Zugehörigkeit der commedia dell’arte zum Barock gibt, dann diesen.

Titelblatt der Illustrationen von Jacques Callot (1592—1635)

Warum aber bediente sich das Stegreiftheater der Maske, wenn es doch nichts von einem strengen kultischcn Stil hatte, sondern im Gegenteil von einer sehr realistischen Darstellung, also auch der Mimik, seine Wirkungsfaktorcn bezog ? Auch der improvisierte Text konnte ja nicht das primare Mittel sich auszudrückcn .sein. Wiederum also wird man auf die Mimik hingewiesen. Und da wurde das Miencnspiel durch eine Maske vers deckt ? Aber es erhebt sich sofort die Gegens frage: Haben wir bei Charlie Rivel, als er „Eine Brücke, eine Brücke” mit dem Endergebnis „René, schon” haute, das Miencnspiel vermisst ? War es nicht gerade gut, dass das private Gesicht des Mcnschen hinter der Maske verschwand ? Steilte der Fall sich nicht so dar, dass die Maske jenseits alles Persönlichen dem absolut Komischen Dauer verlieh ? Hinter ihr kann ein Typus fortgesetzt werden, ohne dass es auf den Trager ankommt. Diese Masken sind nicht Verkleidungen für ein Gesicht, sie sind Bekleidungen eines Charakters. In ihrer neutralen Haltung, die Möglichkeiten offen lasst, haben sie nichts auf sich Hinlenkendes, som dern sind nur im Zusammenhang mit dem Körper und dessen Spiel gedacht, einem Spiel allerdings von notwcndig höchster Vollendung, Disziplin und Fertigkeit. Denn dieses Spiel des Körpers muss der Ausdruck einer neuen, anderen Mimik sein, muss das Gesicht ersetzen. So kann es also gar nicht überraschen, wenn wir die Schauspieler der dama? ligen Zeit auch Tanzer und Springer nennen hören. Und mancherlei Erstaunliches wird uns in dieser

Hinsicht berichtet. Von einem 83jahrigen französ sischen Schauspieler wird erzahlt, dass er noch in dem Alter „pouvait donner un soufflet avec Ie pied”, eine immerhin beachtliche Leisung, noch dazu, wenn davon mit einer völligen Selbstvets standlichkeit berichtet wird. Vom grossen Schrös der, der in seiner Jugendzeit noch dem Stegreifs theater angehörte, wissen wir, dass er in Königss berg in einer Scheune übte, um in Sprung mit dem Fuss ein Glas vom Tiseh befördern zu können, ohne es zu zerbreehen.

Die Maske und damit zugleich auch die ganze Eigenart dieses Theaters wird also ausgelegt durch die Geharde des Körpers. Und das gibt uns auch, trotz aller schonen Veröffentlichungen über das Phanomen der commedia dell’arte, die einzige, in unserm Falie sogar fast ideale Möglichkeit, in ihre Geheimnisse einzudringen: wir meinen die nössische Illustration. Denn wenn diesem Theater das Wort nicht erstes und überlieferbares Aus« drucksmittel ist, wie sollten wir je auch nur an den Versuch einer Rekonstruktion denken können, wenn eben nicht eine Unzahl bildnerischen Mate« rials vorlage, wobei dann zu bedenken ist, dass diese Zeiehnungen und Radierungen anders zu bewerten sind als z.B. die Fotografien, die wir heute von unseren Aufführungen anfertigen. Der Fotografie fehlt zur festgehaltenen Geste unbe* dingt das gesprochene Wort. Bei jenem Theater aber war das Wort nebensachlich, auf die auss drucksfahige Bewegung kam es an. Und diese zu erfassen, ist keinem besser gelungen als Callot. Er bat uns die damonische Grosse dieses Theaters gezeigt, vor dessen ursprünglieher Gewalt wir nahezu erschreeken. Man sehe sich daraufhin die „Balli di Sfessania” einmal an und man wird fests stellen, dass sich dieses Theater der Darstellung durch einen Meister entziehen konnte. Das wilde, ungebandigte Theater wird lebendig, es wird selbstandig und beginnt einen Tanz, der Urvors stellungen heraufbesehwört.

Erst wenn wir uns von der durch unsere Bildung